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Fotoaustellung

DIE WUNDEN DES SCHWEIGENS

Südtiroler Landtag, 13.-29. Oktober 2000

Mostra fotografica: Le ferite del silenzio

[Versione italiana: Le ferite del silenzio]

INDEX

Yolande Mukagasana | KANDERA Adèle | Adeline U. | M. Agnès | Alice | Alvera M. | Anastasie | André H. | BAGABO Anselme, genannt Cassius | G. Augustin | MUKASARAMBU Béata | K. Caritas, G. Jean-Marie-Vianney | NIYONSABA Cassius | Chantal M. | Charles W. | Claire K. | Clemence | Consolata | Dancilla | Emeline | M. Emmanuel | NSABIMANA Enos | N. Eugénie | NTEGEYIMANA Evariste | MUKANTESI Francine | UWITONZE Françoise | H. Grégoire, detto Mandela | MUKARUSINE Hélène | Innocent N. | SEKAMANA Jean-Marie-Vianney | Laetitia | Marc N. | Marie-Josee | NDAHIMANA Matthieu | MVUGAYABAGABO | HITIMANA Noël | Norbert | Odette M. | NANGWAHAFI Onesphore | Pacifique | Patrice | NGANIMANA Paul Pierre | MUNYAMBUGA Thaddée | M. Vestina



Yolande Mukagasana VORWORT [ top ]

Als ich meine Füße wieder auf den alten Kontinent setzte, merkte ich, daß ich ihn immer noch liebte. Trotz der erlebten Leiden. Es bildete sich in mir die Gewissheit, eines Tages die Arbeit vollbringen zu wollen, die ich gerade eben beendet habe: Nicht nur mit den Opfern und Überlebenden des ruandesischen Genozids von 1994 sprechen, sondern auch mit den damaligen Henkern. Ich wollte diese beiden Dialoge zusammenführen, ich wollte eine Art Kommunikation zwischen Täter und Opfer herstellen. Warum? Weil es um die Würde des ruandesischen Volkes geht.

Keine Versöhnung ist ohne Gerechtigkeit möglich. Sicher. Aber ebenso ist keine Versöhnung möglich, wenn die Täter pauschal dämonisiert werden. Ich habe während dieses Monats, im Februar 1999, erfahren, dass unter den vielen Henkern einige auch selbst Opfer sind. Und zwar Opfer selbst Henker gewesen zu sein. Vor allem diesen Menschen will ich diese Arbeit widmen.

Durch geduldsames, und oft schwieriges, Zuhören konnte ich zum Herzen meiner Geschprächspartner gelangen. Die Dialoge dieser Ausstellung sind nur kurze Ausschnitte dieser langen Gespräche. Der Fotograf Alain Kazinierakis, der von Anfang an diese Arbeit mit mir zusammen konzipiert hat, bannte diese Momente intensiver Emotion. Der Überlebende ist oft völlig zerstört, oft verzweifelt, oder bestürzt, und selten bereit, ein neues Leben anzufangen. Vollstreckte Gerechtigkeit ist eine notwendige Bedingung für einen neuen Weg. Der Täter des Genozids ist oft arrogant, erklärt sich für nicht schuldig, er ist, könnte man fast sagen, bereit, wieder anzufangen. Oft ist der Henker aber erschüttert über die Tat, die er, blind durch die Manipulierung seines Gewissens und seiner bürgerlichen Pflicht, begangen hat. Er beweint oft die kriminelle Tat und bittet die Opfer um Vergebung. Er ist nicht bereit, einen Neuanfang zu beginnen, die Tat zieht ihn wie ein Bleigewicht in die Tiefe. Zwischen diesem Henker und dem Opfer kann die gegenseitige Angst nur exorziert werden, wenn sich ein Dialog eröffnet.

Ich wünsche mir, dass diese Arbeit, jenseits der Hoffnung auf ein gegenseitiges Vertrauen in Ruanda, und auch als Ergänzung zur Suche nach Gerechtigkeit, auf die Gefahr des einzigen alleinstehenden Gedankens hinweist, vor und nach einem Genozid. Es gibt keine Menschlichkeit ohne Vergebung, es gibt keine Vergebung ohne Gerechtigkeit, es gibt aber auch keine Gerechtigkeit ohne Menschlichkeit. Ich wollte der Gerechtigkeit ein weniger nüchternes Kleid geben, als es die Toga der Richter ist. Ich habe in den Gefängnissen die wahre Reue gefunden, die Ruandesen, alle Ruandesen, sollen das wissen. Aber auch der Westen soll das wissen. Dieser Westen, der sich hinter dem Mantel des reinen Gewissens versteift. Als ob Ruanda von einer Welt lernen sollte, die sich in Genoziden zerrissen hat, die mindestens so schlimm waren, wie der in Ruanda. Eine Welt die sich erst kürzlich wieder in Ex-Jugoslawien zerrissen hat, im Wartesaal für Europa.

Yolande Mukagasana, März 1999



Adele KANDERA Adèle
49 Jahre, Überlebende, Nyamata [ top ]

A.K. - Wir hatten uns in den Sümpfen versteckt. Eines Abends spürten uns die Killer auf. Ich gab ihnen Geld, damit sie unsere Leben verschohnten. Auch ein Radio. Sie nahmen alles lachend entgegen. Auch alle meine Kleider und der Gürtel wurden mir abgenommen. Erst zu diesem Zeitpunkt begannen sie mit der wahren Arbeit. Sie fingen bei meinen Kindern an. Zuerst sah ich die Beine auf den Boden fallen, dann den Kopf.. Ich fing an zu schreien, sie kamen sind dann zu mir. Sie haben mich in Stücke gehauen, ich wurde dann bewußtlos. Mein größtes Unglück war, dass ich inmitten der Leichen meiner Angehörigen erwachte. Der Leichnam eines meiner Kinder lag sogar auf mir. Ich konnte mich nicht bewegen. Eine meiner Töchter war nicht umgekommen, sie rief dauernd: "Mutter, wach auf. Ich bin noch am Leben!" Sie hatten sie überall zerschnitten. Ich sah um mich, ich konnte meine Kinder und meine Mutter sehen. Ich sagte zu meiner überlebenden Tochter: "Gib mir zu trinken", auch wenn sie kein Wasser finden konnte.

Wir blieben dann so, Tage und Nächte lang, wir konnten uns nicht bewegen. Tiere kamen, um die Leichen meiner Kinder zu fressen, und ich hatte nicht die Kraft, sie zu verjagen. Eines morgens dachte ich zu sterben, weil sich Maden in meinen Wunden bewegten. Ich bat meine Tochter, etwas zum Essen zu suchen, aber ich wollte eigentlich nicht essen, sondern Selbstmord begehen, ohne dass sie dabei zusehen mußte. Als sie gegangen war, steckte ich meinen Finger in die Wunde an meinem Hals und zog um sie vollständig zu zertören. Aber da war keine Kraft mehr in den Händen, ich konnte mich nicht fertig machen. Anstatt zu sterben, ging es mir am nächsten morgen so schlecht, dass ich nicht einmal mehr Wasser trinken konnte. Als meine Tochter zurückkam, erzählte ich ihr von meiner Geste und dass es nicht funktioniert hatte...

Als der FPR die Region einnahm, merkten wir das gar nicht. Erst 15 Tage später wurden wir gerettet.

Heute ist Adèle so arm, dass sie sich nicht einmal einen Gehstock, den sie so dringend bräuchte, leisten kann.



Adeline U.Adeline U.
22 Jahre, Überlebende, Kigali [ top ]

A.U. - Als ich in der Kirche von Ntarama war, hat mich eine Episode besonders berührt. Sie ist in meine Erinnerung geprägt. Ein Mann, ziemlich groß, war am Eingang der Kirche, mit Bananenblättern gekleidet. Er hat zu seinen Mörderkollegen gesagt. "Wartet bis ihr mit dem Töten anfängt, sonst riskieren wir im Gemetzel einen Hutu zu töten." Dann hat er sich zu uns gedreht und hat gesagt: "Wenn es zwischen euch einen Hutu gibt, dann soll er hervortreten und uns seine Identitätskarte zeigen." "Und wenn er keine Identitätskarte hat", hat einer gefragt. "Dann soll er uns sagen, wessen Sohn er ist, wir werden ihn dann schon identifizieren können." Dann sind fast alle Kinder hervorgetreten und haben gesagt, dass sie Hutu seien, aber dass ihre Mutter Tutsi ist. Jedem, der hervorgetreten ist, haben die Verantwortlichen des Genozids die Hand abgeschnitten ...
Y.M. - Ist es auf Grund dieser fürchterlichen Erinnerungen, dass du nicht aussagen wolltest?
A.U. - Ich habe mich bis heute geweigert, auszusagen. Aber dir vertraue ich. Deshalb erzähle ich dir ...
Y.M. - Keine NGO ist euch während des Genozids zu Hilfe gekommen?
A.U. - Ich habe keine gesehen ...
Y.M. - Was denkst du über das Tribunal von Arusha?
A.U. - (nach einer langen Pause) In unserem Land existiert die Gerechtigkeit nicht. Wenn sie in Arusha ein Gericht gemacht haben, ist es sicher nicht, um uns Gerechtigkeit zu geben. Sie müssen eigene Interessen dafür haben.



M. AgnèsM. Agnès
20 Jahre, Überlebende, Kigali [ top ]

A.M. - Am Anfang des Genozids war ich 15 Jahre alt, ich war gerade auf Urlaub bei meinem Onkel, meiner Tante und ihren zwei Kindern, wovon eines ein Säugling war. Eines Tages kam ein Milizsoldat und sagte: "Gib mir deine Frau und ich werde euch fünf retten." Mein Onkel weigerte sich. Der Mann rief dann andere Milizen, die uns dann alle zusammen unter der Bedrohung ihrer Maschinenpistolen zu einer Grube führten. Sie zwangen uns auf dem Bauch zu legen. Einige Frauen sahen zu, sie lachten uns aus und sprachen über unsere Kleider, die sie bald unter sich aufteilen würden. Mein Onkel warf sich in die Grube bevor er ermordet wurde. Aber meine Tante, die ein Perizom und eine sehr kurze und enge Hose trug, um die Vergewaltiger zu entmutigen, wurde mit einer Machete erschlagen. Der Säugling auf ihrem Rücken fiel mit ihr in die Grube. Ich höre jetzt noch die Schreie des Kleinen. Ich bin zu den Frauen gelaufen, um Schutz zu suchen. Sie schrien mich an und riefen die Milizen. Einer von ihnen hat mich beschimpft und geschlagen, dann hat er einer alten Frau befohlen mich zu bewachen und zu verpflegen bis er wieder zurück käme.

Am darauffolgenden Tag kam er, schleppte mich in ein leeres Haus und vergewaltigte mich. Nachher übergab er mich wieder der alten Frau. Am nächsten Tag kam ein anderer Milizsoldat, der an einem Auge blind war. Ich wurde wieder in das leere Haus geschleppt und die gesamte Nacht geschlagen und vergewaltigt. Am darauffolgenden Tag kam dann ein Armeesoldat. Er brachte mich in ein Haus, das voller Läuse und Ratten war. Dort saß eine Frau, die sie als Geisel genommen hatten. Sie hatten ihren Säugling einfach in eine Grube geworfen. Der Soldat mußte denn an die Front. Ich war so den ganzen Tag in diesem Haus eingesperrt. Als er am Abend zurückkam, machte ihn mein Gesicht übel, weil ich meine Lippen und die Nase mit Schlamm beschmutzt hatte, um Erbrochenes vorzutäuschen. Plötzlich hörten wir Schüsse, er erschrak und flüchtete, und vergaß dabei die Tür abzusperren. Auf diese Weise konnte ich fliehen. Ich stieß auf eine moslemische Familie, die vor dem Vorrücken des FPR floh. An den Barrieren gab ich mich als die Tochter des Mannes aus, obwohl die Frau mich verraten wollte. Plötzlich wurden wir von den Soldaten der FPR überrascht. Ich war frei.
Y.M. - Warum hast du mir diese Geschichte nicht erzählt, als ich dich im Territorium der FPR 1994 umherirren sah.
A.M. - Weil ich dem Mut dazu nicht hatte.



AliceAlice M.
28 Jahre, Überlebende, Nyamata [ top ]

A.M. - Ein LKW hielt vor unserem Haus, einige Männer in Militär- und Gendarmerieuniformen betraten unser Haus. Einer von ihnen sagte: "Was für ein schönes Mädchen, ich kann sie nicht umbringen." Er durchsuchte das gesamte Haus, er plünderte alles, sogar die Kleider, die ich trug. Ein anderer Mörder nahm meinen Sohn in die Arme und warf ihn wiederholt gewaltsam in die Luft. Auf diese Art tötete er ihn. "Bringen sie sich bitte selbst um," sagte er, "der Gott der Tutsi ist tot, ihr habt keine Möglichkeit mehr, zu überleben." Meinem Mann war es gelungen, sich zu verstecken. Ich kriegte einen Schlag auf den Kopf ab und wurde bewusstlos. Als sie fortgegangen waren, schüttelte mein Mann mich wach, damit wir in die Kirche von Ntarama flüchten konnten. Dort fanden wir nur Leichen. Wir haben dann die Wiederstandskämpfer unseres Gebietes aufgesucht. Dort blieben wir bis alle Überlebenden tot waren. Darauf zogen wir uns in die Sümpfe zurück. Dort geschah es, dass sie mir den Arm abgeschnitten haben.
Y.M. - Wer hat dir denn den Arm abgeschnitten?
A.M. - Das ist eine schwierige Frage. Wir wurden nämlich von mehreren Gruppen von Henkern angegriffen. Ich kann mich nur mehr daran erinnern, dass am Tag, an dem sie mir den Arm abschnitten, sie meinen Mann ins Wasser warfen, er konnte nicht schwimmen ... Ich blutete stark und verlor das Bewusstsein. Als ich viele Tage später erwachte, befand ich mich in einer Art Spital. Ich erinnere mich daran, wie sie meine Hand abschnitten. Ich spürte keinen Schmerz, ich konnte nur das Brechen der Knochen fühlen. Nachher aber hatte ich sehr starke Schmerzen.
Y.M. - Ich sehe, dass ihr nach dem Genozid noch zwei Kinder gezeugt habt. Konntet ihr dadurch den Tod eures Kindes vergessen?
A.M. - Nein, ganz und gar nicht! Ich liebe auch sie, aber nichts auf der Welt kann mir die Erinnerung an mein getötetes Kind nehmen. Das ist eine Wunde, die niemals heilen wird.
Y.M. - Gehörst du dieser Verstümmeltenvereinigung an, die ich hier angetroffen habe?
A.M. - Nein, ich habe keine Zeit dafür. Ich hatte nach dem Genozid zwei weitere Kinder und außerdem habe ich drei Waisenkinder aufgenommen. Ich habe nur eine Hand, es ist schwierig, nur damit zu arbeiten. Zusammen mit meinem Mann versuche etwas Nahrung für diese Kinder zu finden. Ich habe keine Zeit, um an den Sitzungen dieses Vereins teilzunehmen.
Y.M. - Man sollte es aber versuchen. Es nämlich wichtig, mit anderen Menschen vereinigt zu sein und sprechen zu können.
A.M. - Es ist wahr. Oft fühlen wir uns ziemlich einsam.



Alvera M.Alvera M.
26 Jahre, Überlebende, Nyamirambo [ top ]

A.M. - Als der Präsident ermordet wurde, befand ich mich gerade bei meinem Cousin in Nyamirambo. Morgens kam ein Fahrzeug der Interahamwe. Ein Junge saß darin und zeigte den Milizsoldaten die Häuser der Tutsis. Ich versteckte mich bei einem benachbarten Koch, im Badezimmer. Die Interahamwe kamen mehrmals, um das Haus zu durchsuchen, aber ohne mich zu finden. Damals nahmen die Hutus aus dem Süden, die der PSD (Oppositionspartei) angehörten, noch nicht am Massaker teil. Es waren ungefähr 20 Männer, mit Machete und Speeren bewaffnet. Sie fanden ein neues Versteck für mich. Ich hatte zwar Angst, aber ich nahm das Angebot dennoch an.
Y.M. - Wie bist du nahe Butare gekommen?
A.M. - Es war am 23 April. Ein Soldat der FAR, ein Freund meines Cousins, kam zu mir und teilte mir mit, er würde nach Butare fahren. Ich flehte ihn an, mich mitzunehmen. Er aber meinte: "Mit deinem Gesicht! Ich könnte dich niemals durchbringen!" Ich flehte ihn abermals an, aber er antwortete: "Ich bringe schon jemanden nach Butare. Er hat mir Geld gegeben und ich will ihm keine Probleme verursachen." Am Ende gab er dann doch noch nach. Wir hatten Probleme, Nyabarongo zu durchqueren. Er musste bezahlen. An der Peripherie Butares angekommen, wo der Weg zum Haus meiner Eltern abzweigte, ließ er mich aussteigen. Ich musste all die 8 km zu Fuß laufen. In Butare hatten sie in einigen Vierteln schon angefangen zu morden, in anderen, wie meinem, hingegen noch nicht. Doch sie fingen in der Nacht nach meiner Ankunft auch dort an, bei meinem Vater. Meine Brüder versteckten sich im Haus eines Nachbarn, der das aber meldete. Das Haus wurde angezündet und meine Brüder verbrannte bei lebendigem Leibe. Eine Woche später ermordeten sie meine Mutter. Was mich betrifft, da ein Milizsoldat aus Kigali behauptete ich sei schon tot, gaben sie die Suche nach mir auf. Ich blieb in den Hirsefeldern und musste mitansehen, wie meine Enkelchen hingerichtet wurden. Die Mörder warfen sie in die Latrinen. Am Ende wurde auch meine Schwester getötet. Und ich, ich wurde von der FPR gerettet.
Y.M. - Wovon lebst du heute?
A.M. - Nach dem Genozid habe ich das Hab und Gut meiner verstorbenen Brüder in Kigali gesucht. Als ich es fand, verkaufte ich es.
Y.M. - Und jetzt?
A.M. - Ich lebe jetzt für das Waisenkind meines Bruders, es ist das einzige Familienmitglied, das mir geblieben ist. Sie gibt mir die Kraft weiterzuleben. Wenn es nötig sein sollte, wäre ich bereit, mich zu prostituieren, um ihre Ausbildung zu bezahlen. Ich hoffe, dass sie es im Leben zu etwas bringt.



Anastasie I.Anastasie I.
49 Jahre, Überlebende, Gahembe (Bugesera) [ top ]

A.I. - Auf dem Hügel, auf den wir geflüchtet waren, kämpften die Männer mit den Mördern, und die Frauen hebten Steine auf, um ihnen zu helfen. Im Gewühl hat ein Milizsoldat mir gesagt: "Du bist wie eine Mutter für mich, ich möchte dich verstecken aber der letzte Tag der Tutsi ist gekommen, alle müssen sterben." Er hat mich drei Tage in seinem Bananenfeld versteckt, weil er Angst hatte, mich im Haus zu haben; dann hat er mich inmitten der Kadaver auf den Hügel des Widerstands gebracht. Dort haben mein Sohn und ich die Nacht verbracht. Die Mörder sind gekommen, sie haben mich geschlagen und haben meinen Sohn getötet. Einer von ihnen hat gesagt: "Die Alte hat uns alle geheilt, wenn wir sie töten, wird uns das Unglück bringen. Lassen wir sie hier zwischen den Toten, sie wird Hungers sterben; die Hunde und die werden die Arbeit zu Ende bringen. Sie sind weggegangen. Einer der Mörder ist zurückgekommen: "Komm zu mir nach Hause, wenn meine Frau einverstanden ist, werde ich dich verstecken." Seine Frau war dagegen, so hat er mich im Dickicht versteckt und hat mir jeden Tag Hirsesamen gebracht; später, als der FPR gekommen ist, hat er mich gewarnt: "Anastasie, ich komme, mich zu verabschieden, ich kann dich nicht mehr beschützen, verlier den Mut nicht und pass auf die Flüchtenden auf, sie töten wo sie vorbeikommen."
Y.M. - Hast du Kinder?
A.I.- Ja, drei. Vier sind gestorben. Die Älteste ist vergewaltigt worden und hat ein Kind. Ich habe wirklich viele Wunden auf meinem Körper, meine Narben heilen langsam, aber die Narben im Herzen werden nie heilen.
Y.M. - Was denkst du über die NGO's und über die katholische Kirche?
A.I. - Zwischen der katholischen Kirche und unserer Regierung hat es Uneinigkeiten gegeben. Die Regierung wollte, dass die Kirche von Nyamata eine Gedenkstätte des Genozids wird und wollte dort die Skelette ruhen lassen. Für die Kirche war das eine Sünde. Ist es schlimmer, all diese Knochen in der Kirche zu halten, als erlaubt zu haben, dass dort Menschen umgebracht wurden? Die Kirche, ich will darüber nichts mehr hören ... Die weißen Geistlichen wurden nach Hause geholt, die ruandesischen Geistlichen wurden sich selbst überlassen. Das gleiche ist mit den NGO's passiert. Heute flüchten viele Mörder in Sekten und tun so, als ob sie den Glauben gefunden hätten.



André H.André H.
34 Jahr, Täter, Haftanstalt Kigali [ top ]

Y.M. - Warum bist du in der Haftanstalt?
A.H. - Ich wurde festgenommen, weil sie behaupten, ich hätte am Genozid teilgenommen.
Y.M. - Ist das nicht wahr?
A.H. - Das ist nicht wahr! Ich habe niemanden ermordet.
Y.M. - Hast du Zeugen für deine Unschuld?
A.H. - Leider nicht. Alle meine Nachbarn sind gegen mich, sogar diejenigen, die während des Genozids mit mir waren.
Y.M. - Warum glaubst du, dass sie gegen dich sind?
A.H. - Ich weiß nicht.
Y.M. - Wo warst du während des Genozids?
A.H. - Ich war bei mir zuhause, ich war sehr krank und blieb lange Zeit im Bett.
Y.M. - Du bist drei Monate im Bett geblieben?
A.H. - Ja, ich bin nie aufgestanden.
Y.M. - Hast du den Genozid nicht gesehen?
A.H. - Nein.
Y.M. - Bist du nicht vor dem Krieg geflüchtet?
A.H. - Ja, ich floh nach Zaire.
Y.H. - Wann bist du zurückgekommen?
A.H. - Vor einigen Monaten.
Y.M. - Warum kamst du nicht früher zurück?
A.H. - Weil alle behaupteten, ich hätte ein 12-jaehriges Kind und andere Menschen umgebracht.
Y.M. - Kanntest du dieses Kind?
A.H. - Ja, ich habe es aber nicht getötet. Ich kam nur an seiner Leiche vorbei.

Vor dem Gespräch, hatte ich mich nach der Anklage dieses Mannes erkundigt. Man sagte mir, er hätte viele Morde begangen. Er habe ein 12-jähriges Kind vergewaltigt, bevor er es getötet habe. Ich war nicht mehr im Stande, dieses Gespräch weiter zu führen. Es war zu hart, ich musste aufhören.



BAGABO Anselme, genannt CassiusBAGABO Anselme, genannt Cassius
24 Jahre, Überlebender, Nyamirambo [ top ]

Y.M. - Warum bist du so traurig?
Cassius - Während des Genozids wurde ich von einem Tutsi betrogen. Er hat mich aus seinem Haus gejagt.
Y.M. - Man hat mir gesagt, du hättest nach dem Genozid angefangen zu studieren...
Cassius - Ja. Medizin. Mein Ideal war, den Menschen zu helfen. Aber nach drei Jahren hab' ich's gelassen.
Y.M. - Warum?
Cassius - Ich möchte Menschen helfen ohne aber in Kontakt mit ihnen zu sein. Ich würde gerne Pharmazie studieren, oder medizinisch-technischer Assistent werden. Weg von den Menschen, aber ihnen trotzdem helfen. Und weit weg von Ruanda, wenn es möglich wäre. In Ruanda herrscht eine derartige Aggressivität.
Y.M. - Bist du verzweifelt?
Cassius - Ja, ich war es. Ich wollte mich umbringen. Jetzt aber weiß ich, dass ich nicht mehr verzweifelt bin.
Y.M. - Seit wann denn?
Cassius - Seit ich mit dir gesprochen habe.
Y.M. - Was erwartest du von mir?
Cassius - Ich möchte dich wie eine Mutter sehen. Eine Person der ich alles sagen kann, bei der ich sicher sein kann, dass sie mich versteht und mich nicht verurteilt.
Y.M. - Ich glaube nicht viel für dich tun zu können, aber ich werde zuhören.



G. AugustinG. Augustin
36 Jahre, Überlebender von Biserero (Kibuye) [ top ]

A.G. - Die Frauen und Kinder sammelten die Steine, die Männer kämpften mit den Mördern. Wir versuchten, auf die Hügel zu gelangen. Da waren Busse voller Milizsoldaten und anderer Personen, die aus anderen Gebieten waren und sich ihnen angeschlossen hatten. Bisesero wurde zu einem richtigen Kriegsschauplatz. Wir versammelten uns auf dem Hügel von Muyira. Die Mörder umzingelten uns und begannen dann mit ihrer Arbeit. Es gab zahlreiche Tote, der Hügel von Muzira war übersät von toten Frauen, Männern und Kindern. Wir wurden jeden Tag angegriffen, bis zum Tag an dem die Franzosen kamen. Wir waren nicht mehr viele und durch Huger, Wunden und Schmerz sehr geschwächt.
Y.M. - Haben euch die Franzosen geholfen?
A.G. - Die französischen Soldaten? Die haben den Genozid auch noch unterstützt! Das ist alles! Sie haben uns entwaffnet, sie haben den FPR bekämpft, es gab sogar Tote unter ihnen. Ich hab' die Leiche eines französischen Soldaten gesehen. Für mich sind die Franzosen gekommen, um den Genozid zu unterstützen.
Y.M. - Glaubst du nicht, etwas zu übertreiben?
A.G. - Absolut nicht! Dir Franzosen sahen uns als Feinde, in ihrer Politik die verbrecherische Regierung zu unterstützen. Sie erlaubten den Tätern, nach Zaire zu entkommen. Für mich sind die Franzosen Mörder.
Y.M. - Ist es wichtig für dich, als Zeuge auszusagen?
A.G. - Unser Schmerz kann nicht verhindern, dass die Welt schläft. Aber wir besitzen nur mehr Worte. Wir haben alles verloren, nur unsere Sprache nicht. Was also könnten wir sonst noch tun, wenn nicht zu sprechen? Heute gefällt der französischen Regierung die ruandesische Regierung nicht, diejenige, die den Genozid aufgehalten hat. Deshalb hören sie nicht auf unsere Aussagen und wollen nichts wissen. Aber wir Überlebende sind nicht die ruandesische Regierung. Das ist als würden wir behaupten, jeder Franzose wäre am Völkermord an den Tutsi verantwortlich. Das ist absurd. Es ist Frankreich, das der Mittäterschaft am Genozid schuldig ist, nicht die Franzosen. Frankreich bringt die jetzige ruandesische Regierung vor den Augen der Welt in Verruf.



MUKASARAMBU BéataMUKASARAMBU Béata
25 Jahre, Überlebende, Nyamirambo [ top ]

Béata ist meine Nichte, sie hat meine Kinder bis zur Grube begleitet, wo sie dann hingerichtet wurden.
B.M. - Aber Tante, wie kannst du nur so blauäugig sein. Alle Hutu in diesen Viertel hatten nur eines im Kopf: töten. Nicht retten. Am Tag nach dem Tod deiner Kinder kam die Frau von Camille zu mir und sagte: " Dort drüben auf der Straße ist ein Mann, er will dich sehen. Er gehört der Miliz an und vielleicht will er dich umbringen. Er heißt Bizimungu." Aber ich wollte nur eines: sterben. Der Gedanke sterben zu können, löste in mir ein Freudengefühl aus. Ich stürtzte ich förmlich zu dem Mann. Er aber zögerte. "Nein," sagte er, "du bist sicher nicht die Béata die ich suche. Diejenige, die ich suche ist eine Hutu, die Schwester von Véné. Das bist sicher nicht du. Ich werd' mal nachfragen, ob du es bist." Er ging und kehrte nach einer Viertelstunde wieder zurück. Er sagte mir: "Komm, wir gehen." Wir bewegten uns in Richtung Grube. Ich ging glücklich neben ihn her. An der Grube angekommen, rief Gaspard, dein Nachbar: "Bizimungu, bring mir dieses Mädchen. Sie muß in mein Haus kommen." Bizimungu antwortete: "Kennst du Ruvubu, den großen Milizsoldaten. Er hat mich geschickt, sie zu holen. Wenn der erfährt, dass du sie hast, wird das der Krieg zwischen euch sein. Dir die Wahl." Erst jetzt begriff ich, dass sie mich suchten, um mich zu vergewaltigen. Tante, ich möchte nicht mehr weitererzählen. Wir werden später über den Rest sprechen. Du weißt, am selben morgen haben sie mir eine Handgranate in den Mund gesteckt, um mich zu zwingen dein Versteck preiszugeben. Nach dieser Granate, glaub' ich, bin ich ein wenig wahnsinnig geworden. Manchmal passiert es mir, dass ich es bereue, dass sie nicht explodiert ist.



K. Caritas, G. Jean-Marie-VianneyK. Caritas, G. Jean-Marie-Vianney
8 Jahre, beide Überlebende, Ngoma (Butare) [ top ]

Caritas lacht als ich sie frage, ob ich beim Sprechen meine Brille abnehmen soll. Sie spricht sehr ruhig.
"Zuerst brachten die Mörder meine Mutter um. Sie rief uns noch zu, nicht bei ihr zu bleiben, sondern zu fliehen. Als unsere Mutter tot war, irrten wir lange umher. Aber leider wurden wir von anderen Mördern ausfindig gemacht. Sie schlugen uns mit Macheten und warfen uns, meinen Bruder Alphonse, meine Schwester Cérapia und mich, in eine Grube. Nur ich wurde nicht getroffen. Ich stellte aber sofort fest, dass mein Bruder tot war uns dass meine Schwester Cérapia eine große Wunde am Hals hatte. Als es Nacht wurde, konnten wir fliehen, Cérapia und ich, und irrten lange umher, wir versteckten uns in den Büschen. Am darauffolgenden Tag liefen wir lange, bis wir zum Fuß eines Hügels kamen. Dort fanden wir einen Tümpel voller Leichen. Zwischen den Leichen konnten wir auch noch das Wasser sehen, es war rot gefärbt, vom Blut. Wir waren aber so dustig, dass wir es trotzdem tranken."
Die Adoptivmutter war beim Gespräch dabei. Sie erklärte mir, Caritas hätte nach dem Genozid schlimme psychologische Probleme gehabt. Sie schlief nicht mehr, wurde wegen jeder Kleinigkeit nervös und vertrug keine Kritik. Aber jetzt gehe es besser. Ihre Erinnerung an den Völkermord ist total.

Jean-Marie-Vianney
"Wir waren in einer Kirche, aber die Kirche war abgebrannt. Wir flohen sehr schnell. Meine Mutter trug mich auf dem Rücken. Bei einer Barriere schlugen sie uns. Ich habe einen sehr heftigen Schlag aufs Bein gekriegt. Eines Tages sagte mir meine Mutter, wir würden nach Burundi gehen. Einige Tage später brachten sie Mutter um. Mich schickten sie dann nach Europa, in ein Krankenhaus. Ich bekam Injektionen. Das Bein tut mir aber heute noch weh."
Jean-Maire-Vianney ist der Adoptivbruder von Caritas. Trotz einer Behandlung wegen eines schlimmen psychischen Traumas in Deutschland, erinnert er sich nur mehr an diese Tatsachen, und an seinen Übernahmen: Kibonge, Dickerchen. Er ist ein zu ruhiges Kind für sein Alter.



NIYONSABA CassiusNIYONSABA Cassius
10 Jahre, Überlebender, Ntarama [ top ]

Y.M. - Du warst während des Genozides fünf Jahre alt. Erinnerst du dich? Was ist passiert? Wo habt ihr gewohnt?
Cassius - Ntarama.
Y.M. - Warst du mit deine Eltern?
Cassius - Ja.
Y.M. - Wie wurden sie ermordet? Cassius - Zahlreiche Killer kamen in die Kirche, wo wir uns zu Hunderten versteckt hatten. Da waren Männer, Frauen, Alte und Kinder. Sie schreien, als wären sie betrunken gewesen. Sie schlugen mit Schlagstöcken. Wir wurden ohnmächtig und die Kinder machten uns mit den Macheten fertig.
Y.M. - Da waren Kinder deines Alters die töteten?
Cassius - Ja, sogar noch jüngere. Die Eltern zeigten ihnen, wie man die Alten tötet. Sie schlugen meiner Mutter die Arme und die Beine ab. Sie rief mir noch zu, ich sollte verschwinden, weil sie im Sterben lag und mich nicht mehr beschützen konnte.
Y.M. - War es ein Kind, das dir mit der Machete auf den Kopf schlug?
Cassius - Ich weiß nicht...
Y.M. - Hast du keine Probleme wegen dieses Machetenhiebes auf den Kopf?
Cassius - Ja, wenn ich viel Fußball spiele, sterbe ich in der Nacht vor Schmerzen.
Y.M. - Man sollte dich behandeln. Wer kann dir helfen?
Cassius - Meine Cousine, deren Mutter mich aufgenommen hat, hat soeben ihr Studium der Literatur beendet. Sobald sie Arbeit hat, wird sie mich behandlen lassen.



Chantal M.Chantal M.
37 Jahre, Überlebende, Gahembe (Bugesera) [ top ]

C.M. - Ich glaube, wir sind bei den Freunden meines Vaters am 12 April angekommen; sie haben alle zusammen geschrieen :"Wohin geht ihr Kakerlaken? Wir wollen euch nicht mehr sehen." Zu diesen selben Personen hatten wir alle unsere Wertgegenstände gebracht. "Sogar Gott hat euch verlassen. Der Gott der Tutsi existiert nicht mehr. Kehrt dorthin zurück, wo ihr herkommt." Sie lachten über uns und über unsere Verzweiflung. "Was würde es dir nützen, wenn ich dich retten würde", hat mir einer von ihnen gesagt, "du wärst die einzige Tutsi auf der Welt. Denn alle anderen werden sterben. Sag mir lieber, welchen Tod du bevorzugst, den Schlagstock, das Schwert oder eine Kugel." Ich habe nur um etwas Wasser für meine Kinder gebeten. Sie haben uns keines gegeben und haben uns weggeschickt. "Ihr habt kein Recht mehr, unser Wasser zu trinken." Wir sind bis zum nächsten Morgen in die Hirsefelder gegangen. Ich war mit dem kleinsten meiner Kinder, als ich hörte, wie die Mörder noch andere riefen: "Steht auf, es ist Zeit, zur Arbeit zu gehen."
Y.M. - Wo waren eure anderen Kinder?
C.M. - Liebe Frau, wenn Sie wirklich den Genozid miterlebt haben, dann erinnern Sie sich sicherlich, dass man gar nicht mehr daran dachte, dass man Kinder hatte. Sobald man im Dickicht war, versteckten sich die Kinder alleine. Ich habe gehört, wie sie getötet wurden. Ich habe sie durch ihre Schreie, die die Autoren des Genozids um Mitleid baten, erkannt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt habe ich den Tod gewünscht, ich hatte genug. Ich wusste nicht mehr, wohin ich gehen sollte. Ich bin am gleichen Platz geblieben und habe gehofft, dass die Mörder mich finden und töten würden. Ich habe mich nicht mehr bewegt. Manchmal sind die Mörder nah an mir vorbeigegangen, ich konnte den Schweiß und das Blut riechen. Sogar diejenigen, die ich gut glaubte, haben getötet. Es war niederschlagend, ihre Gespräche, mitanzuhören, und sie ahnten nicht, dass ich dort war.
Man spricht viel vom Hunger während des Genozids, aber keiner hatte mehr Hunger, nur Durst. Zufällig kam man zu einer Pfütze und man trank, ohne sich Fragen zu stellen. Jedes Wasser war trinkbar geworden. Das Kind, das mir geblieben war, umarmte mich, wenn wir Angst hatten. Ich hatte das Gefühl, dass es mir "Nur Mut, Mama" sagte. Ich aß Hirsesamen, spuckte sie ihm in den Mund und mein Kind lächelte mir zu. Wir haben während des Genozids auf diese Weise gelebt. Ich habe mich nie vor jemanden versteckt.
Y.M. - Welche Hoffnung habt ihr jetzt?
C.M. - Ich bin allein. Ich vertraue auf Gott.
Y.M. - Und die Gerechtigkeit?
C.M. - Die Gerechtigkeit hilft uns nicht weiter.



Charles W.Charles W.
45 Jahre, Überlebender, Bugesera [ top ]

C.W. - Für uns kündigte sich der Genozid schon damals an, als sie uns Nase und Schläfen massen. Hier in Bugesera fand dies schon zwischen 1970 und 1973 statt.
Y.M. - Und in den 90er Jahren?
C.W. - In den 90ern hatten wir Arbeiter hier, die in Wirklichkeit Soldaten waren. Unter Tags arbeiteten sie und abends nahmen sie an Sitzungen und Versammlungen teil. Als der Genozid begann, waren sie die ersten, die zur Tat schreiteten, mit Hilfe der Franzosen.
Y.M. - Die Franzosen?
C.W. - Ja, die Franzosen! Sie hatten in Gahanga eine Straßensperre errichtet. Dort hielten sie alle Tutsis fest, die Söhne in der FPR hatten und übergaben sie der FAR.
Y.M. - Wie erscheint dir die Art und Weise, wie heute Gerechtigkeit geschaffen wird?
C.W. - Ich bin traurig wenn ich sehe, dass gerade die Autoren des Genozids ´rauskommen, unter dem Vorwand zu alt oder krank zu sein. Während diese ihresgleichen in den Betten ermordet haben. Wie meinen Nachbar Fidele, der lange Zeit im Bett zubringen musste. Sie haben ihn in Stücke gehauen. Ich werde niemals das Bild des Hundes vergessen, der einen seiner Füße im Maul hielt. Jetzt beruft man sich auf fehlendes Beweismaterial oder auf das fortgeschrittene Alter, um sie frei zu lassen. Wissen sie, auf welche Art und Weise sie meinen einzigen Sohn getötet haben? Sie haben so lange mit ihm Fußball gespielt, bis er starb. Ich musste dabei ohnmächtig zusehen. Kann mir jemand auf diese Frage antworten: "Warum wird mit meinem Kind gespielt, als wäre es ein Fußball?" Ich habe den Eindruck, als würden heute die Mörder selbst Gerechtigkeit schaffen und die Ihren aus den Gefängnissen holen wollen. Während des Genozids versammelte man die Menschen in Kirchen, Schulen und Stadien, um sie leichter ermorden zu können. Heute werden Dörfer für die Überlebenden und die aus dem Exil heimkehrenden Tutsi gebaut. Wer garantiert mir, dass sie nicht wieder alle umgebracht werden, wenn sie wieder in größerer Zahl versammelt sind?
Y.M. - Wovon lebst du denn heute?
C.W. - Ich versuche, etwas anzubauen. Ich habe zwei Kinder, die nach dem Genozid geboren wurden und außerdem kümmere ich mich um drei Waisenkinder des Genozids. Meiner Frau wurde ein Arm abgeschlagen. Sie kann mir nicht helfen.
Y.M. - Hast du denn ein eigenes Haus?
C.W. - Nein! Ich besetze ein Haus, das geflohenen Menschen gehört. Wenn diese aber zurückkehren, werde ich das Haus verlassen müssen.
Y.M. - Wie denkst du über die Weißen?
C.W. - Die sind alle gleich! Die Belgier erschufen die Trennung in unserer Gemeinschaft, indem sie eine ethnische Identitätskarte erfanden. Aufgrund dieser kamen dann die Franzosen und unterstützten den Genozid. Falls du Gelegenheit haben solltest, auf Franzosen zu treffen, frag´ sie doch bitte, ob sie sich an die Straßensperre von Nyanza in Kucikiro erinnern können. Und außerdem, die Weissen sollten doch endlich aufhören zu behaupten, es hätte 500-800.000 Tote gegeben. Warum reduzieren sie denn die Zahlen dermaßen? Wir haben 2 Mio. Menschen verloren. Sie wagen es, von 500-800.000 Tote zu sprechen? Menschen wie du sollten ihnen die Erinnerung auffrischen.
Y.M. - Ich werde weiterhin für die Freiheit kämpfen! Das ist alles, was ich machen kann. Wenn auch ich sterben sollte, werdet ihr es erfahren.
C.W. - Wenn du noch nicht tot bist, glaubst du, dass es aus Mitleid ist?

(lacht)



Claire K.Claire K.
22 Jahre, Überlebende, Kicukiro (Kigali) [ top ]

Wir wurden mit Gewalt auf den Hügel von Nyanza getrieben. Dort wurden wir dann Stundenlang angegriffen, zuerst mit Granaten, dann mit Machete und Pistolen. Ich sah wie das Hirn eines 13 jährigen Mädchens neben mir aus dem Kopf gepustet wurde... Ich war von Wunden übersäht und hatte ein Messer in meinem Bein stecken. Ich stellte mich tot, während die Milizsoldaten die anderen fertig machten. Meine Schwester rief mir zu: "Claire, Claire, verlass´ mich nicht, ich lebe noch!" Die Milizsoldaten brachten sie fort. Ich habe sie nie mehr wieder gesehen. Einer dieser Killer beugte sich über mich und sagte: "Ich glaube, die lebt noch!" Er trat mich dann mit sehr spitzen Schuhen. Ein andere unterbrach ihn: "Idiot! So kontrollierst du, ob sie verreckt sind?" Plötzlich spürte ich einen großen Balken auf meinem Kopf. Ich wurde ohnmächtig. Als ich erwachte, stand ein Mann neben mir und versuchte, mich zu erkennen. Er fragte nach der Beschäftigung meines Vaters. "Mein Vater? Er arbeitet im Militärcamp," antwortete ich. "Dann bist eine von den unseren. Ich werde dich retten." Auch andere Frauen wurden mit mir gerettet. Sie haben uns versammelt und ich wurde einem Soldaten anvertraut. Mich ansehend sagte er: "Du hast das Alter meiner Tochter. Obwohl du eine Tutsi bist, man sieht es nämlich, hab´ ich nicht die Kraft, dich umzubringen. Ich will dein Blut nicht an meinen Händen haben. Du wirst ohne jeden Zweifel hingerichtet werden, aber nicht von mir." Er sprach diese Worte und ging. Eine ältere Frau gab mir einen Lendenschutz. Ich versteckte mich dann in einer Bude, wo es ein öffentliches Waschbecken gab. Als die FPR kam, brachte uns ein Soldat warmes Wasser, damit wir uns abwaschen konnten. Zwei Minuten darauf starb er unter unseren Augen als er sich umdrehte und an der Brust von einer Kugel getroffen wurde. Ich denke heute nicht mehr daran, auf Mörder zu treffen. Ich hab es satt, in der Angst leben zu müssen. Ich möchte Ruanda gerne verlassen, dieses Land, in dem Mörder frei herumlaufen.



KABAGWIRA ClémenceKABAGWIRA Clémence
24 Jahre, Uuml;berlebende, Nyamata [ top ]

"Wir hatten uns in der Kirche versteckt. Die Interahamwe waren um uns, aber sie sprachen nicht mit uns. Die Militärs hatten uns umgeben, sie sagten, sie würden uns beschützen. Wir waren glücklich darüber. Am darauffolgenden Sonntag aber schlossen sich die Militärs und die Interahamwe zusammen, um uns zu töten. Ein heftiger Schlag eines Schlagstockes machte mich ohnmächtig. Als ich abends aufwachte, lag ich inmitten der Leichen meiner Angehörigen. Sie waren alle nackt, wie ich selbst auch. Ich flüchtete dann in ein Hirsefeld. Es war sehr kalt. Nach drei Tagen hatte ich Hunger und machte mich in Richtung meines Hauses auf. Ich lief vielleicht vier Kilometer, völlig nackt. Wenn ich jemanden sah, versteckte ich mich im Busch. Zuhause angekommen, sah ich, dass alles zerstört war, also bat ich meine Hutu-Nachbarn um Nahrung. Sie lachten mich aus. Sie riefen ihre Nachbarn und ich wurde gezwungen am Boden niederzusitzen. Sie lachten und fragten mich, wo meine Familie sei. Ich antworterte nicht und bedeckte meine Brust mit den Armen. Am Schluß zerrte mich einer von ihnen weg und sperrtemich in einen fensterlosen Raum. Während des Tages tötete er, abends schlug und vergewaltigte er mich ...
Als ich merkte schwanger zu sein, schämte ich mich zuerst. Heute aber muß ich zugeben, dass meine Tochter mein einziger Reichtum ist. Ihr Name ist Umumararungu, was übersetzt heißt Diejenige, die mich aus der Einsamkeit holt.



NIKUZE ConsolataNIKUZE Consolata
48 Jahre, Bäuerin, eingesperrt in Butare [ top ]

C.N. - Im Namen Gottes, des Allmächtigen, ich werde euch sagen, was ich gesehen habe. Am Abend des 6. April 1994 war da ein Mann, der vor was weiß ich was flüchtete. Er rannte in Richtung eines Haferfeldes, wurde aber bald von den Frauen eingeholt.
Y.M. - Wo waren denn die Männer des Viertels?
C.N. - Ich schwöre dir, es waren keine Männer da!
Y.M. - Ja, aber wohin waren sie gegangen?
C.N. - Sie waren nicht da.
Y.M. - Wohin waren sie gegangen?
C.N. - Mein Mann arbeitete als Nachtwächter bei einem Weißen. Er war nicht da. Und die anderen waren frei zu gehen, wohin sie wollten. Ich konnte das nicht wissen. Und jede Person die vorbei kam, schlug den Flüchtling. Ich mochte nicht, dass man von mir dachte auch ich hätte ihn geschlagen. Also ging ich fort. Und die Frauen begannen zu schreien und zu pfeifen. "Die Ängstliche haut ab. Du Angsthase. Wenn dieser Mann zu dir nach Hause gekommen wäre, hätte er deine Kinder umgebracht." Ich kehrte zurück, um sie anzuflehen, den Mann nicht mehr zu schlagen. "Hört auf, ihn zu schlagen!" Sie antworteten mir: "Du weigerst dich also, ihn zu schlagen?" Im Namen des allmächtigen Gottes, also habe ich ihn mit einem Strohhalm geschlagen. Plötzlich kam ein junger Bursche dahergerannt. Er trug eine kleine Jacke aus der er eine kleine Machete hervorbrachte.
Y.M. - Wagen sie "kleine Machete" zu sagen? Wo haben sie denn im Genozid eine kleine Machete gesehen?
C.N. - Es ist war, es war eine normale Machete.
Y.M. - Mir wird übel von all den eigenartigen Worten.
C.N. - Ehrlich, meine Liebe, ich sage die die Wahrheit.
Y.M. - Ich auch, ich bin hier um euch anzuhören. Ist dies also der Grund, warum sie hier eingesperrt wurden
C.N. - Ja.
Y.M. - Nur deswegen?
C.N. - Ja.
Y.M. - Ich denke sie sind unschuldig. Wenn sie also weder geschlagen noch getötet haben, verstehe ich nicht warum sie hier eingesperrt sind. Ich glaube wir haben uns nicht viel zu sagen, da sie ja unschuldig sind.
C.N. - Ich habe ihn ja mit dem Strohhalm geschlagen!?

Ich habe das Gespräch brutal unterbrochen. Die Lügen waren zu offensichtlich. Die Situation war unerträglich geworden.



N. DancillaN. Dancilla
Ungefähr 40 Jahre, Hutu Frau, Witwe eines Tutsi Mannes, Ntarama [ top ]

D.N. - Siehst du die Kirche in der ich jetzt arbeite? Darin versteckten wir uns, mein Mann, meine Kinder und ich. Hier, an dieser Tür, kämpfte mein Mann gegen die Milizsoldaten. Er hielt viele Stunden durch, bevor er vor den Augen seiner Kinder getötet wurde, nur der kleinste sah das nicht. Mit dem Vorankommen des FPR flüchtete ich in Richtung Zaire, weil das Radio berichtete, sie brächten alle Hutus auf grausame Art und Weise um. Eigentlich floh ich vor dem FPR weil ich Hutu war und vor den Tätern des Massakers weil meine Kinder Tutsi waren. Ich wußte wirklich nicht, wohin ich sollte. Nach zwei Jahren Elend bin ich mit meinen Kindern in mein geliebtes Land zurückgekehrt. Meine Schwiegermutter war überall verstümmelt. Ich hab meine zwei ältesten Söhne beauftragt, sich um sie zu kümmern.
Y.M. - Was sind heute deine Hoffnungen?
D.N. - Ich habe nur eine Hoffnung: meine Kinder großzuziehen.
Y.M. - Willst du wieder heiraten?
D.N. - Ich? Ich wäre dem lieben Gott lästig, wenn so etwas verlangen würde! Und außerdem, das ist ja lächerlich. Eine Frau die Kinder hat, muß sich um sie kümmern. Hier gibt es eine Frau, die ihre Kinder im Stich gelassen hat und in die Stadt gegangen ist, um einen Mann zu suchen. Jeder hier macht sich über sie lustig.
Y.M. - Und dein Kleinster, wie hast du ihm vom Tod seines Vaters erzählt?
D.N. - Ich hab' ihm alles erzählt, er glaubt mir aber nicht. Für ihn ist sein Onkel sein Vater, der Bruder meines Mannes. Er kann nicht akzeptieren, dass sein Vater verstorben ist.



EmelineEmeline
20 Jahre, Überlebende, Kigali [ top ]

E. - Ich war nicht mit meinen Eltern als der Präsident starb, ich war bei meiner Patin. Ich war ziemlich weit weg von Zuhause, ich konnte nicht zurück und habe versucht, mit ihrer Familie zu flüchten. Der Gemeinderat hatte uns seinen Schutz versprochen, er war ein guter Freund meiner Patin. Am Anfang wollte er mich nicht, aber dann hat er mich akzeptiert. Zu einem bestimmten Zeitpunkt konnten wir nicht mehr eingeschlossen bleiben, wir mussten weg, weil die Morde immer mehr wurden. Wir mussten uns trennen, um uns besser schützen zu können. Am Schluss ist die ganze Familie getötet worden, ich bin die einzige Überlebende.
Das alles gehört der Vergangenheit an, das Leben geht weiter aber für mich ist das Leben schwer, weil ich einen sehr tiefen Schmerz fühle.
Y.M. - Erkläre es mir.
E. - Ich schaffe es nicht, mich um die Waisenkinder meiner Brüder und Schwestern zu kümmern. Sie wurden alle von Hutu-Familien, die unsere Nachbarn waren, aufgenommen. Die Kinder wollen dort nicht bleiben, sie sind unglücklich, sie denken, dass es dieselben Personen sind, die unsere Lieben getötet haben.
Y.M. - Was wirst du jetzt zu tun?
E. - Ich weiß es nicht, ich bin nur 20 Jahre alt, ich habe gerade erst meinen Schulabschluss in klassischer Literatur gemacht. Wenn ich jetzt anfangen würde zu arbeiten, hätte ich nie einen Lohn, der es mir erlauben könnte, mich gut um die Kinder zu kümmern. Aber ich weiß nicht, ob ich weiterstudieren soll, denn ich weiß, dass die Kleinen nicht glücklich sind, dort wo sie jetzt sind.
Y.M. - Was wünscht du dir am Meisten?
E. - Ein Haus, in dem die Kinder leben können.



M. EmmanuelM. Emmanuel
40 Jahre, Überlebender von Murambi, Wächter des Ortes [ top ]

E.M. - Am 8. April flohen wir in Richtung der Pfarrei von Gikongoro. Monsignor Misago arbeitete mit dem Präfekt zusammen, um uns an Orte zusammenzutreiben, wo die Interahamwe uns besser angreifen konnten. Und sie ließen uns wirklich während des gesamten Genozids nicht einmal aufatmen. Die Präsidentenwache und die Armee durchforsteten das ganze Gebiet mit ihren Maschinepistolen, die Milizen machten die Verletzten mit der Machete fertig. Das alles war sehr gut organisiert. Wir verteidigten uns wie wir konnten, mit Steinen. Aber bis zum Juli gab es sehr viele Tote. Wir zählten ungefähr 27.000. Aber ich glaube, es waren mehr.
Y.M. - Aber die Franzosen waren ja schon da, oder?
E.M. - Die Franzosen? Sie haben die Interahamwe nicht am Töten gehindert. Sie haben die alten Tutsi zumFPR geschickt, um zu zeigen, dass sie Hilfe brachten. Aber die jungen Tutsi wurden immer noch ermordet. Die Franzosen haben sogar die Motorräder des Projektes Landwirtschaft gestohlen, um sie den Tätern des Genozids zur Verfügung zu stellen, damit diese nach Zaire entkommen konnten. Vor ihrem Abmarsch begruben sie die Toten mit den letzten Interahamwe, dann haben sie da Gelände abgeflacht und Gras angepflanzt. Wenn dann das Gras gewachsen war, sah es aus wie ein Fußballplatz. In Wirklichkeit haben die Franzosen einige Tutsi gerettet, v.a. aber haben sie den Tätern des Genozids zur Flucht verholfen, wenn für denen klar war, dass sie den Krieg verloren hatten.
Y.M. - Wie lebst du heute? Hast du noch Hoffnung?
E.M. - Ich lebe in Armut und Schmerz. Wir Überlebenden werden der nationalen Politik der Wiederversöhnung geopfert. Unsere Mörder verdienen dabei. Wenn sie wiederkommen, müssen wir ihnen die Häuser zurückgeben, während sie unsere zerstört und uns ermordet haben. Und uns, wer wird uns unser Hab und Gut zurückgeben? Und wenn wir gegen sie aussagen, sind wir tot, weil wir unter ihnen leben. Ich rebelliere, aber ich fühle mich so ohnmächtig. Ich glaube nicht an die Wiederversöhnung ohne Gerechtigkeit.



NSABIMANA EnosNSABIMANA Enos
57 Jahre, Bauer, eingesperrt in Kanombe Kanombe [ top ]

Y.M. - Seid ihr Zivu? Dann kanntet ihr vielleicht Ngenzi Déo?
N.E. - Den Bildhauer? Ja, ich kannte ihn sehr gut.
Y.M. - Er war mein Vater.
N.E. - Ihr Vater? Aber dann ist Musoni ihr Bruder?
Y.M. - Ja. Er ist der einzige der Familie, der mir noch bleibt. Alle anderen sind ermordet worden. Soger mein Mann und meine drei Kinder.
N.E. - Arme Frau! Ich sage ihnen das ganz ehrlich, ich habe niemaden von ihrer Familie umgebracht.
Y.M. - Wie viele Tutsi haben die denn umgebracht?
N.E. - Nur einen.
Y.M. - Wer hat ihnen denn den Befehl dazu erteilt.
N.E. - Niemand. Ich hab es alleine erledigt.
Y.M. - Was sind diese Knochenstücke, die sie in der Hand halten?
N.E. - Das muß ich erklären. Ich laufe mit den Resten des Schädels des Mannes umher, den ich getötet habe, weil, lange Zeit nach dem Völkermord, ich bei seinem Haus vorüber ging und der Schädel zu mir sprach und mich fragte, ob ich ihn mitnehmen würde. Ich will diesen Schädel bei mir haben bis alles klar ist. Ich muß sühnen. Aber leider spricht der Schädel jetzt nicht mehr mit mir. Auch weil die Täter des Völkermordes, die mit mir die Gefängniszelle teilten, ihn Zerstört haben. Sie wollten nicht, dass ich mit diesem Schädel umherliefe, weil das wie Geständnis sei und ich niemals gestehen solle. Sie sagten, sie müßten sich meinetwegen schämen.

Dieses Gespräch fand im Büro des Bürgermeisters in Kanombe statt, nicht nur, um Neugierige fernzuhalten, sondern auch, um eine Hinrichtung des Zeugen zu vermeiden. Die Täter des Völkermordes eliminierten auf diese Weise die Zeugen.



N. EugénieN. Eugénie
32 Jahre, Überlebende der Kirche von Nyamata [ top ]

"15 Tage nach dem Angriff auf die Kirche war ich noch dort, halbtot, nackt zwischen den verwesenden Leichen. Sie hatten mir die Hände verstümmelt und die Sehnen der Knöchel durchgeschnitten. Mein Kopf war überdeckt von Machetenhieben, mein Hals war halb geöffnet. Ich war übersäht von Maden, ich hab' sogar welche gegessen, weil ich sie im Mund hatte. Ich war mir der Tatsache nicht bewußt, dass meine Eltern, meine Kinder und mein Mann tot waren. Mir war gar nichts bewußt. Ich konnte nicht stehen. Ich hatte Hunger. Ich schleppte mich nach draußen. Dort traf ich auf die Mörder. "Warst du in der Kirche? - Ja - Hast du deine toten Kinder gesäugt? - Ja - Nicht einmal der Tod will dich. - Bitte, tötet mich, ich flehe euch an. - Nein, wir wollen uns nicht die Hände beschmutzten." Einer nach dem anderen spuckte mir dann ins Gesicht. Sie verschwanden dann. Ich kehrte dann in die Kirche zurück, wo ich einige Süßkartoffel fand und ass. Ich suchte an den Leichen Kleidungsstücke und streifte sie mir irgendwie über. Kurze Zeit nachher tauchten die Mörder wieder auft und nahmen mir die Klamotten wieder. "Du mußt bis an dein Lebensende nackt bleiben," sagten sie dabei... . Heute sind es die zwei Weisenkinder meines Bruders, die ich nach dem Genozid wiedergefand, die mir jeden Morgen in die Kleider helfen.. Ich erzähle meine Geschichte niemandem, weil ich die menschliche Natur verabscheue. Der Mensch hat in mir alles zerstört. Ich habe nur akzeptiert, auszusagen, weil auch du eine Witwe bist, die ihre Kinder verloren hat. Wir haben eine ähnliche Geschichte. Deshalb vertraue ich dir."



NTEGEYIMANA EvaristeNTEGEYIMANA Evariste
15 Jahre, eingesperrt in Butare [ top ]

E.N. - Eine Gruppe von Mördern kam, um mich von zuhause abzuholen. Sie wollten mich mitnehmen. Ich weigerte mich. Sie drohten dann, meine Mutter, die Tutsi ist, umzubringen. Da kriegte ich Angst und ging mit. Sie zeigten mir drei Kinder, die ich umbringen sollte. Ich weigerte mich, aber ein Nachbar zwang mich eine Machete zu nehmen. Ich weigerte mich wieder, aber sie schlugen mich dann. Also nahm ich sie. Ich habe die Kinder ermordet, ich hatte keine Wahl...
Y.N. - Wie hat deine Mutter reagiert, als sie das erfahren hat?
E.N. - Sie hat mich geschlagen...
Y.N. - Kanntest du die Kinder, die du getötet hast?
E.N. - Ja, es waren unsere Nachbarn, sie aßen oft bei uns, wie auch wir bei ihnen.
Y.N. - Wie ist jetzt das Verhältnis zu den Nachbarn?
E.N. - Es war ihre Mutter, die mich einsperren ließ. Die Freundschaft zwischen den beiden Familien ist zerbrochen.
Y.N. - Wie lautet nun der Beschluß des Gerichtes?
E.N. - Ich muß ein Umerziehungsprogramm besuchen.
Y.N. - Wie ist das Verhältnis zu dem Mann, er dich zur Tat gezwungen hat?
E.N. - Ich gehöre zu den Zeugen, die gegen ihn aussagen werden. Er hat nämilch auch mich ermordet, ich bin kein Kind mehr, ich bin ein Mörder...



MUKANTESI FrancineMUKANTESI Francine
14 Jahre, Überlebende, Nyamata [ top ]

Y.M. - Am Tag als der Präsident starb, wohin seid ihr geflüchtet, du und deine Familie?
F.M. - In die Kirche von Ntarama und dann in die Sümpfe.
Y.M. - Erkläre mir bitte, welche Sümpfe?
Francine schweigt plötzlich. Es ist nicht mehr möglich sie zum Sprechen zu bringen. Ich erzähle ihr meine eigene Geschichte als Überlebende. Als ich ihr erzähle, dass das Radio mich schon als tot gemeldet hatte, lacht Francine und umarmt mich. Sie hat nun das Vertrauen wieder gefunden und erzählt mir von ihrer Flucht und wie ihre Eltern ermordet wurden.
Y.M. - Was hast du denn nach dem Völkernord gemacht?
F.M. - Ich wurde einer überlebenden Frau, sie hatte den rechten Arm verloren, und ihrem Mann zugewiesen. Ich kümmere mich um ihre Kinder.
Y.M. - Gehst du zur Schule?
F.M. - Ich gehe seit dem Genozid nicht mehr zur Schule. Ich bin nur bis zur zweiten Klasse gekommen.
Y.M. - Möchtest du wieder zur Schule gehen?
F.M. - Ja sicher.
Y.M. - Würdest du auch mit Neunjährigen lernen?
F.M. - Ich wäre sehr glücklich darüber.
Y.M. - Und jetzt bist du nicht glücklich?
Francine schweigt lange
Y.M. - Ich werde dafür sorgen, dass du im September wieder zur Schule darfst.

Francine lächelt.



UWITONZE FrançoiseUWITONZE Françoise
12 Jahre (?), Überlebender, Kíbeho [ top ]

Y.M. - Welche Krankheit hast du?
F.U. - Würmer.
Y.M. - Hast du die im Flüchtlingslager in Burundi gekriegt?
F.U. - Nein.
Y.M. - Nach dem Genozid?
F.U. - Ja.
Y.M. - Oder hattest du vielleicht schon vorher?
F.U. - Ja. Wenn ich klein war.
Y.M. - Warst du vor dem Genozid auch schon so mager?
F.U. - Nein.
Y.M. - Wann bist du denn so abgemagert?
F.U. - Jetzt.
Y.M. - Ißt du auch genug?
F.U. - Ja, ich esse.
Y.M. - Ich habe den Eindruck, dass das nicht genügt. Aber sag' mir, warum siehst du mir nicht in die Augen? Du könntest ja.
F.U. - ...
Y.M. - Und warum antwortest du denn nicht?
F.U. - ...
Y.M. - Hat dir jemand gesagt, du sollst mir nicht antworten?
F.U. - ...
Y.M. - Aber du kannst ja sprechen...
F.U. - ...
Y.M. - Haben sie dir verboten, mir zu antworten?
F.U. - Nein.

Schweigen.
Dieses Mädchen war scheinbar 12 Jahre alt als sich das Massaker ereignete. In Ihrem Kopf scheint sie immer noch 12 Jahre alt zu sein. Ich glaube, sie wird sich nicht weiterentwickeln, wenn sie nicht Umgebung wechselt.



H. Grégoire, genannt MandelaH. Grégoire, detto Mandela
(wegen der 25 Jahre Gefängnis), 54 Jahre, Überlebender, Nyamata [ top ]

G.H. - Als ich 18 war, wurde ich am 22. Dezember 1963 grundlos festgenommen, nach dem Überfall der Tutsirebellen in Bugsera, wo ich damals wohnte. Es war Sonntag. Ich wurde nach Kigali in die Büros der Polizei gebracht. Wir waren ungefähr 850 Gefangene, eingesperrt in einigen Raümen, die so klein waren, dass wir nicht einmal liegen konnten. Juvénal Habyaimana kam mit einer Liste von 23 Namen. Diese Personen wurden die ganze Nacht gefoltert und am Morgen umgebracht. Bis Weihnachten bekamen keine Verpflegung, nur eine Art Fou-Fou, die mehr einem Muß glich, wo die Soldaten die Asche ihrer Zigaretten hinein warfen und die so heiß war, dass wir sie nur in unseren Schuhen entgegen nehmen konnten. Am Weihnachtstag wurden wir in das Gefängnis 1930 geführt, wo wir bis zum März blieben. Viele wurden dann freigelassen, aber 35 andere, darunter auch ich, wurden zum Tode verurteilt. Aber Monsignor Perraudin, der gekommen war, um uns die letztze Salbung zu geben, trat beim Präsidenten Kayibanda, seinem besten Freund, für uns ein. Wenigstens eine gute Tat hat Perraudin vollbracht! Im März 1965, nach vielen erfolglosen Appellverfahren, wurden wir in die Strafanstalt von Ruhengeri übersiedelt. Dort blieb ich bis 1973, ohne zu wissen warum. Als Habyarimana den Staatsstreich durchführte, wurden wir in das Gefängnis von Gitarama geführt. Die Bedingungen waren derart fürchterlich: die Zellen waren von Wasser überschwemmt, die Matratze war verfault. Wir verbrachten Tage und Nächte zusammengekauert auf unseren eisernen Betten. Eines Tages machten sie den Fehler, die Zellen zu öffnen. Wir haben sofort revoltiert und uns geweigert wieder in diese Löcher zurück zu gehen. Sie warfen uns in einen Keller. Unsere Todesstrafe wurde dann in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt. 1985 wurden wir freigelassen und dazu verurteilt in unserem gebürtigen Bugsera zu bleiben.. Ich war nun 40 Jahre alt, ich hatte meine gesamte Jugend im Kerker verbracht. 1994 wurden wir dann Opfer des Genozids. Ich glaube, ich bin der einzige Überlebende von des 35, die mit mir waren.
Y.M. - Hast du eine Frau?
G.H. - Eine Frau? Was könnte ich einer Frau bieten? Wenn einem die Jugend genommen wird, hat man keine Freude zum Weitergeben. Und dann, Kinder aufwachsen lassen unter der ständigen Bedrohung, früher oder später zu Weisen zu werden?



MUKARUSINE HélèneMUKARUSINE Hélène
40 Jahre, Überlebende, Ngoma (Butare) [ top ]

H.M. - Mein Mann war aus Uganda. Er ist mit mir geflohen um mich zu beschützen. Bei einer Barriere zahlte er 90.000 Franken, um mir das Leben zu retten.
Y.M. - Wohin seid Ihr geflüchtet?
H.M. - Es gelang uns nicht Burundi zu erreichen, also sind wir zurück, in Richtung Gikongoro. Dort stiessen wir auf die französischen Truppen der Zone Turquoise. Sie riefen:" Tutsi, Tutsi!". Sie zwangen uns, auf ihren LKW zu steigen. Anstatt uns in Sicherheit zu bringen, führten sie uns nach Murambi, wo gerade eine Schule gebaut wurde. Einige Tage darauf mußten wir erneut fliehen, da die Schule von Killern umgeben war...
Y.M. - Und heute, wie fühlst du dich?
H.M. - Ich kann sagen, dass ich eine glückliche Frau bin. Während des Genozids habe ich nur meinen Mann verloren. Außerdem ist er gar nicht ermordet worden. Er ist an Diabetes gestorben, das er nicht behandeln konnte. Sicher, wenn es den Genozid nicht gegeben hätte, wäre er nicht gestorben. Aber es ist halt so. Man muß es akzeptieren.
Y.M. - Jetzt wo du deinen Mann verloren hast, denkst du dir ein neues Leben auszubauen?
H.M. - Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein Mann geworden. Ich verkaufe am Markt Fleisch, wie es die Männer vor dem Genozid taten. Manchmal aber fühle ich aber das Verlangen nach Unterstützung eines Mannes. Ich versuche aber nicht daran zu denken. Ich brauche jemanden, der mit zur Seite steht und mir Ratschläge gibt. Du ahnst nicht, wie gut mir dein Besuch tut. Ich spreche mit niemanden über den Genozid, schon gar nicht mit meinen Kindern.



Innocent R.Innocent R.
32 Jahre, gehört der ethnischen Gruppe der Twa an, eingesperrt in Butare [ top ]

Y.M. - Du weißt gut, dass die Twa immer gute Freunde der Tutsi waren. Erzähl' mir also, warum ihr sie getötet habt.
I.R. - Der Schwiegersohn des Brigadiers kam zu uns und schnautzte uns an, wie unscheinbare Wesen wir doch seien, wir sollen die in den Wald geflohenen Tutsi verfolgen, sonst würden wir umgebracht werden.
Y.M. - Und du hast dann an dieser Treibjagd teilgenommen?
I.R. - Ja, ich habe Tutsi umgebracht. Einen gewissen Karasira, mit einem Schlagstock. Einen gewissen Vianney, der mein Freund war, mit einem Speer. Und ein 12-jähriges Kind, mit mehreren Dolchhieben.
Y.M. - In welchem Zustand warst du, als du diese Dinge tatest?
I.R. - Es war wie eine Epidemie. Vor dem ersten Toten hatte ich Angst. Danach aber wurde ich sehr zornig und blutrünstig. Es war, als ob in mir ein großer Zorn gegen die Tutsi gewachsen wäre, ohne dass ich aber den Grund dazu verstand. Es waren keinen vorsätzlichen Taten. Wir handelten unter der Herrschaft eines irrationalen Zorns gegen die Tutsi, der in uns durch die Autoritäten geschürt wurde. Ich war kein Mensch mehr.
Y.M. - Und wie fühltest du dich nachher?
I.R. - Als sie mich festnahmen, war das wie eine Erlösung für mich. Ich hab' sofort alles gestanden. Es war so schön, wieder ein Mensch sein zu dürfen. Heute füge ich mich der Gerechtigkeit der Menschen, ich werden jede Strafe annehmen, auch wenn es der Tod ist. In der Unendlichkeit vertraue ich mich dann der Gerechtigkeit Gottes an.



SEKAMANA Jean-Marie-VianneySEKAMANA Jean-Marie-Vianney
Ungefähr 36 Jahre, Veterinär, eingesperrt in Butare [ top ]

J-M-V. S. - Was ich persönlich akzeptiere ist, dass ich mit den Mördern solidarisch war, die mit mir in den Barrieren waren. Ich habe aber niemanden mit meinen eigenen Händen umgebracht. Weil ich aber mit den Mördern war, erkläre ich mich für schuldig. Teilen wir das Unrechte unter uns auf, aus Solidarität. Ich habe niemanden mit der Machete zerschnitten, auch mit dem Messer nicht, ich hatte auch kein Gewehr zum Schießen, ich war noch nicht einmal bei einer Ermordung dabei, aber weil ich nur einige Meter davon entfernt war...
Y.M. - Aber hast du nicht, als Vertreter der Behörden, befohlen Tutsi gefangen zu nehmen?
J-M-V. S. - Nein, wir waren nur zusammen... . Wir gingen nachts, die Mörder betraten ein Haus einer Familie die sie kannten, aber ich, ich blieb auf der Strasse.
Y.M. - Gibt es jetzt Zeugen die gegen dich aussagen?
J-M-V. S. - Sie bezeugen, dass ich nit ihnen war, aber sie sagen nicht, ich hätte getötet.
Y.M. - Gabe es irgendwelche Überlebenden in deiner Zelle?
J-M-V. S. - Ja. Es gab einige Tutsi. Aber die waren nicht dort. Sie waren geflohen.
Y.M. - Nein, diejenigen, die dort waren, als ihr den Völkermord begangen habt.
J-M-V. S. - Ah, die. Sie waren versteckt, wir haben sie nicht gesehen.
Y.M. - Und der Tutsi-Junge, der deine Kühe bewachte, wo hat der sich versteckt?
J-M-V. S. - Er ist bei mir zuhause geblieben.
Y.M. - Wusste man nicht, dass er ein Tutsi war?
J-M-V. S. - Als man das herausfand, war es schon zu spät.



T. LaetitiaT. Laetitia
30 Jahre, Überlebende, Kigali [ top ]

L.T. - Am 7. April gaben wir einigen Soldaten Geld, um uns unser Überleben zu garantieren. Am 9. April flüchteten wir in die technische Schule. Sie war voll, die Blauhelme beschützten sie. Nach vier Tagen aber kam General R., um mit ihnen zu diskutieren. Nach seiner Abfahrt packten sie ihre Sachen und ließen uns allein. Als die Bauhelme fort waren, fielen Granaten, von der Miliz abgefeuert, in die Menge. Wir flohen auf die Straßen, mit der vagen Idee, uns im Stadion Amahoro zu verstecken. Aber die Miliz hatte uns eingekreist, wir riefen einigen vorbeifahrenden Blauhelmen zu, aber sie achteten nicht auf uns. Ein Offizier gab dann den Befehl, uns auf den Hügel von Kicukiro zu führen und uns da umzubringen, da sonst unsere Leichen Kigali verpesten könnten. Am Hügel hagelte es dann Granaten, ich sah Fleischstücke durch die Luft fliegen. Eineinhalb Stunden später kam die Miliz und stürzte sich mit Macheten auf die Menge. Nach dem zweiten Schlag wurde ich bewußtlos. Als ich wieder erwachte war ich völlig nackt. Wir waren vielleicht noch zehn Überlebende. Wir suchten in den Büschen Zuflucht, als ein Soldat des FAR an uns vorbei ging. Wir haben ihn gebeten, uns fertig zu machen. Er weigerte sich. Er ging Wasser suchen, dann zeigte er uns einen Weg, der uns bei Dunkelheit bis zu den Posten des FPR führen sollte. So rettete ich mich. Aber nach dem Genozid hatte ich eigenartige Gelüste. Ich aß gern Erde. Ich hab' viel davon gegessen und ich hab' vor nicht allzu langer Zeit damit aufgehört. Auch der Geschmack des Staubes schmeckte mir.
Y.M. - Und welche Hoffnung hast du heute noch?
L.T. (lächelnd) - Ich habe keine Hoffnung. Ich darf nicht länger der Sonne ausgesetzt sein, ich werde sonst ohnmächtig. Ich bräuchte nur eine kleine Summe an Geld, um ein kleines Geschäft öffnen zu können, aber ich weiß, ich werde sie nie besitzen.
Y.M. - Wieviel bräuchtest du denn?
L.T. - 150.000 ruandesische Francs. (15.000 belgische Francs, 600 DM).



Marc N.Marc N.
54 Jahre, Wächter der Ntarama-Stätte, Hutu-Militärangehöriger, der Tutsi beschützt hat [ top ]

M.N. - Nachdem das Flugzeug des Präsidenten abgestürzt war, gab es Gerüchte, denen nach es Tutsi gewesen waren, die es abgeschossen hatte. Meine Tutsi-Nachbarn haben bei mir Schutz gesucht, sie haben gedacht, ich hätte eine Waffe und hätte sie beschützen können. Aber ich hatte keine Waffen, denn sie hatten mich eben über meine Pensionierung informiert, mit dem Vorwand, ich hätte den Genozid verweigert.
Y.M. - Der Genozid ist auch innerhalb des Militärs geplant worden?
M.N: - Sicher! Kein Offizier der FAR kann behaupten, nicht über die Planung des Genozids informiert gewesen zu sein.
Y.M. - Hast du nicht Angst gehabt, weil du Personen geschützt hast?
M.N. - Angst? Schwarze Angst, ja! Als sie mein Haus angegriffen haben, habe ich alle hinausgeschickt, es waren vielleicht zwanzig Personen; ich habe nur die alten Frauen und die Kinder behalten. Vor den Milizsoldaten habe ich auf das Foto des Präsidenten geschworen, dass ich keine Feinde im Haus verstecken konnte. Auf diese Weise konnten sich alle, die bei mir zu Hause waren, retten.
Y.M. - Was denkst du über die UNO?
M.N. - Die UNO hat uns verlassen. Zwischen Oktober und November 1994 habe ich etwas erschütterndes gesehen. Blaue Helme sind im Helikopter gekommen, um Totenköpfe von der Ntarama-Stätte zu holen. Ganz sicher, um die Spuren des Genozids zu löschen. Ich habe sofort die lokalen Behörden informiert.



Marie-Josée N.Marie-Josée N.
31 Jahre, Witwe eines Tutsi, Murambi-Stätte (Gikongoro) [ top ]

M.-J.N. - Mein Mann war Tutsi und ich bin Hutu. Er war ein Ingenieur. Ich habe ihn oft gebeten, das Land zu verlassen, aber er wollte nicht, er hatte Vertrauen in die Internationale Gemeinschaft. Unnütziges Vertrauen. Er wurde getötet, als er in den Urwald von Karama flüchtete und meinem Kind haben sie den Hals bis zur Hälfte aufgeschnitten und jetzt ist er halbseitig gelähmt. Heute leidet er auch an Beschwerden, die psychologisch bedingt sind. Nachts wälzt er sich im Bett und schreit: "Sie kommen, mich umzubringen, sie wollen mich umbringen!". Ich habe kein Geld, um ihn zum Arzt zu bringen.
Y.M.- Welche Arbeit machst du?
M.-J.N. - Ich arbeite bei der Gedenkstätte des Genozids und verdiene tausend Franken im Monat (5.000 lire). Ich wasche die Skelette, putze die Spinnweben weg. Am Anfang sagten die Hutu zu mir "Du bist unsere Schwester, hör auf, dich um diese Knochen zu kümmern, sie werden dir Unglück bringen. Schämst du dich nicht, dass du dich noch immer um Tutsi kümmerst?". Aber dann habe ich den Bruder meines Mannes geheiratet, und jetzt schämen sie sich. Sie trauen sich nicht mehr, mir etwas dazu zu sagen.
Y.M. - Was macht dein Mann?
M.-J.N. - Er ist ein Militär niedrigen Ranges.
Y.M. - Wie heißt dein Sohn?
M.-J.N. - Welcome Norbert. Er ist sieben Jahre alt.
Y.M. - Welcome? Ein seltsamer Name.
Marie-Josée antwortet nicht, sie lächelt, nachdenklich.



NDAHIMANA MatthieuNDAHIMANA Matthieu
35 Jahre, Arztassistent, eingesperrt in Butare [ top ]

Während des ganzen Gesprächs scheint Matthieu den von ihm vollbrachten Horrorfilm wiederzusehen. Seine Redeweise ist ziemlich ruckartig, unterbrochen von langen Pausen, in denen sein Blick am Boden umherirrt. Dann, als ob er wieder zu sich kommen würde, sieht er mich wieder an, um in mir die Kraft zu sprechen zu finden.

M.N. - Ich möchte ihnen sagen, gnädige Frau, dass ich meinen Beruf und auch mein Gewissen betrogen habe... Ich habe getötet, wenn es meine Aufgabe aber war, Leben zu retten... Ich habe versucht die Personen, die ich verletzt habe, wieder zu treffen... Mein Bedauern war noch größer, als ich von den Familien derer, die ich umgebracht hatte, aufgenommen wurde... Sie sagten, sie könnten nicht verstehen, wie ich nur am Völkermord teilnehmen konnte, ich war ja immer ein Vorbild gewesen. Es ist war. Auch ich kann nicht verstehen, was in mich gefahren war... Ich weiß nur, dass sie mir das Schießen mit einem Gewehr beibrachten, und dass ich feuerte. Zwei mal, mitten in eine Menge von Frauen und Kinder... Ich danke Gott, noch am Leben zu sein, um um Vergebung bitten zu können... Aber ich bin ein toter Mann...
Y.M. - Aber ich, Matthieu, sage ihnen, sie sind noch am Leben, weil sie jetzt wissen wo sich das Schlechte befindet. Bitten sie um Vergebung und arbeiten sie für den Frieden in Ruanda. Wären sie bereit, die Welt zu bereisen, um Zeugnis abzulegen, sie als Täter des Völkermords und ich als Opfer? Um Frieden in die Menschheit zu bringen.
M.N. - Ja sicher, ich bin bereit.

Matthieu weint lange, mit dem Kopf in den Händen. Ich weine auch.



MVUGAYABAGABOMVUGAYABAGABO
16 Jahre, Sohn eines Täters des Genozides, Mwurire [ top ]

Y.M. - Klagt niemand deinen Vater an?
M. - Nein. Aber sie sagen, er hätte jemanden geschlagen. Und dass wegen der Schläge das Opfer an Tuberulose erkrankt wäre.
Y.M. - Geschah das während des Genozids?
M. - Ja.
Y.M. - Kennst du diese Person?
M. - Ja, er heißt Butare.
Y.M. - Lebt er noch oder ist er gestorben?
M. - Er ist nicht gestorben, er ist jetzt Soldat beim FPR.
Y.M. - Ist es aber wahr, dass er an Tuberkulose leidet?
M. - Nein.
Y.M. - Wurde er während des Genozids Soldat beim FPR.
M. - Nein. Nachher. Vor einem Jahr, glaube ich.
Y.M. - War er euer Nachbar?
M. - Nein. Wir wohnten auf dem Hügel, er hingegen am Fuße des Hügels.
Y.M. - War dieser Butare ein Hutu oder ein Tutsi?
M. - Tutsi.
Y.M. - Vielleicht hat es während des Genozids einfach eine Schlägerei zwischen den beiden gegeben?
M. - Nein. Nichteinmahl das. Als mein Vater noch am Leben war, hat er mir gesagt, er hätte ihn getroffen und ihm einen Weg gezeigt, auf dem er die Mörder umgehen konnte.
Y.M. - Also hat er gelogen, als er behauptete, dein Vater hätte ihn geschlagen.
M. Ja. Ich bin mir sicher, dass mein Vater niemals jemanden geschlagen hat.
Y.M. - Woran ist dein Vater gestorben?
M. - Wegen einer Krankheit, vor einigen Monaten.

Ich drehe mich zu Gasana, der Wächter des Ortes: "Gehörte sein Vater zu den Tätern des Genozid?" Gasana sieht mich maliziös lächelnd an.
Nach dem Gespräch mit dem Jungen, erklärt mir Gasana, er hätte den Jungen nicht verletzten wollen, aber sein Vater habe zu den Tätern des Genozids gehört, und zwar nicht zu den kleineren.



HITIMANA NoëlHITIMANA Noël
Ungefähr 50 Jahre, Journalist, Nyamirambo [ top ]

Noëls Gedächtnis wird im Laufe des Gesprächs immer selektiver...
Y.M. - Bekennst du dich für schuldig?
H.N. - Schuldig?
Y.M. - D.H., diejenigen die ihre Taten akzeptieren, ihre Arbeit während des Genozids.
H.N. - Ja, ich akzeptiere was ich getan habe, meine Arbeit während des Genozids. Aber ich bekenne mich nicht als schuldig.
Y.M. - Ich glaube deine Stimme zu kennen, du hast im Radio meinen Tod bekannt gegeben. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst. Am 7. April, morgens.
H.N. - Eine Pressemitteilung oder was? Ja, das ist möglich. Es ist möglcih, weil viele Pressemitteilungen hereinkamen.
Y.M. - Kennst du Musoni? Er war mein Bruder. Ihr wart im Krankenhaus von Kabgayi zusammen, während des Genozids. Er wollte dich fragen, ob es wahr sei, dass ich gestorben sei.
H.N. - Konnte ich das wissen?
Y.M. - Ja, weil du es ja selbst im Radio verkündet hast!
H.N. - Nein. Das habe ich nicht gesagt.
Y.M. - Aber...
H.N. - ICH HAB'S NICHT GESAGT!

Jean-Pierre filmte das Gespräch für RTL-Tvi

J-P.M. - Warum habt ihr akzeptiert für einen Radiosender zu arbeiten, der Teil des geplanten Völkermordes war? Jeden Tag wurde aufgefordert, einen Teil der Bevölkerung zu ermorden.
H.N. - Wenn sie mich gefragt haben, für dieses Radio zu arbeiten, war es noch frei, kommerziell. Radio Télévision des Mille Collines (Radio Fernsehen der Tausend Hügel). Es war vom Staat genehmigt.
J-P.M. - Aber alle westlichen Länder hatten dessen Schließung gefordert.
N.H. - Warum wurde es also nicht geschlossen?
J-P.M. -Das frag' ich ja euch.
H.N. - Ich weiß es nicht.



Innocent N.Innocent N.
36 Jahre, Überlebender, Präsident einer Verstümmeltenvereinigung des Genozids, Nyamata [ top ]

I.R. - Wir waren ungefähr 20.000, die Wiederstand leisteten. Mit vielen anderen suchten wir in der Kirche von Nyamata Zuflucht. Wir hielten dort einen Monat lang durch. Ich verlor dort meine Frau und meinen gerade erst geborenen Sohn. Schließlich mussten wir uns in die Papyrussümpfe zurückziehen.
Y.M. - Wie hast du denn dein Bein verloren?
I.R. - Ich trat auf eine Landmiene.
Y.M. - Wie hattest du denn die Idee, einen Verein von Kriegsverstümmelten zu gründen?
I.R. - Ich wollte nicht, dass wir Verstümmelte unser Leben mit Betteln verbringen müssen. Ich wollte uns durch unsere Ideen und Fähigkeiten selbst versorgen.
Y.M. - Helfen euch denn die anwesenden NGO's (Nicht-Regierungs-Organisationen)?
I.R. - Nicht wirklich. Ich habe Handicap International kontaktiert, aber bislang noch keine Antwort erhalten. Dafür schient uns ZOA, eine andere NGO, helfen zu wollen. Was wir eigentlich bräuchten, wäre eine NGO aus Europa, die uns ein wenig unterstützen würde.
Y.M. - Wie funktioniert der Verein jetzt denn?
I.R. - Jeder von uns zahlt einen monatlichen Beitrag von 100 Franc (ca. 500 Lire).



Odette M.Odette M.
32 Jahre, Überlebende, Nyamirambo (Kigali) [ top ]

O.M. - Nach der Ermordung des Präsidenten versteckten wir uns, mein Mann, mein Sohn und ich, bei verschiedenen Bekannten. Am 24. April aber fanden sie uns und führten uns ab zur Straßensperre. Die Mörder fragten meinen Mann nach seiner Identitätskarte. Er zeigte sie ihnen und wurde auf der Stelle mit einem Schlagstock geschlagen und anschließend durch drei Schüsse in die Brust kalt gemacht. Einer unserer Nachbarn wurde zur gleichen Zeit getötet: die Milizsoldaten durchsuchten ihn, fanden Geld und stritten sich schließlich darum. Ein anderer Soldat namens Antoine nutzte diese Auseinandersetzung aus, um mich in sein Haus bringen zu lassen. Dort versteckte er mich mit meinem Kind unter einem Bett. Ich harrte dort 5 Wochen lang aus. Auf diese Weise rettete ich mein Leben. Als die FPR kam, versammelte man uns mit vielen anderen Überlebenden. Die Interahamwe warfen eine Handgranate mitten in unsere Gruppe. So wurde ich verletzt.
Y.M. - Und jetzt, hast du noch Angst vor den Interahamwe oder vor den Personen, die du töten gesehen hast. Triffst du sie manchmal?
O.M. (lächelnd)-Ich treffe sie jeden Tag! Sie sind meine Nachbarn. Aber ich habe keine Angst! Ich hab' nämlich keinen Ausweg. Sie werden und können mich töten wann immer sie wollen.
Y.M. - Erinnert sich dein Sohn an den Genozid?
O.M. - Nein, er war ja nur ein Jahr alt. In der Schule spricht er mit seinen Kameraden darüber. Er fragt mich dann, warum er keinen Vater hat und warum mir ein Arm fehlt. Ich erkläre es ihm dann und er meint dann: "Mutter, ich werde dich rächen! Früher oder später werden sie mir meinen Vater zurückgeben müssen!"



NANGWAHAFI OnesphoreNANGWAHAFI Onesphore
41 Jahre, Volkszähler, Mugusa (Butare) [ top ]

N.O. - Wir wurden manipuliert. Die Behörden sagten uns, dass die Tutsi aus dem Landesinneren der Grund für die Invasion des FPR war. Wenn wir sie alle umgebracht hätten, hätte der FPR den Krieg beendet und v.a. hätten die Soldaten des FPR die Hutus auf besonders schlimme Art und Weise umgebracht. Das war's, was mich überzeugt hat zu töten.
Y.M. - Wieviele Menschen habt ihr umgebracht.
N.O. - Ich hab' acht Menschen umgelegt, einen davon allein mit der Machete.
Y.M. - Hatte der Verwandte?
N.O. - Er hinterläßt ein Kind und eine alte Frau.
Y.M. - Habt ihr Gewissenbisse?
N.O. - Wenn man so gesündigt hat wie ich, hat man keinen inneren Frieden mehr. Mich schuldig zu bekennen hat mich etwas beruhigt. Mein Herz ist jetzt ein wenig ruhiger. Aber den wahren inneren Frieden werden ich nie mehr fühlen.
Y.M. - Wenn man, anstatt sie im Kerker zu lassen, ihnen sagen würde, sie sollten sich um die zwei Hinterbliebenen kümmern, würden sie dazu imstande sein?
N.O. - Ich... weiß nicht... ich glaub' schon, ich würde es versuchen. Es ist so schwierig.
Y.M. - Möchten sie eine Zeugenaussage machen?
N.O. - Ja. Ich will sagen, welche Taten ich begangen habe. Wenn alle gestehen würden, welche Übeltaten sie begangen haben, könnte die Verzeihung wiedergeboren werden.



R. PacifiqueR. Pacifique
43 Jahre, Überlebender, Ntarama [ top ]

"Unsere Väter hatten uns gesagt, in die Kirche Gottes würden die Mörder niemals kommen. Seit 1959 flüchten die Tutsi in die Kirchen. Wir versteckten uns natürlich auch in der Kirche von Ntarama. Aber die war schon voll. Die Mörder kamen dann und befahlen allen Hutu, ins Freie zu treten. Meine Mutter trat als erste hervor und sagte: "Ich bin Hutu". Sie wurde vor unseren Augen niedergemetzelt. Mein Vater und meine Schwester, schwanger im neunten Monat, wurden als nächste umgebracht, mit einem Schlagstock. Die Mörder warfen anschließend Granaten, kamen dann selbst in die Kirche und töteten wahllos. Ich konnte meine Frau, meine Kinder und mich retten. Wir flüchteten in die Schule von Cyugaro, wo andere Flüchtlinge sich versteckt hielten. "Ich bin bestürzt," erklärte ein gewisser Simon U., als er die Zahl der überlebenden Tutsi in der Schule sah. Er drehte sich zu den ihn umgebenden Tätern und fügte hinzu: "Ihr seid ja zu nichts gut, ich werde echte Interahamwe suchen." Er stieg in seinen kleinen LKW und kehrte nach einer Stunde in Begleitung vieler Interahamwe zurück. Diese griffen uns mit Granaten an. Es gab viele Tote. Am Abend konnten wir uns befreien. Wir gingen zum Dorfvorsteher... " Wohin auch immer ihr gehen werdet, überall werdet ihr auf Hutu treffen. Sie müssen euch umbringen, das ist ihre Arbeit. Bleibt lieber ruhig bei euch zu hause und laßt euch in Würde massakrieren." Wir kehrten dann zur Schule zurück, aber kurz danach ergossen vier von der Gemeinde gemietete Busse ihren Inhalt, die Milizsoldaten, vor die Schule. Der Kampf begann sofort. Granaten auf der einen Seite, Pfeile und Steine auf der anderen, Macheten und Bögen, das alles vereint zu einem fürchterlichen Kampf. Besiegt durch ihre Überzahl und ihre Feuerwaffen, mußten wir uns in die Sünpfe zurückziehen. Wir verharrten dort bis nach zwei Wochen plötzlich eine laute Stimme tönte: "Wir sind der FPR. Zeigt euch. Wir werden euch beschützen." Anfangs glaubten wir nicht daran, weil wir dachten, die Interahamwe seien am Werk. Aber nein, es war wirklich der FPR. Wir wurden nach dem eben befreiten Nyamata geführt. Dort hörten wir RTLM, das meldete, Bugesera sei in den Händen des FAR. Wir lachten, weil wir wußten, dass der Bugesera vom FPR kontrolliert wurde. Uns wurde gesagt, das sei eine Methode, um die Interahamwe im Glauben zu lassen, sie hätten den Krieg nicht verloren und dass sie den Genozid weiterführen mußten. Die Ärzte der FPR behandelten uns und die Schwellung an unseren Beinen ging zurück."



NSANZURWIMO PatriceNSANZURWIMO Patrice
79 Jahre, Bauer, eingesperrt in Butare [ top ]

Y.M. - Wie begannen sie denn zu töten?
P.N. - Ich saß auf einem Stein auf meinem Grundstück. Sechs Gendarmen kamen mit ihren Gewehren. "Komm mit uns!" Ich folgte ihnen. Sie brachten mich zu einigen Gefangenen, sie gaben mir einen von Nägeln übersäten Schlagstock. "Also Alter" sagte einer von ihnen, "entweder du legst diese Leute um oder wir machen dich kalt!" Also fing ich an, die Gefangenen zu schlagen.
Y.M. - Wo haben sie hingeschlagen?
P.N. - Auf den Kopf!
Y.M. - Wie oft?
P.N. - Zwei mal!
Y.M. - Hat sich niemand verteidigt?
P.N. - Nein, überhaupt nicht.
Y.M. - Wie lange hat all das gedauert?
P.N. - Ich hab´ um acht Uhr morgens angefangen und gegen Mittag aufgehört.
Y.M. - Vier Stunden! Wieviele haben sie denn umgebracht?
P.N. - Ich muß mehr als hundert davon umgebracht haben.
Y.M. - Also haben sie zweihundert mal zugeschlagen?
P.N. - Ja!

Patrice antwortet sehr lebhaft und auf eine etwas theatralische Art und Weise auf meine Fragen. Als ich ihn aber frage, ob es ihm denn leid täte, staunt er über das ganze Gesicht.

P.N. - Wenn es einen erneuten Völkermord gäbe, würde ich ein Loch in den Erdboden graben und mich darin verstecken, um nicht mehr zum Töten gezwungen zu werden.
Y.M. - Wissen sie, ich finde, wir Menschen aus Ruanda würden es verdienen zu verschwinden, um andere Völker nicht mit unseren Verbrechen anstecken zu können.



NGANIMANA PaulNGANIMANA Paul
49 Jahre, Überlebender, Bugesera [ top ]

Y.M. - Wenn du siehst wie in Ruanda und in Arusha Gerechtigkeit gemacht wird, glaubst du dann, dass es irgendeinmal wahre Gerechtigkeit zum Genozid geben wird?
N.P. - Es ist möglich, wenn es den Willen gibt. Alles was ich weiß, ist dass Gerechtigkeit nach den Gesetzen über Völkermord herrschen sollte, gleichzeitig sollte man aber nicht vergessen, dass es in Ruanda geschehen ist, und nicht woanders. Zu den Überlebenden sagen, sie sollen 5 oder 6 Zeugen mitbringen, wenn man genau weiß, dass es sich um ein Massaker handelt und dass viele Hügel einfach dem Erdboden gleichgemacht wurden, ist unmenschlich. Auch nur einen Zeugen zu finden, ist schwierig. Wo sollen wir denn so viele Zeugen finden? Sollen wir die Toten etwa zum Leben erwecken? Das demoralisiert uns eher, uns, die Überlebenden des Genozids. Solange nicht Gerechtigkeit gemacht wird, hat Ruanda keine Zukunft.
Y.M. - Wie denkst du über die Versöhnung?
N.P. - Ich glaube überhaupt nicht daran. Weil man niemanden zur Versöhnung zwingen kann. Es ist als ob man sagen würde: "Du mußt diese Person lieben". Es handelt sich um ein Gefühl, das von einem Individuum kommt. Man kann diesem Gefühl keine Befehle erteilen. Man kann von mir nicht verlangen, dass ich mich versöhne, wie man auch nicht von mir verlangen kann, eine bestimmte Person zu lieben. Und außerdem, wer versöhnt sich mit wem? Die Mörder, die noch in Freiheit sind, wollen immer noch töten. Bis zu dem Zeitpunkt, wenn sie uns suchen kommen, uns Überlebende, und uns sagen: "Wir haben schlimmes mir euch angestellt, bitte vergebt uns. Das ist der Grund, warum wir all das taten...", solange es eine solche Ehrlichkeit nicht gibt, wird man nicht über Versöhnung sprechen. Sollen sie uns doch vergeben, angesichts der Tatsache, dass wir eigentlich nichts verbrochen haben. Sollen sie doch mal aufhören, uns zu töten.
Paul hat im Genozid seine Frau verloren. Er hat in Ntarama mit seinem Sägling auf dem Rücken überlebt.



KAJUGU PierreKAJUGU Pierre
26 Jahre, ehem. Soldat, eingesperrt in Butare [ top ]

Y.M. - Was denkst über die Täter des Genozids, über diejenigen, die euch den Genozid durchführen lassen haben, die jetzt im Exil und unerreichbar für die Justiz sind, während ihr jetzt in den Gefängnissen ein unmenschliches Dasein fristet?
P.K. - Genau hier liegt das Problem. Man hatte mir gesagt, der General Ndindiliyimana wäre der Generalstabschef. Plötzlich erfährt man dann, dass er während des Völkermords vom verbrecherischen Regime Kambandas zum Botschafter Ruandas ernannt worden war. Wenn ich mich nicht täusche, ist er jetzt in Canada. Er wollte verschwinden, aber anscheinend stellten sich an jenem Tag Fahrzeuge auf die Startbahn des Flughafens, um seinen Abflug zu verhindern. Ich hab' nie erfahren, wie er dann letztlich das Land verließ. Außerdem war seine Frau noch zuhause, in derselben Gemeinde von Nyaruhengeri, seine eigene Geburtsgemeinde. Seine Frau verließ den Ort gegen Ende Juni. In Europa spricht man nicht über seine Frau. Seine Frau, ich habe sie nicht töten gesehen, aber sie schickte die Soldaten, die sie bewachten, auf die Hügel um Menschen zu töten. Es waren immer mindestens acht Gendarmen bei ihr und sie ging immer mit ihnen vom Haus. Sie sprach nicht mit mir, weil ich niedereren Ranges war.
Y.M. - Und wenn du gemordet hast, wer hat dir dazu den Befehl erteilt?
P.K. - Ein Gemeinderat war dort. Er sagte: "Wir töten auf Befehl des Generals Ndindiliyimana. Er hat den Befehl erteilt." Er war der Onkel des Generals Ndindiliyimana. Wir wurden dann auch festgenommen, nach dem Genozid, ich und der Gemeinderat. Er erklärte, der General hätte den Befehl erteilt. Er erklärte, die Befehle des Generals seien klar, eindeutig und leicht verständlich gewesen und dass der General, sein Neffe, oft bei ihm zu Besuch kam. Es war Ndindiliyimana, der den Befehl gab, Nzeyimana Igance und Munyanshongore Célestin zu töten, die waren seine Nachbarn. Munyanshongore habe ich getötet.



MUNYAMBUGA ThaddéeMUNYAMBUGA Thaddée
45 Jahre, Katechist, eingesperrt in Butare [ top ]

Y.M. - Es scheint, als ob sie sich für schuldig bekennen würden?
M.T. - Ja, ich bekenne mich für schuldig. Aber ich bin unschuldig.
Y.M. - Sind sie wirklich unschuldig? Warum also bekennen sie sich für schuldig?
M.T. - Ich habe den Tutsi nur die Flucht vor den Gendarmen verhindert, aber ich, ich habe niemanden mit meinen eigenen Händen umgebracht. Ich bin unschuldig.
Y.M. - Und die Tutsi, die sie den Gendarmen übergeben haben, sind sie tot?
M.T. - Niemand von der Barriere, die ich überwacht habe, wurde ermordet, außer den Tutsi aus meinem Viertel.
Y.M. - Ich spreche von denen, die sie den Gendarmen übergeben haben.
M.T. - Diese Tutsi, ich habe nur ihre Flucht verhindert, dann habe ich sie zu den Gendarmen gebracht. Ich habe niemanden mit meinen eigenen Händen umgebracht. Man muß meine Unschuld anerkennen. Ich habe nur die Barriere überwacht. Ich habe nur die Befehle befolgt.
Y.M. - Aber sie haben die Befehle von Menschen befolgt, die töten wollten!
M.T. - Ich bin unschuldig! An meinen Händen klebt kein Blut!
Y.M. - Haben sie jemanden gerettet?
M.T. - Ich habe niemanden gerettet. Aber in meinem Viertel lebten nur zwei Tutsi-Familien.
Y.M. - Und die sind tot?
M.T. - Ja, die sind tot. Es gab nur wenige Tote in meinem Stadtteil.
Y.M. - Ich glaube, wir haben uns nichts mehr zu sagen.



M. VestinaM. Vestina
33 Jahre, Überlebende, Gahembe [ top ]

V.M. - Ich erfuhr vom Tod Habyarimanas erst am Morgen des 7. Aprils. Ich fragte eine Hutu Nachbarin, warum es im Zentrum des Dorfes Splittergruppen gab. Sie antwortete aggressiv: "Hör' auf dich dumm zu stellen. Du weißt genau, dass der Präsident ermordet wurde." Ich hatte wirkliche Angst. Für mich war es das Ende. Ich dachte an 1992 und beruhigte mich, weil ich glaubte, sie würden nur einige Reiche und Intellektuelle ermorden. Ein alter Hutu, ein ehemaliger Freund meines Vaters, holte mich und meine Kinder ab, weil ich Witwe war. Die Söhne dieses Mannes gehörten zu den Interahamwe. Seine Frau, eine Tutsi, jagte mich als erste fort. Ich würde übertreiben, sagte sie. Der älteste Sohn, der gefährlichste von allen, riß mich weg und stieß mich mit einer Axt. Ich fiel auf den Rücken. Ich sah die Axt hoch über mich, bereit mich zu treffen. Dieses Bild jagt mir heute noch Angst ein. Es war der jüngste Sohn, obwohl auch er Milizsoldat war, der mir das Leben rettete. Er hielt mich die ganze Zeit als Geisel. Er vergewaltigte mich regelmäßig. Er durfte meinen Körper haben, dafür durfte er meine Kinder nicht umbringen.
Y.M. - Hast Du keine Angst vor AIDS?
V.M. - AIDS? Ja, ich fürchte mich davor, aber da bin ich eher fatalistisch. Kürzlich habe ich einen Fleck an meinem Bein entdeckt, ich dachte sofort an AIDS. Aber was nützt es, wenn man sich Sorgen macht. Wenn ich AIDS habe, habe ich kein Geld, um mir eine Therapie leisten. Ich hoffe nur, nicht zu sterben, bevor meine Kinder erwachsen sind.
Y.M. - Willst du den Test machen?
V.M. - Was soll da bringen?
Y.M. - Und bist du dem Mann, der dich gewaltsam genommen hat, nicht böse?
V.M. - Natürlich hasse ich ihn. Ich werden gegen ihn aussagen. Wenn er mich als Geisel genommen hat, dann hat er dies nicht aus Liebe gemacht. Das war seine Art mich umzubringen.


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