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Baskenland

Das Erbe der Folterknechte

José Maria Aznar: Verbot einer Partei, dann einer Zeitung, Unterstützung der Apologie Francos. Spaniens gar nicht so leiser Weg zum autoritären Staat. Europa schweigt.

Von Mateo Taibon

Bozen, 9. Mai 2003

Überraschung war es keine. Das Verbot der baskischen Partei "Batasuna" im Sommer 2002 war von langer Hand vorbereitet worden - politisch, propagandistisch. Im Nachhinein erwies sich die für eine Demokratie unübliche und mit unüblichen Methoden durchgeführte Maßnahme jedoch nur als Teil eines größeren politischen Projektes. Im Februar 2003 folgte nämlich die Schließung der Tageszeitung "Egunkaria". In beiden Fällen der gleichen Vorwand - Terrorismus -, in beiden Fällen das gleiche summarische Vorgehen, die Abschaffung eines demokratisches Grundrechtes ohne zureichende juridische Begründung.

Spaniens Premier José Maria Aznar hatte das Parteiverbot gründlich vorbereitet; in einer außerordentlichen Sitzung während der Sommerpause hatte das Parlament mit großer Mehrheit einen gemeinsamen Antrag der Regierungspartei Partido Popular (PP) von Aznar und des oppositionellen Partido Socialista Obrero Español (PSOE) gutgeheißen, mit der die Regierung aufgefordert wurde, beim Obersten Gericht das Verbot von "Batasuna" zu beantragen. Zuvor war im Parlament ein auf Batasuna zugeschnittenes Parteiverbots-Gesetz erlassen worden. Am Gesetz hatte Aznars Partei viele Änderungen angenommen, um eine breite parlamentarische Unterstützung zu erhalten. Den Kern des Gesetzes änderten diese jedoch nicht, die wichtigen Details blieben unangetastet. Das Oberste Gericht kann so die inkriminierte Partei bereits vor dem Urteil suspendieren. Ein Rekurs gegen das Verbot - ausgenommen eine Verfassungsbeschwerde - ist nicht möglich. Ein Instrument der Willkür also, durch das dem Angeklagten nur beschränkte Verteidigung zugestanden wird. Außerdem kann sich eine Partei dem Verbot nicht durch Neugründung entziehen. Erhalten blieb auch die dehnbare Formel der "stillschweigenden Duldung" von Terrorismus als Verbotsgrund.

Es liefen bereits mehrere Gerichtsverfahren gegen Batasuna-Mitglieder aufgrund angeblicher Unterstützung der ETA. Doch Aznar wollte keine korrekten Ermittlungen, sondern eine politische Abrechnung. 1997 waren 23 Mitglieder der "Herri Batasuna", wie die Partei damals hieß, verhaftet worden; weil aber nichts bewiesen werden konnte, mussten sie schließlich nach Monaten wieder freigelassen werden. Diesmal hat der Richter Baltasar Garzón eine 400 Seiten umfassende Dokumentation vorgelegt, mit der er beweisen will, dass Batasuna in direkter Abhängigkeit von der ETA steht und somit an den "Verbrechen gegen die Menschheit" der ETA mitverantwortlich sei, denen seit 1968 3.400 Terrorakte mit 830 Toten und 2.300 Verletzten sowie seit 1991 3.700 Vandalenakte zugeschrieben werden. Wenn seine Dokumente stichhaltig sind, warum dann kein ordentliches Gerichtsverfahren?

Erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur wurde so am 26. August 2002 eine politische Partei verboten, deren Aktivitäten für drei Jahre (verlängerbar auf fünf) suspendiert, die Büros im Baskenland und in Navarra gestürmt, Telefon, Strom und Wasser gekappt sowie die Internetauftritte gesperrt wurden. Nicht einer Terrororganisation, sondern einer Partei. Der von Batasuna eingereichte Rekurs beim Obersten spanischen Strafgericht hatte keine aufschiebende Wirkung - die Partei wurde verboten, ohne Gerichtsverfahren, ohne dass also die Angeklagten das Recht auf Verteidigung gehabt hätten. Spaniens Oberster Gerichtshof hat das Verbot Mitte März bestätigt, einstimmig. Dass er den Antrag der Regierung ablehnen würde, war nicht zu erwarten; Batasuna will den Entscheid vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anfechten.

Ideologisch bedenklich
Die ETA ist eine brutale Terrororganisation, jede Diskussion darüber erübrigt sich; unbestritten ist auch, dass die linksradikale Partei Batasuna der ETA ideologisch bedenklich nahe steht. Doch für die Anschuldigung der Unterstützung terroristischer Aktivitäten muss man - in einem Rechtsstaat zumindest - gerichtlicher Prüfung standhaltende Beweise erbringen, nicht mit politischen Pauschalurteilen die Justiz ersetzen. Und Gesinnung bestrafen. Kritik in diese Richtung kam von Juan Maria Atuxta Mendiola, Präsident des Baskischen Regionalparlamentes. Der Terrorismus sei ein großes Problem, Batasuna-Exponenten hätten Verbindungen mit dem Terrorismus. Doch müsse die Justiz Einzelpersonen gerichtlich belangen; dass aber auf Geheiß einer Partei in Madrid eine andere Partei verboten werde, sei unzulässig. Auch drei baskische Bischöfe hatten das Parteiverbot kritisiert - keineswegs den Terrorismus verteidigt; dafür ernteten sie eine gehässige Attacke Aznars, der die Stellungnahme als "moralische und intellektuelle Perversion" bezeichnete.

Das Erbe der Folterknechte
Das Parteiverbot reichte für die Befriedung der spanischen Spät-Franchisten nicht aus. Am 20. Februar wurde auf Anordnung des Richters Juan del Olmo vom Nationalen Gerichtshof in Madrid die einzige vollständig baskische Tageszeitung "Euskaldunon Egunkaria" von 300 maskierten Polizisten in schusssicheren Westen gestürmt. Als handle es sich um einen wilden Verbrecherhaufen. Es wurden Unterlagen und Computer beschlagnahmt, aber auch persönliche Dokumente. Die Sitze der Zeitung in Andoain (Gipuzkoa), Iruñea (Nafarroa), Gasteiz (Araba) und Bilbo (Bizkaia) wurden versiegelt, der Chefredakteur Martxelo Otamendi und zehn weitere leitende Mitarbeiter festgenommen. Durchsucht wurden zudem die Büros der autonomen baskischen Schulbehörde "Ikastolas", die 100.000 Kinder jährlich muttersprachlich betreut; dabei wurden pädagogisches Material sowie Unterlagen zu Buchhaltung und Kulturarbeit beschlagnahmt.

Alle Verhafteten waren mindestens fünf Tage in Isolationshaft - wie dies im Antiterrorismusgesetz vorgesehen ist. Nur ist es für einen Staat, in dem die Menschenrechte geachtet werden, ungewöhnlich, dass Journalisten, ohne Verfahren, als Terroristen eingesperrt werden. Eigenen Angaben zufolge wurden alle gefoltert. Otamendi, gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt, erzählt: "Man hat mir die "bolsa" (Plastiksack) über den Kopf gestülpt, ich musste stundenlang körperliche Übungen machen. Unter ständigen Schlägen und Drohungen brüllte man mich an, man würde uns früher oder später zum "Singen" bringen. Ich hörte die Schreie der anderen Inhaftierten. Juan Mari Torrealdai, eine der wichtigsten Gestalten der baskischen Kultur, der mit der ETA nichts zu tun hat, wurde zusammengeschlagen", erklärte Otamendi im Fernsehen ETB und ergänzte: "Das ist eine Situation, die wir in den Büchern über die Franco-Diktatur lesen; die Straflosigkeit ist die gleiche geblieben". In einem anderen Interview nannte er weitere Details: "Sie beleidigten mich wegen meiner sexuellen Neigungen - während ich nackt war, steckten sie mir ein Stück Plastik in die Darmöffnung". Auch die anderen Gefangenen schildern die Folter, erzählen von der "bolsa", oder der "rueda" (der Häftling wird von den Polizisten, die sich im Kreis um ihn aufstellen, geschlagen), von der vorgetäuschten Exekution. Und den Schreien der anderen Häftlinge.

Alles erlogen? Man weiß aus der Geschichte Spaniens und gerade des Baskenlandes, dass die Folter bei der Guardia Civil zur Tagesordnung gehörte und gehört. Amnesty International, die Folter-Kommissionen der UNO und der EU berichten jedes Jahr erneut von Folter auf spanischen Polizeistationen. Die Regierung Aznar weist die Vorwürfe verärgert zurück, verhindert aber die Beseitigung der Missstände: Die wenigen wegen Folter verurteilten Polizeibeamten wurden begnadigt. Auch die spanischen Medien wollen die Berichte nicht zur Kenntnis nehmen, das Thema Folter ist Tabu. Ob die Journalisten freiwillig schweigen oder dazu gezwungen werden, sei dahingestellt. 2000 hat die Regierung Aznar jedenfalls die Internetseiten der Vereinigung gegen die Folter in Madrid sperren lassen. Dabei belegen selbst die offiziellen Zahlen den dringenden Handlungsbedarf: Von 1992 bis 2001 wurden im Baskenland 950 Fälle von Folter angezeigt; allein 2002 waren es 150. Elektroschock, Erstickung, sexuelle Gewalt, vorgetäuschte Exekutionen und - in diesem Repertoire geradezu selbstverständlich - Schläge gehören zu den von Madrid großzügig geduldeten Verhörmethoden. Seit 1977 sind sieben baskische Häftlinge an den Folgen der Folter gestorben.

"Egunkaria" ist das vierte baskische Medium, das im demokratischen Spanien geschlossen wird. 1998 traf es die Zeitung "Egin" und die Radiostation "Egin Irratia", 2000 die Monatszeitung "Ardi Beltza". Als "Egin" geschlossen wurde, wurden die Produktionsstätten zerstört und die Konten gesperrt, die Journalisten verhaftet; dann aber kamen die Ermittlungen zum Stillstand, weil es keine juridischen Grundlagen gab. Dennoch nahm "Egin" seine Tätigkeit nicht mehr auf.

Die gewaltasame Schließung von "Egunkaria" hat eine Parallele: 1936 wurde die einzige baskische Tageszeitung "Eguna" von den Truppen von Francisco Franco geschlossen. Es war der Beginn von 40 Jahren radikalem Sprachverbot. Da werden Journalisten wie Terroristen behandelt, eingesperrt, gefoltert, es wird ohne juridische Grundlage die Tageszeitung einer ethnischen Minderheit mit militärischer Gewalt gesperrt - und Europas Politik schweigt. Während sich beim Parteiverbot die Kritik aufgrund der extremistischen Position von Batasuna in Grenzen hielt, gab es bei der Schließung der Zeitung deutliche Worte der Verurteilung. Protestiert haben die Reporters Sans Frontières und Amnesty International, aber auch das Netzwerk der europäischen Minderheitenzeitungen MIDAS (Präsident Toni Ebner: "Kein Staat hat das Recht, die Presse zu knebeln", Spaniens Vorgehen erinnere "an die dunkelsten Kapiel spanischer und europäischer Geschichte") und die International Federation of Journalists (www.ifj.org), deren Generalsekretär Aidan White die Schließung der Zeitung als "Angriff auf die Pressefreiheit" kritisierte. Protestiert hat auch das für seine ausgewogenen Positionen abseits aller Extremismen bekannte EU-Minderheitenbüro EBLUL.

Der sich generell nicht sonderlich gewählt ausdrückende Ministerpräsident hatte die Batasuna-Politiker nach dem Attentat von Santa Pola an der südostspanischen Mittelmeerküste, bei dem die 6-jährige Tochter eines Polizisten der Guardia Civil ermordet wurde, wörtlich als Müll ("Basura") bezeichnet. Doch vielleicht sollte sich Aznar einmal fragen, ob nicht seine Politik Basura ist, Müll. Ideologischer Restmüll aus der Franco-Diktatur.

Aznars Unterstützung für die Apologie Francos
Großzügig ist die Regierung Aznar, wenn es um eine andere ideologische Ecke geht. Das Kulturministerium subventioniert die "Fundación Nacional Francisco Franco", eine entsprechende Vereinbarung wurde im Oktober 2001 unterzeichnet; Subventionen gab es in den Jahren 2000, 2001 und 2002, so die Stiftung selbst. Offiziell begründet werden die Zuschüsse mit der Digitalisierung und Speicherung auf Mikrofilm von 29.000 Dokumenten des Generals, was als Beitrag zur Dokumentation der Landesgeschichte ausgelegt wird. In Wirklichkeit jedoch pflegt die von Carmen Franco geleitete Stiftung, wie der Internet-Auftritt (www.fnff.org) erschreckend deutlich belegt, eine verherrlichende Darstellung des Diktators, eine unverblümte Apologie des spanischen Faschistenführers, getragen von einem Personenkult, der unmittelbares Erbe dieses Faschismus ist. Das erklärte Ziel der Stiftung ist "difundir el conocimiento de Francisco Franco en sus dimensiones humana, política y militar".

In diesem Lichte erscheint es nur selbstverständlich, wenn der spanische Innenminister die Bestätigung des Parteiverbotes als "großen Tag für die Demokratie" bezeichnet.

Die einzige baskische Tageszeitung
"Euskaldunon Egunkaria" (Die Zeitung der Baskisch-Sprechenden) war 1990 als das erste Blatt gegründet worden, das vollständig in baskischer Sprache erschien. Die Idee für die Zeitung nahm 1989 konkretere Formen an, als 70 Persönlichkeiten der baskischen Kultur sowie Journalisten aus Funk und Presse die Gesellschaft "Egunkaria Sortzen" auf die Beine stellten, die ihrerseits die Tageszeitung gründete. Im Frühjar 1990 wurden im gesamten Baskenland Subskriptionen gesammelt; so wurden 50 Millionen Pesetas gesammelt (300.000 Euro). An einer Kundgebung als Schlussveranstaltung 1990 in Donostia nahmen ca. 17.000 Menschen teil. Zum Kapital der Gesellschaft trug auch die öffentliche Verwaltung bei, Gemeinden und Schulen, aber auch Gewerkschaften und Privatunternehmen kauften Aktien; so konnte ein Startkapital von 150 Millionen Pesetas (900.000 Euro) erreicht werden. Am 6. Dezember 1990 erschien so die erste Ausgabe des "Euskaldunon Egunkaria". Innerhalb eines Jahres erreichte die Tageszeitung eine Verkaufszahl von 11.200 Exemplaren pro Tag, die ca. 45.000 Leser erreichten. "Egunkaria", die einzige vollständig auf baskisch erscheinende Tageszeitung (die einzige auch, die das gesamte baskische Gebiet abdeckte), erschien sechs Mal in der Woche. Von anfangs 32 Seiten wuchs sie auf 60 Seiten heran und deckte alle Informationssparten einer überregionalen Zeitung ab, von der internationalen Politik zu Sport und Kultur. Unter Fachleuten galt die Zeitung als ausgesprochen pluralistisch. "Euskera", eine der ältesten Sprachen Europas, wird von ca. 700.000 der insgesamt 3 Millionen Einwohner der Region gesprochen.

Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 218 - 2/2003).


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html

* www: www.egunero.info | www.gara.net | www.eblul.org | www.ifj.org

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