|
An die
Außenministerin der Republik Österreich Benita Ferrero-Waldner |
Bozen, den
19. Mai 2001
|
Betreff: Rechte der Minderheiten in Österreich
Sehr geehrte Frau Ministerin,
Im Namen der GfbV-international
bedanken wir uns für Ihr Engagement zugunsten der Frauen von Srebenica.
Sie haben auch als eine der wenigen Politiker in der EU den Krieg Russlands
gegen Tschetschenien - wenn auch diplomatisch zurückhaltend - kritisiert.
Damit waren Sie eine hörbare Stimme für Menschen, die im Westen
gerne vergessen werden.
Aus Anlaß Ihre Südtirol-Besuches
möchten wir Sie aber auf andere Menschenrechte und Minderheitenrechte
ansprechen. Die Lage der sechs anerkannten autochthonen Sprachminderheiten
Österreichs ist der GfbV schon seit langem ein Anliegen. Österreich
hat mit der angekündigten Ratifizierung der Charta der Regional- und
Minderheitensprachen des Europarates ein längst fälliges, unverzichtbares
Signal gesetzt. Ihr Koalitionspartner, vor allem aber der Kärntner
Landeshauptmann Jörg Haider, wollen den Minderheitenschutz aber nicht
umsetzen. Haider hat vor kurzem betont, daß "in Wien heute nicht
mehr entschieden wird, was wir in Kärnten nicht haben wollen". Laut
Haider verfolgt Kärnten eine eigenen Weg, "der nicht von den Buchstaben
der Gesetze diktiert werden solle".
Damit setzt sich Jörg
Haider über die Verfassung und die Gesetze der Republik Österreich
hinweg. Ihre Partei hat zu diesem chauvinistischen und minderheitenfeindlichen
Vorstoß Haiders nicht Stellung genommen. Teilen Sie und Ihre Partei
solche Positionen? Ihre Bundesregierung hat im Burgenland - nach Jahrzehnten
- die Verordnung über die zweisprachigen Ortsnamen durchgesetzt. War
es nur eine Beschönigungsaktion aufgrund der EU-Sanktionen? Es ist
bedauerlich, daß in Südtirols Schutzmacht Österreich bis
heute die Durchsetzung der im Staatsvertrag verankerten Rechte für
die verschiedenen Sprachgruppen immer ausschließlich über Beschwerden
an den Verfassungsgerichtshof erzwungen werden muß (siehe dazu auch
die jüngste Entscheidung des VfGH zur Amtssprachenverordnung in Kärnten,
die Landeshauptmann Haider - zum Schweigen und zur Untätigkeit der
Regierung - zu untergraben verspricht).
Die im Staatsvertrag angeführte
slowenische Minderheit in der Steiermark ist bis heute nicht anerkannt
worden. Den steirischen Slowenen wird die Mitgliedschaft im Slowenischen
Beirat verweigert. Das hat wenig mit der von Ihnen zitierten aktiven Minderheitenpolitik
zu tun.
Der immer wieder von Ihrer
Regierung proklamierte Dialog mit den Minderheiten findet nicht statt.
Bis heute wurde nicht einmal eine verbindliche Anhörungspflicht der
Minderheitenorganisationen in Minderheitenangelegenheiten gesetzlich
verankert. Eine der ersten Maßnahmen der Haider-Landesregierung war
- gegen den Willen der Minderheitenorganisationen - die Abschaffung der
Qualifikationserfordernis der Zweisprachigkeit bei der Bestellung von Schuldirektoren
im örtlichen Geltungsbereich des zweisprachigen Schulwesens. Kärnten
finanziert zwar Volksgruppenkongresse, um sich vor den Medien zu brüsten
und die angeblich vorbildliche Lage anzupreisen, nicht finanziert werden
jedoch die Medien der Minderheiten. Die Parteizeitung der FPÖ erhält
immer noch mehr Förderung als der "Vestnik" oder "Nas Tednik". Auch
auf Bundesebene gibt es keine Gleichberechtigung und Chancengleichheit
für Sprachminderheiten. So wurden zuletzt auch die Förderungen
für die Minderheitenradios gestrichen.
Haider ist zwar die Spitze
des Eisbergs, doch beileibe nicht der einzige Exponent der minderheitenfeindlichen
Gesinnung innerhalb der Koalitionsparteien. Haider attackiert die Forderungen
der slowenischen Minderheit, wie etwa die vollständige Umsetzung der
Ortsnamens-Verordnung (von den gesetzlich geregelten 96 fehlen seit 1977
noch immer 34) und die Ausweitung der slowenischen Amtssprache als "schleichende
Slowenisierung". Laut Haider ist "die deutsche Sprache Jedermann zumutbar".
Damit wendet Haider genau jene Logik an, die in Südtirol ehemals die
italienischen Nationalisten angewandt haben, um den Schutz der deutschen
Sprachgruppe zu verhindern. Ihre Partei hat zu allen Äußerungen
und Taten Haiders geschwiegen - damit ist sie mitverantwortlich für
die nationalistische Minderheitenpolitik, die im wesentlichen den Standpunkt
der rechtslastigen Verbände wie dem Kärntner Heimatbund teilt.
Ist das das österreichische
Verständnis für Minderheiten und deren Anliegen? Wäre Italien
mit der deutschen Minderheit so umgegangen wie Österreich mit seinen
Minderheiten jahrzehntelang umgegangen ist und heute noch umgeht, so wäre
es nie zu einer Autonomie gekommen, nie zur Anerkennung von wichtigen Minderheitenrechten.
Für sich selbst fordern hat noch nichts mit Minderheitenfreundlichkeit
zu tun, für sich selbst fordern alle. Minderheitenfreundlichkeit,
Toleranz, europäische Gesinnung beginnen erst dann, wenn man den anderen
ihre politischen, kulturellen, sozialen Rechte gewährt.
In Ihrer Partei wurden außerdem
Stimmen laut, die den politischen Wechsel in Italien begrüßen.
Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland,
der CDU-Politiker Michel Friedman, hat die Berlusconi-Koalition als ein
Bündnis von Nationalisten Rassisten und Faschisten bezeichnet. Sucht
die österreichische Mitte-Rechts-Regierung die Nähe zur sogenannten
Mitte-Rechts-Regierung von Berlusconi?
In Erwartung einer Antwort
durch Maßnahmen zum Schutz der Minderheiten in Österreich verbleiben
wir
mit freundlichen Grüßen
Gesellschaft für bedrohte Völker
An die
Gesellschaft für bedrohte Völker Lauben 49 Portici, P.F/C.P. 233 39100 Bozen |
Wien, am 30.
Juli 2001
GZ 1190.01/0004e-l.7/2001 |
Sehr geehrte Damen und Herren!
Im Auftrag von Bundesministerin
Ferrero-Waldner bestätige ich den Erhalt des
Schreibens datiert Bozen, den 19. Mai 2001, mit dem Betreff "Rechte der
Minderheiten in Österreich".
Zu den von der Gesellschaft
für bedrohte Völker aufgeworfenen Kritikpunkten ist einleitend
festzuhalten, dass der Schutz und die Förderung
der Volksgruppen in Österreich historisch gewachsen und im europäischen
und internationalen Vergleich besonders ausgebildet ist. Ich verweise in
diesem Zusammenhang auf den Bericht von Martti Ahtisaari, Jochen Frowein
und Marcelino Oreja vom 8. September 2000, wo es heißt: "Das
österreichische Rechtssystem hat einen besonderen
Schutz für die in Österreich lebenden
Minderheiten geschaffen. Dieser Schutz
besteht auf Verfassungsebene. Der den in
Österreich lebenden Minderheiten durch das
österreichische Rechtssystem gewährte Minderheitenschutz reicht
weiter als der, der in vielen anderen europäischen Staaten gewährt
wird."
Trotz - oder
gerade wegen - dieses ausgeprägten Schutzniveaus
ist sich die österreichische Bundesregierung ihrer fortgesetzten
Verantwortung in diesem Bereich bewusst. Die Bundesregierung hat daher
ihr umfassendes Bekenntnis zum Schutz der Minderheiten in Österreich
im Regierungsprogramm bekräftigt und darin wichtige Ziele zum weiteren
Ausbau des Minderheitenschutzes in Österreich formuliert.
In Umsetzung des Regierungsprogramms
- und nicht etwa aus einem im Schreiben der Gesellschaft für bedrohte
Völker suggerierten Motiv heraus - wurden im vergangenen Jahr eine
Ortstafel-Verordnung und eine Amtssprachen-Verordnung für das Burgenland
erlassen. Die ebenfalls im Jahr 2000 verabschiedete Staatszielbestimmung
entsprach einem von den österreichischen Volkgruppen seit langem
gehegten Wunsch und stellt einen weiteren Schritt dar, um dem österreichischen
Anliegen auf weitere Untermauerung des Volkgruppenschutzes umfassend gerecht
zu werden. Dazu gehört auch ein konstruktives Herangehen an die Volkgruppenförderung.
Es trifft zu, dass die Förderung
für die Volkgruppenradios gestrichen werden musste. Gleichzeitig nimmt
die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Neuregelung der ORF-Vorschriften
ausgleichende Maßnahmen zugunsten der Volkgruppensprachen im Rahmen
eines öffentlichen Auftrages in Aussicht. Ergänzend sei erwähnt,
dass sowohl der Bund als auch die Länder durch finanzielle Förderungen
dazu beitragen, dass die Volksgruppenangehörigen ihre Kultur pflegen
und weiter entwickeln können.
Ich möchte auch darauf
hinweisen, dass die österreichische Ratifikationsurkunde zur Europäischen
Charta der Regional- oder Minderheitensprachen beim Generalsekretär
des Europarats in seiner Funktion als Depositar hinterlegt wurde. Die Sprachencharta,
die die geschichtlich gewachsenen Regional- oder Minderheitensprachen als
gemeinsames europäisches Erbe schützt und den kulturellen Reichtum
Europas fördert, ist am 1. März 1998 in Kraft getreten. Bislang
haben bedauerlicherweise nur 13 von insgesamt 43 Mitgliedstaaten des Europarats
dieses wichtige Rechtsinstrument ratifiziert.
Die Rahmenkonvention zum
Schutz nationaler Minderheiten, die zusammen mit der Sprachencharta eine
neue Ära im Menschenrechtsschutz eingeleitet hat, ist für Österreich
am 1. Juli 1998 in Kraft getreten. Österreich hat seinen Staatenbericht,
dessen Lektüre ich empfehle, dem Europarat im Jahr 2000 unterbreitet.
Der Bericht gibt umfassenden Aufschluss über den Schutz und die Förderung
der Volksgruppen in Österreich.
An dieser Stelle möchte
ich nicht unbemerkt lassen, dass die Aussagen über die steirischen
Slowenen im Schreiben der Gesellschaft für bedrohte Völker nicht
den Tatsachen entsprechen. In Österreich gibt es eine slowenische
Volksgruppe, die in Kärnten und der Steiermark siedelt. In der österreichischen
Erklärung anlässlich der Ratifikation der Europäischen Charta
für Regional- oder Minderheitensprachen etwa wird das slowenische
Element der Volksgruppe in der Steiermark völkerrechtlich verbindlich
erwähnt. Ein Vertreter der steirischen Slowenen ist im Volkgruppenbeirat
für die slowenische Volksgruppe kooptiert. Die steirischen Slowenen
sind selbstverständlich auch in die Volkgruppenförderung einbezogen.
Zur Situation der Kärntner
Slowenen möchte ich darauf hinweisen, dass der Kärntner Landtag
erst kürzlich einem langjährigen Wunsch der Volksgruppe nachgekommen
ist und ein Kindergartenfondsgesetz verabschiedet hat,
in dessen Rahmen private zweisprachig-slowenische Kindergärten
Förderungsmittel erhalten können.
Österreich ist - wie
die Gesellschaft für bedrohte Völker sicherlich weiß -
dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zutiefst verpflichtet. Es ist daher
auch ein ganz essentieller Aspekt des österreichischen Rechtssystems,
dass jeder Rechtssetzungsakt gerichtlich auf seine Verfassungsmäßigkeit
überprüft werden kann. In diesem Sinne hat der Verfassungsgerichtshof
im Bereich des Volksgruppenrechts im Jahr 2000 wichtige Erkenntnisse getroffen,
die bereits umgesetzt wurden beziehungsweise umgesetzt werden.
Abschließend möchte
ich noch auf den Dialog- und Konsultationsmechanismus der Volksgruppenbeiräte
hinweisen. Auf Basis des Volksgruppengesetzes sind zur Beratung der Bundesregierung
und der Bundesminister in Volksgruppenangelegenheiten beim Bundeskanzleramt
Volksgruppenbeiräte eingerichtet. Diese haben das kulturelle, soziale
und wirtschaftliche Gesamtinteresse der Volksgruppe zu wahren und zu vertreten
und sind insbesondere vor Erlassung von Rechtsvorschriften und zu allgemeinen
Planungen auf dem Gebiet des Förderungswesens, die Interessen der
Volksgruppen berühren, zu hören. Sie können auch Vorschläge
zur Verbesserung der Lage der Volksgruppen und ihrer Angehörigen erstatten.
Ich
hoffe, mit diesen Ausführungen einen Beitrag zum Verständnis
der tatsächlichen Situation in Österreich geleistet zu haben
und möchte der Gesellschaft für bedrohte Völker nicht verschweigen,
dass der im Schreiben an die Frau Bundesminister gewählte Ton zu Verwunderung
und Bedauern Anlass gegeben hat.
|
|
Eine
Publikation der Gesellschaft für bedrohte Völker. Weiterverbreitung
bei Nennung der Quelle erwünscht
Una
pubblicazione dell'Associazione per i popoli minacciati. Si prega di citare
la fonte.
|
URL: www.gfbv.it/2c-stampa/01-2/010823de.html
WebDesign
& Info @ M. di Vieste
|