Offener Brief an die Deutsche Shell AG, z.Hd. Shell-Sprecher Rainer Winzenried
Tiefpunkt demokratischer Streitkultur:
Shell rechtfertigt Spitzelei bei GfbV und erklärt Menschenrechtler zu Gewalttätern!
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Göttingen, 6.7.2001


Sehr geehrter Herr Winzenried,

mit Befremden haben wir Ihren Rechtfertigungsversuch der Bespitzelung unserer Menschenrechtsorganisation registriert. Medien hatten in den letzten Tagen berichtet, Shell habe die GfbV zwischen April und Dezember 1996 über die britische Wirtschaftsdetektei Hakluyt durch den deutschen Filmemacher Manfred Schlickenrieder ausspionieren lassen. Gegenüber der heutigen Ausgabe des Göttinger Tageblattes rechtfertigen Sie erstmals die Spitzelei mit "Drohungen gegen 200 Shell-Stationen, 50 wurden beschädigt, eine brannte gar ab." Wir sind empört, dass Sie Menschenrechtler in die Nähe von Gewalttätern rücken. Bei unseren friedlichen Protesten wurde keine Ihrer Tankstellen beschädigt oder blockiert. Während der von der Polizei genehmigten Mahnwachen verteilten wir an Ihre Kunden Hintergrundinformationen über die Mitverantwortung Ihres Unternehmens für die schweren Menschenrechtsverletzungen in den ölfördergebieten Nigerias. Fast alle Tankstellen-Pächter zeigten Verständnis für den Protest, viele schlossen sich ihm an. Mehrere Zehntausend Kunden Ihres Unternehmens äußerten schriftlich ihren Protest.

Während der Filmemacher uns ausspionierte, luden Sie die vermeintlichen "Gewalttäter" aus Göttingen zum Dialog mit "führenden internationalen Shell Repräsentanten" am 30.7.1996 nach Hamburg ein (Schreiben Ihrer Mitarbeiterin, Frau Dr. Dammann vom 9.7.1996). Es war der Beginn eines längeren internationalen Dialogs mit Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen, um ethische Prinzipien für das Wirtschaften Ihres Konzerns zu entwickeln, wie uns versichert wurde. Dialogbereitschaft vortäuschen und gleichzeitig Kritiker ausspionieren, ist das Ihr Verständnis des verantwortlichen Wirkens ihres Großunternehmens in einer demokratischen Gesellschaft ?

Ihr Rechtfertigungsversuch der Spitzelei ist beschämend und markiert einen Tiefpunkt der demokratischen Streitkultur in diesem Land. Es ist ein Armutszeugnis für Ihren Konzern, wenn Sie friedlich protestierende Menschenrechtler in die Nähe von Gewalttätern rücken. Für Ihr Engagement in Menschenrechtsfragen ist es eine Bankrotterklärung. In der jüngsten Ausgabe des US-Nachrichtenmagazins Newsweek veröffentlichte Shell eine zweiseitige Anzeige, in der der Einsatz des Konzerns für Menschenrechte betont wird. Stoppen Sie diese Anzeigenkampagne, Sie ernten ohnehin nur Gelächter, wenn Ihr Konzern noch nicht einmal die selbstverständlichsten Regeln des Dialogs in einer demokratischen Gesellschaft respektiert. Nachdrücklich fordern wir die Deutsche Shell AG auf, sich für die Bespitzelung förmlich zu entschuldigen.
 

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