OFFENER BRIEF AN DIE ABGEORDNETEN DES DREIER-LANDTAGES
Flüchtlinge
Kein Thema für den Dreier-Landtag?
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Bozen,  23.5.2000

Es ist zu bedauern, daß sich der Dreier-Landtag nicht mit der Flüchtlings-Tragödie am Brenner auseinandersetzen will. Dort endet für viele flüchtende Menschen die Flucht von ihren Peinigern. Ein Großteil der Flüchtlinge will nach Deutschland zu Freunden und Verwandten. Sie scheitern aber nicht nur am Brenner, auch in Bozen ist für diese Menschen auf der Flucht Endstation.

Der Südtiroler Landtag hat die Südtiroler Landesregierung aufgefordert, ein Konzept zur Flüchtligsbetreuung vorzulegen. Dieses Konzept gibt es immer noch nicht. Besonders in dieser heiklen Frage könnte der Dreier-Landtag zeigen, daß er ein schwieriges Problem angeht und diesen Menschen hilft. Stattdessen lehnt die Interregionale Landtagskommission mit einer dünnen Begründung ("Es ist nicht sinnvoll, die Problematik durch eine derartige Flüchtlingsunterkunft an den Brenner zu verlagern") den Antrag der Grünen ab, am Brenner eine grenzüberschreitende Flüchtlingsunterkunft mit Beratungsstelle einzurichten.

Wo bleibt die vielzitierte Solidarität mit Menschen, die flüchten müssen, weil sie ethnischen Gruppen angehören, die diskriminiert und verfolgt werden? Anfang März hat die Gesellschaft für bedrohte Völker und die Landtagsfraktion der Südtiroler Grünen eine Expertenanhörung zum Thema Flüchtlinge in Bozen organisiert. Die Fachleute plädierten für die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft samt Beratungsstelle, weil nur dann ernsthaft und seriös geholfen werden kann (siehe Zusammenfassung der Stellungnahmen der Experten). Nehmen Sie doch diese Anregung ernst.
 

Zusammenfassung der Referate der Tagung von 3. März 2000

Die Mauer von Schengen

Vertreter und Vertreterinnen von 10 Organisationen und Institutionen (der öffentlichen Verwaltung, NGOs, karitative und andere humanitäre Organisationen) aus Italien (Bozen, Trient, Triest, Rom) und Österreich (Innsbruck) haben sich am 3. März 2000 zu einer Tagung im Siegelsaal 1 des Bozner Landhauses getroffen, um grenzüberschreitende Kooperation in Flüchtlingsfragen, insbesondere in der Flüchtlingshilfe, aber auch er Flüchtlingspolitik zu beraten.
Die Tagung fand auf Einladung der Landtagsfraktion der Grünen und der Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol statt.
Die Ausgangslage in Bozen, in Südtirol und in Innsbruck, in Nordtirol ist auf einem Begleitzettel erklärt worden, dessen Inhalt  hier nicht nochmals wiederholt werden muss.
Im folgenden sind die wichtigsten Aussagen der Diskussionsteilnehmer zusammengefasst.
 

Christina Kury, Landtagsabgeordnete der Südtiroler Grünen
Auf Antrag der Grünen hat der Südtiroler Landtag die Landesregierung aufgefordert, ein Gesamtkonzept zur Betreuung von Flüchtlingen in Südtirol vorzulegen. Diese fehlt noch. Deshalb dieses Seminar, als weiterer Anstoß dazu.
Anträge werden auch für den Dreierlandtag Tirol-Südtirol-Trentino vorbereitet (um z.B. am Brenner ein Aufnahmezentrum zu errichten).

Pichler-Rolle, Vizebürgermeister von Bozen, SVP
Nötig ist ein Gesamtkonzept, eine Koordinierungsstelle. Die Sozialdienste und auch der Zivilschutz wären einzubeziehen. Sie müssten auch als Rechtsberatung dienen.
In Bozen bräuchte es eine Unterkunft für Flüchtlinge in der Nähe des Bahnhofs, die in Absprache mit dem Land und mit den Freiwilligen-Organisationen zu errichten ist. Bis Jahresende müsste diese Stelle geschaffen sein.

Claudio Rotelli, Volontarius
Die Situation hat sich in Bozen verschärft. Wir haben privat Nachtdienste am Bahnhof organisiert, aber das kann so nicht weitergehen. Wir versuchen in der Nacht, wenn jemand ankommt, Identität und Herkunft der Betroffenen zu klären und sie in das Hotel Tre Gobbi zu bringen. 1569 Personen aus 15 Nationen haben dort Unterkunft gefunden. Vor allem am Abend, wenn die Flüchtlinge meist mit späteren Zügen ankommen, bräuchte es eine professionelle Betreuung.

Floriano Longhi, Landesamt für Sozialsprengel (verwaltet den Flüchtlingsbereich Zuständig für Flüchtlinge ist der Staat, für Immigranten das Land)
Das Land wird bis Juni ein Konzept erstellen. Hiefür wird es mit den Gemeinden, insbes. Bozen, und den humanitären Organisationen eng zusammenarbeiten. Der Staat sieht zwei Maßnahmen vor: Auffangzentren und finanzielle Unterstützung (34.000Lire/Tag). In Südtirol sind keine Auffangzentren vorgesehen, da das Land als Durchgangsland angesehen wird.
Der Staat könnte aber die Provinzen veranlassen, Gebäude für die Erstversorgung zur Verfügung zu stellen. Dies ist bisher nicht geschehen.
Von der jeweils betroffenen Gemeinde ist humanitäre Hilfe bereit zu stellen. Es bräucht sicher, neben einer Unterkunft auch eine zentrale kompetente Stelle für die Beratung der Flüchtlinge. Dies könnte aber Teil des Flüchtlingskonzeptes des Landes sein.

Helene Gamberoni (Caritas Bozen, Flüchtlingskontakt-Stelle)
Das größte Problem bei uns ist die Unterkunft, auch für jene, die eine Arbeit haben. Sie sind oft ein- bis eineinhalb Jahre im Asylverfahren. Sie erhalten 34.000 Lire pro Tag für maximal 45 Tage. Dann entsteht für sie ein Loch.
Wir versuchen, alle uns zur Verfügung stehenden Informationen weiterzugeben, suchen Jobs (meist aus der Zeitung), oder aber es rufen uns auch Unternehmer an. Wir verteilen Essensgutscheine.

Peter Logar, Flüchtlingskoordinator des Landes Tirol
Bozen ist meist die letzte Rast, Tirol ist vor allem ein Durchreiseland. Die Herkunft ist unterschiedlich.
Wir haben ein Haus für Asylsuchende mit 50 Plätzen, eine Außenstelle des Asylamtes in Innsbruck. Die Dublin-Verfahren dauern sehr lange, bis zu zwei Jahren. Für Flüchtlinge gibt es Arbeitsprojekte, die für die Rückkehr qualifizieren. In Österreich sind 60.000 Bosnier integriert worden.
Es ist schwierig Unterkünfte zu finden. Seit einem halben Jahr wollen wir ein Aufnahmelager am Brenner schaffen, wo Flüchtlinge/Zuwanderer kurze Zeit versorgt werden können. Es gelingt uns aus scheinbar bürokratischen Gründen nicht, dies einzurichten: Das Gebäude gehört der Finanzverwaltung.
Die Aufnahmeorte (Unterkünfte etc.) sind als Notunterkünfte zu betrachten. Bei zu großen Aufnahmekapazitäten wäre ein großer Andrang zu erwarten. Es sei jetzt schon schwer zu steuern.

Michaela Ralser und Verena Schlichtmeier (Arge Schubhaft, Innsbruck)
Es gab EU-weit eine Verschärfung der Gesetze.
Zentral ist die Frage der Staatsbürgerschaft, denn an diese sind die meisten Rechte gebunden.
Österreich hat innerhalb der EU eines der restriktivsten Gesetze: Der Aufenthalt ist an Beschäftigung gebunden. Es ist fast nicht möglich, eine legalen Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Die Flüchtlinge werden in Haft genommen, obwohl sie keine Straftat begangen haben, auch Menschen, die sich im laufenden Asylverfahren befinden. 1999 waren ca. 15.000 in Haft. Deshalb begeben sich Inhaftierte auch in Hungerstreik.
Eine der Forderungen: NGOS müssen ungehinderten Zugang haben zu Aufnahmezentrum (wie es etwa am Brenner geplant ist).
Kontinuierliche Rechtsberatung wäre nötig, man soll sich auf längerfristige Situation einstellen.  Bevor man entscheiden kann, ob eine Einrichtung am Brenner sinnvoll ist, müsste man wissen, welchen Zweck sie haben soll: nur um eine reibungslosere Rückschiebung zu gewährleisten? Oder vielmehr, damit Menschen erstversorgt, aber auch über ihre Möglichkeiten (zum Beispiel Asylanträge) beraten werden können.

Valeria Liberini, ATAS, Trento
Im Trentino gibt es seit 1990 ein Gesetz für Unterstützung: Es ist eine Initiative (intervento) für die Ansässigen, aber für die Asylbewerber gibt es keine Form der Unterstützung. Die Solidaritäts-Gruppen waren aktiv.
Für vorübergehende Aufnahme gibt es nur 163 Bettplätze.

Gianfranco Schiavone, ICS, Trieste
Für die Asylbewerber ist eine materielle und legale Betreuung notwendig, und dies nicht getrennt voneinander. Berufsvorbereitende Kurse wären wichtig, ein Jahr lang. Italien hat noch nicht bemerkt, dass nicht nur die Zahl der Menschen, die hierher geflüchtet sind, deutlich gestiegen ist (um etwa das zehnfache seit 1997), sondern auch die Zahl jener, die sich hier aufhalten wollen, deutlich zugenommen hat:„Per molti non è un transito, è un transito verso niente“. Es sind Menschen, die hier bleiben werden, darauf soll man sich einstellen. Es braucht nur einen geringen juridischen Beitrag (contributo giuridico), aber einen hohen politischen Beitrag (contributo politico). Aufnahme- und Betreuungsstrukturen sind notwendig. Die Differenz zwischen der Zahl der Ansuchenden um Aufenthaltsgenehmigung und den Aufnahmestrukturen ist groß. In Italien fehlt ein taugliches Asyl-Gesetz.

Roberta Montevecchi (ACNUR/UNHCR, Roma)
Das einzige Land, wo eine Möglichkeit besteht, Menschen zu integrieren, die hierher kommen ist Italien. Das Dublin-Abkommen ist ein strukturelles Problem wegen des Rücknahme-Abkommens. Die Unterstützung für nur 45 Tage hat danach eine Leere zur Folge: Die Menschen müssen arbeiten und werden als Billigarbeitskräfte am Schwarzmarkt ausgenützt.
Statt großer Aufnahmezentren bräuchte es "piccole strutture locali su tutto il territorio nazionale". Außerdem müssten jene Personen, die hier tätig sind, ausgebildet werden können in Sprachunterricht und in sozialer Kompetenz für die Arbeit mit MigrantInnnen. Dafür bräuchte es Geld. In der Ausbildung des Betreuungspersonals zu investieren nützt den Flüchtlingen sowohl für eine eventuelle Rückkehr als auch für die Integration.

Hugo Senoner, ehemaliger Pfarrer vom Brenner
Mit den Flüchtlingen ist – wahrscheinlich nicht nur während meiner Zeit am Brenner – viel verdient worden, Einzelne und Institutionen haben mitverdient. Menschen, die flüchten müssen, werden bis zum äußersten ausgepresst. Meist waren es Menschen, die bereits ein Ziel vor Augen hatten. Ich habe für Menschen oft Unterkunft gesucht, damit sie nicht im Freien bleiben müssen. Mehr auch vorübergehende Unterkünfte wären nötig, auch wenn sie nur ein tropfen auf den heißen Stein sind.
 

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