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Frauen von China bis Darfur

Traumatisierte Opfer und mutige Menschenrechtlerinnen

Pogrom bedrohte Völker Nr. 264, 1/2011

Bozen, August 2011

Index

Editorial, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger | Gleichberechtigung und die Stärkung der rechte der Frauen | Die kurdischen Flüchtlingsfrauen | Gewalt gegen indigene Frauen | Serbiens Friedensbewegung "Frauen in Schwarz" | Felicia Langer: "Die Brücke existiert tatsächlich" | Alina Treiger - Symbolfigur des liberalen Judentums | Leyla Zana: "Wir kurden müssen uns einig sein" | Frauen in irakisch-Kurdistan | China: Frau von inhaftiertem Menschenrechtler Hada in Sippenhaft | Westsahara-aktivistin Aminatou Haidar: "lebendig oder tot" | Indigene Frauen machen sich stark gegen Uran-Lobby | Mapuche: das junge Gesicht des Widerstands | Guatemala. Xinka-Frauen erkämpfen ihre rechte | Iran. Kein Platz für Frauenrechte

Titelbild: Frauen der schwarzafrikanischen Völker Darfurs aus den Flüchtlingslagern bei El Fasher demonstrierten am 25. November 2010 bei einem Marsch gegen die anhaltenden Vergewaltigungen. Die Aktion war Teil einer jährlich stattfindenden 16-tägigen Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen. Die GfbV unterstützt in Darfur ein Solarkocher-Projekt für Frauen in Flüchtlingslagern, um sie vor Vergewaltigungen beim Feuerholzsammeln zu schützen.

Editorial [ oben ]

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Frauen von China bis Darfur: Traumatisierte Opfer und mutige Menschenrechtlerinnen, pogrom / bedrohte Völker 264 (1/2011). Frauen von China bis Darfur: Traumatisierte Opfer und mutige Menschenrechtlerinnen, pogrom / bedrohte Völker 264 (1/2011).

"Nichts, nicht einmal die modernste Waffe, nicht einmal die auf brutalste Weise schlagkräftige Polizei, nein, überhaupt gar nichts wird die Menschen aufhalten können, wenn sie erst einmal entschlossen sind, ihre Freiheit und ihr Menschenrecht zu erringen."
Desmond Tutu

Liebe Leserinnen und Leser,

Trotz einer langen internationalen Debatte über die Rechte der Frau, welche im UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) kulminiert, gibt es kein Land dieser Welt, in dem Frauen einen Anteil an den gesellschaftlichen Führungspositionen haben, der ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Einkommens- nachteile, geringere Bildungschancen und die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf wer- den in vielen Ländern als naturgegeben wahrgenommen.

Dazu kommt, dass Frauen in zahlreichen Staaten unter den Opfern von Gewalt- und Kriegsverbrechen überrepräsentiert sind. Massenvergewaltigungen als Mittel der Demoralisierung des Gegners und zur sogenannten "ethnischen Säuberung" und andere Gewaltverbrechen sind in vielen bewaffneten Konflikten alltäglich. Und selbst wenn sich eine Gesellschaft nicht im Krieg befindet, nehmen weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung von Minderjährigen, fehlender Zugang zu Bildung und andere Menschenrechtsverletzungen jungen Mädchen und Frauen sämtliche Entwicklungschancen.

Es ist eine Verpflichtung für jeden, dem an Rechtsstaatlichkeit etwas liegt, sich gegen solche gravierenden Menschenrechtsverletzungen zu stellen und den entrechteten Mädchen und Frauen zu helfen. Deshalb bin ich froh, dass die Bundesregierung bei ihrer Außen- und Entwicklungspolitik einen stärkeren Wert auf die Einhaltung von Menschen- und Minderheitenrechtsstandards legt und jede Art von Unterstützung an den Respekt dieser fundamentalen Werte koppelt. Die Belgrader "Frauen in Schwarz" und die israelische Rechtsanwältin Felicia Langer sind beeindruckende Beispiele dafür, dass sich Frauen nicht mit einer Opferrolle abfinden müssen und dass Hilfe von ausländischen Organisationen und Politikerinnen und Politikern willkommen ist und Wirkung zeigt.

Im Lichte der in dieser Ausgabe von bedrohte Völker - pogrom beschriebenen Gräuel und dem tragischen Leid so vieler Frauen erscheint die aktuelle deutsche Debatte um Geschlechterquoten in Vorständen und Aufsichtsräten fast schon wie eine Luxusdebatte. Dies ist sie allerdings nicht. Denn es ist auch in Deutschland und Europa immer noch nicht selbstverständlich, dass Frauen Führungspositionen in Wirtschaft und Gesellschaft bekleiden und beide Elternteile ihre Familie mit einer Karriere in Einklang bringen.

Dies muss sich ändern. Hier sind die Arbeitgeber gefragt, die den betriebs- wirtschaftlichen Wert von "Diversity" noch nicht vollends durchdrungen haben. Bevor der Gesetzgeber hier die Unternehmen mit starren Quoten zu einer besseren Repräsentation zwingt, schiene mir eine freiwillige Einsicht in die Wichtigkeit der Gleichstellung beider Geschlechter erstrebenswerter. Es muss aber auch jedem Akteur klar sein, dass es die Aufgabe der Politik ist, steuernd einzugreifen, wenn sich erwünschte und verfassungsmäßig garantierte Werte (Art. 3, 2 GG) in der Gesellschaft nicht verwirklicht finden.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Bundesministerin der Justiz

Die Vereinten Nationen und das Völkerrecht [ oben ]

Gleichberechtigung und die Stärkung der Rechte der Frauen

Andreas Bummel

Als die UN-Charta 1945 in San Francisco verhandelt wurde, setzten sich einige der wenigen weiblichen Delegierten zusammen mit Nichtregierungsorganisationen erfolgreich dafür ein, das Prinzip der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Gründungsdokument zu verankern. Ein Jahr später wurde die UN-Kommission für die Stellung der Frau (CSW) und eine entsprechende Abteilung im UN-Sekretariat eingerichtet.

Michelle Bachelet wurde im September 2010 zur Leiterin von UN Women berufen. Foto: © UN Photo/Paulo Filgueiras. Michelle Bachelet wurde im September 2010 zur Leiterin von UN Women berufen. Foto: © UN Photo/Paulo Filgueiras.

Diese und später weitere UN-Institutionen trugen dazu bei, das Anliegen der Gleichberechtigung und Stärkung der Rechte der Frau weiterzuentwickeln. Wesentlich waren dabei die vier UN-Weltfrauenkonferenzen in Mexiko (1975), Kopenhagen (1980), Nairobi (1985) und Peking (1995) sowie die UN-Dekade für Frauen von 1976 bis 1985. Die Prinzipien der Gleichberechtigung und der Nichtdiskriminierung auf- grund des Geschlechtes sind wichtige Pfeiler der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 und inzwischen in neun völkerrechtlichen Verträgen kodifiziert, insbesondere im UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979.

"Die Herausforderung besteht nach wie vor darin, diese hochtrabenden Ziele innerhalb der UN und im alltäglichen Leben von Frauen und Mädchen in aller Welt umzusetzen", so die Frauenaktivistin Charlotte Bunch in einem Beitrag zum Oxforder Handbuch zur UN. CEDAW wurde zwar von 185 und damit fast allen Ländern der Welt ratifiziert, oftmals jedoch mit umfangreichen Vorbehalten. Zudem enthält die Konvention keine Sanktionsmechanismen. Ein Zusatzprotokoll von 2000, dem 100 Länder beigetreten sind, erlaubt es wenigstens, individuellen Beschwerden nachzugehen.

Nach Bunch lag der Fokus internationaler Frauenpolitik anfangs auf politischen und bürgerlichen Rechten und befasste sich in den 1970-er und 1980-er Jahren vorrangig mit Entwicklung und Gesundheit. Die zentrale Rolle von Frauen in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung wurde erkannt. Einen Meilenstein stellte die UN-Weltbevölkerungskonferenz 1994 in Kairo dar, die ein ausführliches Aktionsprogramm als politische Leitlinie bis 2015 verabschiedete. Reproduktive Selbstbestimmung wird dort als fundamentales Menschenrecht definiert.

In den 1990-er Jahren erfuhren frauenspezifische Aspekte des Menschenrechtsschutzes sowie von Frieden und Sicherheit mehr Aufmerksamkeit. Bei gewalttätigen Konflikten werden besonders Frauen Opfer systematischer Übergriffe, so etwa in Bosnien (1992-1995) und Ruanda (1994). Die UN-Tribunale für beide Länder stuften Vergewaltigung und sexuelle Gewalt als völkerrechtswidrige Verbrechen ein. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofes von 1998 definiert sexuelle Gewalt und "reproduktiven Zwang" im Rahmen eines systematischen Angriffs als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

In der Resolution 1325 vom Oktober 2000 hielt der UN-Sicherheitsrat fest, dass Frauen eine bedeutende Rolle bei der Vorbeugung und Lösung bewaffneter Konflikte spielen. Diese und vier Resolutionen aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 bilden für UN-Friedenseinsätze und andere UN-Einrichtungen eine wichtige Basis. Enttäuschend waren die Millenniumsziele: Zwar enthält Punkt drei die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen, aber das einzige konkrete Ziel war die Beseitigung des Geschlechtergefälles in der Primar- und Sekundarschulbildung bis 2005 sowie auf allen Bildungsebenen bis spätestens 2015.

Seit Januar 2011 sind die Aktivitäten von vier UN-Einrichtungen zur Stärkung der Rolle von Frauen in der Organisation UN Women zusammengeführt. Sie unterstützt andere inter- nationale Institutionen und Gremien und hilft den UN-Mitgliedsländern, internationale Normen zu implementieren. In das aus 41 Mitgliedern bestehende Exekutivkomitee wurde auch Saudi-Arabien gewählt, wo die Rechte von Frauen extrem eingeschränkt sind. Die Finanzierung von UN Women soll weitgehend durch freiwillige Beiträge der UN-Mitglieder erfolgen.

Kurdistan [ oben ]

Die kurdischen Flüchtlingsfrauen

Parvaneh Ghorishi

Parvaneh Ghorishi betreut Flüchtlinge in Deutschland. Foto: GfbV-Archiv. Parvaneh Ghorishi betreut Flüchtlinge in Deutschland. Foto: GfbV-Archiv.

Emanzipationsbestrebungen von Kurdinnen und Kurden werden in der Türkei, im Iran und in Syrien durch die jeweiligen Regierungen massiv bekämpft. Zerstörung ihres Lebensraums, Analphabetismus, Armut, Vertreibungen, Folter und Vergewaltigungen sind Instrumente, um die kurdische Bevölkerung zu bestrafen, einzuschüchtern, zu demoralisieren und zum Aufgeben zu zwingen. In diesen Auseinandersetzungen tragen Frauen die Hauptlast: Viele werden auf- grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder politischer Aktivitäten - auch die ihrer Verwandten -, verhaftet, gefoltert und vergewaltigt.

Andererseits werden manche Frauen von Angehörigen ihrer eigenen Ethnie verfolgt und umgebracht, wenn sie es - manchmal auch nur angeblich - gewagt haben, herrschende Normen und Moralvorstellungen zu verletzen. Zahlreichen kurdischen Frauen gelingt jedoch die Flucht ins Exil. Aber allzu viele erkranken später psychisch aufgrund traumatischer Erlebnisse. Ich bin selbst Kurdin und wurde in der kurdisch-iranischen Stadt Sardasht geboren. Aufgewachsen bin ich in Sanandaj. Nach meinem Psychologie-Studium in Teheran floh ich 1974 nach Deutschland. Ich habe selbst erlebt, wie es ist, sich plötzlich in einem fremden Land zurechtfinden zu müssen, wie quälend die Bürokratie sein kann. Beispielsweise wurde mein Universitätsabschluss hier nicht anerkannt. Ich musste noch einmal zur Uni gehen und das Hauptstudium wiederholen, bevor ich mein Diplom bekam. Heute arbeite ich in Deutschland als Psychotherapeutin und betreue viele Flüchtlinge. Ihre Probleme ähneln sich und erinnern mich immer wieder an meine eigene Vergangenheit.

In Deutschland müssen Asylbewerber erst beweisen, dass sie keine "Wirtschaftsflüchtlinge" sind. In einer Anhörung müssen sie alle Fakten nennen, die ihre Flucht und eine Anerkennung des Asylantrages rechtfertigen können. Aber viele traumatisierte kurdische Frauen sind nicht in der Lage, ihre Erlebnisse zu schildern - auch nicht, wenn sie von einer Frau angehört werden. Sie verdrängen traumatische Erlebnisse, um schmerzhafte Gefühle der Ohnmacht nicht mehr zu spüren, sich nicht mehr dem Schicksal ausgeliefert zu fühlen. Die Spuren der Gewalt bahnen sich bei ihnen deshalb oft ihren Weg über körperliche Erkrankungen wie Kopfschmerzen, Herz- und Kreislaufproblemen oder Schlafstörungen, Angstzuständen, Depressionen, Unruhezuständen, Vergesslichkeit und Hoffnungslosigkeit. Eine schwere psychische Belastung für die Schutzsuchenden ist die lange Bearbeitungszeit der Asylanträge. Besonders schlimm sind natürlich Ablehnungen, die Abhängigkeit von staatlichen Hilfen wie in Deutschland nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz, immer neue Abschiebedrohungen und die nur wenige Monate gültigen "Duldungen" - ein Leben zwischen Hoffen und Bangen. Die Unterbringung in abgelegenen Orten, weit weg von Großstädten, ist oft nicht hilfreich, um die Landessprache zu erlernen, Kontakte zu knüpfen oder sich gegebenenfalls psychologische Hilfe zu holen. Viele Flüchtlinge leben oft Monate oder Jahre lang in menschenun- würdigen Asylbewerberunterkünften ohne Privatsphäre.

All diese Faktoren schwächen die sogenannten Selbstheilungskräfte der Betroffenen und haben destabilisierende Wirkungen. Viele kurdische Frauen leiden als Folge von Traumatisierung unter Suchterkrankungen oder unter ihren Männern. Nicht selten erdulden sie Beschimpfungen, Schläge und Entwertungen. Die Flucht in ein Frauenhaus schließen sie oft aus, denn in der kurdischen Gesellschaft sind sie Orte für "nicht Ehrbare". Wegen fehlender Deutschkenntnisse ist ihnen der Unterschied meist nicht bewusst.

"Kriege gehen zu Ende, die Häuser wieder neu gebaut, die Narben verheilen, die Straßen gepflastert, aber Nacht für Nacht raubt dir ein Fremder Macht, deine Zuversicht, die du zum Weiterleben brauchst."
(awina 2010)

Parvaneh Ghorishi ist Diplom-Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin.

Beispiele von bedrohten Frauen aus aller Welt [ oben ]

Gewalt gegen indigene Frauen - Was sind die Hintergründe?

Indigene Frauen auf der ganzen Welt haben etwas gemeinsam: Gewalt bedroht ihr Leben und ihre Gesundheit mehr als alles andere. Mit der Ausrufung des 25. Novembers zum Internationalen Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hat die UNO 1999 diesem Umstand Rechnung getragen. Weltweit finden Aktionen und Kampagnen statt - die weiße Schleife, die in der Öffentlichkeit verteilt wird, ist das Symbol der Gewaltlosigkeit im Umgang mit Frauen.

Hunderte von (indigenen) Frauen verschwinden pro Jahr und werden tot aufgefunden, ohne dass die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Das weltweit grassierende Phänomen wird auch mit "Femizid" umschrieben, einem Begriff des Feminismus für die staatlich geduldete Tötung von Frauen, oft aufgrund ihrer untergeordneten Rolle in der Gesellschaft. Häusliche Gewalt gehört auch dazu. Für uns stehen die Frauen, ihr Schicksal und das ihrer Kinder, im Mittelpunkt. Der Schutz indigener Frauen wird explizit in der UN-Deklaration der Rechte Indigener Völker benannt. Eine Vielzahl von internationalen Konventionen schließt indigene Frauen mit ein - aber Gesetze nützen nichts, solange sie nicht umgesetzt werden.

Gewalt an indigenen Frauen in Krisengebieten

Häufig spielen sich bewaffnete Konflikte auf Territorien indigener Völker ab, da diese wegen des häufigen Vorkommens von Ressourcen eine hohe Attraktivität für die sich bekämpfenden Parteien aufweisen. Gewalt (in allen Formen) an Frauen ist schon immer ein integraler Bestandteil der Kriegsführung gewesen. Indigene Frauen leiden so doppelt unter Krisensituationen: Als Frauen und als Angehörige indigener Völker. Weltweit werden indigene Völker vertrieben und geraten bei politischen Konflikten ins Kreuzfeuer. Mit dem Ziel der Zerstörung des sozialen Geflechts und der Destabilisierung der Gemeinschaften, um diese schließlich von strategisch und geo-politisch interessanten Gebieten zu vertreiben, wird indigenen Frauen psychische und physische Gewalt zugefügt. Zu Zeiten der Kolonialisierung waren solche Methoden zur Untergrabung des Widerstands der indigenen Bevölkerung gang und gäbe und finden heute in der Militarisierung ihre Fortsetzung.

An den Körpern von Frauen werden die Konflikte ausgetragen. Die Sexualität wird zur Metapher der Dominanz und der Aneignung von Territorium, die indigenen Frauen fallen Zwangsprostitution, Einschüchterung, Folter, Vergewaltigung oder Zwangsarbeit in den Militärcamps zum Opfer.

Konfliktbeilegung und Friedensprozesse in Frauenhand - Zeichen der Hoffnung

Bei der Debatte rund um die erschreckende Gewaltanwendung gegenüber indigenen Frauen kommt meist ein Aspekt zu wenig zur Geltung: Die tragende Rolle, die indigene Frauen bei Friedensprozessen spielen. Häufig sind sie zum Beispiel bereits während eines Konflikts die ersten, die soziale Unterstützung anbieten - eine fundamentale Funktion in Gebieten, in denen staatliche Hilfe meist ausbleibt. Die verstärkte Anerkennung dieser Leistungen der indigenen Frauen als Vermittlerinnen bietet die Möglichkeit, unter den Frauen Strukturen zu deren Selbstschutz aufzubauen.

Julia Bangerter, Helena Nyberg

Schön und frei? Die Tschetschenin zwischen Adat, Islam und russischem Imperium

Frauenhaus in Tschetschenien von Lipkan Basajewa. Foto: Sarah Reinke, GfbV. Frauenhaus in Tschetschenien von Lipkan Basajewa. Foto: Sarah Reinke, GfbV.

Berufsmöglichkeiten hat eine Tschetschenin bei einer Arbeitslosenquote von 80 Prozent kaum. Ob Frau studieren oder arbeiten darf, entscheiden ihre männlichen Verwand- ten. Die Gesellschaft kennt nur eine Lösung: Heirate. Je jünger, umso früher ist ihre Familie die Angst um die Familienehre los. Zunehmend müssen schon Vierzehn-, Fünfzehnjährige das Elternhaus verlassen. Sie dürfen nur einen Tschetschenen heiraten, höchstens einen Inguschen. Viele junge Männer sind emigriert. Diejenigen, die nach den beiden Tschetschenien-Kriegen unter Jelzin (1994-1996) und Putin (1999-2006) mit bis zu 200.000 Toten im Land geblieben sind, haben anstelle von Bildung gelernt, dass Gewalt alltäglich ist. Die Brutalisierung der Gesellschaft ist die Folge, politisch und privat.

Ende November 2008 wurden in Tschetschenien sieben junge Frauen mit Kopfschüssen hingerichtet, denen "unsittliches Verhalten" vorgeworfen wurde. Tschetscheniens Menschenrechtsbeauftragter Nurdi Nuchadschiew sagte dazu, dass für Frauen der Bergvölker der Verhaltenskodex Adat gelte. Demnach dürften angeblich Männer, die sich durch das Verhalten der Frauen beleidigt fühlen, Lynchjustiz üben. Tschetschenische Menschenrechtlerinnen beklagen eine zunehmende Klerikalisierung und Archaisierung der Gesellschaft, wozu auch neuerdings das Tragen von Hidschab in der Öffentlichkeit gehört.

Die Menschenrechtlerin Lipkan Basajewa, Trägerin des Menschenrechtspreises der Stadt Weimar 2005, führt dank finanzieller Hilfe der in Freiburg ansässigen Frauenorganisation Amica (www.amica-ev.org/de) das Frauenzentrum "Frauenwürde" in Grosny, das Frauen nebst gynäkologischer Untersuchung auch psychologische und juristische Unterstützung bietet. Dazu gehört der Kampf geschiedener Frauen und Witwen um das Sorgerecht für ihre Kinder, denn nach Adat gehören die Kinder stets dem Mann. In Tschetschenien gilt die russische Verfassung, nach der die Mutter ihre Kinder fast automatisch behält. 2010 erkämpfte die junge Witwe Selicha Magomadowa den Sieg der Verfassung über Adat. Das Gericht in Grosny hat Selicha ihre sechs Kinder, die ihr der Klan ihres Mannes weggenommen hatte, zugesprochen. Ein Präzedenzfall.

Der sich religiös radikalisierende bewaffnete Widerstand gegen den Kreml instrumentalisiert zunehmend junge Frauen als sogenannte "Schwarze Witwen", um ein Kalifat im Nordkaukasus zu etablieren.

Irena Brežná war Kriegsberichterstatterin in Tschetschenien, schreibt regelmäßig über das Land und unterstützt dortige Frauenprojekte. 2008 erschien ihr Roman "Die beste aller Welten" in der Berliner Edition Ebersbach, www.brezna.ch.

Siria. Dutzende Kurdinnen im Gefängnis

Politisches Engagement gegen die Regierung ist in Syrien tabu, selbst der Einsatz für die kurdische Sprache und Kultur ist in der Arabischen Republik gefährlich. Wer sich nicht daran hält, dem drohen Gefangenschaft und sogar Folter. Nicht einmal Frauen werden verschont. Dutzende Kurdinnen befinden sich derzeit in syrischen Gefängnissen. Ein Beispiel für ein solches Schicksal ist das der kurdischen Aktivistin Rojin Remo. Am Abend des 29. Juli 2009 fuhr ein Fahrzeug syrischer Sicherheitskräfte aus der Stadt Manbej in die syrisch-kurdische Stadt Kobani. Dort nahmen sie Remo, geboren 1970 in Tirbespiyê/Qamilshlî, fest. Remo ist Mitglied der Frauen-Union Sitar und war gerade bei einigen Bekannten zu Besuch. Mit Handschellen und unter Anwendung von Gewalt wurde sie an einen unbe- kannten Ort verschleppt. Am 21. August 2009 lieferte man sie in das Al-Kindi-Krankenhaus in Aleppo ein. Sie war gefoltert worden, ihr ging es sehr schlecht. Ihre Familie erfuhr zunächst nicht, dass Remo im Krankenhaus war. Vermutlich war sie unter einem anderen Namen eingeliefert worden.

Schon am 3. August 2009 hatte eine Patrouille der politischen Sicherheit ein Haus im Zorava-Viertel von Damaskus gestürmt. Sie nahm zwei kurdische Frauen fest: Felek Naz Khalil, geboren am 30.10.1968 in Dêrîk/Ain Dîwar und Afret Mohamed, geboren 1975 in Al Hasaka. Seither ist nichts Genaues über ihr Schicksal bekannt. Ihr einziges Verbrechen ist der Einsatz für die Kultur und Rechte ihres Volkes.

Maria Sido ist Vorstandsmitglied der GfbV.

Burma. Karen zwischen Vergewaltigung und Zwangsarbeit

Mehr als 200 Karen-Flüchtlinge flohen im November 2010 aus ihrem Dorf Pa Lu in Burma nach Thailand. Foto: Prachatai, flickr. Mehr als 200 Karen-Flüchtlinge flohen im November 2010 aus ihrem Dorf Pa Lu in Burma nach Thailand. Foto: Prachatai, flickr.

"Soldaten haben meine 15-jährige Tochter geschlagen und mehrfach vergewaltigt", erklärt die Bürgermeisterin eines Dorfes des Volkes der Karen in Burma. "Für meine Tochter ist das Leben danach zur Hölle geworden. Sie wollte nach den Vergewaltigungen Selbstmord begehen und ist geisteskrank geworden." Schicksale wie diese sind keine Seltenheit in den seit Jahrzehnten umkämpften Nationalitätengebieten Burmas. Frauen werden immer wieder zum Ziel von Verbrechen der burmesischen Armee. Seit 60 Jahren fordern die Karen und andere Minderheiten mehr Autonomie und Rechte. Als die Regierung ihre Forderungen ablehnte, griffen sie zu den Waffen und kämpfen seither für ihre Rechte.

Die Armee und mit ihr verbündete Milizen rächen sich mit gezielter Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, unter der vor allem Frauen leiden. "Die Soldaten haben mich in den Dschungel verschleppt. Drei Tage und Nächte musste ich bei ihnen bleiben", schildert eine andere Karen-Bürgermeisterin. "Sie haben mich gezwungen, mit ihnen zu schlafen. Auch haben sie mir ins Gesicht geschlagen, weil ich angeblich Rebellen in meinem Dorf versteckt haben soll. Mit ihren schweren Stiefeln haben sie mich getreten."

Die Dorfvorsteherin einer anderen Karen-Siedlung berichtet von Zwangsarbeit und regelmäßigen sexuellen Übergriffen von Soldaten, als die Armee eine Straße zur besseren Bekämpfung der Aufständischen bauen ließ. "Zunächst sind die Soldaten in mein Dorf gekommen und haben willkürlich Frauen und Männer verschleppt, die als Zwangsarbeiter die Straße durch den Wald bauen sollten. Ganz viele Frauen haben sie auch gezwungen, als Trägerinnen schwerer Lasten für sie zu arbeiten und Versorgungsgüter für die Armee heranzuschaffen. Dann haben sie mich gezwungen, mitzukommen in den Dschungel und dort als Geisel bei ihnen zu bleiben. Nachts musste ich zwischen ihren Kommandeuren schlafen, die mich abwechselnd vergewaltigten."

Ulrich Delius

China. Zwangsumsiedlung uigurischer Frauen nach Ost-China

2006 wurden erste Fälle von Zwangsumsiedlungen uigurischer Frauen bekannt. Die Zahl der Betroffenen ging bald in die Tausende. Es handelte sich um einen neuen, gezielten Angriff der chinesischen Regierung auf die muslimische Bevölkerung in Ostturkestan (Xinjiang) im Nordwesten Chinas. Mit falschen Versprechen und unter extremem Druck werden junge Uigurinnen im Alter von 16 bis 25 Jahren zur Arbeit in Fabriken in den Osten Chinas geschickt. Was sie dort erwartet, hat mit einem "gut bezahlten Job" nichts zu tun: unmenschliche Arbeitsbedingungen, kaum Lohn und schlimmste hygienische Wohnverhältnisse. Auch von sexuellem Missbrauch ist die Rede. Als Arbeitssklavinnen fernab der Heimat ist ihnen eine Flucht nicht nur finanziell unmöglich. Auch auf ihre Familien wird enormer Druck ausgeübt. Die Weigerung der Tochter, an einem "Arbeitsprogramm" teilzunehmen, ist mit harten Strafen wie der Enteignung ihrer Felder oder der Zerstörung ihres Hauses verbunden.

Beabsichtigt wird mit der systematischen Umsiedlung der jungen Frauen die Assimilierung des uigurischen Volkes. In diesem Zusammenhang fördert die Regierung auch die Ansiedlung hunderttausender Han-Chinesen in Ostturkestan. Die dortige Bevölkerungsstruktur hat sich dadurch in den vergangenen Jahr- zehnten drastisch zu Gunsten der Han-Chinesen verschoben. Die Uiguren dagegen werden immer stärker diskriminiert. Sie finden kaum noch Arbeit, dürfen ihre Religion nicht frei ausüben oder die uigurische Sprache im Bildungswesen benutzen, es gibt keine Presse- oder Meinungsfreiheit. Die uigurischen Frauen und Mädchen sind dabei gleich dreifach von Pekings aggressiver Politik betroffen. Neben der Zwangsumsiedlung und generellen Unterdrückung ihrer Kultur sowie Identität werden im Rahmen der Ein-Kind-Politik (trotz einer Ausnahmeregelung für Minderheiten) Zwangssterilisationen und -abtreibungen vorgenommen.

Jana Brandt ist Projektkoordinatorin beim Weltkongress der Uiguren (WUC) in München.

Chinas Tibeterinnen. Zwischen Flucht und Gefangenschaft

Die beiden Drapchi-Nonnen Namdrol Lhamo (li.) und Gyaltsen Drolkar bei einer Demonstration in London. Foto: Foto: mylondondiary.co.uk. Die beiden Drapchi-Nonnen Namdrol Lhamo (li.) und Gyaltsen Drolkar bei einer Demonstration in London. Foto: Foto: mylondondiary.co.uk.

Als im März 2008 im Vorfeld der Olympischen Spiele in China friedliche Proteste in Tibet gewaltsam niedergeschlagen wurden, sah die Tibeterin Rigzin Dölma schreckliche Dinge: "Als wir demonstrierten, schossen chinesische Soldaten auf uns Tibeter. Es war nicht zu fassen, wie andere die Menschen prügelten und töteten. Durch fürchterliche Schläge der Polizisten verlor ich das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Loch voller Schlamm und Wasser, Polizisten liefen über mich hinweg." Ein Jahr lang versteckte sich Dölma danach an ständig wechselnden Orten in Tibet. Dann begann sie ihre gefährliche Flucht aus China. Von Lhasa aus zog sie über die schneebedeckten Berge Nepals und erreichte schließlich am 14. Januar 2010 die indische Stadt Dharamsala. Dort hat der Dalai Lama seinen Sitz im Exil. Dölmas Schicksal ist typisch: Unzählige Tibeter und Tibeterinnen versuchen jedes Jahr, über Nepal ins Ausland zu fliehen. Doch der Weg ist lebensgefährlich: Viele werden von Soldaten aufgegriffen oder erschossen, andere verhungern oder sterben durch die harschen Witterungsbedingungen im Himalaya. Dölma ist dankbar, es geschafft zu haben: "Die Namen der Familien und Dorfbewohner, die mir beistanden, kann ich natürlich nicht nennen. Ich brächte sie in große Gefahr."

Besonderen Mut beweisen auch immer wieder tibetische Nonnen. Die Tibeterin Phuntsok Nyidron, berühmt geworden als eine der "14 singenden Nonnen von Drapchi", war 15 Jahre lang inhaftiert: "Im Gefängnis mussten wir unvorstellbare Torturen über uns ergehen lassen. Es war praktisch Routine, dass Gefangene, die ihre Meinung äußerten oder sich weigerten, an kommunistischen Erziehungsmaßnahmen teilzunehmen, mit Metallstangen geschlagen oder mit Elektroschockern gequält wurden. Im Mai 1998 starben fünf Nonnen nach ihrem Protest im Gefängnis in Drapchi daran."

Katja Wolff

Darfur. Frauen schützen mit Solarkochern

Frauen in der darfurischen Stadt Kutum kochen mit Sonnenenergie. Foto: Darfur Peace and Development. Frauen in der darfurischen Stadt Kutum kochen mit Sonnenenergie. Foto: Darfur Peace and Development.

Seit Beginn des Völkermordes in Darfur 2003 wurden tausende Frauen Opfer von Vergewaltigungen. Oft trauen sie sich nicht mehr, die Flüchtlingslager zum Suchen von Feuerholz zu verlassen, denn jeden Tag werden Frauen außerhalb der Camps vergewaltigt. Sexuelle Gewalt wird in Darfur als Mittel der Kriegsführung eingesetzt. Arabische Janjaweed-Milizionäre brüsten sich damit, schwarzafrikanische Frauen zu vergewaltigen, sodass diese von ihren Familien ausgegrenzt werden.

Um Frauen wirksam vor solchen Übergriffen zu schützen, kooperiert die GfbV seit einigen Jahren mit der von Darfuris geführten Organisation Darfur Peace & Development (DPDO). Sie zeigt vor Ort in einem dreitägigen Lehrgang wie man Solarkocher baut. Abgesehen davon, dass die Kos- ten für das Verschicken von Solarkochern zu hoch wären, ist es der DPDO wichtig, dass die Frauen auf lokalen Märkten die für die Solarkocher nötigen Materialien erwerben können, nachdem sie gelernt haben, wie man sie bedient. Einen Topf, Plastiktüten, Pappe, Aluminiumfolie und Kleber braucht man für einen solchen Solarkocher. Damit die Solarkocher möglichst viel Wärme aufnehmen können, wer- den sie schwarz angemalt.

Die Absolventen der Kurse werden dazu angehalten, ihr Wissen auch ihren Nachbarn zu vermitteln. Die Kursteilnehmer erhalten auch ein Rezeptbuch. 20 Euro kosten ein Solarkocher und eine Schulung in diesem umweltschonenden Kochen. Für die Frauen kann es unter Umständenlebensrettend sein. Auch Sie können das GfbV-Solarkocher-Projekt mit Ihrer Spende unterstützen (Stichwort: Frauen in Darfur, Kto. Nr. 7400-201, Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20).

Hanno Schedler ist Mitarbeiter im Afrika-Referat der GfbV.

Demokratische Republik Kongo. "Sexueller Terrorismus" zerstört Gesellschaft

Traumatisierte Frauen im Panzi-Krankenhaus. Foto: Andre Thiel. Traumatisierte Frauen im Panzi-Krankenhaus. Foto: Andre Thiel.

"Seit 1998 sind hunderttausende kongolesische Frauen und Kinder vergewaltigt worden, mehr als fünf Millionen Menschen starben. Eines der ersten Opfer waren meine beste Freundin - beinahe meine Schwester - und ihr Mann. Ihr Körper war von über 100 Einschüssen durchlöchert; ihr Mann war nicht weit weg erschossen worden. Damals dachte ich noch, es handele sich um eine einzelne Tragödie. Aber ab 1999 bekam ich mehr und mehr Gewalt gegen Frauen und Kinder zu sehen. Im September 2000, nachdem ein 18 Monate altes vergewaltigtes Baby auf dem Weg ins Krankenhaus in meinen Armen gestorben war, hörte ich auf, an den Westen zu glauben." Seit diesen sehr persönlichen Erfahrungen setzt sich die kongolesische Menschenrechtlerin Christine Schuler-Deschryver für die unzähligen Vergewaltigungsopfer im Kongo ein.

Offiziell herrschen seit den Wahlen 2006 Frieden und Demokratie im Kongo. Aber in der Ostregion Kivu gibt es heute mehr Vertreibungen und Verbrechen als in Darfur. Erst nach Jahren wurde die unmenschliche Gewalt der Milizen gegen Zivilisten international überhaupt zur Kenntnis genommen. Inzwischen nutzt jede Kriegspartei von der lokalen Stammesmiliz bis zur nationalen Armee Vergewaltigung als Zeichen der Macht und als Mittel der Einschüchterung. Schuler-Deschryver unterstützt das Panzi Hospital, ein auf die medizinische Behandlung vergewaltigter Frauen spezialisiertes Krankenhaus. Jedes Jahr werden hier rund 3.600 Frauen operiert. "Aber die Frauen, die ins Krankenhaus kommen, haben gar keine andere Wahl mehr. Sie sind wie verstümmelt," berichtet Schuler-Deschryver. "Man muss wissen, wenn in deiner Gemeinschaft bekannt ist, dass du vergewaltigt wurdest, musst du das Dorf verlassen. Wenn du überlebst, wird dein Mann dich bitten zu gehen - meistens mit den Kindern."

Katja Wolff

Niger. Itsekiri-Frauen im Nigerdelta erheben ihre Stimme

Seit mehr als fünf Jahrzehnten leiden Ureinwohner im Nigerdelta Nigerias unter den katastrophalen Folgen der Ölförderung: Leckende Pipelines, verseuchte Flüsse und Böden sowie Atemwegserkrankungen machen ihnen das Leben zur Hölle. Immer öfter erheben auch Ureinwohnerinnen öffentlich ihre Stimme: "Schon als ich 15 Jahre alt war, waren die Missstände die gleichen", entrüstet sich Mercy Olowu, Sprecherin der Frauen des Volkes der Itsekiri. "Nichts hat sich geändert, nur dass das Land noch mehr verseucht wurde und unsere Lebensbedingungen noch schlimmer geworden sind." Gemeinsam mit 300 anderen Frauen ihres Volkes besetzte die ältere Dame den Bauplatz einer 800 Millionen US-Dollar teuren Erdgaspipeline im Sommer 2010. Beherzt hinderten die Demonstrantinnen die Firmen daran, ihre Baumaschinen von der besetzten Baustelle abzuziehen. Die Ureinwohnerinnen bezeichnen es als skandalös, dass das Megaprojekt zwar Energie für ganz Nigeria sichern soll, aber ihr neben der Pipeline liegendes Dorf keine Elektrizität bekommt.

Die Frauen fordern mehr wirtschaftliche Förderung ihrer Dörfer und Arbeitsplätze für die vielen jungen Bewohner ihrer Siedlung. Denn ohne Perspektive schließen sich immer mehr Jugendliche Milizen an, die mit Entführungen ausländischer Experten Geld von den Energiekonzernen erpressen. "Doch das bringt nur neue Gewalt, da sich Armee und Polizei brutal an uns Frauen rächen", erklärt Olowu. Bei solchen Strafaktionen werden nicht nur regelmäßig Dörfer der Urbevölkerung zerstört, sondern auch Frauen vergewaltigt.

Doch viele Frauen haben inzwischen auch Angst vor den schwer bewaffneten Jugendlichen. Sie tragen Gewalt in die indigenen Siedlungen, der oft auch Frauen und Mädchen zum Opfer fallen. Die Waffen machen die Jugendlichen unberechenbar. Deshalb verlangen die Frauen bei ihren Demonstrationen die Entwaffnung der Milizen, obwohl diese behaupten, für die Rechte der Urbevölkerung zu kämpfen.

Ulrich Delius

Kanada. Das koloniale Erbe der Indianer und Inuit

Indigene Frauen demonstrieren im kanadischen Vancouver beim Women's Memorial March. Foto: Christopher Bevacqua, flickr. Indigene Frauen demonstrieren im kanadischen Vancouver beim Women's Memorial March. Foto: Christopher Bevacqua, flickr.

Mit dem Bericht "Stolen Sisters" wurde die Öffentlichkeit 2004 erstmals mit einem bis dahin verdrängten Thema konfrontiert: In Kanada sind seit den 1970-er Jahren 582 indigene Frauen spurlos verschwunden oder ermordet worden. Die Dunkelziffer ist ungleich höher. Weder die politischen Verantwortlichen noch Justiz und Polizei wollten sich ihrer Verantwortung stellen und reagierten mit Schweigen. Erst der Druck von Menschenrechtsorganisationen und UN-Gremien scheint ein Umdenken zu bewirken. Im Oktober 2010 verkündete die kanadische Regierung ein Aktionsprogramm, das allerdings eher Symptome als Ursachen beseitigt.

Vor allem in der Provinz British Columbia häufen sich bis heute die Gewalttaten, die sich gegen die Schwächsten der kanadischen Gesellschaft richten. Die Opfer sind als Indigene und Frauen doppelt diskriminiert. Frauen, die in den indigenen Gemeinschaften einen wichtigen und geachteten Platz einnahmen - auch wirtschaftlich -, wurden durch die Kolonialisierung in eine Rolle gedrängt, die sie entrechtet und auf ein "wertloses" (Sex-)Objekt reduziert. Die Gewaltopfer reichen von jungen Mädchen bis zu älteren Frauen, doch in der Berichterstattung ist zumeist von Drogenabhängigen und Prostituierten die Rede. Sicherlich, sie gibt es auch, aber warum? In den Reservaten herrschen auch im 21. Jahrhundert Elend, Armut und Perspektivlosigkeit. In den Städten sind die Chancen kaum besser, die Diskriminierung ist jedoch umso präsenter. Bundes- und Provinzregierungen verschachern die Ressourcen indigenen Landes an Konzerne und überlassen die indigenen Völker der Armut.

Die Täter werden nur selten zur Rechenschaft gezogen. Die Polizei ist schlecht ausgebildet, die Justiz zu nachlässig, die Politik meist gleichgültig. Am 12. November 2010 unterzeichnete Kanada die UN-Deklaration der Rechte der Indigenen Völker. Wenn die kanadische Regierung dieses Bekenntnis ernst meint, wäre ein umfassender Schutz indigener Frauen ein erster Beweis.

Monika Seiller

Guatemala. Maya-Frauen dreifacher Diskriminierung ausgesetzt

Bereits während des 36-jährigen Völkermordes in Guatemala (1960-1996) waren die Frauen der Maya-Völker in besonderem Maße Opfer des staatlich verordneten Terrors gegen die Zivilbevölkerung. 200.000 Maya-Angehörige verloren dabei ihr Leben. Vertreibung, Folter und Vergewaltigungen waren systematische Mittel der Gewalt. Eine ausreichende Aufarbeitung der Kriegsverbrechen hat bis heute nicht stattgefunden. 15 Jahre nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens sind noch immer die Maya-Frauen die am stärksten benachteiligte Gruppe des Landes. Sie sind einer mehrfachen Diskriminierung ausgesetzt: Als Indianerinnen sind sie einerseits rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, zudem werden sie aufgrund ihres Geschlechts ausgegrenzt.

Die Kultur des Machismo im heutigen Guatemala bringt eine extreme Verachtung und Gewalt gegenüber Frauen hervor. Die Morde an meist indigenen Frauen und Mädchen haben innerhalb der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich zugenommen. Auffällig ist dabei die extreme Brutalität der Taten. Viele Opfer wurden vor ihrer Ermordung gefoltert, vergewaltigt oder verstümmelt. Ihre Leichen werden häufig einfach am Straßenrand oder auf Deponien liegen gelassen. Die traurige Tradition der Straflosigkeit in Guatemala für derartige Verbrechen führt dazu, dass meist keine ernstzunehmende Untersuchung der Mordfälle stattfindet. Gerade bei Opfern indigener Herkunft zeigen die zuständigen Instanzen oft wenig Interesse an der Aufklärung der Verbrechen.

Anna-Lena Herkenhoff studiert Soziologie in Münster, verbrachte ein Semester in San Sebastián, Spanien, und absolvierte ein Praktikum im GfbV-Indigenen-Referat.

Peru. Hunderttausende Indianerinnen unter Fujimori zwangssterilisiert

Nach offiziellen Angaben wurden während der Regierungszeit Alberto Fujimoris (1990-2000) rund 300.000 Frauen, vor allem Quechua, in Peru sterilisiert. Unterlagen des staatlichen Menschenrechtsbüros belegen, dass dies bei mindestens 2.074 Frauen gegen ihren erklärten Willen erfolgte. Viele wussten nicht, was mit ihnen geschah oder wurden nicht über die Konsequenzen aufgeklärt. Anderen wurde gedroht, bei einer Verweigerung nicht wieder in staatlichen Gesundheitszentren behandelt zu werden. Nur circa zehn Prozent der Betroffenen sollen dem Eingriff zugestimmt haben, nachdem ihnen Lebensmittel, Geld oder Medikamente versprochen wurden. Die Bedingungen während der Operation waren so katastrophal, dass Dutzende Frauen dabei starben.

Das staatliche Gesundheitspersonal wurde damals gezwungen, jeden Monat eine vom Gesundheitsministerium festgelegte Quote von Frauen zu sterilisieren. Dieses Programm wurde von internationalen Geldgebern wie dem Weltbevölkerungsfonds der UN (UNFPA) und der US-amerikanischen Hilfsorganisation USAID finanziell unterstützt. Dennoch lehnte der für Menschenrechtsvergehen zuständige Staatsanwalt Perus Jaime Schwartz eine Klage gegen vier ehemalige Minister des Fujimori-Regimes im Mai 2009 ab: Die Fälle seien als Vergehen gegen Leib, Leben und Gesundheit fahrlässige Tötung und somit verjährt. Obwohl die Klage auf Völkermord und Folter lautete und Menschenrechtsorganisationen gegen die Entscheidung Beschwerde einreichten, bestätigte die Staatsanwaltschaft das Urteil. Die Vereinigung zwangssterilisierter Frauen aus der Andenprovinz Anta will nun mit einer neuen Klage, die auf Zeugenaussagen von rund 100 Quechua-Bäuerinnen basiert, gegen die Straflosigkeit vorgehen. Rückendeckung erhält sie von der Quechua-sprachigen Abgeordneten Hilaria Supa, deren Tochter ebenfalls zwangssterilisiert wurde.

Yvonne Bangert ist Indigenen-Referentin der GfbV.

Serbien [ oben ]

Die Friedensbewegung "Frauen in Schwarz"

Jasna Causevic

Seit 20 Jahren engagieren sich 'Frauen in Schwarz' in Serbien für Frieden, Versöhnung und die Verurteilung von Kriegsverbrechern. Seit 20 Jahren engagieren sich 'Frauen in Schwarz' in Serbien für Frieden, Versöhnung und die Verurteilung von Kriegsverbrechern.

Die serbische Friedensbewegung "Frauen in Schwarz" wurde am 9. Oktober 1991 aus Pro- test gegen die serbische Kriegspolitik in Belgrad gegründet. Vorbild war die gleichnamige Organisation in Israel, die seit 1988 Mahnwachen zur Beendigung des Konflikts zwischen Palästinensern und Israeli abhält. 20 Jahre später zählen Frauen aller Generationen, Nationalitäten, Religionen, Glaubensgemeinschaften und Schichten zu ihren Aktivistinnen.

Das Netzwerk bildete in den Kriegsjahren 1991 bis 1995 eine Anlaufstelle für Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und deren Angehörige. Man half Flüchtlingen und Kriegsopfern. Heute setzen sich die " Frauen in Schwarz" für die Auslieferung von Kriegsverbrechern und deren Verurteilung durch nationale Gerichte so- wie das Internationale Kriegsverbrechertribunal in Den Haag (ICTY) ein. Während des gesamten Bosnien-Krieges widersetzten sich die "Frauen in Schwarz" unter ihrer Vorsitzenden Staša Zajovic auf Belgrads Straßen dem von Slobodan Miloševics Regime geschürten Hass unter den Völkern auf dem Balkan und dem Krieg. Von Diffamierungen, wie sie seien eine "Schande für Serbien und das serbische Volk", ließen sie sich nicht einschüchtern.

Stattdessen verlangten die "Frauen in Schwarz" unmissverständlich und immer wieder die konsequente Bestrafung der Kriegsverbrecher. Außer- dem forderten sie die gesellschaftliche und kulturelle Elite Serbiens dazu auf, die moralische Verantwortung für die Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo sowie für Kriegsverbrechen auf dem Westbalkan zu übernehmen. Dem Männlichkeitsideal serbischer Nationalisten stellt die Bewegung einen konsequenten Pazifismus entgegen.

Seit den 1990-er Jahren haben die "Frauen in Schwarz" immer wieder gewaltfreie Proteste organisiert. Bisher gab es mehr als 1.000 Mahnwachen, Aktionen und Demonstrationen. Um sich besser zu vernetzen, fortzubilden und so ihre Ziele effektiver verfolgen zu können, organisieren die " Frauen in Schwarz" regelmäßig Bildungsseminare, Workshops für Aktivistinnen, Konferenzen sowie öffentliche Diskussionsveranstaltungen. Ganz besonders wichtig ist für sie der enge Kontakt zu anderen Gruppen der "Frauen in Schwarz" sowie zu pazifistischen Vereinigungen und Frauenorganisationen im In- und Ausland.

So bestehen beispielsweise gute Verbindungen zum Zentrum für Frauen- und Friedensbildung in Kotor (Montenegro), zum Zentrum für Frauen-Opfer des Krieges in Zagreb und dem Zentrum für Frauenstudien in Zagreb (Kroatien), zum Verein Frauen für Frauen in Sarajevo und der Stiftung CURE in Sarajevo, zum Bürgerverein "Frauen von Srebrenica" in Tuzla, (alle Bosnien und Herzegowina) und zum Frauennetzwerk des Kosovo. Durch ihre Initiativen und ihre Präsenz auf dem Balkan sind die "Frauen in Schwarz" in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur ein wichtiger Teil der hiesigen Friedensbewegung, sondern auch Teil des Frauen-Friedensnetzwerkes in der ganzen Welt geworden.

Weiterführende Informationen: www.zeneucrnom.org

Felicia Langer verteidigte als israelische Rechtsanwältin Palästinenser [ oben ]

"Die Brücke existiert tatsächlich"

Felicia Langer: 'Ich kann mit Unrecht nicht leben, ohne etwas dagegen zu tun' Foto: UNiesert (Wikimedia Commons). Felicia Langer: 'Ich kann mit Unrecht nicht leben, ohne etwas dagegen zu tun' Foto: UNiesert (Wikimedia Commons).

bedrohte völker: Welcher Ihrer vielen Preise bedeutet Ihnen am meisten?
Felicia Langer: Der Alternative Nobelpreis, die wichtigste Auszeichnung nach dem Nobelpreis, war für mich die Krönung. Ich habe aber auch das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse sehr geschätzt. Obwohl die Resonanz danach die schlechteste war, gab es auch viel Solidarität.

bedrohte völker: 1950 sind Sie mit Ihrem Mann nach Israel ausgewandert und haben dort Jura studiert. Wie war der Beginn für Sie als Anwältin in einer "Männerdomäne"?
Felicia Langer: Ich musste mich durchsetzen, die Bessere sein. Das habe ich verinnerlicht. Es war nicht immer leicht. 1965 bis 1967 habe ich die Armen und Unterprivilegierten verteidigt. Das war nicht lukrativ, brachte mir aber Genugtuung.

bedrohte völker: Wie sind Ihre palästinensischen Klienten auf Sie als Frau gestoßen?
Felicia Langer: Ich war damals die einzige Rechtsanwältin, die Palästinenser auf der Basis von Solidarität und Verständnis verteidigt hat. Vielleicht wollten sie auch sehen, ob sie bei mir Empathie finden. Mein erster Mandant war ein Imam! Er kam mit seiner Frau, ihr Sohn war im Gefängnis. Sie hatten sein Blut beflecktes Hemd bekommen und wussten, er war geschlagen worden. In dem Moment war ich Mutter und weinte mit den Eltern. So brach die Mauer zwischen uns. Ich glaube, wenn es Anteilnahme, Verständnis und echte Solidarität gibt, ist die Geschlechter- frage zweitrangig.

bedrohte völker: Wie sind Sie als "Menschenrechtsanwältin" berühmt geworden?
Felicia Langer: Das war ein Prozess. Ich war eine Frau, eine Israelin und verteidigte Palästinenser - Terroristen, warf man mir immer vor, aber das ist unwahr! Leute, die israelische Zivilisten verfolgt haben, habe ich nie verteidigt. Doch mit der "Berühmtheit" ging soviel Hass einher, dass auch das zu meiner Bekanntheit beigetragen hat. Irgendwann brauchte ich sogar Leibwächter.

bedrohte völker: Wie sind Ihre männlichen Kollegen mit Ihnen umgegangen?
Felicia Langer: Diejenigen, die verstanden haben, dass es für uns ein Muss ist, die Palästinenser in so einer Situation von Willkür zu verteidigen, hatten sicherlich viel Sympathie. Andere konnten ihren Hass nicht verbergen. Darunter habe ich viel gelitten.

bedrohte völker: Warum haben Sie es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sich für Palästinenser einzusetzen?
Felicia Langer: Ich kämpfe, weil die Palästinenser leiden und entrechtet werden. Das ist eine grausame, kolonisatorische Besatzung! Ich kann mit Unrecht nicht leben, ohne etwas dagegen zu tun.

bedrohte völker: Warum haben Sie 1990 Israel verlassen?
Felicia Langer: Ich habe ab 1987 gemerkt, dass meine Arbeit vergeblich ist. Das Rechtssystem war eine Farce. Ich war zum Alibi für ein schlimmes System geworden. Die israelische Elite brüstete sich: "Wir haben Felicia Langer! In Jordanien oder Ägypten gibt es keine Felicia Langer!" Ich habe mir gesagt: "Nein, so etwas willst du nicht machen!" Aus Protest schloss ich mein Büro. Ich machte das überall publik, sogar die Washington Post berichtete darüber.

bedrohte völker: Warum haben Sie Deutschland als neuen Wohnsitz gewählt?
Felicia Langer: Ich erhielt einen Lehrauftrag der Uni Bremen. So konnte ich meine Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit fortführen, nur auf andere Art.

bedrohte völker: Die israelische Zeitschrift "You" zählte Sie 1998 zu den 50 bedeutendsten Frauen der israelischen Gesellschaft ...
Felicia Langer: Das war wie eine Auszeichnung für mich, spät aber wichtig!

bedrohte völker: Haben Sie ihr Lebensziel, eine Brücke zwischen Israel und den Palästinensern zu schlagen, erreicht?
Felicia Langer: Wenn ich alles Revue passieren lasse, kann ich wohl sagen, dass die Brücke tatsächlich existiert. Ich bekomme auch heute noch Anrufe und Anerkennung. Es gibt auch Mädchen, die mir zu Ehren Felicia genannt wurden. Das zeigt mir, man muss die Brücke nur bauen, damit sie fortbesteht.

[zur Person]
Die aus Polen stammende Jüdin Felicia Langer heiratete 1949 Mieciu Langer, der fünf Konzentrationslager überlebt hatte. 1950 wanderten sie nach Israel aus, wo sie einen Sohn bekamen. 1959 begann Felicia Langer ihr Jura-Studium. Seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 verteidigte sie Palästinenser vor israelischen Militärgerichten und wurde über die Grenzen Israels hinweg bekannt. Sie schrieb zahlreiche Bücher. 1990 schloss sie ihre Kanzlei und zog mit ihrem Mann nach Deutschland.

Rabbinerin Alina Treiger [ su ]

Symbolfigur des liberalen Judentums

Hanno Schedler

Weltweit gibt es 900 Rabbinerinnen. Eine von ihnen ist Alina Treiger, die trotz ihrer erst 31 Jahre bereits eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich hat. Sie ist die erste nach dem Holocaust in Deutschland geweihte Rabbinerin. Vor Treiger wurde in Deutschland nur einmal eine Frau ordiniert, die 1902 geborene Regina Jonas.

Alina Treiger wurde im November 2010 zur Rabbinerin ordiniert. Foto: Matthias Süßen (Wikimedia Commons). Alina Treiger wurde im November 2010 zur Rabbinerin ordiniert. Foto: Matthias Süßen (Wikimedia Commons).

Regina Jonas beendete 1930 ihr Studium, fand aber erst fünf Jahre später einen liberalen Rabbiner, der sie zur Rabbinerin ordinierte. In den Folgejahren arbeitete sie als Lehrerin und Seelsorgerin in einem jüdischen Krankenhaus in Berlin. 1942 wurde sie ins Konzentrations- lager Theresienstadt deportiert. Mit dem ebenfalls dort internierten Wiener Psychoanalytiker Viktor Frankl betreute sie Mithäftlinge seelsorgerisch, um diese vor dem Selbstmord zu bewahren. Im Oktober 1944 wurde Jonas dann nach Auschwitz gebracht und dort wahrscheinlich am 12. Dezember 1944 ermordet.

Alina Treiger wurde 1979 in der ukrainischen Stadt Poltawa geboren. Bereits in jungen Jahren war sie sich ihrer jüdischen Wurzeln bewusst, obwohl es in Poltawa weder eine jüdische Gemeinde noch eine Synagoge gab. Ihr Vater Phula Treiger durfte als Jude unter der kommunistischen Herrschaft nicht studieren. Da ihre Mutter keine Jüdin war, wuchs Alina Treiger nicht als Jüdin auf und trat erst später zum Judentum über. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion lernte Treiger andere Juden kennen und gründete einen jüdischen Jugendclub. Sie empfand die Rolle der Frau im vorherrschenden orthodoxen Judentum jedoch nicht als zufriedenstellend und wandte sich dem liberalen Judentum zu. Nachdem sie zunächst ein Musikstudium aufgenommen hatte, war es eine neuntätige Reise nach Israel im Jahr 1998, die ihr ihre Religion zur Berufung und dann zum Beruf werden ließ.

Die Weltunion des Progressiven Judentums (WUPJ) ermöglichte ihr in Moskau zunächst eine Ausbildung als Gemeindearbeiterin und bot ihr dann ein Studium in Deutschland an. Am 7. Juli 2001 traf Alina Treiger mit einem kleinen Koffer und ohne Deutschkenntnisse in Berlin ein, um mit einem Studentenvisum am liberalen Abraham-Geiger-Kolleg der Uni- versität Potsdam zu studieren. Das Kolleg wurde 1999 als erste akademische Ausbildungsstätte für Rabbiner in Mitteleuropa seit der Schließung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums 1942 gegründet und arbeitet mit der Universität Potsdam zusammen. Am 4. November 2010 wurde Alina Treiger in der Synagoge Pestalozzistraße in Berlin-Charlottenburg im Beisein von Bundespräsident Christian Wulff und der damaligen Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, zur Rabbinerin geweiht.

Über ihre Weihung wurde international berichtet. Der BBC sagte sie: "Ich habe diese Arbeit nicht ausgesucht. Sie hat mich ausgesucht." Alina Treiger betreut nun die Ge- meinden in Oldenburg und Delmenhorst. Dort bilden in den meisten Gemeinden Zuwanderer aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion einen großen Teil der ungefähr 500 Gemeindemitglieder. Alina Treiger sieht es als Vorteil an, dass sie den Mitgliedern in ihrer Gemeinde, die noch nicht so gut Deutsch sprechen und zur Zeit des Kommunismus wenig Kontakt zu ihrer eigenen Religion hatten, das Judentum auch auf Ukrainisch oder Russisch nahe bringen kann.

Das liberale Judentum
Die Ursprünge des liberalen Judentums sind vor allem im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts zu finden. Sie gehen unter anderem auf Ideen von Moses Mendelssohn, Israel Jacobsohn und Abraham Geiger zurück. Die liberale Strömung interpretiert die Offenbarung nicht als einmaligen Akt, bei dem Moses durch Gott wörtlich die Thora ("schriftliche Lehre) und alle Auslegungen ("mündliche Lehre", später im Talmud niedergeschrieben) erhielt, sondern als einen von Gott ausgehenden und durch Menschen vermittelten, dynamischen und andauernden Prozess. Im liberalen Judentum gilt in allen religiösen Belangen die Gleichheit von Mann und Frau.

Kurdische Menschenrechtlerinnen in der Türkei [ oben ]

Leyla Zana: "Wir Kurden müssen uns einig sein"

Im Folgenden drucken wir Auszüge aus einer Rede der kurdischen Menschenrechtlerin Leyla Zana beim ersten Kongress kurdischer Frauen aus der Türkei, dem Irak, dem Iran, Syrien, Europa und den GUS-Staaten in Diyarbakir (Türkei) im April 2010. Leyla Zana saß unter anderem elf Jahre im Gefängnis, weil sie ihre kurdische Muttersprache vor dem türkischen Parlament benutzte.

Unsere [kurdischen] Frauen waren seit Qasr-e Schirin und Lausanne [die Verträge Qasr-e Schirin (1639) und Lausanne (1923) teilten das Land der Kurden, d. Red.] politischer, kultureller und religiöser Verfolgung sowie ökonomischer Ausbeutung ausgesetzt. Deshalb müssen wir viel Kraft aufbringen, um eine friedliche, demokratische und für Frauen gleichberechtigte Gesellschaft zu schaffen.

Diese Konferenz ist nicht nur wegen der Ungerechtigkeiten Frauen gegenüber und der Beeinträchtigungen ihrer Rechte notwendig. Auch Themen wie Steinigung, Frauenbeschneidung, Ehrenmorde, Blutrache, Zwangsheirat, sexuelle Gewalt, Vergewaltigung und das Verbot der Muttersprache sind aktuelle und alltägliche Probleme, denen wir uns widmen müssen. Auch wenn es uns nicht möglich sein wird, diese schrecklichen Angelegenheiten von heute auf morgen zu lösen, glaube ich, dass wir als Betroffene und Unterstützer eine Wirkung in der Öffentlichkeit entfachen können. Es ist unser Bedürfnis, von nun an organisiert an diesen Themen zusammenzuarbeiten.

Die kurdischen Frauen kämpfen einerseits für ihre Rechte als Frauen, aber auch für die nationale Identität und Freiheit der Kurden. So ist die kurdische Frau häufig die Stimme der Unterdrückten und Stimmlosen geworden. Die kurdischen Frauen, die in Kurdistan und in der Diaspora leben, versammeln sich heute zum ersten Mal. Wir sehen, dass viele Nationen und Staaten versuchen, zu den Kurden Beziehungen aufzubauen. Wenn wir Kurden in unseren eigenen Kreisen offen und ehrlich kommunizieren, kann auch mit den Nachbarstaaten ein gesünderer Dialog entstehen. Solange Kurden untereinander nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommen, kann es keine Solidarität von anderen mit uns geben. Ohne Solidarität, keine Einheit, ohne Einheit keine Stärke, ohne Stärke keine Friedenssicherung!

[Übersetzung Cigdem Cagirigi].

'Samstagsmütter' in Diyarbakir. Foto: Ahmet Ün. 'Samstagsmütter' in Diyarbakir. Foto: Ahmet Ün.

Kurdische "Samstagsmütter" suchen ihre Söhne
Im Schneidersitz demonstrieren kurdische Frauen in Diyarbakir. Die "Samstagsmütter" halten umrahmte Fotos vermisster Angehöriger in den Händen. Jeden Samstag treffen sie sich zum stillen Protest, auf der Suche nach ihren Männern, Söhnen, Brüdern oder Vätern. Denn auch wenn der Krieg zwischen der kurdischen Untergrundorganisation PKK und dem türkischen Staat - dem 1984 bis 1999 rund 42.000 Menschen zum Opfer fielen - offiziell vorbei ist, werden bis heute 17.000 Kurden vermisst. Die Initiative der Samstagsmütter entstand 1995 in Istanbul: Anfang der 1990-er Jahre waren die Fälle des "Verschwindenlassens" in der Türkei rasant angestiegen. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung wurde systematisch gegen die PKK und die kurdische Zivilbevölkerung vorgegangen.

Am 21. März 1995 verschwand der 30 Jahre alte Lehrer Hasan Ocak, 55 Tage später identifizierte seine Mutter seine Leiche. Unter ihrer Führung trafen sich die Mütter erstmals am 27. Mai 1995 in Istanbul. Von nun an protestierten sie jeden Samstag. Sie wollten sich der türkischen Regierung und Justiz, die zu den Morden schwieg, entgegenstellen. Sie wollten die Verbrechen bekannt machen und weitere verhindern. Vier Jahre lang bestanden sie gegen fortwährende Unterdrückungsversuche durch die Türkei. Die Initiative weitete sich auf andere Städte wie auf Diyarbakir aus, wo sich die Samstagsmütter bis heute jede Woche treffen.

Carina Schlüsing

Kurdistan [ oben ]

Frauen in Irakisch-Kurdistan

Cinur Ghaderi

Es gibt nicht "DIE" Frauen im autonomen Kurdistan, es gibt Parlamentarierinnen wie Bäckerinnen, Professorinnen wie Analphabetinnen, Unverheiratete wie in Polygamie Lebende, ältere Frauen, die die Baath-Diktatur erlebt haben, und jüngere Frauen. Die Zeit während der Diktatur unterschied sich wesentlich von der aktuellen Situation, auch wenn der historische Einfluss unübersehbar ist.

'Barzan-Frauen' mit den GfbV-Vertreterinnen Fadila Memisevic (Mitte) und Maria Sido (2.v.r.). Foto: GfbV-Archiv. 'Barzan-Frauen' mit den GfbV-Vertreterinnen Fadila Memisevic (Mitte) und Maria Sido (2.v.r.). Foto: GfbV-Archiv.

Kurdische Frauen im Irak wurden unter Saddam Hussein von 1968 bis 2003 ebenso wie kurdische Männer (Muslime und Yeziden) und Angehörige anderer Minderheiten (Assyro-Chaldäer-Aramäer, Turkmenen) Opfer genozidähnlicher Angriffe, durch die bis zu 500.000 Menschen starben.

Vom 16. bis 18. März 1988 bombardierten 88 irakische Flugzeuge die 80.000 Einwohner zählende kurdische Stadt Halabja mit Giftgas. Mindestens 7.000 Menschen starben oder erlitten dauerhafte Gesundheitsschäden. Unter dem Codewort "Anfal" führte die irakische Armee 1988 und 1989 einen organisierten Massenmord an der Zivilbevölkerung Kurdistans durch. Arbeitsfähige Männer im Alter von elf bis 50 Jahren wurden gezielt ermordet, um Gegenwehr zu verhindern. Tausende Dörfer wurden zerstört, hunderttausende Menschen ermordet und verschleppt. Von den meisten fehlt bis heute jede Spur. Saddam Husseins Cousin Ali Hassan Al Majid (bekannt als "Chemie Ali") leitete die "Anfal-Kampagne". Einer der tragischsten Höhepunkte der Saddam-Diktatur war der 30. Juli 1983: An diesem Tag wurde praktisch die gesamte männliche Bevölkerung des Barzan-Tals vom irakischen Militär auf Lastwagen verladen und deportiert.

Die Frauen verloren ihre Männer und Söhne, Brüder und Väter. Die 8.000 Männer tauchten nie wieder auf. Alle Deportierten waren erschossen worden. Diese Ereignisse sind für die Witwen in Germian und Barzan alltägliche Gegenwart. Auch die Gedanken der Anfal-Witwen kreisen um ihre Toten und Verschollenen. Sie wurden zwar teilweise von der Regierung mit einer kleinen Rente und einem Stück Land unterstützt, doch viele warten nach wie vor auf die Öffnung der zahlreichen Massengräber im Irak - auf Gewissheit über das Schicksal ihrer Angehörigen, Wiedergutmachung und die Anerkennung ihrer traurigen Erfahrungen.

Die genozidähnlichen Offensiven hatten auch Auswirkungen auf die Kultur der betroffenen Minderheiten: Der Terror führte zum Festhalten an traditionellen und religiösen Strukturen als Teil einer als bedroht wahrgenommenen Identität. So können Anfal-Witwen nicht einfach ein neues Leben beginnen und arbeiten. Ohne männliche "Beschützer", ob Mann, Vater, Bruder oder Sohn, stehen sie selbst in der 2. Generation unter enormem gesellschaftlichem Druck.

Ermutigend in dieser Hinsicht sind Opferverbände und Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich beispielhaft für die Anfal-Frauen engagieren: Haukari setzt sich für die Errichtung von Denkmälern unter Beteiligung der Opfer mit dem Ziel der Aufarbeitung der Ge- schichte und der öffentlichen Anerkennung ihres Leides ein. Die NGO "Vejin", die Anfang 2007 mit Unterstützung der GfbV gegründet wurde, hat ihren Sitz in Barzan und recher- chiert das Schicksal der Genozid-Opfer im Barzan-Tal, um ihren Angehörigen Gewissheit zu geben. Außerdem verbessert sie die Lebensbedingungen der Überlebenden durch humanitäre und logistische Hilfe.

Die Politik in Irakisch-Kurdistan thematisiert zwar Themen wie Anfal und Geschlechtergerechtigkeit, doch nicht selten zur Legitimation eigener Machtansprüche. Dies macht sich daran bemerkbar, dass aus den Diskussionen um "gender equality" keine ernsthaften Konsequenzen gezogen werden. Die Rechte von Frauen - wie die Quote für Parlamentssitze für weibliche Abgeordnete - werden oft nur halbherzig umgesetzt.

Dipl.-Psych. Cinur Ghaderi arbeitet als Psychologische Psychotherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge (PSZ) in Düsseldorf. Sie wurde 1970 in Suleimania/Irakisch-Kurdistan geboren und war jahrelang freie Mitarbeiterin beim WDR.

Chinas Innere Mongolei [ oben ]

Frau von inhaftiertem Menschenrechtler in Sippenhaft

Katja Wolff

Tragischer hätte ihr Schicksal kaum sein können. Ihr Mann, der bekannte mongolische Menschenrechtler Hada, hatte seine 15-jährige Haftstrafe abgesessen. Am 10. Dezember 2010 sollte er entlassen werden. Am Tag der Menschenrechte. An dem Tag, an dem der ebenfalls inhaftierte chinesische Schriftsteller Liu Xiaobo in Abwesenheit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die 55-jährige Xinna wartete sehnsüchtig auf die Freilassung ihres Mannes Hada. Doch die chinesischen Sicherheitsbehörden hatten Angst vor Unruhen und verschärften ihre Sicherheitsvorkehrungen.

Xinna und Sohn Uiles besuchen Hada (Mitte) im Gefängnis. Foto: free-hada-now.org. Xinna und Sohn Uiles besuchen Hada (Mitte) im Gefängnis. Foto: free-hada-now.org.

Am 4. Dezember 2010 wurde Xinna in ihrem Buchladen in Hohot, der Hauptstadt der Autonomen Region Innere Mongolei, von chinesischen Sicherheitskräften festgenommen. Die Polizei konfiszierte hunderte Bücher, CDs und vieles mehr und ließ das Geschäft verriegeln. Gleichzeitig wurde das Lager des Buchladens durchsucht, wo Xinnas und Hadas Sohn Uiles arbeitete. Er eilte in ein Internetcafe und informierte internationale Medien über die Festnahme seiner Mutter. Kurz darauf wurde auch er festgenommen.

Kurz vor der Verleihung des Friedensnobelpreises und der Freilassung des Menschenrechtlers fürchteten die Behörden auch in der Inneren Mongolei mögliche Unruhen. Hada hatte sich jahrzehntelang für die Kultur, Sprache, Religion und politische Mitbestimmung der Mongolen eingesetzt. Die rund 5,8 Millionen Mongolen der Inneren Mongolei wurden im 20. Jahrhundert systematisch "sinisiert", mongolische Nomaden zwangsangesiedelt. Durch massive Einwanderung von Han-Chinesen wurden sie zur Minderheit in ihrer eigenen Region.

Xinna hatte ihren Mann in seinen politischen Anliegen immer unterstützt - und wurde dafür auch selbst mehrmals mit fadenscheinigen Begründungen festgenommen. Als Hada 1995 wegen "Spionage", "Separatismus" und der "Organisation konter- revolutionärer Truppen" inhaftiert wurde, hängte Xinna ein Schild an der Tür ihres gemeinsamen Buchladens auf: Hada und andere Aktivisten seien ins Gefängnis gebracht oder drangsaliert worden, stand darauf. Daraufhin wurde Xinna am 16. Dezember 1995 in Gewahrsam genommen. Am 12. Januar 1996 entließ man sie auf Kaution. Doch bereits am 28. Januar verhaftete man sie erneut, nachdem sie ausländischen Journalisten ein Interview gegeben hatte. Auch dieses Mal wurde sie nicht offiziell angeklagt, kam aber erst im April wieder auf freien Fuß.

Während der 15-jährigen Haft ihres Mannes schrieb Xinna zahlreiche Bittbriefe unter anderen an den chinesischen Präsidenten und den Premierminister, an chinesische Behörden und Gefängnisleitungen. In einem Brief an Präsident Hu Jintao und Premier Wen Jiabao beklagte sie den schlechten Gesundheitszustand ihres Mannes: "Jedes Mal, wenn ich ihn bei meinen Besuchen sehe, bricht mir das Herz. Er sieht ganz anders aus als vor seiner Gefangenschaft."

In einem Schreiben an den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton bei einem Besuch in China im Juni 1998 schrieb Xinna: "Im März 1997 ging ich nach Chifeng, um meinen Mann zu besuchen. Sofort, als ich wieder zurück in Hohot war, rief mich das Büro für Öffentliche Sicherheit der Inneren Mongolei (IMPSB) an und forderte mich auf, alles zu erzählen, was ich meinem Mann gesagt hätte. Sie haben mich meiner Redefreiheit beraubt." Den Präsidenten bat sie, bei seinem Besuch die chinesische Regierungen dazu aufzufordern, "(1) dass alle Menschen in China, auch die Angehörigen von Minderheiten, eine reelle Freiheit für Meinungsäußerung, Veröffentlichungen, Versammlungen, Vorführungen und Demonstrationen genießen können, wie es die Verfassung vorsieht, (2) dass chinesisches und internationales Recht strikt eingehalten wird und Minderheiten ein Recht auf Selbstbestimmung haben, (3) dass mein Mann Hada sowie weitere politische Gefangene freigelassen werden und die Unterdrückung von Minderheiten aufhört." Seit ihrer Festnahme im Dezember 2010 ist weder Xinnas, Hadas noch Uiles Aufenthaltsort bekannt.

Aminatou Haidar - Menschenrechtlerin aus der Westsahara [ oben ]

"Lebendig oder tot!"

Astrid Bracht

Seit Jahrzehnten kämpft Aminatou Haidar, die "Gandhi der Sahauris", wie ihre Landsleute sie ehrfurchtsvoll nennen, für die Unabhängigkeit der Westsahara. Die ehemalige spanische Kolonie ist seit 1975 völkerrechtswidrig von Marokko besetzt. Mit Entführungen, willkürlichen Verhaftungen, Misshandlungen und Folter von Gefangenen, der systematischen Unterdrückung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit versucht die marokkanische Regierung, gewaltsam ihre Kontrolle über die Sahauris durchzusetzen.

Aminatou Haidar im Kreis einiger Freundinnen nahe El Aaiún. Foto: Saharauiak (Wikimedia Commons). Aminatou Haidar im Kreis einiger Freundinnen nahe El Aaiún. Foto: Saharauiak (Wikimedia Commons).

Aminatou Haidar verbrachte Jahre in marokkanischen Kerkern. Die Vorsitzende des Kollektivs Sahaurischer Menschenrechtsverteidiger (Collectif des défense sahraouis des droits de l´homme - CODESA) spielte eine führende Rolle bei mehreren Kampagnen für die Freilassung politischer sahaurischer Gefangener. Sie macht sowohl in ihrem Land, aber auch international auf Menschenrechtsverletzungen in der Westsahara aufmerksam. Für ihr friedliches Engagement wurde sie mit internationalen Preisen gewürdigt und 2008 für den Friedensnobelpreis nominiert.

Im Dezember 2009 bezahlte Haidar den Wunsch, in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen, fast mit dem Leben. Die damals 42-Jährige hatte in den USA einen Preis für Zivilcourage entgegengenommen, der jedes Jahr für den "unerschütterlichen Widerstand gegen Böses trotz erheblichem persönlichen Risiko" vergeben wird. Am 14. November 2009 wollte sie wieder in die Westsahara einreisen. Wie immer gab sie auf dem Einreiseformular bei der Frage nach der Nationalität "sahaurisch" und nicht "marokkanisch" an. Mit der Begründung, sie leugne ihre marokkanische Identität, nahmen ihr marokkanische Behörden den Pass ab und ließen die zweifache Mutter auf die spanische Urlaubsinsel Lanzarote ausfliegen. "Entweder man ist Marokkaner oder Verräter" kommentierte der marokkanische König Mohammed VI. dieses Vorgehen.

Aus Protest gegen ihre unrechtmäßige Deportation und weil Spanien sie ohne gültigen Pass nicht ausreisen lassen wollte, trat Haidar auf dem Flughafen von Lanzarote in einen Hungerstreik. "Ich werde nach El Aaiún zurückkehren", versicherte die Menschenrechtlerin, "mit Pass oder ohne, lebendig oder tot". In den folgenden Wochen wurde ihr Fall zu einem internationalen Problem für Marokko. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. Schließlich übten die EU-Präsidentschaft, US-Außenministerin Hillary Clinton und UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon massiven Druck auf Marokko aus, damit Haidar in ihre Heimat zurückkehren durfte. Am 17. Dezember 2009, dem 32. Tag ihres Hungerstreiks, musste die Aktivistin in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Kurz darauf erlaubte ihr Marokko die Ausreise in die Westsahara. "Dies ist ein Triumph für das Internationale Recht, für die Menschenrechte und für die Westsahara", erklärte Haidar kurz vor ihrem Abflug.

Aminatou Haidar, geboren 1967 in El Aaiún, besitzt einen Hochschulabschluss in moderner Literatur. Aufgrund ihres Einsatzes für die Verteidigung der Menschenrechte des saharauischen Volkes erfuhr sie bereits viel Leid: Im Alter von 20 Jahren nahm sie an einer Demonstration teil, bei der eine Abstimmung über die Zukunft der Westsahara gefordert wurde. Sie wurde verhaftet und vier Jahre an einem geheimen Ort festgehalten. Bei ihrer Freilassung war sie ein Schatten ihrer selbst, von Folter gezeichnet, konnte sie kaum laufen. Doch ihr Lebens- und Kampfeswille war ungebrochen. Bei einer Demonstration im Juni 2005 wurde sie erneut verhaftet. Marokkanische Polizisten fügten ihr dabei mit Schlagstöcken so schwere Verletzungen zu, dass die Wunden genäht werden mussten.

Haidar wurde abermals zu sieben Monaten Haft verurteilt. Damals trat sie in einen mehr als siebenwöchigen Hungerstreik, um für sich und ihre Mithäftlinge bessere Haftbedingungen zu erreichen. Aminatou Haidar wird ihren gewaltlosen Kampf für die Unabhängigkeit der besetzten Westsahara fortführen - auch wenn es für sie selbst den Tod bedeuten sollte.

Uranabbau gefährdet Überleben ganzer Völker [ oben ]

Indigene Frauen machen sich stark gegen Uran-Lobby

Helena Nyberg / Incomindios Schweiz

Die Havasupai Carletta und Rex Tilousi. Foto: Ruedi Suter. Die Havasupai Carletta und Rex Tilousi. Foto: Ruedi Suter.

"Uranabbau hinterlässt ein giftiges Erbe, lange nachdem die Bergbauunternehmen den Betrieb einstellen, es schadet unserer Gesundheit und ver- letzt Mutter Erde", erklärt Charmaine White Face. Die Sprecherin der Tetuwan Sioux (Lakota) Nation aus Pine Ridge in Süd-Dakota/USA kämpft mit ihrer Organisation Defenders of the Black Hills gegen den Urankreislauf. In den 1950-er Jahren wurde in dem Gebiet um die Black Hills, die den Lakota heilig sind, Uran entdeckt und gefördert. Seit mehr als 40 Jahren liegen tausende Minen still. In Wyoming fließen verseuchte Abwässer direkt in den Cheyenne River. Hochradioaktives Material gelangt so in das Cheyenne River Reservat im Westen von Süd-Dakota.

Flussbett, Wasser und das umliegende Land sind verseucht. Trinkwasser muss ins Reservat befördert werden. Der Wind verbreitet feinsten Uranstaub. "Kaum eine Großfamilie, die nicht von der Radioaktivität betroffen ist; viele Kinder leiden an Leukämie, sie tranken jahrelang kontaminiertes Wasser", berichtet die von Strahlenschäden gezeichnete zierliche Frau. Ihr Durchhaltewillen leuchtet trotzdem aus ihren dunklen Augen. "Meinen Sohn hat man unter fadenscheinigen Gründen hinter Gitter gesteckt - um mich davon abzuhalten, unsere Gewässer auf Radioaktivität zu prüfen."

"Auf unserem Land gibt es zwei Uranminen und 130 Schürfrechte zur Erkundung potenzieller Abbaustätten. Wir wurden ohne Entschädigung vertrieben. Wir wollen nicht, dass diese Abbaufirmen unser Land vergiften und unsere Lebensweise zerstören", erklärt die Tuareg Azara Jalawi, Vize-Präsidentin der Koordination für die Zivilgesellschaft in Arlit, Niger. Ohne die Bevölkerung umfassend aufzuklären, baute die französische Staatsfirma AREVA Uranerz in den Tuareg-Gebieten ab. Arlit wurde zum Zentrum des Uranabbaus, die Tuareg-Arbeiter mussten dort sesshaft werden. Oft erhielten sie statt Lohn Baumaterial für ihre Häuser, darunter auch verstrahlte Einzelteile. Die Organisation CRIIRAD brachte später die hohen Strahlenwerte ans Tageslicht.

"Mein Volk muss mit Uranabbau und Atomwaffentests leben. Wir spüren die zerstörerischen Folgen der Radioaktivität am eigenen Leib und beobachten, wie unser Land langfristigen Schaden davonträgt", schildert Rebecca Bear Wingfield, stellvertretende Vorsitzende der Australian Nuclear Free Alliance und Mitglied des Ältestenrates der Arabunna, Kokatha und Kupa Pita Kungka Tjuta in Australien. Die resolute Aborigine führt ihre Kinderlosigkeit und Gesundheitsprobleme auf die radioaktive Strahlung zurück. Jetzt baut sie ihr weltweites Kontaktnetz mit gleichgesinnten Gruppen, indigenen Organisationen und Frauen aus, um vor Gesundheitsschäden durch Uranabbau und Atomwaffen zu warnen. Sie wechselt ständig ihren Aufenthaltsort. "Man weiß nie, wann man zur Zielscheibe der Gegenseite wird - aber der Traum von einer atomfreien Welt ist es mir wert." Carletta Tilousi ist gebürtige Havasupai und die Nichte des spirituellen Führers Rex Tilousi. Seit 20 Jahren setzt sie sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit für ihr Volk ein - eines der kleinsten indianischen Völker der USA.

Von Anfang an engagierte sie sich gegen Uranabbau auf Staatsland, der ihre Wasserscheide und den heiligen Berg Red Butte gefährden würde (s. pogrom 258). Tilousi ist eine der wenigen (Frauen) der Pai, die den Weg aus dem engen Canyon zur Universität von Arizona gefunden haben. Nach ihrem Abschluss (Justice Studies) kehrte sie zurück und war während zweier Amtsperioden Regierungsrätin des Stammes- rates Havasupai Tribal Council. Seit den 1990-er Jahren wurde sie wiederholt zu Urankonferenzen nach Europa eingeladen, zuletzt 2009 in die Schweiz. Zurzeit ist sie Präsidentin der gemeinnützigen Red Rock Foundation Inc. für die Schulung und Unterstützung von indianischen Stämmen, die von Umweltproblemen betroffen sind.

Natividad Llanquileo ist Sprecherin inhaftierter Mapuche in Chile [ oben ]

Das junge Gesicht des Widerstands

Anna-Lena Herkenhoff

Mit ihren gerade mal 26 Jahren ist Natividad Llanquileo derzeit wohl eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Mapuche-Bewegung. Seit 34 inhaftierte Mapuche im Juli 2010 einen 80 Tage andauernden Hungerstreik begannen, macht sie sich öffentlich für die Rechte einiger der politischen Gefangenen stark. Sie ist zur Sprecherin der Mapuche in den Haftanstalten in Concepción und Lebu geworden.

Natividad Llanquileo: Seit dem Mapuche-Hungerstreik lässt sie ihr Jura-Studium ruhen. Foto: Méndez_vision, flickr. Natividad Llanquileo: Seit dem Mapuche-Hungerstreik lässt sie ihr Jura-Studium ruhen. Foto: Méndez_vision, flickr.

Natividad Llanquileo ist eine zierliche junge Frau mit langen schwarzen Haaren und rehbraunen Augen. Aufgewachsen ist sie in der Gemeinde Tirúa der chilenischen Provinz Arauco. Etwa 47 Prozent der Bevölkerung Tirúas sind Mapuche. An ihre Kindheit erinnert sich Natividad so: "Uns ist etwas Gutes wider- fahren: Wir mussten keinen Hunger leiden. Ja, wir liefen ohne Schuhe und Kleider umher. Irgendwann schenkte man uns Kleidung, aber sie war zu groß, für Erwachsene. Wir sahen lustig aus." Die Eltern arbeiteten, um die Ausbildung ihrer Kinder finanzieren zu können. Natividad und ihre sechs Geschwister halfen viel im Haushalt.

"Wir mussten harken, pflügen, kochen oder waschen", erzählt Natividad. Bei ihrer Erziehung legten die Eltern viel Wert darauf, dass ihre Kinder Selbstbewusstsein und Stolz für ihre Mapuche-Identität entwickelten. Niemals sollten sie sich weniger wert fühlen als andere. Nachdem Natividad die Schule beendet hatte, zog die junge Mapuche in die Hauptstadt Santiago de Chile, um Jura zu studieren. Die Unterdrückung der Mapuche war in Natividads Heimat allgegenwärtig. Sie erlebte, wie Nachbarn und Bekannte als vermeintliche Terroristen verhaftet wurden, weil sie ihre Landrechte mit Protestaktionen gegen die Interessen sich immer weiter ausbreitender Holzfirmen verteidigten. Bereits ihr Vater engagierte sich in der Indigenen-Bewegung. Natividad selbst war eigentlich keine Aktivistin, bis sie im September 2010 als Sprecherin inhaftierter Mapuche aus dem Gefängnis in Concepción Bekanntheit erlangte.

Seit 2009 befinden sich zwei ihrer Brüder, Ramón und Víctor Llanquileo Pilquiman, in Haft. Der inzwischen 29 Jahre alte Ramón sitzt im Gefängnis "El Manzano" in Concepción, der vier Jahre ältere Víctor ist in Angol. So oft sie konnte, besuchte Natividad die beiden. Als sich beide Brüder im Juli 2010 an dem 80-tägigen Hungerstreik beteiligten, fuhr sie nicht mehr nach Santiago zurück. Sie blieb in Concepción. Die Streikenden forderten die Abschaffung des noch aus der Pinochet-Diktatur stammenden "Anti-Terrorismusgesetz", das noch immer gegen Mapuche-Aktivisten angewandt wird. Die fünf in Concepción einsitzenden Mapuche wählten Natividad Llanquileo schließlich zu ihrer Sprecherin. Seitdem pausiert sie mit ihrem Jura-Studium und engagiert sich in und außerhalb Chiles für die Rechte der 17 Mapuche-Gefangenen, die sie inzwischen vertritt.

Im Herbst 2010 war sie deshalb auf einer Lobbyreise in Europa, um Politiker und Menschenrechtsorganisationen über die aktuelle Lage der inhaftierten Mapuche zu informieren und internationale Beobachter für die Prozesse gegen ihre "Schützlinge" zu gewinnen. Denn mit einem fairen Prozess ist nicht zu rechnen. Der Kompromiss, der im Sommer zur Beendigung des Hungerstreiks geführt hatte, habe "auf juristischer Ebene keine große Relevanz", erklärte Natividad in einem Gespräch mit der GfbV. "Das Einzige, was erreicht wurde, ist, dass sie jetzt nicht mehr unter dem Anti-Terrorismus-Gesetz [sondern zivilrechtlich, d. Red.] angeklagt werden". Das könnte sich "begünstigend" auf das Strafmaß auswirken.

Die 17 Mapuche sollen jedoch nach wie vor verurteilt werden. Sie haben mit Höchststrafen von 30 bis zu 100 Jahren zu rechnen. Das zeigt, dass die chilenische Regierung trotz Zugeständnissen nicht von ihrer repressiven Haltung gegenüber den Mapuche abweicht. Für Natividad Llanquileo steht ein langer Kampf bevor.

Guatemala [ oben ]

Xinka-Frauen erkämpfen ihre Rechte

Anna-Lena Herkenhoff

Um sich gegen die Gewalt und Diskriminierung von Frauen in Guatemala zu wehren, gründeten einige Angehörige der Xinka im Februar 2004 den "Verein der indigenen Frauen von Santa María Xapalpán" (AMISMAXAJ). Die indigenen Frauen engagieren sich hier für die Rechte der Frauen in ihren Gemeinden, setzen sich aber auch für eine Wiederbelebung der Xinka-Identität sowie deren Anerkennung dieser durch den Staat ein. Inzwischen kümmern sie sich auch um den Schutz der Umwelt in ihrer Region Santa María Xalapán im Bundesstaat Jalapa.

Lorena Cabnal: 'Als wir unseren Verein gründeten, durften wir Frauen kaum das Haus verlassen'. Foto: lavozdeasturias.es. Lorena Cabnal: 'Als wir unseren Verein gründeten, durften wir Frauen kaum das Haus verlassen'. Foto: lavozdeasturias.es.

Das Engagement der Xinka-Aktivistinnen entstand aus dem Bedürfnis heraus, sich Anerkennung und ein Mitspracherecht zu verschaffen. "Als wir unseren Verein gründeten, war der Machismo in der Gemeinden so dominant, dass wir Frauen kaum das Haus verlassen und uns treffen durften", erinnert sich Lorena Cabnal, Gründungsmitglied und Sprecherin der AMISMAXAJ.

Durch die patriarchalen Strukturen, die auch in vielen indigenen Gemeinschaften vorherrschen, wer- den Frauen als gesellschaftliche und politische Akteure meist nicht ernst-, wenn überhaupt wahrgenommen. Die Gemeinderäte sind traditionell männlich besetzt. Selbst wenn eine Frau in ein politisches Amt gewählt würde, erhielte sie kaum Gehör. Deshalb versuchen die meisten es gar nicht erst. AMISMAXAJ versucht daher, die Mitsprachemöglichkeiten und die politische Bildung der Frauen zu fördern. Damit Frauen überhaupt beginnen, selbstbewusst mehr Rechte für sich einzufordern, müssen sie oft erst ein Bewusstsein für ihre Rolle und Situation entwickeln.

Bereits 2004 schloss sich AMISMAXAJ dem Sector de Mujeres an, einem Verbund verschiedener guatemaltekischer Frauenorganisationen. Die Xinka-Frauen nahmen an Kursen für politische Weiterbildung teil und brachten wichtige Strategien und Impulse für die Frauenrechtsarbeit in ihre Gemeinden mit - zum Beispiel die "Schule der Frauen": Diese Initiative klärt Frauen über ihre grundlegenden Menschenrechte auf und unterstützt sie dabei, diese - wie etwa im Kampf gegen häusliche Gewalt - auch durchzusetzen. Im Laufe der Zeit haben sie genug Wissen, Selbstbewusstsein und praktische Erfahrungen erlangt, um auch ohne das Wohlwollen der männlichen Bevölkerung eine aktivere Rolle in ihrer Gesellschaft einzunehmen.

Basierend auf dieser neuen Rolle - mit all seinem gesellschaftlichen Gewicht und Mitspracherecht - begann der Verein, sich auch anderen Themen zu widmen: Seit 2008 ist AMISMAXAJ beispielsweise in der Region Santa María Xalapán eine der tragenden Säulen des Widerstands gegen geplante Projekte des kanadischen Bergbauunternehmens Goldcorp Inc. geworden. Mit öffentlichen Protestaktionen stellten sich die Xinka-Frauen dessen Großprojekten in den Weg. Seither sind die Aktivistinnen vermehrt Drohungen ausgesetzt. Meist gehen diese von lokalen Politikern oder Landbesitzern aus, die in die Bergbaugeschäfte verwickelt sind. Lorena Cabnal wurde nach einer politischen Veranstaltung am 12. Oktober sogar mit dem Tode bedroht. Doch die Frauen lassen sich nicht einschüchtern. Sie haben sich nach Partnern umgesehen, die ihnen ein Stück weit Sicherheit gewährleisten, und werden seit 2009 von Peace Brigades International unterstützt.

Iran [ oben ]

Kein Platz für Frauenrechte

Parvaneh Ghorishi

Seit Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 bestimmt die islamische Gesetzgebung der Scharia das Leben von Millionen Iranern und Iranerinnen. Sie führt zwangsläufig zur massiven Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern: Männer haben ein Recht auf Polygamie, das Sorge- und Scheidungsrecht. Auch im Erbrecht haben Frauen das Nachsehen. Außerdem benötigen sie das Einverständnis ihres Ehemannes oder eines männlichen Familienmitgliedes, um zu verreisen oder zu arbeiten. Frauen werden entmündigt und behandelt, als ob sie unzurechnungsfähig seien.

Seit 1963 haben Frauen im Iran das Wahlrecht, seit 1979 müssen sie in der Öffentlichkeit das Kopftuch tragen. Foto: Amir Farshad Ebrahimi, flickr. Seit 1963 haben Frauen im Iran das Wahlrecht, seit 1979 müssen sie in der Öffentlichkeit das Kopftuch tragen. Foto: Amir Farshad Ebrahimi, flickr.

Geschichte der Mann-Frau-Beziehung im Iran des 20. Jahrhunderts
Von 1906 bis 1911 beendete eine konstitutive Bewegung die absolutistische Monarchie im Iran und legte damit einen ersten Grundstein für ein Parlament und eine Verfassung. Die religiösen Kräfte spielten dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Sie wollten die Scharia schon damals zur Grundlage des neuen Staatsgefüges machen. Die Debatte über Frauenrechte innerhalb dieser Bewegung führte dazu, dass sich die Verfechter eines religiösen Staatswesens gegen die Konstitutionalisten stellten. Sie argumentierten, Frauenrechte stünden den Traditionen entgegen und führten die Gesellschaft ins "Verderben".

Der Vater des Reza Schah stürzte zu Beginn der 1920er Jahre die Qajaren-Dynastie und riss die Macht an sich. Er versuchte, nach dem türkischen Vorbild Atatürks, den rigiden Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben aufzuheben und eine stärkere "Vermischung" der Geschlechter in Familie und Öffentlichkeit zu fördern. Bis Ende der 1920er Jahre hatte die Polizei beispielsweise dafür gesorgt, dass keine Frau ohne die vorgeschriebene Form der Körper- und Gesichtsverhüllung in die Öffentlichkeit trat. Erst 1928 wurde den Frauen im Iran erlaubt, unverschleiert auf der Straße zu erscheinen - allerdings nur mit Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemannes.

Reza Schah setzte schließlich mittels Staatsgewalt ein Schleierverbot für Frauen in der Öffentlichkeit durch. Der Polizei wurde befohlen, verschleierte Frauen zu "entschleiern". In den folgenden Jahrzehnten stieg die Zahl der Schulabsolventinnen und Studentinnen an. Es wurde toleriert, dass Frauen Berufe wie Lehrerin oder Erzieherin ergriffen. Der Anteil der berufstätigen Frau- en stieg auf etwa neun bis 13 Prozent. Es wird davon aus- gegangen, dass diese Zahl bis heute gleich geblieben ist. 1963 wurde den Frauen im Iran das Wahlrecht zuerkannt. Im Parlament gab es weibliche Abgeordnete, wobei sie damals wie heute nicht viel zu sagen, geschweige denn zu bestimmen hatten.

Während Frauen einige Rechte unter der diktatorischen Herrschaft des Reza Schah zuerkannt wurden, wurde jegliche oppositionelle und gewerkschaftliche Bewegung im Keim erstickt und mit dem Tod oder hohen Gefängnisstrafen bestraft. Es wurde gemordet und gefoltert. Die Ohnmacht gegenüber einem restriktiven Herrschaftssystem, das keine Freiheiten erlaubte, ließ die religiösen Kräfte erstarken. Dazu trug auch die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion bei. Für die Amerikaner war der Islam ein Bollwerk gegen die Gefahr des Einflusses der Kommunisten aus dem Norden.

Kurz nach der Islamischen Revolution verordnete der aus dem Pariser Exil zurückgekehrte Ajatollah Chomeini im März 1979 das Tragen eines "Hijab" (Kopftuch) für Frauen in der Öffentlichkeit. Regimeanhänger zerschlugen die von Frauen organisierte Demonstration gegen diesen wieder eingeführten Schlei- erzwang. Weil sie sich der neuen Situation anpassen wollten, unterstützten die linken Organisationen die Demonstrationen der Frauenverbände gegen den "Hijab" nicht, sondern kritisierten sie. Sie taten die Zwangsverschleierung als "Nebenwiderspruch" ab und behaupte- ten, Bäuerinnen und Arbeiterinnen hätten wichtigere Probleme. Die Machthaber nutzten meist fadenscheinige Argumente zur Rechtfertigung der Kopfbedeckung. Der ehemalige Präsident Bani Sadr behauptete, die Strahlen von Frauenhaaren würden die männliche Konzentration beeinträchtigen. Außerdem hieß es, Frauenhaare würden Vibrationen abgeben, mit denen Männer auf falsche Wege gelockt würden.

Ähnlich argumentierten manche Frauen, wenn sie angaben, sich in Gegenwart von Männern mit dem Hijab sicherer zu fühlen. Das Hijab ist also eine Mauer und Garant, Frauen als sexuelle Subjekte ungefährlich und geschlechtsneutral zu machen. Die Kontrolle der Sexualität der Frauen ist auch das Hauptziel aller Gesetze im Iran. Auch das Bildungs- und Erziehungswesen des Iran wurde in den 1980er Jahren der Islamisierung unterworfen und desäkularisiert. Widerspruch wird nicht geduldet und bei Nichteinhaltung drohen Strafen. Gehorsamkeit gegenüber Autoritätspersonen ist eine der wichtigsten Tugenden. Nicht eigenes Denken, sondern Anpassung und Unterwerfung werden gefördert.

30 Jahre islamische Republik Iran
In den mehr als 30 Jahren seit Bestehen der Islamischen Republik Iran ist viel Unrecht geschehen. Zahlreiche demokratische Bewegungen, allen voran der Kurden, wurden nieder- gemetzelt. Auch in Europa wurden oppositionelle Kräfte nicht geschont. Namhafte Demokraten fielen den Mordkommandos der Islamischen Republik zum Opfer. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht die Friedensnobelpreisträgerin von 1996 Shirin Ebadi darüber, wie sie für die Friedensarbeit und den Kampf für Frauenrechte ihr Leben riskiert.

Hunderte von Frauen wurden unter dem Vorwand, "Ehebruch" begangen zu haben, ermordet - einige durch Steinigung. Jährlich nehmen sich hunderte Frauen das Leben, weil sie unter massivem sozialen und psychischen Druck zu leiden haben. Mit ihrem Tod durch Selbstverbrennung setzen sie ein Fanal, das ihre prekäre Situation veranschaulicht. Sie übergießen sich mit Benzin und sterben in den lodernden Flammen. Die Zahl der drogenabhängigen Frauen ist ebenfalls dramatisch angestiegen. Die täglichen Benachteiligungen in allen Lebensbereichen, die herablassende Behandlung und die Schikanen, kurzum die praktizierte Geschlechter-Apartheid durch die Machthaber der Islamischen Republik, zerstören die Frauen. Die psychischen Wunden verursachen bei vielen Frauen tiefe Depressionen und eine Kälte, die aus Machtlosigkeit und Wut resultiert.

Als Folge davon kommt es oft zu selbstzerstörerischen Handlungen. Der iranische Filmemacher Jafar Penahi zeigt in "Der Kreis" im Jahr 2000 eindrucksvoll die gesellschaftliche Position der Frauen im Iran. Der Film beginnt in einer Entbindungsstation. Dort erfährt eine Großmutter, dass ihre Tochter nicht wie erwartet einen Sohn, sondern ein Mädchen geboren hat. Enttäuschung und Frustration sind immens. Das Mädchen ist kaum geboren und wird schon zu einem Problem.

Im Anschluss beginnt das Abenteuer von drei Frauen, die nach ihrem Freigang nicht in das Gefängnis zurückkehren, sondern fliehen und in Freiheit leben wollen. Ihr Versuch, außerhalb der Gefängnismauer in Freiheit zu leben, ist zum Scheitern verurteilt. Die eigene Familie ist nicht bereit sie aufzunehmen und verstößt sie, weil ihr "schlechter Ruf " sie gebrandmarkt und entehrt hat. Sie sind als Frauen ohne legitime männliche Begleitung verloren. Ihr Leben hängt von der Gnade der Männer ab, denen sie begegnen.


Pogrom-bedrohte Völker 264 (1/2011)