Ute Hausmann, FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk e.V. (FIAN) |
Konvent als
Innovation
Mit dem Konvent zur
Ausarbeitung der Grundrechtscharta hat die Union zum ersten Mal
ein Gremium geschaffen mit dem Anspruch, transparent und
partizipativ zu arbeiten. Damit wurde auf europäischer Ebene
eine neue Arbeitsweise konstituiert, welche die gewohnten
Geheimverhandlungen von Spitzenbeamten durch eine
öffentliche Verhandlung ersetzt. Im Konvent diskutierten
nicht nur Regierungsvertreter, sondern auch Parlamentarier aus
dem Europäischen Parlament und aus den nationalen
Parlamenten. Es bestehen keine Zweifel, dass der Konvent in
seiner Arbeitsform innovativer war als jedes andere Gremium in
der EU. In Nizza wurde über weitere Schritte zur
Ausgestaltung eines Verfassungsvertrages beraten. Hier geht es
zunächst darum, das Verfahren für einen
verfassungsgebenden Prozess festzulegen. Dieser muss sich
qualitativ von der Form der Regierungskonferenz unterscheiden.
Auch die Einberufung einer Expertenkommission kann nicht den
Ansprüchen gerecht werden, die an ein solches Verfahren
gestellt werden müssen. Der Konvent wird hier als Vorbild
gehandelt. Gerade deshalb ist es angebracht, einen kritischen
Blick darauf zu werfen, inwieweit er den Ansprüchen nach
Transparenz und Partizipation gerecht werden konnte. Zudem
müssen aus den gemachten Erfahrungen Konsequenzen für
das Prozedere in einem möglichen Verfassungsprozess
folgen.
Transparenz und
Öffentlichkeit
Der große
Fortschritt in bezug auf Transparenz bestand im Konvent darin,
dass eine Internetseite (http://ue.eu.int)
eingerichtet wurde, auf der die verschiedenen Stadien des
Chartaentwurfs verfolgt werden konnten. Ebenfalls auf dieser
Seite wurden die Kommentare von Konventsmitgliedern und von
staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen
veröffentlicht. Unter der Voraussetzung, dass man von der
Existenz der Seite wusste, die Adresse der Internetseite kannte
und Zugang zu Internet hatte, hatte also jede und jeder die
Möglichkeit, den Prozess zu verfolgen. Ein solcher Umgang
mit Dokumenten in bezug auf die Verhandlungen um die
institutionellen Reformen käme einer Revolution gleich. Der
Zugang zu Dokumenten erfüllt allerdings nur einem Aspekt der
Forderung nach Transparenz. Um der Entwicklung der Diskussion
folgen und sich beteiligen zu können, ist die Transparenz im
Verfahren von ebenso großer Bedeutung. So wunderten sich
bisweilen selbst Konventsmitglieder über die
Veränderungen von einem Chartaentwurf zum nächsten. Die
besondere Stellung des Präsidiums und der Zwang, sehr
schnell zu konkreten Ergebnissen kommen zu müssen,
führte zu einer Undurchschaubarkeit bei manchen
Entscheidungen. Der Zeitdruck stellte auch an die beteiligten
NGOs und ihre begrenzten Ressourcen höchste Anforderungen.
Die Bearbeitung der verschiedenen Entwürfe und daraus
abzuleitende neue Stellungnahmen konnte nur von wenigen
Organisationen geleistet werden und führte so zum Ausschluss
aus dem Arbeitsprozess für viele
Interessierte.
Auch die Tatsache, dass die Sitzungen des Konvents öffentlich waren, ist eine bedeutende Neuerung. Die Möglichkeit, an den Sitzungen teilzunehmen, wurde viel genutzt, allerdings vor allem von Mitgliedern der in Brüssel ansässigen Lobbyorganisationen. Was fehlte waren Fernseh- und Rundfunkübertragungen, die den Bürgern überall in Europa die Gelegenheit gegeben hätten, die Diskussionen zu verfolgen. In der Öffentlichkeit blieb das Thema lange Zeit unbekannt. Die Presse hat sich erst sehr spät für das Thema interessiert. Zu dem Zeitpunkt, als in den deutschen Zeitungen insbesondere die Wissenschaftler sich zu Wort meldeten, war die Charta schon fast fertig. Neun Monate lang hat der Konvent an der Charta gearbeitet. Dem konventsinternen Verhandlungsprozess hat dieses enge Zeitkorsett sicher geholfen. Um in diesem Zeitrahmen aber auch eine öffentliche Debatte zu führen, hätte das Thema schneller und konsequenter in die Öffentlichkeit getragen werden müssen.
Es bleibt außerdem die Frage, wie europäische Themen am besten vermittelt werden können. In der Berichterstattung über die Grundrechtscharta wurde zum Beispiel nur selten die Frage angeschnitten, wie diese Entwicklung in der EU sich auf die Erfahrungswelt der Bürgerinnen und Bürger auswirkt. Auch hat man praktisch nichts darüber erfahren, wie die Charta in andern Ländern diskutiert wurde. Eine europäische Öffentlichkeit, die nicht nur aus der Summe der nationalen und eingeschränkten Medienberichterstattung erwächst, sondern transnationale Foren bietet, in deren Rahmen Entwürfe für künftige Integrationsprozesse diskutiert werden können, bleibt eine Aufgabe für die Zukunft. Solange es diese europäische Öffentlichkeit nicht gibt, muss zumindest die nationale Öffentlichkeit für europäische Themen gestärkt werden.
Partizipation
auf europäischer Ebene
Neben Transparenz
hatte sich der Konvent insbesondere die Partizipation der
Zivilgesellschaft als Ziel gesetzt. Auch hier zeigt sich ein
großer Unterschied zu den üblichen Verfahren in der
EU. Gleichzeitig wird deutlich, vor welchen Herausforderungen die
EU steht, will sie Partizipation langfristig stärken. Durch
die Einbeziehung von NGOs wurde ein Fortschritt erreicht. Sie
konnten neben Institutionen der Wissenschaft und den
üblicherweise beteiligten gesellschaftlichen
Großorganisationen an den Anhörungen auf nationaler
und europäischer Ebene teilnehmen. Dabei waren
Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinitiativen und andere
Akteure der Zivilgesellschaft aus allen Mitgliedstaaten als
Dialogpartner eingeladen. Anhörungen nationaler Parlamente
waren ein wichtiger Beitrag zur Rückbindung des
europäischen Arbeitsprozesses an eingespielte
länderspezifische Beteiligungsstrukturen. Beim Konvent in
Brüssel gingen über 200 Vorschläge ein und wurden
im Internet in verschiedenen Sprachen veröffentlicht; mehr
als 60 Organisationen hatten bei einer Anhörung Gelegenheit,
in 5-Minuten-Statements ihre Vorstellungen zu äußern.
Die Auswahl für Hearing und Internetpräsentation blieb
dabei dem Zufall und der jeweiligen Initiative überlassen.
Das Sekretariat des Konvents war offensichtlich überlastet
mit dem Verfahren, das sich als ebenso offen wie beliebig
gestaltete. Wollten NGOs wirklich Einfluß ausüben,
waren sie aufgrund fehlender Verfahrensregeln auf klassische
Lobbyarbeit angewiesen. Abhängig von vorhandenen personellen
und materiellen Ressourcen in Brüssel und unterschiedlich
verfügbarer Zugänge und Kommunikationskanäle wurde
Einfluß direkt auf Konventsmitglieder ausgeübt. Der
Konvent als zuständiges Gremium hatte mit Ausnahme der
Anhörung auf eine Strukturierung des Beteiligungsprozesses
verzichtet. In Zukunft muss sich zivilgesellschaftliche
Beteiligung qualitativ unterscheiden von professioneller
Lobbyarbeit, wie sie auch von Großkonzernen und
Industrieverbänden betrieben wird. Die Arbeit von NGOs kann
das Expertenwissen von engagierten Bürgern in den Prozess
der Entscheidungsvorbereitung einspeisen, für politische
Beteiligung müssen neue Verfahren erst noch entwickelt
werden. Dieser Dialog zwischen den Unionsbürgern und
europäischen Institutionen ist nur ein Teilbereich
europäischer Öffentlichkeit und bleibt
Gestaltungsaufgabe für die Zukunft.
Legitimation
durch Referendum?
Mit der feierlichen
Verabschiedung der Grundrechtecharta durch die Regierungen in
Nizza ist der Prozess damit nicht abgeschlossen. Als
nächster Schritt muss die Grundrechtscharta in die
Europäischen Verträge übernommen werden. Nur so
wird die Charta rechtsverbindlich und einklagbar. Da der Konvent
nicht das Mandat hatte, über eine Aufnahme in die
Verträge zu entscheiden, gibt es nun im wesentlichen drei
Möglichkeiten, eine Entscheidung herbeizuführen. Die
erste Möglichkeit ist die in der EU übliche. Dabei
entscheiden die Regierungen im Rahmen einer Vertragsrevision
über die Aufnahme der Charta in die Verträge und
anschließend erfolgt die Ratifikation durch den Beschluss
in den nationalen Parlamenten. Die zweite und dritte
Möglichkeit besteht in der Durchführung von Referenden,
entweder durch nationale oder durch ein europaweites Referendum.
Die Durchführung von nationalen Referenden steht in einigen
Mitgliedstaaten der EU, wie Dänemark oder Frankreich,
regelmäßig auf der Tagesordnung, wenn die
Europäischen Verträge nach Änderungen erneut
ratifiziert werden. In Deutschland müssten für ein
solches Referendum zunächst die gesetzlichen
Möglichkeiten geschaffen werden. Die Bundesregierung ist
gefordert, dies bei der Umsetzung von Regelungen direkter
Demokratie zu berücksichtigen, die im Koalitionsvertrag
festgeschrieben wurden. Ein Vorschlag zielt darauf, im Jahre 2004
im Kontext der Wahlen zum europäischen Parlament ein
europaweites Referendum durchzuführen. Die Legitimation
stiftende Wirkung eines Referendums zur Grundrechtscharta, die
als Präambel eines künftigen Europäischen
Verfassungsvertrages dienen soll, wird von den Politikern hoch
geschätzt. Eine Abstimmung und die erhoffte mehrheitliche
Annahme durch den Souverän, so die Idee, würde eine
europäisch Identität entwickeln und die Bürger
könnten sich mit dem Projekt verbindenden. Wenn aber mit
einem solchen Referendum nur Akzeptanz für vorher von oben
gefällte Entscheidungen angestrebt wird, ohne für die
Zukunft ein europäisches Initiativrecht vorzusehen, wird es
als Machtmittel der Regierungen instrumentalisiert und seiner
Wirkung beraubt.
Mehr
Demokratie
Bis zu ihrer Aufnahme
in die Verträge stellt die Grundrechtscharta vor allem eine
Willenserklärung der Regierungen dar. Ein Blick auf die in
der Charta enthaltenen Rechte zeigt, dass der Willen zu mehr
Demokratie in der EU äußerst begrenzt ist. Forderungen
von NGOs nach neuen demokratischen Formen haben in der
Grundrechtscharta keinen Eingang gefunden. Als einzige
Möglichkeit zu demokratischer Beteiligung ist in der Charta
das aktive und passive Wahlrecht vorgesehen. Dagegen ist nicht
nur die Diskussion in Deutschland über ein Mehr an
Demokratie weiter entwickelt. Auch in Schweden und Frankreich
wird sehr intensiv über Partizipation, über die
Möglichkeiten politischer Teilnahme gesprochen. Der Dialog
mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, das Recht auf Information,
Kommunikation und Konsultation im Prozess politischer
Entscheidungsfindung wurde in der Charta nur unzureichend
berücksichtigt. Bislang wurde nur der Machtverlust
nationaler Parlamente und der gleichzeitige Kompetenzzuwachs
europäischer Exekutiven, vor allem des Europäischen
Rates, beklagt. Demokratische Reformen auf dieser transnationalen
Ebene sind kaum erkennbar. In Nizza standen die institutionellen
Fragen im Vordergrund. Der Knackpunkt in den Diskussionen besteht
im Moment darin, ob Mehrheitsentscheidungen im Europäischen
Rat in Zukunft die Regel sein werden. Insbesondere die kleinen
Staaten haben Angst, so jeden Einfluss auf Entscheidungen in
Brüssel zu verlieren. Das Grundproblem liegt aber weniger in
der Entscheidungsform im Europäischen Rat, sondern vielmehr
darin, dass der Europäische Rat weiterhin die
Entscheidungsmacht hat, und das Europäische Parlament ein
Schattendasein führt. So verwundert es kaum, dass die
Sitzverteilung in der Europäischen Kommission nach der
Osterweiterung eine wichtigere Rolle spielt als die Frage, wie
und ob in Zukunft 700 Europaparlamentarier die dann fast 400
Millionen Unionsbürger repräsentieren können.
Dieses Vertretungsprinzip erreicht schon heute eine kritische
Grenze. Die neue Diskussion über Good Governance, die von
den Exekutiven und administrativen Institutionen geführt
wird, ist nur ein deutlicher Hinweis auf bestehenden
Reformbedarf. Europa braucht aber nicht nur eine
ergebnisorientierte Politik, sondern vor allem eine lebendige
Demokratie, in der Entscheidungsprozesse transparenter und
bürgernäher gestaltet werden. Der Beitrag, den
zivilgesellschaftliche Akteure bereits leisten, beschränkt
sich nicht auf die Vertretung partieller Interessen, sondern ist
auch ein wichtiger Bestandteil der politischen Willensbildung der
Bürger. Auf diese Weise werden politische Kultur und die
Entwicklung europäischer Identität gefördert. Dass
die Europäische Union diesbezüglich erst am Anfang
einer Entwicklung steht sollte nicht entmutigen. Wie aber die
Mitgliedstaaten mit dieser Herausforderung umgehen, wird in den
Beitrittsländern und auch international von großer
Bedeutung sein. Das Gelingen des politischen Projektes Europa,
das mit der bevorstehenden Verfassungsdebatte gefördert
werden kann, ist für die Zukunftsfähigkeit der Union
von entscheidender Bedeutung.
Soziale Rechte
als Prüfstein
Legitimation ergibt
sich zum einen durch die Form der Entscheidungsfindung. Ebenso
wichtig sind aber auch die konkreten Ergebnisse von Politik, die
sich an den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit messen
lassen müssen.
Obwohl Europa immer
reicher wird, wächst die Zahl der Armen. In der EU leben
heute etwa 69 Millionen Menschen unter der von der
Europäischen Kommission festgelegten Armutsgrenze.
Während heute Tausende Menschen auf der Straße leben,
steigt jedoch auch die Zahl der
Einkommensmillionäre.
Zum politischen Thema
wird Armut heute nur dann, wenn sie sich in politischer
Radikalisierung äußert, und somit als Gefahr begriffen
wird. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist
aber auch eine menschenrechtliche Aufgabe, zu der sich die
europäischen Staaten in zahlreichen internationalen Abkommen
verpflichtet haben. Dazu gehören der Internationale Pakt
über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte
ebenso wie die Sozialcharta des Europarats oder die
Kinderrechtskonvention. Mit diesen Abkommen haben sich die
Unterzeichnerstaaten verpflichtet, das Prinzip der Unteilbarkeit
der Menschenrechte in ihren Ländern umzusetzen. Dazu
gehört auch ein gewisses Maß an
Verteilungsgerechtigkeit, denn zu den menschenrechtlichen
Verpflichtungen gehört die Befriedigung der
Grundbedürfnisse der Bevölkerung ebenso wie die
Sicherung und Mehrung des allgemeinen
Lebensstandards.
Das Ziel von Politik,
ob auf nationaler oder europäischer Ebene, ist die
Herstellung der Bedingungen von Freiheit und Gerechtigkeit. In
der EU dominiert jedoch seit Jahren eine neoliberale Denkweise,
welche das Eigentum und die unternehmerische Freiheit über
die soziale Gerechtigkeit stellt. Soziale Aspekte werden nur
unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erörtert. Um Armut
und ihre Ursachen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, zu
reduzieren, müssen aber gezielt die strukturellen Ursachen
für den Mangel an Teilhabe und Teilnahme an
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Prozessen abgebaut
werden. Das heißt auch, dass soziale Leistungen nicht als
Almosen gesehen werden dürfen, sondern als ein Weg zur
Verwirklichung von sozialen ebenso wie politischen
Menschenrechten.
Mit der
Grundrechtscharta hat die EU zum ersten Mal die Unteilbarkeit der
Menschenrechte auch für ihre eigene Politik anerkannt. Dabei
war die Aufnahme sozialer Rechte in die Grundrechtscharta lange
Zeit umstritten. Dass zumindest ein Rumpf an sozialen Rechten nun
Eingang in die Charta gefunden hat, ist vor allem auf die
Hartnäckigkeit der sozialen NGOs und der
Menschenrechtsorganisationen zurückzuführen. Durch die
Annahme der Charta sind die Regierungen nun den langjährigen
Forderungen der NGOs nach der Anerkennung der Unteilbarkeit
nachgekommen. Diese Anerkennung wird sich in den kommenden Jahren
in der politischen Praxis beweisen müssen. Die
Herausforderung vor der die EU steht, und an der sie gemessen
werden wird, ist es, das Recht auf unternehmerische Freiheit in
Einklang zu bringen mit dem in der Präambel der
Grundrechtscharta verankerten Prinzip der
Solidarität.
Menschenrechtspolitik als
Querschnittsaufgabe
Die Aufnahme von
sozialen Rechten in die Grundrechtscharta war insbesondere
deshalb umstritten, da die Sozialpolitik nach Auffassung der
meisten Beteiligten weiterhin im Zuständigkeitsbereich der
Mitgliedsstaaten liegen soll. Wer so argumentiert, missversteht
aber sowohl die Natur von sozialen Grundrechten als auch die
Natur der Wechselwirkungen zwischen europäischer und
nationaler Politik. So leistet die nationale Sozialpolitik einen
wichtigen Beitrag zur Umsetzung sozialer Rechte, indem sie zum
Beispiel individuelle Leistungsansprüche festlegt. Wirft man
jedoch einen Blick auf die strukturellen Ursachen für den
Mangel an Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen und
wirtschaftlichen Prozessen, dann wird die Bedeutung anderer
Politikbereiche, wie der Wirtschafts- und Finanzpolitik, oder der
Arbeitsmarktpolitik deutlich. In diesen Politikbereichen sind die
Zuständigkeiten zwischen der europäischen und der
nationalen Ebene aber nicht eindeutig verteilt. Gleichzeitig
wirkt sich die europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik
auch auf die nationale Sozialpolitik aus. Aus diesem Grund muss
eine europäische Menschenrechtspolitik, welche die
Unteilbarkeit betont, als Querschnittsaufgabe gesehen werden,
horizontal wie vertikal.
Dies wird insbesondere
im Zuge der Osterweiterung von zunehmender Bedeutung sein. Denn
über die zukünftige Struktur und Zuständigkeiten
der Europäischen Union herrscht weiterhin keine Klarheit.
Die Balance zwischen Erweiterung und Vertiefung ist noch nicht
gefunden. Gerade aus menschenrechtlicher Sicht muss ein Europa
der unterschiedlichen Geschwindigkeiten kritisch unter die Lupe
genommen werden. Ein erweiterter europäischer Markt ohne ein
politisches Korrektiv wird die soziale Desintegration in Europa
verstärken. Von dem Prinzip der Solidarität hätte
sich die Europäische Union damit verabschiedet. Auch
fällt es schwer, sich vorzustellen, wie in einem Europa der
unterschiedlichen Geschwindigkeiten eine kohärente
Menschenrechtspolitik aussehen kann.
Mit der Charta wurde
ein Verständnis von Menschenrechten definiert, das allen
Mitgliedstaaten der Union gemeinsam ist. Für eine bessere
Kohärenz in der Menschenrechtspolitik der Europäischen
Union nach innen und nach außen ist dieses zum ersten mal
ausformulierte gemeinsame Verständnis von essentieller
Bedeutung. Gleichzeitig wird sich diese Grundlage mit zunehmender
politischer Integration auch verändern müssen. Die
Natur der Europäischen Union als ein politisches Gebilde,
das auf Verträgen beruht, lässt diese
Veränderungen zu. Die Aufnahme der Grundrechtscharta in die
Verträge schließt keinesfalls aus, dass in Zukunft
weitere Rechte der Menschen in der Union festgeschrieben werden.
Die Grundrechtscharta hat damit das Potential, zu einem wichtigen
politischen und rechtlichen Korrektiv der herrschenden
europäischen Politik zu werden. Dazu gehört aber auch,
dass die NGOs diese Charta für sich nutzen und sich auf das
in der Charta definierte gemeinsame
Menschenrechtsverständnis der Mitgliedsstaaten berufen. Die
Charta ersetzt dabei nicht die internationalen Abkommen wie die
Europäische Menschenrechtskonvention oder die
Europäische Sozialcharta. Aber sie ist ein wichtiges
zusätzliches Instrument. Daher wird sie auf dem Gegengipfel
der NGOs in Nizza im Mittelpunkt der Diskussion stehen und den
Bezugspunkt für die Forderungen an die europäischen
Regierungen darstellen.
Forderungen an die europäische Politik
Inter Citizens Conferences ist ein
europäisches Netzwerk von Bürgerinitiativen zur
Förderung von Bürgerbeteiligung im europäischen
Integrationsprozess. 1995 haben sich Initiativen aus 10
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zusammengeschlossen,
um in Workshops und Konferenzen ihre Erfahrungen mit
europäischen Projekten auszutauschen und gemeinsame
Kooperationsformen zu entwickeln (http://www.europlace.org/index.html).
FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk (FIAN) ist eine internationale Menschenrechtsorganisation für das Recht sich zu ernähren. FIAN wurde 1986 gegründet und hat heute Mitglieder in mehr als 50 Ländern. Das Ziel von FIAN ist es, weltweit zur Umsetzung und Überwachung der internationalen Menschenrechtsverträge und zur Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte beizutragen (http://www.fian.de). Kontakt:
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