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Wieder lachen lernen

Zentrum für traumatisierte Kinder "Gabriel Grüner" in Krusha e Madhe (Kosovo)

Indice
Zentrum für traumatisierte Kinder "Gabriel Grüner" | "Manche Kinder haben seit dem Krieg nicht mehr gesprochen" | Zur Psychologie der Extremsituationen | Wie wirken sich Kriegs- und Fluchterlebnisse auf die Psyche von Kindern aus? | Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es, Kindern die vom Krieg traumatisiert sind zu helfen?

Zentrum für traumatisierte Kinder "Gabriel Grüner" in Krusha e Madhe (Kosovo) [ oben ]

Der Krieg hat allgegenwärtige Spuren hinterlassen in dieser Gegend zwischen Djakova und Prizren im Westen des Kosovo. Davon zeugen nicht nur die ausgebrannten Häusergerippe, sondern allein schon die Straße, die oft einer Mondlandschaft gleicht. Dabei kann es der motorisierte Verkehr im Kosovo schon heute an Hektik mit einer mitteleuropäischen Großstadt aufnehmen. Diese Gegend, auch Dukagjini genannt, gehörte zu den im Krieg 1998/99 am stärksten umkämpften Gebieten zwischen der UCK und den serbischen Truppen. Immer wieder säumen Gedenkstätten für gefallene Kosovo-Albaner und neue Friedhöfe die Straße. Die Innenstadt Djakovas ist von den serbischen Einheiten eingeäschert worden, Hunderte ihrer Bewohner kamen bei den Angriffen ums Leben.

Auch Krusha e Madhe, ein 5000-Einwohner-Ort an der Straße Richtung Prizren, war mehrmals Schauplatz von Massakern. In den letzten Märztagen 1999 wurden fast täglich Massenexekutionen durchgeführt. Augenzeugenberichte von Flüchtlingen in den Lagern von Kukes berichteten von grauenhaften Szenen. So schlossen serbische Einheiten im Morgengrauen des 25. März 1999 etwa 70 Einwohner in die Moschee ein und setzten sie in Brand. Keiner überlebte. Mehrere Flüchtlinge berichten von Massenhinrichtungen und Verstümmelungen an den darauffolgenden Tagen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen hat eine detaillierte Dokumentation der Augenzeugenberichte mit dem Titel "Genozid im Kosovo" vorgelegt. Das Dorf ist zu 80% zerstört worden. Während des Krieges wurden 230 Menschen getötet, dadurch wurden 335 Kinder Halb- oder Vollwaisen.

Zentrum für Kinder mit Kriegstraumata in Krusha e MadheHeute steht in Krusha e Madhe, im Hof der weiterführenden Schule des Ortes, ein Zentrum für Kinder mit Kriegstraumata. Auch an diesem heißen Augusttag tummeln sich an die 60 Kinder im Freien. Im Schnitt besuchen etwa 200 Kinder dieses Zentrum, das eine Art Kindertagesstätte ist. Die Kinder besuchen die Grund- oder die Oberschule in Krusha und werden dann im Schichtbetrieb vormittags oder nachmittags von den Mitarbeiterinnen des Zentrums betreut. Die meisten der Kinder sind Waisen oder Halbwaisen, leben aber bei Verwandten. Waisenhäuser sind im Kosovo unbekannt, so Andrea Bindel, Projektleiterin von KINDERBERG e.V. (www.kinderberg.de). Diese private deutsche Nicht-Regierungsorganisation trägt das Projekt, das sich nahezu ausschließlich aus privaten Spenden finanziert. KINDERBERG betreibt im nahen Prizren auch eine pädiatrische Abteilung der Klinik und hat in Bosnien Erfahrungen mit traumatisierten Kindern und Frauen gemacht. Zu den Unterstützern gehörte auch Gabriel Grüner, der im Juni 1999 im Kosovo ermordete Malser Journalist, dessen Namen nun das neue Zentrum trägt.
Gabriel Grüner war im vergangenen Jahr in der Nähe von Prizren erschossen worden. Der Krieg im Kosovo war soeben zu Ende und die Flüchtlingskonvois kehrten wieder in ihr Land zurück. Gabriel Grüner wollte diesmal vom Frieden berichten, nachdem er als Journalist die Kriege auf dem Balkan von Anfang an dokumentiert hat. Das Schicksal von Kindern im Krieg hat ihn in besonderer Weise beschäftigt und aus dieser Betroffenheit heraus initierte er verschiedene Aktivitäten zum Thema "Kinder des Krieges", so beispielsweise 1996 eine Ausstellung, mit der er viele Menschen auf dieses oft vernachlässigte Thema aufmerksam machte.

Das Zentrum in Krusha e Madhe mit seiner lärmenden Kinderhorde erscheint uns zunächst nicht anders, als viele unserer Freizeitangeboten: die Kinder spielen, machen Musik, malen, bewegen sich im Freien und einige engagierte BetreuerInnen regen an, unterstützen, begleiten. Aber lassen wir uns vom Anschein nicht täuschen, warnt Dr. Karmit Zysman, die pädagogische Leiterin. Die Traumata sitzen tief und verursachen alle möglichen Verhaltensauffälligkeiten.

"Manche Kinder haben seit dem Krieg nicht mehr gesprochen" [ oben ]

So begegnen wir Visari. Er ist etwa drei Jahre alt und fährt mit seinem roten Plastiktraktor durch die Räume des Zentrums und mimt die Geräusche des Motors nach. Er reagiert nicht auf die Kontakte der anderen Kinder und nimmt auch die Betreuerin nicht wahr, die ihn zärtlich über die Wange streichelt. Sein Blick geht geradeaus und seine Mimik ist starr. Ihn hat es besonders stark getroffen. Seine Eltern sind im Krieg getötet worden. Wer weiß, was der kleine Visari mit ansehen mußte. Jedenfalls lebt er jetzt bei einer Tante und besucht täglich das Zentrum.

Mit Dr. Karmit Zysman"Manche Kinder", sagt Dr. Zysman, "haben seit dem Krieg nicht mehr gesprochen. Viele sind so verängstigt, dass sie vor jeder Berührung zurückschrecken." Die Betreuerinnen wissen, dass oft der erste Anschein sehr trügerisch sein kann. Hinter jedem auffälligen Verhalten steckt tiefes Leiden und der Wunsch nach Zuwendung und Trost.
Die meisten Kinder haben die Massenflucht der Albaner vom April/Mai 1999 miterlebt, sind aber gleich nach dem Krieg nach Hause zurückgekehrt. Die Kinder haben in der Regel Schlaf- und Essprobleme, oft genug Konzentrationsschwierigkeiten. Einige haben das Lesen und Schreiben "vergessen". Das Sprechen über die Kriegserlebnissen steht nicht im Vordergrund der Therapie, erklärt Dr. Zysman. Zunächst müssen die Kinder wieder lernen, zu ihrer Umwelt Vertrauen zu fassen. Die Schule kann das im Kosovo nicht leisten, da sie erst langsam wieder Tritt fasst und zu autoritär geführt wird.

Traumatisierte Kinder brauchen ein Mehr an Zuwendung. So gibt es abwechselnd "laute" und "leise" Spiele, man einzeln für sich, dann wieder in der Gruppe. Bei den Spielen im Hof klingt schon wieder die alte Fröhlichkeit durch. Manchmal braucht es Monate und Jahre, bis sich die ersten Erfolge zeigen, dämpft Dr. Zysman die Erwartungen. Bei manchen Kindern bleiben die Kriegstraumata ein Leben lang. Neben den psychosozialen Therapien bekommen anämische Kinde auch eine warme Mahlzeit im Zentrum und Frauen eine Schwangerschaftsberatung. Medizinische Vorsorgeuntersuchung und Ernährungsberatung gehört auch zum Angebot des KINDERBERG-Zentrums , das schon aus seinen Nähten platzt. Schon trägt man sich mit Plänen zum Ausbau, so bald eine Finanzierung gefunden ist. Die in langer praktischer Erfahrung entstandenen Therapien bieten keine Garanten für die Bewältigung der Traumata, aber man spürt es deutlich, dass hier die Kinder wieder lachen lernen.

Zur Psychologie der Extremsituationen [ oben ]

Von einer Extremsituation kann man nach Bruno Bettelheim, ein bedeutender Kinderpsychologe, sprechen, wenn wir in eine Lage hineingeworfen werden, in der unsere alten Anpassungsmechanismen und Wertvorstellungen nicht mehr helfen und unser Abwehrsystem zusammenbricht.

Wie wirken sich Kriegs- und Fluchterlebnisse auf die Psyche von Kindern aus? [ oben ]

Traumatische Erlebnisse durch Kriegsgeschehnisse sind für Erwachsene wie für Kinder ein massiver Einbruch in ihre Biografie. Die Grenzen der psychischen Belastbarkeit werden überschritten, wenn Menschen Gewalt erleiden müssen oder Gewaltakten ohnmächtig zusehen müssen. Im Unterschied zu Erwachsenen fehlt den Kindern jede Möglichkeit, Kriegs- und Gewalthandlungen nachzuvollziehen, zu durchschauen oder einzuordnen. Dies verursacht einen Zustand von tiefer und allgemeiner Verwirrung und Verängstigung.

Kindgemäßes Heranwachsen wird so abrupt unterbrochen. Die Folgen dieser traumatisierenden Ohnmachtserlebnisse sind so vielfältig, wie das gesamte kinder- und jugendpsychiatrische Krankheitsbild, beschreibt Hubertus Adams, der in Hamburg eine "Ambulanz für Flüchtlingskinder und ihre Familien" aufgebaut hat. Die unterschiedlichsten Symptome sind beobachtbar, die schließlich abhängig sind von der Gesamtbiografie und Sozialisation des jeweiligen Kindes. Grundsätzlich lassen sich jedoch zwei Tendenzen erkennen: die einen reagieren mit sozialer Zurückgezogenheit, mit depressiven Symptomen und sind suizidgefährdet, die anderen äußern sich aggressiv, unberechenbar und ihre Erlebnisweise ist psychotisch.

Kinder im Zentrum <<Gabriel Grüner>>Auffällig ist bei allen Kriegsgeschädigten, bei Erwachsenen wie bei Kindern, das Phänomen der "Überlebensschuld". Im wesentlichen beinhaltet sie das irrationale Gefühl, am Tod der anderen mitschuldig zu sein, allein durch die Tatsache, dass man selbst überlebt hat. Der bedeutende Kinderpsychiater Bruno Bettelheim, der als Jude das Konzentrationslager überlebt hatte, beschreibt als erster diese besondere Last der Verantwortlichkeit und Schuld: " Wenn man jahrelang in der unmittelbaren, ständigen Gefahr steht, getötet zu werden, und zwar aus keinem anderen Grund als dass man einer zur Ausrottung verurteilen Volksgruppe angehört, und wenn man weiß, dass die nächsten Freunde und Verwandten tatsächlich um Leben gebracht werden, - so genügt dies, dass man sich im ferneren Leben unablässig mit dem unlösbaren Rätsel "Warum bin ich davongekommen?" und ebenso mit völlig irrationalen Schuldgefühlen, weil man davongekommen ist, auseinandersetzt."

Auch bei Kindern ist das ein zentrales Thema. Sie fühlen sich für den Tod ihrer Eltern verantwortlich. Sie leiden am Verlust und quälen sich mit Schuldgefühlen. Diesem Phänomen ist therapeutisch kaum entgegenzuwirken.

Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es, Kindern die vom Krieg traumatisiert sind zu helfen? [ oben ]

Zunächst ist es wichtig, dass Kinder Raum und Zeit erhalten, um einer Bezugsperson und anderen Kindern zu begegnen und Vertrauen aufzubauen. Dabei stehen vorerst die Gespräche über ihre Kriegserlebnisse gar nicht im Vordergrund. Erst nach und nach können diese der Gruppe und der Therapeutin erzählt werden. Was die Kinder brauchen ist eine Normalisierung der Beziehungen und des Umfeldes, so dass sie wieder Vertrauen fassen können. Sie brauchen Spiele, Musik, Bewegung, zwanglose Begegnung mit anderen, gute soziale Kontakte. Es ist wichtig, dass den Kindern ein emotional stabiles Umfeld geboten wird; sie sollen die Sicherheit eines behüteten, einfühlsamen und familiären Klimas der Geborgenheit erleben dürfen.

Traumatische Folgen des Krieges können nur langfristig gelindert werden. In jeden Fall wirken sie ins Erwachsenenalter hinein. Das Zentrum in Krusha e Madhe will mithelfen, dass diese Kinder ihre furchtbaren Erlebnisse in positiver Weise aufarbeiten lernen, dass sie im "ferneren Leben" nicht von Alpträumen und Schuldgefühlen verfolgt werden.

STECKBRIEF: ZENTRUM FÜR TRAUMATISIERTE KINDER "GABRIEL GRÜNER"

Tagesstätte für Kinder von 3 bis 18 Jahren
200 Kinder besuchen täglich das Zentrum
Projekt der privaten deutschen Nicht-Regierungsorganisation KINDERBERG e.V., gegründet 1993 durch Suzana Lipovac, Hilfe für Kriegskinder in Bosnien, Kroatien, seit 1996 Projekte in Kosovo
Projektleiterin in Prizren Andrea Bindel
Pädagogische Leiterin Dr. Karmit Zysman

Aktivitäten:
- Spiele und Animation
- Soziales Lernen
- Psychosoziale Therapie
- Medizinische Vorsorgeuntersuchung und Ernährungsberatung für Frauen mit Kindern
- Essensvergabe für anämische Kinder


AUGENZEUGENBERICHTE AUS KRUSHA E MADHE

24. März 1999 - Massenexekution von 58 Männern, die bei lebendigem Leib verbrannt wurden
25. März 1999 - Morgens um 3.30 Uhr wurde das Dorf umstellt, 14 - 15 Männer wurden erschossen
26. März 1999 - etwa 70 Männer wurden von serbischen Polizeitruppen in die Moschee getrieben und dort bei lebendigem Leib verbrannt.
27. März 1999 - 20 Männer wurden erschossen und verstümmelt
28. März 1999 - 10 Männer wurden erschossen und verstümmelt
(GfbV, Göttingen: Genozid im Kosovo)

Hanna Battisti (arbeitet als Pädagogin und Referentin an der Landesfachschule für Sozialberufe, Bozen) und Thomas Benedikter (befasst sich mit Minderheiten und bedrohten Völkern, in den letzten Jahren besonders mit der Entwicklung in Kosovo und ist Verfasser der Buchpubblikation "Il dramma del Kosovo", datanews, Rom 1998) waren im Juli/August 2000 im Kosovo und besuchten verschiedene Sozialprojekte.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/kos-rugova-de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050201de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040616de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040526ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040319ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040318de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/03-2/030520ade.html | www.gfbv.it/2c-stampa/01-2/010830ade.html | www.gfbv.it/3dossier/rom-dt.html | www.gfbv.it/3dossier/linkgfbv.html#rom

* www: www.who.int | www.eumap.org

Letzte Aktual.: 13.3.2006 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/kos-krusha.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign: M. di Vieste; E-mail: info@gfbv.it.

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