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Minderheitenpolitik in Europa: Bestandsaufnahme und Analyse
von Albert F. Reiterer
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Bozen, 22.11.2000
Übersicht
Grundsätze | Programmaufbau | Analyseraster | Arbeits- und Zeitplan | Literaturhinweise zum Stand der Forschung

Grundsätzeoben
Die Beziehung zwischen Mehrheit und Minderheit bzw. die Stellung von Minderheiten innerhalb nationaler Gesellschaften bzw. in der globalen Arena wird gewöhnlich mit dem Vokabel “Minderheitenrecht” angesprochen. Das ist eine nicht unproblematische Bezeichnung. Minderheitenrecht im eben benutzten Sinn ist keineswegs allein eine Rechtsfrage, des Verfassungs- oder auch des Völkerrechts. Man versteht unter diesem Begriff durchaus den ganzen Komplex der Minderheitenpolitik. Politik benutzt allerdings Recht nicht nur als ihr bevorzugtes Instrument. Im modernen Staat, dem Rechtsstaat, ist Recht jene Form, die Politik als verbindliche Festlegung gesellschaftlicher Ziele und des Einsatzes der adäquaten Mittel dafür in der Regel annehmen muß. In diesem Sinn ist Minderheitenrecht als Wort für Minderheitenpolitik durchaus berechtigt. Recht im Sinne des positiven Rechts ist davon nur ein, wenn auch wesentlicher, Teilkomplex.
Es ist kein Zufall, daß jener Autor, der in Österreich für zwei Jahrzehnte lang die minderheitenrechtliche Diskussion dominierte, sein opus magnum im Umfang von 900 Seiten mit einem Grundlagenteil von 164 Seiten eröffnet, den er in seinem Verständnis als “Soziologie der Volksgruppen” gesehen haben wollte (Veiter 1970). Ähnlich macht bei einem jüngeren Autor, der offensichtlich Ambitionen hegt, nunmehr dieselbe Position einzunehmen, die von ihm selbst als “Politische Theorie” bezeichnete Grundlegung 194 von 620 Seiten aus (Marko 1995). Viele andere Beispiele könnten diesen zwei repräsentativen Fällen folgen.
Die letzten Jahre zeigen uns eine gewisse Divergenz zwischen dem politischen Diskurs des Ethnischen einerseits und der Diskussion über Ethnizität andererseits. Der ethnische Diskurs läuft weitgehend in den alten Begriffen des “Volkstumskampfes” und des “Kulturkonflikts” ab. Die ethnischen Marker selbst werden zu den Hauptproblemen hochstilisiert. Der Diskurs über Ethnizität hingegen ist zunehmend bestimmt von einem “Ultra-Konstruktivismus”: Das Faktum des ethnischen Konflikts wird - in schreiendem Gegensatz zur Alltagserfahrung - manchmal direkt in Abrede gestellt (Banks 1996). Das zeigt ein Problem und eine Unsicherheit auf, was dieser allgegenwärtige ethnische Konflikt nun eigentlich sei und bedeute. Ein neuer Ansatz ist nötig! Wir dürfen nicht einfach alte Zugänge und eingefahrene Denkweisen repriduzieren. Wir wollen daher auch versuchen, in pragmatischer und empirisch nachvollziehbarer Form zu den Tiefenstrukturen vorzudringen, welche ethnische Konflikte heute bestimmen. Dazu gehört u. a., daß wir uns darüber klar werden, was die politische Auseinandersetzung über soziale Identitäten heute bedeutet. Die strukturellen Rahmenbedingungen von Mehrheits- / Minderheitsbeziehungen haben sich entscheidend geändert. Insbesondere sind es zwei Strukturen, die wir in Rechnung stellen müssen:
1) Die Politik der Globalisierung hat die Idee der “international society” hegemonial werden lassen, die Idee also, daß bestimmte Werte (Menschenrechte) überstaatliche und weltweite Geltung hätten und daß dies auch wesentliche Wirkung auf den Begriff der nationalen Souveränität habe. Welche Machtverhältnisse stecken hinter diesen Ideen?
2) Es gibt mittlerweile ein weltweites abgestuftes Machtsystem, welches dem alten, nur rhetorischen Slogan: “Wir sind alle Minderheiten” eine völlig neue und analytische Bedeutung verschafft. Das Machtgefälle, welches Mehrheits- / Minderheitsbeziehungen kennzeichnet, tritt auch zwischen formal souveränen Staaten im Rahmen von supranationalen Organisationen auf.Das hat nicht das mindeste zu tun mit dem fetischierten und zugespitzten Differenzdiskurs, für den Huntington (1997) zum Paradigma geworden ist. Dieser ist leicht zu dekonstruieren als ein ziemlich erfolgreicher Versuch, die gegenwärtigen Strukturen der globalen Gesellschaft festzuschreiben und zu verewigen. So gilt es also, weder in die eschatologische Falle des Francis Fukuyama (1992) zu tappen mit seiner Behauptung einer allgemeinen Harmonie und damit der Leugnung realer Konflikte und Interessensgegensätze, noch in jene ebenso eschatologische Auffassung vom endgültigen Bruch zu gehen, welche z. B. G. Sorel so leidenschaftlich verfocht und dabei gleichzeitig die Gewalt selbst zum reinen Mythos erhob. Mythen gibt es im Bereich des Ethnonationalismus ohnehin genug, wenn auch in einer ziemlich reduzierten und oft erstaunlich schäbigen Form ... Moderne Gesellschaften lösen die hier zugrunde liegenden Homogenitätskonzepte (einmal kulturalistisch, das andere Mal sozial gedeutet) in der Tendenz auf. Sie erzeugen damit allerdings Unsicherheit, sodaß die diversen Ängste der Bevölkerung ernst genommen werden müssen.
Ein Arbeits-Programm unter dem Titel “Minderheitenpolitik in Europa” muß von vorneherein mehr sein, als der Versuch einer Auflistung von innerstaatlichen und übernationalen Rechtsnormen. Selbst wenn diese Instrumente des Rechts im Vordergrund stehen, wird es zu einer Bestandsaufnahme der Minderheitenpolitik, und, soweit es Recht betrifft, zu einer Fragestellung in einem rechtssoziologischen Sinn. Damit ist auch die Herangehensweise bereits gekennzeichnet: Es kann nicht der Blickpunkt der Rechtsdogmatik sein. Es wird die Perspektive einer umfassenden Analyse werden, welche in der verrechtlichten Politik zwar ein wesentliches Element, jedoch nicht das alleinige finden wird.
Das Projekt soll mit einem Schwerpunkt auf dem Blickwinkel des nationalen Systems beginnen und enden, weil es dieses nationale System ist, in dessen Rahmen Minderheitenpolitik abläuft. Ein weiterer Gesichtspunkt muß aber das internationale System sein. In einer Zeit, in der internationale Beziehungen - aus welchen Gründen immer - Fragen menschenrechtlicher Strukturen in ihr Kompetenzfeld einbegreifen, läßt sich dieser Aspekt keinesfalls mehr ausschließen.
Ohne auf die schwierige Frage der Begründung oder der moralischen Wertigkeit von Gewalt im Detail einzugehen, läßt sich feststellen, daß heute Vermeidung von Gewalt allgemein als wünschenswert betrachtet wird. Daher wird eine der Fragestellungen auch lauten: Wann - unter welchen Bedingungen - werden ethnische Konflikte gewaltsam? Wie wird umgekehrt wiederum eine De-Eskalation erreicht? In diesem Zusammenhang wird Recht wieder prominent, weil es ein vorrangiges Mittel gewaltfreier Konfliktaustragung sein dürfte. Damit stellt sich somit die Frage: Unter welchen Umständen ist dieses Mittel einsetzbar?

Programmaufbauoben
Eine vorbereitende Vorlaufphase wäre erwünscht. Trotzdem ist eine solche aus zwei Gründen nicht eingeplant. Praktisch geben die Curricula der beteiligten Personen die Gewähr, daß eine solche Vorlaufphase durch die bisherige Expertise in gewissem Maße schon vorweg gennommen ist. Zum anderen gilt es in einem Institut, welches weitgehend von öffentlichen Geldern finanziert ist, Rücksicht auf eine Öffentlichkeit zu nehmen, welche mit einem gewissen Recht schnell erste Resultate sehen möchte. Zudem ist dies ja ein Dauerprojekt, welches auch die Basisfragen nicht venachlässigen muß.
Die Vorgehensweise dieses Projekte strebt an, eine Systematik des Feldes mit einer bevorzugten Behandlung der auch für die österreichischen Verhältnisse besonders interessanten Fälle zu verbinden. Das heißt: Vorrangig wird die Bestandsaufnahme mit jenen Fällen beginnen, welche einerseits für die hiesigen Verhältnisse besonderen Vergleichswert besitzen. Dabei können sowohl Fälle auftauchen, die in der internationalen Diskussion als besonders vorbildhaft (z. B.: Finnland, Ungarn) betrachtet werden, als auch solche (z. B.: Frankreich, Lettland), wo die Kritik einer minderheitenfreundlichen Fachöffentlichkeit besonders intensiv ansetzt. Vorwegnehmend kann gesagt werden: Die praktischen Folgen könnten aus einer österreichischen Sicht durchaus nicht nur in einer Richtung verlaufen. Die österreichische Minderheitenpolitik hat zu lernen, doch umgekehrt auch eigene positive Erfahrungen anzubieten.
Der Ansatz ist vergleichend, wobei im folgenden Raster die Maßstäbe der Analyse im Einzelnen angeführt werden. Trotzdem wird jeder Fall auch in einer speziellen Perspektive zu betrachten sein, die im Folgenden schlagwortartig erwähnt wird.
Zwar wird jeder Entwicklungsprozeß nicht monokausal vor sich gehen; jedoch lassen sich Richtungen betonen. In diesem Sinn werden vor allem zwei Richtungen analytisch auseinander zu halten sein.

Die Gesellschaftsstruktur und ihr Determinismus auf die ethnische Beziehung:

Die Gesellschaftsstruktur und ihr Determinismus auf die ethnische Beziehung

Die andere Richtung bezeichnet die Bewältigung dieser Umwelt durch die politischen / sozialen Akteure.
Die Reihenfolge ist als Reihenfolge der Aufarbeitung gedacht, wobei in mehreren jeweils halbjährigen “Runden” jeweils parallel zu arbeiten ist. Die Anzahl der Projekte hängt vom finanziellen Rahmen ab. Um jedoch eine Systematik absehbar zu machen, wären 4 Projekte pro Runde wohl das Minimum. Mehrere sind möglich, jedoch eine Frage der Ressourcen, sowohl finanzieller als auch personeller Art. Die Arbeit ist als Mehrjahresprogramm entworfen; sie wird in diesem Sinne kein klar vorherbestimmtes Ende haben als sie ein ständiges Arbeitsfeld des CIFEM darstellen soll - imgrunde eine Säule des Arbeitsprogrammes des Instituts überhaupt. Dies wird sich auch in der Form der Veröffentlichung niederschlagen.
Außereuropäische Erfahrungen werden im Ablauf dieses Programms zumindest in dem Ausmaß einzubeziehen sein, als sie Strukturgleichheiten oder -ähnlichkeiten mit europäischen Verhältnissen aufweisen; bzw.: selbst aus einem von europäischen Verhältnissen “abgeleiteten Diskurs” (“derivative discourse” - P. Chatterjee) entstanden. Die hier wieder auftauchende und für unser Institut entscheidende theoretische Fragestellung ist ja: Inwieweit sind heute “europäische” Verhhältnisse von vorneherein schon glaobale Verhältnisse; andererseits: Inwieweit wirken globale Verhältnisse auf europäische Verhältnisse zurück und transformieren sie? Wenn es eine “Weltgesellschaft” gibt, wird sie auch auf die politischen Verhältnisse wirken, und damit auf die ethnische Beziehungen, die imgrunde wenig anderes als ein Aspekt des Staatsaufbaues und des Verhältnisses von Gesellschaft und Staat sind.
Schließlich kommt heute Fragen der Migration gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Dies gilt weltweit, wird jedoch spezifisch in Europa als ein brennendes Problem empfunden. Migration ist sicher keine neue Erscheinung. Ihre heutige Form unter den Bedingungen einer ständig proklamierten jedoch nur zögernd akzeptierten Einheit der Menschheit hat ihr einen Stellenwert im Bewußtsein der Menschen verschafft, der in unserem Zusammenhang zwei Fragen aufwirft:
1) Schafft Migration neue Minderheiten? Sind solche, wenn existent, mit den herkömmlichen Mitteln von Wissenschaft adäquat zu analysieren bzw. wahrzunehmen?
2) Was heißt dies: “Wir sind alle Minderheiten”? Es geht um die neuen Hegemonialstrukturen.

Analyserasteroben
Dieser Analyseraster ist ein Entwurf und wird sich im Laufe der Arbeit ändern und vermutlich verfeinern. Hier geht es darum, im Arbeitsentwurf die Richtung zu geben. Die Kriterien sind weitgehend noch nicht operationalisiert. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, daß sich die Operationalisierung im Laufe der Projektarbeit und ihrer Erfahrung erst klären muß. Andererseits soll auch dieser Programm-Entwurf nicht mit methodischen und methodologischen Detailüberlegungen überfrachtet und damit unübersichtlich werden.

1. Wie werden Minderheiten offiziell-hegemonial definiert?
*) indigen
*) ethnisch, d. h. subnational-partikulär
*) national
*) “mitwohnende Nationalität”, d. h. gleichberechtigtes Staatsvolk
*) Immigranten +) mit
+) ohne Staatsbürgerschaft
*) Im Vordergrund Identitätsaspekt oder Interessensaspekt (Verteilung)?

2. Ethnische Marker?
*) Sprache +) Multilingualität (wessen)
+) Diglossie
+) Sprachprestige hoch - niedrig
*) Religion +) Konfession
+) Grad der religiösen Verankerung
*) Kultur +) Tradition
+) Folklore
*) Region +) “historische Regionen”
+) Peripherie
*) Sonstige +) ökonomische Stellung - Schicht
+) Nischenökonomie

3. Ethnische / ethnonationale Ideologien? Politische Kultur?
*) der Mehrheit
*) der Minderheit +) “Geschichte”
+) mission civilisatrice
+) megali idea (Machtphantasien) -) Machtmonopol
-) Power Sharing
+) Überleben
+) vorranging Differenzdiskurs oder Diversitätsdiskurs
+) “Mainstreaming”
+) Modernisierung -) gender-Beziehungen

4. Internationales Klima?
*) assimilationistisch (z. B. 1945 bis etwa 1966)
*) gleichgültig
*) oberflächlich minderheitenfreundlich

5. Internationale Stellung?
*) (Grenz-) Minderheit mit politischem Referenzstaat
*) (Grenz-) Minderheit ohne Referenzstaat
*) “Kulturelle” Referenzen (z. B.: Slowaken in Wien)
*) Isolierte Gruppen
*) “Zeitaufenthalter”

6. Stellung in der Gesellschaft, aus Genese und aktuell?
*) elitär: Oberschicht-Minderheit (Beispiel: Schweden in Finnland)
*) Ethclass, Unterschichtenverband (früher: Kärntner Slowenen; klassisch: Roma)
*) regionale Teilgesellschaft +) teritoriale oder lokale Mehrheit
+) teritoriale oder lokale Minderheit
*) Diaspora ohne Schichtkriterien
*) Zahlenverhältnis zur Mehrheit +) “quantité considérable”
+) Kleinstminderheit
*) Subkulturen der Mehrheit /
Minderheit

6a. Spezialproblem Roma
*) europäische Organisation
*) innerstaatliche Stellung
*) soziale Integration und “wellfare-sharing”
*) mentale Einordnung bzw. Stellung (seitens Mehrheitsbevölkerung)

7. Innerstaatliche Rechtsstellung?
*) (Territorial-) Autonomie
*) (Verfassungs-) Rechtlicher / Personaler Schutz
*) keine spezifische Rechtsstellung
*) Andere Formen des Power sharing
*) Zugang zum Rechtswesen +) Klageberechtigung (individuell - kollektiv)
+) politische Nutzung der Justiz

8. Innerstaatliche Integration
*) sozial integriert
*) pluralistisch
*) seggregiert +) Offenheit
+) Absgeschlossenheit (von Mehrheit oder Minderheit)

9. Problemfelder der ethnischen Beziehung?
*) Alltagsbedürfnisse
*) Öffentliche Sprache +) Indikatoren der Sprachwahl
*) Erziehung und Schule
*) Soziale Integration
*) Politische Partizipation
*) ethnische Ökonomie +) integriert
+) differentiell
+) Nischenökonomie

10. Wie sind Minderheiten organisiert?
*) zivilgesellschaftlich
*) politisch
*) “institutional completeness”

11. Wie ist die Reichweite der Organisationen?
*) Parteien, Parteienkategorien +) Cleavages: links - rechts
traditionalistisch - modern
lokal / regional - national, ...
*) einheitlich (Beispiel: SVP)
*) pluralistisch (Beispiel: Kärntner Slowenen)
*) versäult pluralistisch (Beispiel: slowakische Magyaren)
*) mikrosoziale Organisationen

12. Politik der Mehrheit vis-?-vis Minderheit?
*) Zielsysteme der Minderheitenpolitik +) Oberstes Ziel
+) Zwischenziele
+) operationale Ziele
*) Existenz wird geleugnet
*) Existenz anerkannt, jedoch repressiv
*) indolent
*) fördernd

13. Mittel der Politik
*) positive Diskriminierung - “affermative action”
*) negative Diskriminierung +) Verbot und ethnische Unsichtbarkeit
+) Benachteiligung
*) finanzielle Förderung
*) institutionelle Förderung: Recht und Pararecht der ethnischen Beziehungen

14. Entwicklung der Minderheit in der jüngeren Vergangenheit?
*) (Identitäre) Assimilation
*) Assimilation des ethnischen Markers bei Aufrechterhaltung der Identität
*) Plurale Integration
*) abgrenzende Selbstbehauptung +) innere Differenzierung
+) erstrebte Homogenität

15. Beziehungen Mehrheit - Minderheit?
*) konfliktual +) Bürgerkrieg
+) Gewalt (Niveau hoch - niedrig)
+) gewaltmeidend
*) distanzierend
*) harmonisch (keine Dauerkonflikte / “protracted conflicts”)

16. Selbstbeurteilung der Situation durch die Minderheit?
*) zufrieden
*) politische Konflikte im üblichen Rahmen
*) unterdrückt

Expertenbeurteilung und Ranking
Eine weitere Analysedimension soll schließlich auf eine normative Beurteilung der Minderheitednsituation durch ausgewiesene Expereten bestehen, die sich in einem Ranking der Situation im Land bzw. eventuell der unterschiedlichen Minderheiten niederschlagen soll. Das methodische Vorbild ist hier der Freedom-House-Index für Demokratie und Menschenrechte. Um die Schwächen dieses Indexes zu vermeiden - sie bestehen hauptsächlich in einer enormen US-Zentriertheit des Ergebnisses, sodaß oft mehr die Nähe zu den politischen Vorstellungen die in den USA hegemonial sind, gemessen wird, nicht die Demokratie - , ist insbesondere eine starke internationale Streuung der Experten anzustreben.
0 = völlig unzureichend, ..., 6 = sehr gut
Der Index selbst setzt sich aus mehren Teilindizes nach wichtigen Dimensionen zusammen.
Dimensionen sollten sein:
1. Rechtssituation
2. Ökonomische Situation im Vergleich zur Mehrheit
3. Kulturelle Situation
4. Sozial-integrative Beziehungen
5. Politische Integration und Partizipation

Arbeits- und Zeitplanoben
Das Programm hat seinen Beginn mit einem workshop (6. - 8. Juli 2000) bereits erlebt. Dort wurde einerseits das Programm als Skizze vorgelegt, es andererseits i. S. einer umfassenden Kritik bzw. Diskussion ausgebaut und schließlich als Arbeitsprogramm konkretisiert. Im Anschluß wird nun die Materialsammlung i. S. von Dokumentation und Datenrecherche beginnen. Unter der Voraussetzung, daß der organisatorische Aufbau des CIFEM planmäßig abläuft, soll die erste Runde der Interviews (siehe unter Methodik) im Oktober beginnen(*).
Eine vorläufige Berichterstellung wird einen Überblick über die ersten Teilprojekte anbieten und auch für Interessierte auf der künftigen Homepage des CIFEM zugänglich sein. An der Diskussion der Ergebnisse kann sich somit jede/r Interessierte beteiligen. Ein weiterer workshop (zeitlich derzeit aufgrund der Anlaufs-Unsicherheit und damit der erschwerten zeitlichen Planbarkeit des Ablaufes schwer festzulegen, jedoch idealiter Anfang April 2001) hätte schließlich im Anschluß an die ersten halbwegs vollständigen Dokumentationen bzw. Berichte stattzufinden, wo einerseits die Ergebnisse diskutiert werden, andererseits die weitere Arbeit im Detail zu besprechen wären.

(*) Das CIFEM wird als Mitveranstalter des kommenden Kärntner Volksgruppenkongresses im September auftreten. Da dies nicht nur noch einigen Aufwands bedarf, sondern der Kongreß selbst im dritten Drittel des Monats stattfinden soll, ist praktisch ein Start dieses Arbeitsschrittes vor Oktober kaum denkbar.

Struktur und Ablauf
Erste Runde
Die Klammer über die erste Runde ist einerseits die behauptete Vorbildlichkeit vieler Regelungen in diesen Ländern, zum anderen die geographische Region und die staatlich-politische Vergleichbarkeit (Kleinstaatenxchrakter etc.), welche seit langem auch zu engen institutionalen Bindungen geführt hat (erst EFTA, nun teils die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU).
1.1 Finnland - die gelungene Integration: Von der pluralen zur pluralistischen Gesellschaft.
Aus einer Oberschicht wurden die Schweden mit der Verselbständigung Finnlands zu einer nationalen Minderheit, die sich heute als ethnische Untergruppe der Nation Finnland versteht. Das mustergültige Minderheitenrecht wurde seinerzeit als Preis für die Anerkennung bezahlt, ist heute aber völlig unumstritten.
1.1.1 Aland - Ethnische Autonomie: Ihre Voraussetzungen, Formen und Grenzen
Ein autonomes Gebiet mit Zuzugsbeschränkungen für nicht der lokalen Mehrheit Angehörige kann als Analysebeispiel dafür dienen, wo solche Bestimmungen in einer globalisierten Welt zur Formfrage werden.
1. 2 Schweden - indigene Völker in Europa und Einwanderungsminderheiten
In Handbüchern über ethnische Minderheiten in Schweden geht die Reihenfolge von “Aländer” bis “Ostrikker” (Österreicher). Indigene Minderheiten wie die Sami werden also in einer Kategorie mit Einwanderern gesehen. Trotzdem ist der Minderheitenschutz im klassisch-mitteleuropäischen Sinn vor allem auf die autochthonen Minderheiten ausgerichtet.
1. 2. 1 Norwegen - eine norwegische Nation mit zwei norwegischen Sprachen
Neben den Sami gibt es in Norwegen eine Sprachminderheit, die ein spezifisches Norwegisch, Nynorsk, spricht. Entwickelt seinerzeit zur nationalen Abgrenzung gegen Schweden, ist vielen Norwegern heute der Aufwand dafür ein Dorn im Auge. Nicht zuletzt diese sprachliche Dualisierung einer ansonsten vergleichsweise homogenen nationalen Gesellschaft ist von besonderem Interesse auch im Rahmen der zeitgenössischen globalen Entwicklung.

Zweite Runde
2.1 Schweiz - das Territorialprinzip für und gegen Minderheiten
Das Territorialprinzip ist in der Schweiz als eine “Ruhestellung” i. S. einer Festschreibung ethnolinguistischer Bestände entworfen, die sich funktional durchaus häufig gegen lokale Minderheiten wendet, da sein hauptrangiges Ziel der Sprachfrieden ist, nicht der Minderheitenschutz.
2.2 Ungarn - ethnische Autonomie als lokale Personalautonomie
Bekenntnismöglichkeit ohne Bekenntniszwang und mit quasi-automatischer Anerkennung autonomer Selbstverwaltung, inklusive gewisser finanzieller Ansprüche, ist nahezu einzigartig in Europa. Die Funktionsweise hat sich erst noch einzuspielen und zu routinisieren.
2.3 Slowakei - ethnonationale Grenzminderheit als politischer Schiedsrichter
Wie auch in mehreren anderen Ländern Osteuropas wurde hier die Minderheit als politische Partei zum Zünglein an der Waage zwischen zwei politischen Lagern mit deutlich unterschiedlichen Präferenzen (vgl. auch die Situation in Bulgarien, Rumänien und auch im Makedonien nach dem Zerfall Jugoslawiens). Wie wirkt sich dies auf die Stellung der Minderheit aus?
2.4 Lettland - von der ethnischen Elite zur ausgegrenzten Minderheit
Die lettische Situation mit ihrer von Revanchegedanken bestimmten Sprach- und Minderheitenpolitik wird nicht zuletzt durch die internationale politische Positionierung des Landes zwischen Rußland und Westeuropa bestimmt.
Weitere Programmpunkt für das zweite Arbeitsjahr:
3. Runde: Italien in zwei Ansätzen (Südtirol, sonstiges Italien), Frankreich; Griechenland, Bulgarien.
4. Runde: BR Deutschland (Sorben, Dänen; Einwanderer), Dänemark, Litauen, Rumänien
Drittes Arbeitsjahr:
5. Runde: Vereinigtes Königreich, Irland; Polen, Tschechien
6 Runde: Spanien (jede anderssprachige bzw. autonome Region - Baskenland, Katalonien, Galicien, Andalusien, ..., hat ein anderes Statut, muß also in mindestens zwei Projekten aufgearbeitet werden); Porugal (Azoren); Moldau.
7. Runde: Slowenien, Kroatien, Makedonien, Belgien.

Methodik
Eine sorgfältige Sammlung des relevanten Materials hat zwei Vorgangsweisen einzuschlagen:
1) Politische und Rechtsdokumente
2) Daten zur sozialen und kulturellen Lage, insbesondere auch (wo zutreffend) die reale linguistische Situation
Ziel ist der Aufbau einer Datenbank, aus der via Internet sowohl die Dokumente und Materialien, als auch die Analysen abrufbar sind. Für diese, die Analysen, ist auch eine herkömmliche Publikation ins Auge zu fassen. Eventuell wäre die Form des On-demand-publishing ins Auge zu fassen, welche technisch gesehen wesentlich kostenünstiger wäre, jedoch einen höheren Organisationsaufwand bedeuten kann (die ist allerdings eine Frage, wie der Vertrieb organisiert ist).
3) “Expertengespräche” im jeweils untersuchten Land mit
a) politischen Entscheidungsträgern;
b) administrativem Personal;
c) Sprechern bzw. Mitgliedern der Minderheit(en)
d) Experten für ethnische und Minderheitenprobleme des Landes.
4. Ein einheitlicher Auswertungsraster (s. oben) soll eine systematische Beurteilung im Rahmen einer Theorie ethnischer Beziehungen und Konflikte gewährleisten. In ähnlicher Weise soll es einen möglichst einheitlichen Darstellungsrahmen geben. Dabei ist im Vergleich auch eine Standardisierung (Quantifizierung) anzustreben. Letzteres soll vor allem die Weiterverarbeitung der Daten mit formalen Methoden ermöglichen und die Frage nach Dimensionen von ethnischen Beziehungen und Konflikten beantworten.

Organisation
Das CIFEM wird zumindest anfangs einen bescheidenen Personalstand haben. Die spätere Entwicklung ist vorerst nicht vorhersehbar. Eine Kernfrage dabei wird selbstverständlich die Finanzierung bilden. Die Grundfinanzierung seitens des Landes wird in der Anfangsphase dazu führen, daß die praktische Tätigkeit vorerst im wesentlichen vom wisssenschaftlichen Leiter und den anderen Personen durchzuführen sein wird und sich so erheblich von der idealiter angestrebten Form unterscheiden wird. Um jedoch die Interdisziplinarität und Seriosität tatsächlich zu wahren, werden, soweit irgendwie möglich, Expertise und wissenschaftliches Knowhow von außen zugezogen werden. Dies kann auf zwei Wegen geschehen:
Um die Diskussion und den Zusammenhalt zu gewährleisten, sind jeweils workshops für die einzelnen Runden zu veranstalten. Sie könnten teils am Rande bzw. im Rahmen des Kärntner Volksgruppenkongreß stattfinden. Dabei ist allerdings in Rechnung zu stellen, daß dieser in seiner bisherigen Form nicht notwendig ein Forum zur Behandlung von z. T. methodischen oder technischen Spezialproblemen ist.
Aufgrund der Fragestellung ist es klar, daß mehrere Fachrichtungen Hand in Hand zu arbeiten haben werden. Minderheitenrecht im positiv-rechtlichen Sinn ist natürlich von Rechtswissenschaftlern zu betreiben. Der im engeren Sinn politische Aspekt dagegen wird von anderen Disziplinen zu behandeln sein.
Personal bzw. Mitarbeiter
Sowohl die Leitung als auch einen wesentlichen Teil der Analyse wird vom Verfasser dieses Entwurfs zu leisten sein. Um jedoch den umfassenden Anspruch einlösen zu können. sollen zumindest zwei Ebenen an Personal noch eingezogen werden:
1) Die Sammlung und Dokumentation des Materials wird zu einem erheblichen Umfang von Fachkräften zu besorgen sein, welche am Ende ihrer akademischen Ausbildung bzw. am Anfang der Berufstätigkeit stehen. Eine fachliche Kompetenz ist in gewissem Ausmaß unerläßlich, mindestens ebenso allerdings die allgemeine soziale und wissenschaftliche Kompetenz des Grundwissens um Recherche- und Kommunikationsfragen. Aus der Forschungs- und Lehrtätigkeit des Projektleiters werden solche Personen heute ohne größere Schwierigkeit zu rekrutieren sein.
2) Sowohl in Analysetätigkeit als auch im Reviewing und der Kritik sind Experten mit langjähriger Erfahrung im Gebiet ethnischer Beziehungen und sozialwissenschaftlicher Methodologie ebenso wie mit internationaler praktischer Erfahrung einzubeziehen. Die von vorneherein als Priorität anzustrebende Vernetzung mit anderen Instituten in diesem Forschungsbereich wird eine weitere “Ressource” darstellen.

Literaturhinweise zum Stand der Forschungoben
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Dr. Christa Achleitner
Bundeskanzleramt, VG-Abteilung
Christa.achleitner@bka.gv.at

DDr. Karl Anderwald
LAD-Stv., Kärntner Landesregierung

Prof. Dr. Erna Appelt
Univ. Innsbruck, Institut für Politikwissenschaft
erna.appelt@uibk.ac.at

Boris Jesih
Institut für Nationalitätenfragen, Ljubljana
boris.jesih@guest.arnes.si

Prof. Dr. Wolfram Karl
Univ. Salzburg, Institut für Völkerrecht
Wolfram.Karl@sbg.ac.at

Avgu¹tin Malle
SZI / Slowenisches wissenschaftliches Instiitut, Klagenfurt

Mag. Hubert Mikl
Österreichisches Volksgruppenzentrum, Wien

Sonja Novak-Lukanovic
Institut für Nationalitätenfragen, Ljubljana
Sonja.novak@guest.arnes.si

Albert F. Reiterer
CIFEM
Albert.F.Reiterer@univie.ac.at

Prof. Rudolf M. Rizman
Institut für Soziologie, Univ. Ljubljana
Rudi.Rizman@guest.arnes.si

Dr. Marjan Sturm
ZSO, Klagenfurt

Mag. Franz Vallandro
Innsbruck - Dornbirn
Franz.Vallandro@magnet.at

Prof. Tom Priestley
Univ. of Alberta, Edmonton
Tompriestly@hotmail.com (Anm.: ist jetzt erreichbar unter der Adresse des Slowenischen Volkskundeinstituts in Klagenfurt)

Dr. Bernhard Fuchs (anstelle Dr. R. Johler)
Institut für Europäische Ethnologie, Univ. Wien
Bernhard.Fuchs@univie.ac.at

Hellwig Valentin, Ktn. Lreg., Abt.5: Kultur; Wissenschaft
Hellwig.Valentin@ktn.gv.at

Mirko Bogotaj
EeBA; dzt. ORF
Rudolf Sarközi

2) Zur Vorstellung CIFEM
HR Dr. Reginald Vospernik
vospernik.reginald@bgslo.asn-ktn.ac.at

3) Bohdan Gruchman, Franz Walk, Horst Schumi, Kurt Cowling

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