Offener Brief
An die Österreichische Regierung
Bedrohte Minderheiten in Österreich
Welche Zukunft haben Österreichs Minderheiten unter Schwarz-Blau?
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Bozen, 9.2.2000

Die GfbV-Südtirol begrüßt die Ankündigung der ÖVP-FPÖ-Regierung, den Minderheitenschutz gemäß Artikel 7 des Staatsvertrages endlich umzusetzen. Diese Zusage ist ein Beleg dafür, daß Österreich - entgegen der bisherigen Aussagen auf allen politischen Ebenen - die im Staatsvertrag eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt hat. Das Österreichische Volksgruppenzentrum hat seit seinem Bestehen erfolglos und unter starken Anfeindungen fast aller politischer Parteien auf die Erfüllung des Artikels 7 gedrängt. 45 Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrages sind jedoch die darin vorgesehenen Maßnahmen zum Minderheitenschutz nicht verwirklicht.

Trotz des Versprechens, den Staatsvertrag umsetzen zu wollen, liest sich die Regierungserklärung mehr wie eine Drohung denn eine Zusage. Die Bundesregierung will nämlich den österreichischen Minderheitenschutz an den in Kärnten geltenden Rechtsstandard anpassen. Für die GfbV-Südtirol ist Kärnten aber nicht im geringsten ein Modell für einen gelungenen Minderheitenschutz. Das belegt allein schon die Zahl der Angehörigen der slowenischen Sprachgruppe. So lebten 1939 in Kärnten noch 43.000 slowenische Bürger. Heute sind es nur mehr an die 15.000. Diese Zahlen belegen die rabiate Assimilierung der slowenischen Volksgruppe. Nach Jahrzehnten der systematischen Unterdrückung ist die slowenische Volksgruppe am Rande ihrer Existenz angelangt. Die Kärntner Minderheitenpolitik zum Vorbild machen heißt, die Assimilierung der Minderheiten in ganz Österreich zu verkünden.

Bereits vor zehn Jahren hatte der damalige Landeshauptmann Jörg Haider erwirkt, daß die Trennung der Schulen nach Sprachgruppen im zweisprachigen Süd-Kärnten unumkehrbar wurde. Es waren die FPÖ und der nationalistische Kärntner Heimatdienst, die 1984 mit einer gemeinsamen Kampagne die Zerschlagung der letzten zweisprachigen Schulen durchsetzten. Die Kinder jener slowenischen Eltern, die ihre Muttersprache pflegen wollen, werden seitdem in schulische Ghettos gedrängt und angefeindet, der große Rest slowenischer Schüler wird in rein deutschen Schulen assimiliert. In zweisprachigen Gemeinden wurden zweisprachige Kindergartengruppen abgelehnt - derzeit gibt es in Süd-Kärnten ganze 12 zweisprachige Kindergartengruppen, die Hälfte davon sind privat. Es gibt - obwohl vom Gesetz anders vorgesehen - nur 68 zweisprachige Ortsschilder, das Unrecht des Ortstafelsturmes wurde nie wieder gutgemacht. In nur 13 der 35 anerkannten slowenischen bzw. zweisprachigen Gemeinden gilt auch die slowenische Sprache als Amtssprache. Diese Politik unterscheidet sich nur unwesentlich von jener Politik, die in den Jahren des Faschismus in Südtirol durchgeführt wurde.

Angesichts dieser für die slowenische Minderheit dramatischen Entwicklung ist das Regierungsprogramm eine zynische Ankündigung, man werde die Minderheiten Österreichs assimilieren. Jörg Haider behauptet zwar, einen jahrzehntelangen Volksgruppenkonflikt befriedet zu haben, hetzt in Wahrheit jedoch gegen die slowenische Minderheit; er wirft dem Rat der Kärntner Slowenen vor, als radikale Minderheit in Kooperation mit der slowenischen Republik eine slowenisch dominierte Großregion anzustreben - im Wissen, daß dies nicht den Tatsachen entspricht.

In den vergangenen 50 Jahren hat die parteienübergreifende nationalistische Koalition aus Abwehrkämpferbund, Heimatdienst, Freiheitlichen und im Schlepptau ÖVP und SPÖ erreicht, daß es für die slowenische Sprachgruppe keine Mitsprache und Beteiligung am politischen Leben Kärntens gibt. Statt der slowenischen Minderheit einen eigenen Wahlkreise und Vertreter im Landtag zu garantieren, hat die Landesregierung 1979 Kärnten in vier Wahlkreise aufgegliedert, um den Einzug eines slowenischen Bürgers in den Landtag zu verhindern. Zudem verhindert das Grundmandat – das einer zehnprozentigen Klausel entspricht - den slowenischen Bürgern die Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte. Hier werden Demokratie und Menschenrechte mit Füßen getreten.

Österreich hat mit Vehemenz seinen Minderheiten gerade jene Rechte vorenthalten, die man gleichzeitig für die deutsche Minderheit in Italien (Südtirol) gefordert hat. Der Widerstand italienischer Nationalisten gegen diese Rechte wurde immer als Chauvinismus oder gar Faschismus kritisiert. Österreich sollte diese Begriffe auf seine eigene Assimilierungspolitik anwenden.

Es sollte die Koalition zu denken geben, daß gerade die Südtiroler die antislowenische Politik kritisieren. Der Europaparlamentarier der Südtiroler Volkspartei, Michl Ebner, hatte im Juni 1997 auf einer Pressekonferenz in Straßburg gemeinsam mit dem CSU-Abgeordneten Bernd Posselt Österreich vorgeworfen, mit seiner Assimilierungspolitik ein "volksgruppenfreies" Land anzustreben. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der SVP im Südtiroler Landtag, Hubert Frasnelli, hat deshalb für die sechs Sprachminderheiten in Österreich ein Schutz- und Förderpaket verlangt.

Wenn diese Regierung an ihren Taten gemessen werden will, so soll sie die bisher praktizierte Politik der "demographischen Vernichtung der Minderheiten" (Prof. Anton Pelinka) aufgeben und einen Minderheitenschutz einführen.
 

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