INHALTÜBERSICHT
Thomas Benedikter: Vorwort
Wolfgang Strobl: Kurze Geschichte der Kolonisierung der kleinen Völker des Nordens Sibiriens
Winfried Dallmann: Indigene Völker im Norden Rußlands. Ethnographisch- geographische Einführung
Jeremej D. Ajpin / Valerji B. Shustov: Die Lage der kleinen Völker des Nordens der
Russischen Föderation
| Kap 1. | Kap. 2. |
Kap. 3. | Kap. 4. |
Kap. 5. | Kap. 6. |
Kap. 7. | Kap. 8. |
Kap. 9. |
Florian Stammler: Wo unser Gas herkommt: Kanten und Nenzen - Westsibirien
Larissa Vyntyna: Tschukotka
| Kap 1. | Kap.
2. | Kap. 3. | Kap. 4. | Kap. 5. |
Kap. 6. | Kap. 7.
| Kap. 8. | Kap.
9. | Kap. 10. | Kap. 11. |
Übersicht über die kleinen Völker des hohen Nordens und Fernen Ostens Rußlands
Sibirien ist in Mitteleuropa der Inbegriff für eine
immense, frostige Wald- und Tundralandschaft, eine der
unwirtlichsten Gegenden der Erde. Wie leicht vergessen wir dabei,
daß die Wärme aus unseren Erdgasbrennern zum
größeren Teil gerade aus dem Boden Sibiriens stammt.
Schon seit dem 16.Jahrhundert haben die Bodenschätze dieses
rauhen Landes die Gier der Zaren geweckt. Nach drei Jahrhunderten
der blutigen Eroberung oder unblutigen Unterwerfung der
einheimischen Urbevölkerung standen die russischen Heere am
Pazifik. Eine in Europa kaum bekannte Geschichte, die durchaus
mit der Geschichte der gewaltsamen europäischen
Kolonisierung Nordamerikas vergleichbar ist. Nur knapp eine
Million "Indianer Sibiriens" haben die zaristische Eroberung und
nachfolgende Russifizierung überlebt. Die
anschließende Industrialisierung der kommunistischen
Sowjetunion hat auch in Sibirien einen ungeheuren Tribut an
Naturzerstörung gefordert.
Heute, im Zuge der kapitalistischen "Neu-Eroberung" Sibiriens,
wecken die Bodenschätze unter der Tundra und Taiga weltweite
Konzernbegierden. Ob borealer Urwald durch japanische
Holzkonzerne, das Erdöl durch US-amerikanische und
kanadische Unternehmen, das Erdgas Westsibiriens durch russische
Staatsunternehmen für den Export nach Westeuropa: die marode
russische Wirtschaft benötigt dringend Devisen, was den
Raubbau an den Ressourcen forciert. Hauptopfer dieser fatalen
Entwicklung sind die Umwelt und die natürlichen
Lebensgrundlagen, und damit ihre Bewohner, in erster Linie die
Ureinwohner.
Wie bei indianischen Völkern Nordamerikas hat sich auch bei
den indigenen kleinen Völkern des hohen Nordens und fernen
Ostens Rußlands - so der offizielle Ausdruck - Widerstand
gegen diese Entwicklungen gebildet. Jedoch erst seit
Auflösung der Sowjetunion dringt ihr Ruf stärker nach
außen und werden neue Schutzbestimmungen erlassen, aber
selten auch durchgeführt. Da aber gerade die Einführung
der Marktwirtschaft den Zugriff von außen auf die
Ressourcen dieser Gebiete verstärkt, sind diese kleinen
Völker gleich ihren nordamerikanischen Verwandten einer
doppelten Bedrohung ausgesetzt: ihre traditionellen, nachhaltigen
Wirtschaftsformen sind durch Umweltverschmutzung und
Erschließung, ihre Kultur von völliger kultureller
Assimilation bedroht.
Wie steht es um die Ureinwohner Sibiriens heute? Zwei
führende Vertreter der Abgeordnetenversammlung der kleinen
Völker des Hohen Nordens und Fernen Ostens der russischen
Föderation, Valeri Shustow und der Schriftsteller Jeremej
Ajpin, beide vom Volk der Chanten, haben vor einem knappen Jahr
eine umfassende Bestandsaufnahme der Lage ihrer Völker
vorgenommen, die von der "Versammlung der kleinen Völker"
offiziell gutgeheißen worden ist. Der vorliegende Bericht
bietet einen fundierten, aber doch knapp gefaßten Einblick
in die Gesamtproblematik. Zur Einführung schildert Wolfgang
Strobl, Mitarbeiter der GfbV-Südtirol, kurz die Geschichte
der Unterwerfung dieser Völker bis herauf in die Zeit
Stalins, und Winfried Dallmann vom Norwegischen Polarinstitut in
Oslo geographisch-ethnographische Grund-Charakteristiken. Die
Broschüre schließt mit der Vorstellung eines
Entwicklungsprojekts der "Versammlung der Abgeordneten der
kleinen Völker", das die Möglichkeiten westlicher
Unterstützung für diese Völker verdeutlicht.
Besonderer Dank gilt dem Übersetzer des Berichts aus dem
Russischen, L.Abg. Dr. Alfons Benedikter, und der Redakteurin der
Texte, Dr. Veronika Daprà, die auch einen Teil der Fotos
geliefert hat. Die GfbV verbindet mit diesem Bericht den Wunsch,
in Westeuropa mehr Interesse an einer konkreten
Projektzusammenarbeit zur Unterstützung der kleinen
Völker Sibiriens zu wecken.
Das Vielvölkerreich Rußland entstand infolge
jahrhundertelanger Expansion. Es zeichnet sich durch eine
große ethnische, konfessionelle, soziale und kulturelle
Vielfalt aus. In unterschiedlichem Maß respektierte die
jeweilige Regierung den Status quo der neueroberten Völker.
So blieb innerhalb des großen russischen Reiches eine
Vielzahl eigenständiger, nichtrussischer Kulturen bestehen.
Als Klammer des bunten Konglomerats diente die Loyalität zum
Zaren und seiner Dynastie. Aufgrund der steten Neueingliederung
von Gebieten nahm der prozentuelle Anteil der Russen an der
Gesamtbevölkerung im Laufe der Jahrhunderte kontinuierlich
ab. Betrug der Anteil der Nichtrussen am Ende des 16. Jh. nur
10%, machten am Beginn des 18. Jh. die Russen nur mehr 70% der
Gesamtbevölkerung aus; am Ende des Jahrhunderts gar nur mehr
53%. Neue Gebietszugewinne verminderten den Anteil weiter,
sodaß die Russsen 1834 bereits weniger als die Hälfte
der Gesamtbevölkerung stellten. Den übrigen Anteil
besetzten inzwischen Tataren, Weißrussen, Ukrainer; Balten,
Polen, Finnen, Juden und über 200 kleinerer Ethnien. Den
russischen und sibirischen Nordens bewohnen seit alters her
indigene Völker, denen das Gebiet bis zur russischen
Kolonisierung gehörte. Die Russen nennen diese Ethnien,
denen häufig weniger als 2000 Menschen angehören,
Völker des Nordens. Gemäß den Darstellungen
russischer Geschichtsbücher konnten die Russen im 16. und
17. Jh. fast ungehindert durch leeres Land nach Norden und Osten
ziehen. Das Vordringen Russlands in den "Wilden Osten" kann
durchaus mit der amerikanischen Expansion in den Westen
verglichen werden. Hier wie dort griffen die Ankömmlinge
radikal in die angestammten Ordnungen der indigenen Völker
ein. Je nach klimatischen Gegebenheiten bilden See- und
Meeresfischerei, Jagd, Rentierzucht und Landwirtschaft
(südlich der Dauerfrostgrenze) die wichtigsten Erwerbszweige
der indigenen Völker. Vor der russischen Kolonisierung
hingen die Indigenen weithin einem schamanistischen Animismus an,
gemäß dem die ganze Natur beseelt ist. Der
Schamanismus bildet eine wesentliche kulturelle Gemeinsamkeit der
indigenen Völker.
Vom 11. bis zum 14. Jahrhundert bildete sich um die im Nordwesten
des slawischen Siedlungsgebiets gelegene Stadt Novgorod ein
Siedlungsraum von finnischsprachigen, nichtslawischen
Stämmen. Diese Ethnien, denen die Karelier, Woten, Ischoren
und Wepsen im Nordwesten, die finnischsprachigen Saamen im Hohen
Norden, die Syrjänen (heute Komi), Permjaken, Ostjaken,
Wogulen (Mansen) und Samojeden im Nordosten zuzurechnen sind,
waren tributpflichtig und wurden von der Stadtrepublik aus
zentral verwaltet. Die Russen verfolgten zunächst eine
friedliche Akkulturationspolitik und versuchten die Völker
durch die Bekehrung zum orthodoxen Christentum zu integrieren. So
ging etwa beim Volk der Syrjänen die Christianisierung mit
der Eingliederung ins russische Reich Hand in Hand. Diese
Bestrebungen ließen sich allerdings nicht immer ohne
Waffengewalt durchsetzen. Trotz der von den Russen energisch
verfolgten Akkulturationspolitik hat sich ein Teil dieser
Völker (z.B. Karelier, Komi) seine kulturelle und
völkische Identität bis heute bewahren können. Die
Annexion der Republik durch Iwan III. im Jahre 1478 verlieh dem
Großenfürstentum Moskau definitiv den Status einer
polyethnischen Nation.
Als nach der günstig verlaufenen Eroberung und
militärischen Sicherung der Khanate von Kazan´ und
Astrachan´ (1556) Moskaus Expansionsgelüsten im Westen
durch den Livländischen Krieg am Ende des 16. Jh. ein
vorläufiges Ende gesetzt wurde, ergab sich als nächste
Stoßrichtung der Osten, wo der Khan von Sibir´ im
oberen Ob-Becken regierte. Von den zahlreichen in Kleinsippen
locker organisierten Ethnien, die im 16. und 17. Jh. in Sibirien
ansässig waren, lebten in der nördlichen Taiga die
mandschurischsprachigen Tungusen und die paläoasiatischen
Jukagiren als nomadische Jäger und Fischer, die Samojeden,
Tschuktschen, Kamtschadalen/ Korjaken hingegen als nomadische
Rentierzüchter in der (Wald-) Tundra, im Süden um den
Bajkalsee aber die mongolischsprachigen Burjäten, die
turksprachigen Jakuten und Teleuten sowie die Schoren als
nomadisierende Viehzüchter oder Hirten. Viehzucht und
Ackerbau betrieben allein die in den Steppenrandgebieten
konzentrierten Tatatren und ugrischsprachigen Ostjaken/Wogulen.
Politisch waren all diese Ethnien kaum organisiert, das
westsibirische Khanat war der einzige größere
Herrschaftsverband.
Ein Großteil der Ethnien leistete Rußland über
Jahrzehnte hinweg heftigen Widerstand. Groß angelegte
Aufstände mit separatistischer Zielsetzung gab es schon zu
Beginn des 17. Jh. Die Völker organisierten sich in kleinen
Einheiten, waren aber waffentechnisch unterlegen. Die Resistance
der Ostvölker erwies sich im Vergleich mit dem Widerstand
der Nichtrussen im Westen als erheblich stärker, da die
unterschiedliche soziale Organisation (tribale muslimische
Nomadenverbände versus seßhafte christliche Bauern)
ein höheres Protestpotential bot. Fehlende Quellen
erschweren allerdings im Ganzen eine genaue Auswertung des
nichtrussischen Widerstands. Immer wieder aufflammende Unruhen
veranlaßten Moskau auch im 18. Jh. dazu, die Aufstände
mit brutaler Waffengewalt niederzuschlagen, um die Autorität
der russischen Zentralmacht aufrechtzuerhalten. Die
Maßnahmen gipfelten mitunter in offiziellen Aufrufen zur
Ausrottung gewisser Volksgruppen (Tschuktschen).
Durch das entschlossene Auftreten gegen die russische
Großmacht zwangen die Ethnien Russland immer wieder zu
einer pragmatischeren, toleranteren und vorsichtigeren
Eingliederungspolitik. Moskau förderte die Bildung lokaler
Eliten, indem es die Stammesführer in ihren Privilegien
bestätigte und ihnen die Aufgaben der niederen
Gerichtsbarkeit und das Einziehen des Jasak (Abgabe der
Lastenpflichtigen v.a. in Form von Pelzen) übertrug, um
somit die Einkünfte aus den Tributzahlungen zu sichern. Im
übrigen mischte sich Russland nicht in die inneren
Verhältnisse der Ethnien ein. Den Völkern wurde auch
weitgehende Religionsfreiheit zugestanden. Daher prägten
ihre religiöse Sphäre auch weiterhin animistische
Bräuche (Samojeden, Tschuktschen, Tschuwaschen,
Tscheremissen). Mahnungen der russischen Regierung an die
sibirischen Voevoden (Vorsteher der Regionalverwaltung), den
Stämmen "mit Wohlwollen und Milde zu begegnen, den Jasak
nicht mit Härte und Zwang zu erheben" belegen diese humane
Einstellung. Die Lokalbehörden, Händler und Siedler
hielten sich aber selten an die Anordnungen. Auf weite Strecken
herrschten Korruption, Erpressung, Versklavung und Gewalttaten.
Um die Getreideversorgung der Besatzung zu sichern, siedelte
Russland im Laufe des 17. Jh. eine beträchtliche Zahl von
Bauern an. Trotz dieser aggressiven Siedlungspolitik hielten sich
bei den bevorzugt in den Rückzugsgebieten der Tundra und
Taiga lebenden Ethnien die herkömmlichen
Stammesstrukturen.
1719 zählten die Völker des Nordens 50.000 Menschen.
Anfang des 18. Jh. hatten die Nichtrussen die Russen in Sibirien
bereits zahlenmäßig überflügelt. Die Bauern
waren auf den südwestsibirischen Schwarzerdegürtel
konzentriert, die Jäger, Rentierzüchter, Fischer und
Hirtennomaden auf den dünner besiedelten Norden und Osten.
Im 18. Jh. ist eine Forcierung der Integration zu konstatieren.
Diese Bemühungen kamen aber nie einer sozialen Integration
der Gruppen in die russische Gesellschaftsordnung gleich. Das von
Novgorod aus praktizierte Modell einer indirekten Beherrschung
wich zusehends einem festen Abhänhigkeitsverhältnis im
militärischen, wirtschaftlichen und administrativen
Bereich.
Lange Zeit brandmarkte Russland die Nomaden als Bürger
zweiter Klasse. 1767 waren ihnen die Teilnahme an einer Tagung
der Gesetzgebenden Kommission noch verwehrt. In den Zwanziger
Jahren des 19. Jh. versuchten aufgeklärte Reformer, unter
denen der sibirische Generalgouverneur M.M. Speranskij
(1772-1839) hervorragte, die angeblich zivilisatorisch
rückständigen Ethnien -immer auf freiwilliger Basis-
auf eine höhere Kulturstufe zu führen. Die "inorodcy"
(Fremdstämmigen) erhielten erstmals einen eigenen
Rechtsstatus und im Statut von 1822 weitreichende Befugnisse zur
Selbstverwaltung. durch das "Gesetz über die Verwaltung der
Urbevölkerung" versuchte der Staat willkürlichen
Übergriffen und kapitalistischer Ausbeutung durch die
Kolonisten entgegenzuwirken. Die Reform sollte den Status quo und
die Kooperation der Ethnien mit den Russen garantieren. Dieses
von aufklärerischem Geist getragene und in der Tradition der
pragmatischen Minderheitenpolitik Moskaus stehende Reformprogramm
konnte nur teilweise verwirklicht werden. Korrupte Beamte, die
sich wirksamen Kontrollen zu entziehen wußten, verhinderten
eine effiziente Umsetzung des inorodcy-Statutes. Trotz aller
Privilegien und Maßnahmen blieben die Ethnien Bürger
zweiter Klasse.
Die Schwäche Chinas in der Mitte des 19. Jh. verhalf
Russland zur Eroberung des Gebietes nördlich und
südlich des Amur. Den einheimischen
mandschurisch-tunguschischen Stämmen der Golden, Orotschen,
Oroken, Ultschenen, Negidalen, Udegen und Giljaken widerfuhr ein
ähnliches Schicksal wie den sibirischen Ethnien. Obwohl die
Russen die als Jäger und Fischer lebenden Stämme zur
Orthodoxie bekehrten, blieben sie weiterhin in ihren
animistischen Glaubensvorstellungen verhaftet. Alkoholismus, von
den Eroberern eingeschleppte Krankheiten und ein gnadenlos
betriebener Raubbau an den natürlichen Ressourcen der
Einwohner trug seinen Teil zur Dezimierung der Einwohnerschaft
bei. Zahlenmäßig stärkere und geschlossen
siedelnde Ethnien konnten sich gegen die Zentralmacht länger
und besser behaupten.
Nikolaus I. (1825-1855) zielte in seiner Politik zuerst auf die
Erhaltung des Status quo. Jede Abweichung von dieser Linie erwies
sich als gefährlich, da Neuerungen bei den Ethnien nicht
selten Unruhen heraufbeschworen. Ab der Mitte des 19. Jh. setzte
man wieder verstärkt auf Integrationspolitik, indem man die
wissenschaftliche Beschäftigung mit verschiedenen Ethnien
vorantrieb. So schufen Sprachwissenschafter für die
schriftlosen Völker der Tschuwaschen, Wotjaken, Jakuten u.a.
ein eigenes kyrillisches Alphabet, daneben
Wörterbücher, Grammatiken und Schulbücher und
sogar eine Lehrerbildungsanstalt für Nichtrussen. Damit
verfolgte man die Absicht, die Orthodoxie bei diesen Völkern
zu verankern. Am Ende des Jahrhunderts gerieten solche
Initiativen aber zusehends unter Beschuß russisch-national
gesinnter Kreise. Die Politik trug letztendlich aber ihre
Früchte: Von 1864 bis 1905 verzeichnet die russische
Geschichte keine größeren Aufstände von
russischen Ethnien.
Um die Jahrhundertwende entwickelte sich Sibirien zum Hauptziel
russischer Siedler. Die Kolonisten bevorzugten zunächst
Westsibirien, nach dem Bau der Transibirischen Eisenbahn
(1891-1903) zogen sie vermehrt auch nach Ostsibirien. Die
zaristische Kolonisierung bedeutete für manche
Völkerschaften zwar eine Ausweitung ihres Lebensraumes
(Nenzen, Tschuktschen, Evenken, Evenen), für den
Großteil aber eine drastische Einschränkung (Enzen,
Jukagiren, Korjaken, Itelmenen). Im Zuge einer groß
angelegten Umsiedlugspoltik im Rahmen der Stolypinischen
Agrarreform ließen sich in Sibirien bis 1914 über 3
Mill. russische Bauern nieder. Die traditionellen Erwerbszweige
mußten häufig der Pelztierzucht weichen, da Pelze als
begehrte Mittel zum Tausch und Tributzahlen eingesetzt
wurden.
An der Oktoberrevolution von 1905 hat sich die Mehrheit der
nichtrussischen Ethnien kaum beteiligt. Dennoch trug an der
Peripherie die Beteiligung mancher Stämme an den
Aufständen nicht unwesentlich zur Destabilisierung der
politischen Ordnung bei. Im übrigen förderte die
Revolution das Erwachen des nationalen Selbstgefühls vieler
Ethnien. Die wenigen Intellektuellen der einzelnen Gruppen
erhoben kulturelle, soziale und politische Forderungen. Den
Tschuwaschen gelang 1905 sogar die Herstellung einer
Wochenzeitung in ihrer Muttersprache. Den Versuch der Jakuten,
sich politisch zu formieren, erstickten die Russen durch eine
Verhaftungswelle im Keim. Die bald nach der Oktoberrevolution
verabschiedete "Erklärung für die Völker
Rußlands" wurde nie wirklich umgesetzt. In den
nächsten Jahren wurde im "Komitee zum Beistand der
Völker des Nordens" (Nordkomittee) zäh darum gerungen,
ob den indigenen Völker (wie den Indianern in den
amerikanischen Reservaten) die Möglichkeit zur eigenene
kulturellen Weiterenticklung zugestanden werden solle oder ob sie
schleunigsts als Arbeiter in die Sowjetunion einzugliedern
seien.
Am Ende der Zwanziger Jahren setzten sich die radikalen
Kräfte durch. Als Rußland in mehrere
Verwaltungseinheiten eingeteilt wurde, gewährte man auch
einigen Gebiete mit indigener Bevölkerung ein gewisses
Maß an Selbstverwaltung. Den Jakuten (1922), Kareliern
(1923) und Komi (1936) gestand man gar den Status einer autonomen
Sowjetrepublik innerhalb der Russischen Sozialistischen
Föderativen Sowjetrepublik zu. Aufgrund des geltenden
Klassengesetzes blieb aber den Führungspersönlichkeiten
der einzelnen Stämme (Schamanen, Rentierbesitzer) der Zugang
zu höheren Ämtern im Sowjet, Kongreß oder einem
Komitee verwehrt. Dennoch trafen die Russen in dieser Zeit
Vorkehrungen, um die desolate Wirtschaft der Nordgebiete durch
Steuernachlaß und Subventionen anzukurbeln. Zudem versuchte
man Schriftsprachen für die meisten indigenen Stämme zu
erstellen, um dem grassierenden Analphabetismus entgegenzutreten.
Lenins Minderheitenpolitik knüpfte an die vormoderne
russische Nationalitätenpolitik an. Zur Erhaltung der Macht
gewährte er den ethnischen Gruppen großen
Freiraum.
Abstieg zum "Sowjetmenschen"
Die dreißiger Jahre unter Stalins Diktatur jedoch zogen
allem, was an wirtschaftlichen und sozialen Strukturen noch
erhalten geblieben war, den Boden unter den Füßen weg.
Die großangelegte Industrialisierung der Sowjetunion
benötigte die Reichtümer des Nordens; die
Fischereiindustrie blockierte Flüsse mit Netzen, die
Fleischindustrie verwandelte riesige Landflächen in Weiden.
Wälder verschwanden und Bergwerke wuchsen aus dem Boden.
Kein Ureinwohner wurde je gefragt. Vielerorts verschwanden
traditionelle Erwerbszweige, ohne daß die Betroffenen neue
Arbeit erhielten: Die großen Firmen brachten ihre eigenen
Arbeiter mit oder bedienten sich der Gefangenen aus den
Arbeitslagern des Gulag. Alle diese Fremden unterstanden der
Gerichtsbarkeit der örtlichen Sowjets nicht.
Der größte Teil Sibiriens wurde in dieser Zeit zu
"Volkseigentum" gemacht und kollektiviert. Einige staatliche
Versuche, die Auswirkungen auf die indigenen Völker zu
mildern, hatten keine Chance gegen die Übermacht der
Industrieministerien. Das Nordkomitee wurde 1935 aufgelöst.
Dann versuchte Stalin, alle Rechte auf ethnische, kulturelle und
sprachliche Zugehörigkeit zu eliminieren, Unterschiede, die
es für den angestrebten "Sowjetmenschen" nicht geben sollte.
Ein Unterschied blieb: Ureinwohner bekamen nur den Bruchteil des
Lohns eines russischen Arbeiters für die gleiche Arbeit.
Teile der Tschuktschen und Evenen zogen sich schließlich in
abseits gelegene Regionen zurück und konnten diesem
Schicksal vorläufig entgehen.
Die erneute zentralistische Umstellung des sowjetischen
Verwaltungssystems in den frühen achtziger Jahren, als das
Wort "Minderheit" aus den Gesetzestexten gestrichen wurde, nahm
den örtlichen Sowjets schließlich die letzte
Möglichkeit der Selbstverwaltung. Sie hatten nur noch
beratende Funktion. Die Machtergreifung Stalins in den
Dreißiger Jahren bedeutete für die indigenen
Völker eine radikale Verschlechterung ihrer Situation. Ohne
auf die Ureinwohner und die im arktischen Bereich besonders
verwundbare Umwelt Rücksicht zu nehmen, bahnten sich in
diesem an Bodenschätzen (Diamanten, Steinkohle, Braunkohle,
Erdöl, Erdgas...) und Holzarten reichen Gebiet die Boten
einer großangelegten Industrialisierung ihren Weg. Mit dem
Entstehen von Straßen, Bergwerken, Bohrtürmen und
Fabriken mußten die traditionellen Gewerbszweige der
Indigenen der Fleisch- Fischerei- und Bergwerksindustrie weichen.
Ausgedehnte Waldgebiete wurden gerodet, giftige Abfallstoffe
ungeniert in die Flüsse geleitet. Ökologische
Verbrechen wie Ölverseuchung, Störung des
Wasserkreislaufes u.a. geschahen (und geschehen noch immer)
massenweise. Da die Unternehmen ihre Arbeiter mitbrachten oder in
den Gulags rekrutierten, verloren viele Ureinwohner ihre
Beschäftigung. Das Land wurde den Indigenen enteignet und in
Staatsbesitz übergeführt, die Bewohner in andere
Gebiete umgesiedelt.
1877 hatte Russland Novaja Zemlja ("Das Neue Land") annektiert
und dort einige hundert Nenzen (Samojeden) angesiedelt. Die
Auflösung des Nordkomitees im Jahre 1935 spiegelt Stalins
politische Bestrebungen wider, einen einheitlichen
"Sowjetmenschen" zu schaffen und den Indigenen jedes Recht auf
ethnische, sprachliche und kulturelle Autonomie zu nehmen. Als
Konsequenz zogen sich einige Stämme in abseits gelegenere
Regionen zurück. 1955 entschloß sich Rußland zur
Aufnahme von Atomtests in diesem Gebiet und siedelte das Volk aus
diesem Grund erneut in das Narjan Mar-Gebiet und auf die Inseln
Kolguev und Vajgac um. An den Spätfolgen von Atomtests
leiden heute noch Teile der Bevölkerung. Ab 1937 ordnete ein
Dekret an, allein Sprachen mit kyrillischen Schriftzeichen zu
verwenden. Ab 1957 konnten all jene Lehrer verhaftet werden, die
außerhalb der Schule in der Sprache des einheimischen
Volkes sprachen. Auf Eltern übte man Druck aus, den Kindern
russische Namen zu geben. Die Regierung zwang viele Nomaden
seßhaft zu werden und trieb Bewohner kleiner Siedlungen in
Ballungszentren, indem sie Schulen, Krankenhäuser und
Läden schließen ließ. Nach 1970 konnte sich von
26 Minderheitensprachen an der Schule allein die Sprache der
Nenzen halten. Da sich heute zum größten Teil nur mehr
ältere Menschen der Tradition ihrer Sprache verpflicht
fühlen, sind viele indigene Sprachen vom Aussterben
bedroht.
Auch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg brachte für die
Indigenen keine Verbesserung mit sich. Am Ende der Fünfziger
Jahre versuchte die Regierung eine Zwangsansiedelung der
indigenen Bevölkerung in größeren Städten
durchzusetzen. Der damit verbundene Verlust kultureller
Identität äußerte sich in sozialen Problemen,
Kriminalität und Alkoholismus. Der in der Mitte des
Sechziger Jahre einsetzende Ölboom raubte vielen Indigenen
(Nenzen, Evenken, Oroken) Weideflächen und Lebensraum. Die
Ölarbeiter schreckten auch vor Plünderungen und
tätlichen Angriffen auf die Ureinwohner nicht zurück.
Suchte ein Angehöriger eines indigenen Volkes gegen
derartige Willkürakte Hilfe bei einem lokalen Gericht, wurde
er nicht selten selbst belangt und für sein Aufbegehren
bestraft. Im Zuge der Neuordnung des sowjetischen
Verwaltungssystems in den frühen Achziger Jahren strich man
das Wort Minderheit aus den Gesetzestexten und nahm den
Stämmen jede Möglichkeit auf
Eigenständigkeit.
Bis zum Ende der Achziger Jahre trieb die Regierung Rodungen, die
Förderung von Erdöl und Erdgas in diesen Gebieten
hemmungslos voran. Riesige, für die Einwohner unersetzbare
Weideflächen gingen auf diese Weise verloren. Erst ab 1989
begannen sich die einzelnen Stämme in
Interessensverbänden (z.B. Verband der Kola-Samen u.a.) zu
organisieren. Der nivchische Schriftsteller Vladimir Sangi
leitete 1990 den "Ersten Kongreß der kleinen Völker
des Nordens". In der Schlußresolution forderten die
Delegierten Maßnahmen zum Schutz der Indigenen und die
Ratifizierung der ILO-Konvention 169. Im März 1990 schlossen
sich in Moskau Vertreter der Nordvölker zur "Vereinigung der
kleinen Völker des Nordens" zusammen.
Um eine eigenständige kulturelle Weiterentwicklung zu
garantieren und damit die Zukunft der Nordvölker zu sichern,
denkt man seit dem Ende der Achziger Jahre an die Errichtung
nationaler Territorien mit Selbstbestimmungsrecht in
wirtschaftlichen Fragen. Der Zerstörung von Siedlungen
sollte Einhalt geboten werden, Niederlassungsbeschränkungen
eingeführt werden, lokal angepaßte Projekte anstelle
von zentral gesteuerten gefördert werden. Neben
Lehrprogrammen für Rentierhaltung, Jagd und Pelztierzucht
wurden auch Maßnahmen zur Wiedereinführung des
muttersprachlichen Unterrichts gestartet. Bildet ein indigenes
Volk in einer Zone die lokale Mehrheit, ist die Errichtung eines
neuen nationalen Verwaltungsgebietes möglich.
Das vorrangige Ziel ihrer Politik besteht in der Schaffung von
Rahmenbedingungen, um eine auf die eigenen Bedürfnisse
abgestellten Weiterentwicklung zu ermöglichen.
Schwerfällige Apparatschiks in den Provinzen, wieder an
Boden gewinnende nationalistische Strömungen, mafiöse
Machenschaften und nicht zuletzt die schwierige Wirtschaftslage
Russlands behindern diese Reformbestrebungen erheblich.
Quelle: Andreas Kappeler, Rußland als Vielvölkerreich: Entstehung - Geschichte - Zerfall, München 1993, C. H. Beck
Der Norden der Russischen Föderation erstreckt sich
über eine Entfernung von etwa 6 000 km von der finnischen
Grenze bis an den Pazifischen Ozean. Die Nord-Süd-Ausdehnung
dessen, was man in Rußland als den "Norden" bezeichnet,
wächst von knapp 1 000 km im europäischen Rußland
auf über 3 000 km im asiatischen Sibirien. Dieses enorme
Gebiet war vor der Eroberung durch Rußland im 16. bis 18.
Jahrhundert von einer Vielzahl ethnischer Gruppen bewohnt, die in
jüngerer Zeit - mit wenigen Ausnahmen - zu kleinen
Minderheiten in einer zunehmend russifizierten und sowjetisierten
Umgebung wurden.
Die kulturellen Eigenarten dieser Völker entstanden aus der
Notwendigkeit, unter arktischen und subarktischen Bedingungen in
dünn besiedelten Gebieten zu überleben. Das
Zusammentreffen mit den russischen Eroberern des 16. - 18., und
besonders mit den sowjetischen Lehren des 20. Jahrhunderts
stieß auf vollkommenes gegenseitiges Unverständnis.
Dieses trug neben den Wirtschafts- und Machtinteressen der
Eroberer zu einer weitgehenden Auslöschung der
ursprünglichen Kulturen bei. Viele sind trotz allem im Kern
erhalten geblieben. Für einige Völker dürfte es
keineswegs zu spät sein für eine Weiterentwicklung
unter eigenen kulturellen Prämissen, sofern ihnen von der
russischen Gesellschaft genug Freiraum gegeben wird. Dazu jedoch
sind die derzeitigen sozialen Verhältnisse in Rußland
im besten Falle ungeeignet, obwohl die juristischen
Voraussetzungen ansatzweise vorhanden sind.
Tundra und Taiga
Die Gebiete des russischen und sibirischen Nordens liegen
hauptsächlich nördlich der Dauerfrostgrenze, die sich
im Ostsibirischen Hochland ziemlich weit nach Süden
erstreckt. Mit 55° N entspricht sie der geographischen Breite
Schleswig-Holsteins. An der pazifischen Küste rechnet man
das Sichote-Alin-Gebiet mit; dort liegt die Treibeisgrenze im
Süden an der russisch-chinesischen Grenze bei
Vladivostok(1). Die Volksgruppen (oder indigenen Völker),
denen dieses riesige Gebiet vor der Kolonisierung gehörte,
bezeichnet man in Rußland als "Völker des Nordens".
Das Land besteht im Norden aus einer meist mehrere hundert
Kilometer breiten Zone von baumloser Tundra(2). Nach Süden
geht diese Vegetationszone in den riesigen Nadelwaldgürtel
der "Tajga" (Taiga) über. Diese Wälder wechseln,
besonders im westlichen Sibirien, mit ausgedehnten Sumpfgebieten,
während im Osten Hochgebirgsregionen vorherrschen. An der
Pazifischen Küste, auf Kamcatka, Sachalin und den Aleuten,
ist die Landschaft von zahlreichen aktiven Vulkanen
geprägt.
In Sibirien fließen einige der größten
Ströme der Erde zum Nördlichen Eismeer: Ob, Enisej
(Jenissei), Lena und Kolyma. Sie sind seit jeher die
Hauptverkehrsadern des Landes gewesen, sowohl während der
Kolonisierung, als auch der darauffolgenden Ausbeutung der
reichhaltigen Schätze des Landes, die bis heute andauert.
Die Inseln im Eismeer haben niemals eine bodenständige
Bevölkerung gehabt. Nachdem Rußland 1877 Novaja Zemlja
annektiert hatte, wurden einige hundert Nenzen (Samojeden) dort
angesiedelt. Als Rußland auf Novaja Zemlja mit seinen
Atomtests begann, wurden deren Nachkommen 1955 erneut
zwangsumgesiedelt: in das Narjan Mar-Gebiet auf dem Festland und
auf die Inseln Kolguev und Vajgac in der südlichen
Barents-See.
Abstammung und Sprache
Die Völker des Nordens gehören zwei Hauptgruppen an.
Die eine besteht aus den Nachkommen alteingesessener Völker,
die das Land bewohnt haben, solange wir die Geschichte kennen.
Sie leben hauptsächlich im nordöstlichen Sibirien und
Kamcatka: Tschuktschen, Korjaken, Jukagiren, Tschuwanen,
Itelmenen. Einige sehr kleine Gruppen sind auch andernorts
erhalten geblieben: Die Keten am mittleren Enisej und die Nivchen
im nördlichen Teil Sachalins und an der Amur-Mündung am
Ochotskischen Meer. Diese Völker sprechen sogenannte
paläo-asiatische Sprachen. Ebenfalls zu den alteingesessenen
Gruppen kann man die Inuit (Eskimo) und Aleuten zählen,
deren Sprachen eine eigene Sprachfamilie bilden.
Eine spezielle Stellung nimmt das Volk der Ainu auf dem
südlichen Sachalin, den Kurilen-Inseln und dem
nördlichen Hokkaido in Japan ein; sie gehören zum
europiden Zweig der Menschheit, während die anderen
Völker des Nordens ausschließlich zum mongoliden
gehören.(3) Eine Theorie besagt, daß die Ainu die
Urbevölkerung der japanischen Inseln bildeten, bevor die
Japaner vom asiatischen Festland aus einwanderten. Ihre Sprache
steht sehr isoliert. Auf russischem Gebiet leben heute praktisch
keine Ainu mehr. Offiziell tauchten sie zuletzt in der
Volkszählung von 1926 auf, als sich 32 Menschen zu diesem
Volk zählten.
Die andere Hauptgruppe sind Völker, deren Ursprung im
zentralen Asien liegt. Sie verdrängten bei ihren
Einwanderungswellen vor und während des Mittelalters die
paläo-asiatischen Völker, oder vermischten sich mit
diesen und auch untereinander. Ihre Angehörigen sprechen
ural-altaische Sprachen und gehören damit einer
Sprachfamilie an, in die u. a. auch Mongolisch, Türkisch,
Ungarisch und Finnisch eingehen. Östlich des Enisej herrscht
die altaische Sprachgruppe vor, d. h. die Turkvölker der
Jakuten, Dolganen und - weiter südlich - die Karagassen
sowie die tungusischen Völker der Evenken, Evenen, Nanaien,
Negidalzen, Udegen, Orotschen, Oroken und Ultschen.
Westlich des Enisej, bis hin zum Land der Samen im
europäischen Norden, sind Völker der uralischen
Sprachgruppe zuhause, mit einem - von West nach Ost - finnischen
Zweig (Samen, Karelier, Komi), einem ugrischen Zweig (Chanten,
Mansen) und einem samojedischen Zweig (Nenzen, Selkupen, Enzen,
Nganasanen). Die meisten dieser Völker bilden heute kleine
Minderheiten in ihren alten Heimatgebieten. Ausnahmen sind die
Karelier, die Komi und die Jakuten, die mehr oder weniger immer
noch die mehrheitliche Bevölkerung ihrer Heimat bilden und
in autonomen Republiken mit einem gewissen Grad an innerer
Selbstverwaltung innerhalb der Russischen Föderation
leben.
Rentiere, Fische und Pelze
Obwohl die einzelnen "Völker des Nordens" ziemlich
unterschiedliche geschichtliche und sprachliche Hintergründe
haben, gibt es unter ihnen eine Vielzahl kultureller
Gemeinsamkeiten. Das kommt zum großen Teil daher, daß
die subarktischen und arktischen Verhältnisse des Landes
eine erwerbsmäßige Anpassung erfordern, die in weiten
Gebieten sehr ähnliche Merkmale ausprägte.
So sind es eher die geographischen und klimatischen Gegebenheiten
als die ethnische Abstammung, die z. B. die Erwerbsformen
bestimmen. Seefischerei, Binnenfischerei, Jagd und Rentierzucht
sind - in unterschiedlicher Gewichtung - die traditionellen
Erwerbszweige der meisten indigenen Völker des Nordens.
Pelztierzucht kam während der Kolonisierung durch die Russen
hinzu. Landwirtschaft wird praktisch nur von denjenigen
betrieben, die südlich der Dauerfrostgrenze leben, den
Kareliern, Komi sowie einem Teil der Chanten und Jakuten. Die
südlichen Gebiete der Jakuten und Evenken lebten einst
außerdem in hohem Maße von Rinder- und Pferdezucht.
Die Methoden der Ausübung dieser Erwerbsformen, Ausbildung
traditioneller Gerätschaften, Handwerkskunst und neuere
Formen von Kunst wie Malerei und Literatur sind
selbstverständlich von Volk zu Volk und von Gebiet zu Gebiet
unterschiedlich.
Schamanismus
Eine wesentliche kulturelle Gemeinsamkeit ist die traditionelle
Religion, die vor der russischen Kolonisierung
ausschließlich aus Formen des schamanischem Animismus
bestand, dem Glauben an eine beseelte Natur, also an die Existenz
von geistlichen Wesen in allen natürlichen Objekten und
Kräften. Der Mensch kann mit diesen Wesen in Kontakt treten,
und sie mit ihm. Die Geister der Natur können vom Schamanen,
der eine Zeit der Bewußtseinsausbildung durchlebt hat, im
Trancezustand (Ekstase) bewußt aufgesucht werden, indem
seine Seele den Körper zeitweilig verläßt und
sich auf eine andere Wirklichkeitsebene begibt, die den
gewöhnlichen Menschen weitgehend verschlossen ist. Diese
Ekstase wird durch Trommeln und monotonen Sprechgesang
hervorgerufen, nur in Ausnahmefällen - soweit bekannt -
werden Drogen benutzt.
Der Schamane begibt sich auf derartige Seelenreisen, um im Falle
von Krankheiten oder anderen Nöten mit den Geistwesen
verschiedener Wirklichkeitsebenen Abhilfe auszuhandeln, meist
gegen den Preis gewisser Opfergaben. Diese Reisen können
für den Schamanen gefährlich sein; nicht selten ist es
geschehen, daß die Seele nicht in den Körper
zurückkam, und der Schamane starb. Oft jedoch ist das
Vorhaben gelungen und Nöten wurde abgeholfen oder Kranke
wurden erstaunlich schnell geheilt. Dabei spielte natürlich
auch Naturheilkunde, die Anwendung natürlicher Medizin und
verschiedener Behandlungsmethoden, eine Rolle.
Eine zentrale Wirklichkeitsebene, in der sich der Schamane
auskennen muß, ist die der Schutzgeister. Das sind Wesen,
meist in Tiergestalt, unter denen der Schamane Verbündete
wählt, damit diese ihm bei den gefährlichen Reisen in
die Welt der Toten oder gar die der Schöpfergestalten zur
Seite stehen. Die Bezahlung für diese Schutzgeister waren
wiederum Opfergaben.
Das Weltbild des schamanischen Animismus der nordischen
Völker ist, wie auch das der amerikanischen Indianer und
andere indigener Völker, das einer ausgeprägten Balance
in der Natur. Alles, was geschieht, hat Folgen und Auswirkungen.
Nur begnügt sich die Anschauung nicht damit, die
Verknüpfung von Ursache und Wirkung in der Ebene der mit dem
Verstand erfassbaren Welt zu suchen. Durch die Praktizierung des
Schamanismus, also eine Veränderung von unerwünschten
Zuständen durch die aktive Beeinflussung von Geschehnissen
auf anderen Wirklichkeitsebenen, waren diese Völker der
modernen Ökologie einen gewaltigen Schritt voraus. Das
Unverständnis der "modernen" Welt, das weitgehend auch heute
noch anhält, hat einen großen Teil dieses Wissens
bereits verloren gehen lassen.
Unter vielen sibirischen Völkern ist die Christianisierung
weit weniger nahhaltig praktiziert worden, als z. B. bei den
europäischen Samen. Mischreligionen sind heute häufig
anzutreffen. Offiziell wird kein Schamanismus mit
gefährlichen Seelenreisen mehr praktiziert, obwohl die
Hoffnung besteht, daß diese Kunst inoffiziell doch
überlebt hat; in welchem Grad, ist ungewiß. Unter
einer Vielzahl von Völkern wie z. B. Evenken, einigen
samojedischen und paläo-asiatischen Gruppen ist die Religion
jedenfalls am Leben.
Damit ist wohl Grund genug gegeben, alles daran zu setzen, das
Überleben dieser Kulturen im Sinne der Zukunft unserer Erde
zu sichern, einmal ganz abgesehen von menschlichen Aspekten, wie
Identitätskonflikten und kultureller Entwurzelung, die
zwangsläufig mit der Kolonisierung dieser Völker
einhergingen.
Russifizierung durch Schul- und
Sprachenpolitik
Bereits in den zwanziger Jahren wurde intensiv daran gearbeitet,
Schriftsprachen für die meisten indigenen Völker zu
erstellen. Mancherorts wurde der Analphabetismus innerhalb kurzer
Zeit beträchtlich verringert. Dann fiel auch das
Bildungssystem dem totalitären Stalinismus zum Opfer. Ab
1937 mußten per Dekret alle Sprachen mit kyrillischem
Alphabet geschrieben werden, auch solche deren Phonetik es nicht
entsprach. Sprachwissenschaftler, die mit eigens den Sprachen
angepaßten Alphabeten gearbeitet hatten, wurden als
Volksfeinde verhaftet.
Gleichzeitig wurde den Eltern verboten, ihren Kindern
nicht-russische Namen zu geben. Propaganda gegen die "primitiven
Steinzeitmenschen" wurde verbreitet. Ab 1957 konnten Lehrer
bestraft werden, wenn sie außerhalb des muttersprachlichen
Unterrichts an Schulen in der Sprache des einheimischen Volkes
redeten. In den sechziger Jahren prahlte die staatliche
Propaganda damit, daß nun mehr und mehr Eltern die Vorteile
der russischen Sprache eingesehen hätten und ihre Kinder in
russischer Sprache erziehen ließen. Um 1970 wurde
außerhalb der drei autonomen Republiken als einzige der 26
Minderheitensprachen nur noch die Sprache der Nenzen im
Schulunterricht verwendet.
Auch das System der Internatsschulen hatte stark negative
Konsequenzen. Ursprünglich dafür gedacht,
Nomadenkindern die Möglichkeit des Schulunterrichts zu
bieten, wurde es nach und nach auf alle Kinder angewendet, auch
die seßhaften. Es galt für das gesamte Vorschul- und
Schulalter. Mit 16 Jahren kamen diese Kinder dann oft als Fremde
und ohne kulturelle Bindung an ihr Volk zu ihren Familien
zurück. Dieses System wird heute nicht mehr praktiziert,
aber der bereits angerichtete Schaden ist groß.
Dies alles trug natürlich zu einem starken Rückgang des
Gebrauchs der Muttersprachen bei, insbesondere bei
zahlenmäßig kleinen indigenen Völkern. Die
Sprachtradition wird heute hauptsächlich von der
älteren Generation weitergeführt, eine schlechte
Voraussetzung für das Überleben vieler
Minderheitensprachen. Hinzu kommt, daß viele
Angehörige der mittleren Generation oft weder in der eigenen
noch in der russischen oder einer anderen Mehrheitssprache (wie
Jakutisch oder Komi) zuhause sind - ein großes Hindernis
für die Weitervermittlung kultureller Identität.
Die indigenen Völker Rußlands heute: am
Rande des Abgrunds?
Die Auflösung der Sowjetunion und die Öffnung
Rußlands zum Ausland hat uns in den letzten Jahren ein
klareres Bild davon ermöglicht, was in den ausgedehnten
russischen und sibirischen Nordgebieten vor sich gegangen ist und
vor sich geht. Immer mehr authentische und aktuelle Informationen
erreichten das Ausland. Gleichzeitig sind wir erneut an die
rücksichtslose Eroberung und Ausbeutung Sibiriens erinnert
worden, die unzählige Menschenleben kostete und viele der
dort lebenden indigenen Völker an den Rand des Untergangs
getrieben hat. Heute stehen sie so nahe am Abgrund, daß
nicht mehr viel dazu gehört, sie endgültig über
die Kante zu stossen.
Die hemmungslose Industrialisierung des Nordens in den
dreißiger Jahren wurde zwanzig Jahre später, nachdem
die Sowjetunion sich vom zweiten Weltkrieg erholt hatte, mit
vervielfachter Energie fortgesetzt. Der Norden war reich an Wald,
Kohle, Öl, Gas und Metallen. Riesenhafte Gebiete wurden der
Bevölkerung mit einem Federstrich in Moskau geraubt.
Bergwerke, Bohrtürme, Straßen, Fabriken,
Kahlschläge, neue Industriestädte und Wasserkraftwerke
schossen aus dem Boden, wo zuvor Jagd- und Weidegebiete gewesen
waren. Giftstoffe aus Metallhütten flossen ungehindert in
die Tundra. Für jene, die das Land in eine "glückliche
Zukunft" führen sollten, galten keine Gesetze. Das
Militär hatte die Alleinherrschaft auf seinen ausgedehnten
Übungsgebieten. Die verwundbare arktische Umwelt wurde
gedankenlos zerstampft. Der Ferne Osten verlor 30 % seiner
Waldgebiete. In den achtziger Jahren wurden schließlich
Abholzungslizenzen auch an kubanische und nordkoreanische Firmen
verkauft, die überdies die Flüsse vergifteten.
Der Öl- und Gasboom setzte Mitte der sechziger Jahre ein. Am
schlimmsten betroffen waren die Gebiete des mittleren Ob (Land
der Chanten), die Jamal-Halbinsel (Nenzen), das Magadan-Gebiet
(Evenken und Evenen) und die Insel Sachalin (Oroken und Nivchen).
Eisenbahnen und Straßen durchschnitten die Weidegebiete der
Rentiere, Städte wuchsen empor, Gasflammen schlugen gen
Himmel, Raupenfahrzeuge walzten den Tundraboden irreparabel
nieder. Allein auf der Jamal-Halbinsel wurden im Laufe weniger
Jahre 600 000 Hektar Rentierweide unbrauchbar gemacht und die
Herden um 24 000 Tiere dezimiert. Hinzu kamen tätliche
Übergriffe der fremden Ölarbeiter auf die
ansässige Bevölkerung. Hütten wurden
geplündert und Kulturstätten zerstört.
Diese Zustände herrschten bis Ende der achtziger Jahre, als
Proteste in zunehmendem Maße auf Gehör stießen.
Stellenweise wurden sogar Konzessionen eingezogen, Firmen
mußten gehen. Aber sie hinterließen ein
verwüstetes Land. An Entschädigung dachte niemand. Zu
den gefährlichsten Nachwirkungen der Sowjetzeit in Sibirien
gehören die Folgen der Atomtests, besonders in der Umgebung
Novaja Zemljas (die Inseln Kolguev und Vajgac) und auf Cukotka.
Die Bevölkerung wurde nicht weit genug evakuiert, und ein
großer Teil der Menschen leidet noch heute an
Strahlenerkrankungen und deren Folgen.
"Gemeinsam sind wir stärker"
Proteste gegen diese Verhältnisse waren erstmals 1986
ungestraft möglich; damals verhinderten die korjakischen
Einwohner der Stadt Paren (Kamcatka) erfolgreich die geplante
Zerstörung ihrer Ortschaft. Andere Beispiele folgten. Vor
allem ab 1989 entstanden Interessenorganisationen, so die
Nenzen-Vereinigung "Jamal für unsere Nachkommen", die
"Vereinigung der Tomsk-Selkupen", der "Verband der Kola-Samen"
und die "Regionalvereinigung der Inuit".
Im März 1990 bildete sich aus Vertretern der Nordvölker
der "Erste Kongreß der kleinen Völker des Nordens" mit
dem Schriftsteller Vladimir Sangi, einem Nivchen, als
Vorsitzenden. Der Kongreß nahm eine sieben Punkte
umfassende Resolution an, in der die damalige Sowjetregierung
aufgefordert wurde, die ILO-Konvention 169 über den Schutz
Indigener Völker zu ratifizieren sowie juristische,
administrative und wirtschaftliche Maßnahmen für den
Schutz der "Völker des Nordens" einzuleiten. Im Mai 1990
wählte man in Moskau eine "Vereinigung der kleinen
Völker des Nordens", die sich zum Ratgeber der Regierung in
allen diese Völker betreffenden Fragen zuständig
erklärte. Zu ihrem Vorsitzenden wurde der Chante Eremej
Ajpin gewählt, ein Mitglied des Obersten Sowjet,
gewählt.
Bereits 1989 hatten sich sowjetische Experten für
Minderheitenfragen auf dem "Samotlor-Praktikum" in Tjumen
(Westsibirien) darauf geeinigt, daß der beste Weg zur
Sicherung der Zukunft der Nordvölker in der Einrichtung
nationaler Territorien mit Selbstbestimmungsrecht in
wirtschaftlichen Fragen, im Verbot von Siedlungszerstörungen
und Zwangsumsiedlungen sowie in der Ersetzung zentral gesteuerter
Entwicklungsprojekte durch lokal angepaßte Maßnahmen
liege. Gleichzeitig beschloß die Zentralregierung die
Wiedereinführung muttersprachlicher Schulklassen für
Ultschen, Jukagiren, Itelmenen, Dolganer und Nivchen.
Lehrprogramme für Rentierhaltung, Jagd und Pelztierzucht
wurden eingeleitet. Der erste "Nationale Kreis" (Even-Bytantaj)
bekam Selbstbestimmungsrecht für wirtschaftliche Entwicklung
auf nationaler Grundlage.
Mittels Gesetzesänderungen wurde die Einrichtung neuer
nationaler Verwaltungsgebiete dort ermöglicht, wo ein
indigenes Volk die lokale Mehrheit bildet und dies wünscht.
Wo ein indigenes Volk nur eine Minderheit bildet, sollen
"ethnische territoriale Einheiten" entstehen können. Diese
Gesetze wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom
russischen Staat im Dezember 1991 übernommen.
Weg in die Zukunft
In unserer westlichen Kultur wird oft mißverstanden, was
der Wunsch von indigenen Völkern nach einer
Weiterentwicklung gemäß eigener Prämissen
beinhaltet. Er bedeutet nicht, die Zeit zurückzudrehen und
wieder in Erdhäusern oder Zelten aus Häuten zu leben.
Niemand will das. Aber Völker, denen der größte
Teil ihres Landes und ihrer Kultur genommen worden ist,
müssen zumindest ihr Selbstbestimmungsrecht wiedererlangen,
ihre eigene Fortentwicklung planen und auf der Grundlage ihrer
eigenen Werte durchführen können. Nur auf diese Weise
kann man auf lange Sicht ethnische Konflikte und militante
Separationsbewegungen umgehen.
Die Reformen der letzten Jahre werden zwar als ein Zeichen des
guten Willens angenommen. Aber der Praxis stehen gewaltige
indernisse im Weg: teils wegen des alten, verfilzten
Parteiapparates, dem es besonders in entlegenen Gebieten gewaltig
schwer fällt, sich umzustellen, teils wegen neu aufkommender
russisch-nationalistischer Haltungen, teils wegen der allgemein
schwierigen Wirtschaftslage und nicht zuletzt, weil vielerorts,
wo Mafiagruppen und das Militär nach eigenem Gutdünken
handeln, praktisch gesetzlose Zustände herrschen.
Jetzt, wo die Länder des Westens und des Fernen Ostens mit
Rußland um die Öffnung der Nordostpassage verhandeln
und wo die Weltmeinung zunehmend die Geschehnisse in
Rußland beeinflussen kann, sollten wir keine Vereinbarungen
mit Rußland eingehen, wenn sie die traditionellen
Landgebiete und Ressourcen dieser Völker weiter enteignen,
zweckentfremden oder zerstören. Die kulturelle Vielfalt
unserer Erde ist ein Reichtum, den es unter allen Umständen
zu bewahren gilt. Menschen dürfen nicht weiterhin aus ihrer
angestammten Heimat vertrieben werden; sie müssen vor den
Übergriffen der Militärs geschützt werden. An eine
mögliche wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Rußland in
den Nordgebieten sollten entsprechende Bedingungen geknüpft
werden.
Winfried Dallmann ist Mitarbeiter beim Norwegischen Polarinsitut und lebt in Oslo.
Anmerkungen:
1. Russische Namen und Ausdrücke sind in die Literatur oft
in einer verdeutschten oder verenglischten Schreibweise
eingegangen. Das sind nicht-umkehrbare und nicht-eindeutige
Schreibweisen. Daher wird in diesem Artikel die literarisch
korrekte, internationale bibliographische Umschrift verwendet, z.
B. s = sch, c = tsch, z = s wie in sagen, s = s wie in das, z = j
wie im französischen Journal, c = ts, v = w, e = je
etc.
2. Tundra: russifizierte Form von finnisch "tunturi" = baumloser
Bergrücken.
3. Die Begriffe stammen aus der wissenschaftlichen Anthropologie,
in der die Menschheit groß in drei Zweige unterschieden
wird, den mongoliden, den europiden und den negriden.
1. Einleitung [ top ]
Auf dem Territorium der Russischen Föderation leben in 5
Republiken, 4 Ländern, 10 Regionen und 8 autonomen Kreisen
rund 200.000 Menschen, die zu den eingeborenen kleinen
Völkern des Nordens gehören. Unter arktischen
Bedingungen leben 11 kleine Völker: die Saamen, Nenzen,
Dolganen, Enzen, Ewenken, Chanten, Ewenen, Tschuktschen, Inuit,
Ngasanen und Jukagiren. Die Gesamtzahl der Angehörigen
arktischer Völker beläuft sich auf rund 130.000
Menschen. Auf der Höhe des 60. nördlichen Breitengrades
leben in unmittelbarer Nähe zum Polarkreis noch fünf
weitere Völker: die Korjaken, Keten, Mansen, Selkupen und
Tschuwantzen mit insgesamt rund 25.000 Menschen.
Das Leben in der Arktis prägen extrem niedrige Temperaturen,
starke Stürme, Schnee und Eis. Die Vorfahren dieser
Völker haben Jahrtausende in dieser rauhen Gegend
überlebt, weil sie sich den örtlichen Bedingungen
angepaßt und von dem ernährt haben, was die Natur
hergibt. Im Verhältnis zur Gesamtzahl der in diesen Gebietn
ansässigen Bevölkerung nimmt der Anteil der
eingeborenen Völker des Nordens beständig ab und
beträgt jetzt nur mehr rund 1%. Auf dem Lande, wo 75% der
Ureinwohner leben, beträgt der Prozentsatz noch rund
15%.
In den grenzenlosen Weiten des russischen Nordens sind mehr als
60% der Kohlenmineralrohstoffe und mehr als die Hälfte
erneuerbarer natürlicher Ressourcen wie Pelzwerk
konzentriert. Die nördlichen Territorien erwirtschaften ein
Fünftel des nationalen Einkommens Rußlands, sie
erzeugen ein Zehntel der gesamten Industrieproduktion. Im Norden
werden 75% des russischen Erdöls, 92% des Erdgases, 15% der
Kohle und fast das gesamte Apatitkonzentrat der russischen
Föderation gewonnen. Auf die Region entfällt mehr als
die Hälfte des Fischfanges und der Meereserzeugnisse. In den
autonomen Regionen Chanty-Mansijsk und Jamalo-Nenjetzki werden
täglich mehr als 200 Tonnen Erdöl und rund 560
Milliarden Kubikmeter Erdgas gefördert. Im letzten Jahrzehnt
erfuhr die arktische Region als Rohstoffbasis Rußlands eine
starke Aufwertung. Die Arktis wird zum Hauptzentrum der
Erdöl- und Erdgasindustrie und der Buntmetallurgie.
Der Archipel Nowaja Zemlja und die Meere des Barentschelfes und
des Karischen Meeres nehmen einen führenden Rang in der
Erschließung und Ausbeutung der Polarterritorien ein. Die
Erdgasvorräte des Kontinentalschelfes von Nowaja Zemlja
werden auf nicht weniger als 10 Trillionen Kubikmeter
geschätzt. Die kleinen Völker des Nordens lebten als
Ureinwohner in dieser Region bis zur Ankunft anderer Ethnien. Im
Laufe von Jahrhunderten haben sie die ungeheuren Territorien des
Nordens und Eurasiens besiedelt und belebt. Unter extremen
naturklimatischen Bedingungen haben sie ihre Art von nachhaltiger
Wirtschaft, von Kultur und Lebensart ausgebildet.
Seit jeher sind die Vertreter der kleinen Völker des Nordens
Nomaden, Halbnomaden und Landbewohner. Das traditionelle Leben in
ihren Siedlungen wurde jedoch zum Großteil durch die
russischen Regierungen zerstört, die es sich zur Aufgabe
gemacht hatten, den Nomaden eine seßhafte Lebensweise
beizubringen, Industrie anzusiedeln und die Siedlungen zu
vergrößern. Aufgrund dieser Maßnahmen lebt heute
ein großer Teil der iindigenen Bevölkerung in
Städten oder in stadtähnlichen Siedlungen (50,7% der
Niwchen, 40% der Itelmenen, 17,8% der Keten, 17,1% der Nenzen,
10% der Tschuktschen u.s.w.). Diese multinationalen Siedlungen
und Städte haben zu engen Kontakten zwischen den
Ureinwohnern und den anderen Ethnien geführt. Die fremde
Lebensart führte oft zu negativen Folgeerscheinungen. Die
Wechselwirkung zwischen Industriegesellschaft und den
verhältnismäßig geschlossenen Gemeinschaften der
Ureinwohner mit Stammesstrukturen führte zu zahlreichen
Problemen sozialer, wirtschaftlicher und rechtlicher Natur.
Seit 1926 sind mehr als 300 Gesetze und mehr als 1000
Ministerial- und Verwaltungsverordnungen zu dieser Frage erlassen
worden. An ihrer Ausarbeitung haben führende
wissenschaftliche Forschungseinrichtungen teilgenommen. Viele
Grundsatzprobleme sind jedoch nicht gelöst, sondern oft noch
verschärft worden. Diese wenig weitsichtige Politik hat die
Entwicklung der nördlichen Völker ernsthaft
beeinträchtigt: die ethnisch-kulturelle Eigenart und die
Sprache ging langsam verloren, nachhaltige Formen des
Wirtschaftens und weite Teile ihres Lebensraums wurden
zerstört, der Lebensstandard blieb niedrig, auch physische
blieben die kleinen Völker bedroht.
Die Versuche, die lokale Situation durch den Schutz der Wohnorte
und der wirtschaftlichen Tätigkeit zu normalisieren, haben
sich als ungenügend herausgestellt, da die eigentliche
Bereitschaft zur Lösung der Probleme und entsprechende
Schritte in der Bundesgesetzgebung fehlten. Der Norden wurde zur
krisenanfälligsten Region Rußlands. Das Lebens- und
Versorgungsniveau ist hier zwei- bis dreimal niedriger als der
russische Durchschnitt. Jeder fünfte Arbeitslose ist
Einwohner des Nordens. Die Hälfte der
Lohnrückstände in Rußland betrifft
Nordländer.
Die wirtschaftliche Grundlage der indigenen Völker hat sich
verschlechtert. In den letzten fünf Jahren ist die
Grundherde der Rentiere von 2,304.000 auf 1,749.000 Köpfe
zurückgegangen. Der Fischfang hat sich um die Hälfte
verringert, und ebenso die Erträge aus Pelzwerk und
Meerestieren. Das Sammeln von Pilzen, Beeren, Nüssen,
Heilpflanzen und Algen für den Markt hat praktisch
aufgehört. Wegen der hohen Flug- und Transportpreise sind
60% der erzeugten Produkte nicht zur Weiterverarbeitung oder
Vermarktung gelangt. All das hat die Beschäftigungslage der
indigenen Völker schwieriger gemacht. Allein 1994 hat sich
die Zahl der arbeitenden Ureinwohner fast um 20% verringert. Rund
25-30% der Arbeitsfähigen sind ohne Arbeit und daher oft
ohne Existenzgrundlage. Besonders hoch ist die Jugend- und
Frauenarbeitslosigkeit, auch die Zahl der Beschäftigten in
den traditionellen wirtschaftlichen Tätigkeiten hat sich
verringert.
2. Die soziodemographische Lage [ top ]
Der Bevölkerungszuwachs der kleinen Völker des
Nordens hat den Republiksdurchschnitt überflügelt und
für den Zeitraum zwischen den Volkszählungen 1959-1989
insgesamt 39,9% gegenüber den 25,4% des russischen
Durchschnitts erreicht. Die Zahl der Ureinwohner ist sowohl im
Zeitraum 1959-1979 wie 1979-1989 in gleicher Weise um 16,6%
angewachsen, in Rußland nahm diese Wachstumsrate jedoch ab:
sie betrug für den ersten Zeitraum 10,7% und für den
zweiten 7,1%. Zwischen den Volkszählungen 1970 und 1979 ist
jedoch eine einschneidende Verringerung bis zu 2,9% des
Bevölkerungszuwachses der Ureinwohner beobachtet worden,
wobei auch die gesamtrussischen Raten abgenommen haben (5,8). Im
Gegensatz zu allen anderen Zeitspannen lagen aber sie unter dem
Durchschnitt.
Die durchschnittliche Geburtenzahl ist jedoch
verhältnismäßig hoch und beträgt das
Doppelte des russischen Durchschnitts. Im Jahre 1989 lag der
gesamtrussische Koeffizient bei 14,6%, jener der Völker des
Nordens aber bei 31,9%. 1991 betrugen diese Angaben laut
Berechnungen 12,1 und 30,5%. Bis zum heutigen Tag sind die
Familien der Ureinwohner kinderreich. Der Anteil der dritten und
weiterer Kinder bildet 40% (16% in Rußland). Gleichzeitig
kann eine bedeutsame ethnische Differenzierung der Geburtenzahl
beobachtet werden. Die höchste Geburtenzahl wurde 1989 mit
45,9% bei den Onotschen festgestellt, die niedrigste bei den
Onoken mit 7,9%.
Die verhältnismäßig hohe Geburtenzahl nimmt
jedoch nach und nach ab, was mit der sich ändernden
traditionellen Einstellung der Familien zum Kinderreichtum, den
Assimilierungsprozessen, der steigenden Zahl von
alleinerziehenden Elternteilen bei gleichzeitigem Abnehmen von
Ehen und der Instabilität der Familien zusammenhängt.
Die Tendenz sinkender Geburtenraten wird durch die Zunahme der
Ein- und Zweikindfamilien und der Abnahme der fünften und
höheren Geburtenreihen bestätigt. Die jungen Frauen der
indigenen Nationalitäten sind im Grunde auf eine geringere
Kinderzahl ausgerichtet. Auch ein Anwachsen der Abtreibungen wird
beobachtet. Diese Entwicklungen führen zur Verkleinerung der
Durchschnittsfamilie. 1970 hatte die durchschnittliche indigene
Familie noch 4,7, 1979 4,3 und 1989 nur mehr 4 Mitglieder.
Die Verminderung der Kinderanzahl wird auch durch eine
Schwächung der Familienbeziehungen beeinflußt, die
daher rührt, daß bis vor kurzem Unterricht und
Erziehung der Kinder getrennt von der Familie stattfand. Der
Übergang zur Seßhaftigkeit hat die nicht ausgereiften
Strukturen der Nomadenhaushalte verletzt und die potentiellen
Bräutigame und Bräute territorial getrennt. Das
Verhältnis zwischen den Geschlechtern verschlechtert sich
zudem durch das unterschiedliche Bildungsniveau. Die jungen
Männer sind traditionell mit Arbeiten in der Tundra
beschäftigt, während die Mädchen in der
verhältnismäßig urbanisierten Umwelt der
Dauersiedlungen aufgezogen wurden. Unter Bedingungen, die das
Schließen ehelicher Bindungen erschweren, wächst die
Zahl der alleinstehenden Frauen und Männer. Zudem gibt es
mehr unverheiratete Männer als Frauen. Verglichen mit der
russischen Bevölkerung ist bei den Nenzen, Ewenken, Ewenen
und Korjaken der Anteil der Männer und Frauen, die nie
verheiratet waren, mehr als zweimal und bei den Saamen mehr als
dreimal höher.
Oft ziehen es indigene Mädchen vor, ohne Trauschein mit
jungen Männern, die zeitweise in ihrer Region arbeiten,
zusammenzuleben. Nach Schätzungen von Spezialisten gibt es
bei den Völkern des Nordens viele außereheliche
Geburten mit steigender Tendenz. Die sich verstärkenden
Assimilierungsprozesse üben einen nachhaltigen Einfluß
auf die Probleme der indigenen Bevölkerung des Nordens aus.
Die Zahl der Mischehen erhöht sich ständig. So
beträgt etwa der Anteil der Mischehen unter den Saamen
80-90%. Daher erfolgt in der Regel die Vergrößerung
der Gesamtzahl einiger Völker, darunter der Keten,
Nganasanen, Selkupen, Ewenken und Mansen, durch die steigende
Zahl der "eingeheirateten Zuwanderer".
Die Kinder aus gemischten Ehen bilden in einer Reihe von Bezirken
der Gebiete Murmansk und Tjumen und der Gegenden von Krasnojarsk
und Chabarowsk 70-90% aller Kinder, deren Mütter Indigene
sind. Um staatliche Begünstigungen zu behalten, werden diese
Kinder meistens von den Eltern als Personen indigener
Nationalität registriert. Nach Schätzungen sind in der
autonomen Region Chanty-Mansijsk 20% aller geborenen Chanten und
Mansen nur aufgrund ihres Passes Angehörige dieser Ethnien.
Die Assimilierungsprozesse haben ernsthafte biologische Folgen.
Nach Angaben medizinisch-genetischerUntersuchungen kann die
Vermischung der indigenen Bevölkerung mit den Zuwanderern
zur Schwächung jenes Anpassungssystems des Organismus
führen, das der Bevölkerung ein Überleben unter
extremen Umweltbedingungen ermöglicht und
schlußendlich auch die Existenz dieser einzigartigen
Ethnien sichert. Dieser Aspekt des Problems sollte Gegenstand
sorgfältiger und breitgefächerter Forschungen
werden.
Besondere Unruhe ruft die hohe Sterblichkeitsrate der indigenen
Bevölkerung des Nordens hervor. Bei 12 von 26 Völkern
überschreitet dieser den russischen Durchschnitt. Die
Sterblichkeitsrate ist besonders bei Männern im Alter
zwischen 20 und 34 Jahren im Durchschnitt 1,5 mal höher als
bei anderen Bewohnern der nördlichen Territorien (10,4
Promille gegen 6,6 im Jahre 1989). Dabei wird eine große
innerethnische Differenzierung beobachtet: von 6,2 Promille bei
den Alëuten bis zu 28,3 Promille bei den Orotschen. Dasselbe
gilt auch für die Sterblichkeit im arbeitsfähigen
Alter. Diese liegt bei den Ureinwohnern 3-4 mal höher als
bei Menschen, die aus anderen Regionen Rußlands zugereist
sind (1989).
Die Kindersterblichkeit bei der indigenen Bevölkerung des
Nordens (30 Promille) überschreitet ebenfalls 1,5 mal den
mittleren Durchschnitt der jeweiligen Wohnbezirke und 1,7 mal den
allgemeinen russischen Durchschnitt. So betrug im Jahre 1989 in
der Region Irkutsk (Ewenken und Tofalaren) die
Kindersterblichkeit (der Kinder bis zu einem Jahr) 57 auf 1000
Geborene, im Krasnojarsker Land (Dolganen, Ewenken, Nenzen,
Ngasanen, Keten) 48 gegenüber 17,7 Promille im gesamten
Staatsgebiet. Bei einzelnen Völkern liegt die
Kindersterblichkeit bis zum ersten Jahr viel höher und
überschreitet die gesamtrussischen Durchschnittswerte
fünf bis siebenmal. Besonders hoch sind die Raten bei den
Korjaken (52,7 Promille) und den Eskimos (47,6 Promille).
Unter den Todesursachen (auch der Menschen im arbeitsfähigem
Alter) ragen Traumata, Alkoholvergiftungen, Erkrankungen der
Atmungsorgane und Infektionskrankheiten hervor. Die spezifische
Sterblichkeitsrate überschreitet mehr als 2,5 mal die
statistischen Durchschnittsdaten Rußlands. Die
Verschlechterung der sozialen und sanitär-hygienischen
Lebensumstände (schlechte Wohnqualität, unstete
Lebensart, ungenügende Gesundheitsbetreuung) erhöht die
Sterblichkeit. In den Siedlungen fehlt es an Wohnraum. Die Bauten
stammen oft aus den späten 50er oder frühen 60er
Jahren. Die Versorgung mit Wohnraum beträgt im Schnitt nicht
einmal vier Quadratmeter pro Person. Mehr als 30% der
Urbevölkerung lebt in Nomadenzelten (Tschum). Weil die
Mittel für die Instandhaltung fehlen, ist der
durchschnittliche verfügbare Wohnraum der Indigenen um 40%
gegenüber 23% in ganz Rußland gesunken. Im
Zusammenhang mit der allgemeinen Verminderung des Wohnraumes
ergibt sich auf dem Land eine besonders ungünstige Lage,
denn hier überwiegt der individuelle Wohnbau, dessen
Finanzierung für die Mehrheit der Bevölkerung nicht
möglich ist.
Die zunehmende Verschlechterung der Lebensbedingungen der
indigenen Völker hat äußerst nachteilige Folgen.
Die starke Verschmutzung der großen Flüsse und Meere
durch ungereinigte Industrieabwässer, fehlende Investitionen
in den Wasserschutz, die ungenügende Wirksamkeit der
Trinkwasseraufbereitung auf vielen Wasserleitungsstationen
fügen dem ökologischen Gefüge großen Schaden
zu. Ein großer Prozentsatz der Proben (40-65%) entspricht
weder chemisch noch bakteriologisch den Erfordernissen des
staatlichen Trinkwasserstandards. Die Verschlechterung der
sanitär-epidemiologischen Lage wirkt sich negativ auf das
Bevölkerungswachstum aus. Die allgemeine Sterblichkeit liegt
1,7 und die Kindersterblichkeit zweimal höher als bei der
nicht-indigenen Bevölkerung der Region. Die
durchschnittliche Lebensdauer liegt um 10 bis 20 Jahre unter dem
russischen Durchschnitt.
Die Ursachen dieser Entwicklung sind in der Untergrabung der
Grundlagen wirtschaftlichen, kulturellen und geistigen Lebens und
der tiefgreifenden Veränderung der Wohnumwelt und
traditionellen Ernährung der Ureinwohner zu suchen. So weist
etwa die europäische Ernährungsweise eine dem
Organismus der eingeborenen Nordländer nicht entsprechende
Zusammensetzung an Mikroelementen und eine ungenügende Menge
an Kalorien auf. Daher ist die Sicherung der traditionellen
Nahrung (Rentierfleisch, Fisch, Pflanzen) nicht nur die
Lösung eines Versorgungsproblemes, sondern auch eine Frage
der Erhalltung ethnischer Eigenart.
Ein weiterer Grund für die hohe Sterblichkeit und niedrige
Lebensdauer ist die schlechte psychische Gesundheit des Volkes.
Durch den Verlust der traditionellen Arbeit und Lebensweise ist
ein Lumpenproletariat entstanden. Mehr als 30% der
Todesfälle bei den eingeborenen Völkern erfolgen
gewaltsam. Es werden drei- bis viermal mehr Selbstmorde
verübt als im russischen Durchschnitt. Die Krankenhausdichte
in den Wohngebieten der kleinen Völker erreicht nur 67% der
Norm. Von den 19 bestehenden Geburtshilfezentren wurden nur vier
nach 1970 erbaut, die übrigen in den Jahren 1934-1948. Zudem
sind die Geburtshilfezentren in den kleinen Siedlungen schlecht
ausgestattet.
Die Hauptursachen des Niedergangs liegen jedoch in den
Verletzungen des ökologischen Gleichgewichts, im schnellen
Übergang zu einer fremden Ernährungsart, in der
unausgeglichenen Kinderernährung und in der erhöhten
Empfindlichkeit der Ureinwohner gegenüber
Infektionskrankheiten. Der radikale Bruch mit der traditionellen
Lebensweise und den jahrhundertealten, gewachsenen Werten
muß als weiterer Grund für das Zunehmen der
Selbstmorde unter der arbeitsfähigen Bevölkerung und
den weit verbreiteten Alkoholismus gesehen werden.
Das Überleben der kleinen Völker als Ganzes hängt
daher von ihrer sozialen, psychologischen und physiologischen
Anpassungsfähigkeit ab. Laut Untersuchungen der sibirischen
Abteilung der Russischen Akademie der Medizinischen
Wissenschaften könnte die Reserve an "historischer
Gesundheit" der Ureinwohner des Nordens bei den sich
abzeichnenden Tendenzen in zwei bis drei Generationen
erschöpft sein. Es besteht also die dringende Notwendigkeit,
ein Modell der ärztlich-demographischen Kontrolle
auszuarbeiten, um die Dynamik genetischer und anderer
Veränderungen in der Bevölkerung zu verfolgen und auf
dieser Grundlage ein Konzept zur Neutralisierung schädlicher
Einwirkungen auszuarbeiten.
3. Die Gesundheit [ top ]
Im Zusammenhang mit der Besonderheit der sogenannten
"nördlichen Lunge" haben die Erkrankungen der Atmungsorgane
bei den indigenen Völkern einen längeren und schwereren
Verlauf. Für die zugewanderte Bevölkerung ist der akute
Verlauf der Erkrankungen typisch, für die Ureinwohner der
chronische. Die Infektions- und Entzündungskrankheiten
machen 57 bis 80% aller Leiden aus. Dem chronischen Verlauf
begegnet man bei der indigenen Bevölkerung vor allem unter
den Bedingungen der Seßhaftigkeit 16- bis 18 mal öfter
als bei der zugewanderten. Die Ureinwohner leiden 2,5- bis
dreimal öfter an Tuberkulose als die Bewohner des mittleren
Rußlands.
Der Übergang von der traditionellen zur europäischen
Ernährung, mit dem charakteristischen Überwiegen der
Kohlenhydrate bedingt gastrointestinale Erkrankungen, die bei der
Urbevölkerung 2,5 mal verbreiteter sind als sonst. Bis zu
95% der Untersuchten litten an Karies und Hypovitaminose. In der
autonomen Region Nenjetz durchgeführte Untersuchungen haben
gezeigt, daß die Verbreitung von Krankheiten unter den
Bewohnern der Dauersiedlungen insgesamt 1,5 mal höher ist
als bei den Tundrabewohnern, bei den Infektions - und
parasitären Krankheiten 2,5 mal, bei den Erkrankungen der
Verdauungs- und Atmungsorgane 1,5 mal und bei den psychischen
Krankheiten gar fünfmal. In der Zeit seit 1970 haben sich
die psychischen Zerrüttungen um das 6,5 fache, die
Hautkrankheiten um das 7,2 fache, die Vergiftungen (schlechtes
Wasser, Lebensmittel, Alkohol) und Traumata um das 65,5 fache
erhöht.
Den Bewohnern des Nordens ist ein besonderes Sehvermögen zu
eigen: sie sehen besser auf lange Distanz, wogegen das Erfassen
von visuellen Eindrücken auf kurzer Distanz (z.B. Lesen und
Fernsehen) ihnen Schwierigkeiten bereiten. Daher bewirkt das
Lesen von Büchern bei 90 bis 97% der Schüler starke
psychische Spannungen und Ermüdung. Als Folge stehen heute
Augenerkrankungen (gefolgt von Abweichungen in der Entwicklung
der Herzgefäße und von Krankheiten der Nerven und
Psyche) im Kindesalter an erster Stelle. Die medizinischen und
sozialen Eigenheiten der Urbevölkerung haben Auswirkungen
auf die Lebensdauer: 1988-1989 betrug die
Durchschnittslebensdauer der Männer 54 Jahre, die der Frauen
65 Jahre. Die Werte liegen um 10 Jahre unter dem russischen
Durchschnitt und 16 Jahre unter dem der Völker des Nordens
von Europa und von Amerika. 1978-1979 lag der Unterschied bei 19
Jahren, d.h. in den 80er Jahren ist die mittlere Lebensdauer der
indigenen Völker des Nordens gestiegen.
4. Die Beschäftigungslage [ top ]
Bis Anfang 1992 ist unter den indigenen Völkern des
Nordens die Zahl der Beschäftigten ständig gewachsen.
Im Zeitraum von 1981 bis 1991 hat sich die Zahl der Arbeiter,
Angestellten und Kolchosbauern im Schnitt um 22%
vergrößert, in fast allen Zweigen der Wirtschaft stieg
die Arbeitskraft, wobei die Anzahl der beschäftigten Frauen
in dieser Zeit schneller gewachsen ist. Mit dem Übergang zur
Marktwirtschaft hat die Zahl der in Gemeinschaftsbetrieben
arbei-tenden Ureinwohner abgenom-men. Dieser Prozeß hat 21
von 26 Völker des Nordens belastet. Am schwersten waren die
Eskimos (-30,1%), die Tschuktschen (-28,6%), die Saamen (-22,1 %)
und die Itelmenen (-19,5%) betroffen. Allein im Jahre 1992 hat
sich die Zahl der beschäftigten Ureinwohner um fast 10%
verringert: in der Landwirtschaft um 7,9%, in der Industrie um
13,5%, im Bauwesen fast um 28%, im Handel, im
Nahrungsmittelsektor (Kantinen), in der Technik um 23,7% und im
Transportwesen um 16,9 bzw. 15,8%.
Gleichzeitig erfolgte eine unbedeutende Zunahme der indigenen
Beschäftigten in der Volksbildung (um 4,3% im Jahre 1992),
etwas mehr als 10% haben in den Mittelschulen unterrichtet. Diese
Tatsache ist bis zu einem gewissen Grad durch die Neuentstehung
kleiner nationaler Schulen bedingt. Als Hauptursache für die
sinkende Zahl von Ureinwohnern, die in der Produktion
beschäftigt sind, mag die Verringerung des Rentierbestandes
gelten, was wiederum im Zusammenhang mit der Reorganisation der
Kolchosen und Sowchosen, dem Auflösen der
Waldgrundstücke, der großen Abnahme der Investitionen
im Baugewerbe, der Kommerzialisierung des Handels und der
Volksausspeisung steht. Hier nahmen in erster Linie die
Arbeitsstellen ab, die keinerlei Qualifikation erforderten und
deshalb hauptsächlich von Angehörigen der kleinen
Völker besetzt waren.
Diesem Verlust von Arbeitsplätzen für Ureinwohner steht
die Zunahme der arbeitsfähigen Bevölkerung
gegenüber. Bis zu 25-30% der Arbeitsfähigen aus den
kleinen Völkern sind heute ohne Beschäftigung,
sodaß sie ihre Existenz nur durch das Sammeln von
Wildpflanzen, durch Fischen, Jagen und das Halten kleiner
Rentierherden sichern können. Rund 15% der
Arbeitsfähigen können oder wollen sich nicht in den
Arbeitsprozeß einordnen. Besonders verbeitet ist die
Arbeitslosigkeit bei der Jugend und den Frauen. Die geringe
Mobilität unter der indigenen Bevölkerung ist mit ein
Grund für die hohe Arbeitslosigkeit. Nach den Daten einer
soziologischen Untersuchung sind 20% der nicht Indigenen bereit,
bei Verlust der Arbeitsstelle eine Arbeit außerhalb ihrer
Region zu suchen, aber nur 2% der indigenen Bevölkerung.
VieleUreinwohner, die aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden,
kehren in die Tundra zurück oder vermehren das Heer des
Lumpenproletariats in den neuen Siedlungen.
4.1. Beschäftigung in den traditionellen
Wirtschaftszweigen
Die traditionelle Wirtschaft bildet den wichtigsten,
geschichtlich gewachsenen Bestandteil der nördlichen
Ökosysteme. Diese Gebiete beliefern den russischen Markt mit
seltenen Waren. So sichert z.B. die Rentierzucht 96% des gesamten
russischen Rentierbestandes, die Jagd 52% der russischen
Ankäufe von Pelz und 58% des Fleisches wilder Huftiere und
des Eberwildes. Anfang der 90er Jahre arbeitete die indigene
Bevölkerung in 278 Sowchosen, 67 Kolchosen, 353
Hilfsunternehmen und 336 Jagdbetrieben. In den traditionellen
Zweigen der Wirtschaft der indigenen Völker (Rentierzucht,
Fischfang, Jagd, Zubereitung und Verarbeitung wildwachsender
Pflanzen, Anfertigung von Pelzkleidung und Schuhwerk u.a.) sind
derzeit rund 30.000 Menschen oder 55% der arbeitsfähigen
Indigenen beschäftigt. Sie bilden einen wesentlichen Teil
(mehr als 70%) der in der Landwirtschaft Arbeitenden.
Anfang 1993 gab es den höchsten Beschäftigungsstand in
der Landwirtschaft bei den Onoken (96,4%), Ewenen (77,8%),
Tschuktschen (70,2%) und bei einer Reihe von anderen
Völkern. Viele Tofalaren und Udegen sind im Fischfang
beschäftigt, sie werden als Industriebeschäftigte
angesehen. Für das Arbeitsministerium ist es nicht
zufriedenstellend, wenn z.B. unter den Tolaren zwei Menschen
(0,9%) als Beschäfigte in der Landwirtschaft, jedoch 56,4%
als in anderen Zweigen Tätige gezählt werden. Bei den
Udegen betragen diese Daten vier und 31,9%. Ähnlich
verhält es sich bei den Mansen, Nanaizen, Ultschen und
anderen Völkern. Folgende negative Faktoren bestimmen die
Beschäftigungslage der indigenen Bevölkerung im
traditionellen Bereich der Wirtschaft:
Die Ansiedlung der Nomadenvölker in Siedlungen, in denen
im voraus keine ihren Arbeitsgewohnheiten entsprechende
Gewerbestruktur geschaffen worden war, entzog der
arbeitsfähigen Bevölkerung die Möglichkeit, einer
geregelten Arbeit nachzugehen. Die Folgen für den
materiellen Wohlstand der Familien blieben nicht aus. Zudem
wirkte sich der fallende Lebensstandard der russischen
Bevölkerung während der Jahre 1991-1993 noch
stärker auf die Lage der Ureinwohner aus. Die
überwiegende Mehrheit der kleinen Völker verfügt
zudem über ein Einkommen weit unterhalb des Existenzminimums
und sogar unterhalb des Mindestlohns.
Die Verletzung des ökologischen Gleichgewichts des
Territoriums der kleinen Völker hat die Verringerung der
Arbeitsplätze in den traditionellen Wirtschaftszweigen zur
Folge. Allein in den autonomen Regionen Chanty-Mansijsk und
Jamalo-Nenjetzki sind im Zusammenhang mit der Erschließung
der Erdöl- und Erdgasfundstätten 1,1 Mio. Hektar
Weidegründe für Rentiere und rund 20.000 ha. Laich- und
Mastgründe unwiederbringlich verloren gegangen. Mehr als 100
große und kleine Flüsse sind verseucht, mehr als
500.000 ha Wald und Weide sind enteignet worden. Wegen der
Wasserverschmutzung im Zuge der Erdgasförderung kommen
jährlich mehr als tausend Tonnen wertvoller Gattungen von
Schnäpsel- und Störfischen um. Bei der
Erschließung der Fundstätten Medjeschev, Urengoj,
Jamburg sind die Naturschutzmaßnahmen in den Projekten des
Erdgaskomplexes überhaupt nicht in Betracht gezogen worden.
Es versteht sich von selbst, daß sich das unausweichlich
auf die Beschäftigungssituation in den traditionellen
Tätigkeitsbereichen der Indigenen auswirkt. In der autonomen
Region Nenjez waren im Jahre 1967 noch 713 Fischer
beschäftigt, im Jahre 1989 waren es nur mehr 308.
Außerdem verdrängten Zuwanderer die indigene
Bevölkerung aus ihren Arbeitsplätzen im Fischfang,
Jagdgewerbe und teilweise auch in der Rentierzucht. Der Abzug der
eingeborenen Bevölkerung, besonders der Jugend, von den
traditionellen Wirtschaftszweigen wird auch durch die
Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen
hervorgerufen. Der Rentierzüchter ist doppelt belastet:
einerseits muß er unter extrem schwierigen klimatischen
Verhältnissen sein Leben aufrecht erhalten und andererseits
gibt es die nicht minder schwierige tägliche Arbeit mit der
Herde; unter diesen Umständen entstehen Schwierigkeiten mit
der Gründung von Familien.
In jenen Regionen und Haushalten, in denen die Marschrouten des
Nomadisierens 300-400 km nicht überschreiten und der Betrieb
mit der Wachtmethode geführt wird, leben die
Rentierzüchter einen großen Teil des Jahres mit ihren
Familien unter verhältnismäßig wohltuenden
Bedingungen. Das fördert die Festigung der Arbeitsgruppen in
den traditionellen Wirtschaftszweigen. Beim Nomadisieren bis zu
1000 km bedarf es auf den Nomadenmarschrouten zusätzlicher
Anstrengungen zur Schaffung jener annehmbaren Arbeits- und
Lebensbedingungen, die den Bequemlichkeiten der feststehenden
Siedlungen in nichts nachstehen. Erst dann würde sich
für die Frauen die Möglichkeit eröffnen, nicht nur
in den Siedlungen, sondern auch auf den Marschrouten zu arbeiten
und zu leben. Das Wiedererstehen der Gemeinde- bzw.
Stammeshaushalte zieht eine Überprüfung der Beziehung
zum Nomadisieren als Lebensweise nach sich. Allein 1992 ist die
Zahl der Nomaden um 586 auf 16.426 gewachsen (3625 Arbeitsgruppen
und andere Kleingruppen).
Ein neuer Erwerbszweig ist die Käfigwildtierzucht. So sind
im Providenskij-Bezirk der autonomen Tschuktschen-Region mehr als
2000 Ureinwohner in diesem Zweig beschäftigt, das sind 30%
aller in der Landwirtschaft dieser Gegend beschäftigten
Ureinwohner. Die Lösung der sozialen und wirtschaftlichen
Probleme der kleinen Völker des Nordens muß auf der
Bewahrung und Entwicklung neuer technischer Grundlagen für
ihre traditionelle Arbeitsweise und Lebensart fußen. Das
Funktionieren der traditionellen Wirtschaft ist das Fundament der
Entwicklung, so die Meinung der Ureinwohner. Die neuen Betriebs-
und Beschäftigungsformen (Farmer, Gemeindehaushalte, kleine
Familienunternehmen und Genossenschaften) entwickeln sich in den
traditionellen Wirtschaftszweigen stark weiter. Im Zuge der
Reorganisation der Kolchosen und Sowchosen werden viele neue
selbständige Wirtschaftsgebilde geschaffen. Im Grunde sind
sie eine eigentümliche Rückkehr zu den traditionellen
Familien- und Stammesformen des Wirtschaftens. In einem solchen
Bauernhaushalt sind durchschnittlich zwischen drei und sechs
Personen beschäftigt.
Die Zahl solcher Haushalte vermehrt sich ständig: im
Magadangebiet (einschließlich der autonomen
Tschuktschen-Region) hat sich die Zahl der neu geschaffenen
Rentierzuchthaushalte allein im ersten Halbjahr 1993 von 27 auf
42 erhöht; im Gebiet Archangelsk (einschließlich der
autonomen Nenjetzregion) von 30 auf 50. Zudem funktionierten
Anfang 1993 in den Bezirken des äußersten Nordens 25
nationale (Familien)-Unternehmen, ungefähr 30
Genossenschaften und 7 Vereinigungen. Die Urbevölkerung
bildet die Mehrheit der in diesen neuen Betriebsformen
Beschäftigten. So wurden z.B. 1993 in der Region Kamtschatka
9 nationale Genossenschaften, 4 nationale Unternehmen und die
Korporation "Vozrozhdenje" (Neuanfang) gegründet. In der
Region Sachalin wurde die agroindustrielle Firma "Aborigen
Sachalina" (Ureinwohner Sachalins) aufgebaut. In der autonomen
Nenjetz-Region wurde die Vereinigung der Rentierzüchter
"Erv" und im Krasnojarsker Land die Jagdindustrievereinigung der
kleinen Völker des Nordens geschaffen. In der autonomen
Ewenkischen Region wurden 60 bäuerliche Betriebe errichtet,
23 Industriebetriebe für Rentierzucht, 11
Stammesgemeinschaften in den traditionellen Zweigen der
Landwirtschaft und Industrie: Rentierzucht, Beschaffung und
Verarbeitung von Pelzwerk, Wildtierzucht, Hundezucht und anderes,
wo rund 700 Menschen (4,3 % aller in der Region
Beschäftigten) arbeiten.
Im Gesetz "Über die Privatisierung der Staats- und
Gemeindeunternehmen in der Russischen Föderation" ist das
Vorrecht der indigenen Bewohner auf den Erwerb von Eigentum der
traditionellen Gewerbe- und Haushandwerksunternehmen verankert.
Aufgrund primitiver Technologie in der Erzeugung, schlechter
Vermarktung der Rohstoffe und Absatzschwierigkeiten war das
traditionelle Gewerbe bisher oft ein Verlustgeschäft.
Für die neu organisierten Haushalte gibt es vorerst keine
Förderungsmittel, obwohl laut Schätzungen
beispielsweise allein in der Ewenkischen Region der Ausbau der
traditionellen Gewerbe 20.000 Menschen, d.h. allen
arbeitswilligen Frauen aus der indigenen Bevölkerung, einen
Arbeitsplatz sichern könnte. Derzeit sind in diesem Bereich
nur 260 Menschen beschäftigt.
In den letzten Jahren sank die Kopfzahl der Rentiere drastisch.
Im Vergleich zum jährlichen Durchschnitt 1986-1990 sind 1992
die staatlichen Ankäufe von Fleisch (Lebendgewicht) um das
2,7-fache gesunken, der Ankauf von Rentierfellen um das
3,6-fache. Stark vermindert hat sich der Nachwuchs, der Ausfall
durch Seuchen erhöhte sich um 43%. Fielen 1986 noch 10% des
Renttierbestandes Seuchen zum Opfer, waren es 1992 schon 16%.
Unter diesen Voraussetzungen ergaben sich für die
Unternehmen Schwierigkeiten in der Rohstoffbeschaffung, die sich
wiederum auf die Verarbeitung der Produkte der Rentierzucht
auswirkten; folglich nimmt die Zahl der Arbeitsplätze ab,
sinkt der Lohn und wächst die versteckte Arbeitslosigkeit
(erzwungene Wartezeit, nicht vollständige Arbeitswochen,
Verstärkung des Saisonbetriebes).
4.2 Beschäftigung in den neuen
Wirtschaftszweigen
Die Beschäftigungschancen der Urbevölkerung kann durch
verbesserte Berufsausbildung gesteigert werden. Die Indigenen
arbeiten ungern in neuen Erwerbszweigen, die mit ihrem
traditionellen Arbeitsbereich nicht verknüpft sind.
Insgesamt macht der Anteil der in der Industrie
beschäftigten Ureinwohner nicht viel mehr als 9% der
Gesamtzahl aus. Der Anteil variiert von Volk zu Volk
beträchtlich. So arbeiten ungefähr 3% der Ewenken, 2,6%
der Korjaken und 1% der Tschuktschen in der Industrie.
Gleichzeitig sind 16,2% der Nenzen, 20% der Nanajzen, 24% der
Nivchen, 29,6% der Ultschen zum größten Teil in der
Fischverarbeitungsindustrie beschäftigt. Dieser
Industriezweig ist die technologische Fortsetzung des
althergebrachten Fischfanges.
Wenig mehr als 1% der Urbevölkerung arbeitet im Baugewerbe,
rund 2,5% im Transport- und Kommunikationswesen. Dabei haben sie
vor allem Arbeitsstellen inne, die keine besondere
Qualifikationen erfordern, denn ihre allgemeine und berufliche
Ausbildung ist sehr niedrig. Von den Vertretern der
Urbevölkerung, die im Gesundheitswesen beschäftigt
sind, arbeiten rund 90% im niederen oder mittleren Dienst, nur
10% sind Ärzte oder Leiter von medizinischen Anstalten.
4.3. Die Berufsausbildung
48% der Urbevölkerung haben nur eine Grundschulbildung.
16,9% fehlt eine solche, die Hälfte von ihnen sind
Analphabeten. Untersuchungen, die in den autonomen Kreisen der
Tjumenregion durchgeführt wurden, haben gezeigt, daß
nur 5% der Erstklassler erfolgreich die 8. und 10. Klasse
beenden. Bis zu einem Drittel der Schüler der 1. Klasse
müssen die Klasse wiederholen. Weniger als 22% setzen den
Unterricht bis zur 7. oder bis zu einer höheren Klasse fort.
Dieser niedrige Bildungsstand erlaubt es den Erwachsenen nicht,
"zeitgemäße" Beruf zu ergreifen und zwingt sie,
Arbeiten anzunehmen, die eine geringe oder gar keine
Qualifikation voraussetzen. Die Hauptursachen für diesen
Mißstand sind:
Größte Unterstützung verdienen die kleinen
Nomadenschulen, die sich in nächster Nähe zu den
Betriebsstätten der Eltern befinden und deren
Unterrichtssystem dem Haushaltssystem der Ureinwohner entspricht.
Die qualifizierten Arbeitsgruppen aus der indigenen
Bevölkerung des Nordens werden in der beruflich-technischen
Ausbildung hauptsächlich für die traditionellen
Wirtschaftsbereiche vorbereitet. Doch hat sich in den Jahren
1987-1992 die Zahl der Teilnehmer an diesen Lehranstalten von
1510 auf 940 Personen verringert (-36,7%).
Aufgrund der seit langem durchgeführten offiziellen
Werbeaktionen orientiert sich ein sehr großer Teil der
Jugend und ihrer Eltern auf die heutigen Berufe in den neuen
Produktionszweigen. Doch war die Jugend aus verschiedenen
Gründen nicht in der Lage in den gewünschten oder
tatsächlich erhaltenen Stellen zu arbeiten. Sobald die
Jugendlichen die technischen Lehranstalten abgeschlossen haben,
sind sie arbeitslos. Auf Sachalin sind mehr als 35% der
Arbeitslosen Jugendliche unter 25 Jahre, im Bezirk Beresow des
Kreises Chanty-Mansijsk 40%. Tatsächlich sind die Zahlen
jedoch höher, da sich viele, die ihre Arbeit verloren haben,
wegen der großen Entfernungen zu den Dienststellen nicht
registrieren lassen.
5. Die kulturelle Situation [ top ]
Mit dem Verschwinden der traditionellen Formen der
wirtschaftlichen Tätigkeit sind die Grundlagen der
eigenständigen Kultur der Urbevölkerung untergraben
worden. Die traditionellen Institute und Formen geistiger
Tätigkeit, Glaubensinhalte und die mit ihnen verbundenen
Rituale sind gewaltsam vernichtet worden. Das Ethnische erschien
als etwas Archaisches, Folkloristisches und Exotisches. Deswegen
ist die Kulturarbeit bis heute auf kulturelle Betreuung und
Erklärung der Sitten und Gebräuche ausgerichtet.
Das gänzliche Fehlen einer finanziellen Unterstützung
für Kulturarbeit ist ein Hemmschuh für einen
kulturellen Neuanfang. Die Mehrzahl der ländlichen
Kulturhäuser, Bibliotheken und Schulen befindet sich in
einem sehr schlechten Zustand. Die traditionellen Folklorefeste,
die kunsthandwerklichen Erwerbszweige verschwinden. Auf dem
Hintergrund radikaler Veränderungen in Rußland bedarf
die vielfältige Kultur der Völker des Nordens der
Weiterentwicklung aller schöpferischen Kräfte. Die
Intelligentsia der indigenen Völker ist sehr besorgt
über den Zerfall geistiger Verbindungen, die Liquidierung
des staatlichen Systems der Bücherverteilung und die
äußerst geringe Finanzierung der Kultur. Programme zur
Entwicklung des geistigen Potentials der Völker des Nordens
werden erstellt, ohne die schöpferischen Kräfte der
Indigenen miteinzubeziehen. Das alles wirkt sich negativ auf das
Schicksal der nördlichen Literatur aus. Trotzdem sind die
geistigen Grundlagen zum Überleben noch erhalten geblieben.
Ein kultureller Neuanfang erweist sich als Hauptbedingung
für die Normalisierung der psychosozialen Lage, denn nur
damit kann ethnischer Nihilismus und Extremismus verhindert
werden.
6. Der soziale Bereich [ top ]
Die soziale Infrastruktur der Wohnbezirke der kleinen
Völker des Nordens wurde im Rahmen der industriellen
Erschließung der nördlichen Territorien aufgebaut. Die
Verbindungen mit der Metropole sicherten der örtlichen
Bevölkerung Verpflegung, Industriewaren, alltägliche
Dienstleistungen, Transport, Elektroenergie und anderes. Damit
erklärt sich die hohe Verwundbarkeit der sozialen
Infrastruktur im Zusammenhang mit dem derzeit zu beobachtenden
wirtschaftlichen Niedergang.
Wichtige Probleme in der Elektrizitätsversorgung oder im
Transport- und Bauwesen bleiben gänzlich ungelöst. Von
den 29 elektrisch nicht versorgten Wohnsiedlungen des Altai
gehören 19 zu den Dauersiedlungsgebieten der Ureinwohner. In
den Landbezirken ist aufgrund des unwegsamen Geländes die
Arbeit der Post erschwert, Telefonverbindungen fehlen. In vielen
Dörfern der indigenen Bevölkerung funktioniert kein
Radio. Überall fehlt es an Wohnraum und vielerorts fehlen
die elementaren Voraussetzungen zum Leben. Im gesamten Norden
(auch dort, wo Erdgas gewonnen wird) sind nur 3% der Siedlungen
mit Gas versorgt, nur 4% haben eine Wasserleitung, 0,1%
Zentralheizung. Im Bausektor mangelt es an einer auf Montage und
Nutzung der Gebäude in extremen klimatischen Bedingungen
ausgerichteten Bauindustrie. Der bestehende Bausektor steckt
wegen der starken Teuerung und des schwierigen Transports der
Baumaterialien, die zudem zu 100% vorausbezahlt werden
müssen, in einer schweren Krise.
Unter der nicht indigenen Bevölkerung steigt derzeitig die
Abwanderungsrate, was zur Auflassung bewohnter Siedlungen
führt. Dies zieht wiederum schwerste Folgen für die
zahlenmäßig kleinen Völker nach sich, denn
Lieferungen von Lebensmitteln und Industrieprodukten sowie
wichtige Dienstleistungen für die Bevölkerung bleiben
jetzt aus. Mehr als zwei Millionen nicht indigene Nordbewohner
planen derzeit abzuwandern. Schon jetzt sind in Magadan die
Siedlungen Moja Rusta, Burkandja u.a. aufgelassen worden. 1994
hat sich die Bevölkerung Tschuktschiens um 10,5% vermindert,
die Magadans um 8,1%, die Kamtschatkas um 3,8%, die Sachalins um
2,6%, die Jakutiens um 2,4%. Der Niedergang der Produktion in den
Städten, die Nichtrentabilität der traditionellen
Wirtschaftsweise, die Verminderung der Jagd - und
Weidegründe erzeugen Arbeitslosigkeit. Rund die Hälfte
der arbeitsfähigen Bevölkerung hat keinen
ständigen Arbeitsplatz. Die überwiegende Mehrheit der
indigenen Bevölkerung des Nordens lebt unter der
Armutsgrenze.
Die Entlohnung liegt zu 50% unter dem früheren
Reallohnniveau. Anfang 1995 stand der Mehrheit der
Bevölkerung eine Einnahme von 30.000 bis 40.000 Rubel im
Monat zur Verfügung. Das Mindesteinkommen zum Überleben
ist auf 120.000 Rubel festgesetzt. Die bisher aufgezeigten
Probleme sind 1991-1995 im Rahmen des staatlichen Programmes
für die Entwicklung der Wirtschaft und der Kultur der
kleinen Völker des Nordens aufgegriffen worden. Dieses
Programm ist durch Verordnung des Ministerrates der Russischen
Föderation vom 11. März 1991, Nr. 145 bekräftigt
worden. Es wurden die Verfassung Rußlands, eine Reihe von
wichtigen Gesetzen und Verordnungen erlassen und andere Programme
von Bundes- und regionaler Bedeutung in Kraft gesetzt ("Die
Kinder des Nordens", "Technik des Nordens" u.a.). All diese
Maßnahmen wirkten sich positiv aus, konnten die allgemeine
Verschlechterung der Lage der kleinen Völker jedoch nicht
gänzlich neutralisieren. Da die zugeteilten Mittel aus dem
Bundesbudget nicht vollständig ausbezahlt wurden, konnten
viele der vorhergesehenen Maßnahmen nicht verwirklicht
werden. Laut Staatsprogramm sind im Zeitraum zwischen1991-1995
folgende Bauten verwirklicht worden:
Durch eine Verordnung der Regierung der Russischen
Föderation vom 28. Februar 1996, Nr. 295 bis zum 1. Januar
1997 erfolgte eine Analyse der Realisierung des Staatsprogrammes
Nr. 145, die erhebliche Verzögerungen in der
Durchführung der Maßnahmen feststellte. Die Ursachen
liegen in den jährlich sinkenden Investitionsfonds und den
Verzögerungen bei den Überweisungen der Gelder durch
das Finanzministerium. Gemäß dem festgesetzten
Jahresdurchschnittsbedarf von 1,28 Milliarden Rubel (Verordnung
145, zu Preisen des Jahres 1984) wären (zu Preisen von 1991)
2,04 Milliarden, 1992 42,84 Mrd, 1993 492,66 Mrd, 1994 2.611,10
Mrd und 1995 6.632,20 Mrd. Rubel für dieses Programm
erforderlich gewesen.
Von den angeforderten Mitteln wurden vom Finanzministerium 1991
31,4%, 1992 16,5%, 1993 4,4%, 1994 5,9% und 1995 2,2%
tatsächlich überwiesen. Aber auch bei den genehmigten
Investitionsvorhaben ist die Finanzierung der Programme nicht in
vollem Umfang erfolgt. 1993 wurden 71,8% der vorgesehen Mittel
überwiesen, 1994 83,1%, 1995 62,2%. Die Kreditverpflichtung
für 1993 beträgt 31.5 Mrd. Rubel. Unterbrochen ist die
Finanzierung des Staatsprogrammes zur Entwicklung der
Gesundheitsvorsorge, der Bildung, der Kultur, da 1994 und 1995
für diese Zwecke keine Mittel vorgesehen waren. Neue
politische und sozioökonomische Entwicklungen (Zerfall der
Sowjetunion, Übergang zur Marktwirtschaft, Orientierung an
allgemeinmenschlichen Werten, Einhaltung internationaler
Rechtsvorschriften) diktieren jetzt auch andere Ansätze zur
Lösung der Probleme der kleinen Völker.
7. Die ökologische Situation in den Wohngebieten der indigenen Völker [ top ]
Die Wirtschaft des russischen Nordens hat sich in den letzten
30 Jahrengewaltig verändert. Gerade in diesem Zeitraum
wurden Fundstätten von Erdgas und Erdöl in Jamalien und
Westsibirien rüchsichtslos ausgebeutet, Nickelerze wurden im
Tajmyr abgebaut, Phosphate und Apatite auf der Kola-Halbinsel,
Steinkohle und Buntmetalle in Tschuktschien. Die industrielle
Erschließung des Nordens stand von Anfang an im scharfen
Gegensatz zur traditionellen Lebensart der indigenen
Bevölkerung. Leider dachte man in der staatlichen
Erschließungs- und Entwicklungspolitik kaum an die die
Sicherung eines stabilen Versorgungsniveaus der örtlichen
Völker mit Bedacht auf die Formen ihrer traditionellen
Nutzung dre Natur.
Meistens wurden die alten Gründe der indigenen Völker
ohne Zustimmung und ohne jegliche Vergütung von den
Abbaugesellschaften und Organisationen enteignet. Die Erdöl-
und Erdgasreserven in Westsibirien und in der autonomen Region
Chanty-Mansijsk haben vorerst nicht so sehr Ruhm und Reichtum
gebracht, sondern vor allem tiefe Wunden und Schmerzen für
die schwergeprüften Jugorskischen Völker der Chanten
und Mansen. Seit eh und je haben die Menschen dieser Region
Mutter Natur tiefe Liebe und Achtung entgegengebracht, sie als
heilig gehütet, mit ihr in voller Harmonie gelebt und von
ihr nur das fürs Leben notwendige Minimum genommen.
Die in kurzer Zeit entstandenen Erdöl und Erdgasprojekte,
die neuen Städte und Siedlungen haben sich sehr
ungünstig auf die leicht verwundbare nördliche Natur
ausgewirkt. Man denke nur an die "Sanddünen" im Bezirk
Neu-Urengoj. Im Sommer erinnert die Waldtundra hier stellenweise
an mittelasiatische Landschaften. Rund um die bekannte
Erdölfundstätte von Samotlar gehen infolge der
Störung des Wasserhaushaltes und der Verschmutzung riesige
Zirbelkieferbestände zugrunde. Ähnliches geschieht auch
unterhalb von Surgut, Neftejugansk und im Oktoberbezirk der
autonomen Region Chanty-Mansijsk. In dem für die Chanten
heiligen Fluß Ob verschwinden zusehends die
Laichgründe wertvoller Fischarten. Der Bestand an Pelztieren
und Vögeln schrumpft. Vor gar nicht langer Zeit war die
Region Chanty-Mansijsk eine Zone außerordentlicher
ökologischer Reinheit.
Das Norilsker Kombinat vernichtet den Tajmyr. Tausende von
Quadratkilometern von Rentier-, Fischfang und Jagdgründen
werden der traditionellen Wirtschaft entzogen. Im letzten
Jahrzehnt haben sich um die Tschuktschen-Siedlungen Krasnoarmejsk
und Komsomolz riesige Halden leeren Gesteins gebildet. Es
verschwinden Dutzende von Flüssen und Seen. Ins Grundwasser
sickern das ganze Jahr über Bäche und Salzsäure,
die aus den Bohranlagen rund um die Siedlung Majski stammen. Die
Küste der arktischen Meere und die Tundra sind mit
unwirtschaftlichem Leergut und rostigem Eisen verschmutzt. Die
sanitären Zustände in den bewohnten Siedlungen
Tschuktschiens sind besorgniserregend.
Für die Ureinwohner in der autonomen Region Nenjetz am Ufer
des Weißen Meeres brachte die Errichtung eines
Kernwaffenübungsplatz auf der Inselgruppe Novaja Zemlja
ungeheure Entbehrungen mit sich. Ausgediente Reaktoren werden in
das nahegelegene Reservoir geworfen, Schiffe und Container mit
radioaktiven Abfällen einfach versenkt. Von 1954 bis 1992
wurden auf dem Schießstand 132 unterirdische, 87
oberirdische und 3 Unter-Wasser-Kernexplosionen
durchgeführt. Nach Meinung von Experten entsprach die
Gesamtkraft aller Zündungen mehr als 300 Megatonnen. Als
Ergebnis der oberirdischen Explosionen wurden Niederschläge
beobachtet, die langlebige Radionukleide mit Cäsium 137,
Strontium 90 und Kohlenstoff 14 enthalten. Nach Auskunft des
Komitees über die Auswirkungen der Atomstrahlung im
äußersten Norden überschreitet die innere
Bestrahlung 35 mal das durchschnittliche statistische
Strahlungsquantum. Das bedeutet, daß die sich fast
ausschließlich von Rentierfleisch und Fisch ernährende
Bevölkerung eine Cäsium 137-Dosis erhält, die 100-
bis 1000 mal die durchschnittliche individuelle Dosis der
übrigen Bevölkerung überschreitet. Als Folge
verschlechtert sich die Gesundheit der Bevölkerung
zusehends, die Sterblichkeit steigt. So verzeichnet die autonome
Region Nenjetz in den letzten 10 Jahren einen Zuwachs von 49,1%
an Speiseröhrenkrebs. Die Lungenkrebshäufigkeit stieg
um das dreifache. Die Geburten wurden weniger, die
Kindersterblichkeit erhöhte sich.
Der Anteil der an bösartigen Tumoren erkrankten und
gestorbenen Menschen ist in der Zeit zwischen 1965 bis 1991 von
46,4% auf 75% gestiegen. Bei onkologischen Herzgefäß-
und urogenitalen Erkrankungen sind die Bezirke, die an der
Küste des Weißen Meeres liegen, besonders betroffen.
In den letzten 30 Jahren hat sich die Zahl der bösartigen
Geschwüre in der Nenjetzregion versiebenfacht (von 2,2
Promille 1961 auf 14,3 1991). Im letzten Jahrzehnt treten auch
angeborene Behinderungen häufiger auf (13,9 Promille 1969
und 30,7 im Jahre 1989). Behinderungen erweisen sich als
Hauptursache für die Kindersterblichkeit. Alle chemischen
Verbindungen (auch innerhalb der bestehenden, noch
zulässigen Konzentrationen), die sich in
oxydierend-wiederherstellende Prozesse vermischen
(Kohlenwasserstoff-, Fluor-, Chlororganische Verbindungen),
wirken sich ungünstig auf den Menschen aus.
In diesem Zusammenhang müssen regionale Grenzwerte an
schädlichen Umweltfaktoren der für die Arktis regional
noch zugelassenen Konzentrationen ausgearbeitet werden. Fragen
des sozialen Schutzes der Bevölkerung mit Hinsicht auf
Schadenersatz für die Gesundheitsschäden durch
verschiedene ökologisch schädliche Produktionen
müssen überprüft werden. Mehr als alles andere
beunruhigt die Ureinwohner jedoch die Tatsache, daß sie
sich nicht als Hausherrn auf der väterlichen Erde
fühlen können. Die indigenen Völker haben ein und
dieselbe Frage: Wo die Rentiere weiden, wo Wildtiere jagen und
Fische fangen, wo Beeren und Pilze sammeln, wo die Erde
hernehmen? Wo sollen wir leben? In den Erdöl - und
Erdgasunternehmen arbeiten ausschließlich Zugewanderte, die
mit der örtlichen Kultur nicht vertraut sind. Es versteht
sich, daß auf diese Weise viele soziale Probleme entstanden
sind, um so mehr, als die indigene Bevölkerung keine
Vergütungen für die zugefügten Schäden
erhalten hat. Im Gegenteil, der indigenen Bevölkerung wurde
vorgeschlagen, das Nomadenleben aufzugeben. Daraus ergaben sich
viele negative Folgeerscheinungen: die Degradierung der
Persönlichkeit, das Gefühl, aus der eigenen Heimat
verdrängt zu werden u.s.w.
8. Die rechtliche Lage der Ureinwohner [ top ]
Die industrielle Erschließung der Territorien der
traditionellen Siedlungen dieser Völker ist ohne
Rücksicht auf die ökologischen, wirtschaftlichen und
sozialen Folgen, ohne Rücksicht auf Meinungen, Rechte und
gesetzliche Interessen durchgeführt worden. Durch die
Verletzung des natürlichen Lebensraumes dieser Völker
sind die zur Führung traditioneller Erwerbszweige geeigneten
Plätze seltener geworden. Im Laufe der letzten Jahrzehnte
hat der Staat den kleinen Völkern wenig Aufmerksamkeit
gewidmet. Als Folge davon ist ihre Kultur und ihre Lebensweise
entartet. Bis heute gibt es keine rechtlichen Garantien, die
diesen Völkern bei rechtlichen Fragen freie
Willensäußerung zugestehen. Sie haben keine Vertretung
in den Organen der Staatsmacht und in jenen der örtlichen
Selbstverwaltung. All das erfordert in erster Linie die Schaffung
eines eigenen Rechtsstatus für diese Völker.
Der Gesetzgebungsprozeß muß auf den gegebenen
internationalen Vereinbarungen aufbauen. Zu diesen
Vereinbarungen, die den Rechtsstatus der indigenen Völker
bestimmen, gehört vor allem die ILO-Konvention Nr. 107 vom
26. Juni 1957 ("Über den Schutz und die Integrierung der
eingeborenen und anderer Bevölkerung, die in
unabhängigen Ländern eine Stammes- oder
Halbstammeslebensweise führen") und Nr. 169 vom 26. Juni
1989 ("Über die eingeborenen Völker und die
Völker, die in unabhängigen Ländern eine
Stammeslebensweise führen"). Um Diskriminierungen vorbeugen
und Minderheiten zu schützen, wurde im Rahmen der Vereinten
Nationen durch die Unterkommission ein Projekt über die
Rechte der indigenen Völker ausgearbeitet. Kernpunkt dieses
Systems muß gemäß Art. 69 der Verfassung der
Russischen Föderation das noch auszuarbeitende Gesetz der
Russischen Föderation über die "Grundlagen des
Rechtsstatus der indigenen kleinen Völker Rußlands"
werden. Dieses Gesetz muß das Fundament für die
nachfolgende Gesetzgebung des Bundes und der Bürger der
Russischen Föderation über diese Völker schaffen.
Diese Probleme wurden teilweise in den folgenden Bundesgesetzen
berücksichtigt:
Verordnung der Duma vom 26. Mai 1996, Nr. 816 - IGD,
"Über die kritische Lage der Wirtschaft und Kultur der
indigenen kleinen Völker des Nordens der Russischen
Föderation". Die kollektiven Rechte dieser Völker
müssen gesetzlich verankert werden. Gleichzeitig
bedürfen diese kleinen Völker der Hilfe und
Unterstützung von Seiten der Bundesorgane der Staatsmacht,
der Bürger der Russischen Föderation und auch der
Organe der örtlichen Selbstverwaltung. Es ist Pflicht der
staatlichen Organe, besondere regionale staatliche und
Bundesprogramme, die den Neuanfang und die Entwicklung der
kleinen Völker fördert, auszuarbeiten und ihnen die
nötige finanzielle Unterstützung und andere Hilfe zu
geben. Die Rechtsquellen dieser Völker müssen kenntlich
gemacht werden.
Die kleinen Völker Rußlands genießen laut
Verfassung die gleichen Rechte wie alle anderen Völker der
Russischen Föderation; diese Rechte sind in internationalen,
durch die Föderation ratifizierte Akte festgelegt worden.
Ein Verzeichnis aller sozialen, politischen und wirtschaftlichen
Rechte dieser Völker, sowie der Rechte im Kulturbereich und
vor Gericht ist unumgänglich. Auf dem Siedlungsgebiet der
kleinen Völker muß ein System örtlicher
Selbstverwaltung errichtet werden, das im Rahmen seiner
Vollmachten die Fragen von lokaler Bedeutung selbständig
entscheidet, etwa die Lebensweise, Sprache, Bräuche,
Traditionen und Formen der Verwirklichung der Rechte der
örtlichen Selbstverwaltung (Referenden, Wahlen,
Versammlungen, Gemeinden, usw.).
Die gesetzlichen Maßnahmen müssen die Ansichten der
kleinen Völker oder ihrer Vereinigungen
berücksichtigen. Das betrifft vor allem Rechte und
gesetzliche Interessen dieser Völker: die Abhaltung von
Referenden, die Schaffung von Vertreterräten bei der
Regierung der Republik, der Verwaltung eines Landes, einer
Provinz, Region, eines Bezirkes, einer Stadt, eines Bezirkes
einer Stadt und bei einer ländlichen Verwaltung. Es ist
notwendig, einen Mechanismus der Verwirklichung des Rechtes auf
Besitz, Nutzung und Verfügung des Grundes und der anderen
natürlichen Ressourcen festzusetzen und die Möglichkeit
zu schaffen, Gründe aus dem staatlichen und kommunalen
Eigentum in gemeinschaftlichen Besitz zu übernehmen. Es ist
Pflicht der staatlichen Organe und der örtlichen
Selbstverwaltung, die notwendigen Rahmenbedingungen für die
Entwicklung der traditionellen Wirtschaft zu sichern. Zur
Bewahrung der natürlichen Umwelt und zur Entwicklung der
traditionellen Wirtschaftszweige der kleinen Völker ist die
Bildung von Territorien traditioneller Naturnutzung vorgesehen.
Diese Territorien dürfen nicht ohne Zustimmung der kleinen
Völker für industrielle Zwecke enteignet oder
erschlossen werden. Die Unternehmen und Organisationen auf diesen
Territorien dürfen nur gemäß den staatlichen
Programmen zur Erschließung der natürlichen Ressourcen
und mit Hinsicht auf Bewahrung der natürlichen Umwelt
funktionieren. Eine vorausgehende ökologische und
ethnologische Expertise muß immer eingeholt werden.
Rechtliche Garantien für die Rechte dieser kleinen
Völker sind für das Überleben elementar.
9. Die Überlebensprobleme der kleinen Völker des Nordens – Der politische Aspekt [ top ]
Das Jahrzehnt der indigenen Völker hat 1995 begonnen Ihr
Status wird durch eine Reihe von Dokumenten auf internationaler,
russischer und örtlicher Ebene geregelt (mehr als 170). Die
besondere Lage der kleinen Völker erfordert die Schaffung
ergänzender Rechte, welche die Voraussetzungen für ihre
tatsächliche Gleichheit mit anderen Nationen und
Volksgruppen schaffen. Es braucht den effektiven Schutz des
urtümlichen Lebensraumes und der traditionellen Lebensweise
durch gemeinsame Anstrengungen der Bundesverwaltungsorgane, der
Republiken, Länder, Provinzen und autonomen Regionen sowie
der örtlichen Verwaltungen.
Um die Wohnregionen der eingeborenen Völker des Nordens aus
der Krise herauszubekommen und um die Voraussetzungen für
eine beständige Entwicklung der Wirtschaft dieser
Völker zu schaffen, braucht es eine massive
Unterstützung aus dem Bundesbudget. Die Ureinwohner der
Vereinigten Staaten, Kanadas und anderer Länder
genießen unter ähnlichen Bedingungen staatliche
Unterstützung. Ziel dieser Unterstützung ist auch die
Sicherung der beständigen Entwicklung kleiner Völker,
die in ihren angestammten Siedlung wohnen. Die Wiederherstellung
und rationelle Nutzung der natürlichen Ressourcen des
Nordens müssen zur Beschäftigung der Ureinwohner
beitragen, die Arbeit muß hauptsächlich mit der
Bewahrung und Entwicklung der traditionellen Wirtschaftszweige
zusammenhängen. Nichttraditionelle Wirtschaftszweige und
Betriebe werden eine Hilfsrolle spielen, bis sich eine
entsprechende soziale Schicht unter den indigenen Völkern
gebildet hat.
Die Lösung der gegebenen Aufgaben ist eng verbunden mit der
medizinischen und sanitär-epidemologischen Betreuung der
Ureinwohner. Wegen der extremen Entfernungen zwischen den
einzelnen Siedlungen, der schlechten Verbindungen und der
niedrigen Einkommen kann dieses enorme Problem nur durch
Maßnahmen gelöst werden, die sich von jenen, die in
den zentralen Bezirken Rußlands angewandt werden,
unterscheiden. Es müssen mobile medizinische
Versorgungsgruppen geschaffen werden, die nicht nur bereit sind,
bei Notfällen zu helfen, sondern auch regelmäßige
Prophylaxe durchführen.
Eine Weiterentwicklung setzt die Wiedergeburt der eigenen Kultur,
die Bewahrung alter Bräuche, ihrer Lebensart und das
Aussetzen ihrer widernatürlichen Assimilierung voraus. Es
geht um das Überleben vieler Völker, die ohne
staatliche Unterstützung, ohne Hilfe von außen nicht
mehr imstande sind, die traditionelle Wirtschaft
wiederherzustellen. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung
für die indigenen kleinen Völker ist auf einer Reihe
von internationalen Konferenzen erörtert und als grundlegend
notwendig anerkannt worden. Der Inhalt dieses Konzeptes
berücksichtigt die natürlichen, klimatischen
Bedingungen eines jeden Volkes in seinem Lebensraum. Es
befördert die Wahrung der Rechte und Freiheiten der
Bürger jeder Nationalität, die in grundlegenden
internationalen Dokumenten verankert sind [Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, der
internationale Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Rechte (angenommen durch die Generalversammlung am
16. Dezember 1966 und ratifiziert durch das Präsidium des
Obersten Sowjet der Sowjetunion am 18. September 1973), das
Dokument der Kopenhagener Konferenz über die menschliche
Dimension der KSZE (angenommen am 29. Juni 1990 durch 35 Staaten
als Teilnehmer), Die Konvention Nr. 107 über den Schutz und
die Integration der eingeborenen und anderen Bevölkerung,
die eine Stammes- oder Halbstammeslebensweise in
unabhängigen Ländern führt (angenommen durch die
Generalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation am 26.
Juni 1957), die Konvention Nr. 169 über die indigenen
Völker und über die Völker, die eine
Stammeslebensweise in unabhängigen Ländern führen
(angenommen durch die Generalkonferenz der Internationalen
Arbeitsorganisation am 26. Juni 1989)].
Das wichtigste Problem besteht in der Wiederherstellung der
gesetzlichen Ansprüche der indigenen Völker auf ihre
angestammten Lebens- und Wirtschaftsräume und in der
Schaffung einer wirtschaftlichen Basis für ihre Existenz und
Entwicklung. Das Recht auf Lebensraum ist eines der
vordringlichsten, doch das Einfordern dieses Rechts ruft scharfe
Diskussionen und nicht selten aktiven Widerstand hervor.
Rußland ist in dieser Beziehung keine Ausnahme. Man
könnte annehmen, so etwas rühre von der Unkenntnis der
indigenen Lebensart her, doch der Hauptgrund liegt wohl darin,
daß die Territorien der Urbewohner reich an Erdöl,
Erdgas und anderen Bodenschätzen sind. Dem Recht der
Ureinwohner auf ihren angestammten Lebensraum steht der
Standpunkt der Regierungen gegenüber, die befürchten,
die Kontrolle über diese Territorien und über die
natürlichen Ressourcen zu verlieren. Sie wollen dem
Standpunkt dieser Völker deshalb nicht Rechnung tragen und
sie unter ihrer Kontrolle halten. Es besteht die Gefahr, eine
privilegierte soziale Schicht mit Sonderrechten entstehen zu
lassen, die dann ihrerseits gegen andere oft ebenso notleidende
(nicht indigene) Gruppen geschützt werden muß.
Gleichzeitig ist dieses Grundproblem das Schlüsselproblem
für die indigenen Völker, denn die Erde ist für
sie die materielle und geistige Grundlage ihrer Existenz. Ohne
sie sind die Ureinwohner dem physischen oder zumindest
kulturellem Untergang geweiht.
Man darf nicht vergessen, daß die indigenen Völker an
ihren Wohnorten die ersten Siedler waren. Sie der
Möglichkeit zu berauben, auf diesen Gründen zu leben
und zu wirtschaften, besonders, wenn so etwas nicht freiwillig
und ohne rechtliche Prozeduren vor sich geht, steht einem Staat,
der sich demokratisch und rechtsstaatlich nennen will, nicht an.
Das Recht der Ureinwohner auf ihre Erde tritt in bedeutendem
Ausmaß als systembildende Grundlage ihres staatsrechtlichen
Status hervor. Mit diesem Recht verbindet sich die Verwirklichung
der Rechte auf Selbstverwaltung, auf Teilnahme an der
Nutznießung der Bodenschätze. Auf diese Weise
Voraussetzungen zur Konsolidierung des Volkes, zur besseren
Entwicklung der Sprache, der Kultur und der Lösung sozialer
Fragen geschaffen. Der Niedergang dieser Völker ist oft mit
dem Fehlen ihrer Rechte auf Lebensraum und andere Ressourcen
verbunden.
Durch die Privatisierung und den Erhalt von Grund durch
Pachtverträge gewinnt die Frage des Grundbesitzes heute eine
besondere Bedeutung für die indigenen Völker. Ohne
rechtliche Garantien könnten die Indigenen von den
Nutzungsmöglichkeiten der natürlichen Ressourcen
ausgeschlossen werden. Hin und wieder werden bereits wieder
Bodenanteile ohne Zustimmung der Urbevölkerung an Leute oder
ausländische Firmen gegeben, die mit der traditionellen
Wirtschaft nichts zu tun haben. In Rußland gibt es vorerst
weder ein Konzept für eine traditionellen Naturnutzung noch
für eine ökologisch-ethnographische Gebietseinteilung
des Nordens. Die geographische Ausdehnung der besonderen Formen
des Wirtschaftens ist nicht festgelegt. Bisher gibt es kein
Inventar der biologischen und natürlichen Ressourcen der
Arktis. Die Aufgabe besteht darin, die Kultur und Werte der
indigenen Völker unter den Voraussetzungen der sich
wandelnden Gesellschaft der Arktis zu bewahren. Desen
Völkern muß die Möglichkeit gesichert werden,
gleichberechtigte Teilnehmer an der Wirtschaft und am
gesellschaftlichem Leben zu sein, die arktische Natur, Umwelt und
biologische Reproduktion zu schützen und zu erhalten.
Schwere Fehler von Seiten des Staates wurden bei der
Erschließung des Nordens begangen: in den 50 und 60er
Jahren herrschte auf diesen Territorien "das behördliche
Interesse" vor, sodaß die Erfahrung der indigenen
Bevölkerung im Bereiche der traditionellen Naturnutzung
nicht zur Geltung kommen konnte. Sowohl die Regierungs- und
Staatsorganisation als auch die Industrieverwaltungen und
Unternehmen müssen den Wert der traditionellen Erfahrung der
Ureinwohner und der im Laufe von Jahrhunderten im Bereich der
Umwelterhaltung angesammelten Kenntnisse anerkennen. Wir
begrüßen gewissenhafte wissenschaftliche
Forschungsarbeit, die allen hilft, die Geheimnisse der Arktis
besser zu verstehen. Doch die Bewohner der arktischen Bezirke
verlangen verständlicherweise, daß ihre Meinung auch
angehört und ihren Erfahrungen und Kenntnissen die
gebührende Achtung entgegengebracht werde. Diese Völker
besitzen eine große Kenntnis des ökologischen Systems
der Arktis, des Eises und Schnees, der ozeanischen
Strömungen, des Verhaltens der Tiere, der Fische usw. Die
Vertreter der Industrieunternehmen, der Verwaltungen und der
Organe der örtlichen Selbstverwaltung versuchen uns aber zu
überzeugen, daß sie alles wissen und daß die
traditionellen Kenntnisse der eingeborenen Völker derzeit
kaum von jemandem benötigt werden.
Ein solches Verhalten ist nicht nur beleidigend, sondern auch
falsch. Die Kenntnisse der indigenen Völker über die
Umwelt und die wilde Natur sind das Ergebnis unmittelbarer
Beobachtungen im Laufe vieler Generationen. Die traditionellen
Kenntnisse sind wichtig sowohl für die indigenen Völker
selbst in ihrem Alltagsleben, als auch für das
Verständnis der Prozesse, die mit der Nutzung der
natürlichen Ressourcen der Arktis verbunden sind. Es besteht
die Möglichkeit zur Schaffung einer einzigen Datenbank der
traditionellen Kenntnisse der indigenen Völker des Nordens.
Gleichzeitig besteht die Notwendigkeit, jene Arten der Produktion
einzuschränken, die die ökologische Situation der
Arktis verschlechtern. Der Staat muß das Risiko
möglicher negativer Folgen auf ein vernünftiges
Ausmaß verringern. Am Prozeß der Ausarbeitung
einschränkender Maßnahmen muß auch die
örtliche eingeborene Bevölkerung teilnehmen. Das ist
nicht mehr als gerecht, denn im Falle einer Fehlentscheidung
leidet sie am meisten.
Ein weiteres wichtiges Problem ist die systematische Information
der indigenen Völker über den Zustand der
ökologischen Lage in ihrem Lebensraum und besonders in der
arktischen Umwelt. Im Grunde erfahren die indigenen Völker
über den tatsächlichen ökologischen Zustand ihres
Lebensraumes erst dann etwas, wenn ihre Vertreter an
internationalen Konferenzen, Symposien oder Beratungen
teilnehmen. Vor Ort wissen die Leute oft nichts über den
Stand der Verschmutzung ihres Lebensraumes.
Ein weiteres Problem besteht im Anspruch auf einen gerechten
Anteil am wirtschaftlichen Nutzen aus den natürlichen
Ressourcen in ihrem angestammten Lebensraum. Derzeit sind in
Rußland die Staatsbeamten bestrebt, das Problem zu
verschweigen und sie entziehen sich auf jede Art und Weise der
Lösung dieses Problems. Die Vertreterorganisationen der
indigenen Völker bestehen auf der Ausarbeitung einer
entsprechenden Ordnung zur Auszahlung von Schadenersatzleistungen
für die Schäden an ihren Wohn- und
Wirtschaftsgründen. Die Abgeordnetenversammlung der kleinen
Völker erachtet es angesichts der kritischen Lage als
notwendig, durch Verhandlungen zwischen der Regierung
Rußlands und den indigenen kleinen Völkern des
Nordens, vertreten durch ihre gesellschaftlichen Organisationen,
einen für beide Seiten akzeptablen Ansatz zur Lösung
folgender Probleme zu finden:
Solange es nicht zu spät ist, solange die Hoffnungen der
Völker noch lebendig sind, rufen wir den Präsidenten
Rußlands, den Vorsitzenden der Regierung, die Führer
des Föderationsrates und der Staatsduma auf, die Forderungen
der indigenen Völker sorgfältig zu überprüfen
und ihr völliges Verschwinden nicht zuzulassen. Wir wenden
uns an die Parteien, Bewegungen und an die Allgemeinheit
Rußlands, an alle Menschen guten Willens, denen das Leben
und die Rechte jeden Volkes teuer sind, das Streben der
zahlenmäßig kleinen Völker des russischen Nordens
nach Selbsterhaltung zu unterstützen.
In dieser für die indigenen Völker schwierigen Zeit
richten wir den Blick auf die internationale Gemeinschaft und
rufen die Generalversammlung und Kommission für
Menschenrechte der Vereinten Nationen, die Regierungen und
Parlamente, die staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen
und Einrichtungen und alle ehrlichen und rechtschaffenen
Bürger, die gesellschaftliche und andere Kontakte zu den
höchsten Machtorganen in der Russischen Föderation
haben, auf den Präsidenten, die Regierung und die
Bundesversammlung Druck auszuüben zugunsten der Bewahrung
der indigenen, unter den extremen klimatischen Bedingungen der
Arktis lebenden Völker.
Genehmigt am 4. Dezember 1997 durch das Präsidium der Abgeordnetenversammlung der kleinen Völker des Nordens, Sibiriens und des Fernen Ostens der Russischen Federation.
Der Himmel ist in orangenes Licht getaucht, als sei gerade die
Sonne untergegangen. Eine romantisch anmutende Atmosphäre.
Doch der Anblick täuscht: Es ist Mitternacht, bei 20 Grad
minus in der kleinen westsibirischen Siedlung Trom-Agan. Das
Orange am Himmel flackert unruhig auf. Dies ist kein
Sonnenuntergang, auch kein Wetterleuchten. Das Dorf ist umgeben
von vier Erdöllagerstätten. Meterhohe Fackeln,
Begleitgase des geförderten Öls, lodern 24 Stunden und
365 Tage im Jahr gen Himmel. Im Sommer vervielfachen sich dadurch
die Waldbrände, und Tausende von Vögeln verenden in den
Flammen. Ein nächtlicher Landeanflug auf Westsibiriens
Ölhauptstadt Surgut offenbart, daß dies kein
Einzelfall ist: Unzählige kleine orangerote Punkte, die
verstreut sind, soweit das Auge blickt, sind die nächtlichen
Zeichen für die Industrialisierung der arktischen Tundra und
der subarktischen Taiga.
Im Tjumen-Gebiet in Westsibirien liegt der Schwerpunkt der
russischen Öl- und Gasförderung. Im dortigen autonomen
Bezirk der Chanten und Mansen wurden 1997 162 Mio. Tonnen Öl
gefördert. Im nördlich daran anschließenden
autonomen Bezirk der Jamal-Nenzen waren es 534,9 Milliarden
Kubikmeter Gas im Jahr 1996. Die Wirtschafts- daten der beiden
Bezirke sind heute an der Spitze der russischen Regionen. Trotz
des kürzlichen Ölpreisverfalls steuern ihre Gewinne aus
dem Öl- und Gassektor noch 40 Prozent der Einnahmen zum
gesamtrussischen Haushalt bei. Die indigene Bevölkerung der
Chanten, Mansen und Nenzen muß hart um ihr Überleben
kämpfen, seit die Industrie in diese entlegenen Gegenden
vorgedrungen ist. Seit Beginn der Ölförderung in den
60er Jahren ist der Anteil dieser Völker an der
Gesamtbevölkerung auf 1,4 Prozent gesunken, denn für
die Erschließung der Region wurde Hunderttausenden von
Arbeitern aus südlicheren Gebieten des Sowjetreiches mit
materiellen Privilegien das beschwerliche Leben im Norden
schmackhaft gemacht.
Tatsächlich stellt das Klima in den Tundra- und
Taigagebieten Westsibiriens an Mensch und Tier
außergewöhnliche Anforderungen: Bis zu neun Monaten im
Jahr liegt Schnee und Eis; vom Boden taut im kurzen Sommer nur
die oberste Schicht auf, die sich dann vielfach in unwegsames
Sumpfgebiet verwandelt, das sich zu beiden Seiten des
großen Flusses Ob ausbreitet. Die kleinen Völker der
Chanten und Nenzen haben sich mit ihrer traditionellen Lebens-
und Wirtschaftsweise an diese Umwelt angepaßt. Sie
betreiben Fischfang, Jagd und Rentierzucht. Um die Weiden nicht
zu übernutzen, wechseln sie mehrmals jährlich den Wohn-
und Weideplatz, denn die Pflanzen wachsen im kurzen Sommer zu
wenig, um Weidegrund für ein ganzes Jahr abgeben zu
können. Die Areale sind in der Taiga nach Gewohnheitsrecht
seit jeher so geordnet, daß jeder Klan bestimmte Weide-,
Jagd- und Fischgründe nutzt. Von besonderer Bedeutung sind
die heiligen Plätze, wo sich die Gottheiten bestimmter
Gewässer und Wälder aufhalten oder die Geister der
Ahnen wohnen.
Bei einer solchen Verbindung zwischen Mensch und Land schmerzt es
traditionelle Chanten, wenn ihre Erde angebohrt wird, wenn mit
Dynamit unter- irdische Sprengungen vorgenommen werden, um zu
bestimmen, wie viel Erdöl in einer Lagerstätte ruht,
wenn Salzsäure in die Erde gepumpt wird, um den Druck des
Öls an die Erdoberfläche zu erhöhen. Zahlreiche
Flüsse, Seen und kleinere Gewässer sind bereits
biologisch tot. Die indigenen Fischer müssen in die
Oberläufe der kleineren Zuflüsse ausweichen. Doch auch
dort werden die russischen Grenzwerte für
Wasserverschmutzung um ein vielfach überschritten. Durch den
Ausbau der Infrastruktur und die massive Zuwanderung sind die
Bestände an wilden Rentieren im chantisch-mansischen Bezirk
fast gänzlich ausgerottet. Die Administration mußte
bereits eingestehen, daß die Jagd als traditionelle
Erwerbsquelle der indigenen Völker fast bedeutungslos
geworden ist. Dennoch blockiert die Verwaltung in einem der
letzten Rückzugsgebiete des wilden Rentiers am Fluß
Jugan, wo 900 Chanten bis heute ihre Kultur erhalten konnten, die
Einrichtung eines Unesco-Biosphärenreservats.
Auch der dritte Erwerbszweig, die Rentierzucht, wird von der
Industrialisierung schwer beeinträchtigt: Die
Erschließung der Öl- und Gasfelder verschlingt
jährlich 20.000 bis 30.000 Hektar Land. Dazu kommen die noch
immer steigenden Verschmutzungen durch auslaufendes Öl: 1996
gelangten allein durch undichte Pipelines mehr als 7,5 Mio.
Tonnen (5%) des geförderten Öls in den Boden, der damit
für Generationen unbenutzbar wird. Dazu kommt noch der nicht
minder schädliche Begleitschlamm der Förderung. Die
Ölfirmen müssen für jeden registrierten Schaden
zwar Strafen zahlen, doch die verursachte Zerstörung
übersteigt die geleisteten Zahlungen um das achtfache,
obgleich die Sanierung der Böden gesetzlich vorgeschrieben
ist.
Als die ersten indigenen Vertretungen Ende der 80er Jahre
zusammen mit Umweltschutzbewegungen industrielle Groß-
projekte verhinderten, kam große Hoffnung auf. Zwischen
1990 und 1993 wurden einige wichtige Gesetzesvorlagen im
chantisch-mansischen Bezirk eingebracht, so daß heute 454
Familienländereien als sog. "Sippenländer" registriert
sind. Dort wird den Ureinwohnern ihr Land kostenlos und vererbbar
zur Nutzung überlassen, doch es geht nicht in ihren Besitz
über. Die Rechte an den Bodenschätzen bleiben unter
staatlicher Verantwortung. Unter schwierigen Bedingungen
versuchen engagierte, traditionsbewußte Chanten und Nenzen
sich wieder in der Taiga niederzulassen, indem sie sich Rentiere
kaufen und an die Wohnplätze ihrer Ahnen zurückkehren.
Einige gründen lokale Genossenschaften mit traditioneller
Wirtschaftsweise, die ein bedingtes Maß an Selbstverwaltung
erhalten. All diesen Bemühungen ist das Ziel gemeinsam, nach
Jahrzehnten der Entfremdung wieder die Tradition der Vorfahren
aufzunehmen (vgl. Kasten).
Einen Kompromiß mit der Ölindustrie zu erzielen ist
entscheidend für den Erfolg solcher Unternehmungen. Der
russische Staat versucht, sich auf die Marktwirtschaft
einzustellen, indem er die Ölindustrie privatisiert. Um
diese wichtigste Devisenquelle des Staates am sprudeln zu halten,
sind Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich. Oft ist
es für Konzerne aus dem Westen billiger, neue Ölfelder
mit noch größeren Reserven anzuzapfen, als alte zu
modernisieren, die schon zur Hälfte ausgebeutet sind. Der
Staat gibt deshalb immer mehr Lagerstätten zur
Förderung frei, die auf Ländereien der Indigenen
liegen. Um Konflikte zu vermeiden, gibt es sog. ökonomische
Vereinbarungen zwischen indigenen Bewohnern und Ölfirmen.
Die ohnehin oft unzureichenden wirtschaftlichen und
ökologischen Bestimmungen werden jedoch von den
Ölfirmen nicht eingehalten. Das bringt eine zusätzliche
Verhärtung der Fronten mit sich (vgl. Kasten). Im März
dieses Jahres fand in der Bezirkshauptstadt Chanty-Mansijsk eine
Konferenz zu diesen konfliktträchtigen Beziehungen statt.
Hier einigte man sich auf einige allgemein gehaltene
Mindestforderungen:
Diese Forderungen stehen schon länger im Raum. Neu daran
ist, daß sie hier von einer Konferenz angenommen wurden, an
der auch die Ölindustrie und die Regierung beteiligt waren.
Es handelt sich juristisch aber lediglich um Empfehlungen, so
daß es der Vertretung der Indigenen überlassen ist,
diese im regionalen Parlament auch durchzusetzen. In der
Vergangenheit war dem jedoch wenig Erfolg beschieden, was zum
einen an der mangelnden Lobby der Vertretung liegt, zum anderen
aber auch daran, daß sich diese "indigene Elite"
zwangsläufig vom Leben der Taiga und Tundra entfernt hat.
Bei den Betroffenen wird daher diskutiert, ob sie sich von dieser
Vertretung angemessen repräsentiert fühlen.
Vertreter westlicher Firmen waren bei dieser Veranstaltung nicht
zugegen. Sie verweisen bei Umwelt- und Menschenrechtsfragen gerne
auf die Hauptverantwortung der russischen Firmen. Für diese
spielt der deutsche Markt eine wichtige Rolle: 52 Prozent des
Ölexports ging 1996 nach Deutschland. Mit ihren
Investitionen tragen auch deutsche Firmen dazu bei, daß
immer neue Fördergebiete erschlossen werden, sorgen
dafür, daß den Indigenen weiter die Lebensgrundlage
entzogen wird. Ruhrgas verlängerte im Mai 1998 Verträge
mit Gasprom über 25 Milliarden DM bis 2020 und beteiligt
sich mit vier Prozent an diesem größten russischen
Unternehmen. Wintershall hat mit Gasprom die Wingas GmbH für
das Rußlandgeschäft gegründet, Mannesmann liefert
Pipelinerohre, die mit Bürgschaften der deutschen
Bundesregierung gedeckt sind. Diese Aktivitäten bescheren
Deutschland bereits seit 25 Jahren Gasimporte im Gesamtwert von
55 Milliarden US-Dollar. Heute kommt rund ein Drittel des
deutschen Gasbedarfs aus Rußland, d.h. vorwiegend aus dem
Gebiet der Jamal-Nenzen, und von den 20 Prozent des deutschen
Erdöls, das aus Rußland kommt, stammt der
Großteil aus dem Gebiet der Chanten und Mansen.
Mit unserem Verhalten haben wir Einfluß darauf, ob durch
Umweltkatastrophen und Menschenrechtsverletzungen diese
einzigartigen Kulturen ausgelöscht werden. Vielleicht denken
wir an der nächsten Tankstelle daran, daß es Menschen
in einem der größten Frischwasserreservoirs der Erde
gibt, deren Trinkwasser mit einem Ölfilm überzogen ist,
und deren Rentiere im Begleitschlamm unseres Benzins verenden.
?
Florian Stammler ist Magistrant der Ethnologie in Köln und hat zwei Reisen in die betroffenen Gebiete unternommen.
Vielleicht kann jemand mit der Bezeichnung Tschukotka nichts anzufangen. Dann schaut auf die Karte Asiens und ihr seht in ihrem äußersten nordöstlichen Teil eine angebrochene, keilförmige, zwischen dem Stillen Ozean und dem Nördlichen Eismeer herausragende Halbinsel. Das ist die Tschukotka. Die enge Beringstraße trennt sie von der Schwester und Nachbarin Alaska. Vor rund 30.000 Jahren waren sie ein Ganzes, doch nachher haben Naturkräfte sie getrennt, aber auch jetzt scheint es, daß die Schwestern sich die Hand entgegenstrecken. Rauhe Meere bespülen die Tschukotka, rauh ist auch die Erde der Tschukotka. Tschukotka steht aber nicht nur für die Halbinsel, sondern auch für eine Verwaltungseinheit Russlands, deren volle Bezeichnung "Tschuktschischer autonomer Kreis" lautet.
1. Der Tschuktschische autonome Kreis [ top ]
Der "Tschuktschischen autonomen Kreises" besteht offiziell
seit dem 10. Dezember 1930. Ursprünglich bildete er einen
Teil der Region Chabarowsk, dann des Kamtschatkischen und nachher
des Magadanischen Gebietes. 1992 ist der Tschuktschische Kreis
aus dem Magadanischen Gebiet ausgeschieden und ein
selbständiges Mitglied der Russischen Föderation
geworden. Die Fläche der Tschukotka beträgt 737.000
km². Der Kreis umfasst 8 Rajone (Bezirke), 3 Städte, 18
Siedlungen städtischen Charakters und rund 50 Dörfer
(1993) und andere kleinere Siedlungen. Das Verwaltungszentrum ist
die Stadt Anadyr. Das Vertretungsorgan bildet die Kreisduma, das
Exekutivorgan die Kreisverwaltung mit einem Gouverneur an der
Spitze. Der Vorsitzende der Duma und der Gouverneur gehören
der oberen Kammer der Föderalversammlung der Russischen
Föderation an. Jeder der 8 Rajone bildet eine
gemeindeähnliche Einrichtung mit dem Rajonssowjet und einem
Haupt (Maire) an der Spitze.
Die Wahlen für die Vertretungsorgane der Rajone und für
das Amt des Gouverneurs und der Maire erfolgen auf dem Wege
direkter Wahl durch alle im autonomen Kreis lebenden Bürger,
ohne Rücksichtnahme auf die Zeit ihrer Ansässigkeit
(auch nur einen Tag) und auf ethnische Kriterien. Die Zahl der
Ureinwohner in der Duma der Tschukotka beträgt weniger als
2%. Alle Ämter und munizipalen Machtorgane sind durch
Vertreter nicht eingeborener Völker, die nur zeitweilig im
Kreis leben, besetzt. Formen der Selbstverwaltung der
Urbevölkerung sind nicht vorgesehen. Die Eingeborenen sind
in der Vereinigung der eingeborenen kleinen Völker des
Nordens, Sibiriens und des fernen Ostens (RAIPON) organisiert.
Diese Vereinigung wurde 1990 durch die föderalen Machtorgane
geschaffen. In den letzten Jahren wurde die tschukotskische
Abteilung der internationalen Pol-Anrainer-Konferenz der Inuit
(ICC) ins Leben gerufen.
2. Zusammensetzung und Verteilung der Bevölkerung [ top ]
Die Bevölkerung der Tschukotka bestand gemäß der Volkszählung von 1993 aus 124.000 Personen, derzeit sind es rund 90.000. Der Bevölkerungsrückgang läßt sich aufgrund der Abwanderung von Nichteingeborenen in zentrale Rajone des Landes erklären. Die nichttschuktschische Bevölkerung besteht aus Russen und Ukrainern. Zu den eingeborenen Völkern der Tschukotka zählen die Tschuktschen (11.000), die Eskimo (1.500), die Ewenen (1.200), die Tschuwaschen (rund 400), die Jukagiren (120), die Korjaken (rund 30) und die Kereken. Die Tschuktschen leben auf dem gesamten Territorium des Kreises, die Eskimo auf dem nordöstlichen Küstenteil, die Ewenen auf dem südlichen und westlichen Teil, die Tschuwanzen und Jukagiren in zentralen Regionen und im Süden, die Korjaken und Kereken im östlichen Teil der Tschukotka. Alle diese Völker haben eine unterschiedliche Herkunft und gehören verschiedenen Sprachgruppen an. Diese eingeborenen Stämme gehören zu den "eingeborenen kleinen Völker des Nordens, Sibiriens und des fernen Ostens der Russischen Föderation". Die Gesamtzahl der zu dieser Gruppe gehörenden Völker beläuft sich auf 30 und deren Bevölkerungszahl auf 150.000.
3. Siedlungs-, Transport und Kommunikationswesen [ top ]
Die Mehrheit der eingeborenen Bevölkerung lebt in Dörfern oder anderen kleinen Siedlungen. Ein Teil der Eingeborenen der kontinentalen Tschukotka kann aber nur formal als Dorfbewohner gelten, da er dort keine Wohnung hat und ständig oder nomadisierend in der Tundra lebt. Die Entfernung der nomadisierenden Tundrabewohner von ihren Dörfern beträgt bis zu 400 km Luftlinie (im Durchschnitt 50 km) und vom Rajonszentrum bis zu 250 km. Es gibt keine das ganze Jahr über begehbaren Wege. Transporte werden im Sommer hauptsächlich in der Luft durchgeführt (Flugzeuge und Hubschrauber), durch Geländefahrzeuge (Traktoren u.ä.) und zu Wasser (begrenzt wegen des kurzen Sommers). Im Winter werden durch den Schnee und über die zugefrorenen Flüsse Winterwege angelegt. Wegen des nur unzureichend ausgebildeten Transportwesens und der extremen Naturverhältnisse ist die Versorgung in der Tschukotka schwierig. Auch das radiotelefonische Verbindungswesen ist kaum entwickelt. Die Verbindung zwischen den Nomaden und den Dörfern wurde in den vergangenen Jahren mit Hilfe tragbarer Radiostationen hergestellt, heute ist sie in hohem Maße gefährdet, weil Radiostationen aufgelassen werden, Ersatzteile für die Speisung fehlen und jene Strukturen aufgelöst werden, welche die Radioverbindung verwirklicht haben.
4. Wirtschaftsformen: Rentierzucht [ top ]
Als grundlegende Formen des Wirtschaftstreibens der
eingeborenen Bevölkerung gelten die Rentierzucht, der
Fischfang, die Jagd auf dem Festland und im Meer. Als
vorteilhafteste und zuverlässigste Einnahmequelle erweist
sich die Rentierzucht in großen Herden. Diese stellt eine
einzigartige Wirtschaftsform dar, die nur bei Wahrung der
traditionellen Lebensformen aufrechterhalten werden kann. Die
Rentierzüchter leben den größten Teil des Jahres
als Nomaden: sie ziehen auf der Suche nach neuen
Weidegründen von Ort zu Ort. Sie unterbrechen ihr
Wanderleben, wenn es Jahreszeit, Qualität der Weide oder
andere Umstände erfordern. Im Laufe des Jahres trennen sich
die Herden einige Male und vereinigen sich dann wieder. In dieser
Zeit trennen sich auch die Menschen und jede Gruppe bewegt sich
auf einer eigenen Marschroute. Früher haben sich im Sommer
die Frauen, alte Menschen und die Kleinkinder von den mit der
Herde ziehenden Hirtengruppen getrennt und an einem malerischen
Ort ein Sommerlager aufgebaut. In der Regel suchte man einen
Standplatz in der Nähe eines fischreichen Flusses sowie von
Gesträuchen oder Wald (für das Lagerfeuer).
Frauen und Kinder bearbeiteten Felle, nähten Kleider,
besorgten Vorräte von Wurzelgemüse, dörrten
Fische, die alten Männer verfertigten Rentierschlitten und
Pferdegeschirr. Auf diese Weise bereitete man sich auf den Winter
vor. In der Zwischenzeit folgten die Männer und
Halbwüchsigen ohne Gepäck der Herde, weideten sie mit
besonderen, von den Vorfahren übernommenen Methoden im
Bemühen, die Rentiere fett zu machen. Dazu bedarf es
geographischer Karten und Kenntnisse der volkstümlichen
Pflanzenkunde, der Zuchtwahl und Verhaltensforschung. Da das
Rentier ein halbwildes, furchtsames und sehr schnelles Tier ist,
gestaltet sich die Weidung für die Hirten oft beschwerlich.
Viele Kilometer müssen durchlaufen werden, kleine Vulkane,
Sümpfe, Bäche und Schneewehen sind zu überwinden.
Im Winter helfen Rentiergespanne und Skier. Im Sommer ist es
mühevoller, da Mücken, Bremsen -die Geißel der
Rentiere- und bald darauf Pilze -ein Leckerbissen für die
Rentiere- eine große Gefahr für die Tiere darstellen.
Eine weitere Bedrohung stellen die wilden Rentiere dar: sie sind
größer und stärker; bei ihrem Anblick erinnern
sich die Rentiere an ihre nicht ferne Vergangenheit und
stürmen mit diesen davon. Man kann sie dann kaum
aufzuhalten, der Hirte kann für einige Zeit ohne Herde
bleiben. Abhilfe schaffen kann nur die Kenntnis der
Rentiergewohnheiten und rund um die Herde ausgesandte
Spähertrupps. Gutes Sehvermögen und scharfes Gehör
sind für den Hirten untentbehrlich. Zahlreiche Raubtiere
(Bären, Wölfe und Vielfraße) lauern auf ihren
Marschrouten.
Früher haben sich die Hirten niemals den wilden Tieren
entgegengestellt, sondern sie überzeugt, sich zu entfernen,
im äußersten Fall warfen sie die Schlinge auf sie,
kitzelten sie – und das half! Damals war es
unzulässig, für die Weide Hunde zu benützen. Im
Herbst vereinigt sich die geteilte Gruppe der Rentierzüchter
wieder und zieht auf den herbstlich-winterlichen Marschrouten
weiter, wo im August-September das Rentiertreiben vor sich geht.
Im Frühling erfolgt das Kalben der Rentiere und vor dieser
wichtigen Periode begegnen sich Züchter aus verschiedenen
Gruppen, helfen einander bei der Absonderung der Muttertiere und
veranstalten Feste aus Freude über die Geburt der ersten
Kälber. Das ist die freudigste und lichteste Zeit im Jahr.
Es werden Jagden auf Rentiere veranstaltet, Wettrennen,
Sprünge, Ringkämpfe.
Die Haltung von Rentieren gewährleistete dem Menschen
Nahrung, Kleidung, Schuhwerk und Wohnung; vom Rentier hing
für die materielle und geistige Kultur der eingeborenen
Rentierzüchter vieles, wenn nicht alles, ab. Nicht weniger
eigenartig war auch das Seetierfanggewerbe. Auf der gesamten
Küste der Beringsee und dem östlichen Teil der
Küste des Tschukotskischen Meeres wurde Jagd auf Walfische,
Walrosse, Seehunde und Robben gemacht. Früher wurde mit aus
Walrossstoßzähnen hergestellten Harpunen gejagt.
Harpunen mit drehbaren Enden waren vollkommene Vorrichtungen und
erwiesen sich für ihre Zeit als ein Muster von
Konstruktionstalent. Die Jagd wurde zu verschiedenen Jahreszeiten
durchgeführt – im Sommer mit Hilfe des Paddelbootes,
im Winter auf dem Eise. Die Erzeugnisse der Jagd befriedigten
alle Bedürfnisse der Küstenbewohner. Die
Meeresjäger feiern viele eigene Feste, das bedeutendste
davon ist das Walfischfest. In der sowjetischen und
nachsowjetischen Zeit hat sich das Leben der Seetierfänger
aber tiefgreifend gewandelt.
5. Geographie, Klima, Fauna und Flora [ top ]
Den größten Teil der Tschukotka nehmen Bergketten,
Hochländer und Hochebenen ein. Die Niederungen bestehen aus
sumpfiger (Wald-)Tundra. Der südliche und westliche Teil des
Kreises wird durch den bekannten Fluss Kolyma begrenzt. Der
größte Fluss der Tschukotka, der Anadyr, besitzt eine
Vielzahl von Seen. Als bedeutendes Naturdenkmal gilt der mehr als
160 Meter tiefe See Elgygytgyn. Er soll sich aufgrund eines
Meteoriteneinschlages gebildet haben. Es gibt auch einige
erloschene Vulkane. Der Winter dauert acht Monate. Das Klima ist
rauh: an der Küste herrscht Meeresklima mit starken Winden,
die oft in Schneestürme übergehen, im Festlandteil
hingegen scharf kontinentales Klima. Im Winter erreicht die
Lufttemperatur im Bilibinsk-Rajon -60 Grad Celsius, die
Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei 12 Grad. Der Nordteil des
Gebietes befindet sich jenseits des Polarkreises, fast
überall trifft man auf Dauerfrostboden. Das Wachstum ist
dürftig: in der Tundra findet man Moose, Flechten, Riedgras,
Gesträuche und Zwergbäume, in den Flusstälern und
in den südlichen Teilen der Tschukotka wachsen
Laubbäume, Birken und Pappeln.
Die Tierwelt paßte sich der rauhen Natur an. In der
Tschukotka leben überwiegend Nordrentiere, Elen,
Schneeberghammel, Schnee-und Braunbären, Polarwölfe,
Vielfraße, Füchse, Zobel, Adler, Polarhühner,
Auerhähne und im Sommer Kraniche, Gänse und Enten. In
den Gewässern tummeln sich Walrosse, Seehunde, Robben,
Walfische, Äschen, der sibirische Lachs, der Omul und andere
lachs-, schnäpel- und karpfenartige Fische. Die Tschukotka
grenzt an Alaska und gehört paläographisch zur
Beringzone. Der größte Teil dieser Zone befindet sich
unter Wasser, während sie früher als Brücke Asien
und Amerika verband. In der Tschukotka finden sich auch einige
Naturschutzparke. In den letzen Jahren wurde die Frage der
Schaffung eines internationalen Beringparks erörtert, eine
Entscheidung steht wegen der vielen strittigen Momente zwischen
Russland und den USA noch aus.
6. Erste Besiedelung [ top ]
Wann sich die ersten Menschen in der Tschukotka
niederließen, ist nicht bekannt, doch wird aufgrund
archäologischer Funde angenommen, dass die ersten Bewohner
vom amerikanischen Kontinent aus über die noch bestehende
Beringbrücke in diesen Gegenden eingewandert sind. Die
Tschukotka ist daher auch mit Alaska verwandt, nicht nur
hinsichtlich der geographischen Beschaffenheit, sondern auch
hinsichtlich der Menschen. Dies wird durch eine Reihe von
Gemeinsamkeiten der amerikanischen Eingeborenen und einiger
eingeborener Völker der Tschukotka bestättigt. Die
Besiedlung erfolgte unter rauhen Klimabedingungen. In Ostsibirien
herrschte zu dieser Zeit die letzte sogenannte "sartanische
Eiszeit".
Das Leben spielte sich vorwiegend in der Tundrazone vor den
Gletschern und in den Tälern zwischen den Gletschern ab.
Hier wohnten damals Manmmutherden, wollige Nashörner und
Auerochsen, deren Überreste heute noch von den Bewohnern der
Tschukotka gefunden werden. Die Hauptbeschäftigung der
eingeborenen Stämme bestand aus Jagd, Fischfang und Sammeln.
Allmählich begann ein Teil der Völker (besonders die
kontinentalen Tschuktschen) als Hirten Rentierzucht zu betreiben,
andere (Eskimos und Küstentschuktschen) versuchten sich im
Seewildtierfang. Die neuen Wirtschaftsformen schufen die
Bedingungen für den Übergang von der
Stammesgemeinschaft zur patriarchalischen Familie und zum
Auftreten der vermögensmäßigen Ungleichheit.
7. Die russische Kolonisation [ top ]
Im 17. Jahrhundert kamen russische Erdumwanderer in die
Tschukotka und Kolyma und machten der Steinzeit und der
Abgeschiedenheit der eingeborenen Stämme eine Ende. Die
Entfernung vom Ural zu den Küsten des Stillen Ozeans
überwanden die Russen in nur 60 Jahren! Der Drang, neues
Land zu besetzen, hatte viele Beweggründe, man wollte v.a.
einen großen Staat mit Zugang zu den Meeren schaffen. Alle
neuen Ländereien wurden Russland eingegliedert. Dieser
schmerzliche Prozess verlangte den Völkern einen hohen
Blutzoll ab. Die Zarenmacht wollte jedoch die Eingeborenen nicht
vernichten oder vertreiben, sondern "lediglich" unterwerfen. Zu
diesem Zweck wurde der Jasak – eine besondere Art von
Tribut – eingeführt, der in Russland von jeher einen
zweifachen Zweck erfüllte. Zunächst diente er
gewiß als Einnahmequelle für den Zarenfiskus, dann
aber auch als sachliche Bestätigung für die
Freiwilligkeit der Untertänigkeit.
Im weiteren eigneten sich die Russen auch Alaskas an. Erst 1867
verkaufte Russland unter Zar Alexander II. die Schwester der
Tschukotka an die Vereinigten Staaten von Amerika. Damit war das
Schicksal dieser Zwillinge endgültig entschieden. Die eine
fiel in die Hände eines "zivilisierten", berechnenden
Pragmatikers und erhielt von ihm entsprechende Zeichen in Gestalt
eines schönen Gürtels von Erdölleitungen sowie von
starren Korporationen Eingeborener und die Zwangsbeglückung
mit der westlichen Kultur (AIDS), während die andere in die
Hände eines aufrührerischen Wahnwitzigen fiel und sich
von ihm die Kolchosen-Misswirtschaft und die Trunksucht
aneignete.
Die Tschuktschen, die Eingeborenen der Tschukotka, sind
dafür berühmt, dass sie sich als einziges unter den
nordischen Völkern Russlands nicht der zaristischen
Jasak-Politik unterworfen haben. Der erfolgreiche bewaffnete
Widerstand und Überfälle auf Siedlungen der russischen
Kosaken zwangen den Zaren, auf die Gewaltpolitik zu verzichten.
John Mur, der im vergangenen Jahrhundert eine Reise durch die
Tschukotka gemacht hat, schrieb folgendes: "Die Tschuktschen sind
ganz und gar nicht Wilde, sondern ausgeglichene und
fleißige Arbeiter, die an ihre Zukunft denken und in der
Lage sind, sie vorauszusehen, sowie durch ihre Arbeitsliebe und
ihren Verstand unter beliebigen Bedingungen zu überleben,
auch wenn Krankheiten, Hunger und andere Nöte über sie
und über die Rentierherden hereinbrechen. Sie machen den
Eindruck gutmütiger, gesprächiger, fröhlicher,
leidenschaftlicher und, soviel ich bemerkte, gerechter Menschen
in den Beziehungen zu anderen, unabhängig von deren
Zugehörigkeit zu einem wilden oder zivilisierten Volk".
8. Religiöse Vorstellungen [ top ]
Ein Grundzug der zaristischen Politik gegenüber den eingeborenen Stämmen bestand in einer toleranten Haltung gegenüber ihrem materiellen und geistigen Leben. Als eine Besonderheit des geistigen Lebens erwiesen sich die religiösen Vorstellungen des Animismus und Schamanismus. Die Tschuktschen glauben, daß der Schöpfer den Menschen neben vielen anderen lebendigen Wesen erschaffen hat. Die in Würde verstorbenen Menschen (im Kampfe, während der Jagd etc.) gingen in die himmlische Sphäre ein, die in Unwürde Verstorbenen (durch eine Krankheit etc.) hingegen in unterirdische Sphären. Auf diese Weise bevölkert eine Menge von Geistern die Welt, die den Menschen helfen oder ihnen schaden. Man muss sehr vorsichtig sein und die Ausrichtung ihres Verhaltens gut kennen, um in der verwickelten und unbekannten Welt, wo sich in jedem Zeltpflock und unter jedem Erdhaufen ein unsichtbarer "Hausherr" verstecken kann, zu überleben. Im Alltag mussten die Menschen mit ihrer Erfahrung und der Kenntnis der Überlebensregeln auskommen. Außerdem schützen Handgriffe, "Gebete" und persönliche Amulette. Denoch ereigneten sich gelegentlich außergewöhnliche Fälle, z.B. ein böser starker Geist entführte die Seele eines Menschen: in diesem Fall war die Hilfe eines Heilers notwendig, der die Gabe besaß, sich in die Welt der Geister zu versenken und dort Handlungen zur Rettung der entführten Seelen auszuführen. Ein solcher Mensch war der Schamane. Für die Schamanen war diese Rolle kein Beruf, sondern eine Berufung oder auch eine Krankheit.
9. Unterdrückung und Ausbeutung des tschuktschischen Volkes [ top ]
Radikale Veränderungen im Leben der Eingeborenen des
Nordens Russlands im allgemeinen und der Tschukotka im besonderen
erfolgten nach der Revolution und der Machtübernahme der
Sowjets. Den eigenen ideologischen Vorstellungen gehorchend
setzte man gegen die eingeborenen Völker des Nordens
radikale Maßnahmen. Das Ziel derselben bestand in der
Überführung der Völker des Nordens vom Urzustand
auf die Stufe des Sozialismus ohne die Zwischenstufe von
Feudalismus und Kapitalismus. Man meinte, dass die diesen
Völkern eigenen Gemeinschaftselemente es erlauben
würden, den "Sprung" erfolgreich zu bestehen. Der Sprung war
am Anfang auch erfolgreich und zeigte sowohl äußere
als auch innere Wirkung. Die Tschuktschen lernten das Lesen und
Schreiben, erhielten medizinische Betreuung und organisatorische
Unterstützung. Bald aber begann der innere Verfall, da der
Maßstab, die Radikalität und die Schnelligkeit der
Maßnahmen und die Art ihrer Anwendung mit den
Möglichkeiten der Eingeborenen nicht in Einklang stand.
Rentierherden und Arbeitswerkzeuge wurden kollektiviert, der
Glaube und die Gebräuche verboten, die Kinder von den Eltern
und der natürlichen Umwelt isoliert und in Kindergärten
und Internaten untergebracht. Damit haben die Sowjets in das
Nomadenleben der Tschuktschen tiefgreifend eingegriffen. Dabei
haben viele Organisatoren und Durchführende dieser
"Reformen" aufrichtig geglaubt, dass sie Wilde retten, sie aus
einer schmutzigen Grube herausholen, um sie auf die Ebene ihrer
"hohen Kultur" zu heben.
In dieser Zeit wurden die Grenzen der Siedlungen und die
Marschrouten der Wanderungen geändert, die
Familiengemeinschaften in Produktionskollektive und Haushalte
umgewandelt. Die Folge war eine schwere Krise. Die eingeborenen
Gemeinschaften und die Formen ihrer wirtschaftlichen
Tätigkeit brachen jedoch nicht zusammen. In der Zeit der
sowjetischen Herrschaft wurde die gesamte Lebenszeit der
Eingeborenen von der Geburt bis zum Tod verplant. Die Kontrolle
übten russische Arbeiter aus der Partei, aus Komsomolzen,
Gewerkschafen und aus dem Wirtschaftsbereich aus, die in den
Dörfern den größten Teil der Bevölkerung
bildeten (manchmal machten die Eingeborenen weniger als 10% aus).
Die zugewanderten Arbeiter sicherten die Organisation der
gesamten Lebenstätigkeit der Eingeborenen. In den Vor- und
Nachkriegsjahren eigneten sich die Sowjets auch die Ressourcen
des Gebietes an. Man startete geologische Untersuchungen, Gruben
wurden ausgehoben, Gold, Wolfram, Zinn und Uran abgebaut. Bis
Anfang der 50er-Jahre führten den größten Teil
dieser Arbeiten die Internierten der Gulags aus. Danach begann
der Bau von einer Vielzahl von Industriesiedlungen und die
Umsiedlung der Bevölkerung der zentralen Rajons der UdSSR in
dieses Gebiet.
Mit der industriellen Erschließung ging die skrupellose,
rein auf Profitgier bedachte Aneignung fremden Bodens und die
Vernachlässigung der Fragen des Rechtes der Eingeborenen auf
die Erde, der Wichtigkeit der Erde in der traditionellen
Naturnutzung Hand in Hand. In kurzer Zeit wurden große
Territorien von Rentierweiden, Jagd- und Fischereigründen
zerstört. Außerdem vernichteten die Vertreter der
"hohen Kultur" mit allen Mitteln alles Leben. Mit Hilfe von
Hubschraubern und Geländefahrzeugen machte man Jagd auf
Elen, Bären, Hammel und Rentiere. Mit Metallnetzen wurden
Flüsse abgezäunt und durch den Einsatz von Dynamit der
Fischbestand verringert. Man brachte den Eingeborenen in der
Tundra Schnaps und alkoholische Getränke. Dies erwies sich
als fürchterliches Übel für die Eingeborenen. Die
Eingeborenen haben sich im Laufe vieler Jahrhunderte an die
narkotische Wirkung von Pilzen angepasst und eine eigenartige
Kultur im Gebrauch dieses Naturproduktes entwickelt, die
Alkoholisierung hat diese jedoch zerstört. In den
Dörfern kam es zu Vergewaltigungen. Diese Periode
könnte man als die Zeit des Triumphes der Scheinheiligkeit
bezeichnen, ausgedrückt in der Formel: "Eines sagen, ein
anderes tun und ein drittes denken". Die tiefe innere Krise
äußerte sich auch in der hohen Anfälligkeit
für Erkrankungen und in der hohen Sterblichkeitsrate.
Schon in jenen Jahren erkannten sowohl die Gelehrten als auch die
Einwohner, dass die physische und psychische Degradierung der
Eingeborenen vonstatten geht, doch wurde darüber nicht
geredet. Forschungsergebnisse über den Zustand der
Eingeborenen wurden geheimgehalten. Unter den Einwohnern
entstanden Anekdoten über die Tschuktschen als klassisches
Muster von Stumpfsinn. (Es kam soweit, dass die Anekdoten
veröffentlicht wurden und 1998 erklärt sogar das
große russische Wörterbuch das Wort "Tschuktscha"
nicht nur als Nationalität, sondern auch als "naiven,
beschränkten Menschen"!). So haben sich dank der
väterlichen Sorge "des guten russischen Menschen" die
Tschuktschen auch in der Vorstellung der gelehrten Linguisten von
einem freiheitsliebenden Stamm allmählich in eine Herde
unsauberer, unzüchtiger und trunksüchtiger Unmenschen
verwandelt. Es ist schwer zu sagen, wen die den Ureinwohnern
aufgezwungenen Veränderungen und groben Anekdoten, die davon
erzählen, mehr entehren: uns, die Tschuktschen, oder
Russland.
10. Die Entwicklung in den letzten 10 Jahren [ top ]
Das gesamte Ausmaß der Krise der Völker des Nordens
enthüllte sich erst nach dem Ende der Sowjetperiode.
Glasnost und demokratische Reformen wandelten die Sowjetunion.
Dies bedeutete für die Völker des Nordens den
Übergang von einem Extrem ins andere. Die Periode der
Reglementierungspolitik wurde durch eine Periode des
gänzlichen Fehlens von Politik abgelöst. Man stahl sich
damit aus der Verantwortung für die Fehler und Verbrechen
aus der Vergangenheit und verzichtete auf wirksame
Hilfsmaßnahmen für die Völker des Nordens.
Stattdessen werden für die Völker des Nordens "als
ob"-aktive (eine Wortverbindung, die sehr genau die
täuschende Wirksamkeit in den verschiedenen Lebensbereichen
Russlands charakterisiert) und "als ob"-zeitgemäße
Maßnahmen getroffen. Im SMI wird oft und eingehend, fast
mit Genuss über die unglücklichen Eingeborenen
erzählt. Es werden Konferenzen, Kongresse veranstaltet, auf
denen abstrakte Ideen der "Reintegrierung, Partnerschaft" und
ähnliches erörtert werden. Zahlreiche Fonds werden
geschaffen, Bücher herausgegeben, Vorstellungen,
Galakonzerte und Abschiedsparties veranstaltet. Die (nicht
eingeborene) Leader verschiedener Regionen verlangen zum Schutz
der Interessen der Eingeborenen für ihre Region oder
Verwaltung verschiedene Wohltaten und ergänzende Vollmachten
und ähnliches. Das heißt, dass das Unglück des
halblebendigen oder halbtoten Volkes als Vorwand und Bedingung
mißbraucht wird für die Fortsetzung der "Sorge" und
des Gedeihens derjenigen, die oft auch Urheber der Krise
sind.
Einer breiten Öffentlichkeit wurde bekannt, dass in einigen
Regionen die durchschnittliche Lebenserwartung der Eingeborenen
37 Jahre betrug. Die Zahl der Selbstmorde stieg
beträchtlich. In einigen Rajonen wüteten wie in den
vergangenen Jahrhunderten Epidemien (Tuberkulose, Echinokokkose
und anderer parasitärer Erkrankungen). Trotz der
besorgniserregenden Zahlen im Gesundheitsbereich und trotz des
heuchlerischen Gestöhnes baut die Regierung die medizinische
Hilfe in den Wohnorten der Völker des Nordens ab. Im
Zusammenhang mit der marktwirtschaftlichen Umgestaltung des
Landes wurden die Sowchosen aufgelöst, in Teile zerlegt und
für alle Arbeiter (einschließlich der zugewanderten)
privatisiert. Die Eingeborenen erhielten ihr Vermögen nicht
in vollem Ausmaß und konnten das Empfangene nicht nutzen
und bewahren. Die Rentiere, die Jagdgründe und andere Werte
gingen in die Hände anderer über. Die staatlichen
Programme zur Unterstützung der eingeborenen Völker
bieten Schlupflöcher für viele Entstellungen und
Missbräuche.
Die Gelehrten, die öffentlich Wirkenden, die Leader der
Völker des Nordens, welche bestrebt sind, die Interessen der
Völker des Nordens zu verteidigen, halten es für
notwendig, möglichst rasch Gesetze über den besonderen
rechtlichen Status der Eingeborenen, über die Gewährung
ihrer Rechte auf die Erde, die Ressourcen, die Selbstverwaltung
zu erlassen. Russland müsse die Politik des Paternalismus
aufgeben und zu partnerschaftlichen Beziehungen übergehen.
Offensichtlich gehen die Verteidiger der eingeborenen Völker
von Grundsätzen des Völkerrechtes, der Erfahrung
ausländischer Staaten sowie von humanitären und
romantischen Idealen aus. Dabei wird aber nicht genügend
bedacht, dass der russische staatliche Paternalismus
gegenüber den nördlichen Eingeborenen als solcher nur
angenommen wird aus Unwissen oder zum Zwecke der Fälschung
der Wirklichkeit. Bis heute hat man nicht verstanden, dass der
sowjetische Pseudopaternalismus die Eingeborenen des russischen
Nordens in einen Zustand versetzt hat, der wenig gemein hat mit
dem Zustand der Eingeborenen der westlichen vorarktischen
Länder.
Die Schmälerung ihrer politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Rechte hat sich nicht als Hauptfolge des sowjetischen
Pseudopaternalismus erwiesen, sondern des unglücklichen
Zusammenspiels innerer ethnischer Faktoren, ohne deren
Überwindung jede Maßnahme ohne Ergebnis bleibt. Die
Eingeborenen der Tschukotka wurden nicht der offenenen und
absichtlichen Vernichtung unterworfen, im Gegenteil, man hat sich
um sie gekümmert, jedoch mit Zwangsmethoden und so intensiv
und unwissend, dass man unwillkürlich ausrufen möchte:
Besser das offene Böse als eine solch täuschende
Vorspiegelung des Guten!
11. Ausblicke auf die Kunst der Tschuktschen [ top ]
Trotz allem sind in den Seelen der noch in der Tschukotka
lebenden Eingeborenen kleine Inseln ethnischer Erinnerung
übriggeblieben, die sich ab und zu im Verhalten, in der
Weltanschauung, in Splittern von Gebräuchen, Traditionen
oder in künstlerischer Werken offenbaren. Hier muss aber
zwischen Erzeugnissen echter Kultur und von oben, vornehmlich
für die Demonstration des "Triumphes der Kultur und Kunst
aller Nationen in der brüderlichen Familie der sowjetischen
Völker" organisierter Formen unterschieden werden. Man
muß anerkennen, dass sich einige Beispiele dieser
künstlerischen Formen durch Klarheit und Wirksamkeit
auszeichnen, jedoch handelt es sich dabei nur um kunstfertige
Ausführungen dessen, was unter der Aufsicht russischer
Professioneller ausgedacht und als Fließbandarbeit
ausgeliefert wurde. Es handelt sich aber nicht um Widerhalle und
Widerscheine der Volksseele, sondern vielmehr um
Entstellungen.
Die Begegnung mit urwüchsigen Künstlern aus der Tundra
und Taiga, die bestrebt sind, ihre Weltgefühl durch
Materialien und Instrumente mitzuteilen, erfüllt daher mit
Freude. Einer dieser Künstler schafft in der Tundra, indem
er sich beim Lagerfeuer neben der Herde einrichtet, ein anderer
bei Kerzenlicht in einem Jagdhäuschen oder in einer
geräumigen, rauchigen Jaranga an der Küste. Bei einer
genaueren Betrachtung der von den Händen dieser Meisterinnen
und Meister geschaffenen Gegenstände gerät man
unwillkürlich ins Nachdenken über die Quellen der
Schöpfung und des Gegenstandes. Denn diese Menschen,
besonders die jungen, stützen sich bei ihrer
schöpferischen Tätigkeit nicht auf handwerkliche
Kenntnisse, sondern auf ein vererbtes Gefühl für das
Schöne und Wichtige.
Diese Arbeiten könnten als Untersuchungsgegenstände
nicht nur Kunstkennern, sondern auch Anthropologen,
Ethnopsychologen und Philosophen dienen. Die dem Betrachter
vorgestellten Arbeiten wurden durch Eingeborene der Tschukotka
(hauptsächlich aus dem Bilinskischen Rajon) ausgeführt.
Die Muster und Details traditioneller Kleidung, des mit Perlen
verzierten Schuhwerks, sind von Tundrabewohnern nicht für
die Ausstellung, sondern für den alltäglichen Gebrauch
zusammengenäht worden. Die Modelle der Fellzelte, der
Rentierschlitten, der Puppen in Nationaltracht sind auch in der
Tundra durch das traditionelle Kunsthandwerk hergestellt
worden.
Die Bilder und Bildhauerarbeiten sind von Eingeborenen
ausgeführt, die in der Tundra als Rentierzüchter,
Hirten und Jäger gearbeitet haben oder arbeiten und dieses
Handwerk nicht gelernt haben. Sie vermeiden, irgendwelche
Hilfsmittel und Bücher über das künstlerische
Schaffen kennenzulernen, aus Angst, in Abhängigkeit zu
fallen bloße Nachahmer zu werden. Sie ziehen es vor, Muster
und Ausdrucksmittel in der Tundra zu suchen, zumal sie nicht auf
einer unbewohnten Insel aufgewachsen sind, und die importierte
Kultur sich auch auf die Thematik und den Stil ihrer Arbeit
ausgewirkt hat. Jeder dieser Meister hat seine klare Weltsicht.
Diese besondere Welt zu verstehen helfen die in der Tschukotka
gemachten Fotographien.
TEXT: Larissa Vyntyna. ÜBERSETZUNG AUS DEM RUSSISCHEN: Dr. Alfons Benedikter. REDAKTIONELLE BEARBEITUNG: Mag. Wolfgang Strobl.
Bezeichnung | Bevölkerung laut Volkszählungen | Benutzer der Muttersprache in % | |||
- | 1926 | 1959 | 1989 | 1959 | 1979 |
Finnische Volksgruppen | |||||
Samen, Lappen | 1.720 | 1.792 | 1.890 | 70 | 53 |
Finnen | - | - | 77.000 | - | - |
Karelier | - | 167.000 | 138.000 | 71 | 56 |
Komi Syrijäner | - | 287.000 | 344.500 | - | - |
Ugrische Volksgruppen | |||||
Chanten, Ostijaken | 17.334 | 19.410 | 22.521 | 77 | 68 |
Mansen, Wogulen | 6.095 | 6.449 | 8.461 | 59 | 50 |
Samojedische (nienzische) Volksgruppen | |||||
Nenzen, Jurak-Samojeden | 16.217 | 23.007 | 34.665 | 85 | 80 |
Selkupen, Ostjak-Samojeden | 1.630 | 3.768 | 3.621 | 51 | 57 |
Enzen, Jenisej-Samojeden | 482 | 350 | 209 | - | - |
Nganasanen, Tawgi-Samojeden | 867 | 748 | 1.278 | - | - |
Tungusische Volksgruppen | |||||
Evenken, Tungusen | 18.805 | 24.710 | 30.163 | 56 | 43 |
Evenen, Lamuten | 2.044 | 8.121 | 17.199 | 81 | 57 |
Negidalzen | 683 | 350 | 622 | - | 44 |
Nanaien, Golden, Chotso | 5.860 | 8.026 | 12.023 | - | - |
Orotschen | 647 | 782 | 915 | - | - |
Ultschen | 723 | 2.055 | 3.233 | 68 | 41 |
Oroken | 162 | 450 | 190 | - | - |
Udegen | 1.357 | 1.444 | 2.011 | 74 | 31 |
Turkische Volksgruppen | |||||
Jakuten | - | 230.000 | 382.000 | 98 | 95 |
Dolgaden | 656 | 3.934 | 6.932 | 94 | 90 |
Kargassen, Tofalaren | 415 | 731 | - | - | - |
Paläo-asiatische Volksgruppen | |||||
Tschuktschen | 2.332 | 11.727 | 15.184 | 94 | 78 |
Koriaken | 7.439 | 6.287 | 9.242 | 91 | 69 |
Italmenen | 859 | 1.109 | 2.481 | 36 | 24 |
Jakgiren | 443 | 442 | 1.142 | 53 | 38 |
Tschuwanen | 705 | - | 1.511 | - | - |
Nivchen, Giljaken | 4.076 | 3.717 | 4.673 | 76 | 31 |
Keten, Jenisej-Ostiaken | 1.428 | 1.019 | 1.113 | 76 | 31 |
Ainu | 32 | - | - | - | - |
Eskimoisch-aleutische Volksgruppen | |||||
Inuit, Eskimo | 1.293 | 1.118 | 1.719 | 84 | 61 |
Aleuten | 3.534 | 421 | 702 | 22 | 18 |
* Bei der Volkszählung 1979
Anmerkung: 26 dieser Völker gehören der "Vereinigung der kleinen Völker des Nordens" an und werden im offiziellen Verzeichnis der russischen Regierung, genannt "zahlenmäßig kleine Völker des Nordens" aufgeführt: Dolganen, Nganasanen, Nenzen, Samen, Chanten, Tschuktschen, Ewenken, Ewenen, Enzen, Inuit, Jukagiren, Korjaken, Keten, Mansen, Selkupen, Tschuwanen, Aleuten, Itelmenen, Nanaier, Negidalzen, Nivchen, Oroken, Orotschen, Udegen, Ultschen, Tofalaren (Karagassen).
Die Gesamtzahl der Angehörigen dieser Völker
beträgt laut Volkszählung von 1989 183.700. Die
Gesamtzahl der hier aufgeführten indigenen Völker
1.048.200. Ihr Siedlungsgebiet umfaßt rund 10 Millionen
km2, was rund 60% des Territorium der Russischen Föderation
entspricht.
Zu den südsibirischen Völkern werden die Kumanden, die
Teleuten und die Schorzen gezählt. 1993 wurde das
Verzeichnis der kleinen Völker des Nordens durch Verordnung
des Obersten Sowjets Rußlands um diese Völker
ergänzt. Folgende Völker oder ethnische Gruppen
scheinen in der Volkszählung wegen der geringen Zahl ihrer
Angehörigen oder wegen völligen Verschwindens nicht
mehr auf: die Aliutorzen, die Kereken, die Tasi, die Woten, die
Kamtschadalen, die Tschulmymzen. Die Aliutorzen wurden in der
Zahl der Korjaken eingeschlossen, die Kereken bei den Korjaken,
die Tasi bei den Udegen, die Tschulmymzen bei den Tataren und
Chakassen. Die Kamtschadalen wurden nicht mehr getrennt
aufgeführt, wohl weil sie Russisch sprechen. Die Wepsen sind
ein Volk, das offiziell nicht zu den Ureinwohnervölkern des
Nordens gezählt wird.
Quelle: Sowjetisches Enzyklopädisches Wörterbuch (Ausgabe Sowjetenzyklopädie Moskau 1987) und Materialien der Unionsvolkszählung 1989 (Sammelwerk "Nationaler Bestand der Bevölkerung der Sowjetunion", Republikanisches Informationsverlagszentrum, Moskau 1990); sowie Winfried Dallmann.
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GfbV-Sudtirol, "Indianer Russlands", von Jeremej D. Ajpin, Bozen, 1996 (vergriffen). Weitere Beiträge erscheinen laufend in: POGROM, Zeitschrift für bedrohte Völker, herausgeg. von der Gesellschaft für bedrohte Völker Deutschland, Postfach 2024, 37010 Göttingen.