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Pogrom bedrohte Völker Nr. 264, 1/2011
Bozen, August 2011
Index
Editorial, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger |
Gleichberechtigung und die Stärkung der rechte
der Frauen | Die kurdischen
Flüchtlingsfrauen | Gewalt gegen indigene
Frauen | Serbiens Friedensbewegung "Frauen in
Schwarz" | Felicia Langer: "Die Brücke
existiert tatsächlich" | Alina Treiger -
Symbolfigur des liberalen Judentums | Leyla
Zana: "Wir kurden müssen uns einig sein" | Frauen in irakisch-Kurdistan | China:
Frau von inhaftiertem Menschenrechtler Hada in Sippenhaft |
Westsahara-aktivistin Aminatou Haidar: "lebendig
oder tot" | Indigene Frauen machen sich stark
gegen Uran-Lobby | Mapuche: das junge Gesicht
des Widerstands | Guatemala. Xinka-Frauen
erkämpfen ihre rechte | Iran. Kein Platz
für Frauenrechte
Titelbild: Frauen der schwarzafrikanischen Völker Darfurs aus den Flüchtlingslagern bei El Fasher demonstrierten am 25. November 2010 bei einem Marsch gegen die anhaltenden Vergewaltigungen. Die Aktion war Teil einer jährlich stattfindenden 16-tägigen Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen. Die GfbV unterstützt in Darfur ein Solarkocher-Projekt für Frauen in Flüchtlingslagern, um sie vor Vergewaltigungen beim Feuerholzsammeln zu schützen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Frauen von China bis Darfur: Traumatisierte Opfer und mutige Menschenrechtlerinnen, pogrom / bedrohte Völker 264 (1/2011).
"Nichts, nicht einmal die modernste Waffe, nicht
einmal die auf brutalste Weise schlagkräftige Polizei, nein,
überhaupt gar nichts wird die Menschen aufhalten
können, wenn sie erst einmal entschlossen sind, ihre
Freiheit und ihr Menschenrecht zu erringen."
Desmond Tutu
Liebe Leserinnen und Leser,
Trotz einer langen internationalen Debatte über die Rechte
der Frau, welche im UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder
Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) kulminiert, gibt es
kein Land dieser Welt, in dem Frauen einen Anteil an den
gesellschaftlichen Führungspositionen haben, der ihrem
Bevölkerungsanteil entspricht. Einkommens- nachteile,
geringere Bildungschancen und die schwierige Vereinbarkeit von
Familie und Beruf wer- den in vielen Ländern als
naturgegeben wahrgenommen.
Dazu kommt, dass Frauen in zahlreichen Staaten unter den Opfern
von Gewalt- und Kriegsverbrechen überrepräsentiert
sind. Massenvergewaltigungen als Mittel der Demoralisierung des
Gegners und zur sogenannten "ethnischen Säuberung" und
andere Gewaltverbrechen sind in vielen bewaffneten Konflikten
alltäglich. Und selbst wenn sich eine Gesellschaft nicht im
Krieg befindet, nehmen weibliche Genitalverstümmelung,
Zwangsverheiratung von Minderjährigen, fehlender Zugang zu
Bildung und andere Menschenrechtsverletzungen jungen Mädchen
und Frauen sämtliche Entwicklungschancen.
Es ist eine Verpflichtung für jeden, dem an
Rechtsstaatlichkeit etwas liegt, sich gegen solche gravierenden
Menschenrechtsverletzungen zu stellen und den entrechteten
Mädchen und Frauen zu helfen. Deshalb bin ich froh, dass die
Bundesregierung bei ihrer Außen- und Entwicklungspolitik
einen stärkeren Wert auf die Einhaltung von Menschen- und
Minderheitenrechtsstandards legt und jede Art von
Unterstützung an den Respekt dieser fundamentalen Werte
koppelt. Die Belgrader "Frauen in Schwarz" und die israelische
Rechtsanwältin Felicia Langer sind beeindruckende Beispiele
dafür, dass sich Frauen nicht mit einer Opferrolle abfinden
müssen und dass Hilfe von ausländischen Organisationen
und Politikerinnen und Politikern willkommen ist und Wirkung
zeigt.
Im Lichte der in dieser Ausgabe von bedrohte Völker - pogrom
beschriebenen Gräuel und dem tragischen Leid so vieler
Frauen erscheint die aktuelle deutsche Debatte um
Geschlechterquoten in Vorständen und Aufsichtsräten
fast schon wie eine Luxusdebatte. Dies ist sie allerdings nicht.
Denn es ist auch in Deutschland und Europa immer noch nicht
selbstverständlich, dass Frauen Führungspositionen in
Wirtschaft und Gesellschaft bekleiden und beide Elternteile ihre
Familie mit einer Karriere in Einklang bringen.
Dies muss sich ändern. Hier sind die Arbeitgeber gefragt,
die den betriebs- wirtschaftlichen Wert von "Diversity" noch
nicht vollends durchdrungen haben. Bevor der Gesetzgeber hier die
Unternehmen mit starren Quoten zu einer besseren
Repräsentation zwingt, schiene mir eine freiwillige Einsicht
in die Wichtigkeit der Gleichstellung beider Geschlechter
erstrebenswerter. Es muss aber auch jedem Akteur klar sein, dass
es die Aufgabe der Politik ist, steuernd einzugreifen, wenn sich
erwünschte und verfassungsmäßig garantierte Werte
(Art. 3, 2 GG) in der Gesellschaft nicht verwirklicht
finden.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Bundesministerin der Justiz
Andreas Bummel
Als die UN-Charta 1945 in San Francisco verhandelt wurde, setzten sich einige der wenigen weiblichen Delegierten zusammen mit Nichtregierungsorganisationen erfolgreich dafür ein, das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Gründungsdokument zu verankern. Ein Jahr später wurde die UN-Kommission für die Stellung der Frau (CSW) und eine entsprechende Abteilung im UN-Sekretariat eingerichtet.
Michelle Bachelet wurde im September 2010 zur Leiterin von UN Women berufen. Foto: © UN Photo/Paulo Filgueiras.
Diese und später weitere UN-Institutionen trugen dazu
bei, das Anliegen der Gleichberechtigung und Stärkung der
Rechte der Frau weiterzuentwickeln. Wesentlich waren dabei die
vier UN-Weltfrauenkonferenzen in Mexiko (1975), Kopenhagen
(1980), Nairobi (1985) und Peking (1995) sowie die UN-Dekade
für Frauen von 1976 bis 1985. Die Prinzipien der
Gleichberechtigung und der Nichtdiskriminierung auf- grund des
Geschlechtes sind wichtige Pfeiler der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte von 1948 und inzwischen in neun
völkerrechtlichen Verträgen kodifiziert, insbesondere
im UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979.
"Die Herausforderung besteht nach wie vor darin, diese
hochtrabenden Ziele innerhalb der UN und im alltäglichen
Leben von Frauen und Mädchen in aller Welt umzusetzen", so
die Frauenaktivistin Charlotte Bunch in einem Beitrag zum
Oxforder Handbuch zur UN. CEDAW wurde zwar von 185 und damit fast
allen Ländern der Welt ratifiziert, oftmals jedoch mit
umfangreichen Vorbehalten. Zudem enthält die Konvention
keine Sanktionsmechanismen. Ein Zusatzprotokoll von 2000, dem 100
Länder beigetreten sind, erlaubt es wenigstens,
individuellen Beschwerden nachzugehen.
Nach Bunch lag der Fokus internationaler Frauenpolitik anfangs
auf politischen und bürgerlichen Rechten und befasste sich
in den 1970-er und 1980-er Jahren vorrangig mit Entwicklung und
Gesundheit. Die zentrale Rolle von Frauen in der sozialen und
wirtschaftlichen Entwicklung wurde erkannt. Einen Meilenstein
stellte die UN-Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo dar,
die ein ausführliches Aktionsprogramm als politische
Leitlinie bis 2015 verabschiedete. Reproduktive Selbstbestimmung
wird dort als fundamentales Menschenrecht definiert.
In den 1990-er Jahren erfuhren frauenspezifische Aspekte des
Menschenrechtsschutzes sowie von Frieden und Sicherheit mehr
Aufmerksamkeit. Bei gewalttätigen Konflikten werden
besonders Frauen Opfer systematischer Übergriffe, so etwa in
Bosnien (1992-1995) und Ruanda (1994). Die UN-Tribunale für
beide Länder stuften Vergewaltigung und sexuelle Gewalt als
völkerrechtswidrige Verbrechen ein. Das Statut des
Internationalen Strafgerichtshofes von 1998 definiert sexuelle
Gewalt und "reproduktiven Zwang" im Rahmen eines systematischen
Angriffs als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In der Resolution 1325 vom Oktober 2000 hielt der
UN-Sicherheitsrat fest, dass Frauen eine bedeutende Rolle bei der
Vorbeugung und Lösung bewaffneter Konflikte spielen. Diese
und vier Resolutionen aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 bilden
für UN-Friedenseinsätze und andere UN-Einrichtungen
eine wichtige Basis. Enttäuschend waren die
Millenniumsziele: Zwar enthält Punkt drei die Gleichstellung
der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen, aber
das einzige konkrete Ziel war die Beseitigung des
Geschlechtergefälles in der Primar- und Sekundarschulbildung
bis 2005 sowie auf allen Bildungsebenen bis spätestens
2015.
Seit Januar 2011 sind die Aktivitäten von vier
UN-Einrichtungen zur Stärkung der Rolle von Frauen in der
Organisation UN Women zusammengeführt. Sie unterstützt
andere inter- nationale Institutionen und Gremien und hilft den
UN-Mitgliedsländern, internationale Normen zu
implementieren. In das aus 41 Mitgliedern bestehende
Exekutivkomitee wurde auch Saudi-Arabien gewählt, wo die
Rechte von Frauen extrem eingeschränkt sind. Die
Finanzierung von UN Women soll weitgehend durch freiwillige
Beiträge der UN-Mitglieder erfolgen.
Parvaneh Ghorishi
Parvaneh Ghorishi betreut Flüchtlinge in Deutschland. Foto: GfbV-Archiv.
Emanzipationsbestrebungen von Kurdinnen und Kurden werden in
der Türkei, im Iran und in Syrien durch die jeweiligen
Regierungen massiv bekämpft. Zerstörung ihres
Lebensraums, Analphabetismus, Armut, Vertreibungen, Folter und
Vergewaltigungen sind Instrumente, um die kurdische
Bevölkerung zu bestrafen, einzuschüchtern, zu
demoralisieren und zum Aufgeben zu zwingen. In diesen
Auseinandersetzungen tragen Frauen die Hauptlast: Viele werden
auf- grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder politischer
Aktivitäten - auch die ihrer Verwandten -, verhaftet,
gefoltert und vergewaltigt.
Andererseits werden manche Frauen von Angehörigen ihrer
eigenen Ethnie verfolgt und umgebracht, wenn sie es - manchmal
auch nur angeblich - gewagt haben, herrschende Normen und
Moralvorstellungen zu verletzen. Zahlreichen kurdischen Frauen
gelingt jedoch die Flucht ins Exil. Aber allzu viele erkranken
später psychisch aufgrund traumatischer Erlebnisse. Ich bin
selbst Kurdin und wurde in der kurdisch-iranischen Stadt Sardasht
geboren. Aufgewachsen bin ich in Sanandaj. Nach meinem
Psychologie-Studium in Teheran floh ich 1974 nach Deutschland.
Ich habe selbst erlebt, wie es ist, sich plötzlich in einem
fremden Land zurechtfinden zu müssen, wie quälend die
Bürokratie sein kann. Beispielsweise wurde mein
Universitätsabschluss hier nicht anerkannt. Ich musste noch
einmal zur Uni gehen und das Hauptstudium wiederholen, bevor ich
mein Diplom bekam. Heute arbeite ich in Deutschland als
Psychotherapeutin und betreue viele Flüchtlinge. Ihre
Probleme ähneln sich und erinnern mich immer wieder an meine
eigene Vergangenheit.
In Deutschland müssen Asylbewerber erst beweisen, dass sie
keine "Wirtschaftsflüchtlinge" sind. In einer Anhörung
müssen sie alle Fakten nennen, die ihre Flucht und eine
Anerkennung des Asylantrages rechtfertigen können. Aber
viele traumatisierte kurdische Frauen sind nicht in der Lage,
ihre Erlebnisse zu schildern - auch nicht, wenn sie von einer
Frau angehört werden. Sie verdrängen traumatische
Erlebnisse, um schmerzhafte Gefühle der Ohnmacht nicht mehr
zu spüren, sich nicht mehr dem Schicksal ausgeliefert zu
fühlen. Die Spuren der Gewalt bahnen sich bei ihnen deshalb
oft ihren Weg über körperliche Erkrankungen wie
Kopfschmerzen, Herz- und Kreislaufproblemen oder
Schlafstörungen, Angstzuständen, Depressionen,
Unruhezuständen, Vergesslichkeit und Hoffnungslosigkeit.
Eine schwere psychische Belastung für die Schutzsuchenden
ist die lange Bearbeitungszeit der Asylanträge. Besonders
schlimm sind natürlich Ablehnungen, die Abhängigkeit
von staatlichen Hilfen wie in Deutschland nach dem
Asylbewerber-Leistungsgesetz, immer neue Abschiebedrohungen und
die nur wenige Monate gültigen "Duldungen" - ein Leben
zwischen Hoffen und Bangen. Die Unterbringung in abgelegenen
Orten, weit weg von Großstädten, ist oft nicht
hilfreich, um die Landessprache zu erlernen, Kontakte zu
knüpfen oder sich gegebenenfalls psychologische Hilfe zu
holen. Viele Flüchtlinge leben oft Monate oder Jahre lang in
menschenun- würdigen Asylbewerberunterkünften ohne
Privatsphäre.
All diese Faktoren schwächen die sogenannten
Selbstheilungskräfte der Betroffenen und haben
destabilisierende Wirkungen. Viele kurdische Frauen leiden als
Folge von Traumatisierung unter Suchterkrankungen oder unter
ihren Männern. Nicht selten erdulden sie Beschimpfungen,
Schläge und Entwertungen. Die Flucht in ein Frauenhaus
schließen sie oft aus, denn in der kurdischen Gesellschaft
sind sie Orte für "nicht Ehrbare". Wegen fehlender
Deutschkenntnisse ist ihnen der Unterschied meist nicht
bewusst.
"Kriege gehen zu Ende, die Häuser wieder neu gebaut,
die Narben verheilen, die Straßen gepflastert, aber Nacht
für Nacht raubt dir ein Fremder Macht, deine Zuversicht, die
du zum Weiterleben brauchst."
(awina 2010)
Parvaneh Ghorishi ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin.
Indigene Frauen auf der ganzen Welt haben etwas gemeinsam: Gewalt bedroht ihr Leben und ihre Gesundheit mehr als alles andere. Mit der Ausrufung des 25. Novembers zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hat die UNO 1999 diesem Umstand Rechnung getragen. Weltweit finden Aktionen und Kampagnen statt - die weiße Schleife, die in der Öffentlichkeit verteilt wird, ist das Symbol der Gewaltlosigkeit im Umgang mit Frauen.
Hunderte von (indigenen) Frauen verschwinden pro Jahr und werden tot aufgefunden, ohne dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Das weltweit grassierende Phänomen wird auch mit "Femizid" umschrieben, einem Begriff des Feminismus für die staatlich geduldete Tötung von Frauen, oft aufgrund ihrer untergeordneten Rolle in der Gesellschaft. Häusliche Gewalt gehört auch dazu. Für uns stehen die Frauen, ihr Schicksal und das ihrer Kinder, im Mittelpunkt. Der Schutz indigener Frauen wird explizit in der UN-Deklaration der Rechte Indigener Völker benannt. Eine Vielzahl von internationalen Konventionen schließt indigene Frauen mit ein - aber Gesetze nützen nichts, solange sie nicht umgesetzt werden.
Häufig spielen sich bewaffnete Konflikte auf Territorien
indigener Völker ab, da diese wegen des häufigen
Vorkommens von Ressourcen eine hohe Attraktivität für
die sich bekämpfenden Parteien aufweisen. Gewalt (in allen
Formen) an Frauen ist schon immer ein integraler Bestandteil der
Kriegsführung gewesen. Indigene Frauen leiden so doppelt
unter Krisensituationen: Als Frauen und als Angehörige
indigener Völker. Weltweit werden indigene Völker
vertrieben und geraten bei politischen Konflikten ins Kreuzfeuer.
Mit dem Ziel der Zerstörung des sozialen Geflechts und der
Destabilisierung der Gemeinschaften, um diese schließlich
von strategisch und geo-politisch interessanten Gebieten zu
vertreiben, wird indigenen Frauen psychische und physische Gewalt
zugefügt. Zu Zeiten der Kolonialisierung waren solche
Methoden zur Untergrabung des Widerstands der indigenen
Bevölkerung gang und gäbe und finden heute in der
Militarisierung ihre Fortsetzung.
An den Körpern von Frauen werden die Konflikte ausgetragen.
Die Sexualität wird zur Metapher der Dominanz und der
Aneignung von Territorium, die indigenen Frauen fallen
Zwangsprostitution, Einschüchterung, Folter, Vergewaltigung
oder Zwangsarbeit in den Militärcamps zum Opfer.
Bei der Debatte rund um die erschreckende Gewaltanwendung gegenüber indigenen Frauen kommt meist ein Aspekt zu wenig zur Geltung: Die tragende Rolle, die indigene Frauen bei Friedensprozessen spielen. Häufig sind sie zum Beispiel bereits während eines Konflikts die ersten, die soziale Unterstützung anbieten - eine fundamentale Funktion in Gebieten, in denen staatliche Hilfe meist ausbleibt. Die verstärkte Anerkennung dieser Leistungen der indigenen Frauen als Vermittlerinnen bietet die Möglichkeit, unter den Frauen Strukturen zu deren Selbstschutz aufzubauen.
Julia Bangerter, Helena Nyberg
Frauenhaus in Tschetschenien von Lipkan Basajewa. Foto: Sarah Reinke, GfbV.
Berufsmöglichkeiten hat eine Tschetschenin bei einer
Arbeitslosenquote von 80 Prozent kaum. Ob Frau studieren oder
arbeiten darf, entscheiden ihre männlichen Verwand- ten. Die
Gesellschaft kennt nur eine Lösung: Heirate. Je jünger,
umso früher ist ihre Familie die Angst um die Familienehre
los. Zunehmend müssen schon Vierzehn-,
Fünfzehnjährige das Elternhaus verlassen. Sie
dürfen nur einen Tschetschenen heiraten, höchstens
einen Inguschen. Viele junge Männer sind emigriert.
Diejenigen, die nach den beiden Tschetschenien-Kriegen unter
Jelzin (1994-1996) und Putin (1999-2006) mit bis zu 200.000 Toten
im Land geblieben sind, haben anstelle von Bildung gelernt, dass
Gewalt alltäglich ist. Die Brutalisierung der Gesellschaft
ist die Folge, politisch und privat.
Ende November 2008 wurden in Tschetschenien sieben junge Frauen
mit Kopfschüssen hingerichtet, denen "unsittliches
Verhalten" vorgeworfen wurde. Tschetscheniens
Menschenrechtsbeauftragter Nurdi Nuchadschiew sagte dazu, dass
für Frauen der Bergvölker der Verhaltenskodex Adat
gelte. Demnach dürften angeblich Männer, die sich durch
das Verhalten der Frauen beleidigt fühlen, Lynchjustiz
üben. Tschetschenische Menschenrechtlerinnen beklagen eine
zunehmende Klerikalisierung und Archaisierung der Gesellschaft,
wozu auch neuerdings das Tragen von Hidschab in der
Öffentlichkeit gehört.
Die Menschenrechtlerin Lipkan Basajewa, Trägerin des
Menschenrechtspreises der Stadt Weimar 2005, führt dank
finanzieller Hilfe der in Freiburg ansässigen
Frauenorganisation Amica (www.amica-ev.org/de) das Frauenzentrum
"Frauenwürde" in Grosny, das Frauen nebst
gynäkologischer Untersuchung auch psychologische und
juristische Unterstützung bietet. Dazu gehört der Kampf
geschiedener Frauen und Witwen um das Sorgerecht für ihre
Kinder, denn nach Adat gehören die Kinder stets dem Mann. In
Tschetschenien gilt die russische Verfassung, nach der die Mutter
ihre Kinder fast automatisch behält. 2010 erkämpfte die
junge Witwe Selicha Magomadowa den Sieg der Verfassung über
Adat. Das Gericht in Grosny hat Selicha ihre sechs Kinder, die
ihr der Klan ihres Mannes weggenommen hatte, zugesprochen. Ein
Präzedenzfall.
Der sich religiös radikalisierende bewaffnete Widerstand
gegen den Kreml instrumentalisiert zunehmend junge Frauen als
sogenannte "Schwarze Witwen", um ein Kalifat im Nordkaukasus zu
etablieren.
Irena Brežná war Kriegsberichterstatterin in Tschetschenien, schreibt regelmäßig über das Land und unterstützt dortige Frauenprojekte. 2008 erschien ihr Roman "Die beste aller Welten" in der Berliner Edition Ebersbach, www.brezna.ch.
Politisches Engagement gegen die Regierung ist in Syrien tabu,
selbst der Einsatz für die kurdische Sprache und Kultur ist
in der Arabischen Republik gefährlich. Wer sich nicht daran
hält, dem drohen Gefangenschaft und sogar Folter. Nicht
einmal Frauen werden verschont. Dutzende Kurdinnen befinden sich
derzeit in syrischen Gefängnissen. Ein Beispiel für ein
solches Schicksal ist das der kurdischen Aktivistin Rojin Remo.
Am Abend des 29. Juli 2009 fuhr ein Fahrzeug syrischer
Sicherheitskräfte aus der Stadt Manbej in die
syrisch-kurdische Stadt Kobani. Dort nahmen sie Remo, geboren
1970 in Tirbespiyê/Qamilshlî, fest. Remo ist Mitglied
der Frauen-Union Sitar und war gerade bei einigen Bekannten zu
Besuch. Mit Handschellen und unter Anwendung von Gewalt wurde sie
an einen unbe- kannten Ort verschleppt. Am 21. August 2009
lieferte man sie in das Al-Kindi-Krankenhaus in Aleppo ein. Sie
war gefoltert worden, ihr ging es sehr schlecht. Ihre Familie
erfuhr zunächst nicht, dass Remo im Krankenhaus war.
Vermutlich war sie unter einem anderen Namen eingeliefert
worden.
Schon am 3. August 2009 hatte eine Patrouille der politischen
Sicherheit ein Haus im Zorava-Viertel von Damaskus gestürmt.
Sie nahm zwei kurdische Frauen fest: Felek Naz Khalil, geboren am
30.10.1968 in Dêrîk/Ain Dîwar und Afret
Mohamed, geboren 1975 in Al Hasaka. Seither ist nichts Genaues
über ihr Schicksal bekannt. Ihr einziges Verbrechen ist der
Einsatz für die Kultur und Rechte ihres Volkes.
Maria Sido ist Vorstandsmitglied der GfbV.
Mehr als 200 Karen-Flüchtlinge flohen im November 2010 aus ihrem Dorf Pa Lu in Burma nach Thailand. Foto: Prachatai, flickr.
"Soldaten haben meine 15-jährige Tochter geschlagen und
mehrfach vergewaltigt", erklärt die Bürgermeisterin
eines Dorfes des Volkes der Karen in Burma. "Für meine
Tochter ist das Leben danach zur Hölle geworden. Sie wollte
nach den Vergewaltigungen Selbstmord begehen und ist geisteskrank
geworden." Schicksale wie diese sind keine Seltenheit in den seit
Jahrzehnten umkämpften Nationalitätengebieten Burmas.
Frauen werden immer wieder zum Ziel von Verbrechen der
burmesischen Armee. Seit 60 Jahren fordern die Karen und andere
Minderheiten mehr Autonomie und Rechte. Als die Regierung ihre
Forderungen ablehnte, griffen sie zu den Waffen und kämpfen
seither für ihre Rechte.
Die Armee und mit ihr verbündete Milizen rächen sich
mit gezielter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, unter der
vor allem Frauen leiden. "Die Soldaten haben mich in den
Dschungel verschleppt. Drei Tage und Nächte musste ich bei
ihnen bleiben", schildert eine andere Karen-Bürgermeisterin.
"Sie haben mich gezwungen, mit ihnen zu schlafen. Auch haben sie
mir ins Gesicht geschlagen, weil ich angeblich Rebellen in meinem
Dorf versteckt haben soll. Mit ihren schweren Stiefeln haben sie
mich getreten."
Die Dorfvorsteherin einer anderen Karen-Siedlung berichtet von
Zwangsarbeit und regelmäßigen sexuellen
Übergriffen von Soldaten, als die Armee eine Straße
zur besseren Bekämpfung der Aufständischen bauen
ließ. "Zunächst sind die Soldaten in mein Dorf
gekommen und haben willkürlich Frauen und Männer
verschleppt, die als Zwangsarbeiter die Straße durch den
Wald bauen sollten. Ganz viele Frauen haben sie auch gezwungen,
als Trägerinnen schwerer Lasten für sie zu arbeiten und
Versorgungsgüter für die Armee heranzuschaffen. Dann
haben sie mich gezwungen, mitzukommen in den Dschungel und dort
als Geisel bei ihnen zu bleiben. Nachts musste ich zwischen ihren
Kommandeuren schlafen, die mich abwechselnd vergewaltigten."
Ulrich Delius
2006 wurden erste Fälle von Zwangsumsiedlungen
uigurischer Frauen bekannt. Die Zahl der Betroffenen ging bald in
die Tausende. Es handelte sich um einen neuen, gezielten Angriff
der chinesischen Regierung auf die muslimische Bevölkerung
in Ostturkestan (Xinjiang) im Nordwesten Chinas. Mit falschen
Versprechen und unter extremem Druck werden junge Uigurinnen im
Alter von 16 bis 25 Jahren zur Arbeit in Fabriken in den Osten
Chinas geschickt. Was sie dort erwartet, hat mit einem "gut
bezahlten Job" nichts zu tun: unmenschliche Arbeitsbedingungen,
kaum Lohn und schlimmste hygienische Wohnverhältnisse. Auch
von sexuellem Missbrauch ist die Rede. Als Arbeitssklavinnen
fernab der Heimat ist ihnen eine Flucht nicht nur finanziell
unmöglich. Auch auf ihre Familien wird enormer Druck
ausgeübt. Die Weigerung der Tochter, an einem
"Arbeitsprogramm" teilzunehmen, ist mit harten Strafen wie der
Enteignung ihrer Felder oder der Zerstörung ihres Hauses
verbunden.
Beabsichtigt wird mit der systematischen Umsiedlung der jungen
Frauen die Assimilierung des uigurischen Volkes. In diesem
Zusammenhang fördert die Regierung auch die Ansiedlung
hunderttausender Han-Chinesen in Ostturkestan. Die dortige
Bevölkerungsstruktur hat sich dadurch in den vergangenen
Jahr- zehnten drastisch zu Gunsten der Han-Chinesen verschoben.
Die Uiguren dagegen werden immer stärker diskriminiert. Sie
finden kaum noch Arbeit, dürfen ihre Religion nicht frei
ausüben oder die uigurische Sprache im Bildungswesen
benutzen, es gibt keine Presse- oder Meinungsfreiheit. Die
uigurischen Frauen und Mädchen sind dabei gleich dreifach
von Pekings aggressiver Politik betroffen. Neben der
Zwangsumsiedlung und generellen Unterdrückung ihrer Kultur
sowie Identität werden im Rahmen der Ein-Kind-Politik (trotz
einer Ausnahmeregelung für Minderheiten)
Zwangssterilisationen und -abtreibungen vorgenommen.
Jana Brandt ist Projektkoordinatorin beim Weltkongress der Uiguren (WUC) in München.
Die beiden Drapchi-Nonnen Namdrol Lhamo (li.) und Gyaltsen Drolkar bei einer Demonstration in London. Foto: Foto: mylondondiary.co.uk.
Als im März 2008 im Vorfeld der Olympischen Spiele in
China friedliche Proteste in Tibet gewaltsam niedergeschlagen
wurden, sah die Tibeterin Rigzin Dölma schreckliche Dinge:
"Als wir demonstrierten, schossen chinesische Soldaten auf uns
Tibeter. Es war nicht zu fassen, wie andere die Menschen
prügelten und töteten. Durch fürchterliche
Schläge der Polizisten verlor ich das Bewusstsein. Als ich
wieder zu mir kam, lag ich in einem Loch voller Schlamm und
Wasser, Polizisten liefen über mich hinweg." Ein Jahr lang
versteckte sich Dölma danach an ständig wechselnden
Orten in Tibet. Dann begann sie ihre gefährliche Flucht aus
China. Von Lhasa aus zog sie über die schneebedeckten Berge
Nepals und erreichte schließlich am 14. Januar 2010 die
indische Stadt Dharamsala. Dort hat der Dalai Lama seinen Sitz im
Exil. Dölmas Schicksal ist typisch: Unzählige Tibeter
und Tibeterinnen versuchen jedes Jahr, über Nepal ins
Ausland zu fliehen. Doch der Weg ist lebensgefährlich: Viele
werden von Soldaten aufgegriffen oder erschossen, andere
verhungern oder sterben durch die harschen Witterungsbedingungen
im Himalaya. Dölma ist dankbar, es geschafft zu haben: "Die
Namen der Familien und Dorfbewohner, die mir beistanden, kann ich
natürlich nicht nennen. Ich brächte sie in große
Gefahr."
Besonderen Mut beweisen auch immer wieder tibetische Nonnen. Die
Tibeterin Phuntsok Nyidron, berühmt geworden als eine der
"14 singenden Nonnen von Drapchi", war 15 Jahre lang inhaftiert:
"Im Gefängnis mussten wir unvorstellbare Torturen über
uns ergehen lassen. Es war praktisch Routine, dass Gefangene, die
ihre Meinung äußerten oder sich weigerten, an
kommunistischen Erziehungsmaßnahmen teilzunehmen, mit
Metallstangen geschlagen oder mit Elektroschockern gequält
wurden. Im Mai 1998 starben fünf Nonnen nach ihrem Protest
im Gefängnis in Drapchi daran."
Katja Wolff
Frauen in der darfurischen Stadt Kutum kochen mit Sonnenenergie. Foto: Darfur Peace and Development.
Seit Beginn des Völkermordes in Darfur 2003 wurden
tausende Frauen Opfer von Vergewaltigungen. Oft trauen sie sich
nicht mehr, die Flüchtlingslager zum Suchen von Feuerholz zu
verlassen, denn jeden Tag werden Frauen außerhalb der Camps
vergewaltigt. Sexuelle Gewalt wird in Darfur als Mittel der
Kriegsführung eingesetzt. Arabische
Janjaweed-Milizionäre brüsten sich damit,
schwarzafrikanische Frauen zu vergewaltigen, sodass diese von
ihren Familien ausgegrenzt werden.
Um Frauen wirksam vor solchen Übergriffen zu schützen,
kooperiert die GfbV seit einigen Jahren mit der von Darfuris
geführten Organisation Darfur Peace & Development
(DPDO). Sie zeigt vor Ort in einem dreitägigen Lehrgang wie
man Solarkocher baut. Abgesehen davon, dass die Kos- ten für
das Verschicken von Solarkochern zu hoch wären, ist es der
DPDO wichtig, dass die Frauen auf lokalen Märkten die
für die Solarkocher nötigen Materialien erwerben
können, nachdem sie gelernt haben, wie man sie bedient.
Einen Topf, Plastiktüten, Pappe, Aluminiumfolie und Kleber
braucht man für einen solchen Solarkocher. Damit die
Solarkocher möglichst viel Wärme aufnehmen können,
wer- den sie schwarz angemalt.
Die Absolventen der Kurse werden dazu angehalten, ihr Wissen auch
ihren Nachbarn zu vermitteln. Die Kursteilnehmer erhalten auch
ein Rezeptbuch. 20 Euro kosten ein Solarkocher und eine Schulung
in diesem umweltschonenden Kochen. Für die Frauen kann es
unter Umständenlebensrettend sein. Auch Sie können das
GfbV-Solarkocher-Projekt mit Ihrer Spende unterstützen
(Stichwort: Frauen in Darfur, Kto. Nr. 7400-201, Postbank
Hamburg, BLZ 200 100 20).
Hanno Schedler ist Mitarbeiter im Afrika-Referat der GfbV.
Traumatisierte Frauen im Panzi-Krankenhaus. Foto: Andre Thiel.
"Seit 1998 sind hunderttausende kongolesische Frauen und
Kinder vergewaltigt worden, mehr als fünf Millionen Menschen
starben. Eines der ersten Opfer waren meine beste Freundin -
beinahe meine Schwester - und ihr Mann. Ihr Körper war von
über 100 Einschüssen durchlöchert; ihr Mann war
nicht weit weg erschossen worden. Damals dachte ich noch, es
handele sich um eine einzelne Tragödie. Aber ab 1999 bekam
ich mehr und mehr Gewalt gegen Frauen und Kinder zu sehen. Im
September 2000, nachdem ein 18 Monate altes vergewaltigtes Baby
auf dem Weg ins Krankenhaus in meinen Armen gestorben war,
hörte ich auf, an den Westen zu glauben." Seit diesen sehr
persönlichen Erfahrungen setzt sich die kongolesische
Menschenrechtlerin Christine Schuler-Deschryver für die
unzähligen Vergewaltigungsopfer im Kongo ein.
Offiziell herrschen seit den Wahlen 2006 Frieden und Demokratie
im Kongo. Aber in der Ostregion Kivu gibt es heute mehr
Vertreibungen und Verbrechen als in Darfur. Erst nach Jahren
wurde die unmenschliche Gewalt der Milizen gegen Zivilisten
international überhaupt zur Kenntnis genommen. Inzwischen
nutzt jede Kriegspartei von der lokalen Stammesmiliz bis zur
nationalen Armee Vergewaltigung als Zeichen der Macht und als
Mittel der Einschüchterung. Schuler-Deschryver
unterstützt das Panzi Hospital, ein auf die medizinische
Behandlung vergewaltigter Frauen spezialisiertes Krankenhaus.
Jedes Jahr werden hier rund 3.600 Frauen operiert. "Aber die
Frauen, die ins Krankenhaus kommen, haben gar keine andere Wahl
mehr. Sie sind wie verstümmelt," berichtet
Schuler-Deschryver. "Man muss wissen, wenn in deiner Gemeinschaft
bekannt ist, dass du vergewaltigt wurdest, musst du das Dorf
verlassen. Wenn du überlebst, wird dein Mann dich bitten zu
gehen - meistens mit den Kindern."
Katja Wolff
Seit mehr als fünf Jahrzehnten leiden Ureinwohner im
Nigerdelta Nigerias unter den katastrophalen Folgen der
Ölförderung: Leckende Pipelines, verseuchte Flüsse
und Böden sowie Atemwegserkrankungen machen ihnen das Leben
zur Hölle. Immer öfter erheben auch Ureinwohnerinnen
öffentlich ihre Stimme: "Schon als ich 15 Jahre alt war,
waren die Missstände die gleichen", entrüstet sich
Mercy Olowu, Sprecherin der Frauen des Volkes der Itsekiri.
"Nichts hat sich geändert, nur dass das Land noch mehr
verseucht wurde und unsere Lebensbedingungen noch schlimmer
geworden sind." Gemeinsam mit 300 anderen Frauen ihres Volkes
besetzte die ältere Dame den Bauplatz einer 800 Millionen
US-Dollar teuren Erdgaspipeline im Sommer 2010. Beherzt hinderten
die Demonstrantinnen die Firmen daran, ihre Baumaschinen von der
besetzten Baustelle abzuziehen. Die Ureinwohnerinnen bezeichnen
es als skandalös, dass das Megaprojekt zwar Energie für
ganz Nigeria sichern soll, aber ihr neben der Pipeline liegendes
Dorf keine Elektrizität bekommt.
Die Frauen fordern mehr wirtschaftliche Förderung ihrer
Dörfer und Arbeitsplätze für die vielen jungen
Bewohner ihrer Siedlung. Denn ohne Perspektive schließen
sich immer mehr Jugendliche Milizen an, die mit Entführungen
ausländischer Experten Geld von den Energiekonzernen
erpressen. "Doch das bringt nur neue Gewalt, da sich Armee und
Polizei brutal an uns Frauen rächen", erklärt Olowu.
Bei solchen Strafaktionen werden nicht nur regelmäßig
Dörfer der Urbevölkerung zerstört, sondern auch
Frauen vergewaltigt.
Doch viele Frauen haben inzwischen auch Angst vor den schwer
bewaffneten Jugendlichen. Sie tragen Gewalt in die indigenen
Siedlungen, der oft auch Frauen und Mädchen zum Opfer
fallen. Die Waffen machen die Jugendlichen unberechenbar. Deshalb
verlangen die Frauen bei ihren Demonstrationen die Entwaffnung
der Milizen, obwohl diese behaupten, für die Rechte der
Urbevölkerung zu kämpfen.
Ulrich Delius
Indigene Frauen demonstrieren im kanadischen Vancouver beim Women's Memorial March. Foto: Christopher Bevacqua, flickr.
Mit dem Bericht "Stolen Sisters" wurde die Öffentlichkeit
2004 erstmals mit einem bis dahin verdrängten Thema
konfrontiert: In Kanada sind seit den 1970-er Jahren 582 indigene
Frauen spurlos verschwunden oder ermordet worden. Die
Dunkelziffer ist ungleich höher. Weder die politischen
Verantwortlichen noch Justiz und Polizei wollten sich ihrer
Verantwortung stellen und reagierten mit Schweigen. Erst der
Druck von Menschenrechtsorganisationen und UN-Gremien scheint ein
Umdenken zu bewirken. Im Oktober 2010 verkündete die
kanadische Regierung ein Aktionsprogramm, das allerdings eher
Symptome als Ursachen beseitigt.
Vor allem in der Provinz British Columbia häufen sich bis
heute die Gewalttaten, die sich gegen die Schwächsten der
kanadischen Gesellschaft richten. Die Opfer sind als Indigene und
Frauen doppelt diskriminiert. Frauen, die in den indigenen
Gemeinschaften einen wichtigen und geachteten Platz einnahmen -
auch wirtschaftlich -, wurden durch die Kolonialisierung in eine
Rolle gedrängt, die sie entrechtet und auf ein "wertloses"
(Sex-)Objekt reduziert. Die Gewaltopfer reichen von jungen
Mädchen bis zu älteren Frauen, doch in der
Berichterstattung ist zumeist von Drogenabhängigen und
Prostituierten die Rede. Sicherlich, sie gibt es auch, aber
warum? In den Reservaten herrschen auch im 21. Jahrhundert Elend,
Armut und Perspektivlosigkeit. In den Städten sind die
Chancen kaum besser, die Diskriminierung ist jedoch umso
präsenter. Bundes- und Provinzregierungen verschachern die
Ressourcen indigenen Landes an Konzerne und überlassen die
indigenen Völker der Armut.
Die Täter werden nur selten zur Rechenschaft gezogen. Die
Polizei ist schlecht ausgebildet, die Justiz zu nachlässig,
die Politik meist gleichgültig. Am 12. November 2010
unterzeichnete Kanada die UN-Deklaration der Rechte der Indigenen
Völker. Wenn die kanadische Regierung dieses Bekenntnis
ernst meint, wäre ein umfassender Schutz indigener Frauen
ein erster Beweis.
Monika Seiller
Bereits während des 36-jährigen Völkermordes in
Guatemala (1960-1996) waren die Frauen der Maya-Völker in
besonderem Maße Opfer des staatlich verordneten Terrors
gegen die Zivilbevölkerung. 200.000 Maya-Angehörige
verloren dabei ihr Leben. Vertreibung, Folter und
Vergewaltigungen waren systematische Mittel der Gewalt. Eine
ausreichende Aufarbeitung der Kriegsverbrechen hat bis heute
nicht stattgefunden. 15 Jahre nach der Unterzeichnung des
Friedensabkommens sind noch immer die Maya-Frauen die am
stärksten benachteiligte Gruppe des Landes. Sie sind einer
mehrfachen Diskriminierung ausgesetzt: Als Indianerinnen sind sie
einerseits rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, zudem werden
sie aufgrund ihres Geschlechts ausgegrenzt.
Die Kultur des Machismo im heutigen Guatemala bringt eine extreme
Verachtung und Gewalt gegenüber Frauen hervor. Die Morde an
meist indigenen Frauen und Mädchen haben innerhalb der
vergangenen zehn Jahre kontinuierlich zugenommen. Auffällig
ist dabei die extreme Brutalität der Taten. Viele Opfer
wurden vor ihrer Ermordung gefoltert, vergewaltigt oder
verstümmelt. Ihre Leichen werden häufig einfach am
Straßenrand oder auf Deponien liegen gelassen. Die traurige
Tradition der Straflosigkeit in Guatemala für derartige
Verbrechen führt dazu, dass meist keine ernstzunehmende
Untersuchung der Mordfälle stattfindet. Gerade bei Opfern
indigener Herkunft zeigen die zuständigen Instanzen oft
wenig Interesse an der Aufklärung der Verbrechen.
Anna-Lena Herkenhoff studiert Soziologie in Münster, verbrachte ein Semester in San Sebastián, Spanien, und absolvierte ein Praktikum im GfbV-Indigenen-Referat.
Nach offiziellen Angaben wurden während der
Regierungszeit Alberto Fujimoris (1990-2000) rund 300.000 Frauen,
vor allem Quechua, in Peru sterilisiert. Unterlagen des
staatlichen Menschenrechtsbüros belegen, dass dies bei
mindestens 2.074 Frauen gegen ihren erklärten Willen
erfolgte. Viele wussten nicht, was mit ihnen geschah oder wurden
nicht über die Konsequenzen aufgeklärt. Anderen wurde
gedroht, bei einer Verweigerung nicht wieder in staatlichen
Gesundheitszentren behandelt zu werden. Nur circa zehn Prozent
der Betroffenen sollen dem Eingriff zugestimmt haben, nachdem
ihnen Lebensmittel, Geld oder Medikamente versprochen wurden. Die
Bedingungen während der Operation waren so katastrophal,
dass Dutzende Frauen dabei starben.
Das staatliche Gesundheitspersonal wurde damals gezwungen, jeden
Monat eine vom Gesundheitsministerium festgelegte Quote von
Frauen zu sterilisieren. Dieses Programm wurde von
internationalen Geldgebern wie dem Weltbevölkerungsfonds der
UN (UNFPA) und der US-amerikanischen Hilfsorganisation USAID
finanziell unterstützt. Dennoch lehnte der für
Menschenrechtsvergehen zuständige Staatsanwalt Perus Jaime
Schwartz eine Klage gegen vier ehemalige Minister des
Fujimori-Regimes im Mai 2009 ab: Die Fälle seien als
Vergehen gegen Leib, Leben und Gesundheit fahrlässige
Tötung und somit verjährt. Obwohl die Klage auf
Völkermord und Folter lautete und
Menschenrechtsorganisationen gegen die Entscheidung Beschwerde
einreichten, bestätigte die Staatsanwaltschaft das Urteil.
Die Vereinigung zwangssterilisierter Frauen aus der Andenprovinz
Anta will nun mit einer neuen Klage, die auf Zeugenaussagen von
rund 100 Quechua-Bäuerinnen basiert, gegen die
Straflosigkeit vorgehen. Rückendeckung erhält sie von
der Quechua-sprachigen Abgeordneten Hilaria Supa, deren Tochter
ebenfalls zwangssterilisiert wurde.
Yvonne Bangert ist Indigenen-Referentin der GfbV.
Jasna Causevic
Seit 20 Jahren engagieren sich 'Frauen in Schwarz' in Serbien für Frieden, Versöhnung und die Verurteilung von Kriegsverbrechern.
Die serbische Friedensbewegung "Frauen in Schwarz" wurde am 9.
Oktober 1991 aus Pro- test gegen die serbische Kriegspolitik in
Belgrad gegründet. Vorbild war die gleichnamige Organisation
in Israel, die seit 1988 Mahnwachen zur Beendigung des Konflikts
zwischen Palästinensern und Israeli abhält. 20 Jahre
später zählen Frauen aller Generationen,
Nationalitäten, Religionen, Glaubensgemeinschaften und
Schichten zu ihren Aktivistinnen.
Das Netzwerk bildete in den Kriegsjahren 1991 bis 1995 eine
Anlaufstelle für Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und
deren Angehörige. Man half Flüchtlingen und
Kriegsopfern. Heute setzen sich die " Frauen in Schwarz" für
die Auslieferung von Kriegsverbrechern und deren Verurteilung
durch nationale Gerichte so- wie das Internationale
Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (ICTY) ein. Während des
gesamten Bosnien-Krieges widersetzten sich die "Frauen in
Schwarz" unter ihrer Vorsitzenden Staša Zajovic auf
Belgrads Straßen dem von Slobodan Miloševics Regime
geschürten Hass unter den Völkern auf dem Balkan und
dem Krieg. Von Diffamierungen, wie sie seien eine "Schande
für Serbien und das serbische Volk", ließen sie sich
nicht einschüchtern.
Stattdessen verlangten die "Frauen in Schwarz"
unmissverständlich und immer wieder die konsequente
Bestrafung der Kriegsverbrecher. Außer- dem forderten sie
die gesellschaftliche und kulturelle Elite Serbiens dazu auf, die
moralische Verantwortung für die Kriege in Kroatien,
Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo sowie für
Kriegsverbrechen auf dem Westbalkan zu übernehmen. Dem
Männlichkeitsideal serbischer Nationalisten stellt die
Bewegung einen konsequenten Pazifismus entgegen.
Seit den 1990-er Jahren haben die "Frauen in Schwarz" immer
wieder gewaltfreie Proteste organisiert. Bisher gab es mehr als
1.000 Mahnwachen, Aktionen und Demonstrationen. Um sich besser zu
vernetzen, fortzubilden und so ihre Ziele effektiver verfolgen zu
können, organisieren die " Frauen in Schwarz"
regelmäßig Bildungsseminare, Workshops für
Aktivistinnen, Konferenzen sowie öffentliche
Diskussionsveranstaltungen. Ganz besonders wichtig ist für
sie der enge Kontakt zu anderen Gruppen der "Frauen in Schwarz"
sowie zu pazifistischen Vereinigungen und Frauenorganisationen im
In- und Ausland.
So bestehen beispielsweise gute Verbindungen zum Zentrum für
Frauen- und Friedensbildung in Kotor (Montenegro), zum Zentrum
für Frauen-Opfer des Krieges in Zagreb und dem Zentrum
für Frauenstudien in Zagreb (Kroatien), zum Verein Frauen
für Frauen in Sarajevo und der Stiftung CURE in Sarajevo,
zum Bürgerverein "Frauen von Srebrenica" in Tuzla, (alle
Bosnien und Herzegowina) und zum Frauennetzwerk des Kosovo. Durch
ihre Initiativen und ihre Präsenz auf dem Balkan sind die
"Frauen in Schwarz" in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur
ein wichtiger Teil der hiesigen Friedensbewegung, sondern auch
Teil des Frauen-Friedensnetzwerkes in der ganzen Welt
geworden.
Weiterführende Informationen: www.zeneucrnom.org
Felicia Langer: 'Ich kann mit Unrecht nicht leben, ohne etwas dagegen zu tun' Foto: UNiesert (Wikimedia Commons).
bedrohte völker: Welcher Ihrer vielen Preise bedeutet
Ihnen am meisten?
Felicia Langer: Der Alternative Nobelpreis, die wichtigste
Auszeichnung nach dem Nobelpreis, war für mich die
Krönung. Ich habe aber auch das Bundesverdienstkreuz Erster
Klasse sehr geschätzt. Obwohl die Resonanz danach die
schlechteste war, gab es auch viel Solidarität.
bedrohte völker: 1950 sind Sie mit Ihrem Mann nach Israel
ausgewandert und haben dort Jura studiert. Wie war der Beginn
für Sie als Anwältin in einer
"Männerdomäne"?
Felicia Langer: Ich musste mich durchsetzen, die Bessere sein.
Das habe ich verinnerlicht. Es war nicht immer leicht. 1965 bis
1967 habe ich die Armen und Unterprivilegierten verteidigt. Das
war nicht lukrativ, brachte mir aber Genugtuung.
bedrohte völker: Wie sind Ihre palästinensischen
Klienten auf Sie als Frau gestoßen?
Felicia Langer: Ich war damals die einzige Rechtsanwältin,
die Palästinenser auf der Basis von Solidarität und
Verständnis verteidigt hat. Vielleicht wollten sie auch
sehen, ob sie bei mir Empathie finden. Mein erster Mandant war
ein Imam! Er kam mit seiner Frau, ihr Sohn war im Gefängnis.
Sie hatten sein Blut beflecktes Hemd bekommen und wussten, er war
geschlagen worden. In dem Moment war ich Mutter und weinte mit
den Eltern. So brach die Mauer zwischen uns. Ich glaube, wenn es
Anteilnahme, Verständnis und echte Solidarität gibt,
ist die Geschlechter- frage zweitrangig.
bedrohte völker: Wie sind Sie als
"Menschenrechtsanwältin" berühmt geworden?
Felicia Langer: Das war ein Prozess. Ich war eine Frau, eine
Israelin und verteidigte Palästinenser - Terroristen, warf
man mir immer vor, aber das ist unwahr! Leute, die israelische
Zivilisten verfolgt haben, habe ich nie verteidigt. Doch mit der
"Berühmtheit" ging soviel Hass einher, dass auch das zu
meiner Bekanntheit beigetragen hat. Irgendwann brauchte ich sogar
Leibwächter.
bedrohte völker: Wie sind Ihre männlichen Kollegen mit
Ihnen umgegangen?
Felicia Langer: Diejenigen, die verstanden haben, dass es
für uns ein Muss ist, die Palästinenser in so einer
Situation von Willkür zu verteidigen, hatten sicherlich viel
Sympathie. Andere konnten ihren Hass nicht verbergen. Darunter
habe ich viel gelitten.
bedrohte völker: Warum haben Sie es sich zur Lebensaufgabe
gemacht, sich für Palästinenser einzusetzen?
Felicia Langer: Ich kämpfe, weil die Palästinenser
leiden und entrechtet werden. Das ist eine grausame,
kolonisatorische Besatzung! Ich kann mit Unrecht nicht leben,
ohne etwas dagegen zu tun.
bedrohte völker: Warum haben Sie 1990 Israel
verlassen?
Felicia Langer: Ich habe ab 1987 gemerkt, dass meine Arbeit
vergeblich ist. Das Rechtssystem war eine Farce. Ich war zum
Alibi für ein schlimmes System geworden. Die israelische
Elite brüstete sich: "Wir haben Felicia Langer! In Jordanien
oder Ägypten gibt es keine Felicia Langer!" Ich habe mir
gesagt: "Nein, so etwas willst du nicht machen!" Aus Protest
schloss ich mein Büro. Ich machte das überall publik,
sogar die Washington Post berichtete darüber.
bedrohte völker: Warum haben Sie Deutschland als neuen
Wohnsitz gewählt?
Felicia Langer: Ich erhielt einen Lehrauftrag der Uni Bremen. So
konnte ich meine Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
fortführen, nur auf andere Art.
bedrohte völker: Die israelische Zeitschrift "You"
zählte Sie 1998 zu den 50 bedeutendsten Frauen der
israelischen Gesellschaft ...
Felicia Langer: Das war wie eine Auszeichnung für mich,
spät aber wichtig!
bedrohte völker: Haben Sie ihr Lebensziel, eine Brücke
zwischen Israel und den Palästinensern zu schlagen,
erreicht?
Felicia Langer: Wenn ich alles Revue passieren lasse, kann ich
wohl sagen, dass die Brücke tatsächlich existiert. Ich
bekomme auch heute noch Anrufe und Anerkennung. Es gibt auch
Mädchen, die mir zu Ehren Felicia genannt wurden. Das zeigt
mir, man muss die Brücke nur bauen, damit sie
fortbesteht.
[zur Person]
Die aus Polen stammende Jüdin Felicia Langer heiratete 1949
Mieciu Langer, der fünf Konzentrationslager überlebt
hatte. 1950 wanderten sie nach Israel aus, wo sie einen Sohn
bekamen. 1959 begann Felicia Langer ihr Jura-Studium. Seit dem
Sechs-Tage-Krieg 1967 verteidigte sie Palästinenser vor
israelischen Militärgerichten und wurde über die
Grenzen Israels hinweg bekannt. Sie schrieb zahlreiche
Bücher. 1990 schloss sie ihre Kanzlei und zog mit ihrem Mann
nach Deutschland.
Hanno Schedler
Weltweit gibt es 900 Rabbinerinnen. Eine von ihnen ist Alina Treiger, die trotz ihrer erst 31 Jahre bereits eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich hat. Sie ist die erste nach dem Holocaust in Deutschland geweihte Rabbinerin. Vor Treiger wurde in Deutschland nur einmal eine Frau ordiniert, die 1902 geborene Regina Jonas.
Alina Treiger wurde im November 2010 zur Rabbinerin ordiniert. Foto: Matthias Süßen (Wikimedia Commons).
Regina Jonas beendete 1930 ihr Studium, fand aber erst
fünf Jahre später einen liberalen Rabbiner, der sie zur
Rabbinerin ordinierte. In den Folgejahren arbeitete sie als
Lehrerin und Seelsorgerin in einem jüdischen Krankenhaus in
Berlin. 1942 wurde sie ins Konzentrations- lager Theresienstadt
deportiert. Mit dem ebenfalls dort internierten Wiener
Psychoanalytiker Viktor Frankl betreute sie Mithäftlinge
seelsorgerisch, um diese vor dem Selbstmord zu bewahren. Im
Oktober 1944 wurde Jonas dann nach Auschwitz gebracht und dort
wahrscheinlich am 12. Dezember 1944 ermordet.
Alina Treiger wurde 1979 in der ukrainischen Stadt Poltawa
geboren. Bereits in jungen Jahren war sie sich ihrer
jüdischen Wurzeln bewusst, obwohl es in Poltawa weder eine
jüdische Gemeinde noch eine Synagoge gab. Ihr Vater Phula
Treiger durfte als Jude unter der kommunistischen Herrschaft
nicht studieren. Da ihre Mutter keine Jüdin war, wuchs Alina
Treiger nicht als Jüdin auf und trat erst später zum
Judentum über. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lernte
Treiger andere Juden kennen und gründete einen
jüdischen Jugendclub. Sie empfand die Rolle der Frau im
vorherrschenden orthodoxen Judentum jedoch nicht als
zufriedenstellend und wandte sich dem liberalen Judentum zu.
Nachdem sie zunächst ein Musikstudium aufgenommen hatte, war
es eine neuntätige Reise nach Israel im Jahr 1998, die ihr
ihre Religion zur Berufung und dann zum Beruf werden
ließ.
Die Weltunion des Progressiven Judentums (WUPJ) ermöglichte
ihr in Moskau zunächst eine Ausbildung als
Gemeindearbeiterin und bot ihr dann ein Studium in Deutschland
an. Am 7. Juli 2001 traf Alina Treiger mit einem kleinen Koffer
und ohne Deutschkenntnisse in Berlin ein, um mit einem
Studentenvisum am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg der Uni-
versität Potsdam zu studieren. Das Kolleg wurde 1999 als
erste akademische Ausbildungsstätte für Rabbiner in
Mitteleuropa seit der Schließung der Hochschule für
die Wissenschaft des Judentums 1942 gegründet und arbeitet
mit der Universität Potsdam zusammen. Am 4. November 2010
wurde Alina Treiger in der Synagoge Pestalozzistraße in
Berlin-Charlottenburg im Beisein von Bundespräsident
Christian Wulff und der damaligen Präsidentin des
Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, zur
Rabbinerin geweiht.
Über ihre Weihung wurde international berichtet. Der BBC
sagte sie: "Ich habe diese Arbeit nicht ausgesucht. Sie hat mich
ausgesucht." Alina Treiger betreut nun die Ge- meinden in
Oldenburg und Delmenhorst. Dort bilden in den meisten Gemeinden
Zuwanderer aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion einen
großen Teil der ungefähr 500 Gemeindemitglieder. Alina
Treiger sieht es als Vorteil an, dass sie den Mitgliedern in
ihrer Gemeinde, die noch nicht so gut Deutsch sprechen und zur
Zeit des Kommunismus wenig Kontakt zu ihrer eigenen Religion
hatten, das Judentum auch auf Ukrainisch oder Russisch nahe
bringen kann.
Das liberale Judentum
Die Ursprünge des liberalen Judentums sind vor allem im
Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts zu finden. Sie gehen
unter anderem auf Ideen von Moses Mendelssohn, Israel Jacobsohn
und Abraham Geiger zurück. Die liberale Strömung
interpretiert die Offenbarung nicht als einmaligen Akt, bei dem
Moses durch Gott wörtlich die Thora ("schriftliche Lehre)
und alle Auslegungen ("mündliche Lehre", später im
Talmud niedergeschrieben) erhielt, sondern als einen von Gott
ausgehenden und durch Menschen vermittelten, dynamischen und
andauernden Prozess. Im liberalen Judentum gilt in allen
religiösen Belangen die Gleichheit von Mann und Frau.
Im Folgenden drucken wir Auszüge aus einer Rede der kurdischen Menschenrechtlerin Leyla Zana beim ersten Kongress kurdischer Frauen aus der Türkei, dem Irak, dem Iran, Syrien, Europa und den GUS-Staaten in Diyarbakir (Türkei) im April 2010. Leyla Zana saß unter anderem elf Jahre im Gefängnis, weil sie ihre kurdische Muttersprache vor dem türkischen Parlament benutzte.
Unsere [kurdischen] Frauen waren seit Qasr-e Schirin und
Lausanne [die Verträge Qasr-e Schirin (1639) und Lausanne
(1923) teilten das Land der Kurden, d. Red.] politischer,
kultureller und religiöser Verfolgung sowie
ökonomischer Ausbeutung ausgesetzt. Deshalb müssen wir
viel Kraft aufbringen, um eine friedliche, demokratische und
für Frauen gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen.
Diese Konferenz ist nicht nur wegen der Ungerechtigkeiten Frauen
gegenüber und der Beeinträchtigungen ihrer Rechte
notwendig. Auch Themen wie Steinigung, Frauenbeschneidung,
Ehrenmorde, Blutrache, Zwangsheirat, sexuelle Gewalt,
Vergewaltigung und das Verbot der Muttersprache sind aktuelle und
alltägliche Probleme, denen wir uns widmen müssen. Auch
wenn es uns nicht möglich sein wird, diese schrecklichen
Angelegenheiten von heute auf morgen zu lösen, glaube ich,
dass wir als Betroffene und Unterstützer eine Wirkung in der
Öffentlichkeit entfachen können. Es ist unser
Bedürfnis, von nun an organisiert an diesen Themen
zusammenzuarbeiten.
Die kurdischen Frauen kämpfen einerseits für ihre
Rechte als Frauen, aber auch für die nationale
Identität und Freiheit der Kurden. So ist die kurdische Frau
häufig die Stimme der Unterdrückten und Stimmlosen
geworden. Die kurdischen Frauen, die in Kurdistan und in der
Diaspora leben, versammeln sich heute zum ersten Mal. Wir sehen,
dass viele Nationen und Staaten versuchen, zu den Kurden
Beziehungen aufzubauen. Wenn wir Kurden in unseren eigenen
Kreisen offen und ehrlich kommunizieren, kann auch mit den
Nachbarstaaten ein gesünderer Dialog entstehen. Solange
Kurden untereinander nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen,
kann es keine Solidarität von anderen mit uns geben. Ohne
Solidarität, keine Einheit, ohne Einheit keine Stärke,
ohne Stärke keine Friedenssicherung!
[Übersetzung Cigdem Cagirigi].
'Samstagsmütter' in Diyarbakir. Foto: Ahmet Ün.
Kurdische "Samstagsmütter" suchen ihre
Söhne
Im Schneidersitz demonstrieren kurdische Frauen in Diyarbakir.
Die "Samstagsmütter" halten umrahmte Fotos vermisster
Angehöriger in den Händen. Jeden Samstag treffen sie
sich zum stillen Protest, auf der Suche nach ihren Männern,
Söhnen, Brüdern oder Vätern. Denn auch wenn der
Krieg zwischen der kurdischen Untergrundorganisation PKK und dem
türkischen Staat - dem 1984 bis 1999 rund 42.000 Menschen
zum Opfer fielen - offiziell vorbei ist, werden bis heute 17.000
Kurden vermisst. Die Initiative der Samstagsmütter entstand
1995 in Istanbul: Anfang der 1990-er Jahre waren die Fälle
des "Verschwindenlassens" in der Türkei rasant angestiegen.
Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung wurde systematisch
gegen die PKK und die kurdische Zivilbevölkerung
vorgegangen.
Am 21. März 1995 verschwand der 30 Jahre alte Lehrer Hasan
Ocak, 55 Tage später identifizierte seine Mutter seine
Leiche. Unter ihrer Führung trafen sich die Mütter
erstmals am 27. Mai 1995 in Istanbul. Von nun an protestierten
sie jeden Samstag. Sie wollten sich der türkischen Regierung
und Justiz, die zu den Morden schwieg, entgegenstellen. Sie
wollten die Verbrechen bekannt machen und weitere verhindern.
Vier Jahre lang bestanden sie gegen fortwährende
Unterdrückungsversuche durch die Türkei. Die Initiative
weitete sich auf andere Städte wie auf Diyarbakir aus, wo
sich die Samstagsmütter bis heute jede Woche treffen.
Carina Schlüsing
Cinur Ghaderi
Es gibt nicht "DIE" Frauen im autonomen Kurdistan, es gibt Parlamentarierinnen wie Bäckerinnen, Professorinnen wie Analphabetinnen, Unverheiratete wie in Polygamie Lebende, ältere Frauen, die die Baath-Diktatur erlebt haben, und jüngere Frauen. Die Zeit während der Diktatur unterschied sich wesentlich von der aktuellen Situation, auch wenn der historische Einfluss unübersehbar ist.
'Barzan-Frauen' mit den GfbV-Vertreterinnen Fadila Memisevic (Mitte) und Maria Sido (2.v.r.). Foto: GfbV-Archiv.
Kurdische Frauen im Irak wurden unter Saddam Hussein von 1968
bis 2003 ebenso wie kurdische Männer (Muslime und Yeziden)
und Angehörige anderer Minderheiten
(Assyro-Chaldäer-Aramäer, Turkmenen) Opfer
genozidähnlicher Angriffe, durch die bis zu 500.000 Menschen
starben.
Vom 16. bis 18. März 1988 bombardierten 88 irakische
Flugzeuge die 80.000 Einwohner zählende kurdische Stadt
Halabja mit Giftgas. Mindestens 7.000 Menschen starben oder
erlitten dauerhafte Gesundheitsschäden. Unter dem Codewort
"Anfal" führte die irakische Armee 1988 und 1989 einen
organisierten Massenmord an der Zivilbevölkerung Kurdistans
durch. Arbeitsfähige Männer im Alter von elf bis 50
Jahren wurden gezielt ermordet, um Gegenwehr zu verhindern.
Tausende Dörfer wurden zerstört, hunderttausende
Menschen ermordet und verschleppt. Von den meisten fehlt bis
heute jede Spur. Saddam Husseins Cousin Ali Hassan Al Majid
(bekannt als "Chemie Ali") leitete die "Anfal-Kampagne". Einer
der tragischsten Höhepunkte der Saddam-Diktatur war der 30.
Juli 1983: An diesem Tag wurde praktisch die gesamte
männliche Bevölkerung des Barzan-Tals vom irakischen
Militär auf Lastwagen verladen und deportiert.
Die Frauen verloren ihre Männer und Söhne, Brüder
und Väter. Die 8.000 Männer tauchten nie wieder auf.
Alle Deportierten waren erschossen worden. Diese Ereignisse sind
für die Witwen in Germian und Barzan alltägliche
Gegenwart. Auch die Gedanken der Anfal-Witwen kreisen um ihre
Toten und Verschollenen. Sie wurden zwar teilweise von der
Regierung mit einer kleinen Rente und einem Stück Land
unterstützt, doch viele warten nach wie vor auf die
Öffnung der zahlreichen Massengräber im Irak - auf
Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen,
Wiedergutmachung und die Anerkennung ihrer traurigen
Erfahrungen.
Die genozidähnlichen Offensiven hatten auch Auswirkungen auf
die Kultur der betroffenen Minderheiten: Der Terror führte
zum Festhalten an traditionellen und religiösen Strukturen
als Teil einer als bedroht wahrgenommenen Identität. So
können Anfal-Witwen nicht einfach ein neues Leben beginnen
und arbeiten. Ohne männliche "Beschützer", ob Mann,
Vater, Bruder oder Sohn, stehen sie selbst in der 2. Generation
unter enormem gesellschaftlichem Druck.
Ermutigend in dieser Hinsicht sind Opferverbände und
Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich beispielhaft
für die Anfal-Frauen engagieren: Haukari setzt sich für
die Errichtung von Denkmälern unter Beteiligung der Opfer
mit dem Ziel der Aufarbeitung der Ge- schichte und der
öffentlichen Anerkennung ihres Leides ein. Die NGO "Vejin",
die Anfang 2007 mit Unterstützung der GfbV gegründet
wurde, hat ihren Sitz in Barzan und recher- chiert das Schicksal
der Genozid-Opfer im Barzan-Tal, um ihren Angehörigen
Gewissheit zu geben. Außerdem verbessert sie die
Lebensbedingungen der Überlebenden durch humanitäre und
logistische Hilfe.
Die Politik in Irakisch-Kurdistan thematisiert zwar Themen wie
Anfal und Geschlechtergerechtigkeit, doch nicht selten zur
Legitimation eigener Machtansprüche. Dies macht sich daran
bemerkbar, dass aus den Diskussionen um "gender equality" keine
ernsthaften Konsequenzen gezogen werden. Die Rechte von Frauen -
wie die Quote für Parlamentssitze für weibliche
Abgeordnete - werden oft nur halbherzig umgesetzt.
Dipl.-Psych. Cinur Ghaderi arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge (PSZ) in Düsseldorf. Sie wurde 1970 in Suleimania/Irakisch-Kurdistan geboren und war jahrelang freie Mitarbeiterin beim WDR.
Katja Wolff
Tragischer hätte ihr Schicksal kaum sein können. Ihr Mann, der bekannte mongolische Menschenrechtler Hada, hatte seine 15-jährige Haftstrafe abgesessen. Am 10. Dezember 2010 sollte er entlassen werden. Am Tag der Menschenrechte. An dem Tag, an dem der ebenfalls inhaftierte chinesische Schriftsteller Liu Xiaobo in Abwesenheit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die 55-jährige Xinna wartete sehnsüchtig auf die Freilassung ihres Mannes Hada. Doch die chinesischen Sicherheitsbehörden hatten Angst vor Unruhen und verschärften ihre Sicherheitsvorkehrungen.
Xinna und Sohn Uiles besuchen Hada (Mitte) im Gefängnis. Foto: free-hada-now.org.
Am 4. Dezember 2010 wurde Xinna in ihrem Buchladen in Hohot,
der Hauptstadt der Autonomen Region Innere Mongolei, von
chinesischen Sicherheitskräften festgenommen. Die Polizei
konfiszierte hunderte Bücher, CDs und vieles mehr und
ließ das Geschäft verriegeln. Gleichzeitig wurde das
Lager des Buchladens durchsucht, wo Xinnas und Hadas Sohn Uiles
arbeitete. Er eilte in ein Internetcafe und informierte
internationale Medien über die Festnahme seiner Mutter. Kurz
darauf wurde auch er festgenommen.
Kurz vor der Verleihung des Friedensnobelpreises und der
Freilassung des Menschenrechtlers fürchteten die
Behörden auch in der Inneren Mongolei mögliche Unruhen.
Hada hatte sich jahrzehntelang für die Kultur, Sprache,
Religion und politische Mitbestimmung der Mongolen eingesetzt.
Die rund 5,8 Millionen Mongolen der Inneren Mongolei wurden im
20. Jahrhundert systematisch "sinisiert", mongolische Nomaden
zwangsangesiedelt. Durch massive Einwanderung von Han-Chinesen
wurden sie zur Minderheit in ihrer eigenen Region.
Xinna hatte ihren Mann in seinen politischen Anliegen immer
unterstützt - und wurde dafür auch selbst mehrmals mit
fadenscheinigen Begründungen festgenommen. Als Hada 1995
wegen "Spionage", "Separatismus" und der "Organisation konter-
revolutionärer Truppen" inhaftiert wurde, hängte Xinna
ein Schild an der Tür ihres gemeinsamen Buchladens auf: Hada
und andere Aktivisten seien ins Gefängnis gebracht oder
drangsaliert worden, stand darauf. Daraufhin wurde Xinna am 16.
Dezember 1995 in Gewahrsam genommen. Am 12. Januar 1996
entließ man sie auf Kaution. Doch bereits am 28. Januar
verhaftete man sie erneut, nachdem sie ausländischen
Journalisten ein Interview gegeben hatte. Auch dieses Mal wurde
sie nicht offiziell angeklagt, kam aber erst im April wieder auf
freien Fuß.
Während der 15-jährigen Haft ihres Mannes schrieb Xinna
zahlreiche Bittbriefe unter anderen an den chinesischen
Präsidenten und den Premierminister, an chinesische
Behörden und Gefängnisleitungen. In einem Brief an
Präsident Hu Jintao und Premier Wen Jiabao beklagte sie den
schlechten Gesundheitszustand ihres Mannes: "Jedes Mal, wenn ich
ihn bei meinen Besuchen sehe, bricht mir das Herz. Er sieht ganz
anders aus als vor seiner Gefangenschaft."
In einem Schreiben an den damaligen US-Präsidenten Bill
Clinton bei einem Besuch in China im Juni 1998 schrieb Xinna: "Im
März 1997 ging ich nach Chifeng, um meinen Mann zu besuchen.
Sofort, als ich wieder zurück in Hohot war, rief mich das
Büro für Öffentliche Sicherheit der Inneren
Mongolei (IMPSB) an und forderte mich auf, alles zu
erzählen, was ich meinem Mann gesagt hätte. Sie haben
mich meiner Redefreiheit beraubt." Den Präsidenten bat sie,
bei seinem Besuch die chinesische Regierungen dazu aufzufordern,
"(1) dass alle Menschen in China, auch die Angehörigen von
Minderheiten, eine reelle Freiheit für
Meinungsäußerung, Veröffentlichungen,
Versammlungen, Vorführungen und Demonstrationen
genießen können, wie es die Verfassung vorsieht, (2)
dass chinesisches und internationales Recht strikt eingehalten
wird und Minderheiten ein Recht auf Selbstbestimmung haben, (3)
dass mein Mann Hada sowie weitere politische Gefangene
freigelassen werden und die Unterdrückung von Minderheiten
aufhört." Seit ihrer Festnahme im Dezember 2010 ist weder
Xinnas, Hadas noch Uiles Aufenthaltsort bekannt.
Astrid Bracht
Seit Jahrzehnten kämpft Aminatou Haidar, die "Gandhi der Sahauris", wie ihre Landsleute sie ehrfurchtsvoll nennen, für die Unabhängigkeit der Westsahara. Die ehemalige spanische Kolonie ist seit 1975 völkerrechtswidrig von Marokko besetzt. Mit Entführungen, willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen und Folter von Gefangenen, der systematischen Unterdrückung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit versucht die marokkanische Regierung, gewaltsam ihre Kontrolle über die Sahauris durchzusetzen.
Aminatou Haidar im Kreis einiger Freundinnen nahe El Aaiún. Foto: Saharauiak (Wikimedia Commons).
Aminatou Haidar verbrachte Jahre in marokkanischen Kerkern.
Die Vorsitzende des Kollektivs Sahaurischer
Menschenrechtsverteidiger (Collectif des défense sahraouis
des droits de l´homme - CODESA) spielte eine führende
Rolle bei mehreren Kampagnen für die Freilassung politischer
sahaurischer Gefangener. Sie macht sowohl in ihrem Land, aber
auch international auf Menschenrechtsverletzungen in der
Westsahara aufmerksam. Für ihr friedliches Engagement wurde
sie mit internationalen Preisen gewürdigt und 2008 für
den Friedensnobelpreis nominiert.
Im Dezember 2009 bezahlte Haidar den Wunsch, in ihre Heimat
zurückkehren zu dürfen, fast mit dem Leben. Die damals
42-Jährige hatte in den USA einen Preis für
Zivilcourage entgegengenommen, der jedes Jahr für den
"unerschütterlichen Widerstand gegen Böses trotz
erheblichem persönlichen Risiko" vergeben wird. Am 14.
November 2009 wollte sie wieder in die Westsahara einreisen. Wie
immer gab sie auf dem Einreiseformular bei der Frage nach der
Nationalität "sahaurisch" und nicht "marokkanisch" an. Mit
der Begründung, sie leugne ihre marokkanische
Identität, nahmen ihr marokkanische Behörden den Pass
ab und ließen die zweifache Mutter auf die spanische
Urlaubsinsel Lanzarote ausfliegen. "Entweder man ist Marokkaner
oder Verräter" kommentierte der marokkanische König
Mohammed VI. dieses Vorgehen.
Aus Protest gegen ihre unrechtmäßige Deportation und
weil Spanien sie ohne gültigen Pass nicht ausreisen lassen
wollte, trat Haidar auf dem Flughafen von Lanzarote in einen
Hungerstreik. "Ich werde nach El Aaiún zurückkehren",
versicherte die Menschenrechtlerin, "mit Pass oder ohne, lebendig
oder tot". In den folgenden Wochen wurde ihr Fall zu einem
internationalen Problem für Marokko. Ihr Gesundheitszustand
verschlechterte sich zusehends. Schließlich übten die
EU-Präsidentschaft, US-Außenministerin Hillary Clinton
und UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon massiven Druck auf
Marokko aus, damit Haidar in ihre Heimat zurückkehren
durfte. Am 17. Dezember 2009, dem 32. Tag ihres Hungerstreiks,
musste die Aktivistin in ein Krankenhaus eingeliefert werden.
Kurz darauf erlaubte ihr Marokko die Ausreise in die Westsahara.
"Dies ist ein Triumph für das Internationale Recht, für
die Menschenrechte und für die Westsahara", erklärte
Haidar kurz vor ihrem Abflug.
Aminatou Haidar, geboren 1967 in El Aaiún, besitzt einen
Hochschulabschluss in moderner Literatur. Aufgrund ihres
Einsatzes für die Verteidigung der Menschenrechte des
saharauischen Volkes erfuhr sie bereits viel Leid: Im Alter von
20 Jahren nahm sie an einer Demonstration teil, bei der eine
Abstimmung über die Zukunft der Westsahara gefordert wurde.
Sie wurde verhaftet und vier Jahre an einem geheimen Ort
festgehalten. Bei ihrer Freilassung war sie ein Schatten ihrer
selbst, von Folter gezeichnet, konnte sie kaum laufen. Doch ihr
Lebens- und Kampfeswille war ungebrochen. Bei einer Demonstration
im Juni 2005 wurde sie erneut verhaftet. Marokkanische Polizisten
fügten ihr dabei mit Schlagstöcken so schwere
Verletzungen zu, dass die Wunden genäht werden
mussten.
Haidar wurde abermals zu sieben Monaten Haft verurteilt. Damals
trat sie in einen mehr als siebenwöchigen Hungerstreik, um
für sich und ihre Mithäftlinge bessere Haftbedingungen
zu erreichen. Aminatou Haidar wird ihren gewaltlosen Kampf
für die Unabhängigkeit der besetzten Westsahara
fortführen - auch wenn es für sie selbst den Tod
bedeuten sollte.
Helena Nyberg / Incomindios Schweiz
Die Havasupai Carletta und Rex Tilousi. Foto: Ruedi Suter.
"Uranabbau hinterlässt ein giftiges Erbe, lange nachdem
die Bergbauunternehmen den Betrieb einstellen, es schadet unserer
Gesundheit und ver- letzt Mutter Erde", erklärt Charmaine
White Face. Die Sprecherin der Tetuwan Sioux (Lakota) Nation aus
Pine Ridge in Süd-Dakota/USA kämpft mit ihrer
Organisation Defenders of the Black Hills gegen den
Urankreislauf. In den 1950-er Jahren wurde in dem Gebiet um die
Black Hills, die den Lakota heilig sind, Uran entdeckt und
gefördert. Seit mehr als 40 Jahren liegen tausende Minen
still. In Wyoming fließen verseuchte Abwässer direkt
in den Cheyenne River. Hochradioaktives Material gelangt so in
das Cheyenne River Reservat im Westen von Süd-Dakota.
Flussbett, Wasser und das umliegende Land sind verseucht.
Trinkwasser muss ins Reservat befördert werden. Der Wind
verbreitet feinsten Uranstaub. "Kaum eine Großfamilie, die
nicht von der Radioaktivität betroffen ist; viele Kinder
leiden an Leukämie, sie tranken jahrelang kontaminiertes
Wasser", berichtet die von Strahlenschäden gezeichnete
zierliche Frau. Ihr Durchhaltewillen leuchtet trotzdem aus ihren
dunklen Augen. "Meinen Sohn hat man unter fadenscheinigen
Gründen hinter Gitter gesteckt - um mich davon abzuhalten,
unsere Gewässer auf Radioaktivität zu
prüfen."
"Auf unserem Land gibt es zwei Uranminen und 130
Schürfrechte zur Erkundung potenzieller Abbaustätten.
Wir wurden ohne Entschädigung vertrieben. Wir wollen nicht,
dass diese Abbaufirmen unser Land vergiften und unsere
Lebensweise zerstören", erklärt die Tuareg Azara
Jalawi, Vize-Präsidentin der Koordination für die
Zivilgesellschaft in Arlit, Niger. Ohne die Bevölkerung
umfassend aufzuklären, baute die französische
Staatsfirma AREVA Uranerz in den Tuareg-Gebieten ab. Arlit wurde
zum Zentrum des Uranabbaus, die Tuareg-Arbeiter mussten dort
sesshaft werden. Oft erhielten sie statt Lohn Baumaterial
für ihre Häuser, darunter auch verstrahlte Einzelteile.
Die Organisation CRIIRAD brachte später die hohen
Strahlenwerte ans Tageslicht.
"Mein Volk muss mit Uranabbau und Atomwaffentests leben. Wir
spüren die zerstörerischen Folgen der
Radioaktivität am eigenen Leib und beobachten, wie unser
Land langfristigen Schaden davonträgt", schildert Rebecca
Bear Wingfield, stellvertretende Vorsitzende der Australian
Nuclear Free Alliance und Mitglied des Ältestenrates der
Arabunna, Kokatha und Kupa Pita Kungka Tjuta in Australien. Die
resolute Aborigine führt ihre Kinderlosigkeit und
Gesundheitsprobleme auf die radioaktive Strahlung zurück.
Jetzt baut sie ihr weltweites Kontaktnetz mit gleichgesinnten
Gruppen, indigenen Organisationen und Frauen aus, um vor
Gesundheitsschäden durch Uranabbau und Atomwaffen zu warnen.
Sie wechselt ständig ihren Aufenthaltsort. "Man weiß
nie, wann man zur Zielscheibe der Gegenseite wird - aber der
Traum von einer atomfreien Welt ist es mir wert." Carletta
Tilousi ist gebürtige Havasupai und die Nichte des
spirituellen Führers Rex Tilousi. Seit 20 Jahren setzt sie
sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit für
ihr Volk ein - eines der kleinsten indianischen Völker der
USA.
Von Anfang an engagierte sie sich gegen Uranabbau auf Staatsland,
der ihre Wasserscheide und den heiligen Berg Red Butte
gefährden würde (s. pogrom 258). Tilousi ist eine der
wenigen (Frauen) der Pai, die den Weg aus dem engen Canyon zur
Universität von Arizona gefunden haben. Nach ihrem Abschluss
(Justice Studies) kehrte sie zurück und war während
zweier Amtsperioden Regierungsrätin des Stammes- rates
Havasupai Tribal Council. Seit den 1990-er Jahren wurde sie
wiederholt zu Urankonferenzen nach Europa eingeladen, zuletzt
2009 in die Schweiz. Zurzeit ist sie Präsidentin der
gemeinnützigen Red Rock Foundation Inc. für die
Schulung und Unterstützung von indianischen Stämmen,
die von Umweltproblemen betroffen sind.
Anna-Lena Herkenhoff
Mit ihren gerade mal 26 Jahren ist Natividad Llanquileo derzeit wohl eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Mapuche-Bewegung. Seit 34 inhaftierte Mapuche im Juli 2010 einen 80 Tage andauernden Hungerstreik begannen, macht sie sich öffentlich für die Rechte einiger der politischen Gefangenen stark. Sie ist zur Sprecherin der Mapuche in den Haftanstalten in Concepción und Lebu geworden.
Natividad Llanquileo: Seit dem Mapuche-Hungerstreik lässt sie ihr Jura-Studium ruhen. Foto: Méndez_vision, flickr.
Natividad Llanquileo ist eine zierliche junge Frau mit langen
schwarzen Haaren und rehbraunen Augen. Aufgewachsen ist sie in
der Gemeinde Tirúa der chilenischen Provinz Arauco. Etwa
47 Prozent der Bevölkerung Tirúas sind Mapuche. An
ihre Kindheit erinnert sich Natividad so: "Uns ist etwas Gutes
wider- fahren: Wir mussten keinen Hunger leiden. Ja, wir liefen
ohne Schuhe und Kleider umher. Irgendwann schenkte man uns
Kleidung, aber sie war zu groß, für Erwachsene. Wir
sahen lustig aus." Die Eltern arbeiteten, um die Ausbildung ihrer
Kinder finanzieren zu können. Natividad und ihre sechs
Geschwister halfen viel im Haushalt.
"Wir mussten harken, pflügen, kochen oder waschen",
erzählt Natividad. Bei ihrer Erziehung legten die Eltern
viel Wert darauf, dass ihre Kinder Selbstbewusstsein und Stolz
für ihre Mapuche-Identität entwickelten. Niemals
sollten sie sich weniger wert fühlen als andere. Nachdem
Natividad die Schule beendet hatte, zog die junge Mapuche in die
Hauptstadt Santiago de Chile, um Jura zu studieren. Die
Unterdrückung der Mapuche war in Natividads Heimat
allgegenwärtig. Sie erlebte, wie Nachbarn und Bekannte als
vermeintliche Terroristen verhaftet wurden, weil sie ihre
Landrechte mit Protestaktionen gegen die Interessen sich immer
weiter ausbreitender Holzfirmen verteidigten. Bereits ihr Vater
engagierte sich in der Indigenen-Bewegung. Natividad selbst war
eigentlich keine Aktivistin, bis sie im September 2010 als
Sprecherin inhaftierter Mapuche aus dem Gefängnis in
Concepción Bekanntheit erlangte.
Seit 2009 befinden sich zwei ihrer Brüder, Ramón und
Víctor Llanquileo Pilquiman, in Haft. Der inzwischen 29
Jahre alte Ramón sitzt im Gefängnis "El Manzano" in
Concepción, der vier Jahre ältere Víctor ist
in Angol. So oft sie konnte, besuchte Natividad die beiden. Als
sich beide Brüder im Juli 2010 an dem 80-tägigen
Hungerstreik beteiligten, fuhr sie nicht mehr nach Santiago
zurück. Sie blieb in Concepción. Die Streikenden
forderten die Abschaffung des noch aus der Pinochet-Diktatur
stammenden "Anti-Terrorismusgesetz", das noch immer gegen
Mapuche-Aktivisten angewandt wird. Die fünf in
Concepción einsitzenden Mapuche wählten Natividad
Llanquileo schließlich zu ihrer Sprecherin. Seitdem
pausiert sie mit ihrem Jura-Studium und engagiert sich in und
außerhalb Chiles für die Rechte der 17
Mapuche-Gefangenen, die sie inzwischen vertritt.
Im Herbst 2010 war sie deshalb auf einer Lobbyreise in Europa, um
Politiker und Menschenrechtsorganisationen über die aktuelle
Lage der inhaftierten Mapuche zu informieren und internationale
Beobachter für die Prozesse gegen ihre "Schützlinge" zu
gewinnen. Denn mit einem fairen Prozess ist nicht zu rechnen. Der
Kompromiss, der im Sommer zur Beendigung des Hungerstreiks
geführt hatte, habe "auf juristischer Ebene keine
große Relevanz", erklärte Natividad in einem
Gespräch mit der GfbV. "Das Einzige, was erreicht wurde,
ist, dass sie jetzt nicht mehr unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz
[sondern zivilrechtlich, d. Red.] angeklagt werden". Das
könnte sich "begünstigend" auf das Strafmaß
auswirken.
Die 17 Mapuche sollen jedoch nach wie vor verurteilt werden. Sie
haben mit Höchststrafen von 30 bis zu 100 Jahren zu rechnen.
Das zeigt, dass die chilenische Regierung trotz
Zugeständnissen nicht von ihrer repressiven Haltung
gegenüber den Mapuche abweicht. Für Natividad
Llanquileo steht ein langer Kampf bevor.
Anna-Lena Herkenhoff
Um sich gegen die Gewalt und Diskriminierung von Frauen in Guatemala zu wehren, gründeten einige Angehörige der Xinka im Februar 2004 den "Verein der indigenen Frauen von Santa María Xapalpán" (AMISMAXAJ). Die indigenen Frauen engagieren sich hier für die Rechte der Frauen in ihren Gemeinden, setzen sich aber auch für eine Wiederbelebung der Xinka-Identität sowie deren Anerkennung dieser durch den Staat ein. Inzwischen kümmern sie sich auch um den Schutz der Umwelt in ihrer Region Santa María Xalapán im Bundesstaat Jalapa.
Lorena Cabnal: 'Als wir unseren Verein gründeten, durften wir Frauen kaum das Haus verlassen'. Foto: lavozdeasturias.es.
Das Engagement der Xinka-Aktivistinnen entstand aus dem
Bedürfnis heraus, sich Anerkennung und ein Mitspracherecht
zu verschaffen. "Als wir unseren Verein gründeten, war der
Machismo in der Gemeinden so dominant, dass wir Frauen kaum das
Haus verlassen und uns treffen durften", erinnert sich Lorena
Cabnal, Gründungsmitglied und Sprecherin der
AMISMAXAJ.
Durch die patriarchalen Strukturen, die auch in vielen indigenen
Gemeinschaften vorherrschen, wer- den Frauen als
gesellschaftliche und politische Akteure meist nicht ernst-, wenn
überhaupt wahrgenommen. Die Gemeinderäte sind
traditionell männlich besetzt. Selbst wenn eine Frau in ein
politisches Amt gewählt würde, erhielte sie kaum
Gehör. Deshalb versuchen die meisten es gar nicht erst.
AMISMAXAJ versucht daher, die Mitsprachemöglichkeiten und
die politische Bildung der Frauen zu fördern. Damit Frauen
überhaupt beginnen, selbstbewusst mehr Rechte für sich
einzufordern, müssen sie oft erst ein Bewusstsein für
ihre Rolle und Situation entwickeln.
Bereits 2004 schloss sich AMISMAXAJ dem Sector de Mujeres an,
einem Verbund verschiedener guatemaltekischer
Frauenorganisationen. Die Xinka-Frauen nahmen an Kursen für
politische Weiterbildung teil und brachten wichtige Strategien
und Impulse für die Frauenrechtsarbeit in ihre Gemeinden mit
- zum Beispiel die "Schule der Frauen": Diese Initiative
klärt Frauen über ihre grundlegenden Menschenrechte auf
und unterstützt sie dabei, diese - wie etwa im Kampf gegen
häusliche Gewalt - auch durchzusetzen. Im Laufe der Zeit
haben sie genug Wissen, Selbstbewusstsein und praktische
Erfahrungen erlangt, um auch ohne das Wohlwollen der
männlichen Bevölkerung eine aktivere Rolle in ihrer
Gesellschaft einzunehmen.
Basierend auf dieser neuen Rolle - mit all seinem
gesellschaftlichen Gewicht und Mitspracherecht - begann der
Verein, sich auch anderen Themen zu widmen: Seit 2008 ist
AMISMAXAJ beispielsweise in der Region Santa María
Xalapán eine der tragenden Säulen des Widerstands
gegen geplante Projekte des kanadischen Bergbauunternehmens
Goldcorp Inc. geworden. Mit öffentlichen Protestaktionen
stellten sich die Xinka-Frauen dessen Großprojekten in den
Weg. Seither sind die Aktivistinnen vermehrt Drohungen
ausgesetzt. Meist gehen diese von lokalen Politikern oder
Landbesitzern aus, die in die Bergbaugeschäfte verwickelt
sind. Lorena Cabnal wurde nach einer politischen Veranstaltung am
12. Oktober sogar mit dem Tode bedroht. Doch die Frauen lassen
sich nicht einschüchtern. Sie haben sich nach Partnern
umgesehen, die ihnen ein Stück weit Sicherheit
gewährleisten, und werden seit 2009 von Peace Brigades
International unterstützt.
Parvaneh Ghorishi
Seit Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 bestimmt die islamische Gesetzgebung der Scharia das Leben von Millionen Iranern und Iranerinnen. Sie führt zwangsläufig zur massiven Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern: Männer haben ein Recht auf Polygamie, das Sorge- und Scheidungsrecht. Auch im Erbrecht haben Frauen das Nachsehen. Außerdem benötigen sie das Einverständnis ihres Ehemannes oder eines männlichen Familienmitgliedes, um zu verreisen oder zu arbeiten. Frauen werden entmündigt und behandelt, als ob sie unzurechnungsfähig seien.
Seit 1963 haben Frauen im Iran das Wahlrecht, seit 1979 müssen sie in der Öffentlichkeit das Kopftuch tragen. Foto: Amir Farshad Ebrahimi, flickr.
Geschichte der Mann-Frau-Beziehung im Iran des 20.
Jahrhunderts
Von 1906 bis 1911 beendete eine konstitutive Bewegung die
absolutistische Monarchie im Iran und legte damit einen ersten
Grundstein für ein Parlament und eine Verfassung. Die
religiösen Kräfte spielten dabei eine nicht
unbedeutende Rolle. Sie wollten die Scharia schon damals zur
Grundlage des neuen Staatsgefüges machen. Die Debatte
über Frauenrechte innerhalb dieser Bewegung führte
dazu, dass sich die Verfechter eines religiösen Staatswesens
gegen die Konstitutionalisten stellten. Sie argumentierten,
Frauenrechte stünden den Traditionen entgegen und
führten die Gesellschaft ins "Verderben".
Der Vater des Reza Schah stürzte zu Beginn der 1920er Jahre
die Qajaren-Dynastie und riss die Macht an sich. Er versuchte,
nach dem türkischen Vorbild Atatürks, den rigiden
Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben aufzuheben
und eine stärkere "Vermischung" der Geschlechter in Familie
und Öffentlichkeit zu fördern. Bis Ende der 1920er
Jahre hatte die Polizei beispielsweise dafür gesorgt, dass
keine Frau ohne die vorgeschriebene Form der Körper- und
Gesichtsverhüllung in die Öffentlichkeit trat. Erst
1928 wurde den Frauen im Iran erlaubt, unverschleiert auf der
Straße zu erscheinen - allerdings nur mit Erlaubnis ihres
Vaters oder Ehemannes.
Reza Schah setzte schließlich mittels Staatsgewalt ein
Schleierverbot für Frauen in der Öffentlichkeit durch.
Der Polizei wurde befohlen, verschleierte Frauen zu
"entschleiern". In den folgenden Jahrzehnten stieg die Zahl der
Schulabsolventinnen und Studentinnen an. Es wurde toleriert, dass
Frauen Berufe wie Lehrerin oder Erzieherin ergriffen. Der Anteil
der berufstätigen Frau- en stieg auf etwa neun bis 13
Prozent. Es wird davon aus- gegangen, dass diese Zahl bis heute
gleich geblieben ist. 1963 wurde den Frauen im Iran das Wahlrecht
zuerkannt. Im Parlament gab es weibliche Abgeordnete, wobei sie
damals wie heute nicht viel zu sagen, geschweige denn zu
bestimmen hatten.
Während Frauen einige Rechte unter der diktatorischen
Herrschaft des Reza Schah zuerkannt wurden, wurde jegliche
oppositionelle und gewerkschaftliche Bewegung im Keim erstickt
und mit dem Tod oder hohen Gefängnisstrafen bestraft. Es
wurde gemordet und gefoltert. Die Ohnmacht gegenüber einem
restriktiven Herrschaftssystem, das keine Freiheiten erlaubte,
ließ die religiösen Kräfte erstarken. Dazu trug
auch die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion bei.
Für die Amerikaner war der Islam ein Bollwerk gegen die
Gefahr des Einflusses der Kommunisten aus dem Norden.
Kurz nach der Islamischen Revolution verordnete der aus dem
Pariser Exil zurückgekehrte Ajatollah Chomeini im März
1979 das Tragen eines "Hijab" (Kopftuch) für Frauen in der
Öffentlichkeit. Regimeanhänger zerschlugen die von
Frauen organisierte Demonstration gegen diesen wieder
eingeführten Schlei- erzwang. Weil sie sich der neuen
Situation anpassen wollten, unterstützten die linken
Organisationen die Demonstrationen der Frauenverbände gegen
den "Hijab" nicht, sondern kritisierten sie. Sie taten die
Zwangsverschleierung als "Nebenwiderspruch" ab und behaupte- ten,
Bäuerinnen und Arbeiterinnen hätten wichtigere
Probleme. Die Machthaber nutzten meist fadenscheinige Argumente
zur Rechtfertigung der Kopfbedeckung. Der ehemalige
Präsident Bani Sadr behauptete, die Strahlen von
Frauenhaaren würden die männliche Konzentration
beeinträchtigen. Außerdem hieß es, Frauenhaare
würden Vibrationen abgeben, mit denen Männer auf
falsche Wege gelockt würden.
Ähnlich argumentierten manche Frauen, wenn sie angaben, sich
in Gegenwart von Männern mit dem Hijab sicherer zu
fühlen. Das Hijab ist also eine Mauer und Garant, Frauen als
sexuelle Subjekte ungefährlich und geschlechtsneutral zu
machen. Die Kontrolle der Sexualität der Frauen ist auch das
Hauptziel aller Gesetze im Iran. Auch das Bildungs- und
Erziehungswesen des Iran wurde in den 1980er Jahren der
Islamisierung unterworfen und desäkularisiert. Widerspruch
wird nicht geduldet und bei Nichteinhaltung drohen Strafen.
Gehorsamkeit gegenüber Autoritätspersonen ist eine der
wichtigsten Tugenden. Nicht eigenes Denken, sondern Anpassung und
Unterwerfung werden gefördert.
30 Jahre islamische Republik Iran
In den mehr als 30 Jahren seit Bestehen der Islamischen Republik
Iran ist viel Unrecht geschehen. Zahlreiche demokratische
Bewegungen, allen voran der Kurden, wurden nieder- gemetzelt.
Auch in Europa wurden oppositionelle Kräfte nicht geschont.
Namhafte Demokraten fielen den Mordkommandos der Islamischen
Republik zum Opfer. In einem Interview mit der Süddeutschen
Zeitung spricht die Friedensnobelpreisträgerin von 1996
Shirin Ebadi darüber, wie sie für die Friedensarbeit
und den Kampf für Frauenrechte ihr Leben riskiert.
Hunderte von Frauen wurden unter dem Vorwand, "Ehebruch" begangen
zu haben, ermordet - einige durch Steinigung. Jährlich
nehmen sich hunderte Frauen das Leben, weil sie unter massivem
sozialen und psychischen Druck zu leiden haben. Mit ihrem Tod
durch Selbstverbrennung setzen sie ein Fanal, das ihre
prekäre Situation veranschaulicht. Sie übergießen
sich mit Benzin und sterben in den lodernden Flammen. Die Zahl
der drogenabhängigen Frauen ist ebenfalls dramatisch
angestiegen. Die täglichen Benachteiligungen in allen
Lebensbereichen, die herablassende Behandlung und die Schikanen,
kurzum die praktizierte Geschlechter-Apartheid durch die
Machthaber der Islamischen Republik, zerstören die Frauen.
Die psychischen Wunden verursachen bei vielen Frauen tiefe
Depressionen und eine Kälte, die aus Machtlosigkeit und Wut
resultiert.
Als Folge davon kommt es oft zu selbstzerstörerischen
Handlungen. Der iranische Filmemacher Jafar Penahi zeigt in "Der
Kreis" im Jahr 2000 eindrucksvoll die gesellschaftliche Position
der Frauen im Iran. Der Film beginnt in einer Entbindungsstation.
Dort erfährt eine Großmutter, dass ihre Tochter nicht
wie erwartet einen Sohn, sondern ein Mädchen geboren hat.
Enttäuschung und Frustration sind immens. Das Mädchen
ist kaum geboren und wird schon zu einem Problem.
Im Anschluss beginnt das Abenteuer von drei Frauen, die nach
ihrem Freigang nicht in das Gefängnis zurückkehren,
sondern fliehen und in Freiheit leben wollen. Ihr Versuch,
außerhalb der Gefängnismauer in Freiheit zu leben, ist
zum Scheitern verurteilt. Die eigene Familie ist nicht bereit sie
aufzunehmen und verstößt sie, weil ihr "schlechter Ruf
" sie gebrandmarkt und entehrt hat. Sie sind als Frauen ohne
legitime männliche Begleitung verloren. Ihr Leben hängt
von der Gnade der Männer ab, denen sie begegnen.
Pogrom-bedrohte Völker 264 (1/2011)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/sud2010-de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110729ade.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110726de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2011/110519de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasil-belo.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global-sozial.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global.html |
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html
in www: http://en.wikipedia.org/wiki/Indigenous_peoples
| www.ipcc.ch | www.stopdamsamazon.org