INDEX
Teil I
Teil II
Teil III
Organisationen
Yanomami

Die Wächter der Wälder
"Unsere Zukunft ist eure Zukunft"

Eine Unterrichtseinheit über indigene Völker, Klimabündnis und wir, Mai 2000

Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol
Landesamt für Luft und Lärm, Autonome Provinz Bozen
Pädagogisches Institut Bozen

INHALT

Teil II
Beispiel Borneo | Das neue Gold | Gefährdetes Land | Ölförderung und Ökozid in Nigeria | Ogoni - wer sind sie? | Stichwort Nigeria | Zuerst starben die Fische | Nigeria und sein Öl | WWF für das Niger- Delta | Der schwarze Tod | Umweltschäden | Shell stellt klar | Ken Saro-Wiwa | Der Weg zur Geburt der Ogoni-Bewegung | Schwarze Löcher aus blubberndem Öl | Die Fettschicht der oberen Hundert | Vom Dorado zum Inferno | Unbekannte Ökokatastrophe in Sibirien | Wasser-Strom |

obenBeispiel Borneo
Der Regenwald wird ausverkauft

In Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos, ist der tropische Regenwald die Lebensgrundlage der indigenen Völker der Dayak und Punan. Traditionell leben diese Völker vom Brandrodungsfeldbau, der Jagd und dem Sammeln von Waldprodukten. In ihren artreichen Waldgärten bauen sie Rattan, verschiedene Fruchtbäume, Gemüse und Heilpflanzen an. In Gebieten mit höherer Bevölkerungsdichte haben sie erfolgreich Dauerkulturen in den Brandrodungsfeldbau integriert. Solange ihre Gemeinschaften funktionieren, regeln überlieferte Rechtssysteme (adat) die Nutzung der Ressourcen, so daß es zu keiner Entwaldung und Auslaugung der Böden kommt.
Seit den 70er Jahren haben der kommerzielle Holzeinschlag und der Abbau von Bodenschätzen auf in Kalimantan dramatisch zugenommen. Im Zuge des staatlich-indonesischen Programmes "Transmigrasi" sind parallel dazu immer mehr Javaner auf die Insel umgesiedelt worden. Die indigene Bevölkerung mußte Stück um Stück von ihrem Land abgeben. In den 80er und 90er Jahren häuften sich die Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen an den Ureinwohnern.
Indonesiens Ministerien für Forst und Transmigration verfassten (nach heftiger Kritik indonesischer und internationaler Nichtregierungsorganisationen) ein Gesetz, das von den Holz-Konzessionären die Entwicklung industrieller Wald-Plantagen (HTI) fordert. Diese Programme wurden als "Wiederaufforstung" unbewohnter und ungenutzter Gebiete deklariert und sollten eine "nachhaltige" Forstwirtschaft sichern. Tatsächlich legalisierten die HTI's den Kahlschlag. Unter Militärschutz walzten Bulldozer produktive Waldgärten der Ureinwohner nieder. In den HTI-Gebieten hat sich die Struktur der Vegetation total verändert. Geschützte Arten wie der Eisenholzbaum sind vernlchtet, die Zahl der Säugetiere und Vögel ist halbiert, die Orang Utans (Waldmenschen auf Indonesisch) zogen sich zurück.
1995 entschied Militärdiktator Shuarto, in den Torfmooren Zentralkalimantans ein landwirtschaftliches Projekt zu starten. Auf einer Fläche von 1,3 Millionen Hektar soll künftig intensiv Reis angebaut werden. Dafür will die Regierung 250.000 iavanische Familien (ca. 1,25 Millionen Menschen) nach Kalimantan umsiedeln. Die sumpfigen Gebiete Zentralkalimantans gelten als ökologisch wertvoll. Sie sind noch stark bewaldet und werden von indigenen Gruppen bewohnt. Ihre sauren Torfböden sind für die intensive Landwirtschaft völlig ungeignet. Sowohl internationale wie unabhängige indonesische Experten befürchten Überschwemmungen, Mißernten, massiven Schädlingsbefall und eine Absenkung des Grundwasserspiegels. Die Weltbank hat von einer Finanzierung des Projektes Abstand genommen.
Im Osten der Insel wurden außerdem riesige Goldvorkommen entdeckt. Die Firma Freeport McMoran, die schon in Westpapua ein Umweltdesaster angerichtet hat und heute im Auftrag des mächtigen britischen Bergbaukonzerns Rio Tinto Zinc (Eigner des österreichischen Katastrophenbergwerks von Lassing) operiert, hat im Februar 1997 grünes Licht für eine Mine bei Busang erhalten. Die dort lebenden Dayak fürchten das Schlimmste.
Die Kritik an Naturzerstörung und Menschenrechtsverletzungen in Indonesien hat immerhin dazu geführt, daß westliche Regierungen und Banken bei der Vergabe von Krediten vorsichtiger sind. In Ostkalimantan fördert das deutsche Ministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung den Umweltschutz und die Erhaltung von Waldgebieten. Allerdings stehen solche Projekte für die indonesischen Forstbehörden in Zusammenhang mit der Vergabe von Einschlagskonzessionen in benachbarten gebieten. Deutsche Entwicklungshelfer etwa von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit müssen sich die Frage gefallen lassen, ob ihre Aktivitäten nicht nur ein Feigenblatt für weiteren Kahlschlag sind.

Aus: pogrom (193/1997), Zeitschrift für bedrohte Völker von Bettina Sostmann



obenDas neue Gold
Abbau von Erdöl und Erdgas

Erdölreserven in Milliarden Tonnen

Region
Afrika
Nordamerika
Lateinamerika
Nahost
Asien
GUS und China
Westeuropa
Welt
sichere Reserven
8,1
4,3
16,5
89,9
2,7
11,3
1,9
149,0
Reichweite in Jahren
32
18
47
135
19
13
10

Energieverbrauch in westdeutschen Verkehrssektoren (in Petrojoule)

1990 1995 2000 2005 2010
Straßenverkehr Benzin 1080 1095 1049 970 904
Diesel 216 231 242 255 255
Strom -- -- -- 0,5 1,6
gesamt 1296 1326 12291 1226 1161
Schienenverkehr Diesel 17,7 16,7 16,3 15,6 14,9
Luftverkehr 170,9 215,4 234,7 255 263,1
Schiffahrt 25,1 28,2 29,9 31,3 32,4
insgesamt Benzin* 1124,3 1135,3 1087,4 1006,8 939,9
Diesel** 824,5 967,0 1016,6 1059,1 1068,8
*inklusive Flugbenzin
**inklusive schwerem Flugturbinentreibstoff

Ölverbrauch der westdeutschen Haushalte (in Petrojoule)

1989 1995 2000 2005 2010
Raumwärme 593,8 718,4 667,5 635,6 594,3
Warmwasser 76,8 70,1 66,3 63,4 60,0
gesamt 670,1 788,5 733,8 699,1 654,3
Weltrohölförderung 1994 (in Millionen Tonnen)

Saudi-Arabien 402,8
USA 393,1
GUS 352,0
Iran 180,9
Mexiko 156,6
China 146,1
Norwegen 130,5
Venezuela 127,7
Großbritannien 126,0
Arabische Emirate 107,7
Kanada 104,6
Kuwait 102,5
Nigeria 102,1

Abfackeln von Erdgas in den führenden produzierenden Ländern - (% in Gros-Produktion 1991)
OPEC Länder
Nigeria 76,00 %
Libyen 21,00 %
Saudi Arabien 20,00 %
Iran 19,00 %
Algerien 4,00 %
OPEC gesamt 18,00 %

keine OPEC Länder
USA 0,60 %
Niederlande 0,00 %
Großbritannien 4,30 %
GUS 1,50 %
Mexiko 5,00 %
Welt gesamt 4,80 %

Quellen: Deutscher Mineralölwirtschaftsverband


obenGefährdetes Land
Nigerias Mangrovenküste

Dieses Ökosystem des tropischen Regenwaldes, treffender: des Gezeitenwaldes, gedeiht an schlickreichen Flachwasserzonen tropischer Meeresküsten. Die dort herrschenden extremen Umweltbedingungen, Salzwasser, luftundurchlässiger Schlick und der Gezeitenwechsel, erfordern besondere Anpassung. Spezielle Drüsen an den Blättern scheiden überschüssiges Salz aus; Atemwurzeln gewährleisten die Sauerstoffversorgung der Wurzeln, die Verankerung im weichen Untergrund wird durch Stelzwurzeln ermöglicht.
Bemerkenswert ist der Nährstoffreichtum dieser Lebensräume: Mehrere Tonnen Blätter fallen pro Hektar und Jahr herab, und das dichte Atem- und Stelzwurzelgewirr hält immer neuen, mineralienreichen Schlick fest. Die Mangroven dienen vielen Fischarten als Laichplätze und Kinderstube. Der Mensch nutzt diese Lebensräume als Nahrungsquelle: Die Küstenfischerei bringt mit relativ einfachen Methoden hohe Erträge und sichert die Eiweißversorgung vieler Menschen. Gegen die häufigen tropischen Stürme wirkt der Gezeitenwald als sicherer Küstenschutz.

Das Niger-Delta
Das Niger-Delta im Südosten Nigerias gehört zu den größten Feuchtgebieten der Erde. Es erstreckt sich über eine Fläche von über 30.000 Quadratkilometern. lm Delta leben zwölf größere ethnische Gruppen, wobei die Iljaw mit 4 Millionen Menschen die stärkste Gruppe stellen. Die Bundesstaaten Rivers und Delta umfassen etwa 80 Prozent des Feuchtgebietes. Auf dieser Fläche leben sieben Millionen Menschen.
Das Delta ist ein komplexes System, das von den Flüssen Niger und Benue ständig neu gestaltet wird. Es besteht aus vier ökologischen Zonen: den der Küste vorgelagerten lnseln, den Mangrovensümpfen, den Süßwassersumpfwäldern und dem Marschregenwald und weist eine der größten Artenvielfalten der Welt auf.
Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt 3.000 bis 4.500 mm (Vergleich Südtirol: circa 750 mm), die Luftfeuchtigkeit liegt bei 80 Prozent und die durchschnittliche Temperatur bei 27 Grad Celsius (Südtirol: 11 Grad Celsius). Über 80% des Deltas sind zeitweise überflutet, was wesentlich zur Erosion der Flußufer beiträgt. Geht das Wasser nach der Regenzeit zurück, bleiben Sümpfe und Seen. Auf diese Art gestaltet sich das Delta zwischen Erosion und dem Anschwemmen von Geröll, Schlamm u.a. immer wieder neu. Diese Dynamik unterliegt allerdings einer Beeinflussung durch den Menschen, etwa durch die Dämme, die entlang des Niger während der vergangenen 25 Jahre gebaut wurden. Experten schätzen, daß diese Dämme rund 70 Prozent der Anschwemmungen zurückhalten und so dem Delta eine seiner wichtigsten Lebensgrundlagen, die ständige Erneuerung des Bodens, entziehen und damit ein Vordringen des Meeres ermöglichen.
Die ausgedehnten Mangrovenwälder des Deltas bedecken eine Fläche von rund 6.000 Quadratkilometern und gehören zu den größten Mangrovenwäldern der Erde. Den größten Teil des Deltas nehmen die Süßwassersumpfwälder ein, die wegen ihrer Unzugänglichkeit wesentlich weniger abgeholzt wurden als der Marschregenwald. Letzterer ist heute praktisch verschwunden, und das Gebiet ist zur Savanne geworden. Die dem Festland vorgelagerten lnseln sind noch weitgehend intakt und bieten eine große Artenvielfalt.

Aus: Danler/Brunner - Shell in Nigeria/multinationale Konzerne in der Dritten Welt am Beispiel von Shell im Niger-Delta, 1996 und Loimeier: z.B. Ken Saro Wiwa, 1996



obenÖlförderung und Ökozid in Nigeria
"Ogoni stirbt, damit Nigeria lebt"

Die Ogoni sind eine eigenständige ethnische Gruppe, deren 500000 Angehörige sich aus den Untergruppen Babbe, Gokana, Ken Khana, Nyo Khana und Tai zusammensetzen. Ogoni, so nennen sie auch ihr Land in den Ebenen des nordöstlichen Niger-Deltas, wo auch Nigerias Ölquellen liegen.
Die Ogoni sind Bauern, die auch Jagd und Fischfang betreiben. Sie verlieren mit dem Land ihre Lebensbasis und fürchten um ihre Existenz. lhre lnteressen werden von dem ,,Movement for the Survival of Ogoni People" (MOSOP) vertreten, das ein eigenes Bundesland innerhalb der nigerianischen Föderation, politische Selbstverwaltung und einen gerechten Anteil an den Gewinnen aus der Ölwirtschaft fordert.
Schon während der britischen Kolonialzeit wurde Nigeria geteilt: in das muslimische Nord- und das mehrheitlich christliche Südnigeria, das später in Ost- und Westnigeria aufgegliedert wurde. Bei der Unabhängigkeit Nigerias am 1. Oktober 1960 wurde die föderale Staatsform in der Verfassung verankert. Die Spannungen der Ethnien (Haussa, Yoruba, Ibo und Ogoni) untereinander aber blieben bestehen.
Die älteste Partei, der bereits 1944 gegründete National Council of Nigeria and the Cameroons (NCNC), entwickelte sich rasch zur Interessenvertretung der lbo. Die 1951 gegründete Action Group wurde zur Plattform der Yoruba. 1951 schuf sich die Fulani-Aristokratie den Northern Peoples Congress (NPC). Jede dieser Parteien dominierte in einer Region und etablierte dort praktisch ein Einparteienregime.
Schon bald nach der Unabhängigkeit wurde die Action Group zerschlagen und die Westregion durch Abtrennung der nicht von Yoruba bewohnten Gebiete geschwächt. Die Machtkonkurrenz zwischen NPC und NCNC wuchs und wurde verschärft durch das Interesse an der Verfügungsgewalt über die reichen Erdölvorkommen in der Minderheitenregion des Ostens. Auseinandersetzungen um die Wahlen von 1964/65, bei denen die lbo der Ostregion dem dominanten Norden Wahlfälschung vorwarfen, führten zur Machtübernahme Ibo-General lronsis, der die Föderation abschaffte und eine Zentralregierung etablierte.

Der Biafra-Krieg
Es folgten Ausschreitungen gegen lbos im Norden, ein erneuter Putsch, bei dem lronsi ermordet wurde, Massaker an lbos, bei denen etwa 30.000 Menschen getötet wurden, und eine Massenflucht von zwei Millionen lbos aus dem Norden in die Ostprovinz. Die lbos der Ostregion hatten infolge der Massaker von 1966 ihr Vertrauen in die Regierung in Lagos verloren. Sie plädierten für eine Konföderation unabhängiger Staaten. Die Spannungen zwischen der Zentralregierung und den lbos eskalierten. Die Ibos der Ostregion erklärten nach einer zentralistischen Reform Nigerias die Unabhängigkeit als Republik Biafra. 1967 rückte die Zentralarmee in Biafra ein, der Biafra-Krieg begann.
In diesem brutalen Krieg, der zu einem Völkermord an den lbo ausartete, unterstützten - seltene Einmütigkeit - England und die Sowjetunion mit Ägypten die Zentralregierung. Ein Sieg Biafras hätte Auswirkungen gehabt für ihren Zugriff auf das Öl. 1970 mußte Biafra kapitulieren und wurde dem nigerianischen Staat wieder eingegliedert.

Nigeria am Abgrund
Auch heute ist die Ostregion von entscheidender Bedeutung für Nigeria. Schon vor zehn Jahren bestritt das Land etwa 95 Prozent seiner Gesamtausfuhren mit Erdöl. Der Osten wird ausgepreßt. Daran hat auch die Wiedereinführung der föderalen Struktur und lokaler Regierungen nichts geändert. Ursachen dafür sind die Dominanz der Haussa-Fulani, ungerechte Verteilung des Staatshaushaltes an die BevöIkerung, Willkür, Massenarbeitslosigkeit, Wucher, gigantische Auslandsverschuldung, Menschenrechtsverletzungen, Drogenhandel, Tribalismus, Korruption, hohe Analphabetenrate.
Der Journalist und Menschenrechtler Ken Saro-Wiwa faßte die Standpunkte der Häuptlinge und Sprecher der 500000 Ogoni zusammen, wie sie in der Ogoni Bili of Rights festgehalten wurden. Die Ogoni werfen der Regierung vor, hemmungslos die Ölquellen auszubeuten, ohne die Bevölkerung des Fördergebietes am Gewinn zu beteiligen. Seit den ersten Ölbohrungen 1958 hätten die Ogoni über 20 Milliarden US-Dollar Pacht- und Lizenzeinnahmen zu Gunsten des Staatshaushalts verloren. Investiert worden sei davon in der Minderheitenregion jedoch nichts.

Aus "pogrom" (166/92), Zeitschrift für bedrohte Völker von Yvonne Bangert



obenOgoni - wer sind sie?
Das Volk im Niger-Delta

Die 500.000 Ogoni leben in einem 1.000 Quadratkilometer großen Gebiet östlich des heutigen Port Harcourt in Nigeria. Innerhalb des Ogonilandes werden vier Hauptsprachen und mehrere Dialekte gesprochen. Die Bevölkerungsdichte von 500 Menschen pro Quadratkilometer ist eine der höchsten der Welt in einem ländlichen Gebiet. Der nigerianische Durchschnitt beträgt 100 Menschen. Die Arbeitslosenquote ist hoch, eine Infrastruktur besteht nur in ungenügendem Maße. Die meisten Ogoni betreiben Landwirtschaft für den Eigenbedarf und ernähren sich von der Fischerei. Sie pflanzen hauptsächlich Yams und Cassava, die Grundnahrungsmittel des südlichen Nigeria.
Die Landwirtschaft und ein Anwachsen der Bevölkerung hatten zur Folge, daß ein Großteil der Regenwaldfläche dem Feldbau weichen mußte. Allerdings achteten die Ogoni darauf, niemals die Mangrovenbestände entlang des Flußlaufes des Niger in Gefahr zu bringen.
Die Ogoni haben eine eigenständige Kultur, in der das Land traditionell als heilig angesehen und verehrt wird. Trotz der vollzogenen Christianisierung sind Elemente ihrer traditionellen Kultur und Religon nach wie vor vorhanden. Zu Festzeiten enthüllen farbenprächtige Masken den Reichtum von Kunst und Kultur der Ogoni. Viele Ogoni vertrauen heute noch den Heilkünsten der Schamanen.

Kolonialismus und Unabhängigkeit
1885 teilten die Kolonialmächte den größten Teil Afrikas unter sich auf. Das heutige Nigeria fiel unter britische Herrschaft. Die Ogoni leisteten Widerstand, wurden aber von den britischen Militärs Anfang dieses Jahrhunderts unterworfen. Die Briten teilten die nigerianische Gesellschaft in drei Hauptgruppen auf: die Haussa-Fulani im Norden, die Yoruba im Westen und die Ibo im Osten Nigerias. Die mehr als 400 weiteren kleineren Völker wurden ignoriert. Die Ogoni-Region fiel unter das Einflußgebiet der Ibo. Die Ogoni sprechen heute noch von den Diskriminierungen, denen sie durch die Ibo ausgesetzt waren. Die Ogoni wurden verachtet. Sie waren auf der untersten Sprosse der sozialen Leiter, die Randgruppe der Gesellschaft. Sie verrichteten untergeordnete Arbeiten als Diener, Reinigungskräfte und Handlanger.

Die Ogoni-Gesellschaft
Die einzelnen Dorfgemeinschaften verfügen aufgrund der Unzulänglichkeit ihres Gebietes über einen hohe Grad an Autonomie. Der Ältestenrat, dem Männer ab 60 angehören und der allgemeine moralische und Verhaltensregeln vorgibt, ist die höchste Instanz. Der Ältestenrat entscheidet über den Verkauf von Gemeinschaftsland. Die verheirateten Frauen sind die stärkste und geschlossenste Gruppe. Die Frauen erledigen die Kindererziehung und die landwirtschaftliche Arbeit und den Kleinhandel, während die Männer wochenlang fort sind, um in den Städten zu arbeiten. Die Jugendlichen stellen den radikalsten und zum Widerstand bereiten Bevölkerungsteil dar.
Den Ogoni-Gemeinschaften stehen "Chiefs" vor, die kaum über Machtmittel verfügen und heute versuchen, über Prestigeobjekte zu Autorität zu kommen. Sie sind anfällig für alle Arten von Korruption.
Das wichtigste für eine Dorfgemeinschaft ist ihr Landeigentum. Das Niger-Delta weist in der Landfrage eine Doppelstruktur auf - einerseits gehört laut land use decree (Landnutzungserlaß) von 1978 das Land dem jeweiligen Bundesstaat; - andererseits betrachten die Dorfgemeinschaften das Land als gemeinschaftliches Eigentum. Das Gemeinschaftsland kann auch an Nicht-Dorf-Bewohner verkauft, eingetauscht oder verschenkt werden. Familienland wird nur innerhalb der Familie weitergegeben.

Aus: GfbV-Unterrichtseinheit "Mit den Wäldern sterben die Menschen"



obenStichwort Nigeria

Nigeria liegt im Westen Afrikas am Golf von Guinea und ist mit 923.770 Quadratkilometern rund dreimal so groß wie die Italien. Die nigerianische Bevölkerung von etwa 108 Millionen Einwohnern teilt sich in 400 verschiedene ethnische Gruppen; die drei größten sind Haussa-Fulani im Norden, Yoruba im Südwesten und lbo im Südosten. Nigeria ist das bevölkerungsreichste afrikanische Land. 1960 wurde Nigeria von Großbritannien unabhängig. Nach dem Militärputsch 1966 führten Auseinandersetzungen um die politische Vorherrschaft zu einem Völkermord mit zwei Millionen Todesopfern an den lbo. Abgesehen von zwei Perioden der Demokratie - 1960 bis 1966 und 1979 bis 1983 - wurde Nigeria seit seiner Unabhängigkeit von Militärdiktaturen regiert.

Verschuldungskrise
Nigeria liegt in absoluten Zahlen mit seinen 32 Milliarden US $ Auslandsschulden 1990 im Vergleich zu Algerien, lndien, Brasilien oder Mexiko "nur" im Mittelfeld der Schuldnerhierarchie. Die Schulden entstanden durch den Größenwahn der Ölzeit, das extreme Konsumverhalten der nigerianischen Eliten und die Kapitalflucht. Den Entwicklungswahn jener Jahre erkennt man noch heute im Stahlsektor und im Konzept der neuen Hauptstadt Abuja. Beide Großprojekte bilden eine feste Größe in den Haushaltsplänen. Jahr für Jahr haben diese Prestigeobjekte wie ein riesiger Schwamm Milliarden Dollar aufgesogen.
Dies gilt ebenso für die staatlichen Agrarprojekte wie für die privatwirtschaftliche Industrie. In diesem Bereich haben in- und aus- ländische lnvestoren eine Produktionsstruktur geschaffen, die bis zu 90 Prozent von importierten Rohstoffen und Fertigteilen abhängt.
Hinzu kam der kriminelle Devisentransfer ins Ausland und ein verändertes Konsumverhalten der höheren Einkommensgruppen des Landes. So zahlte Nigeria 1978 allein für die Einfuhr von Autos und Weizen 3 Milliarden US $. Da das Vertrauen in das lokale Elektrizitätsnetz nicht hoch war, importierte Nigeria 1980 Dieselgeneratoren im Werte von rund 2 Milliarden US $ für lndustriebetriebe und Haushalte, anstatt das nationale Netz auszubauen.

Mensch und Umwelt
Die Menschen leben von und mit dem Wasser und dem Land.
Das Delta bestimmt nicht nur ihre Lebensweise, die Art ihrer Häuser und ihre Wirtschaft. Das Delta bestimmt ihre Mythen, ihr Vokabular, ihre Bilder, Märchen und Gebräuche. Sechs große und unzählige kleinere Wasserläufe trennen die weit über tausend dörflichen Gemeinschaften, erschweren die Kommunikation zwischen den Dörfern und bestimmen die soziale Organisation. Das Ergebnis ist eine Vielzahl von Sprachen und Völkern, zu denen auch das Volk der Ogoni zählt.
In einigen Gebieten des Deltas hat die Entwicklung in Richtung einer dramatischen Verschlechterung der Umweltbedingungen schon vor dem Eintreffen der Ölfirmen begonnen und mit dem Beginn der Ölförderung einen ersten Höhepunkt erreicht. Einer von mehreren ähnlichen Fällen im Niger-Delta ist Botem-Tai in Ogoniland, über das es genauere Daten gibt. Dort war die Ölindustrie nicht der primäre Verursacher einer umweltgefährdenden Situation, sondern verstärkte durch eine rücksichtslose Ölförderung noch die ohnehin dramatische Umweltzerstörung. lm Ogoniland war schon 1930 der Regenwald bis auf wenige Gebiete abgeholzt, und 1960 fiel der Rest dem zunehmenden Druck der Bevölkerung, neue landwirtschaftliche Gebiete zu erschließen, zum Opfer. Damit begann eine unglückliche Entwicklung:
Durch das Bevölkerungswachstum wurden Brachzeiten verkürzt, was die Bodenqualität verschlechterte, was wiederum Mehrarbeit und geringere Erträge bedeutete. Schließlich begann der Anbau von Cassava, einer Pflanze, die auch auf extrem schlechten Boden gedeiht. Heute ist der Bevölkerungsdruck so groß, daß während der Trockenzeit sogar in Feuchtgebieten, die früher nie genutzt wurden, Cassava angebaut wird, wobei die Wasserquellen der Trockenzeit gefährdet werden.
Der Aufstieg der Ölindustrie in Ogoni fällt genau in die Zeit dieser dramatischen Verschlechterung der Lebensumstände für die Bevölkerung, und sie verursachte zusätzliche, bisher ungekannte Probleme für Mensch und Umwelt.

Literatur: Danier/Brunner, Shell in Nigeria - multinationale Konzerne in der Dritten Welt am Beispiel von Shell im Niger-Delta, 1996 und Loimeier: Z.B. Ken Saro Wiwa, 1996



obenZuerst starben die Fische
Shell werden in Nigeria Umweltsünden vorgeworfen

Der Ölkonzern Royal Dutch-Shell, der 55 Prozent des nigerianischen Erdöls fördert, hat über Jahrzehnte hinweg das empfindliche Ökosystem des Nigerdeltas zerstört, werfen ihm Umweltschützer vor. Obwohl in Nigeria in 35 Jahren Öl im Wert von 30 Milliarden Dollar gefördert wurde, ging die örtliche Bevölkerung leer aus. "Als die ersten kamen, haben sie sich nicht um uns gekümmert. Die haben das Öl gefördert und sind verschwunden. Damals kam es zum ersten großen Leck, das Öl kam einfach aus dem Boden, vermischte sich mit den Flüssen, zuerst starben die Fische, dann die Felder, und das Land wurde unfruchtbar", erzählte Irene Amangala von Ogibia in einem Radiointerview 1965.
Shell räumt ein, daß es auch heute noch jährlich zu mindestens 200 Rohrleitungsbrüchen kommt. In der Überschwemmungslandschaft des Deltas, so der Konzern, könne man das ausgeflossene Öl nur auf eine Art beseitigen, nämlich durch Abbrennen. (...) Auch ohne Rohrbrüche verursachen die Bohrtrupps immer wieder schwerste Umweltbelastungen. (...) Auch wenn Shell seit den vergangenen Jahren behutsamer vorgeht, ist der Unwillen der Bevölkerung beträchtlich angewachsen. Da die Regierung ihren Haushalt zu 80 Prozent aus den Öleinnahmen bestreitet, die über 95 Prozent der Deviseneinkünfte einbringen, reagieren die Behörden äußerst hart auf Protestbewegungen jeglicher Art. So ergibt sich, auch wenn die acht in Nigeria tätigen Öl-Multis (außer Shell noch Mobil, Chevron, Elf, Agip, Tecaxo, etc.) das Vorgehen des Staates im Einzelfall vielleicht nicht immer billigen mögen, ein prinzipieller Interessen-Gleichklang zwischen den Konzernen und dem Staat.

Aus: GfbV-Unterrichtseinheit "David gegen Goliath - die Ogoni in Nigeria wehren sich gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes durch Erdölkonzerne" von Wolfgang Kunath im "Blickpunkt" der "Frankfurter Rundschau" (17.6.95)



obenNigeria und sein Öl
Die besondere Rolle der Erdölindustrie

Die Erdölindustrie begann in Nigeria 1907 mit Explorationsarbeiten der deutschen Bitumen Company in der Nähe von Lagos. Seit dem Mineralölgesetz von 1914 erhielten nur mehr britische Staatsbürger oder Unternehmen Lizenzen. Nach einigen Versuchen erhielt die Shell D'Arcy Petroleum Development Company (D'Arcy ging später in British Petroleum - BP - auf, aus Shell D'Arcy wurde Shell/BP-Joint Venture, das von Shell betrieben wurde) 1938 eine Explorationslizenz für das gesamte Festland-Nigeria mit rund 950.000 Quadratkilometer. Shell besaß somit ein Monopol auf die gesamten Erdölressourcen Nigerias bis 1957.
Seit Mitte der 70er Jahre tragen die Einnahmen aus dem Erdölexport über 90% zu den gesamten Exporteinnahmen Nigerias bei, so etwa 1995 mit rund US $ 10,35 Mrd. Die Erdölindustrie dominiert somit die monetäre Seite der nigerianischen Wirtschaft.
Das nigerianische Erdöl ist "süß", das heißt schwefelarm bis beinahe schwefelfrei, leicht und gilt als qualitativ hochwertiger als die Ölsorten anderer Produzenten und wird in Rotterdam meist mit einem Preisaufschlag auf das qualitativ vergleichbare Nordseeöl "Brent" verkauft.
Die Produktion findet zu 75% on-shore im Niger Delta (bzw. aus einigen an das Niger Delta angrenzenden Ölfeldern) statt, der Rest wird off-shore in geringen Tiefen vor der Küste gefördert. Die Tagesproduktion betrug 1995 1,93 Mio.Barrels. Bei Reserven von 21 Mrd. Barrels könnte Nigeria noch 27 Jahre die gleiche Menge Erdöl fördern.
Zur Zeit sind neben der staatlichen Nigerian National Petroleum Corporation (NNPC) acht multinationale Konzerne in Nigeria tätig: Shell, Mobil, Chevron, Agip, Elf, Texaco, Phillips und Ashland. Diese schließen meist Verträge mit der staatlichen NNPC ab und räumen dem Staatsunternehmen eine Mehrheitsbeteiligung ein, während der ausländische Partner Betriebsführer ist.

Literatur: Danier/Brunner, Shell in Nigeria - multinationale Konzerne in der Dritten Welt am Beispiel von Shell im Niger-Delta, 1996; Loimeier: z.B. Ken Saro-Wiwa, 1996; pogrom Artikel, Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker; Report of the UNPO Mission to investigate the situation of the Ogoni of Nigeria, 1995

Ölförderung in Nigeria nach Konzernen
(durchschnittliche Menge 1995 in Barrel je Tag)
Shell 910.000
Chevron 380.000
Mobil 310.000
Agip 130.000
Elf 95.000
Texaco 60.000

1 Barrel =160 Liter/Quelle: Greenpeace & Financial Times (12.11.95)



obenWWF für das Niger- Delta
Neben den vielen bekannten Problemen ist das Abfackeln des Gases das schlimmste. Statt nach einem Nutzen des Gases zu suchen oder es aufzufangen, brennt die Industrie es ab, mit der Folge einer schmutzigen Verbrennung. Ölige Kohlenwasserstoffpartikel im Rauch verseuchen das Land, die Menschen darauf und ihre Saat, die in Windrichtung der Schwaden liegt.
76% der Gesamtgasproduktion auf den nigerianischen Ölfeldern wird durch Abfackeln verbrannt - dies ist die höchste und schlimmste Gasabfackelung der Welt. Diese Verbrennungsquote ist derartig groß, daß sie wahrscheinlich als der größte Einzelverursacher für den Treibhauseffekt mitverantwortlich ist. Ungefähr 20 Prozent des verbrannten Gases ist Methan.
Zuverlässige Daten über die Konsequenzen des Gasabfackelns sind schwierig zu erhalten, weil die Industrie sie geheimhält. Nach einem Bericht der Weltbank beliefen sich die Gesamtemissionen von Kohiendioxid durch Gasabfackeln in den Bezirken Delta und Rivers auf 34 Millionen Tonnen, davon waren 12 Millionen Tonnen des Gases Methan. Gravierende soziale Probleme wurden durch die Emissionen von Stickstoff- und Schwefeldioxiden geschaffen. Schätzungsweise 210.000 Tonnen Stickstoffoxide und 40.000 Tonnen Schwefeldioxide fallen jedes Jahr an.


obenDer schwarze Tod
Die Weltbank hat Ölunfälle recherchiert
Nach Schätzungen der Weltbank laufen mindestens 2.300 Kubikmeter Rohöl jährlich aufgrund von 300 größeren Ölunfällen im Niger Delta aus. Die Zahl der registrierten Ölunfälle ist während der vergangenen Jahre angestiegen. Die Bevölkerung berichtete von Pipelines, aus denen wochenlang Öl in Flußläufe rann. lm Oktober 1993 schoß in Korokoro drei Wochen lang eine Ölfontäne aus einer Shell-Pipeline, und in Kpor wurde ein Ölunfall im Januar 1994 einer Bäuerin zum Verhängnis. Sie stand vor Beginn der Dämmerung auf und wollte zu ihren Feldern gehen, dabei trug sie eine Kerosin-Lampe. In der Dunkeiheit konnte sie das Leck in der Shell-Pipeline, die durch ihr Dorf verläuft, nicht sehen und auch nicht das Öl, das schon den Boden bedeckte. Als sie die Lampe niederstellte, fing das Öl Feuer, und in kürzester Zeit hatte die Frau schwere Verbrennungen am Körper. Die Mutter von acht Kindern erhielt keine medizinische Betreuung, kein Shell-Vertreter hat sie je besucht, ganz zu schweigen von Schadensersatz oder Schmerzensgeld.
Bei Ebubu in Rivers State brach während des Bürgerkriegs 1970 eine Shell-Pipeline. Das auslaufende Öl verschmutzte über zehn Hektar Land und brannte mehrere Tage. Dieses Gebiet ist bis heute nicht gereinigt. Heute ist die Olschicht immer noch mehrere Meter dick, und während der Regenzeit schwappt regelmäßig Öl an die Öberfläche und gelangt in die umliegenden Gewässer.
Ein ähnliches Bild bietet sich in Yoria (Ogoni). Auch hier sind mehrere Hektar ölverkrustet und die umstehenden Bäume verbrannt: Die Bevölkerung im nahegelegenen Dorf gibt an, das Öl sei aufgrund eines Rohrbruchs in der Pumpstation wochenlang ausgelaufen und habe sich dabei entzündet, ohne daß Shell etwas dagegen unternommen hätte.

Literatur: Danier/Brunner, Shell in Nigeria - Multinationale Konzerne in der Dritten Welt; Studie für Brot für die Welt, 1996



obenUmweltschäden

Drei der vier nigerianischen Raffinerien und zwei petrochemische Fabriken befinden sich im Niger-Delta; 94 Produktionsstätten unterhält dort allein Shell. Zwei Raffinerien und eine Fabrik davon liegen in Ogoni; fünf Ölfelder, 96 Bohrlöcher, fünf Pumpstationen kommen dazu. Ein engmaschiges Netz aus Bohrtürmen und Pipelines durchzieht in unmittelbarer Nachbarschaft von Dörfern, quer durch Bauerngehöfte, Felder und Gärten das Land der Ogoni; zirka 6.200 Kilometer Röhren hat allein Shell im Niger-Delta verlegt - fast alle Rohre verlaufen oberirdisch. Brände, Lecks und Öllachen sind alltäglich. Das für Erdöl zuständige Ministerium registriert monatlich bis zu 30 Ölunfälle im Nigerdelta.
Das Abfackeln des Erdgases - 24 Stunden am Tag über mehr als 30 Jahre - beeinträchtigt die Luftqualität, mindert die Vielfalt der Tiere, führt nach Regenfällen zu Rußschlacken auf Pflanzen, Feldern und Häusern. Atemwegserkrankungen, Krebs, Mißbildungen bei Neugeborenen treten in Ogoni häufiger auf als andernorts. Das Trinkwasser ist gemäß einer Weltbank-Studie häufig und in großem Maße verseucht und verursacht rund 80 Prozent aller Erkrankungen im Delta, das Ackerland unfruchtbar, der Bestand nicht nur an Fischen weitgehend ausgestorben; die hohe Artenvielfalt an Tieren - auch das ist in der Weltbank-Studie nachgewiesen - schrumpft bedrohlich. Darüber hinaus sind die Folgen des Abfackelns weltweit durch den Treibhauseffekt spürbar. Bis zu 10 Prozent der Mangrovenwälder verschwanden, weil die Operationen der Ölgesellschaften wesentliche Gebiete der Mangrovenwälder zerstörten und mit den Mangroven verschwanden die Tiere, denen sie Lebensraum boten: Krebse, Muscheln, Schnecken, Fische. Das Europäische Parlament beschrieb diesen Zustand als "ökologischen Alptraum", die Weltbank-Studie hält fest: "Die Auswirkungen aller ölbezogenen Tätigkeiten werden die Umweltzerstörung im Niger-Delta verstärken, wenn nicht das Hauptaugenmerk auf den Umweltschutz gerichtet wird."

Literatur: Loimeier,: z.B. Ken Saro-Wiwa; Danier/Brunner, Shell in Nigeria.



obenShell stellt klar
Es gibt im Niger-Delta Umweltprobleme.

(...) Das Gebiet als Ganzes ist keinesfalls "verwüstet" worden. Shell-Betriebe nehmen gerade 0,3% der Fläche des Deltas in Anspruch. Die umfassendste Untersuchung der Region, die von "Global Environmental Fund" der Weltbank finanziert wurde, kommt zu folgendem Schluß: Obwohl die Bereiche mit dem dringendsten Handlungsbedarf die Überfischung, der Raubbau am Wald, unsachgemäße Landwirtschaft und die Überbevölkerung seien, müßten auch Maßnahmen gegen die Verschmutzung durch Öl und gegen Abfackeln von Gas getroffen werden. Aus dieser Erkenntnis heraus hat Shell eine umfassende Studie, den "Niger Environmental Survey", initiiert.
Verunreinigungen durch Öl entstehen hauptsächlich als Folge von Korrosion und des Betriebs alternder Anlagen. Seit Jahren erneuert Shell die Produktionsinfrastruktur - so wurden allein 1994 1.300 km Rohrleitungen ausgetauscht. Das Modernisierungs- und Erneuerungsprogramm wird jährlich mehr als 100 Mio. US $ kosten. Das Abfackeln von Gas ist - wie schon erwähnt - erforderlich, weil die Nachfrage in Nigeria nicht ausreicht, den Großteil des assoziierten Gases abzunehmen, das unvermeidlich als Nebenprodukt bei der Ölförderung anfällt. Die Verminderung des Abfackelns ist strategisch gesehen die wichtigste Umweltschutz-Aufgabe. Das Abfackeln wird bis auf weiteres zwangsläufig fortgesetzt werden.

Aus: Shell: Die Erdölindustrie in Nigeria.



obenKen Saro-Wiwa
Der Martin Luther-King der Ogoni - Schriftsteller, Bürgerrechtler und Umweltschützer

"Wir haben es mit gewissenlosen Leuten zu tun, mit Steinzeit-Diktatoren, die blutrünstig sind. Sie sind für den afrikanischen Alptraum verantwortiich, fürchten sie sich doch vor ldeen und vor Leuten, die neue Konzepte haben. Es sind Wegelagerer und Gangster, die für Geld töten." Dies sagte der nigerianische Schriftsteller Ken Saro-Wiwa (eigentlich: Kenule Beeson Tsaro-Wiwa). Er wurde am 10. November 1995 mit acht seiner Mitarbeiter hingerichtet.
Ken Saro-Wiwa war Kolumnist, Journalist und Drehbuchautor. Er erhielt für eines seiner Hörspiele einen vom britischen Sender BBC gestifteten Preis und wurde für andere renommierte Preise nominiert. Saro-Wiwa unterrichtete an verschiedenen Universitäten Nigerias. 1968, während des Biafra-Krieges, wurde er Regierungsbeauftragter im Rivers State (Ogoni-Land). Nach seiner Entlassung 1973 war Saro-Wivia im lmport-Export Geschäft. Damals verfaßte er Gedichte, Erzählungen, Romane, Drehbücher, Hörspiele und Kinderbücher. Er baute einen eigenen Verlag mit Sitz in Lagos und London auf, um das Dilemma afrikanischer Autoren zu vermeiden, deren Bücher entweder in mangelhaft organisierten Vertrieben untergehen oder aufgrund des Erscheinens in einem europäischen Verlag für afrikanische Leser nahezu unerschwinglich sind.
Eine Fernsehserie, die auf einem seiner Bücher basierte, erreichte Einschaltquoten bis zu 30 Millionen Zuschauern pro Folge. Seine Romane handelten von Korruption, klagten über das Militärregime und über eine verantwortungslose politische wie wirtschaftliche Elite. Er ließ immer wieder seine Kritik über die Ausbeutung der Ogoni in sein literarisches Werk einfließen. Seine Wut über die nigerianische Regierung und der Ölkonzerne drückte er aber auch in seiner politischen Arbeit aus. Er wollte ,,das Wort auf die Straße bringen, um die Ogoni zu mobilisieren und unterstützen beim Protest gegen die Zerstörung der Umwelt durch Shell und die Erniedrigung durch Nigerias Diktatoren". lm Rahmen seiner politischen Tätigkeiten gründete er die "Nigerianische Gesellschaft für Umweltschutz" (Nigerian Society for the Protection of the Environment - NISOPEN). Er leitete die "Organisation für die Rechte ethnischer Minderheiten" (Ethnic Minority Rights Organization - EMIRON). Für sein Engagement erhielt Saro-Wiwa unter anderen den Alternativen Nobelpreis 1994 und 1995 den Preis der österreichischen Bruno-Kreisky-Stiftung "für herausragende Arbeit im Bereich der Menschenrechte".
Kurz vor seinem gewaltsamen Tod, im Oktober 1995, wurde Ken Saro-Wiwa für den Friedensnobelpreis 1996 nominiert. Wenig später, am 31. Oktober, verurteilte ihn ein nigerianisches Gericht zum Tod durch Erhängen. Schon seit Mai 1994 wurde er gefangengehalten. Erst im Januar 1995 erfuhr er den Grund: wegen Beihilfe zum Mord. Saro-Wiwa war Präsident der MOSOP (Movement for the Survival of the Ogoni People- Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes). Als im Mai 1994 vier Ogoni-Politiker, die einen regierungsfreundlicheren Kurs der MOSOP befürworteten, ums Leben kamen, machten ihre Familien und das Militärregirne Saro-Wiwa für den Anschlag verantwortlich. Obwohl die Beschuldigten nicht am Ort des Geschehens, sondern von Soldaten sogar an der Fahrt nach Giokoo gehindert worden waren, kamen Saro-Wiwa und vierzehn andere MOSOP-Mitglieder vor ein Sondergericht. Beim Urteil gegen Saro-Wiwa und seine Mitarbeiter räumte das Gericht ein, daß der 54jährige Saro-Wiwa nicht direkt an der Tötung der vier Personen beteiligt war, doch habe er "unzweifelhaft die Maschinerie in Gang gesetzt, die die vier Ogoni- Führer verzehrte", sagte der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung.

Aus: pogrom (186, 1995/1996), Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker und Loimeier: z.B . Ken Saro Wiwa



obenDer Weg zur Geburt der Ogoni-Bewegung

Eine der ersten in diesem Jahrhundert gegründeten Basisorganisationen der Ogoni war die "Zentrale Vereinigung der Ogoni" (Central Ogoni Union - COU). In den 40er Jahren kämpfte diese Organisation für bessere Bedingungen unter der britischen Kolonialherrschaft. Sie versuchte unter anderem, eine eigene Ogoni-Verwaltungseinheit durchzusetzen. In den Folgejahren mißlangen alle Versuche der Ogoni, am politischen System Nigerias aktiv teilzunehmen und es zu beeinflussen. Die COU existierte weiter. Ende der 80er Jahre verfaßte sie auf Anregung Saro-Wiwas die "Ogoni Bill of Rights".

Die Bewegung für das Überleben der Ogoni (MOSOP)
1990 wurden die "Grundrechte für die Ogoni" (Ogoni Bill of Rights - OBR) verabschiedet. Die Ogoni-Führer unterschrieben das Dokument, das ihre Forderungen nach Wahrung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und Umweltrechte unterstrich. Um die Ziele dieser Grundrechte zu verwirklichen, gründeten die Ogoni-Führer MOSOP (Movement for the Survival of Ogoni People), die Bewegung für das Überleben der Ogoni".
1991 erweiterten die Ogoni-Führer die Grundrechte um einen Passus, der MOSOP bevollmächtigte, die Aktivitäten der Organisation international auszuweiten. In diesem Zusatz wurden auch die Arbeitsmethoden MOSOP's festgelegt und Gewaltfreiheit zur Pflicht erklärt: ... die Ogoni schwören der Gewalt in ihrem Kampf für Gerechtigkeit innerhalb der Bundesrepublik Nigeria ab. "

aus: GfbV-Unterrichtseinheit "David gegen Goliath - Die Ogoni in Nigeria wehren sich gegen die Zerstörung ihres Lebensraumes durch Erdölkonzerne"



obenSchwarze Löcher aus blubberndem Öl

Die Geschäfte zwischen dem Staat Nigeria und dem Multi Shell laufen offensichtlich weiter wie geschmiert
(...) Wie auch immer - vom ökologischen GAU ist im Ogoni-Land nicht viel zu sehen. Doch die Frage bleibt, wie es möglich sein konnte, daß von dem Multimilliardengeschäft im Niger- Delta über Jahrzehnte hinweg praktisch nichts abfiel für die, denen der Grund und Boden gehört. Warum fehlen immer noch Gesundheitsposten und Klassenräume? Warum gibt es keine Jobs? Warum haben hier verdächtig viele Kinder Hungerbäuche? Wo sind die zehn Milliarden Dollar hingeflossen, die Nigeria allein 1994 mit Öl verdient hat? Shell und die nigerianische Regierung spielen sich den Schwarzen
Peter zu. Öl-Minister Chief Dan Etete hat gerade wieder die Petroleumgesellschaften beschuldigt, das Land um seinen gerechten Anteil zu betrügen. Shell wiederum verweist darauf, daß den Löwenanteil am Ölprofit der Staat einstreiche und daß es schließlich dessen Aufgabe und nicht die eines Wirtschaftsunternehmens sei, für lnfrastruktur zu sorgen. Aber es ist auch nicht Aufgabe einer Privatfirma, für die Polizei Gewehre anzuschaffen, wie es Shell getan hat. Trotz der populistischen Ausfälle des Ministers, trotz der politischen Neutralität des Unternehmens - die Zusammenarbeit läuft offenbar wie geschmiert, und es ist dieser fatale Eindruck augenzwinkernden Einverständnisses mit dem raffgierigen und mörderischen Regime, der Shell so diskreditiert.
Mittlerweile gibt Shell jährlich 22 Millionen Dollar - die Nigeria-Gewinne des Unternehmens sollen bei 190 Millionen pro Jahr liegen - für Gemeindeprojekte aus: für landwirtschaftliche Versuchsgüter, Schulen, Wasserversorgung und ähnliches. Zwar führen die Shell-Leute die entwicklungspolitischen Modewörter wie "Hilfe zur Selbsthilfe" oder "nachhaltig" auf den Lippen - aber allzu überzeugend klingen diese Verbrämungen einer PR-Maßnahme nicht: "Von unserer marktwirtschaftlichen Philosophie aus gesehen", räumt Rainer Winzenried, Sprecher der Deutschen Shell, ein, "ist das natürlich der blanke Wahnsinn."

Aus: Frankfurter Rundschau, 10.10.1996



obenDie Fettschicht der oberen Hundert
Ersticktes Land: Ortsbesichtigung in Nigeria nach Ken Saro-Wiwas Tod

(...) Wer heute im Delta des Niger-Flusses nach Schäden sucht, reibt sich verwundert die Augen: Auch nach tagelanger Suche sind jene Umweltzerstörungen, die von Ken Saro-Wiwa vor allem dem Shell-Konzern angelastet wurden, kaum zu finden. Jene zwei Ölteiche im Ogoni-Gebiet, die heute als "Beleg" für die angebliche Rücksichtslosigkeit Shells vogeführt werden, entstanden schon vor Jahrzehnten während des Biafra-Krieges, als die Ölförderung eingestellt war und nigerianische Krieger Leitungen sprengten. Und die über 70 000 Quadratkilometer verteilten 86 Gasfackeln sehen nicht anders aus als jene in Rußland oder der arabischen Welt. Gewiß gibt es an manchen Stellen leckende Ölleitungen, doch für die behauptete großflächige Verseuchung des ökologisch bedeutenden Flußdeltas finden sich keine Anhaltspunkte.
Statt dessen haben Bevölkerungswachstum, Brandrodung und Überfischung - wie in anderen afrikanischen Staaten - ihre Spuren hinterlassen. Das Umweltbewußtsein der Einheimischen scheint - im Gegensatz zu den Behauptungen des Alternativen Nobelpreisträgers Wiwa - nicht geschärft zu sein. Andere Vorwürfe des unbequemen Streiters sind dagegen mehr als berechtigt. So weisen nicht nur die Ogoni, sondern auch die Vertreter der anderen 450 ethnischen Gruppen immer wieder auf die Tatsache hin, daß es nach vier Jahrzehnten Ölförderung in weiten Teilen des Landes weder Schulen noch Krankenhäuser, Strom, Trinkwasserversorgung oder Straßen gibt.
Mit ihren neuen Ölfeldern könnten auch die Ogoni eigentlich so reich sein wie kuweitische Scheichs, doch die Ölgewinne fließen an ihnen vorbei. Statt die Grundversorgung der Ogoni und anderer Völker sicherzustellen, haben die Regierenden Milliardengewinne aus dem Ölverkauf auf europäische Bankkonten transferiert.
Nicht nur die Ogoni wissen seit langem, daß sie von ihren korrupten Regierungen Abhilfe nicht erwarten können. Deshalb haben sie ihre Forderungen nach dem Bau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen - eigentlich eine Regierungsaufgabe - an ausländische Konzerne gerichtet, so auch an Shell. Weil Shell/ Nigeria vom Verkaufspreis eines jeden geförderten Barrels Öl nur 3,5 Prozent erhält, die korrupte nigerianische Regierung aber 75 Prozent (der Rest geht an andere Partner), rnüßte die internationale Aufmerksamkeit eigentlich eher auf das von Nigerianern an Nigerianern begangene Unrecht gelenkt werden. Doch weil das Bild eines multinationalen Konzerns, der ein armes, kleines schwarzes Volk ausbeutet, besser in das Marketingkonzept vieler Dritte-Welt-Gruppen paßt, wird die Kampagne wohl weiterbin einzig gegen Shell geführt werden. Ganz im Sinne Ken Saro- Wiwas.

Aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ 9.11.96) von Udo Ulfkotte



obenVom Dorado zum Inferno
Erdöl aus dem equadorianischen Regenwald
In den 40er Jahren wurde man erstmals bei Erdölbohrungen fündig. Von da an war das Erdöl bis in die 70er Jahre die Hauptstütze der ecuadorianischen Wirtschaft, sein Anteil am Staatshaushalt betrug zeitweise sogar 70 %. In folgenden Jahrzehnten begann durch die Ausweitung auf Gebiete im Inneren und im Süden Amazoniens eine neue Phase der Förderung. Fünf Erkundungsstätten von jeweils 200.000 Hektar wurden ausgewiesen. Zur Zeit sind 13 Gesellschaften (größtenteils aus den USA) an der Erkundung oder Förderung von Erdöl in Ecuador beteiligt.
Die Umweltpolitik beschränkt sich in dieser Phase der Modernisierung (Privatisierung von Bodenschätzen, Ausbau des Pipeline-Netzes, Schwächung des Staatskonzerns Petro Equador) im Rohstoffbereich auf schöne Worte. Trotz der Vorgabe, die Erdölaktivitäten in Naturschutzgebieten zu untersagen, sind bei allen bisherigen Ausschreibungen stets auch Nationalparks betroffen. In allen Schutzzonen, die obendrein noch Indigena- Land sind, wird nach Erdöl gebohrt. Mit dem Argument vermeintlicher Umweltschutzmaßnahmen wurden seitens der Weltbank und der EU Projekte gefördert, die in Wirklichkeit flankierende Maßnahmen für die Explorationstätigkeiten darstellen.
Seit Jahren läuft in Ecuador die Kampagne "Amazonìa por la vida" (Für das Leben in Amazonien). Sie informiert über die Auswirkungen des Geschäfts mit dem Erdöl. Eine Million Hektar Urwald wurde für Bohrstellen, Hubschrauberlandeplätze, Verarbeitungseinrichtungen und Straßen geopfert. Die Arbeiten verursachten das Aussterben von mindestens 12 Jagdtierarten. Über das Verschwinden kleinerer Tiere, von Pflanzen und Mikroorganismen gibt es noch keine sicheren Angaben. Die Konzerne haben Schuld an der Verseuchung der Amazonaszuflüsse in ihrem Wirkungsbereich. In den verschiedenen Phasen der Fördertätigkeit kommen chemische Substanzen zum Einsatz, und es entstehen hochgiftige Abfälle wie z. B. Ätznatron, Biozide, Bakterizide, Arsenik u. a. Alle diese Stoffe wurden in Becken neben den Bohrstellen geleitet oder in die Flüsse und Sumpfgebiete entsorgt.
Die Arbeitsweise von Texaco sah einen Trennungsprozeß der zwei Rohölkomponenten vor: Wasser und Gas. Das Gas wurde verbrannt. Man schätzt, daß täglich 53 Mio Kubikmeter Gas verbrannt worden sind. Das Wasser (das einen hohen Gehalt an Salz, Schwermetallen, radioaktiven Substanzen und Petroleumkonzentrat aufweist) wurde in Becken geleitet und von dort aus in die Flüsse. Auf diese Weise gelangten jeden Tag 650 Mrd Barrel Abwasser in die Amazonaszuflüsse.
Gewöhnlich wurden die Becken bei Texaco in Brand gesetzt, Ruß, Kohlenmonoxid und - dioxid wurden freigesetzt sowie aromatische Kohlenwasserstoffe, die als saurer Regen niedergingen. Eine der Praktiken, besteht darin, das Rohöl auf den Straßen auszubringen, um sie damit wieder zu befestigen.
Eine weitere Umweltverschmutzungsquelle bilden die Ausflüsse aus der Erdölleitung, "TransEcuatoriano", die von Texaco errichtet wurde. Fast 60 Mio Liter Erdöl sind auf diese Weise versickert. Zum Vergleich: die Menge, die bei dem Tankerunfall der Exxon Valdez - dem bisher größten Unfall in den USA - auslief, betrug ,,nur" rund 49 Mio Liter.

Aus: Pachacuti - Der Traum einer neuen Welt (Hrsg. Arno Teutsch) von Esperanza Martinez



obenUnbekannte Ökokatastrophe in Sibirien
Wo unser Erdgas herkommt

"Die wichtigste Verpflichtung der Vereinbarung, der Erhalt der Umwelt, wird von lhren Untergebenen nie erfüllt werden", schreiben die Rentierzüchter im Bezirk der Chanten und Mansen an die größte russische Ölfirma Lukoil. Die eingeborenen Rentierzüchter, von den Zaren vergessen, von den Bolschewiki "zivilisiert", umgesiedelt und assimiliert, vom neuen Rußland ausgetrickst, kommen unter die Räder.
lhr Land ist eine der ertragsreichsten Rohstoffregionen des heruntergewirtschafteten Rußlands. 1997 wurden dort 162 Millionen Tonnen Öl gefördert. Im nördlichen Nachbar-Bezirk Jamal-Nenzen waren es 1996 535 Milliarden Kubikmeter Gas. Das Land der sibirischen Ureinwohner garantiert der russischen Staatskasse 40 Prozent der Einnahmen.
Davon haben die Chanten, die Mansen und die Jamal- Nenzen nur den Schaden. Zahlreiche Flüsse, Seen und kleinere Gewässer sind biologisch tot. Auch in den Oberläufen der vielen kleinen Flüsse werden die russischen Grenzwerte für Wasserverschmutzung um ein vielfaches überschritten. Die radikale Industrialisierung des Gebiets hat zu einer beispiellosen Vernichtung der wilden Rentierherden geführt. Rußland verweigert trotzdem 900 Chanten am Fluß Jugan - eines der letzten unberührten Rückzugsgebiete - die Einrichtung eines Unesco-Biosphären-Reservats.
Der unerklärte Krieg der russischen Ölfirma Lukoil gegen die sibirischen Ureinwohner hinterläßt Spuren - die Erschließung der Öl- und Gasfelder verschlingt jährlich bis zu 30.000 Hektar Wald. Die schlampige Erschließung und Wartung der Pipelines sorgt für eine immense flächendeckende Verschmutzung des Landes. Allein 1996 haben die Pipelines 7,5 MillionenTonnen Öl verloren, das entspricht fünf Prozent der gesamten Förderung. Die russischen Firmen und mit ihnen im Schlepptau westliche Konzerne kümmern sich wenig um die Vergiftung von Land und Gewässer. Zu Erschließungshürden wurden die heute 450 Familienländereien, in Kollektivbesitz übergegangenes Staatsland der Chanten und Mansen.
Die Organisationen der Ureinwohner haben die russische Regierung, die Ölfirmen und westlichen Konzerne aufgefordert, Umwelt- und Indigenenanliegen ernst zu nehmen. Eine Empfehlung, die in den Chefetagen von Lukoil nicht angekommen sind. Genausowenig im Westen - die Öffentlichkeit hier engagiert sich zwar für die ökologische Bedrohung des Amazonas-Regenwaldes, ist aber kaum über das öko- indigenen Drama in Sibirien informiert.
Lukoil unternimmt auch alles, wenig in den Westen dringen zu lassen. Die Abnehmer in Deutschland, Österreich und Italien sollen kaufen, nicht nachdenken. Allein Deutschland kauft 52 Prozent des Öls aus Sibirien, die deutsche Ruhrgas hat Verträge mit der russischen Gasprom über 25 Milliarden DM bis 2020 verlängert und ist an Gasprom beteiligt. Deutsche Firmen - und nicht nur sie - garantieren seit 25 Jahren Gasimporte nach Deutschland. Gesamtwert: 55 Milliarden US-Dollar. Etwa ein Drittel des deutschen und italienischen Gasbedarfs kommt aus Rußland, 20 Prozent davon aus dem verwüsteten Land der Chanten und Mansen.
Mit unserem Verhalten haben wir Einfluß darauf, ob durch Umweltkatastrophen und Menschenrechtsverletzungen diese Kulturen ausgelöscht werden. Vielleicht denken wir an der nächsten Tankstelle und beim Kochen mit Erdgas daran, daß es Menschen in einem der größten Frischwasserreservoirs der Erde gibt,.deren Trinkwasser mit einem Ölfilm überzogen ist und deren Rentiere im Begleitschlamm unseres Benzins verenden.

Aus: pogrom (201/98), Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker



obenWasser-Strom
Das Ende der Ölzeit

Jahrhundertelang trieb Wasser Mühlräder an, bewegte Hämmer in Eisenhütten. Die traditionsreiche Kraftquelle ist bis heute der einzige regenerierbare Energieträger, der in Deutschland in nennenswertem Umfang genutzt wird. Wasserkraftwerke liefern knapp vier Prozent des westdeutschen Strombedarfs - zu ausgesprochen günstigen Preisen. In Ostdeutschland dagegen spielen sie kaum eine Rolle. Von den 90 Anlagen in den östlichen Bundesländern haben 82 eine Leistung von unter einem Megawatt. Die gesamte Leistung beträgt 51 Megawatt und fällt damit in der ostdeutschen Energiebilanz nicht ins Gewicht. Sie kann aber auch kaum ausgebaut werden. Es gibt nicht genügend Gewässer, bei denen sich der Bau von Talsperren oder anderen Kraftanlagen lohnt. Einzig durch die Modernisierung der alten Anlagen könnte die Kapazität steigen. 60 Prozent des Talsperrenpotentials wird gegenwärtig nicht genutzt, immerhin 60 bis 70 Megawatt. Trotz dieses beträchtlichen Anstiegs der Leistung wird die Wasserkraft im Osten als Energiequelle unbedeutend bleiben.
In den westdeutschen Ländern dagegen sind noch Kapazitäten frei. Alte Wasserkraftwerke können wieder in Betrieb genommen und grundlegend modernisiert werden. Zudem rechnet es sich seit 1991 für private Betreiber von Wasserkraftanlagen, ihren Strom in das öffentliche Netz einzuspeisen. Das Stromeinspeisegesetz verpflichtet die Versorgungsunternehmen, die privat erzeugte Eiektrizität abzunehmen und angemessen zu vergüten. Dadurch könnte die Stromerzeugung mit Wasserkraft bis 2010 um rund 37 Prozent zunehmen.
lnsgesamt wird jedoch die Wasserkraft auch nach maximalem Sparen nur einen bescheidenen Beitrag für die Energieversorgung leisten. Dies gilt jedoch ausschließlich für eine isolierte Betrachtung Deutschlands. Global gesehen schätzen Experten der Welt-Energiekonferenz, daß die Wasserkraft auf das Fünffache ihrer derzeitigen Kapazität ausgebaut werden könnte. Damit wäre - theoretisch - der gegenwärtige Strombedarf der Welt gedeckt. Allerdings lägen die gigantischen Stauseen und Wasserkraftwerke nicht in der Nähe der großen Ballungszentren. Der Strom müßte über riesige Entfernungen transportiert werden, durch Kabel mit geringen Verlusten. Trotzdem könnte sich der Aufwand lohnen. Denn Strom aus Wasserkraft ist im Vergleich zu anderen Energieträgern ausgesprochen billig. Der Luftfahrtkonzern Boeing zum Beispiel hat einen großen Wettbewerbsvorteil, weil er an seinem Standort Seattle im US-Bundesstaat Washington günstig Energie aus Wasserkraftwerken beziehen kann. Er zahlt nur einen Bruchteil der in den von Atomstrom abhängigen Städten New York oder San Diego üblichen Preise.
Zwar arbeitet die Wasserkraft CO2-frei und extrem kostengünstig, doch setzt ihre Nutzung den Bau riesiger Staudämme voraus. Die Stauseen überfluten gewachsene Landschaften, Felder und Dörfer - zerstören Umwelt. Auch verändert die Entstehung riesiger neuer Wasserflächen das Kleinklima einer Region und wirkt sich negativ auf die Versorgung mit Grundwasser aus. Deshalb müssen bei jedem neuen Projekt die Kosten und Nutzen für die Umwelt genau abgewogen werden. Dadurch dürfte sich das tatsächlich nutzbare Potential an Wasserkraft beträchtlich verringern.

Aus: Das Ende der Ölzeit von Eva Müller (Fischer-Verlag)


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