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Einleitung | 1. Ausländer sollen kein Wahlkampfthema sein! | 2. Der Brenner: Engpass für Flüchtlinge | 3. Bethlehem am Berg | 4. Wir reden nicht nur darüber | 5. Bitte nicht in den Keller | 6. Recht auf Asyl: Südtirol nur Zuschauer? | 7. Bis der letzte "Zigeuner" vertrieben ist | 8. Terror in Osttimor |
EinleitungEinige Hinweise und Anregungen
Das erste Kapitel ermöglicht eine Beschäftigung mit der Haltung Südtirols Ausländern gegenüber, mit den positiven und negativen Erfahrungen von Flüchtlingen in unserem Land und auch mit Minderheiten, die sich zurzeit auf der Flucht befinden.
Text 1 beschreibt im Wesentlichen die Haltung der Südtiroler Landesregierung zum Thema Ausländer, während Text 6 die rechtliche Situation von Flüchtlingen in Südtirol beschreibt und thematisiert.
Die Berichte über die Erfahrungen von Pfarrer Hugo Senoner (Text 2 und 3) lassen die großen Schwierigkeiten erkennen, mit denen Vertriebene und Flüchtende am Brenner konfrontiert werden, weisen aber auch auf die Probleme hin, die sich für Helfer ergeben.
Von positiven Situationen berichten hingegen die Texte (4 und 5) über die Integration von Flüchtlingskindern in Mals.
Text 1 und 6 können als Grundlage für eine Diskussion über die Haltung Ausländern und Flüchtlingen gegenüber dienen, sollen aber auch Ausgangspunkt sein für eine eingehende Beschäftigung mit der derzeitigen Zuwanderung von Menschen nach Südtirol und mit der konkreten Situation der Zuwanderer. Als Ergänzung kann der Text "Flüchtlingsland Südtirol" von Franz Kripp aus dem vierten Kapitel herangezogen werden.
Von den Texten dieses Abschnitts ausgehend können sich Schüler/innen auch anhand aktueller Presseberichte mit der Situation von Flüchtlingen und Zuwanderern in Südtirol beschäftigen. Sie sollen versuchen, Gründe für die Zuwanderung heute zu erkennen, und sie können sich mit den wirtschaftlichen und politischen Ursachen für die Zuwanderung beschäftigen.
Sie können auch über ihre eigenen Erfahrungen mit Ausländern in ihrer unmittelbaren Umgebung berichten und sich mit den Lebensbedingungen der Zuwanderer auseinander setzen.
Interessant und bereichernd wäre für Schüler sicher auch ein Gespräch mit Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Die Texte über Erfahrungen mit bosnischen Flüchtlingskindern in Mals bieten eine Grundlage für eine Diskussion über Möglichkeiten der Integration und über die Schwierigkeiten im Zusammenleben mit Ausländern.
Die letzen beiden Texte des Kapitels informieren über die derzeitige Situation im Kosovo und in Osttimor. Sie spiegeln natürlich die Situation bei Redaktionsschluss (September 1999) wider. Über die allgemeine Lage in Osttimor im Kosovo wird auch im vierten Kapitel berichtet.
Werden diese Abschnitte im Unterricht behandelt, so ist es angebracht, sie durch aktuelle Presseberichte zu ergänzen. Schüler/innen können sich auch über Internet die neuesten Informationen über die Lage in einzelnen Krisengebieten besorgen.
Von einzelnen Parteien wird derzeit versucht, sich aus wahltaktischen Gründen mit dem Thema "Ausländer in Südtirol" in effekthascherischer Art und Weise zu profilieren. Abgesehen davon, dass die menschliche Seite dabei völlig außer Acht gelassen wird, sind die aufgestellten Behauptungen vielfach oberflächlich und falsch. Der allergrößte Teil der in Südtirol lebenden Nicht-EU-Bürger sind keine Delinquenten, sondern haben eine reguläre Aufenthaltserlaubnis und vor allem einen festen Arbeitsplatz. Es muss auch klar gesagt werden, dass Südtirols Wirtschaft heute auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen ist. Auf Baustellen, im Gastgewerbe, in der Landwirtschaft finden die Unternehmer nicht genug Einheimische, die bereit sind, Hilfsarbeiten zu leisten.Ein Sonderfall sind Flüchtlinge und Nomaden. Letztere sind überwiegend italienische Staatsbürger, haben in der Regel ihren Wohnsitz in Südtirol und es ist im Interesse aller, wenn diese in Siedlungen mit ordentlicher Wasser- und Stromversorgung wohnen können. Hier hat das Land, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden, die auch ihren Teil der Verantwortung tragen, in den letzten Jahren einiges getan; so wurden sieben Siedlungen eingerichtet sowie Initiativen für die Integrierung in Schule und Arbeitsleben durchgeführt.
Bei Flüchtlingen aus Kriegs- oder Katastrophengebieten ist es unsere moralische Pflicht, im Rahmen der Zuständigkeiten und der Möglichkeiten unseres kleinen Landes zu helfen. Wir haben in den letzten fünf Jahren vier Flüchtlingszentren in verschiedenen Bezirken Südtirols geschaffen. Über einen Katastrophenfonds haben wir Sofort- und Aufbauhilfen in Katastrophengebieten in aller Welt zur Verfügung gestellt. Dass wir unseren Beitrag leisten, damit auch die Menschen in ärmeren und benachteiligteren Gebieten der Erde eine Zukunft haben, sollte für unser wohlhabendes Land eine Selbstverständlichkeit sein. Es ist unser vorrangiges Ziel, im Heimatland zu helfen, damit die Menschen dort Arbeit finden und bei ihren Familien bleiben können. Besonders das Schicksal von Minderheiten darf uns, die wir selber eine Sprachminderheit im Staat sind, nicht gleichgültig sein.
Landeshauptmann Luis Durnwalder in einer Erklärung
(19.05.98) zum Landtagswahlkampf
1998
Die Bilder am Brenner von hilf- und rechtlosen Flüchtlingen erinnern an die albanischen Kosovaris, die im Frühjahr 1999 nach Deutschland drängten. Auch damals, angesichts der Vertreibung durch die Serben, gab es für die Flüchtlinge oft kein Weiterkommen. Sie waren für die Beamten, egal auf welcher Seite der Grenze, Illegale, ohne gültige Papiere. Die illegalen Grenzgänger galten und gelten immer noch als fast Kriminelle. Die es nach Innsbruck schafften, wurden dort in der Abschubhaft "aufbewahrt", wie der Innsbrucker Flüchtlingsanwalt Paul Delazer es bezeichnet. Jene, die am Brenner gestoppt wurden, erhielten an der Bahnhofsbar Brötchen und Kaffe und wurden mit dem nächsten Zug wieder südwärts verschickt. Flüchtlinge, die Massakern entkamen, die unter Gewalt litten, wurden am Brenner abermals gedemütigt.
In Bozen übergab die Polizei der Caritas im Frühjahr 1999 immer wieder Flüchtlingsgruppen aus dem Kosova. Die Mitarbeiter der Caritas sorgten für das Notwendigste, für Decken und Kleider, für warmes Essen. Die Caritas blieb auf sich allein gestellt, die Flüchtlinge zu betreuen. Es gibt kein Landesamt, kein Staatsamt, das sich für Flüchtlinge zuständig fühlt.
Der Brennerpass ist für Flüchtlinge weiterhin Grenze. Trotz des Schengener Abkommens der EU-Länder – der Brenner als Innengrenze beispielsweise gilt nicht mehr als Grenzübergang – bleibt der Pass am Brenner ein Hindernis für die so genannten illegalen Grenzgänger. Die meisten Flüchtlinge verstecken sich in Zügen, aber auch Lkws. Nicht immer sind es Vertriebene, oft aber Menschen, die vor dem Elend in der Heimat entfliehen wollen. Dramatische Szenen spielten sich im Winter 1998 ab, als Kurden versuchten, von Deutschland aus nach Rom zu kommen. Damals hatte die italienische Polizei den Vorsitzenden der linksnationalistischen kurdischen Arbeiterpartei, PKK, Abdullah Öcalan, verhaftet. Hunderte PKK-Anhänger aus Deutschland reisten nach Rom, um für die Freilassung ihres Idols zu demonstrieren. Einige der Demonstranten wurden verhaftet und nach Deutschland zurückgeschickt. Selbstverbrennungen von Kurden wie in Rom und in anderen europäischen Städten wurden auch am Brenner befürchtet.
Bei den scharfen Kontrollen gerieten auch Schlepper in die Hände der Polizei. Schlepperorganisationen nutzten die Fahrt von Kurden über den Brenner nach Rom, um gleichzeitig illegal in Deutschland lebende Ausländer nach Italien zu schleusen. Im November 1998 liefen 300.000 Aufenthaltsgenehmigungen in Deutschland ab. Um dem Abschub zuvorzukommen, schlossen sich Ausländer ohne Aufenthaltsbewilligung den PKK-Anhängern an.
Die Kontrollen wurden verschärft und auch die Töne. Österreich kündigte an, "gezielt und selektiv" zu kontrollieren. Die von der italienischen Polizei verhängte Einreisesperre kritisierte der Nordtiroler Landeshauptmann Wendelin Weingartner als eine "Soloveranstaltung". Österreichische Bundespolitiker, allen voran FPÖ-Vorsitzender Jörg Haider, kritisierte Italien wegen der laschen Kontrollen an den Häfen. Haider wird wohl an jene Flüchtlinge gedacht haben, die an den Küsten Apuliens und Kalabriens ohne Hab und Gut stranden. Zur Zeit (Herbst 99) sind es die vertriebenen Roma aus dem Kosova, im Frühjahr waren es die albanischen Kosovaris. Zu Jahresbeginn 1998 schreckte die bayerische Grenzpolizei mit der Feststellung auf, dass mehr als 10.000 irakische Kurden nach Italien flüchten wollen. Hunderte waren es in den folgenden Monaten. Ihre Fluchtroute nordwärts führte zum Brenner.
Die EU-Länder haben bisher nur mit massivem Polizeieinsatz und Abschub darauf reagiert. Weder in Bari noch am Brenner gibt es ein Flüchtlingszentrum, Beratung und Betreuung. Flüchtlinge sind hilflose Menschen, die Hilfe brauchen, sie aber selten bekommen. Am Brenner, oder auch anderswo, abseits der Medien, sind sie sich selbst überlassen.
Wolfgang Mayr und Hugo Senoner, September 1999
Pfarrer Hugo Senoner und die Flüchtlingsdramen am Brenner"Die Zeit am Brenner war aufreibend, schwer zu verkraften", erzählt Hugo Senoner, lange Pfarrer am Brenner. In seiner Zeit wurde der Pfarrer Anlaufstelle für viele Flüchtlinge. Er beherbergte am Brenner trotz gesetzlichen Verbotes (am Brenner) Gestrandete, verzweifelte Flüchtlinge, Menschen, die bei Schneetreiben ein Dach suchten. "Ich konnte als Pfarrer doch nicht wegschauen, wenn ein kleines Kind frierend am Bahnsteig stand", so versuchte Pfarrer Senoner die Staatspolizei von seinem Standpunkt zu überzeugen.
"Die wiederkehrenden Schicksale der Flüchtlinge, die versuchen, illegal über die Grenze zu kommen, die, die aus Zügen gefischt werden und auf dem harten Boden der Wirklichkeit am Bahnsteig landen: keine Unterkunft, kein Essen oder Trinken, kein wärmender Ofen. Derartige Situationen haben Senoner des öfteren Konflikte mit den Gesetzeshütern eingebracht", schreibt die Tageszeitung "Dolomiten".
Besonders während des Bosnien-Krieges (92-95) suchten Flüchtlinge über den Brenner zu Verwandten nach Deutschland zu kommen. Ihre Flucht vor ethnischer Säuberung, Massakern, Vergewaltigungen und vor Folterer endete oft am Brenner. Österreich und Deutschland wollten die Fliehenden fern halten. Flüchtlinge mussten beweisen können, Flüchtlinge zu sein. Ein absurdes Theater am Brenner. Die Hilflosen am Bahnsteig fand Pfarrer Senoner, der die Menschen in einem Hotel einquartierte. Pfarrer Senoner erinnert sich an die Bosnierin Izeta. Sie hatte es geschafft, der Hölle des ethnischen Hasses zu entkommen, wurde von einem Flüchtlingslager in Kroatien nach Slowenien weitergereicht und gelangte an den Brenner. Izeta wollten mit ihren Kindern Adisa und Semsa zu ihrem Mann nach Deutschland. Er war bei Kriegsausbruch nach München geflüchtet. Der Pass am Brenner war aber für sie, ohne gültigen Reisepass, gesperrt.
Für viele starb am Brenner die Hoffnung, anderswo menschlich leben zu können. Die Flüchtlinge erzählten dem Pfarrer, wie enttäuschend es für die Menschen in Bosnien war, dass der Westen während des Krieges wegschaute. Noch enttäuschter waren die Flüchtlinge davon, wie sie an den Grenzübergängen behandelt wurden.
Mit einem Offenen Brief wandte sich Pfarrer Senoner damals (im Winter 92) an die Öffentlichkeit. "Die mit Gewalt gezogenen ethnischen Grenzen in Bosnien holen die Flüchtlinge am Brenner wieder ein", schrieb Senoner. Während die Staatsgrenze mit dem Schengener Vertrag (Entfall der EU-Binnengrenzen) offener wurde, blieb sie für Flüchtlinge zu. Es ist unverständlich, so Senoner in seinem Offenen Brief, dass Frauen mit ihren Kindern nicht zu ihren Männern weiterreisen können. Am Brenner, in Europa, entsteht einen neue Grenze. Dort stirbt die menschliche Hoffnung.
Senoner beklagte in seinem Brief das Schicksal von Menschen, die seit Monaten auf der Flucht sind. Ihre Habe beschränkt sich auf kleine Rucksäcke, geschlafen wird auf Bahnhöfen, dort werden sie von ihren Alpträumen eingeholt und von der Polizei kontrolliert. Die Alleingelassenen fanden bei Senoner Hilfe. Er half, trotz der Schwierigkeiten, die die Polizei ihm machte. Er blieb mit seiner Hilfe allein, weil keine Staats- und keine Landesstelle sich für Flüchtlinge am Brenner verantwortlich empfindet.
Dieses Wegschauen, dieser herzlose Umgang mit Menschen auf der Flucht, brachte Senoner gegen die Grenzpolizei auf. Der Pfarrer kritisierte auch die Praxis der österreichischen Polizei, Flüchtlinge einzusperren, in Schubhaft zu stecken. Für den Pfarrer ist nicht nachvollziehbar, warum das UN-Flüchtlingswerk UNHCR sich nie am Brenner blicken lässt. Senoner erinnert immer wieder daran, dass sich am Brenner die Fälle von misslungener Einreise häufen, von Menschen, die von Schlepperorganisationen im Stich gelassen werden, von Abgewiesenen, von Kriegsflüchtlingen, von Einzelpersonen und Familien, die vergeblich versuchen, über die Grenze zu kommen. Sie werden oft ungebührlich behandelt, schikaniert und hilflos ihrem Schicksal überlassen.
"Allein der Versuch, ohne ordnungsgemäß ausgestellte Papiere nach Italien ein- oder auszureisen, beraubt aber keinen Menschen seines Rechts auf eine menschenwürdige Behandlung. Verfolgten muss die Möglichkeit geboten werden, korrekt und vollständig über ihre Rechte aufgeklärt und an der Grenze vorübergehend untergebracht zu werden. Flüchtlingen muss es ermöglicht werden, sich beraten zu lassen und die Hilfe von Menschenrechtsorganisationen in Anspruch nehmen zu können", appellierte Senoner immer wieder an die zuständigen Stellen Seine Appelle haben die Behörden bisher überhört.
Die Hilflosen bleiben hilflos. "Das neue Betlehem ist am Brenner", schließt Pfarrer Hugo Senoner seinen Offenen Brief. Senoner ist nicht mehr Pfarrer am Brenner. Die neuen Flüchtlinge am Brenner sind jetzt auf sich allein gestellt.
Wolfgang Mayr und Hugo Senoner, September
1999
"Der Anfang war schwer", gibt Zita Ziernhold Pritzi, Leiterin des Projekts Integration bosnischer Kinder, unumwunden zu. Denn auch der Bürgermeister war zuerst gegen eine Aufnahme der bosnischen Kinder in die Schule. Es gebe nicht genügend Räume und keine ausgebildeten Lehrer, gab er zu bedenken. Sie erklärte sich deshalb sofort bereit, die bosnischen Kinder zu unterrichten, und auch andere Lehrer/innen konnten dafür gewonnen werden. "Denn wenn man die Probleme dieser Menschen sieht, beginnt man anders zu denken. Man erkennt, dass die Kinder eine Schule brauchen, und zwar eine Schule außerhalb der Kaserne, um ihnen den Kontakt zu anderen Menschen zu ermöglichen".
Zuerst wurden die bosnischen Kinder in eigenen Klassen unterrichtet. Warum hat sich die Schule für die Integration in die Normalklassen eingesetzt? "Wenn die bosnischen Kinder zusammen waren, war der Umgang mit ihnen viel schwieriger. Sie galten als "wilde" Gruppe, der man mit Misstrauen begegnete. Durch die Integration sollte diesen Kindern und der einheimischen Bevölkerung eine andere Erfahrung ermöglicht worden. Die bosnischen Kinder hatten inzwischen genügend Deutsch-Kenntnisse, um in eine normale Klasse integriert zu werden."
Eine erste Umfrage unter der Bevölkerung ergab, dass ungefähr die Hälfte der Befragten eine Integration befürwortete, wenngleich bei einigen die Skepsis sehr groß war. Nach und nach konnte aufgrund der positiven Erfahrungen bei den meisten Eltern die ablehnende Haltung überwunden werden. Die Behauptungen, dass die Bosnier für Diebstähle und Aggressionen verantwortlich seien, konnten entkräftigt werden oder es erwies sich, dass manche Aktionen nur von einigen wenigen verübt wurden.
Sobald die Bosnier auf mehrere Klassen aufgeteilt waren, fiel ihre Anwesenheit in der Schule und im Dorf nicht mehr so auf. "Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, dieses Ziel zu erreichen, obwohl es vieler Kämpfe und hartnäckiger Überzeugungsarbeit bedurfte", sagt Zita Ziernhöld nicht ohne Stolz. Was habe ihr Zuversicht für ihr Vorhaben gegeben? "Ich habe einfach daran geglaubt, dass es möglich sein muss, mit diesen Kindern zu arbeiten. Ich wusste, dass sie gerne lernen und dass sie froh und dankbar waren, in die Schule gehen zu dürfen. Und schließlich sind wir auch verpflichtet, in Not geratenen Menschen zu helfen."
Was sie anderen Schulen, die in eine ähnliche Situation kommen, rate? "Man muss es einfach probieren und darf nicht sofort aufgeben. Man muss versuchen, die Lebenssituation solcher Menschen zu verstehen, und man sollte bereit sein, neue, schwierige Wege zu gehen. Aber man muss auch erkennen, dass der Integration Grenzen gesetzt sind, dass z.B. nicht mehr als zwei-drei ausländische Kinder in einer Klasse betreut werden können. Da bosnische Kinder z.T. aggressiver sind, kann man einer Klasse nicht zu viel Fremdheit zumuten."
"Der Weg war mühsam, denn auf zwei Schritte nach vorn folgten oft ein oder zwei Schritte zurück", bemerkte Direktor Heinrich Moriggl. Die positiven Rückmeldungen auch aus anderen Schulstellen, wo die Integration praktiziert werde, verstärkt jedoch die Gewissheit, dass sich der Einsatz gelohnt habe, betont Zita Ziernhöld. Der bisherige Erfolg erfülle sie jedenfalls mit Genugtuung.
"Wir reden nicht nur über fremde Kinder und Kulturen, wir erleben sie auch. Diese gelebte Friedenserziehung macht erfahrbar, dass ein Miteinander möglich ist." (....)
Von Toni Ladurner, aus "forum schule heute"
(4/96)
Vedran Gutic ist elf Jahre und besucht mit seine achtjährigen Schwester Gordana seit eineinhalb Jahren die 3. Klasse der Grundschule in Mals. Zuvor erhielt er mit den anderen bosnischen Flüchtlingskindern in eigenen Räumen Unterricht. Drei Klassen waren dort für die 48 bosnischen Schüler eingerichtet, eine Integration war nur im musischen Bereich vorgesehen. Von den 48 Schülern sind nur noch 33 übrig geblieben. Elf sind in 7 Klassen der Grundschule Mals I integriert, die anderen in den Schulen der Nachbarorte.
Die Lehrerin Zita Zierhöld Pritzi hat sich für die Integration der Flüchtlingskinder im Lehrerkollegium stark gemacht. Kein leichtes Unterfangen, denn die Widerstände und das Unbehagen waren auch innerhalb des Lehrerkollegiums anfänglich nicht unerheblich. Die Bosnierkinder sollten weiterhin abgeschieden und allein unterrichtet werden. "Da hieß es taktieren und klug vorgehen," ergänzte Heinrich Moriggl, Direktor der Schule. Der Erfolg gibt den Promotoren recht, der Dank der bosnischen Kinder ist ihnen gewiss.
"Loß mir denken", antwortet Vedran auf die Frage nach dem Namen seines Heimatortes. Der Vinschger Dialekt macht einen erheblichen Teil seiner Deutschkenntnisse aus. Dies bestätigt auch seine Lehrerin Herta Moser: "Es musste sich erst ein Gehör für die Sprache bilden. Die Mitschüler sprechen untereinander alle Dialekt, kein Wunder, dass Vedran und Gordana den Vinschger Dialekt bestens beherrschen. Damit gehören sie dazu. Sie verstehen fast alles. Manchmal muss ich Ausdrücke erklären, doch das schadet auch den anderen nicht. Außerdem werden sie mit anderen Mitschülern gegebenenfalls im Teamunterricht speziell gefördert."
Vedran kann sich noch an seine Heimatstadt Kakanj erinnern, Gordana nicht. Sie war zu klein gewesen, als sie mit ihren Eltern geflüchtet war. "Groß und schön war mein Haus. Es wohnten viele Familien darin, und ich hatte viele Freunde", schwärmt Vedran.
Das Haus in Kakanj steht noch, es ist von Granateinschlägen verschont geblieben. Die Mutter sei erst kürzlich dort gewesen und habe Fotos gemacht, erzählt er. Doch zurück möchte er nicht, denn er hat auch hier viele Freunde gefunden. Außerdem wohnt er seit kurzer Zeit mit seiner Familie nicht mehr in der Kaserne, sondern in einer Mietwohnung, "und das ist viel schöner," meint Vedran. "In der Kaserne haben sich die Kinder nur gestritten, und Fußballmannschaft gab es auch keine."
Antonia und Jovo Gutic, die Eltern, haben bei der Firma Hoppe Arbeit gefunden und wollen bis auf weiteres nicht mehr in die Heimat zurückkehren.
Die Arme verschränkt, sitzt Gordana in der zweiten Bank der Türreihe neben ihrer Freundin Stefanie. Sie besucht mir ihrem Bruder und dem Großteil der Klasse die Jungschar, hilft ihrer Mutter putzen und spielt am liebsten mit einer der vier Barbiepuppen. Im Gegensatz zu ihrem Bruder entspricht die Klasse ihrem Alter. Vedran hat durch den Krieg zwei Jahre Schule versäumt, ältere Flüchtlingskinder noch mehrere, ein Umstand, der die Integration nicht erleichtert. (....)
Von Annemarie Huber, aus" forum schule heute"
(4/96)
Daneben kamen aber zahlreiche De-facto-Flüchtlinge im Zuge der Jugoslawienkrise aus denselben Ländern nach Südtirol. In allen Fällen bewies Südtirol, dass es sowohl in der Betreuung wie auch in der Integration durchaus in der Lage ist, einen wertvollen Beitrag zu leisten. Von entscheidender Bedeutung war auch das Engagement der Caritas sowie die allgemein gute Arbeitsmarktlage. Heute leben und arbeiten Hunderte von ehemaligen Flüchtlingen unter uns, die als Kriegs- oder politische Flüchtlinge ihr Land verlassen mussten und meist erst nachträglich im Rahmen einer der letzten drei "Ausländerlegalisierungen" (sanatoria) eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung einschließlich der Arbeitsgenehmigung erhalten konnten. Viele Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina sind wieder zurückgekehrt, und viele Kosovo-Albaner werden es ebenfalls tun, sobald es die Zustände in ihrem Land erlauben. Zahlenmäßig liegt Südtirol jedoch – auch proportional zur Bevölkerung – in der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen hinter Nordtirol zurück. Ein stärkeres Engagement in der Flüchtlingsaufnahme hat die Landesregierung stets mit der Begründung abgelehnt, dass die entsprechende Kompetenz bei der Landesregierung liege.
Doch könnte Südtirol angesichts seiner Autonomie und der reichlich ausgestatteten öffentlichen Haushalte mehr für politisch Verfolgte, Asylberechtigte und Kriegsflüchtlinge tun. So wird schon seit Jahren von der GfbV eine Einrichtung verlangt, die dauerhaft als Unterkunft für Flüchtlinge und Asylberechtigte zur Verfügung stehen soll. Darüber hinaus wird die Schaffung eines sogenannten Flüchtlingsreferenten verlangt, der mit öffentlichen Mitteln und kompetenzübergreifend – nach Nordtiroler Modell – für die effiziente Versorgung von Flüchtlingen sorgen könnte. Tausende von Flüchtlingen reisen jährlich durch Südtirol oder stranden an den Grenzen. An anderen kritischen Grenzübergängen wie z.B. bei Triest sind Einrichtungen zur Flüchtlingsaufnahme geschaffen worden. Spätestens das neue Staatsgesetz zum politischen Asyl wird die Mitverantwortung der Regionen und Autonomen Provinzen in dieser Hinsicht genauer fassen. Südtirol wäre durchaus in der Lage, einen bescheidenen, aber sehr notwendigen Beitrag zur Bewältigung zur Flüchtlingsfrage zu leisten. In der Vergangenheit waren Tausende von Südtirolern selbst Flüchtlinge oder zwangsweise Umgesiedelte, etwa in der Zeit der Option ab 1939. Im 2. Weltkrieg bestand in Bozen ein Durchgangslager für die Deportierten aus Italien. Heute stellen sich andere Herausforderungen in der humanitären Hilfe bei Katastrophen aller Art. Die Südtirol-Autonomie wird als beispielhaft betrachtet, auch wenn außenpolitische Kompetenzen weitgehend fehlen. Ein Beitrag zur Bewältigung des Weltflüchtlingsproblems stünde Südtirol dennoch gut an.
Thomas Benedikter, früher
Geschäftsführer und Vorsitzender der Gesellschaft
für bedrohte Völker –
Südtirol,
Auszug aus einem Vortrag zum Thema "Asylrecht und
Flüchtlingspolitik in Italien und Südtirol"
anlässlich einer Lehrerfortbildung des Pädagogischen
Institutes im Oktober 1999
Menschen mit dunkler Hautfarbe, Angehörige der Roma- und Aschkali-Minderheiten, können ohne Gefahr für Leib und Leben in den Städten des Kosovo heute Straßen und öffentliche Plätze nicht mehr betreten. Große Teile der kosovo-albanischen Bevölkerung, ein Jahrzehnt lang Opfer der Apartheid-Politik Serbiens, unterstützen, befürworten oder entschuldigen eine Politik der strikten "Rassen"-Trennung. Innerhalb von nur drei Monaten wurde der größte Teil der Minderheiten indischer Abstammung, seit Jahrhunderten im Kosovo ansässig, aus ihren Heimatorten vertrieben und aus dem Lande gejagt. Die meisten ihrer Häuser, Dörfer und Stadtteil-Siedlungen wurden zerstört. Etwa drei Viertel der Roma und Aschkali müssen heute in Flüchtlingslagern oder Elendsquartieren in den Nachbarländern Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Albanien leben. Tausende wagen die gefährliche Flucht in überfüllten, zerbrechlichen Schiffen und Booten nach Italien. Nicht wenige von ihnen sind in der Adria ertrunken. Viele der im Kosovo gebliebenen Roma und Aschkali leben in Lagern des UNHCR für "Displaced Persons". Sie sind Flüchtlinge im eigenen Land.
Bevor die Roma- und Aschkali-Minderheiten der Vertreibung durch Kosovo-Albaner ausgesetzt wurden, war die albanische Bevölkerung seit März 1998 Opfer furchtbarster Verbrechen der serbischen Armee, Polizei und Milizen geworden. Wird die Zahl der Vermissten einbezogen, muss heute realistischer Weise davon ausgegangen werden, dass bis zu 20.000 Menschen von serbischen Truppen ermordet wurden. Weitere 20.000 Albaner – Alte, Kranke, Verwundete, Behinderte, Kleinkinder und Säuglinge – werden die Vertreibung in die Nachbarstaaten und die Flucht in die Berge und Wälder des Kosovo nicht überlebt haben. Diese Menschen werden höchstwahrscheinlich auch im Kosovo von keiner Statistik erfasst, aber auch sie sind Opfer von Völkermord.
Dennoch ist es nicht zu entschuldigen, dass sich größere Teile der albanischen Bevölkerung mit barbarischen Akten gegen unbeliebte Minderheiten wenden. Die serbische Bevölkerung im Land wurde zu Unrecht kollektiv für den Genozid und die Massenvertreibung verantwortlich gemacht. Die Verbrechen an Roma und Aschkali können nicht mit angeblichen Plünderungen und Kriegsverbrechen einzelner Angehöriger dieser Minderheiten entschuldigt werden.
Innerhalb von drei Monaten wurde in den meisten Teilen des Kosovo eine gnadenlose Politik der "ethnischen Säuberung" an den Volksgruppen der Roma und Aschkali begangen. Bei dieser "ethnischen Säuberung" wurde kein Genozid nach serbischem Vorbild begangen, sondern demonstriert, dass eine Massenflucht allein durch Drohung, Einschüchterung, durch einzelne Misshandlungen, Vergewaltigungen, Entführungen und Morde zu erreichen ist. Ob der Vertreibung ein Massensterben in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer folgt, ist noch nicht abzusehen. Nach Artikel II, Absatz c) der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9.12.1948 könnte ein solches Massensterben dazu führen, dass gegen die für die Massenvertreibung der Roma und Aschkali verantwortlichen Albaner der Vorwurf des Genozids erhoben werden kann.
Europäische Roma-Minderheiten sind auf diese Weise zum zweiten Mal seit dem Holocaust Opfer kollektiver Verfolgung geworden. Erst wurden die bosnischen Roma gemeinsam mit den bosnischen Muslimen Opfer des Genozids des Milosevic-Regimes. Jetzt unterscheiden sich im Kosovo viele der feigen Mordtaten nicht von den Kriegsverbrechen der Milosevic-Truppen: ein 70-jähriger Rom, der tot aus einem Folterkeller der UCK geborgen wird; der 50 Jahre alte Familienvater, der nach den Misshandlungen der UCK-Soldaten nie wieder wird laufen können; die Menschen, die entführt und bis heute verschwunden sind; die Kleinkinder und Mütter, die von Albanern vertrieben, in einem UNHCR-Lager an Entkräftung gestorben sind; der 60 Jahre alte Entführte, dessen Leiche in einem Waldstück gefunden wird; der Mord an dem psychisch Kranken, der in seinem eigenen Haus verbrennt.
Roma und Aschkali: Minderheiten im Kosovo
Als Roma werden im Kosovo Menschen bezeichnet, deren Muttersprache überwiegend Romanes ist und die als Zweit- und Drittsprache in der Regel Albanisch, Serbisch oder teilweise auch Türkisch sprechen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung "indischer Abstammung" definiert sich als Aschkali. Diese Volksgruppe spricht Albanisch als Muttersprache, ist – wie auch die meisten Roma – im Kosovo muslimischer Religion und hat die Kinder auf albanische Schulen geschickt, überwiegend auch in dem Jahrzehnt seit der Zerstörung der Kosovo-Autonomie durch das Milosevic-Regime (1989). Nicht wenige Aschkali, aber auch Roma, sind während der letzten Kriegsmonate (Ende März 1998 bis Anfang Juni 1999) innerhalb des Kosovo oder ins Ausland vor serbischen Truppen geflüchtet. Teile der Aschkali bezeichnen sich nur als "Muslime".
Kaum eine Minderheit in Europa hat gegen so viele Vorurteile anzukämpfen wie die Roma und andere verwandte Gruppen (Sinti, Gitano, Gypsi, Aschkali u.a.). Schon die "Klischeevorstellung" vom "Zigeuner" verschwindet nach einem kurzen Besuch in einer Roma-Siedlung des Kosovo. Dort leben Menschen aller Haut- und Haarfarben: Hellblonde Kinder, die aus Schweden stammen könnten, viele Gesichter, die in keinem albanischen Dorf auffallen würden und Menschen, die aus Indien oder dem Orient sein könnten.
Eine Mehrheit der Roma- und Aschkali-Familien hatte dem niedrigen Lebensstandard im Kosovo unter den Bedingungen der serbischen Apartheid entsprechend einen bescheidenen Wohlstand entwickelt. Die meisten von ihnen lebten in einem eigenen Haus oder Häuschen mit umgebendem Hof oder Garten und waren modern eingerichtet. Viele besaßen einen eigenen Wagen. Die Kinder besuchten meistens albanische Schulen. Oft trugen im Ausland arbeitende Familienmitglieder, wie bei der albanischen Bevölkerung, zum Lebensunterhalt bei. Tausende Aschkali und Roma arbeiteten in den großen Staatsbetrieben, vor allem im Bergbau und in der Energiewirtschaft. In manchen Dörfern hatten Aschkali-Familien Nebenerwerbsmöglichkeiten durch landwirtschaftliche Betätigung wie Haltung von Kühen und etwas Gartenbau. Besonders Angehörige der Aschkali-Gruppe verloren als "Albaner" ihre Jobs nach der Zerstörung der Autonomie 1989. Andere Aschkali und vor allem Roma wurden nach der Entlassung der Albaner von serbischen Behörden durch Vergabe von Arbeitsplätzen begünstigt.
Kosovo: Die Diskriminierung von Roma und Aschkali
Aus Zeugenbefragungen und vielen Gesprächen mit Aschkali, aber auch mit Roma, mussten wir erfahren, dass es kaum Solidarität auf albanischer Seite mit der Minderheit gab. Ein profilierter albanischer Menschenrechtler, Universitätsprofessor sagt uns, dass er Ende der 60er Jahre einen Rom mit der Rezension eines Buches in einer wissenschaftlichen Zeitschrift beauftragt hätte. Dies hätten ihm seine Kollegen noch jahrelang nachgetragen. Der Rat der führenden albanischen Menschenrechtsorganisationen des Kosovo, der sich aus den Repräsentanten der Menschenrechtskommissionen der einzelnen Städte und Distrikte zusammensetzt, hatte noch im Jahre 1998 während des beginnenden Kosovo-Krieges abgelehnt, einen Vertreter der albanischsprachigen Aschkali in das Gremium aufzunehmen.
Vor kollektiven Schuldzuweisungen war in den letzten Monaten kaum jemand sicher. Dabei sind unter den jetzt vertriebenen Roma und Aschkali auch langjährige Mitglieder der kosovo-albanischen Mehrheitspartei LDK, Emigranten, die im Ausland die kosovo-albanischen Untergrundorganisationen mitfinanziert hatten, Menschen, die mit den Albanern nach Mazedonien, Albanien, Bosnien oder Montenegro vertrieben wurden oder aus ihren Dörfern in die Wälder flüchteten.
Die Vertreibung von Roma und Aschkali aus dem Kosovo anhand von Zeugenaussagen
Im Lager für "Displaced Persons" in Krushevc/ Krusevac bei Obiliq/Obilic befinden sich derzeit über 1.300 Flüchtlinge, Roma und Aschkali, die aus ihren Dörfern und Stadtteilen von albanischen Extremisten, von Nachbarn, aber auch von UCK-Angehörigen vertrieben worden sind. Bis Mitte Juli 1999 waren die Vertriebenen in der Schule von Fushe Kosova/Kosovo Polje untergebracht. Nachdem dort zwei Kinder und eine ältere Frau an Entkräftung gestorben waren, wurde das Lager nach Krusevac verlegt. Verantwortlich ist das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR.
Nach Auskunft der Flüchtlinge wurden die meisten Häuser der betroffenen Roma und Aschkali, in der Regel die ganzen Wohnquartiere der Minderheiten im jeweiligen Ort, während oder nach der Vertreibung geplündert, angezündet oder zerstört. So wurden die Roma zu "internen Flüchtlingen", die entsprechend der UN-Terminologie als "Displaced Persons""" 2 bezeichnet werden.
In der Regel wurden die Häuser geplündert, Einrichtungsgegenstände, Fernseh- und Videogeräte, Autos und in Einzelfällen auch Traktoren gestohlen. Ironisch sagten uns Aschkali-Familien, die als Einzige in ihren Stadtteilen zurückgeblieben waren, die albanische Art zu plündern sei gründlicher als die serbische, weil auch Ziegelsteine und Dachziegel mitgenommen würden. Häufig wurden Wagen der Minderheitenangehörigen angehalten und konfisziert.
In der Mehrheit der Fälle wurden dann die Häuser in Brand gesetzt oder mit anderen Mitteln zerstört, in nicht wenigen Fällen aber auch von Nachbarn oder von albanischen Rückkehrern, deren Häuser von serbischen Truppen zerstört worden waren, in Besitz genommen. Nach unseren groben Schätzungen könnten zwei Drittel der Häuser der beiden Minderheitengruppen zerstört worden sein.
Die Minderheiten-Angehörigen und -Gemeinschaften gaben fast überall den Drohungen nach und verließen in panischer Angst ihre Heimatorte. Es scheint, dass da, wo Roma- oder Aschkali-Gruppen sich dem Druck nicht beugten, nicht immer massive Gewalt gegen sie ausgeübt wurde.
Die KFOR hat in vielen Fällen die Minderheitenangehörigen unzureichend geschützt, in ihren Siedlungen keine kontinuierliche militärische Präsenz gezeigt, bei Verfolgung von Roma- und Aschkali-Angehörigen häufiger nicht interveniert oder "Auseinandersetzungen" nur angehalten, ohne das Recht auf Wohnung und Gesundheit der Bedrohten durchzusetzen, und hat diese vielfach in die Nachbarländer eskortiert und somit die Vertreibung begünstigt.
Tilman Zülch, Fact Finding Mission im Kosovo vom 04.08.bis 18.08.1999
Drei Monate nach Unterzeichnung der drei zwischen Portugal und Indonesien vereinbarten New Yorker Abkommen vom 5. Mai 1999 über eine friedliche Lösung des Osttimor-Konfliktes ist die Bilanz erschreckend: Sämtliche Bestimmungen der völkerrechtlich gültigen Verträge wurden von Indonesien mehrfach verletzt.Mit Einschüchterungen, Zwangsmaßnahmen, Überfällen, Brandschatzungen, Raub, Entführungen, Vergewaltigungen, willkürlichen Verhaftungen und Hinrichtungen wird die Bevölkerung systematisch in Angst und Schrecken versetzt. Die Gewalt der Milizen hat eine Massenflucht ausgelöst. Sie verschärft die ohnehin schon angespannte humanitäre Situation. Mehr als zwei Monate nach dem Eintreffen der ersten UN-Mitarbeiter muss die UN hilflos zuschauen, wie Zehntausende Flüchtlinge im Westen Osttimors durch Straßensperren und willkürliche Gewalt der Milizen von jeder humanitären Hilfe abgeschnitten werden.
Am 30. August 1999 hatte sich eine Mehrheit der Inselbewohner für die Eigenständigkeit Osttimors ausgesprochen. Damit soll laut dem New Yorker-Abkommen unter UN-Aufsicht ein Prozess beginnen, der zur Bildung eines unabhängigen Staates Osttimor führen wird. Mit der Vorbereitung der Volksbefragung gemäß der New Yorker Abkommen ist die UN-Mission UNAMET (UN Assistance Mission to East Timor) betraut.
Um den Wahlentscheid zu Gunsten der Autonomie zu beeinflussen, hat seit Mai 1999 eine beispiellose Terrorkampagne begonnen, die sich gegen die Befürworter der Unabhängigkeit richtet.
Zehntausende Menschen sind auf der Flucht
Die medizinische Versorgung ist katastrophal. Internationale Hilfsorganisationen gehen davon aus, dass seit Beginn der Kampagne bis zu 85.000 Osttimoresen aufgrund der Gewalt proindonesischer Milizen aus ihren Häusern geflohen sind. Viele tauchten zum Teil monatelang in den Wäldern und unzugänglichen Bergregionen unter. Durch die lange Zeit der Flucht sind sie sehr geschwächt und konnten dort nicht mehr überleben. Verschiedentlich gelang es, ihnen sicheres Geleit in größere Städte der Umgebung zu verschaffen. Die gesundheitliche Versorgung der gesamten Bevölkerung Osttimors ist katastrophal. Immer mehr Ärzte wandern ab oder werden ausgewiesen. Krankheiten, Mangelernährung und Tod durch Verhungern sind die Folgen. Nach Angaben des amerikanischen Arztes Dr. Daniel Murphy werden die 800.000 Einwohner Osttimors von gerade noch 35 seiner Kollegen versorgt.
Menschenrechtsverletzungen
Jahrelang wurde vor allem die indonesische Armee für Menschenrechtsverletzungen in Osttimor verantwortlich gemacht. Seit dem verstärkten Aufbau von Milizen im vergangenen Herbst ist die Situation komplexer geworden. Die indonesische Regierung gibt sich damit zufrieden, ihr Bedauern über die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Autonomie in Osttimor zu äußern.
Doch damit wird sie weder ihrer historischen, noch ihrer heutigen Verantwortung gerecht. Zu viele Indizien deuten darauf hin, dass die indonesischen Sicherheitskräfte nicht nur den Aufbau neuer Milizen, sondern auch deren Finanzierung, Bewaffnung, ihr Training sowie die Koordination einzelner Einsätze planmäßig betrieben haben.
Der tatsächliche Umfang der Unterstützung der indonesischen Armee für die Milizen ist kaum zu verifizieren. Mitglieder der Milizen versichern aber auch selbst, von Indonesien Waffen erhalten zu haben. In zahllosen Fällen traten Milizen, führende Offiziere und Vertreter der Verwaltung überdies gemeinsam bei öffentlichen Veranstaltungen auf, bei denen die Bürger dazu aufgerufen wurden, sich für die Autonomie auszusprechen.
Ulrich Delius, Göttingen, September
1999
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