Offener Brief
An die Innenminister der EU-Staaten
Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo brauchen Zuflucht in Westeuropa
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Bozen, Göttingen, den 5. August 1999
Sehr geehrter Herr Minister,

mit großer Besorgnis haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß die offizielle Haltung der italienischen Regierung gegenüber Roma-Flüchtlingen aus dem Kosovo zunehmend restriktiver wird. Nach unseren Informationen wurden weit über Tausend Betroffene in den vergangenen Wochen in der Adria von der italienischen Küstenwacht aufgegriffen und anschließend in Auffanglagern untergebracht. Wie wir der Presse entnommen haben, wurde ihnen neuerdings die Abschiebung angedroht.

Sollte diese Ankündigung wahrgemacht werden, würden die Betroffenen in eine gänzlich ausweglose Lage gezwungen: Im Kosovo kollektiv verfolgt und vertrieben, sind sie in Serbien-Montenegro außerhalb der überfüllten und bitterarmen Roma-Siedlungen nicht willkommen. Tausende Roma, die in Serbien Zuflucht suchten, wurden wieder in den Kosovo zurückgeschickt, wo inzwischen mehrere Flüchtlingslager speziell für Kosovo-Roma entstanden sind. Eine absurde Situation: Kosovo-Roma als Flüchtlinge im eigenen Land, ohne Perspektive auf irgendeine Lösung. Nach Albanien zu fliehen, kommt für die Roma nach allem, was sie im Kosovo erleben mußten, verständlicherweise nicht in Frage.

Dabei sind Roma während des Krieges im Kosovo ebenso wie die Albaner Opfer von Verfolgung und Vertreibung gewesen. Auch wenn Roma in Einzelfällen mit serbischem Militär zusammengearbeitet und punktuell an Plünderungen teilgenommen haben, trifft dies auf keinen Fall kollektiv auf die Roma im Kosovo zu. Diejenigen, die der Vorwurf der Kollaboration trifft, sind vielfach dazu brutal gezwungen worden: So wissen wir von Roma, die albanische Opfer serbischer Massaker verscharren und vereinzelt sogar Leichen ihrer albanischen Mitbürger schänden mussten. Jetzt müssen die Roma kollektiv büßen: Sie werden bedroht, mißhandelt, drangsaliert und aus ihren Siedlungen vertrieben. Ihre Häuser werden in Brand gesetzt und geplündert. Frauen werden vergewaltigt. Auch zu Morden an Roma ist es bereits gekommen. Die Liste der Übergriffe, die die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) seit mehreren Wochen führt, muss täglich mit der Dokumentation neuer brutaler Vorfälle ergänzt werden.

Die Roma des Kosovo stehen jetzt zwischen zwei Fronten. Dass einige Betroffenen bemüht sind, sich ihrer verzweifelten Lage durch Flucht ins westliche Ausland zu entziehen, ist nur zu verständlich. Roma haben kein „Vaterland“, das für sie zuständig wäre. In Serbien sind sie unerwünscht, und sie wissen keine weitere Alternative. Die westlichen Staaten – selbstverständlich nicht nur Italien – sollten sich durch diese Notsituation aufgerufen fühlen, wenigstens den am stärksten gefährdeten Betroffenen Zuflucht anzubieten: den Frauen mit kleinen Kindern und alten, kranken und behinderten Menschen. Die Belastungen sollten aufgeteilt werden, indem die europäischen Länder ebenso wie während des Krieges Aufnahmekontingente festlegen.

Daher richten wir an Sie folgenden eindringlichen Appell:

Bitte

Den übrigen EU-Ländern werden wir entsprechende Appelle zuleiten.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Andreas Selmeci
i.V. des Bundesvorsitzenden
 

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