450 Roma flüchten aus Lager
im Kosovo vor albanischen Extremisten
GfbV erhebt schwere Vorwürfe
gegen KFOR und UNHCR |
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Bozen, Göttingen, den
23. September 1999
Unter Lebensgefahr sind rund 450 Roma und
Aschkali nach Informationen der Gesellschaft für bedrohte Völker
(GfbV) aus dem vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR
errichteten Lager Krusevac bei Obilic im Kosovo zur mazedonisch-kosovarischen
Grenze geflohen. "Die Busse der 87 Familien mit rund 100 Kindern wurden
während der Fahrt von Obilic über Pristina nach Blace mehrfach
von albanischen Steinewerfern angegriffen", berichtete ein GfbV-Mitarbeiter
am Donnerstag aus dem Kosovo. Mit einem Hammer sei einem der Flüchtlinge,
die sich zu Zeit in einer stillgelegten Zementfabrik aufhalten, von einem
albanischen Extremisten der Kopf aufgeschlagen worden. GfbV-Mitarbeiter
hätten den Mann zu einem albanischen Krankenhaus gebracht, seien jedoch
abgewiesen worden. Schließlich sei ihnen von russischen Medizinern
geholfen worden. "Diese Massenflucht haben die Führung der britischen
KFOR-Einheiten sowie der UNHCR zu verantworten", erklärte der Präsident
der GfbV International, Tilman Zülch, der Mitte August persönlich
in dem Lager war. "Sie haben die Sicherheit der bedrohten Minderheitenangehörigen
völlig vernachlässigt und die Flüchtlinge ungenügend
betreut. Jetzt könnte es unter den noch etwa 20.000 im Kosovo verbliebenen
Roma und Aschkali Panik ausbrechen. Ohne dass KFOR-Truppen entschieden
zugunsten der Verfolgten eingreifen, machen albanische Extremisten, unter
ihnen ungezählte UCK-Kader und -Angehörige, tagtäglich Jagd
auf Angehörige dieser Minderheiten."
Erhebliche Teile der kosovo-albanischen Bevölkerung
tolerierten und entschuldigten diese Menschenjagd. In den letzten drei
Monaten seien etwa 80% der Roma und Aschkali aus dem Kosovo vertrieben
worden. "Die Zustände im Lager Krusevac, das Ende Juli auf extrem
verseuchten Boden nahe bei dem Kohlekraftwerk Obilic A /Pristina errichtet
wurde, waren von Anfang an katastrophal"; berichtete Zülch. "Die Schutzsuchenden
mussten in ständiger Angst vor Übergriffen im Lager ausharren."
Vor drei Tagen lebten dort noch 1.254 Roma und Aschkali aus 29 überwiegend
zerstörten und geplünderten Dörfern und Stadtteilen der
beiden Volksgruppen. Die medizinische Betreuung im Lager sei völlig
unzureichend. Mehrfach mussten GfbV-Mitarbeiter nachts schwerkranke Kinder
in Krankenhäuser überführen, wurden abgewiesen, bis sie
schließlich in einem Lazarett Aufnahme fanden. Unzumutbar seien auch
die hygienischen Bedingungen. Die Nahrungsmittelversorgung sei mehr als
kärglich und reicht gerade für das nackte Überleben. Ein
GfbV-Mitarbeiter lebt ständig in dem Lager, schreibt Angaben der Flüchtlinge
über ihre Vertreibung und die Zerstörung ihres Eigentums nieder
und überprüft sie vor Ort. "Es ist mittlerweile die Regel, dass
alle zwei bis drei Tage ein große Gruppe zum Teil maskierter Albaner
an den Zaun oder sogar durch den nicht umzäunten hinteren Teil des
Lagers kommt und droht: 'Wir schneiden euch den Hals durch, machen euch
kalt, wenn ihr nicht von hier verschwindet'", berichtet der GfbV-Mitarbeiter
aus dem Lager. "Sie wollen endgültig alle Roma und Aschkali aus dem
Kosovo vertreiben. Es kommt zu schweren Ausschreitungen. Imri Muja wurde
am 30. August von etwa 20 Albanern in der Nähe des Lagers mit Knüppeln
so schwer zusammen geschlagen, dass er sofort behandelt werden musste.
Doch im Krankenhaus von Pristina wurden ihm und seinem Fahrer massiv Schläge
angedroht, wenn sie nicht sofort wieder verschwinden würden." Nur
im Lazarett im fünf Kilometer entfernten Kosovo Polje würden
Roma und Aschkali relativ problemlos behandelt. Alle anderen Krankenhäuser
im Kosovo sträubten sich, Angehörige dieser Minderheiten aufzunehmen.
Zwei UN-Polizisten seien rund um die Uhr im Lager. Sie seien unbewaffnet,
hätten aber ein Funkgerät, mit dem sie zur Not die KFOR anfordern
können. Doch sie würden nach eigenen Aussagen "sofort verschwinden",
wenn Albaner bewaffnet in das Camp eindringen sollten. "Auf den Zelten
hat sich eine fast fünf Millimeter dicke Schicht Rußstaub aus
dem nur zwei Kilometer entfernten Kraftwerk A abgesetzt", beschreibt der
GfbV-Mitarbeiter die Situation. "Am Morgen steigen Dämpfe aus dem
Schlackeberg, auf dem das Camp errichtet ist. Täglich kommt zwar eine
albanische Ärztin, doch diese verteilt nur einfache Schmerzmittel.
Der sechs Monate alte Säugling Silvana Gashi starb. Der UNHCR reagierte
nicht auf meinen Hilferuf über Funk. Es kam kein Wagen. Die UN-Polizei
lehnte den Transport in ein Krankenhaus ab. Zwei Frauen verloren ihre ungeborenen
Kinder: H.R. war im sechsten Monat schwanger und klagte tagelang über
Kälte und Schmerzen. Die Ärztin konnte nichts feststellen. Am
Tag darauf wurde H.R. in das Lazarett nach Kosovo Polje gebracht. In einer
Notoperation konnte ihr Leben, aber nicht das des Kindes gerettet werden.
Die schwangere N.K. habe ich selbst ins Krankenhaus von Pristina gefahren.
Ihr Kind war tot, sie liegt immer noch im Krankenhaus. Auch S.H. ist tot.
Der 79-jährige hatte tagelang über die Kälte geklagt. Bald
kommt der erste Frost, dann werden sich Krankheitsfälle häufen."
Im Lager gebe es nicht nur unzählige Mäuse, sondern auch sehr
große Ratten, die nachts in den Zelten herumlaufen.
Die Kakerlaken vermehrten sich stark. Die WC-Kabinen
könnten zum Teil nicht mehr benutzt werden, weil sie nicht oft genug
geleert werden. Es seien zwar Duschkabinen vorhanden, aber kein warmes
Wasser. Trinkwasser komme aus 10.000 Liter-Zisternen, die nur unregelmäßig
wieder aufgefüllt werden. Wie die Wasserversorgung bei den in Kürze
erwarteten ersten Nachtfrösten sicher gestellt werden solle, sei unklar.
Mehl und Öl würden ausreichend geliefert. "Nachdem Tilman Zülch
im Lager war, und im Hauptquartier des UNHCR in Pristina, gibt es auch
ein Mal pro Woche Milchpulver für die Kinder, alle drei Wochen Rindfleisch,
fünf Kilo Mehl pro Kopf für 14 Tage und drei Mal in der Woche
Obst, d.h. harte unreife Äpfel und Birnen", schildert der GfbV-Beobachter.
"Bis auf eine einmalige Lieferung von gebrauchten Schuhen nach einer längeren
Regenperiode haben die Flüchtlinge sonst nichts erhalten. Wochenlang
mussten sich jeweils mehrere Familienangehörige eine Matraze teilen,
es gab nicht ausreichend Decken und es wurden keine Windeln für die
Säuglinge und Neugeborenen geliefert."
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di Vieste