An
die Außenministerin der Republik Österreich, Frau Benita Ferrero-Waldner
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vor wenigen Monaten haben wir Ihnen einen Brief zukommen lassen, in dem wir die Situation des Minderheitenschutzes in Österreich kritisiert haben. Ihre Antwort war eine vollständige, im Detail jedoch nicht begründete Zurückweisung unserer Kritik, eine idyllische Darstellung der Lage der Minderheiten in Österreich. Wir haben darauf bereits geantwortet, doch aufgrund der jüngsten Ereignisse sehen wir uns veranlasst, dem noch einige Fußnoten nachzureichen.
Der Verfassungsgerichtshof hat einen wesentlichen Punkt unseres ersten Briefes nochmals bestätigt: Die Minderheiten müssen ihre Rechte gegen die Regierungen auf Bundes- und Landesebene mit Hilfe des Verfassungsgerichtshofes erzwingen. Die Regierungen sind auf dem gewöhnlichen demokratischen Weg nicht bereit, die Rechte, die den Minderheiten laut Verfassung zustehen, auch tatsächlich zu gewähren. Unsere Position wird im übrigen geteilt vom profil, 21.12.2001, S. 14-17-.
Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider hat angekündigt, sich an den Urteilsspruch des Verfassungsgerichtes zu den zweisprachigen Ortstafeln nicht halten zu wollen und beteuert damit selbst, dass er sich nicht den demokratischen Prinzipien der Verfassung verpflichtet fühlt. Außerdem hat er zum Sturz des Präsidenten des Verfassungsgerichts aufgerufen. Frau Außenministerin, es ist unbedeutend, ob man sich diplomatisch ausdrückt oder nicht: Dies ist und bleibt in der Essenz ein Aufruf zum Staatsstreich. Der oft gegen ihn erhobene Vorwurf der faschistischen Gesinnung wird so von Haider selbst bestätigt.
Wie so oft sind nicht nur die Brandstifter schuldig, sondern auch die Biedermänner. Die Volkspartei, die angeblich christlichen Werten verpflichtet ist und mit diesen christlichen Werten vor jeder Wahl pharisäisch hausieren geht, schweigt zu diesem Faschismus und zu diesem Staatsstreich-Aktivismus der Herrn Haider, oder aber bringt einige Bagatellenargumente dagegen auf, bleibt aber in Koalition mit der Partei dieses Faschisten. Was muss denn passieren, damit die Volkspartei die demokratische Verfassung auch in den Taten verteidigt und nicht nur in Sonntagsreden?
Wir verweisen darauf, dass sich Haiders Position mit der des Kärntner Heimatdienstes deckt – also mit ideologischen Positionen, die ungehemmt auf Nationalismus, Intoleranz, Hetze gegen Mitbürger anderer Sprache baut; die Haltung wurde in der Vergangenheit (siehe Ortstafelsturm, eine authentischen faschistische Aktion) und wird heute auch von Exponenten der ÖVP geteilt. Diese Positionen entsprechen denen der radikalen Neofaschisten in Italien – hätte Italien nach diesen Prinzipien gehandelt, so hätte Südtirol nie eine Autonomie bekommen – es gäbe kein Südtirol und kein Bozen, sondern nur Alto Adige und Bolzano. Doch so extreme Positionen wie Haider nehmen die Neofaschisten der Regierungspartei Alleanza Nazionale mittlerweile nicht mehr ein – solche Positionen sind Privileg der Rechtsaußenideologen von Unitalia, von bekennenden Neofaschisten also. Bezeichnenderweise zögern Exponenten der ÖVP (wie etwa Khol, von Staa) nicht, jene minderheitenfeindlichen Positionen, die denen des Herrn Haider gleichen, als faschistisch zu bezeichnen. Warum diese Positionen auf österreichischer Seite nicht getadelt wird, hat noch niemand schlüssig erklärt.
Die ÖVP wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, einen neuen Faschismus nicht verhindert, sondern großzügig geduldet zu haben, ja mit ihm zusammengearbeitet zu haben. Die Verteidigung der Demokratie fällt sehr lau aus. So hat Bundeskanzler Wolfgang Schüssel – nach Tagen des Schweigens – zwar das Urteil des Verfassungsgerichtes und dessen Präsidenten verteidigt – die Koalition mit der Partei, die zur Missachtung der Verfassung aufruft, bleibt aber unverändert. Der Bundeskanzler hat auch eine Konsenslösung vorgeschlagen. Doch die Verfassung gehört umgesetzt, nicht durch Konsensrunden, in denen auch die altbekannten Verfassungsfeinde sitzen, verwässert.
Sie haben uns unserer Ton vorgeworfen. Doch ein etwas rüderer Ton ist angesichts der faschistischen Umtriebe in Österreich nicht nur verzeihlich, sondern notwendig ist, ist aber kaum abzustreiten, ebenso wie ein etwas vehementeren Ton im Einsatz für die Rechte einer Minderheit ethisch nicht zu vergleichen ist mit der Komplizenschaft mit faschistischer Politik.
Wir fordern die Bundesregierung noch einmal auf, den Minderheiten im eigenen Land jene Rechte zu gewähren, die Österreich für die deutsche Sprachgruppe in Österreich gefordert hat. Ein Minimum an Kongruenz darf man sicherlich fordern. Dazu gehört die lückenlose Umsetzung des jüngsten Verfassungsurteils zu den zweisprachigen Ortstafeln – sie gehören aufgestellt, nicht scheinheilig wegdiskutiert (weil sich ein Konsens nie finden wird, das wissen Sie ganz genau).
Kurios finden wir schlussendlich die Weiterleitung unseres Briefwechsels an Tilman Zülch (www.gfbv.it/2c-stampa/01-2/010830de.html). Herrn Zülch braucht man nicht zu informieren, er ist bereits informiert. Sie hätten sich die Mühe also sparen können. Alle unsere Dokumente werden zudem im Internet veröffentlicht (auch dieser Briefwechsel), so dass sich die gesamte Öffentlichkeit über die Position der österreichischen Regierung informieren kann. Wir empfehlen auch Ihnen einen Blick in die Seiten von: www.gfbv.it.
Mit freundliche Grüßen
Gesellschaft für bedrohte
Völker – Südtirol
Siehe
auch:
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