Bozen, Wien, 13. November 2003
Das Österreichische Volksgruppenzentrum in Wien, der
Dachverband der sechs anerkannten minderheitlichen Sprachgruppen,
hat anlässlich der 10-jährigen Anerkennung der Roma als
österreichische Minderheit mit einer Kranzniederlegung der
vier ermordeten Roma in Oberwart/Erba gedacht. Auf der
Generalversammlung verabschiedete das ÖVZ eine Resolution
zur Errichtung einer Gedenktafel in Erinnerung an die von den
Nazis ermordeten und verschleppten Roma in der Gemeinde Kemeten
im Burgenland. Der Gemeinderat von Kemeten lehnt die Errichtung
einer solchen Gedenktafel für die Roma-Opfer des
Nationalsozialismus ab.
Das Volksgruppenzentrum wandte sich außerdem mit einer
Petiton an den Österreich-Konvent zur Schaffung einer
einheitlichen Gesetzeslage für die autochthonen
Sprachminderheiten in Österreich. Das ÖVZ fordert die
Änderung des Staatsgrundgesetzes von 1867 und das
unveränderte Beibehalten des Österreichischen
Staatsvertrages von 1955. Grund dafür sei "die zersplitterte
Verfassungslage mit zum Teil veralteten, zum Teil
unvollständigen Bestimmungen" in Bezug auf den Schutz der
Minderheiten.
Durch eine Neufassung sollte laut ÖVZ nicht nur eine
einheitliche, sondern auch transparente Verfassungsrechtslage
geschaffen werden. Präsident Marjan Pipp wurde als
Vorsitzenden bestätigt, ebenso Hubert Mikel als
Generalsekretärs. Im ÖVZ sind Organisationen der
Kroaten, Roma, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn,
vertreten.
1) RESOLUTION an die Gemeinde Kemeten:
Das Österreichische Volksgruppenzentrum ersucht den
Gemeinderat der Gemeinde Kemeten eine Gedenktafel zum Gedenken an
die Ehre der ermordeten und verschleppten Roma, die Bürger
der Gemeinde Kemeten waren und Opfer des Nazi-Regimes wurden, auf
öffentlichem Grund zu errichten.
Die bisherige Vorgangsweise der Gemeindevertretung in der Frage
der Vergangenheitsbewältigung schadet dem Ansehen der
Gemeinde, dem Land und seiner Bevölkerung. Ehrendes Andenken
an die Opfer des Nazi-Regimes und an die
WiderstandskämpferInnen gegen diese Diktatur, die zum
Wiedererlangen der Freiheit beigetragen und die Errichtung der
Zweiten Republik ermöglicht haben, muss eine gemeinsame und
ehrenvolle Aufgabe sein. Daher ersuchen wir die Angelegenheit
unter Mitwirkung der Bevölkerung und der Roma-Organisationen
neuerlich zu behandeln und im Gemeinderat in Achtung der
Würde der Opfer eine entsprechende Vorgangsweise zu
bewirken.
2) PETITION an den Österreich-Konvent:
Der Österreich-Konvent hat die Aufgabe, unter Beachtung der
Bundesverfassung Vorschläge für eine grundlegende
Staats- und Verwaltungsreform, aber auch für die
Rechtsstellung und Freiheiten seiner Bürger, seiner
Volksgruppen, seiner sonstigen Bewohner und die gemeinsamen
Werte, auf denen unser Staat aufgebaut und geleitet werden soll,
auszuarbeiten, für eine Verfassung, die als geschlossenes
System unserer staatlichen Grundlagen zu werten ist.
Die zersplitterte Verfassungslage mit zum Teil veralteten, zum
Teil unvollständigen Bestimmungen ist für das
österreichische Verfassungsrecht nicht untypisch. Die
Verfassungsbestimmungen zum Schutz der Volksgruppen sind aber
auch innerhalb der oft beklagten Zersplitterung des gesamten
österreichischen Bundesverfassungsrechtes ein
Extremfall.
Das ist kein Zufall, sondern Reflex der Rechts- und
Verfassungspolitik auf dem Gebiet des Volksgruppenschutzes in der
Zweiten Republik. Dass die wesentlichen Bestimmungen des
österreichischen Volksgruppenrechtes entweder noch aus der
Monarchie oder aus dem Völkerrecht stammen, zeigt, dass es
in der Zweiten Republik eine eigenständige und moderne
Volksgruppenpolitik schlicht immer noch nicht gibt.
Die Forderung nach einer Kodifizierung der zerstreuten
Verfassungsrechtslage ist mehr als nur ein
rechtsästhetisches Anliegen. Es geht bei diesem speziellen
Kodifikationsanliegen viel mehr darum, eine nicht nur
einheitliche, sondern auch eindeutige Verfassungslage
überhaupt erst zu begründen. Für die Beratungen im
Österreich-Konvent erneuert das Österreichische
Volksgruppenzentrum den Vorschlag für eine Neufassung des
Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes aus 1867:
Entwurf eines Bundesverfassungsgesetzes, mit dem das
Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der
Staatsbürger geändert wird
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesverfassungsgesetz mit dem das
Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der
Staatsbürger geändert wird
Der Nationalrat hat beschlossen:
Artikel I
Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, RGBl.
Nr. 142, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und
Länder, zuletzt geändert durch das
Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 684/1988, lautet:
"(1) Österreich bekennt sich zur historisch gewachsenen
ethnischen, sprachlichen und kulturellen Vielfalt seiner
Bürger. Jede Volksgruppe hat ein unverletzliches Recht auf
Erhaltung ihres Bestandes sowie auf Wahrung und Pflege ihrer
Sprache und ihres Volkstums. Die Volksgruppen und ihre
Angehörigen stehen unter dem besonderen Schutz der
Gesetze.
(2) Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei. Niemandem darf
durch die Ausübung oder Nichtausübung der ihm als
Volksgruppenangehörigen zustehenden Rechte ein Nachteil
erwachsen. Niemand ist verpflichtet, seine Zugehörigkeit
oder Nichtzugehörigkeit zu einer Volksgruppe
nachzuweisen.
(3) Die Volksgruppen und ihre Angehörigen haben Anspruch auf
Kindergarten- und Schulunterricht in der jeweiligen
Volksgruppensprache. Anzahl und Standorte der Kindergärten
und Schulen, an welchen in den Volksgruppensprachen unterrichtet
wird, sowie das Ausmaß dieses Unterrichts sind nach
Maßgabe des Interesses an der Erhaltung des Gebrauchs der
Volksgruppensprachen in den traditionellen Siedlungsgebieten,
darüber hinaus nach dem örtlichen Bedarf
festzulegen.
(4) Die Volksgruppenangehörigen haben Anspruch auf Gebrauch
der Volksgruppensprache im öffentlichen Leben und im Verkehr
mit öffentlichen Stellen. Bei entsprechendem Bedarf,
jedenfalls aber im traditionellen Siedlungsgebiet ist die
Volksgruppensprache als mit dem Deutschen gleichberechtigte
amtliche Sprache zu verwenden. Ansonsten sind den
Volksgruppenangehörigen angemessene Erleichterungen für
den Gebrauch der Volksgruppensprache zu gewähren. Die
Volksgruppen haben das Recht, dass in ihren traditionellen
Siedlungsgebieten topographische Bezeichnungen und Aufschriften
auch in der Volksgruppensprache abgefasst sind.
(5) Organisationen oder Vertretungskörper, die ihrem
rechtlichen Zweck nach Volksgruppeninteressen vertreten und
für eine Volksgruppe repräsentativ sind, haben das
Recht, die auf diesen Artikel gegründeten Rechte und
rechtlichen Interessen der betreffenden Volksgruppe vor
staatlichen Behörden geltend zu machen. Die Rechte der
Angehörigen der Volksgruppen bleiben davon
unberührt."
Artikel II
Art. 7 des Staatsvertrags betreffend die Wiederherstellung eines
unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl Nr.
152/1955, bleibt unberührt.
Artikel III
Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die
Bundesregierung betraut.
Erläuterungen
A. Allgemeiner Teil
Kern des Grundrechtekatalogs der österreichischen
Bundesverfassung ist nach wie vor das Staatsgrundgesetz über
die allgemeinen Rechte der Staatsbürger von 1867 (siehe Art.
149 Abs. 1 B-VG). Das Staatsgrundgesetz enthält auch eine
Bestimmung über den Schutz der ethnischen Minderheiten (Art.
19 StGG: "Volks-stämme"), deren Geltung heute allerdings
fraglich ist. Sie entspricht, obwohl sie durchaus bemerkenswerte
und auch in der Gegenwart noch relevante Ansätze
enthält, auch gewiss nicht mehr einem zeitgemäßen
Schutz der Volksgruppen. Sie ist durch spätere
Verfassungsbestimmungen völkerrechtlicher Herkunft
(Abschnitt V des III. Teils des Staatsvertrags von St. Germain,
Art. 7 Wiener Staatsvertrag vom 15. Mai 1955) überlagert und
weitgehend ersetzt, nach verbreiteter Ansicht sogar
vollständig verdrängt worden. Verfassungsbestimmungen
über den Minderheitenschutz finden sich ferner in den
Minderheitenschulgesetzen für Kärnten und
Burgenland.
Der vorliegende Entwurf versucht, diese strittige und jedenfalls
sehr zersplitterte Verfassungsrechtslage durch eine einheitliche
Regelung zu ersetzen. Das entspricht zum einen den
Bemühungen, die allgemeine Zersplitterung des
Bundesverfassungsrechtes zu bereinigen (siehe dazu etwa
Irresberger, Wege aus dem Verfassungsdschungel?, JRP 1994, 239
ff). Zum anderen ist es ein berechtigtes Anliegen der
österreichischen Volksgruppen, eine für alle
Volksgruppen einheitliche und eindeutige Verfassungslage
herzustellen und an systematisch passender Stelle im
Bundesverfassungsrecht zu verankern.
Was die systematische Stellung einer solchen Verankerung anlangt,
so basiert der vorliegende Entwurf auf der Überlegung, dass
das Staatsgrundgesetz nach wie vor die eigentliche
Verfassungsurkunde in bezug auf Grundrechte ist. Da es sich bei
den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der
Volksgruppen um Grundrechte der Volksgruppenangehörigen,
aber auch der Volksgruppen als solcher handelt, ist eine Regelung
im StGG derzeit einer solchen im B-VG selbst vorzuziehen. Es wird
dadurch der subjektive Charakter dieser Rechte hervorgehoben.
Art. 19 StGG bietet sich aber auch deshalb an, weil er schon
bisher die einzige Bestimmung über den Schutz von
Minderheiten mit umfassendem Geltungsanspruch enthält.
Was den Inhalt betrifft, so versucht der Entwurf den vorhandenen
Bestand an verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten der
Volksgruppen und der Angehörigen von Volksgruppen zu
vereinheitlichen. Die im Wiener Staatsvertrag der slowenischen
und kroatischen Minderheit in Burgenland, Kärnten und
Steiermark garantierten Rechte werden auf alle "autochthonen"
Minderheiten ausgedehnt. Lücken im geltenden Rechtsbestand
werden insofern geschlossen, als etwa auch das Kindergartenwesen
erfasst wird. Die Judikatur des VfGH wird berücksichtigt. Um
die Konsensfähigkeit des Entwurfes zu gewährleisten,
werden aber nicht prinzipiell neue, im geltenden Verfassungsrecht
noch nicht verankerte Rechte vorgesehen. Der vorliegende Entwurf
versucht vielmehr eine Konsolidierung des geltenden
Bundesverfassungsrechts. Eine Weiterentwicklung dieses
Rechtsbestandes ist eine verfassungspolitische Frage, über
die ein entsprechender Konsens hergestellt werden müsste.
Vorsichtig weiterentwickelt wird allerdings das bestehende
Rechtsschutzsystem insofern, als den Volksgruppen als solchen die
Möglichkeit der Durchsetzung ihrer kollektiven Rechte
gewährleistet wird, doch kann dies an die Rechtsprechung des
Reichsgerichts zu Art. 19 StGG anknüpfen.
Schon aufgrund des Verfassungsrangs der vorgeschlagenen Regelung
versteht sich von selbst, dass einzelne Bestimmungen einer
Präzisierung durch einfache bundesgesetzliche Regelungen
zugänglich sind. Allerdings dürfen die hier
gewährleisteten Rechte durch den einfachen Gesetzgeber nicht
eingeschränkt werden. Auf einen ausdrücklichen
Gesetzesvorbehalt wird daher, um diesbezüglich keine
Fehldeutungen zu verursachen, verzichtet. Vgl. im übrigen
auch die Rechtsprechung des VfGH zu Art. 7 des Wiener
Staatsvertrages, insbesondere VfSlg 11.585/1987.
B. Besonderer Teil
Zu Art. I:
Zu Art. 19 Abs. 1 StGG:
An die Spitze der vorgeschlagenen Neufassung des Art. 19 StGG
soll eine Staatszielbestimmung gestellt werden, die zugleich eine
grundsätzliche verfassungsrechtliche Wertentscheidung
zugunsten des Volksgruppenschutzes im Sinne der Judikatur des
VfGH zum Ausdruck bringt. Den Begriff der Volksgruppe in dieser
Bestimmung näher zu definieren (vgl. § 1 Abs. 2
Volksgruppengesetz), wäre überflüssig. Die
vorgeschlagene Formulierung stellt klar, dass es um die
"autochthonen" Volksgruppen Österreichs geht. In
Zweifelsfällen wäre im Sinne einer historischen
Auslegung auf das Volksgruppengesetz in seiner geltenden Fassung
zurückzugreifen.
Zum zweiten Satz vgl. die ursprüngliche Fassung des Art. 19
Abs. 1 StGG sowie § 1 Abs. 1 Volksgruppengesetz. Schon Art.
19 StGG ging von einem kollektiven Volksgruppenschutz aus, das
heißt: einer Anerkennung der Volksgruppen als Träger
von (kollektiven) Grundrechten, soweit es um die Erhaltung ihres
kulturellen Bestandes als (gruppenspezifisches) öffentliches
Interesse geht.
Zum dritten Satz vgl. § 1 Abs. 1 Volksgruppengesetz. Es
erfolgt hier eine grundsätzliche Festlegung positiver
staatlicher Schutz- und Leistungspflichten, wie sie in der
Judikatur anerkannt sind, und zwar sowohl im Hinblick auf den
kollektiven wie auf den individuellen Minderheitenschutz. Die
Formulierung ist ausreichend weit, sodass sie über die
konkreten Anwendungsfälle in den folgenden Absätzen
hinaus auch andere gesetzliche Begünstigungen, etwa
Maßnahmen positiver Diskriminierung deckt, die andernfalls
unter dem Aspekt des Gleichheitssatzes problematisch erscheinen
könnten. Nach der Rechtsprechung des VfGH (siehe VfSlg
9224/1981) ergibt sich schon aus einer Gesamtschau des geltenden
Verfassungsrechts "eine Wertentscheidung des
Verfassungsgesetzgebers zugunsten des Minderheitenschutzes", der
eine "mehr oder minder schematische Gleichstellung von
Angehörigen der Minderheiten mit Angehörigen anderer
gesellschaftlicher Gruppen ... nicht immer genügen"
könne. Dieser Rechtsprechung wird mit dem zweiten Satz im
Abs. 1 des Entwurfs eine eindeutige verfassungsgesetzliche
Grundlage "nachgereicht".
Zu Art. 19 Abs. 2 StGG:
In diesem Absatz geht es um die Frage der Zugehörigkeit zu
einer Volksgruppe, die im Sinne des schon dem geltenden
Verfassungsrecht in seiner Auslegung durch den VfGH
zugrundeliegenden "anonymen Bekenntnisprinzips"
verfassungsrechtlich geklärt werden soll. Vgl. dazu auch
§ 1 Abs. 3 Volksgruppengesetz.
Der erste Satz stellt die Unabhängigkeit der
Volksgruppenzugehörigkeit im rechtlichen Sinn von objektiven
Merkmalen klar. Der zweite Satz enthält ein
Diskriminierungsverbot. Die gegenüber dem VolksgruppenG
veränderte Formulierung soll eine Deutung
ausschließen, wonach dem Bekenntnis zur Volksgruppe eine
"objektive" Gruppenzugehörigkeit gegenübersteht.
Der dritte Satz ist Ausfluss aus der Subjektivität der
Volksgruppenzugehörigkeit. Weiters wird ein Verständnis
der Volksgruppenzugehörigkeit als Statusbegriff
ausgeschlossen: Die jeweilige Inanspruchnahme von einzelnen
Minderheitenrechten ist stets frei und unabhängig von einer
generell deklarierten Zugehörigkeit zur Volksgruppe.
Umgekehrt schränkt auch eine einmal deklarierte
Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe nicht die
Möglichkeit ein, von Minderheitenrechten keinen Gebrauch zu
machen. (Nicht ausgeschlossen ist damit die Bindung der
Ausübung bestimmter Rechte an ein zugleich mit deren
Inanspruchnahme zu deklarierendes Bekenntnis zur
Volksgruppe.)
Zu Art. 19 Abs. 3 StGG:
Abs. 3 beruht im wesentlichen auf der Z. 2 in Art. 7 des Wiener
Staatsvertrages, jedoch ohne eine Einschränkung auf die
slowenischen und kroatischen Minderheiten in Kärnten,
Burgenland und Steiermark. Vielmehr wird der persönliche
Geltungsbereich auf alle "autochthonen" Volksgruppen ausgedehnt.
Weiters wird dieses Recht auch auf Kindergärten
erstreckt.
Der VfGH (Slg 12.245/1989) hat Art. 7 Z. 2 Staatsvertrag von Wien
als unmittelbar anwendbares subjektives Recht auf
Elementarunterricht in der Volksgruppensprache interpretiert,
dessen Durchführung jedoch außerhalb des
traditionellen Siedlungsgebietes von einem Bedarf abhängig
gemacht werden darf. Im traditionellen Siedlungsgebiet besteht
der Anspruch dagegen - gemäß der geltenden Rechtslage
in Kärnten und Burgenland - lösgelöst von einer
allfälligen Bedarfsfrage. Von der beschriebenen Erweiterung
des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereiches
abgesehen, soll diese Rechtsprechung im Prinzip nicht
verändert, vielmehr klarer zum Ausdruck gebracht werden. Der
Anspruch auf Unterricht in den Volksgruppensprachen enthält
individualrechtliche und kollektivrechtliche Komponenten und ist
als positiver Leistungsanspruch unter die Anforderung der
Verhältnismäßigkeit ("Untermaßverbot")
gestellt.
Die berechtigten Bedenken gegen die Umsetzung des Art. 7 Z. 2
Staatsvertrag von Wien im geltenden Minderheitenschulgesetz
für Kärnten, insbesondere gegen die Einschränkung
des zweisprachigen Unterrichts auf die ersten drei
Volksschulklassen - sie sind Gegenstand eines anhängigen
Verfahrens vor dem VfGH -, werden durch die vorgeschlagene
Fassung des Art. 19 Abs. 3 StGG nicht ausgeräumt; sie sollen
vorerst der verfassungsgerichtlichen Klärung vorbehalten
bleiben.
Zu Art. 19 Abs. 4 StGG:
Diese Bestimmung knüpft an folgende Regelungen des geltenden
Rechts an: Art. 19 Abs. 2 StGG, Art. 66 Abs. 4 Staatsvertrag von
St. Germain sowie Art. 7 Z. 3 Staatsvertrag von Wien.
Grundsätzlich handelt es sich um ein individuelles
Minderheitenrecht, dem eine im Sinne der
Verhältnismäßigkeit nach Maßgabe von Satz 2
und 3 abgestufte staatliche Leistungspflicht entspricht. Da der
Gebrauch zweisprachiger topographischer Bezeichnungen im
Interesse an der Erhaltung des territorialen Bezuges der
Volksgruppen als solcher liegt, wird die im 4. Satz enthaltene
Verpflichtung als kollektives Volksgruppenrecht im subjektiven
und damit einklagbaren Sinn verankert.
Zu Art. 19 Abs. 5 StGG
Das Recht von Volksgruppenangehörigen, Organisationen zur
Vertretung von volksgruppenspezifischen Interessen zu
gründen, besteht bereits aufgrund des allgemeinen Vereins-
und Parteienrechts und muss daher nicht volksgruppenspezifisch
verankert werden. Was verfassungsrechtlich klargestellt werden
soll, ist die Parteistellung solcher Organisationen zur
Geltendmachung der den Volksgruppen eingeräumten kollektiven
Grundrechtspositionen. Dies entspricht der ursprünglichen
Auslegung des Art. 19 StGG durch das Reichsgericht.
Die weite Umschreibung der von solchen Organisationen vor
staatlichen Behörden wahrzunehmenden Rechte und rechtlichen
Interessen soll sicherstellen, dass auch
unterverfassungsgesetzlich verankerte Rechtspositionen, die als
Ausführung oder Konkretisierung der in diesem Artikel
festgelegten Garantien angesehen werden können, durch diese
Organisationen geltend gemacht werden können.
Zu Art. II:
Da der in Art. 7 des Wiener Staatsvertrages normierte
Minderheitenschutz eine - immer noch geltende -
völkerrechtliche Verpflichtung der Republik Österreich
darstellt, empfiehlt sich eine Bestimmung nach dem Vorbild des
Art. 8 Abs. 3 des BVG über den Schutz der persönlichen
Freiheit.
Eine entsprechende Erklärung hinsichtlich des
Staatsvertrages von St. Germain erübrigt sich, da der auf
Minderheiten (im weiteren Sinn) bezogene V. Abschnitt seines III.
Teils seine völkerrechtliche Verbindlichkeit verloren hat.
Eine Aufhebung der auf Art. 149 B-VG beruhenden innerstaatlichen
Geltung dieser Bestimmungen als Bundesverfassungsrecht wäre
jedoch einer allgemeinen Kodifikation des Bundesverfassungsrechts
vorzubehalten, zumal sich diese Bestimmungen über ethnische
Minderheiten hinaus auch auf religiöse Gruppen erstrecken,
auf die sich der vorliegende Entwurf nicht bezieht.
Um einer allgemeinen Rechtsbereinigung des
Bundesverfassungsrechts nicht vorzugreifen, wird auch davon
abgesehen, die Verfassungsbestimmungen der
Minderheitenschulgesetze für Burgenland und Kärnten,
des Verfassungsrangs zu entkleiden, zumal deren
kompetenzrechtlicher und sonstiger organisationsrechtlicher
Gehalt durch diesen Entwurf nicht berührt wird.