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Kann
demokratisch gesinnten Kräften noch die nationale Einigung
gelingen?
Seit 1979 ist
Afghanistan verstärkt ein Spielball ausländischer
Machtinteressen. Damals hatten die Kommunisten der Demokratischen
Volkspartei Afghanistans (DVPA) die sowjetische Armee ins Land
gerufen, als eine Volksbewegung ihr Putschregime fast schon zu
Fall gebracht hatte. Die Invasion löste die Flucht von mehr
als fünf Millionen Menschen aus und stürzte Afghanistan
in jahrzehntelange Verwüstung.
Zwar gelang es dem afghanischen Volk, den Truppen Moskaus in entbehrungsreichen Kämpfen die Stirn zu bieten. Doch mit den Waffenlieferungen aus den USA und islamischen Bruderstaaten, nötigte man den Afghanen auch einen extremen Islamismus auf, der in ihrer Geschichte ohne Beispiel war. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 ist es nicht gelungen, das Land zu einigen.
Kriegsherren und ihre Milizen, die sich immer weiter vom autochthonen Widerstand des Volkes entfernt haben, werden weiterhin aus dem Ausland unterstützt. Im Auf und Ab des Bürgerkrieges haben die Akteure während der letzten Jahre oft gewechselt, dennoch haben sich vier relativ beständige Machtzentren herausgebildet (vgl. Karte S. 55), die inzwischen - mit Ausnahme des afghanischen Nordostens – vollständig unter Taliban-Kontrolle stehen:
Den Norden des Landes mit dem Zentrum Mazar-e Sharif kontrollierten die Ex-Kommunisten der DVPA. Ihre Milizen werden von Abdul Raschid Dostam gerührt, einem Angehörigen der usbekischen Mehrheit im Norden. Unterstützung erhalten sie von Rußland und Usbekistan, z.T. auch aus Pakistan und Iran. Seit längerem unterhalten sie ein politisch-militärisches Bündnis mit Teilen der „Wahdat"-Miliz, die von den schiitischen Hazara getragen wird.
Das Zentralmassiv und den Nordosten bis zur Hauptstadt Kabul beherrschte der gemäßigte Islamist Rabbani mit seiner Jami'at-e filami. Sein militärischer Führer war der Tadschike Abmad Shah Masud von der Shura-yenezar, der sich schon im Kampf gegen die Sowjets einen Ruf als gewiefter Taktiker und Pragmatiker erworben hatte. Unterstützung für Rabbani kommt aus dem Iran, Indien und z.T. aus Rußland.
Der Süden, Westen und Osten unterliegt der Kontrolle der Taliban, einer Söldnertruppe von Pakistans Gnaden. Anfänglich stützten sich die Taliban stark auf die paschtunischen Parteien des Südens, wo der frühere afghanische König noch über Anhänger verfügt. Längst haben bei den Taliban aber Islamisten die Oberhand gewonnen. Ihr Sprecher Mullah Mohammad Omar führte in den eroberten Gebieten die Sharia ein und exerziert sie mit gnadenloser Härte. Um ihm Platz zu machen, wurde Guldbudm Hekmatyars Hezbe-e islami fallen gelassen, nachdem sie während Jahren das Lieblingskind der USA und der internationalen Islamistenkreise gewesen war.
Bis September 1996 wurde der Osten des Landes noch von paschtunischen Stämmen kontrolliert, die sich seit 1989 als einzige aus den kriegerischen Auseinandersetzungen herausgehalten haben. Ihre Tendenz ist eindeutig anti-islamistisch und sie stehen einer Rückkehr des Exil-Königs eher skeptisch gegenüber.
Die Spaltung der
Kommunisten ermöglichte neue
Bündnisse
Nach dem Zusammenbruch
der Sowjetunion gelang es Regierungschef Najibullah nicht mehr,
die divergierenden Flügel der DVPA, die Partscham
(Tadschiken) und Khalq (Paschtunen), zusammenzuhalten. Gegen
Najibullah – der alle wichtigen Posten mit Paschtunen
seines Vertrauens - formierten sich Gegenkräfte. Der
tadschikische Luftwaffengeneral Halim und die beiden wichtigsten
Milizenführer, der Usbeke Dostam und Mansur von den
Ismailiten, schlossen sich formal in einem Militärrat
zusammen. Dieser Militärrat knüpfte Kontakte mit
verschiedenen afghanischen Widerstandsgruppen und gewann bald
auch an politischem Einfluß.
Daraus entstand das Oppositionsbündnis Dschonbefch-e mellt tslamt Afghanistan. Die Dschonbesch hatte sich keine Ideologie bzw. Religion auf die Fahnen geschrieben, sondern sah die Befriedung des Landes und die Ablösung des Kabuler Regimes als ihr vordringlichstes Ziel an. Allmählich setzte sich die Dschonbesch militärisch durch und kontrollierte den gesamten Norden bis ca. 35 Kilometer vor Kabul. Aus dem Oppositionsbündnis wurden eine noch breite Allianz - die Shura-ye jihadi islami, in der alle ethnischen und religiösen Minderheiten vertreten waren. Keine der militanten islamistischen Fraktionen, die von Pakistan finanziert wurden, gehörte zu der Allianz, nur Parteien, die über Resonanz in der Zivilbevölkerung verfügen.
Die Shura-ye jihadi
islami bildete einen Rat von 44 Persönlichkeiten aus den
verschiedensten Parteien, Gruppierungen, Ethnien und Religionen.
Sie sollten für sechs Monate in Kabul residieren, die Wahl
für ein Parlament, den Wiederaufbau des verwüsteten
Landes, eine Rückkehr der Flüchtlinge, den Aufbau einer
regulären Armee und eine Generalamnestie vorbereiten.
Moderat islamisch wurde auch die Übergangsregierung
zusammengesetzt: Der Tadschike Masud sollte Präsident, der
Schiit Mazari (Hazara) Premierminister und der Usbeke Dostam
Verteidigungsminister werden. Erstmals seit langer Zeit schien
nationale Einigung unter demokratischen Vorzeichen
möglich.
Eine Intervention von
außen
Angesichts dieser Perspektiven intervenierten die Regionalmächte. Pakistan hatte sich zur Sicherung seiner Grenzen schon immer eine schwache Regierung in Kabul gewünscht und dafür auf die Fortsetzung des Krieges gesetzt. Jetzt drängte Islamabad seine afghanischen Marionetten, eine Gegenallianz zu formieren. Vorgesehen war die Bildung eines Rates, in dem nach bestimmten Quoten die Vertreter der „Peshawar-Parteien", der Provinzen und des Auslandes Sitze bekommen sollten. Damit wurde der Krieg wieder angeheizt.
Die
Verschwörung von Baku
Mittlerweile waren
auch Rußland und Usbekistan auf den Plan getreten. Allzu
offen hatte Masud die Widerstandskämpfer im benachbarten
Tadschikistan unterstützt und von einem
„Großtadschikistan" geredet. Aserbaidschan fand sich
bereit, eine geheime Konferenz in Baku zu arrangieren, an der
Rußland, Usbekistan, Iran und Pakistan sowie afghanische
Widerstandsgruppen teilnahmen. Ziel der Runde war die
Ablösung der Regierung Rabbani.
Aufgrund der Vereinbarung von Baku organisierte Dostam die Dschonbesch neu. Die nach Rußland geflohenen DVPA-Kader kehrten in die Miliz zurück und bildeten im benachbarten Usbekistan ein Führungsgremium, das dem alten Politbüro kompromittierend ähnelte. Masud ging aus diesem Komplott zwar unbeschadet hervor, doch war eine große Chance für Afghanistan vertan.
Pakistan schickt
Taliban vor
Nun sah sich Pakistan
zum Handeln gezwungen. Seit 1994 hatte der pakistanische
militärische Geheimdienst ISI eine Armee aus
DVPA-Mitgliedern und ehemaligen Widerstandskämpfern
ausgerüstet und in den Süden Afghanistans infiltrieren
lassen: die Taliban. Der pakistanische Islamist Fazi-ur Rahman
von der Jamat-e 'ulama Pakistan kümmerte sich um die
Rechtgläubigkeit der Truppe, während der pakistanische
Innenminister Nasrullah Baba die Organisation
übernahm.
Anfänglich standen hinter den Taliban auch die alte Kolonialmacht England und die USA. Letztere hatten nach dem Anschlag auf das World Trade Center im Sommer 1993 erwogen, Pakistan auf die Liste der Terrorstaaten zu setzen. Um aber nicht an Einfluß in der Region zu verlieren, erschienen ihnen die Taliban als Patentlösung: Indem diese den Ex-König wieder in Kabul einsetzten, sollten sie den Weltislamismus schwächen.
Nachdem im Oktober 1994 Nasrullah Baba und US-Botschafter John C. Monjo im Westen Afghanistans einen Besuch bei den Taliban gemacht hatten, wurde man in jeder Hinsicht handelseinig: Hinter der Vormarschlinie der Taliban planten die US-amerikanische Ölfirma Unocal und die saudiarabische Delta Oil den Bau einer Erdgaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan an den Indischen Ozean. Die beiden Konzerne unterstützten die Taliban beim Anheuern afghanischer Warlords.
Während die Taliban 1995 stetig vorrückte, gewann der Flügel der extremen Islamisten in ihr die Oberhand. Überraschend nahm die Söldnertruppe Jalalabad ein. Gleich nach der Eroberung Kabuls riefen sie eine neue Regierung aus, die sofort und ausschließlich von Pakistan anerkannt wurde. Die USA und andere Staaten wollten ihre Botschaften rasch wiedereröffnen, die UNO schickte ihren deutschen Beauftragten Holl, um den vermeintlichen Frieden in Afghanistan zu bewundern.
Die neue, alte
Allianz
Mit zunehmender
Nervosität haben viele Staaten den Aufstieg der Taliban
registriert: Rußland fürchtet, mit Afghanistan noch
immer einen Pufferstaat in seinem globalen Spiel zu verlieren;
Indien ist nichts recht, was Pakistan nützt, und der Iran
will in Kabul kein Regime sehen, durch das die Monarchisten in
Teheran Auftrieb erhalten könnten. Kurzum, alle diese
Mächte wollen jetzt vom Baku-Plan abrücken. Seit
Monaten haben sie ein erneutes Zusammengehen der Tadschiken und
Usbeken gefordert.
Bezeichnenderweise unternahm der (mittlerweile abgelöste) pakistanische Innenminister Nasrullah Baba alles, um diese Allianz zu verhindern. Schon im Januar 1996 war er zu Dostam nach Mazar gereist, um ihm Amt des Verteidigungsministers in einer künftigen Taliban-Regierung anzubieten. Offenbar zweifelt Islamabad, Afghanistan allein mittels der Taliban in den Griff zu kriegen.
Viel wird von den
USA abhängen. Zwei Jahre lang haben sie die Berichte
über den wahren Charakter der Taliban ignoriert. In den von
ihnen eroberten Gebieten verprügeln die Milizen Frauen, die
sich ohne Begleitung eines Mannes auf der Straße zeigen.
Ihre Führer werfen sich zu Shariarichtern auf, ordnen
Verhaftungen, Mißhandlungen, Amputationen und
Erschießungen an. An Grausamkeit gegenüber Gefangenen
sind die Taliban kaum zu überbieten.
Afghanistan nicht
aufgeben!
Erhält Afghanistan noch einmal eine Chance wie 1993? Außenstehenden erscheint das Land als ein Chaos von Stammeskriegen, in dem sich die fundamentalistische Barbarei immer stärker ausbreitet. Als ob es in Afghanistan der Verstümmelten nicht schon genug gäbe, werden noch immer Minen gelegt, werden neue Waffen eingesetzt, z. B. Chemiewaffen durch die Taliban.
Gleichwohl darf
Afghanistan nicht aufgegeben werden. Der extreme Islamismus ist
ein künstliches Phänomen geblieben. Zwar folgt die
Verteilung der militärisch-politischen Kräfte teilweise
ethnischen Grenzlinien, doch ist der Bürgerkrieg mehr vom
Machthunger der Anführer als von Feindseligkeiten zwischen
den Völkern bestimmt. Noch immer sind nicht alle national
und demokratisch orientierten Afghanen ermordet. Noch immer
könnten sie versuchen, gegen die Manipulationen von
außen eine friedliche Lösung
herbeizuführen.
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