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Anuak in Aethiopien

"Den Anuak sollte eine 'Lektion' erteilt werden"

Interview von Hanno Schedler

Bozen, Göttingen, Oktober 2011

Anuak-Kinder in der Region Gambella im Westen Aethiopiens. Foto: gill_penney/flickr.com. Anuak-Kinder in der Region Gambella im Westen Aethiopiens. Foto: gill_penney/flickr.com.

bedrohte Völker: Obang Metho, wer sind die Anuak?
Obang Metho: Die Anuak sind ein indigenes Volk, deren Land sowohl in der Gambella-Region im Südwesten Aethiopiens als auch im Südsudan liegt. Der Bürgerkrieg im Sudan führte zu einem Flüchtlingsstrom in die Gambella-Region. 1986 siedelte das damals herrschende Regime unter Mengistu auch Aethiopier aus den Hochlagen des Landes nach Gambella um. Daraufhin kam es zu Konflikten zwischen den Einheimischen und neuen Siedlern. Die Regierung Meles Zenawis, die seit 1991 an der Macht ist, verschärfte die Konflikte zwischen der lokalen und der zugezogenen Bevölkerung durch ihre gezielte "Teile- und Herrsche-Politik" noch.

bedrohte Völker: Im Zusammenhang mit Aethiopien wird immer wieder von Landraub gesprochen. Wie ist die Lage in der Gambella-Region?
Obang Metho: Das Zenawi-Regime dominiert alle Lebensbereiche in Aethiopien. Ende 1996 wurde von ausländischen Beratern ein Bericht über das große landwirtschaftliche Potenzial der Gambella-Region erstellt. Es wurde empfohlen, welches Saatgut für welchen Bereich von Gambella genutzt werden sollte, wo man Bewässerungssysteme und Dämme bauen sollte. Den Anuak fehlten jedoch Landwirtschaftsmaschinen wie Traktoren, hochwertiges Saatgut, technische Unterstützung und Zugang zu Fortbildungen im Landwirtschaftsbereich. All diese Dinge wurden ihnen von der Regierung vorenthalten. Als dann Ende der 1990-er Jahre in Gambella Ölreserven gefunden wurden, missachtete Zenawi die äthiopische Verfassung: In ihr ist festgelegt, dass die Regionen und die Bevölkerung vor Ort über Entscheidungen wie die Ölförderung mit einbezogen werden müssten. Die Anuak wurden jedoch nicht gefragt. Diejenigen, die sich aus Umweltschutzgründen gegen die Ölförderung aussprachen, gerieten ins Fadenkreuz der Regierung.

bedrohte Völker: Was passierte?
Obang Metho: Im September 2003 einigten sich hochrangiger Politiker auf einem Treffen, unter ihnen Meles Zenawi, dass man den Anuak eine Lektion erteilen müsse. Man betrachtete sie als Bedrohung für die Ölförderpläne Aethiopiens. Zivile Milizen erhielten Macheten und Aexte. Am 13. Dezember 2003 griffen äthiopische Sicherheitskräfte die Anuak an. Häuser wurden durchsucht; ein Mob zog mit dem Slogan "Heute ist der Tag, um Anuak zu töten" durch die Straßen. 424 Anuak wurden massakriert, viele von ihnen in Massengräbern verscharrt. Fast 10.000 Anuak flohen in den Südsudan. Daraufhin wurde der Gerechtigkeitsrat der Anuak (AJC) gegründet. Wir fordern das Recht der Anuak, eines jeden Menschen in Aethiopien, auf ein menschenwürdiges Leben ein.

bedrohte Völker: Wie ist die Situation in Gambella heute?
Obang Metho: Die Anuak leiden noch heute unter dem Massaker. Zudem werden sie heute durch Landraub - ich nenne es Lebensraub - bedroht: Land wird an ausländische Investoren für bis zu 99 Jahre zu absurd niedrigen Preisen verpachtet. Sie werden dadurch gezwungen, ihre Häuser, das Land ihrer Ahnen, ihr Erntegebiet zu verlassen. Die Zentralregierung verhandelt mit ausländischen Investoren über die Köpfe der Menschen vor Ort hinweg. Rund dreiviertel der in Gambella lebenden Bevölkerung, 245.000 Menschen, sollen umgesiedelt werden. Dieses Phänomen gibt es in ganz Aethiopien.

bedrohte Völker: Setzen Sie sich nur für die Anuak ein?
Obang Metho: Nein. Die Anuak sind ein kleines Volk mit wenig Macht. Sie leben auf rohstoffreichem Land, aber sie sind nicht die einzigen, die vom korrupten und brutalen Zenawi-Regime verfolgt werden. Auch die Oromo, die Ogadeni, die Afar, die Amhara werden verfolgt, ja sogar diejenigen aus der Tigray-Ethnie [Anm. d. Red.: Meles Zenawi und sein Regime sind Tigray], die sich für ein demokratisches Aethiopien einsetzen. Gerechtigkeit und Frieden wird nur dann entstehen, wenn alle 80 Ethnien in Aethiopien miteinander kooperieren können. Nur dann kann Aethiopien der selbstzerstörerischen Spirale aus Gewalt und Diktatur entfliehen.

Interview: Hanno Schedler

Obang Metho ist Direktor des Gerechtigkeitsrates der Anuak (AJC) und Gründer sowie Geschäftsführer der Solidaritätsbewegung für ein neues Aethiopien (SMNE). Metho lebt in Kanada.

Aus pogrom-bedrohte Völker 267 (4/2011)