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Von Matthias Abram
Afghanistan:
"Die USA haben Bin Laden erfunden"
Die Twin Towers und die Dritte Welt: Der Bozner Entwicklungshelfer Matthias Abram mit einer Randbemerkung über ein bereits erschöpfend behandeltes Thema
Gesellschaft für bedrohte Völker Logo
Bozen, 16.10.2001

In den letzten Tagen und Wochen ist bereits alles über die Katastrophe in Süd-Manhattan gesagt und geschrieben worden, sodass es sich sicher verwegen anhört, wenn in diesen Zeilen noch die eine oder andere Überlegung nachgeschoben werden soll. Trotzdem erscheint es dem Autor dieser Zeilen, dass die Auswirkungen des begonnenen Krieges nicht genügend auf ihre verheerende Wirkung auf die Gesellschaften der sogenannten Dritten Welt hin verdeutlicht worden sind. Es sei also gestattet, darüber nachzudenken.

In den letzten Tagen und Wochen ist bereits alles über die Katastrophe in Süd-Manhattan gesagt und geschrieben worden, sodass es sich sicher verwegen anhört, wenn in diesen Zeilen noch die eine oder andere Überlegung nachgeschoben werden soll. Trotzdem erscheint es dem Autor dieser Zeilen, dass die Auswirkungen des begonnenen Krieges nicht genügend auf ihre verheerende Wirkung auf die Gesellschaften der sogenannten Dritten Welt hin verdeutlicht worden sind. Es sei also gestattet, darüber nachzudenken.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden Kriege fast ausschließlich in Ländern der Dritten Welt geführt und haben meist die Zerschlagung der prekären demokratischen Verhältnisse zur Folge, sowie unermessliches Leid für die Zivilbevölkerung. Auf diesem Hintergrund scheint es höchst bedauerlich, jetzt, als Antwort auf die erschreckenden Terroranschläge, einen weiteren Krieg zu führen, auch wenn von allen betont wird, dass die Zivilbevölkerung (möglichst) nicht zu Schaden kommen soll. Die Zivilbevölkerung kommt immer zu Schaden, dies hat auch die sogenannte "chirurgische" Kriegführung nicht im Geringsten geändert, im Gegenteil. Das seit 20 Jahren zerbombte Afghanistan kann nur noch dem Erdboden gleich gemacht werden, ein Zustand, von dem es nicht weit entfernt ist. Trotzdem bin ich überzeugt davon, dass die Vereinigten Staaten und ihre Alliierten, möglichst unter Führung der Vereinten Nationen, Maßnahmen ergreifen müssen, um dem Terror zu wehren. Doch dabei stellt sich heraus, wie anachronistisch unsere Systeme noch sind, und wie wenig wir auf diese nicht so neue Art der Auseinandersetzung vorbereitet sind. Es handelt sich um die Prävention und die Unterbindung spektakulärer Bedrohungen unseres Überlebens, und was uns einfällt, ist der Krieg. Man muss sich nur den Aufmarsch von Militär und Kriegsmaterial im Persischen Golf und im Indischen Ozean ansehen, und gegen die 25 Wunschziele in Afghanistan halten, um die Absurdität der Antwort zu begreifen. Wenn diese Milliarden, die hier vor unseren Augen im Wasser schwimmen, dafür verwendet würden, um die Lage der Mehrheit der Bevölkerung in den armen Ländern zu verbessern und die Einrichtung demokratischer Regierungen zu unterstützen, die dann selber wieder in die Lage gesetzt werden müssten, Reformen zu planen und zu finanzieren, das wäre wahrscheinlich der Beginn der Wende. Damit soll keineswegs behauptet werden, die Terroranschläge seien Ausdruck des Massenelends, und der Terrorist Osama Bin Laden sei ein Streiter der Armen. Von diesen allerdings wird er wie ein Held gefeiert; dies sollte uns nachdenklich stimmen. Nicht die Ermordung der Terroristen wird den Terror stoppen, sondern die Beseitigung der Gründe und Faktoren, die den Terror hervorbringen. Die Armut auf der einen Seite ist eine beständige Bedrohung des Wohlstandes der anderen. Es wird ab heute unerlässlich sein, die Gesellschaften des Südens in unsere Zukunftsplanungen miteinzubeziehen.

Nun haben die Vereinigten Staaten allerdings den jetzt gefürchteten Bin Laden erst erfunden. Auch können wir davon ausgehen, dass sie ihm vor einigen Jahren, als er ihnen als Kämpfer gegen die Russen wichtig war, alles das beigebracht haben, was er leider erfolgreich anwendet. Ähnlich war es schon mit Saddam Hussein gewesen. In vielen Konflikten haben die Vereinigten Staaten Partei ergriffen, und viele von den Despoten und gewalttätigen Diktatoren sind ohne ihre heimliche oder offene Unterstützung und/oder Duldung nicht denkbar. Nicht auszudenken, was das 20. Jahrhundert gewesen wäre, wenn die USA, ähnlich wie bei der Befreiung Europas von den Nazis und Faschisten, ihren eigenen Verfassungsidealen von Freiheit und Demokratie überall und bedingungslos treu geblieben wären. Und damit komme ich zu Lateinamerika. Es gibt fast kein Land in diesem Subkontinent, wo die USA im 20. Jahrhundert nicht einmarschiert wären, meist zugunsten zweifelhafter Kollaborateure oder Marionetten und rechter Regierungen, wenn nicht blutrünstiger Diktatoren, wie in Chile. Allein in Guatemala, wo der Bürgerkrieg 36 Jahre gedauert hat und wo 200.000 Menschen umgekommen sind. haben die USA jahrelang zielstrebig die Streitkräfte, die zu mehr als 90% an den Massakern und am Genozid an den Mayas schuld sind, aufgerüstet und einschlägig beraten.

Dieser Krieg hat ganz neue Spielregeln geschaffen. Alte Feinde und bislang geächtete Militärdiktatoren werden zu hoffähigen Verbündeten, und Freiheitskämpfer von gestern werden zu Terroristen. Der enorme Reichtum, den all dies Kriegsgerät darstellt und die unvorstellbaren Summen, die dieser Krieg verschlingt, werden wieder einmal nicht dazu verwendet, wozu sie notwendig wären: zum Aufbau einer lebenswerten Gesellschaft für alle. Längst ist es bekannt, dass es möglich wäre, in einer weltweiten Allianz wie der augenblicklichen, den Hunger zu besiegen. Ihm gilt es, den Krieg zu erklären, mit allen Mitteln. Die globalen Rüstungsausgaben, die seit einigen Jahren wieder steigen, wären voll ausreichend, um weltweit die Grundbedürfnisse zu bedienen. Nicht paternalistisch, durch abgeworfene Almosen, sondern durch Hilfe zur Selbsthilfe, wie das so schön heißt. Der Hunger und das Elend sowie die Frustration des Ausschlusses sind wohl die namhaftesten Gründe für den Terror und die Verzweiflung. Die Weltbank und die FAO hatten die Schmiedung einer solchen Allianz auf ihrem Programm, aber die Terroristen sind ihnen zuvorgekommen. Nun scheint alles durch den Krieg und durch die zweckdienliche Vereinfachungen der Weltlage verdunkelt, und es bleiben, neben dem Krieg der Hightech-Fanatiker und Militärs, für den Krieg gegen den Hunger nur noch die nachts abgeworfenen Nahrungspakete. Sie werden den Hunger nach gerechten Gesellschaften, nach gerechtem Handel und nach gleichberechtigten Beziehungen nicht stillen.

Es gäbe jetzt eine Chance, das Übel an seiner Wurzel auszurotten. Natürlich braucht das Zeit. Dieses Jahrhundert würde nicht genügen, um diese Welt für alle lebenswert, zu machen. Aber die Entwicklungen könnten eingeleitet, die Weichen gestellt werden. Und jeder weiß, dass der Krieg nicht zum Ziel fuhren wird. Sollte der inzwischen genügend aufgebaute Popanz gefangen werden, ist damit nichts gewonnen. Vielleicht wäre es eine bessere Würdigung und Erinnerung an die unschuldigen Opfer der Twin Towers, einen neuen Anfang zu wagen und mit dieser, dann heiligen Allianz, den Hunger, das Elend, den Ausschluss, die Unwissenheit und den Fanatismus zu bekämpfen.

Matthias Abram (58), ist Theologe und Soziologe und war über ein Jahrzehnt lang Koordinator der deutschen Gesellschaft für Entwicklungszusammenarbeit (GTZ) vor allem in Ecuador und Guatemala. Er arbeitet vorwiegend im Bereich der interkulturellen Pädagogik.



Siehe auch:
Massaker an den Hazara
LinkDie Taliban in Mazar-e Scharif im August 1998. Von Andreas Selmeci
Die Freunde der Taliban
LinkAusländische Interessen in Afghanistan. Von Michael Pohly
Hat der Islamismus eine Zukunft?
LinkNur durch Gewalt halten sich die Mullahs an der Macht. Von Andreas Selmeci
"Laßt uns nicht im Stich!"
LinkEine afghanische Frauenrechtlerin über Menschenrechtsverletzungen der Taliban. Von Andreas Selmeci
Afghanistan
LinkVergessen wir nicht die Menschenrechte! Von Mateo Taibon
Afghanistan ohne Chance?
LinkExterne Mächte haben die nationale Einigung bisher verhindert. Von Michael Pohly
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