Ungarn setzt seine Verdienste im 
Minderheitenschutz aufs Spiel
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Bozen, den 13. Oktober 1999

Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat dem stellvertretenden Aussenminister der Republik Ungarn, Zsolt Nemet, dem Leiter des Amtes für ungarische Minderheiten, Tibor Szabo, sowie dem Regierungsberater Jozsef von Komlossy, einen Brief übergeben, in dem die Sorge um die Zukunft der Minderheiten in Ungarn zum Ausdruck gebracht wurde. Die GfbV hob hervor, daß Ungarn zu den wenigen Staaten in Europa zähle, die dem Minderheitenschutz einen Verfassungsrang eingeräumt haben. Mit einem überwältigendem Votum hatte das ungarische Parlament 1993 außerdem beschlossen, den 13 anerkannten alteingesessenen Sprachgruppen Selbstverwaltungskörperschaften zuzuerkennen. Angehörige der polnischen, bulgarischen, deutschen, griechischen, kroatischen, rumänischen, serbischen, slowakischen, slowenischen und ukrainischen Sprachgruppen und der Roma haben in der Folge ihre lokalen Selbstverwaltungen gewählt.

Leider hat die Republik Ungarn die Selbstverwaltungskörperschaften der Sprachgruppen aber nur zu gleichberechtigten Partnern der Gemeindeverwaltungen gemacht. Damit folgt Ungarn dem schlechten Beispiel seines Nachbarlandes Österreich. Auch die österreichische Bundesregierung hat so wesentliche Fragen wie zweisprachige Kindergärten, Ortsnamen und Amtssprachen in den Bundesländern Burgenland und Kärnten den Gemeinden übertragen. Die meisten Gemeinden boykottieren jedoch die Verfassungsvorgaben.

Laut ungarischem Gesetz müssen die Gemeinden die Selbstverwaltungskörperschaften der Sprachgruppen finanzieren. Die chronisch finanzschwachen ungarischen Gemeinden haben aber dafür offensichtlich nicht das Geld. Damit bleibt die lokale und regionale Selbstverwaltung auf der Strecke, die Sprachgruppen können mangels Geld weder ihre Kultur pflegen noch Schulen in ihren Muttersprachen unterhalten. Die vom Gesetz anerkannten Minderheitenkörperschaften als staatsbildende Faktoren verkommen zur Farce.

Genauso bleibt Artikel 68 der ungarischen Verfassung unerfüllt, der u.a. den Gebrauch der Sprachen der Minderheiten garantiert, solange der öffentliche-rechtliche Rundfunk sich strikt weigert, diesen Verpflichtungen nachzukommen. Die ungarische Regierung hat erklärt, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine Auflagen machen zu wollen. Auch in diesem Fall argumentiert die ungarische Regierung wie jene Österreichs. Dies ist jedoch eine Ausrede, denn im zuständigen Rundfunkkuratorium, dem entscheidenen Organ, sind die Regierungsparteien mehrheitlich vertreten.
Die neue Minderheitenpolitik stockt. Schon 1992 hat der Verfassunsgerichtshof kritisiert, daß die laut Minderheitengesetz vorgesehenen 13 garantierten Parlamentsmandate für die Sprachminderheiten noch immer fehlen. 1997 hat der vom Parlament gewählte Ombudsmann für die Minderheiten in seinem Bericht bemängelt, daß das Gesetz zur parlamentarischen Vertretung der Minderheiten aussteht. Die großen Parteien scheinen wenig Interesse daran zu haben.

Noch viel gravierender ist die Lage der Roma. Das Roma Press Center in Budapest hat beklagt, daß die zuständigen Ministerien die von der Regierung 1997 beschlossenen Maßnahmen im Bildungbereich, zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Wohnungslage kaum umsetzen. Außerdem fehlen nach wie vor die finanziellen Mittel.

Das Roma Press Center hat zudem festgestellt, daß Roma im Bildungswesen, am Arbeitsplatz, bei der Wohnungssuche und vor Gericht massiv diskriminiert werden. Politiker verbreiten ungeniert und ungestraft rassistische Parolen, Skinheads prügeln und morden Roma, die Gerichte verfolgen kaum die Verletzung der vom Gesetz garantierten Gleichheit der Roma.

Damit ist Ungarn leider auf dem Weg, seine erworbenen und international anerkannten Verdienste um die Anerkennung der Minderheiten und deren Rechten aufs Spiel zu setzen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker ist davon überzeugt, daß dies nicht dem politischen Willen der ungarischen Regierung entspricht und bittet diese deshalb, mit grossen Schritten auf die Minderheiten des Landes zuzugehen.
 

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