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Markt, Macht und Monopole
EU-Grundrechtscharta für eine kosequente Menschenrechtspolitik nutzen!
Thomas Fiedler, Inter Citizens Conferences (ICC)
Ute Hausmann, FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk e.V. (FIAN)
Gesellschaft für bedrohte Völker Logo
Bozen, 28.2.2002

Zum Abschluss der französischen EU-Ratspräsidentschaft haben die Regierungschefs der Mitgliedstaaten in Nizza über die Grundrechtscharta und über institutionelle Reformen entschieden. Bei diesem Gipfel waren auch soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor Ort und haben mit Demonstrationen und Aktionen versucht, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihre Forderungen und kritischen Einwände lenken. Denn die Europäische Union steht in den kommenden Jahren vor entscheidenden Weichenstellungen, die zwingend erfordern, dass das bisherige Entscheidungsverfahren mit der ihm eigenen Intransparenz und Nichtöffentlichkeit durch demokratisch legitimierte Entscheidungswege ersetzt wird. So verhandelten die Mitglieder der sogenannten Regierungskonferenz hinter verschlossenen Türen über Möglichkeiten institutioneller Reformen, um die Union für die Osterweiterung aufnahmefähig zu machen. Die Osterweiterung wird die Natur der Europäischen Union grundlegend verändern. Es ist an der Zeit, dass die Bürgerinnen und Bürger endlich diesen Prozess mitgestalten können. Dazu gehört neben der aktiven Mitgestaltung auch die Möglichkeit, die “Notbremse ziehen” zu können. Deshalb müssen die anstehenden Reformdebatten öffentlich und unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger geführt werden.

Konvent als Innovation
Mit dem Konvent zur Ausarbeitung der Grundrechtscharta hat die Union zum ersten Mal ein Gremium geschaffen mit dem Anspruch, transparent und partizipativ zu arbeiten. Damit wurde auf europäischer Ebene eine neue Arbeitsweise konstituiert, welche die gewohnten Geheimverhandlungen von Spitzenbeamten durch eine öffentliche Verhandlung ersetzt. Im Konvent diskutierten nicht nur Regierungsvertreter, sondern auch Parlamentarier aus dem Europäischen Parlament und aus den nationalen Parlamenten. Es bestehen keine Zweifel, dass der Konvent in seiner Arbeitsform innovativer war als jedes andere Gremium in der EU. In Nizza wurde über weitere Schritte zur Ausgestaltung eines Verfassungsvertrages beraten. Hier geht es zunächst darum, das Verfahren für einen verfassungsgebenden Prozess festzulegen. Dieser muss sich qualitativ von der Form der Regierungskonferenz unterscheiden. Auch die Einberufung einer Expertenkommission kann nicht den Ansprüchen gerecht werden, die an ein solches Verfahren gestellt werden müssen. Der Konvent wird hier als Vorbild gehandelt. Gerade deshalb ist es angebracht, einen kritischen Blick darauf zu werfen, inwieweit er den Ansprüchen nach Transparenz und Partizipation gerecht werden konnte. Zudem müssen aus den gemachten Erfahrungen Konsequenzen für das Prozedere in einem möglichen Verfassungsprozess folgen.

Transparenz und Öffentlichkeit
Der große Fortschritt in bezug auf Transparenz bestand im Konvent darin, dass eine Internetseite (Linkhttp://ue.eu.int) eingerichtet wurde, auf der die verschiedenen Stadien des Chartaentwurfs verfolgt werden konnten. Ebenfalls auf dieser Seite wurden die Kommentare von Konventsmitgliedern und von staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen veröffentlicht. Unter der Voraussetzung, dass man von der Existenz der Seite wusste, die Adresse der Internetseite kannte und Zugang zu Internet hatte, hatte also jede und jeder die Möglichkeit, den Prozess zu verfolgen. Ein solcher Umgang mit Dokumenten in bezug auf die Verhandlungen um die institutionellen Reformen käme einer Revolution gleich. Der Zugang zu Dokumenten erfüllt allerdings nur einem Aspekt der Forderung nach Transparenz. Um der Entwicklung der Diskussion folgen und sich beteiligen zu können, ist die Transparenz im Verfahren von ebenso großer Bedeutung. So wunderten sich bisweilen selbst Konventsmitglieder über die Veränderungen von einem Chartaentwurf zum nächsten. Die besondere Stellung des Präsidiums und der Zwang, sehr schnell zu konkreten Ergebnissen kommen zu müssen, führte zu einer Undurchschaubarkeit bei manchen Entscheidungen. Der Zeitdruck stellte auch an die beteiligten NGOs und ihre begrenzten Ressourcen höchste Anforderungen. Die Bearbeitung der verschiedenen Entwürfe und daraus abzuleitende neue Stellungnahmen konnte nur von wenigen Organisationen geleistet werden und führte so zum Ausschluss aus dem Arbeitsprozess für viele Interessierte.

Auch die Tatsache, dass die Sitzungen des Konvents öffentlich waren, ist eine bedeutende Neuerung. Die Möglichkeit, an den Sitzungen teilzunehmen, wurde viel genutzt, allerdings vor allem von Mitgliedern der in Brüssel ansässigen Lobbyorganisationen. Was fehlte waren Fernseh- und Rundfunkübertragungen, die den Bürgern überall in Europa die Gelegenheit gegeben hätten, die Diskussionen zu verfolgen. In der Öffentlichkeit blieb das Thema lange Zeit unbekannt. Die Presse hat sich erst sehr spät für das Thema interessiert. Zu dem Zeitpunkt, als in den deutschen Zeitungen insbesondere die Wissenschaftler sich zu Wort meldeten, war die Charta schon fast fertig. Neun Monate lang hat der Konvent an der Charta gearbeitet. Dem konventsinternen Verhandlungsprozess hat dieses enge Zeitkorsett sicher geholfen. Um in diesem Zeitrahmen aber auch eine öffentliche Debatte zu führen, hätte das Thema schneller und konsequenter in die Öffentlichkeit getragen werden müssen.

Es bleibt außerdem die Frage, wie europäische Themen am besten vermittelt werden können. In der Berichterstattung über die Grundrechtscharta wurde zum Beispiel nur selten die Frage angeschnitten, wie diese Entwicklung in der EU sich auf die Erfahrungswelt der Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Auch hat man praktisch nichts darüber erfahren, wie die Charta in andern Ländern diskutiert wurde. Eine europäische Öffentlichkeit, die nicht nur aus der Summe der nationalen und eingeschränkten Medienberichterstattung erwächst, sondern transnationale Foren bietet, in deren Rahmen Entwürfe für künftige Integrationsprozesse diskutiert werden können, bleibt eine Aufgabe für die Zukunft. Solange es diese europäische Öffentlichkeit nicht gibt, muss zumindest die nationale Öffentlichkeit für europäische Themen gestärkt werden.

Partizipation auf europäischer Ebene
Neben Transparenz hatte sich der Konvent insbesondere die Partizipation der Zivilgesellschaft als Ziel gesetzt. Auch hier zeigt sich ein großer Unterschied zu den üblichen Verfahren in der EU. Gleichzeitig wird deutlich, vor welchen Herausforderungen die EU steht, will sie Partizipation langfristig stärken. Durch die Einbeziehung von NGOs wurde ein Fortschritt erreicht. Sie konnten neben Institutionen der Wissenschaft und den üblicherweise beteiligten gesellschaftlichen Großorganisationen an den Anhörungen auf nationaler und europäischer Ebene teilnehmen. Dabei waren Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen und andere Akteure der Zivilgesellschaft aus allen Mitgliedstaaten als Dialogpartner eingeladen. Anhörungen nationaler Parlamente waren ein wichtiger Beitrag zur Rückbindung des europäischen Arbeitsprozesses an eingespielte länderspezifische Beteiligungsstrukturen. Beim Konvent in Brüssel gingen über 200 Vorschläge ein und wurden im Internet in verschiedenen Sprachen veröffentlicht; mehr als 60 Organisationen hatten bei einer Anhörung Gelegenheit, in 5-Minuten-Statements ihre Vorstellungen zu äußern. Die Auswahl für Hearing und Internetpräsentation blieb dabei dem Zufall und der jeweiligen Initiative überlassen. Das Sekretariat des Konvents war offensichtlich überlastet mit dem Verfahren, das sich als ebenso offen wie beliebig gestaltete. Wollten NGOs wirklich Einfluß ausüben, waren sie aufgrund fehlender Verfahrensregeln auf klassische Lobbyarbeit angewiesen. Abhängig von vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen in Brüssel und unterschiedlich verfügbarer Zugänge und Kommunikationskanäle wurde Einfluß direkt auf Konventsmitglieder ausgeübt. Der Konvent als zuständiges Gremium hatte mit Ausnahme der Anhörung auf eine Strukturierung des Beteiligungsprozesses verzichtet. In Zukunft muss sich zivilgesellschaftliche Beteiligung qualitativ unterscheiden von professioneller Lobbyarbeit, wie sie auch von Großkonzernen und Industrieverbänden betrieben wird. Die Arbeit von NGOs kann das Expertenwissen von engagierten Bürgern in den Prozess der Entscheidungsvorbereitung einspeisen, für politische Beteiligung müssen neue Verfahren erst noch entwickelt werden. Dieser Dialog zwischen den Unionsbürgern und europäischen Institutionen ist nur ein Teilbereich europäischer Öffentlichkeit und bleibt Gestaltungsaufgabe für die Zukunft.

Legitimation durch Referendum?
Mit der feierlichen Verabschiedung der Grundrechtecharta durch die Regierungen in Nizza ist der Prozess damit nicht abgeschlossen. Als nächster Schritt muss die Grundrechtscharta in die Europäischen Verträge übernommen werden. Nur so wird die Charta rechtsverbindlich und einklagbar. Da der Konvent nicht das Mandat hatte, über eine Aufnahme in die Verträge zu entscheiden, gibt es nun im wesentlichen drei Möglichkeiten, eine Entscheidung herbeizuführen. Die erste Möglichkeit ist die in der EU übliche. Dabei entscheiden die Regierungen im Rahmen einer Vertragsrevision über die Aufnahme der Charta in die Verträge und anschließend erfolgt die Ratifikation durch den Beschluss in den nationalen Parlamenten. Die zweite und dritte Möglichkeit besteht in der Durchführung von Referenden, entweder durch nationale oder durch ein europaweites Referendum. Die Durchführung von nationalen Referenden steht in einigen Mitgliedstaaten der EU, wie Dänemark oder Frankreich, regelmäßig auf der Tagesordnung, wenn die Europäischen Verträge nach Änderungen erneut ratifiziert werden. In Deutschland müssten für ein solches Referendum zunächst die gesetzlichen Möglichkeiten geschaffen werden. Die Bundesregierung ist gefordert, dies bei der Umsetzung von Regelungen direkter Demokratie zu berücksichtigen, die im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurden. Ein Vorschlag zielt darauf, im Jahre 2004 im Kontext der Wahlen zum europäischen Parlament ein europaweites Referendum durchzuführen. Die Legitimation stiftende Wirkung eines Referendums zur Grundrechtscharta, die als Präambel eines künftigen Europäischen Verfassungsvertrages dienen soll, wird von den Politikern hoch geschätzt. Eine Abstimmung und die erhoffte mehrheitliche Annahme durch den Souverän, so die Idee, würde eine europäisch Identität entwickeln und die Bürger könnten sich mit dem Projekt verbindenden. Wenn aber mit einem solchen Referendum nur Akzeptanz für vorher von oben gefällte Entscheidungen angestrebt wird, ohne für die Zukunft ein europäisches Initiativrecht vorzusehen, wird es als Machtmittel der Regierungen instrumentalisiert und seiner Wirkung beraubt.

Mehr Demokratie
Bis zu ihrer Aufnahme in die Verträge stellt die Grundrechtscharta vor allem eine Willenserklärung der Regierungen dar. Ein Blick auf die in der Charta enthaltenen Rechte zeigt, dass der Willen zu mehr Demokratie in der EU äußerst begrenzt ist. Forderungen von NGOs nach neuen demokratischen Formen haben in der Grundrechtscharta keinen Eingang gefunden. Als einzige Möglichkeit zu demokratischer Beteiligung ist in der Charta das aktive und passive Wahlrecht vorgesehen. Dagegen ist nicht nur die Diskussion in Deutschland über ein Mehr an Demokratie weiter entwickelt. Auch in Schweden und Frankreich wird sehr intensiv über Partizipation, über die Möglichkeiten politischer Teilnahme gesprochen. Der Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, das Recht auf Information, Kommunikation und Konsultation im Prozess politischer Entscheidungsfindung wurde in der Charta nur unzureichend berücksichtigt. Bislang wurde nur der Machtverlust nationaler Parlamente und der gleichzeitige Kompetenzzuwachs europäischer Exekutiven, vor allem des Europäischen Rates, beklagt. Demokratische Reformen auf dieser transnationalen Ebene sind kaum erkennbar. In Nizza standen die institutionellen Fragen im Vordergrund. Der Knackpunkt in den Diskussionen besteht im Moment darin, ob Mehrheitsentscheidungen im Europäischen Rat in Zukunft die Regel sein werden. Insbesondere die kleinen Staaten haben Angst, so jeden Einfluss auf Entscheidungen in Brüssel zu verlieren. Das Grundproblem liegt aber weniger in der Entscheidungsform im Europäischen Rat, sondern vielmehr darin, dass der Europäische Rat weiterhin die Entscheidungsmacht hat, und das Europäische Parlament ein Schattendasein führt. So verwundert es kaum, dass die Sitzverteilung in der Europäischen Kommission nach der Osterweiterung eine wichtigere Rolle spielt als die Frage, wie und ob in Zukunft 700 Europaparlamentarier die dann fast 400 Millionen Unionsbürger repräsentieren können. Dieses Vertretungsprinzip erreicht schon heute eine kritische Grenze. Die neue Diskussion über Good Governance, die von den Exekutiven und administrativen Institutionen geführt wird, ist nur ein deutlicher Hinweis auf bestehenden Reformbedarf. Europa braucht aber nicht nur eine ergebnisorientierte Politik, sondern vor allem eine lebendige Demokratie, in der Entscheidungsprozesse transparenter und bürgernäher gestaltet werden. Der Beitrag, den zivilgesellschaftliche Akteure bereits leisten, beschränkt sich nicht auf die Vertretung partieller Interessen, sondern ist auch ein wichtiger Bestandteil der politischen Willensbildung der Bürger. Auf diese Weise werden politische Kultur und die Entwicklung europäischer Identität gefördert. Dass die Europäische Union diesbezüglich erst am Anfang einer Entwicklung steht sollte nicht entmutigen. Wie aber die Mitgliedstaaten mit dieser Herausforderung umgehen, wird in den Beitrittsländern und auch international von großer Bedeutung sein. Das Gelingen des politischen Projektes Europa, das mit der bevorstehenden Verfassungsdebatte gefördert werden kann, ist für die Zukunftsfähigkeit der Union von entscheidender Bedeutung.

Soziale Rechte als Prüfstein
Legitimation ergibt sich zum einen durch die Form der Entscheidungsfindung. Ebenso wichtig sind aber auch die konkreten Ergebnisse von Politik, die sich an den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit messen lassen müssen.
Obwohl Europa immer reicher wird, wächst die Zahl der Armen. In der EU leben heute etwa 69 Millionen Menschen unter der von der Europäischen Kommission festgelegten Armutsgrenze. Während heute Tausende Menschen auf der Straße leben, steigt jedoch auch die Zahl der Einkommensmillionäre.
Zum politischen Thema wird Armut heute nur dann, wenn sie sich in politischer Radikalisierung äußert, und somit als Gefahr begriffen wird. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist aber auch eine menschenrechtliche Aufgabe, zu der sich die europäischen Staaten in zahlreichen internationalen Abkommen verpflichtet haben. Dazu gehören der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte ebenso wie die Sozialcharta des Europarats oder die Kinderrechtskonvention. Mit diesen Abkommen haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, das Prinzip der Unteilbarkeit der Menschenrechte in ihren Ländern umzusetzen. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Verteilungsgerechtigkeit, denn zu den menschenrechtlichen Verpflichtungen gehört die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung ebenso wie die Sicherung und Mehrung des allgemeinen Lebensstandards.
Das Ziel von Politik, ob auf nationaler oder europäischer Ebene, ist die Herstellung der Bedingungen von Freiheit und Gerechtigkeit. In der EU dominiert jedoch seit Jahren eine neoliberale Denkweise, welche das Eigentum und die unternehmerische Freiheit über die soziale Gerechtigkeit stellt. Soziale Aspekte werden nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erörtert. Um Armut und ihre Ursachen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, zu reduzieren, müssen aber gezielt die strukturellen Ursachen für den Mangel an Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen abgebaut werden. Das heißt auch, dass soziale Leistungen nicht als Almosen gesehen werden dürfen, sondern als ein Weg zur Verwirklichung von sozialen ebenso wie politischen Menschenrechten.
Mit der Grundrechtscharta hat die EU zum ersten Mal die Unteilbarkeit der Menschenrechte auch für ihre eigene Politik anerkannt. Dabei war die Aufnahme sozialer Rechte in die Grundrechtscharta lange Zeit umstritten. Dass zumindest ein Rumpf an sozialen Rechten nun Eingang in die Charta gefunden hat, ist vor allem auf die Hartnäckigkeit der sozialen NGOs und der Menschenrechtsorganisationen zurückzuführen. Durch die Annahme der Charta sind die Regierungen nun den langjährigen Forderungen der NGOs nach der Anerkennung der Unteilbarkeit nachgekommen. Diese Anerkennung wird sich in den kommenden Jahren in der politischen Praxis beweisen müssen. Die Herausforderung vor der die EU steht, und an der sie gemessen werden wird, ist es, das Recht auf unternehmerische Freiheit in Einklang zu bringen mit dem in der Präambel der Grundrechtscharta verankerten Prinzip der Solidarität.

Menschenrechtspolitik als Querschnittsaufgabe
Die Aufnahme von sozialen Rechten in die Grundrechtscharta war insbesondere deshalb umstritten, da die Sozialpolitik nach Auffassung der meisten Beteiligten weiterhin im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedsstaaten liegen soll. Wer so argumentiert, missversteht aber sowohl die Natur von sozialen Grundrechten als auch die Natur der Wechselwirkungen zwischen europäischer und nationaler Politik. So leistet die nationale Sozialpolitik einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung sozialer Rechte, indem sie zum Beispiel individuelle Leistungsansprüche festlegt. Wirft man jedoch einen Blick auf die strukturellen Ursachen für den Mangel an Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen, dann wird die Bedeutung anderer Politikbereiche, wie der Wirtschafts- und Finanzpolitik, oder der Arbeitsmarktpolitik deutlich. In diesen Politikbereichen sind die Zuständigkeiten zwischen der europäischen und der nationalen Ebene aber nicht eindeutig verteilt. Gleichzeitig wirkt sich die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik auch auf die nationale Sozialpolitik aus. Aus diesem Grund muss eine europäische Menschenrechtspolitik, welche die Unteilbarkeit betont, als Querschnittsaufgabe gesehen werden, horizontal wie vertikal.
Dies wird insbesondere im Zuge der Osterweiterung von zunehmender Bedeutung sein. Denn über die zukünftige Struktur und Zuständigkeiten der Europäischen Union herrscht weiterhin keine Klarheit. Die Balance zwischen Erweiterung und Vertiefung ist noch nicht gefunden. Gerade aus menschenrechtlicher Sicht muss ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten kritisch unter die Lupe genommen werden. Ein erweiterter europäischer Markt ohne ein politisches Korrektiv wird die soziale Desintegration in Europa verstärken. Von dem Prinzip der Solidarität hätte sich die Europäische Union damit verabschiedet. Auch fällt es schwer, sich vorzustellen, wie in einem Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten eine kohärente Menschenrechtspolitik aussehen kann.
Mit der Charta wurde ein Verständnis von Menschenrechten definiert, das allen Mitgliedstaaten der Union gemeinsam ist. Für eine bessere Kohärenz in der Menschenrechtspolitik der Europäischen Union nach innen und nach außen ist dieses zum ersten mal ausformulierte gemeinsame Verständnis von essentieller Bedeutung. Gleichzeitig wird sich diese Grundlage mit zunehmender politischer Integration auch verändern müssen. Die Natur der Europäischen Union als ein politisches Gebilde, das auf Verträgen beruht, lässt diese Veränderungen zu. Die Aufnahme der Grundrechtscharta in die Verträge schließt keinesfalls aus, dass in Zukunft weitere Rechte der Menschen in der Union festgeschrieben werden. Die Grundrechtscharta hat damit das Potential, zu einem wichtigen politischen und rechtlichen Korrektiv der herrschenden europäischen Politik zu werden. Dazu gehört aber auch, dass die NGOs diese Charta für sich nutzen und sich auf das in der Charta definierte gemeinsame Menschenrechtsverständnis der Mitgliedsstaaten berufen. Die Charta ersetzt dabei nicht die internationalen Abkommen wie die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Europäische Sozialcharta. Aber sie ist ein wichtiges zusätzliches Instrument. Daher wird sie auf dem Gegengipfel der NGOs in Nizza im Mittelpunkt der Diskussion stehen und den Bezugspunkt für die Forderungen an die europäischen Regierungen darstellen.

Forderungen an die europäische Politik

Inter Citizens Conferences ist ein europäisches Netzwerk von Bürgerinitiativen zur Förderung von Bürgerbeteiligung im europäischen Integrationsprozess. 1995 haben sich Initiativen aus 10 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zusammengeschlossen, um in Workshops und Konferenzen ihre Erfahrungen mit europäischen Projekten auszutauschen und gemeinsame Kooperationsformen zu entwickeln (Linkhttp://www.europlace.org/index.html).

FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk (FIAN) ist eine internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren. FIAN wurde 1986 gegründet und hat heute Mitglieder in mehr als 50 Ländern. Das Ziel von FIAN ist es, weltweit zur Umsetzung und Überwachung der internationalen Menschenrechtsverträge und zur Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte beizutragen (Linkhttp://www.fian.de).

Kontakt:

  • Ute Hausmann, FIAN Büro Berlin, Greifswalderstr. 4, 10405 Berlin

  • Tel: 030-42809107, Fax: 030-34359731, u.hausmann@fian.de
  • Thomas Fiedler, ICC, Greifswalderstr. 4, 10405 Berlin

  • Tel: 030-20453190, Fax: 030-20455857, icc.cic@t-online.de


Siehe auch:
Für eine pluralistische Union: Minderheitenrechte gehören in die EU-Grundrechtecharta
Linkwww.gfbv.it/3dossier/costeuro-dt.html
Sprachenrechte sind Bürgerrechte. Sprachenrechte sind Menschenrechte! Eine verbindliche EU-Verfassung ist notwendig!
Linkwww.gfbv.it/3dossier/eu-min/eu-verfassung.html
Einen Regenbogen der Minderheiten. Welche Politik brauchen Minderheiten heute?
Linkwww.gfbv.it/3dossier/eu-min/regenbogen.html
Eine neue Kultur des Zusammenlebens. Minderheiten und Mehrheiten im Projekt der österreichischen Grünen
Linkwww.gfbv.it/3dossier/eu-min/oegruen.html
Das Österreichische Volksgruppenzentrum
Linkwww.gfbv.it/3dossier/oevz/oevzindex.html
Initiative Minderheiten
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Burgenländisch-kroatisches Zentrum
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European Bureau for lesser used Languages (EBLUL)
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