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An die
Tagungsteilnehmer
Sehr geehrte Frau Künast,
liebe Freundinnen und Freunde
von Bündnis90/Die Grünen,
Wir nutzen Ihren Südtirol-Besuch für einen Appell zugunsten festgeschriebener Minderheitenrechte in der EU-Grundrechtecharta. Im Auftrag der Europäischen Union arbeitet ein Konvent unter dem Vorsitz des ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Roman Herzog an einer Grundrechtecharta der EU.
Unsere Menschenrechtsorganisation (von der UN anerkannte NGO mit Beobachterstatus im UN-Wirtschafts- und Sozialbeirat) hatte am 27. April bei der Anhörung vor dem Konvent im Europäischen Parlament in Brüssel für die Aufnahme von Minderheitenrechte in der Grundrechtecharta geworben. Eine ähnliche Stellungnahme hat die GfbV bereits auf der öffentlichen Anhörung durch die Europaausschüsse von Deutschem Bundestag und Bundesrat am 5. April in Berlin vorgelegt. In Deutschland hat sich die GfbV im Rahmen des Forums Menschenrechte, eines Netzwerkes von 40 Nichtregierungs-Organisationen auch für die EU-weite Sicherung des Grundrechtes auf Asyl und die Aufnahme der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte in der Grundrechtecharta ausgesprochen.
Nach unserem Dafürhalten ist ein EU-Rechtsschutz für die sprachlichen und ethnischen Minderheiten mehr als notwendig. Die EU muß sich Förderung der Minderheitensprachen zu ihrer Aufgabe machen. Bislang hat sie aber noch kaum Konsequenzen aus ihrer 1966 veröffentlichten Studie "euromosaic" gezogen, nach der von 46 Minderheitensprachen fast die Hälfte unterzugehen droht. Dieser Prozeß des Sprachensterbens bedeutet für Europa eine kulturelle Verarmung. Mit der Zeit könnte er auch die "kleineren Staatssprachen" erfassen.
Wir appellieren an Sie, Frau
Künast und an die deutschen Grünen, Druck zu machen, dass der
Konvent den vorliegenden dürftigen Charta-Entwurf abändert. Eine
Möglichkeit der ergänzenden Abänderung bietet das Diskriminierungsverbot,
das folgendermaßen ergänzt werden könnte:
"Angehörige von Gruppen,
die faktisch benachteiligt werden, sollen besonders gefördert werden".
In diesem Sinne schlagen wir auch vor, anlehnend an Artikel 27 des Internationalen
Pakts über die bürgerlichen und politische Rechte, einen Artikel
zum Schutz aller sprachlichen und ethnischen Minderheiten einzufügen:
"Anhörige von sprachlichen
oder ethnischen Minderheiten haben das Recht, gemeinsam und öffentlich
ihre eigene Sprache zu gebrauchen und ihre eigene Kultur zu pflegen".
Eine solche Forderung ist auch in der Erklärung und im Aktionsprogramm der UN zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung enthalten. In der Grundrechtecharta sollte aber auch ein Zeichen sichtbar werden gegen Völkermord, Massenvertreibung und andere schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Grundrechtecharta soll sich in dieser Frage an die UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes (die im Bewußtsein des millionenfachen Judenmordes durch NS-Deutschland geschaffen wurde) anlehnen.
Zusätzlich zum politischen
Handlungsziel (angesichts des Völkermordes an den bosnischen Muslimen
und der anhaltenden Massenvertreibung im Kosovo - erst der Albaner und
heute der Serben sowie der Roma) muß ein individueller Schutz vor
Vertreibung in der Grundrechtecharta festgeschrieben werden:
"Die EU setzt sich für
die Verhütung bzw. Beendigung und Strafverfolgung von Angriffskrieg,
Völker- und Sozialschichtenmord, Massenvertreibung und anderen schweren
Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein".
Ergänzt werden sollte
diese Formulierung mit einem Artikel Vertreibungsverbot:
"Jede Person hat das Recht,
in Frieden, Sicherheit und Würde an ihrer Wohnstätte, ihrem Heimatgebiet
und in ihrem Land zu bleiben oder dorthin zurückzukehren".
Mit Verwunderung stellen wir fest, daß das rot-grüne Deutschland bisher sich dagegen gesträubt hat, die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker zu ratifizieren. Noch vor wenigen Jahren haben sich sowohl die SPD als auch die Grünen für die Ratifizierung ausgesprochen. Wo bleibt das grüne Engagement für Menschenrechte? Vergessen Sie die Staatsräson und drängen Sie die Regierung, die ILO-Konvention 169 endlich zu ratifizieren.
Unverständlich bleibt auch das Zögern Deutschlands, dem UN-Strafgerichtshof in Rom beizutreten. Warum dieses Innehalten des rot-grünen Deutschlands? Auch hier unsere Bitte, die Ratifizierung endlich anzugehen.
Für die GfbV-Südtirol
Mauro di Vieste
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