OFFENER BRIEF AN DIE
ABGEORDNETEN DES DREIER-LANDTAGES
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Der Südtiroler Landtag hat die Südtiroler Landesregierung aufgefordert, ein Konzept zur Flüchtligsbetreuung vorzulegen. Dieses Konzept gibt es immer noch nicht. Besonders in dieser heiklen Frage könnte der Dreier-Landtag zeigen, daß er ein schwieriges Problem angeht und diesen Menschen hilft. Stattdessen lehnt die Interregionale Landtagskommission mit einer dünnen Begründung ("Es ist nicht sinnvoll, die Problematik durch eine derartige Flüchtlingsunterkunft an den Brenner zu verlagern") den Antrag der Grünen ab, am Brenner eine grenzüberschreitende Flüchtlingsunterkunft mit Beratungsstelle einzurichten.
Wo bleibt die vielzitierte
Solidarität mit Menschen, die flüchten müssen, weil sie
ethnischen Gruppen angehören, die diskriminiert und verfolgt werden?
Anfang März hat die Gesellschaft für bedrohte Völker und
die Landtagsfraktion der Südtiroler Grünen eine Expertenanhörung
zum Thema Flüchtlinge in Bozen organisiert. Die Fachleute plädierten
für die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft samt Beratungsstelle,
weil nur dann ernsthaft und seriös geholfen werden kann (siehe Zusammenfassung
der Stellungnahmen der Experten). Nehmen Sie doch diese Anregung ernst.
Zusammenfassung der Referate der Tagung von 3. März 2000
Die Mauer von Schengen
Vertreter und Vertreterinnen
von 10 Organisationen und Institutionen (der öffentlichen Verwaltung,
NGOs, karitative und andere humanitäre Organisationen) aus Italien
(Bozen, Trient, Triest, Rom) und Österreich (Innsbruck) haben sich
am 3. März 2000 zu einer Tagung im Siegelsaal 1 des Bozner Landhauses
getroffen, um grenzüberschreitende Kooperation in Flüchtlingsfragen,
insbesondere in der Flüchtlingshilfe, aber auch er Flüchtlingspolitik
zu beraten.
Die Tagung fand auf Einladung
der Landtagsfraktion der Grünen und der Gesellschaft für bedrohte
Völker - Südtirol statt.
Die Ausgangslage in Bozen,
in Südtirol und in Innsbruck, in Nordtirol ist auf einem Begleitzettel
erklärt worden, dessen Inhalt hier nicht nochmals wiederholt
werden muss.
Im folgenden sind die wichtigsten
Aussagen der Diskussionsteilnehmer zusammengefasst.
Christina Kury, Landtagsabgeordnete
der Südtiroler Grünen
Auf Antrag der Grünen
hat der Südtiroler Landtag die Landesregierung aufgefordert, ein Gesamtkonzept
zur Betreuung von Flüchtlingen in Südtirol vorzulegen. Diese
fehlt noch. Deshalb dieses Seminar, als weiterer Anstoß dazu.
Anträge werden auch
für den Dreierlandtag Tirol-Südtirol-Trentino vorbereitet (um
z.B. am Brenner ein Aufnahmezentrum zu errichten).
Pichler-Rolle, Vizebürgermeister
von Bozen, SVP
Nötig ist ein Gesamtkonzept,
eine Koordinierungsstelle. Die Sozialdienste und auch der Zivilschutz wären
einzubeziehen. Sie müssten auch als Rechtsberatung dienen.
In Bozen bräuchte es
eine Unterkunft für Flüchtlinge in der Nähe des Bahnhofs,
die in Absprache mit dem Land und mit den Freiwilligen-Organisationen zu
errichten ist. Bis Jahresende müsste diese Stelle geschaffen sein.
Claudio Rotelli, Volontarius
Die Situation hat sich in
Bozen verschärft. Wir haben privat Nachtdienste am Bahnhof organisiert,
aber das kann so nicht weitergehen. Wir versuchen in der Nacht, wenn jemand
ankommt, Identität und Herkunft der Betroffenen zu klären und
sie in das Hotel Tre Gobbi zu bringen. 1569 Personen aus 15 Nationen haben
dort Unterkunft gefunden. Vor allem am Abend, wenn die Flüchtlinge
meist mit späteren Zügen ankommen, bräuchte es eine professionelle
Betreuung.
Floriano Longhi, Landesamt
für Sozialsprengel (verwaltet den Flüchtlingsbereich Zuständig
für Flüchtlinge ist der Staat, für Immigranten das Land)
Das Land wird bis Juni ein
Konzept erstellen. Hiefür wird es mit den Gemeinden, insbes. Bozen,
und den humanitären Organisationen eng zusammenarbeiten. Der Staat
sieht zwei Maßnahmen vor: Auffangzentren und finanzielle Unterstützung
(34.000Lire/Tag). In Südtirol sind keine Auffangzentren vorgesehen,
da das Land als Durchgangsland angesehen wird.
Der Staat könnte aber
die Provinzen veranlassen, Gebäude für die Erstversorgung zur
Verfügung zu stellen. Dies ist bisher nicht geschehen.
Von der jeweils betroffenen
Gemeinde ist humanitäre Hilfe bereit zu stellen. Es bräucht sicher,
neben einer Unterkunft auch eine zentrale kompetente Stelle für die
Beratung der Flüchtlinge. Dies könnte aber Teil des Flüchtlingskonzeptes
des Landes sein.
Helene Gamberoni (Caritas
Bozen, Flüchtlingskontakt-Stelle)
Das größte Problem
bei uns ist die Unterkunft, auch für jene, die eine Arbeit haben.
Sie sind oft ein- bis eineinhalb Jahre im Asylverfahren. Sie erhalten 34.000
Lire pro Tag für maximal 45 Tage. Dann entsteht für sie ein Loch.
Wir versuchen, alle uns
zur Verfügung stehenden Informationen weiterzugeben, suchen Jobs (meist
aus der Zeitung), oder aber es rufen uns auch Unternehmer an. Wir verteilen
Essensgutscheine.
Peter Logar, Flüchtlingskoordinator
des Landes Tirol
Bozen ist meist die letzte
Rast, Tirol ist vor allem ein Durchreiseland. Die Herkunft ist unterschiedlich.
Wir haben ein Haus für
Asylsuchende mit 50 Plätzen, eine Außenstelle des Asylamtes
in Innsbruck. Die Dublin-Verfahren dauern sehr lange, bis zu zwei Jahren.
Für Flüchtlinge gibt es Arbeitsprojekte, die für die Rückkehr
qualifizieren. In Österreich sind 60.000 Bosnier integriert worden.
Es ist schwierig Unterkünfte
zu finden. Seit einem halben Jahr wollen wir ein Aufnahmelager am Brenner
schaffen, wo Flüchtlinge/Zuwanderer kurze Zeit versorgt werden können.
Es gelingt uns aus scheinbar bürokratischen Gründen nicht, dies
einzurichten: Das Gebäude gehört der Finanzverwaltung.
Die Aufnahmeorte (Unterkünfte
etc.) sind als Notunterkünfte zu betrachten. Bei zu großen Aufnahmekapazitäten
wäre ein großer Andrang zu erwarten. Es sei jetzt schon schwer
zu steuern.
Michaela Ralser und Verena
Schlichtmeier (Arge Schubhaft, Innsbruck)
Es gab EU-weit eine Verschärfung
der Gesetze.
Zentral ist die Frage der
Staatsbürgerschaft, denn an diese sind die meisten Rechte gebunden.
Österreich hat innerhalb
der EU eines der restriktivsten Gesetze: Der Aufenthalt ist an Beschäftigung
gebunden. Es ist fast nicht möglich, eine legalen Aufenthaltserlaubnis
zu erhalten. Die Flüchtlinge werden in Haft genommen, obwohl sie keine
Straftat begangen haben, auch Menschen, die sich im laufenden Asylverfahren
befinden. 1999 waren ca. 15.000 in Haft. Deshalb begeben sich Inhaftierte
auch in Hungerstreik.
Eine der Forderungen: NGOS
müssen ungehinderten Zugang haben zu Aufnahmezentrum (wie es etwa
am Brenner geplant ist).
Kontinuierliche Rechtsberatung
wäre nötig, man soll sich auf längerfristige Situation einstellen.
Bevor man entscheiden kann, ob eine Einrichtung am Brenner sinnvoll ist,
müsste man wissen, welchen Zweck sie haben soll: nur um eine reibungslosere
Rückschiebung zu gewährleisten? Oder vielmehr, damit Menschen
erstversorgt, aber auch über ihre Möglichkeiten (zum Beispiel
Asylanträge) beraten werden können.
Valeria Liberini, ATAS,
Trento
Im Trentino gibt es seit
1990 ein Gesetz für Unterstützung: Es ist eine Initiative (intervento)
für die Ansässigen, aber für die Asylbewerber gibt es keine
Form der Unterstützung. Die Solidaritäts-Gruppen waren aktiv.
Für vorübergehende
Aufnahme gibt es nur 163 Bettplätze.
Gianfranco Schiavone,
ICS, Trieste
Für die Asylbewerber
ist eine materielle und legale Betreuung notwendig, und dies nicht getrennt
voneinander. Berufsvorbereitende Kurse wären wichtig, ein Jahr lang.
Italien hat noch nicht bemerkt, dass nicht nur die Zahl der Menschen, die
hierher geflüchtet sind, deutlich gestiegen ist (um etwa das zehnfache
seit 1997), sondern auch die Zahl jener, die sich hier aufhalten wollen,
deutlich zugenommen hat:„Per molti non è un transito, è un
transito verso niente“. Es sind Menschen, die hier bleiben werden, darauf
soll man sich einstellen. Es braucht nur einen geringen juridischen Beitrag
(contributo giuridico), aber einen hohen politischen Beitrag (contributo
politico). Aufnahme- und Betreuungsstrukturen sind notwendig. Die Differenz
zwischen der Zahl der Ansuchenden um Aufenthaltsgenehmigung und den Aufnahmestrukturen
ist groß. In Italien fehlt ein taugliches Asyl-Gesetz.
Roberta Montevecchi (ACNUR/UNHCR,
Roma)
Das einzige Land, wo eine
Möglichkeit besteht, Menschen zu integrieren, die hierher kommen ist
Italien. Das Dublin-Abkommen ist ein strukturelles Problem wegen des Rücknahme-Abkommens.
Die Unterstützung für nur 45 Tage hat danach eine Leere zur Folge:
Die Menschen müssen arbeiten und werden als Billigarbeitskräfte
am Schwarzmarkt ausgenützt.
Statt großer Aufnahmezentren
bräuchte es "piccole strutture locali su tutto il territorio nazionale".
Außerdem müssten jene Personen, die hier tätig sind, ausgebildet
werden können in Sprachunterricht und in sozialer Kompetenz für
die Arbeit mit MigrantInnnen. Dafür bräuchte es Geld. In der
Ausbildung des Betreuungspersonals zu investieren nützt den Flüchtlingen
sowohl für eine eventuelle Rückkehr als auch für die Integration.
Hugo Senoner, ehemaliger
Pfarrer vom Brenner
Mit den Flüchtlingen
ist – wahrscheinlich nicht nur während meiner Zeit am Brenner – viel
verdient worden, Einzelne und Institutionen haben mitverdient. Menschen,
die flüchten müssen, werden bis zum äußersten ausgepresst.
Meist waren es Menschen, die bereits ein Ziel vor Augen hatten. Ich habe
für Menschen oft Unterkunft gesucht, damit sie nicht im Freien bleiben
müssen. Mehr auch vorübergehende Unterkünfte wären
nötig, auch wenn sie nur ein tropfen auf den heißen Stein sind.
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