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Indien
Übergriffe von Hindu-Nationalisten auf Muslime drohen zu eskalieren!
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Bozen, Göttingen, 12.3.2002

Mehr als 700 Menschen starben seit Anfang März 2002 bei Übergriffen von Hindu-Nationalisten auf Muslime in dem im Nordwesten Indiens gelegenen Bundesstaat Gujarat. In Dörfern und Städten wurde "Jagd" auf Muslime gemacht. Der Mob zündete Häuser an, Dutzende Menschen verbrannten bei lebendigem Leib. Mehr als 2.400 Häuser und 2.000 Geschäfte wurden durch Feuer zerstört. 820 Menschen wurden bei den Ausschreitungen verletzt. Die Polizei schaute den Übergriffen tatenlos zu. Oft wurden sie von Hindu-Nationalisten gesteuert als Vergeltung für einen Angriff von muslimischen Extremisten auf einen Zug, in dem Anhänger der radikalen Hindu-Partei Vishwa Hindu Parishad (VHP) am 27. Februar 2002 nach Hause reisten. Dabei wurden 58 Hindu ermordet. Sie kamen aus der Stadt Ayodhya, in der sie für den Aufbau eines Hindu-Tempels auf den Grundmauern der 1992 von Hindu mutwillig zerstörten Babri-Moschee demonstriert hatten. Damals wurden bei landesweiten Zusammenstößen zwischen Hindu und Muslimen 3.000 Menschen getötet.

Die Moschee war im Jahr 1528 errichtet worden. Das Gelände, auf dem sie steht, ist jedoch auch den Hindu heilig. Sie betrachten es als den Geburtsort eines ihrer am meisten verehrten Götter, Lord Rama. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es erste gewaltsame Zusammenstöße zwischen Hindu und Muslimen in Ayodhya. Politische, religiöse und soziale Konflikte haben das Verhältnis zwischen den 120 Millionen Muslimen und der Hindu-Mehrheitsbevölkerung im 20. Jahrhundert immer wieder belastet. Seit der gezielten Zerstörung der Moschee 1992 ist Ayodhya mehr denn je zuvor zum Reizthema geworden. Trotzdem leben Hindu und Muslime in vielen Regionen des Landes noch einträchtig zusammen und rühmen sich ihrer guten Nachbarschaft. Doch die Eintracht ist brüchig und wird von Hindu-Nationalisten immer mehr unterhöhlt.

Zwar versteht sich Indien gemäß seiner Verfassung als multiethnischer und multireligiöser Staat. Die Perspektiven der muslimischen Minderheit werden jedoch immer düsterer, seit in den 80-er Jahren die politische Bewegung zur Hinduisierung Indiens entstand. Mit dem Machtantritt der Koalitionsregierung unter Führung der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) im Jahre 1998 hat sich das Verhältnis zwischen den Religionsgemeinschaften weiter verschlechtert. Anhänger der mit der BJP eng kooperierenden hindu-nationalistischen VHP wurden für zahllose Übergriffe auf Muslime und Christen verantwortlich gemacht. Muslime fordern seit mehreren Jahren den Rücktritt des Innenministers La Krishna Advani: Er sei 1992 maßgeblich an der Kampagne von Hindu-Nationalisten in Ayodhya beteiligt gewesen, die schließlich mit der Zerstörung der Moschee endete.

Nach den Terrorakten des 11. September hat sich die Lage weiter zugespitzt. Indiens Regierung sah im Rahmen der globalen Anti-Terror-Koalition eine Chance, Pakistan ultimativ zur Einstellung seiner Unterstützung von Kashmir-Aktivisten aufzufordern. Diese stellen mit immer neuen Terrorakten die indische Kontrolle über die zwischen beiden Ländern umstrittene Region Kashmir in Frage. Menschenrechtsorganisationen verurteilen nicht nur diese Terrorakte, sondern auch die schweren Menschenrechtsverletzungen indischer Sicherheitskräfte an der Zivilbevölkerung Kashmirs. Mit einer Politik der Stärke und Unnachgiebigkeit verweigerte sich die indische Führung in den letzten Wochen jedem Dialog in der Kashmir-Frage und führte Pakistan und Indien an den Rand eines Atom-Krieges. Das "Säbelrasseln" sollte vor allem auch Wählerstimmen von Hindu-Nationalisten bei den Wahlen in verschiedenen Bundesstaaten im Februar 2002 sichern helfen. Doch die Folgen waren katastrophal: Das Verhältnis zwischen Muslimen und Hindu verschlechterte sich zusehends und die BJP musste bei den Wahlen deutliche Stimmeinbußen hinnehmen.

Die überwiegend gemäßigten Sufi-Muslime Indiens werfen der indischen Regierung Einäugigkeit vor. Denn einerseits seien radikale muslimische Bewegungen wie die Studentenorganisation Students Islamic Movement of India (SIMI) am 27.September 2001 verboten und Hunderte Anhänger verhaftet worden. Hindu-Nationalisten wie die VHP mit ihrer Agitation gegen Muslime ließe sie andererseits gewähren. Auch die zum Kampf gegen den Terror beschlossene neue Notstandsgesetzgebung (Prevention of Terrorism Ordinance, POTO) hat bei vielen Muslime Ängste geweckt, dass sie Opfer staatlicher Willkür werden könnten. Aus wahltaktischen Gründen vermeidet es die Regierung, hindu-nationalistischer Agitation entschieden entgegenzutreten und gefährdet so das friedliche Zusammenleben von Muslimen und Hindu. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das sich in Windeseile zu einer nationalen Katastrophe ausweiten kann - wie die schrecklichen Bilder aus Gujarat gezeigt haben.

Jetzt droht eine erneute Eskalation. Die Hindu-Nationalisten sind fest entschlossen, am 15. März mit dem Bau ihres Tempels auf den Trümmern der Babri Moschee in Ayodyah zu beginnen, obwohl der Oberste Gerichtshof noch nicht über die umstrittene Nutzung des Geländes entschieden hat. Statt die VHP-Führung zu verhaften und die Partei zu verbieten, kommt die indische Regierung den Extremisten immer mehr entgegen. Zur Empörung der Muslime machte Neu Delhi der VHP das Angebot, den Hindu neben dem Moschee-Gelände Platz für Bauvorbereitungen und für Demonstrationen zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug sollte die VHP nicht offiziell mit dem Bau beginnen. Mehr als 14.000 Hindu-Nationalisten halten sich bereits in Ayodhya auf, um die Errichtung des Tempels durchzusetzen. Mit ihren Provokationen schüren sie nicht nur den Ayodhya-Konflikt, sondern auch die stetig wachsenden Spannungen zwischen Hindu und Muslimen im gesamten Land. Nur ein entschiedenes Auftreten der indischen Behörden gegen die Hindu-Nationalisten kann neue blutige Zusammenstöße zwischen Hindu und Muslimen verhindern.


Siehe auch:
Link www.gfbv.it/2c-stampa/01-3/010906it.html - Link www.gfbv.it/3dossier/klima/klima3.html#47
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