Afghanistan:
"Wir wollen
keinen 'Heiligen Krieg'"
"Taliban sollen
unser Land verlassen" – "Bin Laden kein Afghane" – Angst und Hoffnung |
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Bozen, 12.10.2001
„Wir
sind", sagt Ali, „vor den Taliban geflohen. „Wir wollen, dass sie Afghanistan,
unser Land, verlassen": Ali Chawari, 20, hat nach monatelanger Flucht politisches
Asyl in Italien und Unterkunft in einem Gebäude nahe der Rombrücke
in Bozen gefunden.
Er spricht gebrochen Italienisch
und übersetzt für seine Landsleute. Haidar Rostami, 37, Mechaniker,
wohnt seit zwei Monaten in Bozen, mit seiner Familie, den Söhnen Hassan,
7, und Hussein, 6. Am Samstag, berichtet seine Ehefrau Sima, 29, Krankenschwester,
habe sie eine Frau auf dem Markt angesprochen: Woher sie komme? Auf die
Antwort „Aus Afghanistan" habe die Frau gemeint „Ah ja, Bin Laden." Nein,
reagieren die Männer in unserer kleinen Runde sofort, nein, Bin Laden
habe nichts mit Afghanistan zu tun, sei kein Afghane, sondern ein Araber.
„Wir wollen", sagt Haidar Rastami, „keinen ‚Heiligen Krieg’, weder gegen
die Russen damals, noch gegen die Amerikaner jetzt." Alle Welt verbinde
jetzt sein Land mit Drogen, mit den Taliban, Bin Laden. „Das sind nicht
wir", betont Haidar.
Sima erzählt von ihren
beiden Schwestern, 42 und 38 Jahre alt. Ob sie verschleiert auf die Straße
gingen? Nein, sondern überhaupt nicht mehr, berichtet Sima. Ihre ältere
Schwester, ausgebildete Grundschullehrerin, ebenso nicht wie die jüngere.
Nichts als Probleme gebe es für die Frauen in ihrem Land, unterstreicht
sie. Ja, sie liebe ihr Land, und wolle auch dahin zurückkehren – wenn
es die politische Situation erlaube.
Die anderen stimmen zu: Wali
Ibrahim, 21, Tischler, und Sed Schaffik Hassan Yar, 24, Student aus Kabul.
„Ich bin gegen die Taliban, und sie sind gegen mich", umschreibt Wali seine
Situation. „Meine Familie lebt noch in Afghanistan." Nein, gehört
habe er schon seit langem nichts mehr von ihnen. „Mein Vater und mein Onkel
sind von den Taliban erschossen worden." Auch Sima ist besorgt wegen ihrer
Schwestern. „Die Taliban haben Tausende von Menschen umgebracht, ich habe
es gesehen – mit meinen eigenen Augen." Sed hat ebenfalls seit Wochen keine
Nachrichten mehr von seinen Familienangehörigen in Afghanistan.
Sie seien alle gern hier
in Südtirol, bestätigt die Runde einhellig. Die Menschen seien
freundlich, das Land schön. Und doch: „Es ist ein fremdes Land", sagen
sie in ihrer Muttersprache, „wir haben Schwierigkeiten, auch wegen der
Sprache", übersetzt Ali. Wir verabschieden uns: mit der Hoffnung auf
eine bessere Zukunft.
Maja Clara - (c)
Tageszeitung “Dolomiten”,
11. Oktober 2001. S. 10.
Siehe
auch: