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Ladinien

Informationen über die ladinische Realität

© Mateo Taibon

Inhalt

Die ladinischen (rätoromanischen) Gebiete heute | Geschichte | Das ladinische Territorium in den Dolomiten | Sprache | Kultur | Ladinien Heute | Impressum


Die ladinischen (rätoromanischen) Gebiete heute [ oben ]

Das rätoromanische Sprachgebiet. Aus: Walter Belardi, Breve storia della letteratura ladina. Grischuns
(Graubünden)
Dolomites
(Dolomiten)
Friûl
Friaul
Rumantsch
50.000
Ladin
30.000
Furlan
600.000 Sprecher

Der rätoromanische Sprachraum wurde durch die Völkerwanderung und den weiteren Sprachraumverlust in drei getrennte Gebiete aufgeteilt, die eine jeweils eigene Entwicklung durchgemacht haben: Graubünden (mit dem "Rumantsch"), die Dolomiten (mit dem "Ladin") und das Friaul (mit dem "Furlan"). Es sind verschiedene Dialekte einer Sprache.

Die Dolomitenladiner bewohnen die fünf Täler rund um das imposante Sella-Massiv:
- Val Badia mit dem Seitental Mareo (Gadertal und Enneberg)
- Gherdëina (Gröden)
- Fascia (Fassatal)
- Fodom (Buchenstein) mit Col und
- Anpezo

Ladinisch ist eine neulateinische Sprache. Entstanden ist sie durch die Romanisierung der Alpen. Die rätische Bevölkerung übernahm das (Volks)Latein; unter Einfluss von Eigenheiten der eigenen Sprache (Syntax, Phonetik, Wortschatz) entwickelte sich die Sprache zum Ladinischen (= Rätoromanischen).
Die ladinische Sprache ist die direkte Weiterführung des gegen Ende des römischen Reiches in den Alpen gesprochenen Volkslateins. Der Untergang des Rätischen in den Alpen ist vergleichbar mit dem Untergang des Gallischen in Frankreich.

Die Rätoromanen und die Rumänen sind die einzigen, die in ihrer Bezeichnung das Wort "Rom" tragen; die Bewohner des Inntales und der Dolomiten nennen sich gar "Ladiner", also Lateiner. Der Begriff rätoromanisch wird häufig mißverstanden: Ladinisch ist eine neulateinische Sprache, genauso wie Französisch (das man als "Galloromanisch" bezeichnen könnte).


Sensationeller Fund auf 2800 m. Höhe: Bärenknochen. Copyright: Mateo TaibonGeschichte [ oben ]

Sensationeller Fund auf 2800 m Höhe: Bärenknochen

In der Conturines-Höhle in Fanes (2800 m Höhe) wurden zahlreiche Bärenknochen gefunden. Ihr Alter beträgt zwischen 100.000 und 40.000 Jahren. Die Bären waren Pflanzenfresser; damals waren die heutigen Geröllhalden der Conturines also grüne Wiesen.

Erste Siedler
Die Besiedlung der ladinischen Täler hat vor ca. 9.000 Jahren begonnen. Damals wurden in den Sommermonaten die Wiesen unter dem Pütia (Peitlerkofel) von Jägern und Sammlern aufgesucht.
1987 wurde auf Mondeval de Sora (2150 m, zwischen Col und Anpezo) ein Skelett eines Stammeshäuptlings mit zahlreichen Grabesbeigaben gefunden, der vor ungefähr 8.000 Jahren gelebt hat.
Ab ca. 1700 v. Chr. gibt es dauerhafte Siedlungen wie Sotciastel (Badia) oder Plan de Crepei (Fascia).

Die Räter
Die Völkerschaften, die den Alpenraum in den Jahrhunderten vor der römischen Eroberung bewohnen, werden gemeinhin als "Räter" bezeichnet; sie entwickeln ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. eine beachtliche Kultur. Über die Herkunft und Sprache der Räter wissen wir fast nichts.

Wörter rätischen Ursprungs:

Rätisch Deutsch Italiano
aisciöda Frühling primavera
barantl Legföre pino mugo
brama Rahm panna
ciaspes Schneereifen racchetta
cìer Zirbelkiefer cembro
dascia Fichtenzweig ramo di abete
dlasena Schwarzbeere mirtillo nero
liösa Rodel slitta
morona Kette catena
nida Molke siero del burro
roa Mure frana
sala Rinnsal rigagnolo

Romanisierung
15 v. Chr. wird der Alpenraum von den Römern erobert.
Die Alpenbevölkerung übernimmt die lateinische Sprache, die sich unter Einfluss der heimischen Sprache zum Ladinischen (Rätoromanischen) wandelt. In der ladinischen Sprache haben sich Vokabeln rätischen Ursprungs gehalten.

Christianisierung
Der gesamte Alpenraum - der eine Art Protoladinisch spricht - wird von Aquileia aus christianisiert. Dabei werden viele alte, heidnische Traditionen und Vorstellungen nicht ausgemerzt - sie leben bis heute weiter: In Bräuchen, Sagenfiguren, kirchlichen Festen und Ritualen wird altes Gedankengut beibehalten, um die Aufnahme der neuen christlichen Lehre zu erleichtern. Die Kirchen werden meistens dort erbaut, wo sich heidnische Kultstätten befinden.

Völkerwanderung
Infolge des Vordringens der Bajuwaren und Alemannen aus dem Norden und der Langobarden aus dem Süden sowie der Slawen aus dem Osten wird das ladinische Gebiet (es reicht vom Gotthard und Bodensee bis zur Adria) nach und nach verringert und aufgesplittert. Es bleiben voneinander getrennte Sprachinseln. In den folgenden Jahrhunderten schrumpfen diese weiter.
600 ca. nehmen die Bajuwaren Bozen ein.
800 ca. sind das obere Eisacktal und die Bozner Gegend noch zweisprachig. Reste von ladinischer Bevölkerung halten sich in Regensburg, Salzburg und München.
Um das Jahr 1000 ist der gesamte Kanton Graubünden noch romanisch. Unzählige Orts- und Flurnamen in der später germanisierten Ostschweiz belegen das romanische Erbe.
Um 1200 sprechen bereits ca. zwei Drittel des heutigen Südtirol Deutsch. Ladinisch sind nicht nur das heutige Ladinien, sondern auch noch Vilnöß, Kastelruth, Völs, Tiers, Auer sowie der Vinschgau.

Mittelalter
Im Jahr 1027 wird der Bischof von Brixen weltlicher Fürst. Ladinien gehört mit Ausnahme von Anpezo zu Tirol. Die rechte Seite des Gadertales wird dem Benediktinerinnenkloster Sonnenburg (Ciastel Badia) unterstellt. Das Kloster (Badia) gibt dem Tal seinen Namen.

Im Mittelalter ist auch Ladinien dem Feudalsystem unterworfen. Die Bevölkerung der Täler muß einen Teil der Ernte abgeben. Ein Teil des Gadertales untersteht dem Kloster Sonnenburg (Ciastel Badia). Das Kloster nimmt von den Höfen der Orte Enneberg, Wengen, Abtei und Corvara, so ergibt das Urbarium 1296, jährlich neben Getreide 3 Rinder, 8 Kälber, 397 Schafe und Hammel, 462 Lämmer, 16 Schweine, 5 Ziegen, 40 Hühner, 351 Stück geräucherte Schulter, 38 Häute, Wolle von 348 Schafen, 4728 Eier, 44 Formen Butter, 5034 Käse, dazu Milch, Brot, Brennholz und Bargeld.

Den Bauern wird von den Eintreibern oft nur das Exisentzminimum gelassen. Immer wieder kommt es zu Mißbräuchen. Um 1440 muß Fascia dem Brixner Bischof 700 Pfund Bargeld (ein Schaf kostete 1 Pfund), 200 Schafe, 60 Hammel, 150 Lämmer, 70 Star Weizen, 150 Star Roggen, 150 Star Gerste, 15 Star Bohnen und Erbsen liefern. Fascia hat zu dieser Zeit ca. 152 Höfe und 1000 Einwohner. Sonnenburg wird 1785 von Joseph II. aufgelöst. Das Bistum Brixen wird 1803 säkularisiert.

Sprache
Die Dolomitenladiner haben keine Möglichkeit, gemeinsame Strukturen zu entwickeln. Die Verwaltungszentren sind außerhalb der Täler, der gesamte Verwaltungsapparat ist deutsch. Auch die Ortsnamen werden eingedeutscht. Die herrschende Schicht sieht die eigene Sprache als höherstehend an.

Anpezo: Soziale Kleinrepublik
Anpezo und Cadore gehören zum Patriarchat Aquileia und haben eine weitreichende Selbstverwaltung, die in eigenen Statuten fixiert ist.
1420 fällt Anpezo an Venedig (Ende des Patriarchats), 1511 wird es von Kaiser Maximilian erobert und Tirol einverleibt.

Während dieses Zeitraumes gibt es mehrere kriegerische Auseinandersetzungen. So schicken die Venetianer 1487 Stratioten (moslemische Söldner) nach Enneberg. Sie schneiden 42 getöteten Ennebergern den Kopfg ab. Beim nächsten Überfall geht es anders: Die Enneberger umzingeln die 300 Söldner, töten alle bis auf einen, den sie mit abgeschnittener Nase und Hand und mit einem ausgekratzten Auge zurückschicken. So jedenfalls will es die Überlieferung. Über die tirolerisch-venetianischen Kriege gibt es auch eine andere Überlieferung: Es wird heute noch erzählt, daß die venetianischen Söldner mit den Köpfen der Gegner kegelten. Bei Vollmond ...

Als Maximilian Kaiser wird, will er den Venetianern nicht nur Anpezo, sondern auch Cadore und das Friaul wegnehmen. Die Truppen Maximilians stossen im Februar 1508 bis Pieve di Cadore vor; der Rückweg wird ihnen aber von den Venetianern, die einen Umweg über schneebedeckte Pässe gemacht haben, abgeschnitten. Die kaiserlichen Truppen werden vernichtend geschlagen. 1511 setzt Maximilian seine Artillerie, eine neue Waffengeneration, ein. So kann er Anpezo erobern. Anpezo beibt bis zum Ende des ersten Weltkrieges unter Tirol und Österreich (nur infolge der napoleonischen Kriege wird Anpezzo gemeinsam mit Fodom und Fascia 1810 für drei Jahre zum Königreich Italien geschlagen).

Anpezo pocht auf seine Rechte, auf seine Selbsteverwaltung. Mit dem Holzverkauf bezahlt Anpezo die öffentlichen Arbeiten und die Regierungssteuern. Es gibt einen gemeinschaftlichen Getreidespeicher: Es wird en gros eingekauft und ohne Aufpreis an die Bevölkerung weitergegeben.

Gegenreformation
1607 wird im Zuge der Gegenreformation das Priesterseminar in Brixen gegründet. Die ladinischen Täler erhalten vermehrt ladinische Priester. Des öfteren hatten die ladinischen Gemeinden Priester mit Ladinisch-Kenntnissen gefordert.

Prozesse
Im 16. Jahrhundert gibt es viele Morde - genährt wird die Aggressivität durch die Armut und das harte Leben - und das Gefühl, schlecht behandelt zu werden. In Anpezo gibt es im 16. Jahrhundert neben anderen Delikten mindestens 11 Mordfälle, in Fassa 13, in Buchenstein 8, in Thurn 4 (von 1532-1585). Nicht gezählt werden die Morde, die von der Obrigkeit verübt werden: Die Bauernaufstände werden brutal niedergeschlagen. Doch die Obrigkeit wird wegegn ihrer Gewalt nicht zur Verantwortung gezogen.

Rückgang des Sprachraumes
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts spricht man in der Kastelruther Fraktion St. Michael noch Ladinisch, ebenso in Welschnofen (Neva Ladina). Ladinisch sind das Fleimstal, Cadore, Zoldo, Agordo.
Ladinisch ist der obere Vinschgau, der im 17. Jahrhundert mit einem Verbot des Ladinischen germanisiert wird. Jenseits der nahen Grenze (Müstair) spricht die Bevölkerung heute noch Romanisch.

Marienberg. Copyright: Mateo TaibonGermanisierung durch Sprachverbot im Vinschgau. Ein verschwiegenes Kapitel Tiroler Geschichte
Eines der letzten heute nicht ladinischen Gebiete, die ihre Sprache aufgaben, war der obere Vinschgau. Es war kein freiwilliger Übergang vom Ladinischen zur fremden (deutschen) Sprache, sondern eine Zwangsassimilierung, auf die in der Tiroler Geschichtsschreibung nicht gern näher eingegangen wird. Die Tiroler Geschichtsschreibung war vornehmlich darauf bedacht, die lange Geschichte des Deutschtums in Südtirol seit der Landnahme der Bajuwaren darzustellen. Auch heute noch scheinen zahlreiche Geschichtswerke von dieser Einstellung nicht ganz Abstand genommen zu haben.
Im 14. und 15. Jahrhundert war Romanisch die einzige bei Gericht zugelassene Sprache in Glurns. Ein Zeichen, daß die Bevölkerung einsprachig und romanisch war. Bis in diese Zeit gab es auch zahlreiche kulturelle, soziale und wirtschaftliche Kontakte mit dem benachbarten Müstair und Engiadina, was in der Kulturgeschichte Spuren hinterlassen hat. Außerdem gehörte der Vinschgau zum Bistum Chur.
Um das Jahr 1600 war die Stellung des Romanischen im Vinschgau noch recht stark, vergleichbar mit heutigen Situation in Gröden. Bis etwa 1620 hat Stift Marienberg Kapuziner aus Müstair geholt, um auf romanisch (und katholisch) im Vinschgau zu predigen (ein Zeichen, daß die Bevölkerung kaum zweisprachig war).
Ein Historiker schreibt 1898: "Das Matschertal (bei Mals) war im 17. Jahrhundert gleichfalls noch romanisch, selbst ein Jahrhundert später war im oberen Vinschgau das Romanische noch sehr gebräuchlich. Es ist bereits angeführt worden, daß Taufers im Münstertal erst vor ungefähr 70 Jahren zum Gebrauche der deutschen Sprache überging, während im benachbarten (schweizerischen) Münster heute noch ladinisch geredet wird. Ebenso sollen in Stilfs am Fuße des Wormser Joches zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch Leute gewesen sein, welche des Ladinischen kundig waren." (Wilhelm Rohmeder, Das deutsche Volkstum und die deutsche Schule in Südtirol, Wien 1898) "Taufers ward erst nach 1750 von der romaunschen Sprache geräumt", heißt es in einem Geschichtswerk. Der Ausdruck "räumen" ist nicht fehl am Platz: Die romanische Sprache wurde durch ein Sprachverbot buchstäblich weggeräumt.
Für Versammlungen wurde die deutsche Sprache vorgeschrieben, die romanische Sprache hingegen verboten, ebenso wurden die Einstellung romanischer Mägde und Knechte verboten, verboten auch die romanischen Bräuche, verboten die Ehen mit Romanen. Treibende Kraft für das Verbot war der für seinen Fanatismus bekannte Abt des Klosters Marienberg, Mathias Lang. Grund bzw. Ausrede für die Germanisierung war die Reformation: Man hatte Angst, in das katholische Tirol könnte evangelisches Gedankengut eindringen durch die romanische Sprache (Graubünden ist teilweise evangelisch). Wenn die Macht der Untertanen nicht versteht, greift sie zu destruktiven Mitteln.
So wurde der obere Vinschgau germanisiert. Doch trotz der drastischen Maßnahmen, die auf Methoden der Assimilierung in unserem Jahrhundert vorausweisen, war die Ausmerzung des Romanischen langwierig. Noch in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts lebten nach Auskunft von Sprachwissenschaftlern (wenige) Romanen im oberen Vinschgau. Zeugnisse der ehemals romanischen Sprachlandschaft sind heute noch Dialektausdrücke, die sich im Deutschen gehalten haben, sowie die zahlreichen Orts- und Flurnamen.

Eindeutschung der Namen
In der deutschen Geschichtsschreibung wird oft an die Italianisierung der deutschen Familiennamen durch den Faschismus erinnert. Nicht erinnert wird jedoch daran, daß vorher sehr viele ladinische Familiennamen germanisiert wurden. Dabei wurden aus einem Namen manchmal mehrere Varianten erstellt. Vorgenommen wurde die Abänderung in den Gerichtsstuben, als es - von oben verordnet - Gepflogenheit wurde, die Namen deutsch klingen zu lassen und ihnen ein -er angehängt wurde oder aber die Namen übersetzt wurden. Entsprechende Beispiele finden sich ab 1700 auf alten Pergamenten. Es scheint, daß die Kaiserin Maria Theresia eine Art Ge-heimdekret erlassen hat, das diese Änderung der Familiennamen vorschrieb. Die Eindeutschung der ladinischen Familiennamen wurde nie rückgängig gemacht.

Alnëi Alneider, Erlacher | Aiarëi Agreiter | Alfarëi Alfreider | Biëi Willeit | Brocia Nagler | Ciampac Kompatscher | Ciampëi Kompeiter | Ciampidel Kampideller | Ciampló Complojer | Cianacëi Kanetscheider | Cianëi Kaneider | Cianoré Konrater | Ciaslat Kasslatter | Ciastel Kasteller | Ciolá Kelderer | Col Pichler | Colac Goller | Corjel Koriseler | Corterëi Kortleiter | Costa Kostner | Costacia, Costata Kußtatscher | Costalungia Kastlunger | Costijela Costiseler | Derü Bacher | Dôs Dasser/Tasser | Elemunt Elemunter | Frena, Freina, Frines, Frenes Frenner | Furcia Furgler | Granruac Großrubatscher | Grones Grunser | Larcenëi Lardschneider | Melaun Melauner | Mongüc Mangutscher | Mureda Moroder | Mus Mussner | Pardac Pardatscher | Pecëi Pitscheider, Feichter | Pedraces Pedratscher | Peraforada Palfrader | Pescol Pescoller | Picolruaz, Piceruac Kleinrubatscher | Pinëi Pineider | Plan Planer, Ploner | Planac Planatscher | Plaza Gasser | Pradac Pradatscher | Pré Wieser | Rives Rifesser | Roncac Rungatscher | Ruac, Robac, Ruacia Rubatscher, Robatscher, Ruazzi | Runch Rungger, Ronchi | Somür Untermauern | Sorá Solderer | Soraru Oberbacher | Soratrú Oberweger, Obwegs, Obex | Sorega Überwasser | Sottrú Unterweger | Stufles Stuflesser | Tornarecia Turnaretscher | Trebe Tröbinger | Troi Troier | Val Thaler | Valacia Flatscher | Valgiarëi Fogereiter | Zanon Senoner, Sanoner.

Nationalismus
Im 19. Jahrhundert versucht der Nationalismus in Tirol, die Ladiner zu germanisieren: Die einzige Sprache in Schule, Kirche und öffentlichem Leben soll Deutsch sein. Bevölkerung und Klerus wehren sich (Enneberger Schulstreit, 1873)
Einen weiteren Germanisierungsversuch gibt es 1916. Es wird versucht, vor allem das Gadertal zu germanisieren. Es sollte in der Schule und in der Kirche nur mehr die deutsche Sprache Verwendung finden. Der Begriff der "Germanisierung" sei zu vermeiden, so das entsprechende Dekret.

Ladinisches Bewusstsein
Im 19. Jahrhundert erwacht ein allgemeines ladinisches Nationalbewusstsein.
1870 In Brixen wird am Priesterseminar der Verein "Naziun Ladina" gegründet.
1905 In Innsbruck wird die "Uniun Ladina" gegründet. Es werden die ersten ladinischen Zeitungen und Kalender herausgegeben. Das neu erwachte Bewußtsein um den Wert der eigenen Sprache und Kultur wird durch den Ausbruch des I. Weltkrieges und das neue Aufflammen des deutsch-tirolerischen Nationalismus jäh beendet.

I. Weltkrieg
Die Dolomitenfront verläuft mitten durch Ladinien (Cristallo, Tofanes, Col de Lana, Marmolada). Aus strategischen Gründen verlegt Österreich die Frontlinie auf die Bergkette nördlich von Ampezo, aus dem gleichen Grund wird Fodom zweigeteilt. Die italienischen Truppen besetzen Anpezo sowie einen Teil von Fodom. Die österreichischen Truppen beschießen Fodom; La Plié wird vollkommen zerstört. In Fodom werden 301 Wohnhäuser zerstört (Futterhäuser nicht mitgezählt), nur 55 bleiben erhalten. Viele Fodoms flüchten - bis nach Böhmen und in die Abruzzen, aber auch in die benachbarten Täler.

Verbrannte Erde. Fodoms auf der Flucht im I. Weltkrieg
Als Italien Österreich den Krieg erklärte, verlegten die österreichischen Truppen aus strategischen Gründen den größten Teil der Frontlinie auf eine Hügel- und Bergkette nördlich von Fodom (Buchenstein). Im Tal verlief die Frontlinie nahe dem Weiler Court, zwischen La Plié de Fodom (Buchenstein) und Réba (Arabba). Die italienischen Truppen ihrerseits hatten ihre Artilleriegeschütze auf die Bergkette südlich von Fodom verlegt. Das Tal war damit zweigeteilt und befand sich buchstäblich zwischen den Kanonen.
Da ein großer Teil des Tales wehrlos war, wurden die Dörfer von den italienischen Truppen kampflos besetzt. Dabei erwarteten die italienischen Truppen einen triumphalen Empfang durch die "befreiten" Italiener, wie dies in der Propaganda hingestellt wurde; doch die Beölkerung versteckte sich in den Häusern.
In La Plié wurde eine Carabinieristation eingerichtet, und zwar im jenem Gebäude, in dem sich auch eine Unterkunftstätte für Kranke befand. Aufgrund der Anwesenheit italienischer Truppen beschossen die österreichischen Truppen (mit Beginn am 18. August 1915) La Plié de Fodom, also ihr eigenes Dorf; dabei trafen sie oft daneben und schossen das ganze Dorf in Brand, am Schluß zerstörten sie auch das Krankenhaus, wo 134 Personen untergebracht waren. Unter dem Granatenhagel konnte man sich auch nicht den Gebäuden nähern, um das Feuer zu löschen.
Den Menschen des Tales blieb nichts übrig als ihre Dörfer zu verlassen. Ein Teil floh nach Norden, ins benachbarte Gadertal, nach Deutschtirol und Böhmen, ein Teil nach Süden, bis nach Domodossola, nach Pallanza (Lago Maggiore) und in die Abbruzzen. Alle blieben so lang als möglich zuhause und brachen zumeist erst auf, sobald ein Verbleib nicht mehr möglich war: Wir sind zuhause geblieben bis zur letzten Minute. Es wurden die Matratzen auf die Wagen geschleppt ... Wir sind unter den Granaten losgegangen ...
Der Großteil der Flüchtlingen mußte innerhalb weniger Stunden aufbrechen, Zeit für die Vorbereitung der Flucht hatten sie kaum, mitnehmen konnten sie nur wenige Habseligkeiten. Eine Familie mußte das angerichtete Mittagessen stehen lassen und aufbrechen:
An jenem Abend schossen die Österreicher, die Granaten explodierten um uns herum. Die Italiener waren in den Wald gegangen, um zu schlafen, und wir waren alle im Keller. Am Tag danach gab es ein ganz großes Durcheinander; sie gaben uns Anordnungen, eine nach der anderen, immer mit dem Gewehr in der Hand: Geht ins Haus, kommt raus, schaut nicht aus dem Fenster. Dann haben sie Agai in Brand gesteckt. Tante Jacoma hatte gerade die Polenta über, aber sie mußte sie vom Feuer nehmen und stehen lassen, denn wir mußten weggehen.
Ein anderer Augenzeuge berichtet über die Dramatik der Lage:
Nach einiger Zeit begann die Bombardierung, und draußen explodierte eine Granate, ich erinnere mich. Ich erinnere mich an diese Explosion, ich habe sie gesehen ... und gerade hier, in dieser Küche, wurde mein Bruder Felix durch einen Splitter über dem Knie verletzt, und Pina hatte einen zersplitterten Arm und eine Wunde im Bauch ... Wir sahen, daß wir nicht bleiben konnten und sind aufgebrochen, ich mit den Schlappen die Mutter mit der Wiege auf dem Rüken, darin ein fünf Monate altes Kind.
Für die einfache Bevölkerung, die nie etwas anderes als ihr Tal kennengelernt hatte, glich der Krieg einem Weltuntergang:
Es kamen die Geschosse dahergeflogen, sogar im Friedhof flog Erde auf uns, meine Mutter sagte: Die Toten überfallen uns.
Die Flüchtlinge legten viele Tage zu Fuß zurück, bevor sie eine erste Unterkunft fanden. Die ersten Nächte verbrachten sie zumeist auf Stallböden. Eine Frau brachte ihr Kind im Wald zur Welt. Über den Eindruck, den die Flüchtlinge hinterließen, berichtet Franz Canins, Pfarrer von Longiarü:
Man hatte ihnen zwar sofort nach der Kriegserklärung kundgetan, daß sie fort müßten, konnten es aber nicht glauben, übers Herz bringen die Heimat zu verlassen. Eines Abends hieß es: "Morgen um 8 Uhr muß alles fort sein". Es machte einen wehmütigen Eindruck auf den Straßen und Wegen diesen armen Flüchtlingen zu begegnen, eine Völkerwanderung im kleinen. Der dezimierte Viehstand der Familie wurde vorausgetrieben (Rindvieh, Ziegen und etliche Schafe), dann folgte die Familienmutter coi tosac. Sie und die älteren Kinder einen Korb am Rücken, die kleineren einen Rucksack oder nichts; dann folgte der alte Vater oder eine Tochter mit Gratten colle vaccie, worin sich die wenigen Habseligkeiten, die sie retten konnten, fanden. Alle Flüchtlinge tief niedergeschlagen und so manche zogen weinend weiter Herberge suchend. Es kamen gegen 60 Personen hierher, die meisten aus Andraz, Corte-Brenta, Ornella usw. und wurden in leerstehenden Häusern untergebracht.
Für 40 Fodomer Familien ging die Reise bis nach Böhmen; ein zehnjähriger erzählt:
Im Gadertal blieben wir drei Monate, mich hatte man zu einem Bauern getan, ich weidete die Kühe ... Im Herbst fragten sie uns dann, ob wir nach Böhmen gehen wollten, zunächst allerdings hatten sie Salzburg gesagt. So sind wir aufgebrochen, zuerst nach Bruneck, dann nach Ehrenburg, am Tag danach kam der Pustertaler Zug und ließ die Familien einsteigen. Der Zug war voll. Wir sind über Lienz gefahren und haben bis Salzburg eine Woche gebraucht. Dort haben sie uns aussteigen lassen und haben uns in einem großen Saal voll Stroh gebracht, in dem es fürchterlich stank.
Den Fodomer Familien, die nach Böhmen flohen, blieb die Unterbringung in Lagern glücklicherweise erspart. Einmal in Böhmen angelangt, hatten sie eine relativ angenehme Existenz, sie wurden von der Bevölkerung zunächst gut behandelt. Als jedoch die Hungersnot ausbrach, wurden sie beschuldigt, an der Misere schuld zu sein. Immer wieder wird in der Geschichte der Flüchtling, der schwächste der gesamten Gesellschaft, zum Sündenbock gestempelt, obwohl er das erste Opfer des Unrechtes ist.
Bei den Familien des Gadertales (Val Badia), die Fodomer bewirteten, hatte man oft Mitleid mit den Fodomern.
Die Flüchtlinge wurden oft mit Mißtrauen behandelt. Da sie aus österreichischem Gebiet geflohen waren, wurden sie auf italienischer Seite verdächtigt, auf der Seite des "Feindes" zu stehen. Doch diese Menschen hatte nie Feinde gehabt, nur ein paar armeselige Felder, um ihren Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Auf österreichischer Seite wiederum wurden sie aufgrund ihrer Sprache verdächtigt, Sympathisanten Italiens zu sein. In Fassa wurden bei Ausbruch des ersten Weltkrieges "verdächtige" Personen vorsichtshalber versetzt.
Ein Flüchtling erzählt:
In der ersten Zeit beschimpfte man uns ziemlich viel, man haßte uns, und als der Col di Lana in die Luft ging, sagten sie uns Wörter, die man nicht wiederholen kann ... Ich erinnere mich auch an den Pfarrer Sopplà. Er wurde mißhandelt, man sagte von ihm, daß er im Tabernakel ein Telefon hätte, um mit dem Feind zu sprechen, daß er ein Verräter war, einmal gingen Fanatiker hinter ihm her, beschimpften ihn und bedrohten ihn mit einem Messer.
Es gab aber auch Herzlichkeit, und dennoch war es für die Flüchtlinge schwer, sich mit der neuen Realität (und Küche) zurechzufinden:
In Civitella hatten sie die Fahne gehißt, beim Wirt hatten sie uns ein Essen richten lassen, es waren Tischtücher und Servietten da. Unser Pfarrer hat gesagt: "Nehmt diese Tischtücher nur weg". Wir waren alle schmutzig von der Reise, wir hatten Durchfall ... Es gab diese Tomatengerichte, die uns nicht allzu sehr schmeckten, aber sie haben uns ein Essen gerichtet!
Besonders in ideologischen Fragen gab es für die Untertanen des Kaiserreiches, die bei Kriegsausbruch nach Italien geflohen waren, eine "Verhaltenskontrolle":
In der Schule mußten wir alles auswendig lernen, auch die Geschichte der Heimat. Die Geschichte der Unabhängigkeit, alles auswendig! Ich erinnere mich, als zu sagen war: "Die Brüder Bandiere starben mit dem Schrei "via l'Italia", und sich alle umdrehten, um zu schauen, ob wir "viva l'Italia" sagten.
Bei der Flucht konnte manchmal die Schlauheit die Lage erleichtern:
Sie hatten uns in Vicenza aufgehalten, am Bahnhof. Hier waren sie höflich, ich erinnere mich, daß sie uns Wasser mit Anis brachten. Es war mit uns auch "Poldo bianco", ein Schuhmacher, ein großer und dicker Mann, der sich an einer Fenster hinstellte und rief: "Viva l'Italia, viva il re, latte per i bambini". Und die Milch wurde gebracht.
Ein verfehlter, ignoranter und pharisäischer Moralismus vermochte auch in diesem Fall den Schaden zu vergrößern und die Opfer der Weltpolitik als Schuldige hinzustellen. Ein geflüchteter Fodomer erzählt:
Der Priester ging auf die Kanzel und predigte: "Paßt auf, wie ihr euch verhält, schaut die Fodomer wie sie bestraft wurden, die von zuhause wegmußten und alles dort lassen mußten, paßt auf, damit euch nicht das gleiche zustößt". Nach der Messe fragten uns die Leute: "Was habt ihr denn getan, daß ihr so bestraft worden seid?"
Die Verbundenheit zum eigenen Tal wird aus einem Bericht eines Flüchtlings deutlich:
Als wir in Corvara waren, kam eines Tages kam ein deutscher Soldat und sagte: "Arabba brennt". Ich begann zu weinen, und er sagte: "Aber was, für jene Baracken, die ihr dort habt" ... Aber das war unsere Heimat, das waren nicht Baracken!

Italien
Ladinsche Fahne 1919 kommt Ladinien mit Südtirol zu Italien. Die Ladiner fordern den Verbleib bei Österreich und die Anerkennung als ethnische Gruppe (die unter Österreich nicht gewährt worden war), die politische Autonomie sowie den Schutz der ladinischen Sprache:

"Wir Ladiner sind keine italienische Minderheit in Südtirol - wie die Herren in Trient der italienischen Regierung und aller Welt glauben machen wollen - sondern wir sind ein eigenes freies Volk, das älteste der in Tirol lebenden Völker"

1920 Bei einem Treffen von Ladinervertretern entsteht die ladinische Fahne: Blau für den Himmel, Weiß für die schneebedeckten Berge, Grün für die Wiesen: Ein Symbol der bezaubernden Dolomitenlandschaft.

Verwaltungskarte Ladiniens: Die Dreiteilung ist heute noch aufrecht Faschismus - Dreiteilung
Der Faschismus erklärt Ladinisch zum italienischen Dialekt. 1923 Ladinien wird von den Faschisten zerteilt: Anpezo und Fodom mit Col kommen zur Provinz Belluno, 1927 kommen Val Badia und Gherdëina zur neu geschaffenen Provinz Bozen, Fascia bleibt bei Trient. Das erklärte Ziel der Dreiteilung ist die rasche Assimilierung der Ladiner.
Die Dreiteilung wird nicht wieder gutgemacht, sie ist heute noch aufrecht - die jeweiligen Mehrheiten der einzelnen Provinzen sind sehr darauf bedacht, das faschistische Unrecht aufrecht zu erhalten. 1964 werden sogar die Grenzen der Diözesen an die Dreiteilung angeglichen - die Kirche vollzieht den politischen Akt des Faschismus mit.

1939 Im Zuge der Option werden die Ladiner der Provinzen Bozen und Belluno als "fremdstämmig" eingestuft und müssen optieren, obwohl sie der Faschismus offiziell als Italiener einstuft. Offenbar glaubt der Faschismus seiner eigenen Theorie nicht.

Nach dem Krieg
1946 An die 3000 Ladiner demonstrieren am Sella-Joch gegen die Dreiteilung und fordern mehr Rechte für die Minderheit. Diese Rechte wurden größtenteils bis heute nicht gewährt. 1996 wurde auf dem Sella-Joch mit einer Großveranstaltung an diese Demonstration erinnert - an der faschistischen Dreiteilung hat sich nach wie vor nichts geändert.
Da Ladinien unter der Nazi-Besetzung in der Operationszone Alpenvorland vereint war, wird von italienischer Seite der Ruf der Ladiner nach Einheit als Nazismus hingestellt. Es beginnt auf italienischer wie auf deutscher Seite die systematische Verleumdung, ja die Kriminalisierung jener Ladiner, die sich für die Rechte ihrer Volksgruppe einsetzen.

Rechte, weniger Rechte, Diskriminierungen
In den anderen Provinzen wird wieder die rein italienische Schule eingeführt. In den ladinischen Tälern Südtirols gibt es massive Versuche, eine rein deutsche Schule einzuführen. Oft wird erklärt, Ladinisch sei es nicht wert, unterrichtet zu werden.

Die paritätische Schule

"Das gesamte 20. Jahrhundert war in diesen zwei Tälern vom Versuch der monokulturellen Assimilierung gekennzeichnet".
Roland Verra (ladinischer Schulamtsleiter)

Nach dem Faschismus kam gleich ein zweiter Versuch, die ladinische Minderheit mit einer vollkommen fremdsprachigen Schule zu assimilieren: Es gab äußerst hartnäckige Versuche, die Schule in den ladinischen Tälern Südtirols zu germanisieren. Die Tendenz hat bis heute nicht ein Ende gefunden.
Nach dem Faschismus sah man die Chance eines Neubeginns auch in Schulangelegenheiten. Am 23. August 1945 trafen sich in Picolin die Bürgermeister und Pfarrer des Tales, um die Zukunft der Schule zu besprechen. Gefordert wurde eine Schule, die auch heute noch vorbildlich und fortschrittlich wäre: Unterrichtet werden sollte zuerst nur Ladinisch, dann paritätisch Ladinisch-Deutsch-Italienisch. Es war ein zukunftsweisender Vorschlag, der auch heute noch fortschrittlich wäre und eine deutliche Verbesserung im Minderheitenschutz brächte.
Gegen diese Schulidee gab es Widerstand sowohl bei den italienischen als auch bei den deutschen Nationalisten. Rom wollte eine rein italienische Schule. Auf der anderen Seite - ein großer Teil der deutschen Politik in Südtirol, dazu leider auch viele ladinische Mitläufer - verlangte man eine rein deutsche Schule (wie sie im übrigen der Nationalsozialismus eingerichtet hatte.)
Für die Befürworter der deutschen Schule war der Wille Roms ein willkommener Anlaß nicht nur, um gegen eine Assimilierung von italienischer Seite zu agitieren, sondern um die Assimilierung von deutscher Seite voranzutreiben. Man war dem Faschismus gerade entkommen und leitete eine analoge, deutsche Assimilierungspolitik ein: Ausschluß der Muttersprache aus der Schule.
Es wurde eine regelrechte Hetze gegen das vorgeschlagene ladinische Schulmodell vom Zaun gebrochen. Mit den Anschuldigungen und Verleumdungen waren die Befürworter der deutschen Schule nicht zimperlich. Jene, die sich für den ladinischen Schultyp aussprachen, wurden der Kollaboration mit Rom und des Faschismus bezichtigt! Als ob der Faschismus darin bestünde, die Sprache einer Minderheit in den Schulen zu unterrichten!
Es gelang mit der Hetze, einen gewichtigen Teil der Bevölkerung bzw. ihrer Vertreter zu gewinnen bzw. für sich zu vereinnahmen: Bei den Abstimmungen über das Schulmodell standen nur die deutsche und die italienische Schule zur Auswahl, nicht jedoch der fortschrittlichste Vorschlage: Die mehrsprachige Schule.
Im Streit wurde für einige Jahre wurde inzwischen die rein deutsche Schule eingeführt. Eine Parallele zu den Maßnahmen des Faschismus. Moderate Vorschläge wurden nicht beachtet, nicht der Vorschlag jener Ladiner, die ihre Muttersprache in der Schule wollten, nicht der Vorschlag des Inspektors Josef Ferrari, der ebenfalls ein paritätisches Schulmodell vorschlug - und dafür von den deutschnationalen Kreisen angefeindet wurde.
Bei der Hetze gegen einen ladinischen Schultyp profilierte sich besonders die neugegründete SVP - sie wurde in der Politik der Assmilierung die treibenden Kraft.
Die SVP war gegen Ladinisch in der Schule, denn man erachtete diese Sprache nicht dafür wert! Ladinisch sah man als wertlosen Dialekt an - man war auch in diesem Punkt den Theorien des italienischen Faschismus nahe. Wenn Ladinisch in den Familien gesprochen wurde, sei dies ausreichend, so die These. Doch in den Familien konnte man auch während des Faschismus Deutsch reden. Es gab damals (und auch heute noch) abschätzige Bemerkungen, die ladinische Sprache sei es gar nicht wert, in den Schulen unterrichtet zu werden - ein Zeichen, daß viel Nationalismus und Minderheitenfeindlichkeit im Spiel war. Albuin Forer sagte: "Il ladino è un dialetto e i dialetti si insegnano all'Università a scopo scientifico, non a scuola".
Die Lösung kam vom römischen Ministerium: Am 27.08.1948 beschloss Unterrichtsminister Guido Gonella das partitätische Schulsystem. Die Hälfte wird Deutsch unterrichtet, die Hälfte Italienisch, Ladinisch wird als Behelfssprache benutzt und in einem ganz kleinen Ausmaß auch als Sprache unterrichtet. Das Modell wurde ab dem Schuljahr 1948/49 Pflicht.
Es war eine Entscheidung mit Weitsicht. Heute wird das paritätische Schulsystem als mögliches Modell für andere angesehen - die Mehrsprachigkeit gefällt, doch niemand will den fast-Ausschluß der Muttersprache aus den Schulen. Jene Leute, die damals die ladinische Minderheit vor einer Assimilierung gerettet haben, haben historische Bedeutung, auch wenn sie in den Geschichtebüchern nicht erwähnt werden.
Zunächst gab es Widerstand, fanatische Eltern zogen ihre Kinder während des Ladinisch-Unterrichts aus den Schulen ab. Doch im allgemeinen nahm die Bevölkerung das Modell rasch als positiv auf. Die Politik wollte weiterhin eine Schule der Assimilierung. Mit dem 2. Autonomiestatut (1972) wurde die paritätische Regelung auf Verfassungsniveau gehoben. Auf deutscher Seite (d.h. unter Führung der SVP) startete man jedoch eine Kampagne, um dennoch deutsche Schulen in Ladinien einführen zu können. Die Ausrede: Die Deutschen in den ladinischen Tälern hätten das Recht auf eine Schule in der Muttersprache. Doch gab es in Ladinien nicht so viele Deutsche, daß man eigene Schulklassen hätte bilden könne, geschweige denn ganze Schulen!
Die ladinischen Kulturvereine stemmten sich gegen diesen erneuten Versuch der Assimilierung (und wieder wurden sie dafür übel beschimpft). Die Auseinandersetzungen wurden sehr heftig. Der Landtag reichte schließlich 1973 Rekurs beim Verfassungsgericht ein, um deutsche Schulen in Ladinien zu erzwingen! Am 21. April 1976 entschied das Verfassungsgericht: Es lehnte den Rekurs - und Assimilierungsversuch ab. Laut Artikel 19 des Autonomiestatus müssen die Schulen in den ladinischen Tälern paritätisch sein.
Trotz des Artikel 19 des Autonomiestatuts, trotz des Spruchs des Verfassungsgerihts unterhält das Land seit einigen Jahren in Picolin (San Martin de Tor) eine rein deutsche Berufsschule: Verfassungswidrig, minderheitenfeindlich.
So wurde empfohlen, das paritätische System auszuweiten und auch das Ladinisch als Unterrichtssprache zu verwenden (nicht nur als Unterrichtsfach), so daß ein Drittel der Fächer Ladinisch unterrichtet würde. Die Forderung wurde nicht angenommen: in der Partei haben jene die Oberhand, die die Ladiner mit einem kaum vorhandenen Muttersprachenunterricht assimilieren wollen. Ein Kandidat dieser Partei hat jene, die die "Drittelparität" wollen, d.h. die Gleichberechtigung des Ladinischen, als Extremisten und Fanatiker bezeichnet.
Immer wieder wurde (und wird) und wird bei den Ewiggestrigen die Meinung geäußert, der Unterricht des Ladinischen würde das Niveau der Schule senken - eine Ansicht, die von jedem seriösen Wissenschaftler als Unsinn bezeichnet wird: Warum soll der Unterricht der Muttersprache schädlich sein!


Das ladinische Territorium in den Dolomiten [ oben ]
Die Dolomitenladiner bewohnen die fünf Täler rund um das imposante Sella-Massiv:
Val Badia mit dem Seitental Mareo (Gadertal und Enneberg)
- Gherdëina (Gröden)
- Fascia (Fassatal)
- Fodom (Buchenstein) mit Col und
- Anpezo

Dem ladinischen Sprachraum zugezählt werden kann auch das Comelico. Es ist ein Verbindungsglied zwischen Dolomitenladinern und Friaulern. Zum Teil ladinischen Sprachkorpus haben auch die Idiome des Nonstales (Val di Non) und des Val di Sole im nordwestlichen Trentino. Diese Idiome sind stark von Trentiner und Lombardischen Elementen durchsetzt. Seit einigen Jahren wird über die sprachliche Identität nicht nur auf sprachwissenschaftlicher, sondern auch auf politischer und kultureller Ebene diskutiert. Gefordert wird u.a., dass sich "Nonesi" und "Solandri" bei der Volkszählung als Ladiner erklären können. Sprachlich gesehen sind sie näher bei den Rumantsch Graubündens als bei den Dolomitenladinern.

Saslonch (Langkofel). Copyright: Mateo Taibon
Die Täler Einwohner
Gherdëina 9367
Val Badia 9226
Fascia 8621
Anpezo 6988
Fodom 2053
insgesamt 38255
Gemeinden m. Einwohner
Cortina 1211 6988
Urtijëi 1236 4073
Badia 1330 2722
Mareo 1193 2574
Moena 1184 2567
Sëlva 1563 2385
Cianacei 1468 1730
Poza 1325 1668
Santa Cristina 1428 1642
San Martin de Tor 1125 1495
Fodom 1475 1443
Corvara 1568 1236
La Val 1353 1199
Vich 1382 936
Ciampedel 1448 708
Col 1453 610
Soraga 1207 590
Mazin 1372 422

Die ladinischen Fraktionen Bula, Runcadic und Sureghes mit insgesamt 1267 Einwohnern gehören zur Gemeinde Kastelruth.

Sas dla Crusc (Hl. Kreuzkofel, Val Badia). Copyright: Mateo Taibon
La Pli (Enneberg). Copyright: Mateo Taibon
Bergspitzen m.
Marmolèda/Marmolada 3342
Antelao 3263
Tofana de Meso 3244
Civetta 3220
Gran Vernel 3210
Sorapiss 3205
Saslonch 3181
Pelmo 3168
Piz Boè 3152
Croda Rossa 3146
Piz dles Conturines 3064
La Varella 3055
Sas Rigais 3025
Pässe m.
Pordoi 2242
Sela 2240
Frea (Grödner Joch) 2137
Ciaulonch (Campolongo) 1875
Valparola 2192
Fauzorego (Falzarègo) 2105
Fedaia 2057
Pas de Mont (Karerpaß) 1745
Börz (Würzjoch) 2004
Giau 2236
La val de Mareo (Das Enneberger Tal). Copyright: Mateo Taibon

Daten entnommen aus: Roland Verra, Hans Rabanser: Ladinien. Bozen: Athesia 1997


Sprache [ oben ]

Entstehung & Varianten
Ladinisch ist eine neulateinische Sprache. Entstanden ist sie durch die Romanisierung der Alpen. Die rätische Bevölkerung übernahm das (Volks)Latein; unter Einfluss von Eigenheiten der eigenen Sprache (Syntax, Phonetik, Wortschatz) entwickelte sich die Sprache zum Ladinischen (= Rätoromanischen).
Die ladinische Sprache ist die direkte Weiterführung des gegen Ende des römischen Reiches in den Alpen gesprochenen Volkslateins.
Der Untergang des Rätischen in den Alpen ist vergleichbar mit dem Untergang des Gallischen in Frankreich.

Die Rätoromanen und die Rumänen sind die einzigen, die in ihrer Bezeichnung das Wort "Rom" tragen; die Bewohner des Inntales und der Dolomiten nennen sich gar "Ladiner", also Lateiner.

Eine Frühform des Ladinischen dürfte, wie auch die anderen neulateinischen Sprachen, rund um das 8./9. Jahrhundert entstanden sein.
Die Sprache liegt ungefähr in der Mitte zwischen Französisch und Italienisch. Mit dem Rötoromanischen nahe verwandt sich auch Okzitanisch oder Katalanisch.

Eigenheiten des Ladinischen
Palatalisierung von C und G vor A, wie ciaval (ital. cavallo vgl. im Französischen cheval); giat (gatto) etc.
- Mehrzahlbildung mittels der Endung -s (neben anderen Arten der Pluralbildung), z.B. ciases (Häuser), _ians (Hunde)
- Bildung der 2. Person des Verbes mit -s (te ciantes = du singst)
- Fehlen des jüngeren Konditionals (portarava, -aría; porterebbe), an dessen Stelle gewöhnlich, wie im Lateinischen, der Konjunktiv Imperfekt gebraucht wird
- Bewahrung der Konsonantengruppen PL, BL, FL, CL, GL (z.B. plajëi, ital. piacere = gefallen), flé (fiato - Atem)
- Schwund der unbetonten Endvokale -o und -e ("tet", italienisch "tetto", oder "man", italienisch "mano")
- hinzu kommen Besonderheiten der Syntax und des Wortschatzes. Es haben sich im Ladinischen vorrömische Wörter gehalten.

Vorrömische Wörter
Die Idiome

Gherdëina
Badiot
Mareo
Anpezan
Fodom
Fascian (moenat, brach, cazet)

Vaterunser

mareo/badiot
Nosc Pere dl Cil,
al sides santifiché to inom,
al vëgnes to rëgn,
tüa orentè sides fata,
sciöche al cil insciö söla tera.

gherdëina
Pere nost, che t'ies en ciel,
l sibe santificà ti inuem,
l vënie ti rëni,
sibe fata ti ulentà,
coche en ciel enscì en tiera.

fascian
Père nosc che te es sun ciel, sie fat sent to inom,
fa che vegne to regn,
to voler sie semper respetà, tant sun ciel che su la tera.

fodom
Pere nost che t'es sun paradìsc, benedët l é l tuo inom,
resta con nos,
che sarà fat ci che te vos,
sun ciel e su la tiera.

ampezan
Pare nosc, che te stas su in zielo,
sée fato santo el to gnon,
viene el to regno,
sée fato chel che te vos tu,
tanto in zielo che su ra tera.

Ladinisch und die anderen neulateinischen Sprachen [ oben ]

Der Begriff rätoromanisch wird häufig mißverstanden: Ladinisch ist eine neulateinische Sprache, genauso wie Französisch (das man als "Galloromanisch" bezeichnen könnte).

Die Klischees

Ladinisch hat ganz wenig Wörter
Die ladinische Sprache hat viele Wörter. Das neue Wörterbuch Badiot-Deutsch hat 36.000 deutsche Stichwörter mit 78.000 ladinischen Entsprechungen.

Ladinisch hat keine modernen Wörter
Es gibt zahlreiche Wortneubildungen. Weil aber die Sprache in der Schule so wenig unterrichtet wird und die ladinischen Medien zu wenig Raum haben, dauert die Einbürgerung der Wörter deutlich länger.

Die neuen Wörter sind bescheuert
Die Neologismen sind beim Ladinischen nicht anders als bei anderen Sprachen: Zunächst klingen sie oft ungewohnt, nach Einbürgerung werden sie als selbstverständlich empfunden. Wörter wie nodadoia (Schwimmbad), furnadoia (Seilbahn), brujadoia (Verbrennungsofen), sarenara (Kläranlage) haben sich gut eingebürgert.
Wer sich über das Wort "ciuciastuep" (Staubsauger) lustig macht, sollte das entsprechende deutsche Wort genauer betrachten, oder aber Wörter wie Hubschrauber ...

Ladinisch ist eine Mischsprache
Ladinisch ist eine neulateinische Sprache, die - wie alle Sprachen der Welt - Elemente aus den Nachbarsprachen übernommen hat. Das Problem liegt darin, dass die Ladiner in der Schule ihre Sprache kaum lernen und beim Sprechen anstatt der existierenden ladinischen Wörter häufig Wörter aus dem deutschen oder italienischen Wortschatz verwenden. Dies ist ein Beleg dafür, dass der mangelnde Unterricht zur Erosion und in der Folge zum Untergang der Sprache führt.

Die Ladiner verstehen sich untereinander nicht
Der Unterschied zwischen den ladinischen Idiomen ist gering, die sprachliche Kompaktheit ist sehr hoch. Wer ein ladinisches Idiom gut kennt, hat in der Regel keine Schwierigkeiten mit den anderen Idiomen.

LADIN DOLOMITAN
rujeneda standard di Ladins dles Dolomites

"Die Spaltung der Dolomitenladiner in fünf (wenn nicht sechs, sieben oder acht) Schriftidiome ist mit gravierenden Nachteilen verbunden." (Heinrich Schmid, Einleitung zur "Wegleitung für den Aufbau einer gemeinsamen Schriftsprache der Dolomitenladiner)

"Ladin dolomitan" nennt sich die Schriftsprache der Dolomitenladiner. Sie wird vom Sprachplanungsprojekt "spell" ausgearbeitet. "spell" heißt "servisc de planificazion y eleborazion dl lingaz ladin" (Dienststelle für die Normierung und den Ausbau der ladinischen Sprache).

Beim Ladin dolomitan handelt es sich um eine standardisierte Form des Ladinischen für die schriftliche Verwendung.
Bereits 1833 hat sich Micurà de Rü (Nikolaus Bacher) eine gemeinsame Schriftsprache für die Dolomitenladiner gewünscht.

Warum eine Schriftsprache?
- Jede Sprache benötigt eine Sprachplanung. Es ist von Vorteil, diese Sprachplanung für alle Idiome gemeinsam vorzunehmen.
- Ladinisch ist Verwaltungssprache. Eine Form für alle Ladiner ist notwendig. Man kann nicht erwarten, dass mehrere schriftliche ladinische Varianten verwendet werden. Derzeit wird für Dokumente zwischen den verschiedenen Varianten ausgesucht (sofern das Ladinische überhaupt Verwendung findet).
- Aufgrund der notwendigen Wortneuschöpfungen ist ein gemeinsames Vorgehen notwendig, um Synergien zu schaffen. Keine Sprache leistet sich den Luxus, Neologismen in mehreren dialektalen Varianten zu bilden - umso weniger darf sich das eine Minderheit leisten.

- Es hat sich gezeigt, dass die Festigung und der Ausbau der Verwendung des Ladinischen nicht ausschließlich, aber doch zum Großteil vom Vorhandensein einer einheitlichen, alle Idiome verbindenden gemeinsamen Schriftsprache, abhängt.

Die Form
Das Ladin dolomitan ist die Standardform des Ladinischen, die die verschiedenen Idiome berücksichtigt. Die Methode besteht im wesentlichen darin, aus den Varianten des Ladinischen jene Formen auszuwählen, die eine Mehrheit haben. Es wird aus bereits bestehenden Formen des Ladinischen ausgewählt, es werden keine neuen Formen geschaffen, es wird nichts künstlich erstellt, nichts konstruiert. Ladin dolomitan ist der größte gemeinsame Nenner der Idiome.

- Das Ladin dolomitan wird die einzelnen Idiome nicht verdrängen, wie immer wieder behauptet wird. Es wird vielmehr die Idiome durch die Sprachplanung stärken. Das Ladin dolomitan soll als schriftliche Form dort Verwendung finden, wo die Ladiner mehrere Talschaften angesprochen sind (und wo heute meistens nur Deutsch oder Italienisch verwendet wird).
- Zahlreiche Schriftsprachen Europas sind auf ähnlichem Wege entstanden: Aus der Notwendigkeit, eine Kommunikationsform zu schaffen, die für möglichst viele verständlich ist: Jede Hochsprache ist eine Kompromisssprache.
- Ladin dolomitan ist eine reine Schreib- und Lesesprache. Jeder kann also die Standardform so aussprechen, wie er es von seinem Idiom gewohnt ist. Ein Badiot kann z.B. "dur" als "dür", "mur" als "mür" aussprechen.

- Ladin dolomitan muss nicht erlernt werden: Wer ein ladinisches Idiom kennt, versteht die Schriftsprache. Das Ladin dolomitan müssen nur jene wenige lernen, die die schriftlichen Texte abfassen.
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Die Parallele: Rumantsch Grischun
Die Schriftsprache der Rätoromanen in der Schweiz, das Rumantsch Grischun, wurde nach dem gleichen Prinzip erstellt wie das Ladin dolomitan.
Das Romanische hat durch die Einführung der Schriftsprache neues Ansehen und neue Anwendungsbereiche dazugewonnen. Dank der Schriftsprache wird das Rätoromanische in Bereichen verwendet, die bislang dem Deutschen, Italienischen und Französischen vorbehalten waren. Eine ähnliche Aufwertung benötigt das Ladinische in den Dolomiten.


Kultur [ oben ]

Mündliche Überlieferung

Die Welt der Geheimisse Sagen
Zur Kulturgeschichte zählen nicht nur die schriftlichen Zeugnisse, sondern auch die mündliche Tradition. Diese wurde im Zuge einer allgemeinen Besinnung auf die "Volkskultur" - Sagen, Märchen, Lieder, Spruchweisheiten - auch beim kleinen Alpenvolk der Rätoromanen gesammelt.

Bei den Rätoromanen in Graubünden hat als erster Caspar Decurtins (1855-1916) das mündliche Kulturerbe gesammelt. Er rief 1887 die Bevölkerung auf, ihm bei der Sammlung zu unterstützen. Die Resonanz war überwältigend, das gesammelte Material reichte für 14 Bände. Der Umfang der bis 1973 gesammelten rätoromanischen Märchen ist mehr als doppelt so umfangreich wie jener in allen drei anderen Sprachgebieten der Schweiz zusammen.

Die Dolomitenladiner verfügen über die wohl bekannteste Sagensammlung überhaupt: Ihr Sagenbestand bildet den Kern der Dolomitensagen, die Karl Felix Wolff gesammelt und erstmals 1905 veröffentlicht hat ("Die bleichen Berge"). Wolff hat die Erzählungen schwärmerisch ausgeschmückt, nicht weniges ist romantisch verklärt.

Besonders faszinierend und vielschichtig ist der Fanes-Mythos. Die Wurzeln dieses Mythos weisen mehrere tausend Jahre in die Vergangenheit. So ist die Verwandlung der Menschen in Tiere ein uraltes Element, das sich auch in den Sagen der Indianer findet. Das Totem des Fanes-Mythos ist kein Symbol der Macht oder der Jagd (kein Adler), sondern der erdverbundenen Genügsamkeit und Friedlichkeit: Das Murmeltier.
Das Böse ist nicht jenseitig-metaphysisch, sondern gehört zur Erde wie auch das Gute: Spina de mul, der Zauberer, der sich in Gewitternächten in ein Tierskelett verwandelt, hat nichts Teuflisches, sondern ist Zauberer aus der Kraft der Natur, er benötigt keine Pakte mit dem Bösen im Jenseits. Das christliche Weltbild und das damit verbundene Bild des Bösen ist in den Fanes-Mythos kaum eingedrungen.
Ein Leitmotiv in den Sagen ist das Matriarchat. Im Fanes-Mythos (und in den ladinischen Sagen allgemein, weit weniger jedoch in anderen Sagen Tirols oder des angrenzenden italienischen Raumes) sind vor allem oder fast ausschließlich die Frauen, die Entscheidungen treffen und den Gang der Geschehnisse beeinflussen. Die Männer hingegen bringen den Untergang, sobald sie Entscheidungen treffen: Der König von Fanes verkauft sein Reich und wird aus Strafe in einen Felsen verwandelt. Der Name "falsche König" - Fauzo rego/Falzarègo (nicht Falzàrego!) gibt dem Pass an der Südgrenze des Fanes seinen Namen.
Die Geschehnisse der Sagen wurden in späterer Zeit nach Fanes verlegt, entstanden sind die Sagen jedoch in einem anderen (größeren) Umfeld. Der Kern der Erzählungen stammt aus einer Zeit, in der das Sprachgebiet nicht auf die Dolomiten eingeschränkt war.
Eine moderne, "literarische" Version der Dolomitensagen stammt von Bruna Maria Dallago.

Ganes und salvans
Zu den überlieferten Erzählungen gehören auch zahlreiche Sagen über die ganes und salvans, gute Waldmenschen, denen die Menschen oft mit Rücksichtslosigkeit begegnen. Man wollte lange darin das Bild der Ureinwohner dieser Täler sehen, doch sind diese Gestalten eine Abkunft der römischen Welt (Silvanos und Aquanes) - mythische Gestalten, denen man im ganze Alpenraum in ähnlicher Form begegnet.
Zahlreiche Geschichten gibt es über den "Orco", über Hexen und Hexer, Pakte mit dem Teufel etc. Auch die Geschichte wurde damit ausgeschmückt. Zu den Grenzstreitigkeiten zwischen Mareo und Anpezo gibt es so eine Erzählung, wonach die Ampezzaner Männer einen Pakt mit dem Teufel schlossen, um mit übernatürlicher Kraft den riesigen Grenzstein zu verstellen. Als eine Magd erschrocken "Jesses Maria" rief, verloren die Männer durch die Wunderkraft dieser Worte plötzlich ihre Kraft und wurden unter dem Stein begraben.
Zu den Sammlern des mündlich überlieferten Kulturgutes gehört Tita (Jan Batista) Altonn (1845-1900), der auch als Lyriker und Essayist hervorgetreten ist.Tita Altonn

Sprachforschung
Als Vorläufer der modernen Sprachforschung von Wichtigkeit war Joseph von Planta, der bereits 1775 der Royal Society in London seine "Geschichte der romanischen Sprache" vorlas. Der Text wurde ein Jahr darauf in Chur gedruckt. Für die Dolomitenladiner bedeutend war Micurà de Rü (Nikolaus Bacher), der 1833 eine deutsch-ladinische Grammatik schrieb und bereits damals die Notwendigkeit einer gemeinsamen Schriftsprache für die Dolomitenladiner erkannte.

Eine Sprache
Schon früh erkannten Fachleute, dass es sich beim Rumantsch, Ladin und Furlan um verschiedene Dialekte einer einzigen, eigenständigen Sprache handelte. Pionierarbeit leisteten vor allem der aus Gorize (Görz) stammende Graziadio Isaia Ascoli (1829-1907) und Theodor Gartner (1843-1925). Ascoli stellte mit seinen gründlichen "Saggi ladini" (1873) als erster die Sprache mit den drei Sprachinseln wissenschaftlich dar. Er betrieb das, was man heute modern als "Feldforschung" bezeichnet. In seinem "Handbuch der rätoromanischen Sprache und Literatur" schuf eine Übersicht, die bis heute keine Nachfolge gefunden hat.
Zahlreiche Forscher verschiedener Universitäten auf der ganzen Welt haben seitdem die Eigenständigkeit des Ladinischen und die Einheit von Rumantsch, Ladin und Furlan bestätigt.
Es gab und gibt jedoch immer noch einige wenige, die das Ladinische als italienischen Dialekt betrachten. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, müssen sprachliche Analysen selektiv betrieben werden. Dies geschieht vor allem aus politischen Motiven.
In der letzten Jahren hat sich die Sprachforschung intensiviert. Für die Dolomitenladiner zu nennen ist insbesondere der langjährige Direktor des Istitut Cultura Ladin "Micurà de Rü", Lois Craffonara. Ihm verdanken auch zahlreiche Sprachforscher von außen profunde Kenntnisse der sprachlichen Realität. Immer noch zählen seine Erklärungstexte zu den unverzichtbaren.

Schriftliche Tradition

Dolomiten
Sporadische schriftliche ladinische Dokumente gibt es ab ca. 1600 - entstanden aus der praktischen Notwendigkeit heraus, der Bevölkerung in ihrer eigenen Sprache Mitteilungen zu machen. Die Verwaltung hat in der Regel jedoch kaum Platz für das Ladinische.
1833 Micurà de Rü versucht, eine gemeinsame Schriftsprache für die Dolomitenladiner aufzustellen. Das Manuskript bleibt unveröffenticht.
1864 Grammatik für das Grödner Idiom von Josef Anton Vian (Pfarrer in Urtijëi, gebürtig aus Fascia)
Mit Agno (Angelo) Trebo (1862-1888) gelingt der Sprung in die literarische Gattung der Lyrik. Trebo schreibt vor allem melancholische, zum Teil tieftraurige Gedichte. Neben Gedichten von schöner Naturbeschreibung, wie sie in der Heimatdichtung vorzufinden ist, hat er Gedichte von beklemmender Gefühlsillustration geschrieben, wie sie in der Weltliteratur anzutreffen ist. Angelo Trebo hat auch den Text für die zwei ersten ladinischen Operetten geschrieben ("Le scioz de San Jenn" und "Le ciastel dles stries")
Der Dichter, Historiker und Philologe Tita Altonn (1845-1900) sammelt Sagengut und Überlieferungen.
Hugo de Rossi (1875-1940) verfasst ein Wörterbuch (fascian).
Eine Welle literarischer Produktion setzt ein, die stilistisch zu einem beträchtlichen Teil der "Heimatdichtung" zugerechnet werden kann, ist Zeichen eines neuen ladinischen Selbstbewusstseins und einer neuen Wertschätzung der eigenen Sprache. Kulturträger sind in dieser Zeit Lehrer oder Priester. Der positiven Entwicklung wird durch den Ausbruch des ersten Weltkriegs ein jähes Ende gesetzt.
Nach dem 2. Weltkrieg beginnt - obwohl von vieler Seite Ladinisch immer noch als Sprache angesehen wird, die nur im Privaten Anwendung finden soll - eine Renaissance des Ladinischen, mit einer immer größeren stilistischen Diversifikation in der literarischen Aktivität.
Zu den herausragenden Gestalten gehört Max Tosi, der (ähnlich wie Pasolini im Friaul) das Gherdëina erst als zweite Sprache erlernt und zur Sprache seiner Dichtung auserkoren hat.
Heute stellt sich die ladinische Literatur reichhaltig, unterschiedlich im Stil und in der Thematik dar: Die ladinische Literatur unterscheidet sich inhaltlich und thematisch kaum von der Literatur der Nachbaren, sie ist aber für Experimente (u.a. Mehrsprachigkeit) generell offener als die Literatur ihrer Nachbaren.

Die Nachbaren wissen kaum etwas über die ladinische Literatur, häufig wissen sie nicht einmal, dass es sie gibt. Und da sie die Sprache nicht kennen, könne sie auch nicht Urteile fällen. Meistens wird die ladinische Literatur gar nicht zur Kenntnis genommen, es wird auch in den deutschen und italienischen Medien fast nie über ladinische Literatur berichtet.

Graubünden
Engiadina (Graubünden). Copyright: Mateo TaibonDie Schriftliche Tradition des Rätoromanischen beginnt in Graubünden im 16. Jahrhundert; der wesentliche Anstoß ist die Reformation (und die Gegenreformation) und damit die Absicht, die Menschen Erbauliches in seiner Sprache zu geben.
Dem Oberengadiner Staatsmann Gian Travers verdanken wir das erste bekannte rätoromanische Dokument. Er benützt die Muttersprache im Jahre 1527 für eine politische Verteidigungsschrift, die als Manuskript verbreitet wird. Die ersten gedruckten Publikationen in rätoromanischer Sprache erscheinen 1552: Eine Religionslehre und ein ABC-Büchlein im oberengadiner Idiom. Ihr Verfasser ist Jachiam Bifrun, Notar in Samedan. Wenige Jahre danach (1560) übersetzt er das Neue Testament ins Rätoromanische (Idiom Puter). Die Sprache ist Vehikel für die Religion.
Wahre Renner werden vor allem zwei Publikationen: "Il vêr sulaz da pievel giuven" (Die wahre Unterhaltung der jungen Leute, 1611), das noch zwölfmal auf Romanisch erscheint sowie elfmal in deutscher und siebenmal in italienischer Übersetzung. Einen ähnlichen Erfolg hat "Consolaziun dell'olma devoziusa" (Trost der frommen Seele, 1690), ein katholisches Andachtsbuch mit Liedern, die teilweise auch heute noch gesungen werden. Das Buch erscheint bis 1945 elfmal.
Durch die religiöse Verwendung bleiben die Idiome lange konfessionel und schriftsprachlich gespalten. Zu einer gemeinsamen Schriftform für alle Rätoromanen zu finden war damit für lange Zeit schwierig.
Die zeitgenössische Literatur präsentiert sich reich und innovativ.

Friaul
Im Friaul wurde die Sprache öffentlich verwendet, solange es die Selbstverwaltung gab (Patriarchat von Aquiliea, Ende 1420): Es gibt Dokumente u.a. aus der Notarschule in Cividât aus dem 14. Jahrhundert. Nach der Annexion eines Teils des Friauls durch Venedig wird Friaulisch in der Verwaltung nicht mehr verwendet.
Die friaulische Literaturgeschichte beginnt in der Renaissance mit mehreren bedeutenden Gestalten. Es ist keine religiös gebundene Literatur, auch keine Heimatdichtung, sondern weltliche, mondäne Dichtung. Aus dieser Zeit stammen die ersten Übersetzungen aus der Weltliteratur. In den folgenden Jahrhunderten hatte die friaulische Literatur zahlreiche bedeutende Figuren. Zu den hervorragenden Dichtern gehören Ermes di Colloredo, Pietro Zorutti (der mit seinen Almanachen zur Festigung der koiné beiträgt), Caterina Percoto.
Einen neuen Aufschwung nimmt die Literatur während des 2. Weltkrieges mit Pier Paolo Pasolini. Der Italiener Pasolini lernt Friaulisch, die Sprache seiner Mutter. Er bringt einen neuen Schwung in die friaulische Literatur. Pasolini schreibt Gedichte auf Furlan sowie ein Theaterstück (I turcs tal Friûl).
Mit der Gründung der Academiuta de lenga furlana 1945 setzt Pasolini eine epochale Tat. Eine ganze Dichtergeneration wird durch ihn inspiriert.
Pasolini, der auch politisch aktiv ist, ist ein vehementer Vertreter der sprachlichen Eigenständigkeit des Furlan: "Lingua ladina dunque, non dialetto alpino".

Heute ist die friaulische Literatur sehr reich an Stilrichtungen und Gattungen, von der Lyrik bis zum Comic. Eine traditionsreiche Einrichtung ist das Literatur- und Musikwettbewerb "Premi Friûl".

Kunst
Der rätoromanischen Raum hat einmalige Perlen der Weltarchitektur, besonders im Friaul und in Graubünden.
Müstair - Copyright Mateo Taibon
- In Aquileia, der Mutterkirche des gesamten Alpenraumes, findet sich in der Basilika ein Mosaikboden aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. - mehr als 700 m2. Es ist das wohl schönste kunstgeschichtliche Dokument der frühchristlichen Zeit überhaupt.
- Müstair (nur ca. 1 km jenseits der Grenze Südtirol/Graubünden) hat mit seinem Benediktirenninenkloster und seiner (romanischen, später gotisch umgestalteten) Kirche ein kulturgeschichtliches Denkmal, das zum Weltkulturgut de UNESCO gehört. Erbaut wurde das Kloster um das Jahr 800 als Monasterium Tuberis. In der Klosterkirche, eine der wenigen mit drei Absiden, kann man den größten erhaltenen Freskenzyklus des frühen Mittelalter bewundern. Dazu Bild
- In der Kirche von Zillis (am südlichen Ausgang der spektakulären Via Mala) kann man die älteste bemalene Kirchendecke Europas betrachten: Die Kirche mit ihren 153 Holztafeln (um 1130) wird jährlich von ca. 200.000 Leuten aufgesucht. Dazu Bild
- In Cividât (Cividale) gibt es die unterirdische keltische Grabanlage (ca. 500 v. Chr.).
- Aus 760 ca. stammt das langobardische Kirchlein in Cividât. Dazu Bild
- Im Städtchen Glemone (Gemona) beeindruckt der gotische Dom. Es ist eines der schönsten Beispiele der gotischen Architektur südlich der Alpen.Glemone/Gemona (Dom). Copyright: Mateo Taibon

In den Dolomiten wurden - wie im gesamten Tirol - die alten romanischen Kirchen durch gotische Bauten ersetzt (später wurden diese z.T. wieder durch barocke Kirchen ersetzt). Es ist aus kunstgeschichtlicher Sicht ein unschätzbarer Verlust (die romanischen Kirchen im Vinschgau, der jahrhundertelang zum Bistum Chur gehörte, sind ein Beleg für die hervorragende Qualität der romanischen Bauten im Alpenraum). Ein Kleinod ist die Kirche St. Juliana in Fascia, ebenso die Kirche von Sacun (St. Jakob) bei Urtijëi mit den gotischen Fresken.
Eine Perle (und beliebtes Photo-Motiv) ist das Barbara-Kirchlein in La Val.
Schöne barocke Kirchen gibt es in Al Plan de Mareo und Badia.

Viles
Zum kulturellen Erbe gehören die Viles, die Hofgruppen des Gadertales. Es handelt sich um eine Siedlungsform, die durch die harmonische Einheit und die Einbettung in die Natur als einzigartig gelten. Die Viles wurden in den letzten Jahren vermehrt als touristische Attraktion aufgewertet. Es bleibt jedoch die teilweise Inkompatibilität mit den heutigen Arbeits- und Wohnerfordernissen. Die Viles sind geschützt, Neu- oder Umbauten können nur mit rigiden Auflagen durchgeführt werden.

SgrafitSgrafit - Foto: Mateo Taibon
Zu den Besonderheiten in der Profanarchitektur Graubündens (v.a. Bergell, Engiadina, Val Müstair) gehört das "sgrafit". Es handelt sich um Ritzzeichnungen am weichen Mörtel: Es wird die noch weiche Kalkschicht bzw. der letzte Fertigputz (Sand, Kalk, heute mit Zementzusatz, eventuell auch mit Farbzusatz) fest auf die Fassade angedrückt; jene Stellen, die man sich dunkel wünscht, werden abgetragen.
Zum sgrafit gehören Zeichnungen, Ornamente und Sprüche.

Folk & Kultur
Die Betrachter von außen sehen bei den Minderheiten gern das Folkloristische, das Exotische. Trachten und Bräuche erwecken so meist mehr Neugier als Sprache, Gesellschaft, Literatur, Kunst.
Bei den Ladinern ist dies nicht anders, besonders die Grödner Tracht wird oft abgebildet.
Durch Folklorismus wird eine Minderheit als buntes Theater erlebt, manchmal auch als etwas hinterwäldlerisch. Für die Politik ist Folklorismus angenehm, weil damit keine Einforderung von Rechten für die Sprache und Kultur der Minderheit verbunden sind.

Brauchtum
Die zahlreichen Bräuche der Ladiner stammen aus zwei Bereichen: Religion und Bauernleben. Die Wurzeln der Bräuche sind vielfach älter als das Christentum. Mit den neuen Rhythmen (Tourismus zu Weihnachten, zu Ostern) sind diese Bräuche teilweise verschwunden. Noch lebende Bräuche, wie Prozessionen an großen Festtagen, die Blumenweihe (15. August) werden immer wieder von Touristen angesehen, als handle es sich um eine Show.


Ladinien Heute [ oben ]

Wirtschaft & Gesellschaft
Die traditionelle Wirtschaft und die Lebensart der Ladiner waren jahrhundertelang von der Landwirtschaft geprägt. Die ladinischen Täler waren arm, das Kunsthandwerk entstand aus der Notwendigkeit eines zusätzlichen Broterwerbes. Heute beherrscht der Tourismus das Bild der ladinischen Täler. Doch bleiben Landwirtschaft und Handwerk weiterhin wesentlich, auch wenn diese nicht so sichtbar sind bzw. außerhalb der den Touristen bekannten Routen sind. Allerdings können sich wenige von der Landwirtschaft allein ernähren: Die Bauern, die keiner 2. Arbeit nachgehen, sind immer weniger, in manchen Dörfern kann man sie an einer Hand aufzählen.
So gut wie nicht vorhanden ist die Industrie. Durch den Tourismus hat sich das soziale Gefüge drastisch verändert. Die "Jahreszeiten" sind vom Tourismus (Saison/"sajun" = Jahreszeit) bestimmt. Die traditionelle bäuerliche Lebensweise ist meist verschwunden. Die durch die Landwirtschaft gepflegte Landschaft gehört wesentlich zur landschaftlichen Schönheit.

Ein zweischneidiges Schwert
Bekannt ist Ladinien vor allem durch den Tourismus. Die Dolomiten mit ihren Ortschaften, die Liftanlagen und Pisten des Dolomiti Superski, die italienweit bekannten noblen Restaurants sind das Aushängeschild der heimischen Wirtschaft - was sich in den Klischees der Nachbaren spiegelt. Bei vielen trifft man die Ansicht an, die Ladiner hätten alle ein Hotel.
Die Entwicklung des Tourismus begann vor ca. einem Jahrhundert, als die Sommerfrische in den Dolomiten zu einem Vergnügen für wenige Auserwählte wurde. Die Hotels, die in dieser Zeit entstanden, sind Nobelhotels, gebaut in einem städtischen Stil und mit für die Dörfer ungewöhnliche Ausmaßen: Das Bild der Dörfer beginnt, sich grundlegend zu verändern.
Eine neue Entwicklung des Tourismus setzte nach dem 2. Weltkrieg ein, als der Wohlstand breite Gesellschaftsschichten erfasste. Der Tourismus wurde zum Massentourismus. Die Ladiner waren die Pioniere des Wintertourismus; die Nachbartäler haben von den Errungenschaften profitiert.

Der Tourismus wird vielfach kritisiert, er bringt Nachteile mit sich:
- er führt zum Ausverkauf von Ferienhäusern und Wohnungen, die nur wenige Wochen im Jahr bewohnt sind. Es gibt außerhalb der Saison ganze "Geisterdörfer". Das Dorfbild hat sich verändert, es wird häufig von überdimensionalen Hotels beherrscht (oft in einem pseudoalpinen Stil)
- Die kulturelle Überlieferung, die Bräuche, die Trachten werden dem Touristen zur Begaffung angeboten - es ist eine Kommerzialisierung und damit eine Verfälschung der Tradition
- Die vom Tourismus geförderte Zuwanderung von Arbeitskräften hat in Graubünden wesentlich zur Germanisierung von Dörfer und von ganzen Gegenden geführt (St. Moritz/San Murezzan). In Cortina sind durch die Zuwanderung (v.a. seit den olympischen Winterspielen 1956, die Cortina weltberühmt gemacht haben) die Ladiner in der Minderheit
- Der Lebensrhythmus wird vom Tourismus bestimmt, die Dorfgemeinschaft und ihre Tradition werden geschwächt

Der Tourismus bringt aber auch Vorteile:
- Der Tourismus bringt Wohlstand, die Ladiner müssen nicht auswandern. Auch das Handwerk, die Bauwirtschaft, der Handel etc. leben vom Tourismus, der so zur Existenz der Volksgruppe beiträgt
- Der Tourismus trägt dazu bei, das Wissen um die Existenz des Ladinischen über die Landesgrenzen hinauszutragen: Viele Menschen aus verschiedenen Teilen Europas wissen um das Ladinische aus ihren Ferien. In den Schulen und in den Medien wird ihnen darüber meist nichts berichtet
- Durch den Tourismus ist Ladinien stärker. Mit dem Wohlstand ist das Selbstbewusstsein gestiegen. Dies wirkt sich auch kulturell und politisch aus. Die Ladiner sind mehr auf ihre Unabhängigkeit bedacht. Die Ladiner werden von den Nachbaren zumeist nicht mehr als minderwertig angesehen (anstelle der Verachtung von früher ist mancherorts jedoch der Neid getreten).

Medien
Die "Usc di Ladins" (Die Stimme der Ladiner) ist das einzige Medium, das (die faschistische Dreiteilung überwindend) alle Ladiner der Dolomiten berücksichtigt. Sie wird von der Union Generela di Ladins dla Dolomites herausgegeben. Finanziert wird sie durch Werbung, Beiträge aus öffentlicher Hand, Abonemments und private Sponsoren.
Die Zeitung wurde 1949 als "Nos Ladins" (Wir Ladiner) gegründet. Im Laufe ihrer schwierigen Existenz wurde die Zeitung immer wieder angefeindet (vor allem von Vertretern der Mehrheit, die Ladinisch nicht verstehen), es wurde von ihr gefordert, nicht über Politik zu schreiben: Thematische Verbote für ladinische Medien? www.lauscdiladins.com

RAI ladina - Rundfunk und FernsehenRai ladina - Radionachrichten. Foto: Mateo Taibon

Radio:
täglich (außer Sonntag):
13.30-13.50 Nachrichten
13.50-14.05 "La copa dal cafè" (Allgemeinbildung, Kultur)
19.00-19.05 Nachrichten
19.05-19.30 Kultursendung
Sonntag:
12.30-12.45 Nachrichten
12.45-13.00 La copa dal cafè

Fernsehen:
täglich
19.55-19.59'30 trail (Tagesschau)

jeden Donnerstag
20.30-20.40
Paladina (Kultur, Allgemeinbildung)

jeden letzten Donnerstag des Monats:
zusätzlich 30 Minunten (Kultur/Aktualität)

Ladinische Teile in anderssprachigen Medien
- Alto Adige (jeden Dienstag eine Seite)
- Dolomiten (Dienstag, Donnerstag und Samstag jeweils eine Seite, ein großer Teil davon ist Deutsch abgefaßt)
- Radio Gherdëina (private Rundfunkanstalt, sendet in den Sprachen Ladinisch und Deutsch)
- Radio Studio Record (private Rundfunkanstalt in Fascia, sendet in den Sprachen Ladinisch und Italienisch)

Nachteile der ladinischen Medien:
- keine Importmöglichkeiten, alles muss vor Ort produziert werden
- kleiner Markt durch die geringe Zahl der Leser (Selbstfinanzierung nicht möglich)
- keine Agenturmeldungen in der eigenen Sprache, kaum Agenturmeldungen über den ladinischen Raum
- kein Gesetz für die gezielte Förderung ladinischer Medien. Die bestehenden Bestimmungen nehmen den wesentlichen Unterschied zwischen Minderheit und Kleinsprache nicht wahr.

Graubünden
la quotidiana (Tageszeitung, zur Gänze romanisch)
Radio Rumantsch: 14 Stunden täglich
Televisiun Rumantscha: Von Montag bis Freitag 18.45 - 18.55 Telesguard (Tagesschau), dazu am Sonntag Kultursendungen.
Verschiedene Regionalzeitungen, Radio Piz Corvatsch und Radio Grischa (zweisprachige Privatradios)

Die rätoromanische Nachrichtenagentur - Agentura da Novitats Rumantscha
Eine Minderung der Benachteiligung durch den Status der Kleinsprache hat man nur in Graubünden zustande gebracht, nicht jedoch in den Dolomiten oder im Friaul: Eine von öffentlicher Hand finanzierte Nachrichtenagentur schließt eine große Lücke und wiegt einen Teil der Benachteiligung durch gezielte Hilfe für rätoromanische Medien auf.
Die Rätoromanische Nachrichtenagentur/Agentura da Novitats Rumantscha (ANR) wurde 1996 ins Leben gerufen. Sie versteht sich als unabhängige Nachrichtenagentur, die ein tägliches Textangebot in romanischer Sprache liefert und ihren Kunden für die Publikation zur Verfügung stellt. Die ANR versorgt insbesondere die romanischen Medien mit einem Grundangebot an aktuellen Nachrichten sowie zusätzlichen Leistungen (z.B. Übersetzungen), die gegen ein Entgeld abgegeben werden. Die durch die öffentliche Hand unterstützte Leistung der ANR ist in Angebot und Tariffstruktur auf die romanischen Medien zugeschnitten.
Die ANR ist eine Stiftung, in der die Verleger romanischer Zeitungen, die romanischen elektronischen Massenmedien, die Lia Rumantscha und die Pro Svizra Rumantscha sowie der Kanton Graubünden und der Bund vertreten sind. Finanziert wird die ANR aus den Mitteln der öffentlichen Hand, der Kunden und der Auftraggeber.
Die ANR ist eine unabhängige Stiftung, die ähnlich den bestehenden Nachrichtenagenturen operiert, aber unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der rätoromanischen Medienlandschaft. Durch die Tarifstruktur werden die rätoromanischen Medien - die eine symbolische Abonemmentgebühr entrichten - gegenüber anderen Medien bevorzugt. Andere Abnehmer (anderssprachige Massenmedien, andere Kunden) müssen mindestens die effektiven Kosten der Dienstleistung entrichten. Die Nachrichten betreffen die rätoromanischen Regionen, den Kanton Graubünden, die Schweiz, das Ausland und berücksichtigen verschiedene Sparten: Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport, Unterhaltung.
Die Texte, die sich mit einer bestimmten Region befassen, werden in der Regel im Idiom dieser Region abgefaßt, die Texte von überregionalem Interesse werden zumeist in der Schriftsprache Rumantsch Grischun abgefaßt.
In den Dolomiten wurde eine ladinische Nachrichtenagentur bisher nicht ins Leben gerufen. Die ladinischen Medien müssen die Nachrichten selbst zusammenholen oder aber die Nachrichten übersetzen - eine wesentliche Mehrarbeit, die zu den anderen Nachteilen hinzukommt.
Durch die ANR wurde die Gründung der rätoromanischen Tageszeitung "La quotidiana" ermöglicht. Ein Ziel, das bei den Dolomitenladinern noch in weiter Ferne liegt. Der Wille, die Minderheit zu unterstützen bzw. Nachteile aus dem Weg zu räumen, ist bei den Nachbaren, die über die finanziellen Mittel verfügen, zu gering.

Friaul
Radio onde furlane (Privatradio)
La Patrie dal Friûl (Monatszeitschrift)
La vita cattolica (Wochenzeitung, hat regelmäßig kleine Teile auf Friaulisch)
Int furlane (Dreimonatszeitschrift)

Institutionen und Vereine
Union Generela di Ladins dla Dolomites
Dachorganisation der ladinischen Kulturvereine (Union di Ladins) in den Dolomiten. Keine hauptamtlichen Mitarbeiter, es fehlen die finanziellen Mittel, es gibt auch keine gesicherte Förderung der Union Generela. Für die ladinische Kultur wird meist ehrenamtlich gearbeitet.
In Graubünden ist die Lia rumantscha als Dachorganisation auch auf politischer Ebene anerkannt, in den Dolomiten wird die Union Generela von den Provinzverwaltungen nicht als Verhandlungspartner akzeptiert: Es herrscht die Mentalität der Dreiteilung.
Die Union Generela ist Herausgeberin des einzigen ladinischen (Wochen)zeitung, der "Usc di Ladins". Außerdem ist sie Initiatorin des populären ladinischen Rockfestivals "Ladinia-Tour".

Institutionen
Istitut Cultural Ladin "Majon di Fascegn"
Kulturinstitut für die Ladiner von Fascia - es war die erste eigenständige Kulturinstitution für die Ladiner. Forschungsinstitut für Sprachwissenschaft, Geschichte, Kultur der Ladiner. Gibt Bücher heraus sowie die Jahreszeitschrift "Mondo ladino".

Istitut Cultural Ladin "Micurà de Rü"
Kulturinstitut für die Ladiner der Provinz Bozen mit gleichen Aufgaben wie das fassanische Kulturinstitut. Gibt Bücher heraus (Geschichte, Literatur, Übersetzungen von fremdsprachiger Literatur, wie z.B. "Der kleine Prinz") sowie die Jahreszeitschrift "Ladinia".

Ladinisches Schulamt
Das ladinische Schulamt hat die Aufgabe, die Schulen der ladinischen Täler zu verwalten. Das Schulamt verfügt über keine eigenen finanziellen Mittel.

Istitut Pedagogich Ladin
Das pädagogische Institut hat die Aufgabe, das Lehrerpersonal weiterzubilden und didaktisches Material für die Schulen herauszugeben.

Consulta per i problems ladins (Gemeinde Bozen)
Die Consulta nimmt sich der Anliegen der ladinischen Gemeinschaft in Bozen an. Außerdem organisiert Kulturveranstaltungen.

Graubünden: Lia rumantscha (LR)
Gegründet am 26. Oktober 1919: Dachorganisation aller rätoromanischen Sprach- und Kulturvereine. Gemeinnützige, politisch und konfessionell neutrale Institution.
Zielsetzung: Förderung der rätoromanischen Sprache und Kultur. Förderung des Rätoromanischen in Familie, Schule, Kirche und im öffentlichen Leben.
Finanzielle Mittel: Jährliche Bundes- und Kantonsbeiträge. Einnahmen aus dem Bücherverkauf, aus Übersetzungsaufträgen etc., Zuwendungen von verschiedenen öffentlichen und privaten Organisationen und Stiftungen.

Die Lia Rumantscha hat 15 Arbeitsstellen für verschiedene Dienste: Kindergarten, Regionale Mitarbeiter, Sprachdienst und Sprachauskunft (Pflege und Förderung der Regionalvarianten, Neuwortschöpfungen, Bereitsstellung von Fachterminologien und Lehrmitteln, Information und Beratung).
Die LR ist außerdem zuständig für Ausbau und Verbreitung der rätoromanischen Einheitssprache Rumantsch Grischun.
Verlag: Herausgabe von Wörterbüchern, Grammatiken, Sprachlehrmitteln, Anthologien, Fachterminologien, Kinder- und Jugendbüchern, Comics, Kassetten, CD’s und Unterhaltungsliteratur. Beiträge für rätoromanische Werke anderer Verlagshäuser.
Gesang und Musik: Regelmässige Vermittlung von Gesang- und Musikstücken einheimischer Komponisten an interessierte Chöre.

Schule
"Das gesamte 20. Jahrhundert war in diesen zwei Tälern vom Versuch der monokulturellen Assimilierung gekennzeichnet".
(Roland Verra, lad. Schulamtsleiter)

Warnung
Ein fremder Prophet ist aufgestanden, er schwingt eine fremde, feindliche Fahne und sammelt Unterschriften zu einer Petition für die gänzliche Verdeutschung der hiesigen Schule. Grödner. seid auf der Hut, laßt euch nicht betören und bietet nicht selbst die Hand zur Zerstörung eines unersetzlichen Schatzes, eines wahren Reichtums, nämlich eurer Muttersprache.
Aus einem Flugzettel, geschrieben von Franz Moroder, Bürgermeister von Urtijëi, im Jahre 1905.

Die Ladiner lernen in der Schule ihre Sprache nicht. Mit einer oder zwei Wochenstunden lernt man keine Sprache der Welt.

Südtirol: Paritätische Schule
In der ersten Klasse Volksschule wird Italienisch und Ladinisch oder Deutsch und Ladinisch unterrichtet. In den anderen Klassen der Pflichtschule wird die Hälfte der Fächer Deutsch, die andere Hälfte Italienisch unterrichtet.
Für Ladinisch bleibt eine winzige Ecke übrig: In der Pflichtschule zwei Wochenstunden Ladinisch, in der Oberschule eine einzige Stunde Ladinisch.

Die Regelung gilt nur für die Schulen der ladinischen Täler, also Val Badia und Gherdëina; außerhalb gibt es keine Möglichkeit, Ladinisch zu lernen. Mehrere Oberschultypen gibt es nicht in den ladinischen Tälern. In diesen Schultypen wird den Ladinern der Muttersprachenunterricht prinzipiell nicht ermöglicht.
Durch die Anhebung der Pfichtschule müssen viele Ladiner ihr letztes Jahr außerhalb ihres Tales besuchen. Damit ist nicht einmal der minimale Muttersprachenunterricht in der Pflichtschule garantiert.

Als Unterrichtssprache wird Ladinisch nicht verwendet - dies wird durch das Autonomiestatut verhindert (Artikel 19). Das Autonomiestatut, das eigentlich die Rechte der Minderheit festschreiben sollte, verhindert also den angemessenen Muttersprachenunterricht.
Doch findet das Autonomiestatut nicht immer Anwendung: Das Land Südtirol führt in Picolin eine Berufsschule, die Art. 19 des Autonomiestatuts nicht einhält: Die Schule ist rein Deutsch und somit minderheitenfeindlich und zudem verfassungswidrig.

Provinz Trient
Ladinisch in den Schulen erlaubt, sowohl als Unterrichtsfach als auch als Unterrichtsprache (seit 1993). In der Praxis jedoch beschränkt sich der Unterricht derzeit auf eine Wochenstunde Ladinisch und eine oder zwei Stunden Unterricht auf Ladinisch in den Pflichtschulen.

Provinz Belluno
Kein Ladinisch in der Schule.

Friaul
Kein Ladinisch in der Schule.

Den Ladinern wird von Vertretern der Mehrheit immer wieder eingeredet, sie müssten Deutsch bzw. Italienisch lernen, wobei die Erlernung der Muttersprache als Hindernis dazu und ganz allgemein als Hindernis für beruflichen Erfolg hingestellt wird. Es handelt sich um einen subtilen Rassismus. Die Folgen des mangelhaften Unterrichts der Muttersprache sind deutlich. So sprechen viele ein Ladinisch, das in Grammatik und Vokabular stark von deutschen oder/und italienischen Elementen durchsetzt ist. Es ist eine existenzbedrohende Korrosion der Sprache. Dieser Umstand ist ein Beleg, dass mangelnder Muttersprachenunterricht zum Untergang der Sprache führt.

Vorbild Graubünden
Im Kanton Graubünden bestimmen die Gemeinden ihre Verwaltungs- und Schulsprache. 85 Gemeinden führen eine romanischsprachige Grundschule, 16 eine deutschsprachige Schule mit Rätoromanisch als Fach.

Primarschule Typ A (85 Gemeinden)
Rätoromanische Primarschule. Deutschunterricht von der 4. Klasse an (4 - 6 Lektionen/Woche).

Typ B (16 Gemeinden) Deutschsprachige Grundschule mit Rätoromanisch als erster Fremdsprache (2 Lektionen/Woche)
Samedan: Schulversuch für zweisprachigen Unterricht
Rätoromanisch - Deutsch (die Ortschaft ist mehrheitlich deutsch).
Kantonshauptstadt Chur: Einführung von Klassen mit zweisprachigem Unterricht Deutsch-Rätoromanisch geplant.
Real- und Sekundarschule
2-4 Lektionen/Woche Rätoromanisch als Fach (Muttersprache) sowie einzelne Fächer mit rätoromanisch als Unterrichtssprache.

Universität Bozen: Verstümmelte Dreisprachigkeit
Die Universität Bozen tritt dreisprachig auf: Deutsch, italienisch. Und englisch. Die dritte Landessprache findet keine bzw. fast keine Berücksichtigung. Deutsch, italienisch, englisch: Die Zukunft der Dreisprachigkeit in Südtirol?

Es wurde an der Universität kein Istitut für Ladinistik eingerichtet, obwohl eines in Aussicht gestellt wurde. Die Universität Bozen wäre als erste dazu berufen, Ladinistik und Ladinisch zu lehren, sie wird auch von ladinischem Steuergeld finanziert, doch für die ladinische Sprache ist (fast) kein Platz.

Verhöhnung der Sprache
An der Universität werden auch ladinische Lehrer ausgebildet (Pädagogische Fakultät, Brixen), die später Ladinisch unterrichten sollen. Das Ausmaß des Ladinisch-Unterrichts an der Universität ist jedoch eine Verhöhnung der Sprache: Vier Stunden pro Monat.
Wie sollen die Absolventen Ladinisch unterrichten, wenn sie selbst nicht Ladinisch gelernt haben?

Würden sich die anderen zwei Sprachgruppen in Südtirol mit einer solch geringen Präsenz der Muttersprache in den Schulen zufrieden geben? Fehlender Unterricht der Muttersprache führt zur Assimilierung.

Dreiteilung: Verschiedene Realitäten
Für die drei Provinzen und zwei Regionen, in denen Ladiner leben, gibt es verschiedene Rechtstandards.

In der Provinz Belluno haben die Ladiner keine Möglichkeit, ihre Sprache in der öffentlichen Verwaltung zu verwenden, es gibt keine nennenswerte Kulturförderung, es gibt keinen Unterricht der Sprache in den Schulen. Es ist eine Politik der Assimilierung. Nur der Idealismus einiger weniger schützt die Ladiner der Provinz Belluno vor ihrer endgültigen Auslöschung.

In der Provinz Trient ist es deutlich besser bestellt. So wird in der Schule Ladinisch unterrichtet, man kann das ladinischen Rundfunk- und Fernsehprogramm der RAI empfangen, es gibt eine Kulturförderung, die bereits zu bemerkenswerten Ergebnissen geführt hat. So wurde in Fascia das erste Ladinische Kulturinstitut gegründet, das wichtige Impulse für die Erforschung, Erhaltung und für den Ausbau der ladinischen Sprache gegeben hat. Die Gemeinden von Fascia haben als einzige ein autonomes Verwaltungsgebiet in einer "Talgemeinschaft" und damit eine Art "territoriale Definition" ihres Siedlungsraumes.

Recht
Situation in Südtirol
Die Ladiner sind gegenüber ihren anderssprachigen Nachbaren in vielem benachteiligt:
- Anwendung der Sprache
- Förderung der Kultur
- Zugang zu höheren Berufgsgruppen (erschwert oder gar verschlossen)
- Unterricht in der Muttersprache
- Medien in der eigenen Sprache
- Teilnahme am politischen Geschehen des Landes
- Selbstverwaltung der Sprachgruppe.

Anwendung der Sprache
Seit 1989 ist Ladinisch in Val Badia und Gherdëina Verwaltungssprache. Seit 1993 ist Ladinisch in Fascia Verwaltungssprache. Nicht Verwaltungssprache ist Ladinisch in Fodom, Col und Anpezo.

In den Ämtern in Bruneck oder Brixen sowie in Bozen wird das Ladinische in der Regel nicht verwendet. Viele Ämter gibt es nicht in den ladinischen Tälern. So müssen die Ladiner sehr oft bei der Ausübung ihrer Rechte und Pflichten als Bürger auf ihre Muttersprache verzichten. Die Landesverwaltung stellt die verschiedenen Formulare, Bestätigungen, Dokumente etc. für die Ladiner meist nur deutsch und italienisch aus.

Es gibt zwar die Bestimmung, dass Ladinisch auch dort Verwendung findet, wo es vor allem oder ausschließlich um ladinische Belange geht; diese Bestimmung wird immer wieder nicht beachtet. Jahre danach wurde vom Amt für Sprachangelegenheiten des Landes eine Adaptierung in die Idiome Gherdëina und Badiot vorgenommen.. In diesen Fassungen des Autonomiestatus wird die erste Übersetzung nicht erwähnt, obwohl sich die neuen "Übersetzungen" deutlich an diese Version anlehnen. Auch in der Pressemeldung des Landes wurde die bereits bestehende Übersetzung ins Ladin standard nicht erwähnt. Die Liste Ladins hat protestiert: Ihre Übersetzung sei nur umgeschrieben worden, und man hätte nicht einmal den Anstand gehabt, die Quelle zu erwähnen. In der Tat ist ein Vergleich der Versionen sehr aufschlussreich.

Auch andere Gesetzestexte werden ins Ladinische übersetzt - nach und nach (langsam) wird die Menge der ladinischen Dokumente also größer. Doch mit einem großen Problem: Es wird alles in zwei Varianten übersetzt, Gherdëina und Badiot. Ein doppelter Aufwand also. Die Schriftsprache, Ladin standard genannt, wurde von der Politik nämlich verboten: In einem eigenen Dekret hat die Landesregierung die Anwendung der Schriftsprache in der Verwaltung untersagt. Alle namhaften Sprachwissenschaftler sind sich einig, dass die Schriftsprache Ladin standard für das Überleben der ladinischen Minderheit unverzichtbar ist. Die Südtiroler Landesregierung aber verbietet diese Sprachform. Vor dieser beschämenden Entscheidung wurden wohlweislich keine Fachleute befragt - diese hätten alle dazu geraten, das Ladin standard endlich einzuführen und nicht zu verbieten.

Noch ein Detail ist aufschlussreich: Kurz vor diesem Verbot waren Wörterbuch und Grammatik der Schriftsprache vorgestellt worden (inzwischen liegt auch ein das automatische Korrekturmodul für das Schreibprogramm Microsoft Word vor): Die Sprachform liegt also fertig ausgearbeitet vor. Dies hat die Landesregierung aber gar nicht zur Kenntnis genommen. Der für die ladinische Kultur zuständige Landesrat war zur Vorstellung gar nicht hingegangen. Die Meinung der Sprachwissenschaftler, welche die Schriftsprache ausgearbeitet haben, wurde nicht eingeholt. Als Feigenblatt für die beschämende Entscheidung, die Schriftsprache zu untersagen, hat sich der zuständige Politiker die negative Meinung des Verwaltungsrates des "Istitut Ladin Micurà de Rü" geholt - in diesem Verwaltungsrat sitzt der Politiker selbst drin, was ein untragbarer Zustand ist. Zudem ist der Verwaltungsrat des Istitut Ladin dazu berufen, das Institut zu verwalten und nicht dazu, sprachpolitischen Entscheidungen zu treffen. Abgesehen davon, dass dieser Verwaltungsrat politisiert ist und keinen Sprachwissenschaftler aufzuweisen hat.

Der ladinischen Sprachgruppe wurde mit dem Dekret der Landesregierung eine unverzichtbare Bedingung für das Überleben willkürlich genommen. Dennoch behaupten diese Politiker, sie würden sich für die ladinische Sprache und Kultur einsetzen. So wird denn noch einmal die faschistische Dreiteilung bestärkt, und es werden sinnlos Geld und Energien verschwendet für doppelte Übersetzungen - und Übersetzungen unterlassen, die ein Grundrecht der ladinischen Minderheit wären.

Die Pflicht für dreisprachige Aufschriften in den ladinischen Tälern wird v.a. von der Landesverwaltung häufig missachtet (so vom Amt für Naturparke, vom Assessorat für öffentliche Bauten, vom Assessorat für Sozialwesen).

Ein Beispiel: aus der Tageszeitung "Dolomiten", Samstag, 21. April 2001

GADERTAL
Wo bleibt die ladinische Bezeichnung?
Balsan/Bozen (eb) - Für eine einheitliche Ortsbeschilderung in den ladinischen Tälern Gadertal und Gröden hat sich Landeshauptmann Luis Durnwalder erst vor einigen Monaten ausgesprochen. "Es wirft kein gutes Licht auf die Gemeinden, wenn die Ortsschilder in Ladinien so unterschiedlich gestaltet sind, wie sie es derzeit sind. Deshalb soll man sich an die von der Landesregierung festgelegte Sprachreihenfolge halten, die da lautet: Ladinisch, Deutsch, Italienisch", schrieb der Landeshauptmann. Vor knapp einer Woche wurde die Gadertaler Straße geschlossen, und der Verkehr wird für die nächsten fünf Jahren auf den so genannten Panoramastraßen umgeleitet. Große Hinweisschilder sind daher auf der Pustertaler Straße und auf der Gadertaler Straße angebracht worden. Diese sind aber wieder einmal nur zweisprachig: Die dritte Landessprache ist mitten in den ladinischen Tälern auf der Strecke geblieben!

Der öffentliche Verkehr verwendet weder die ladinische Sprache noch die ladinische Toponomastik. Kein Fahrplan, keine Mitteilung in ladinischer Sprache, auch nicht auf jenen Bussen, die nach Ladinien bzw. nur in Ladinien verkehren. Die Homepage der SAD führt als dritte Sprache Englisch an - die ladinische Sprache und die ladinischen Ortsnamen werden auch hier nicht verwendet.
Fehlende Anwendung der ladinischen Sprache: Öffentlicher Verkehr in Südtirol
Die von der Landesverwaltung herausgegebenen öffentlichen Fahrpläne führen weder die ladinische Sprache noch die ladinische Ortsnamen an. Die Verkehrsmeldezentrale verwendet ausschließlich die deutschen und italienischen Bezeichnungen für die ladinischen Ortschaften, nicht aber die ladinischen. Mit einem besseren Beispiel geht zum Teil die Privatwirtschaft voraus. So verwenden Banken die ladinische Sprache.

Widerspruch
Die Deutschen fordern von Rom die Erstellung von Dokumenten (Steuerformulare etc.), auch Beipackzetteln zu Medikamenten etc. in deutscher Sprache. Den Ladinern jedoch wird dieses gleiche Recht verweigert - in ihrem eigenen Land.
Die deutsche Mehrheit in Südtirol steht den Rechten der Ladiner oft verständnislos gegenüber. Wer auch nur eine minimale Erhöhung des Muttersprachenunterrichts oder den Respekt der ladinischen Toponomastik fordert, wird als Fundamentalist hingestellt.

Autonomiestatut
Das Autonomiestatut wurde von der Region Trentino-Südtirol bzw. von der autonomen Provinz Bozen in mehrere Sprachen übersetzt. Symptomatisch: Ins Ladinische ließen sie das Statut nicht übersetzen - als wären die Ladiner vom Statut gar nicht betroffen - und als wären sie nicht Bürger dieses Landes.
Für die Übersetzung ins Ladinische musste die politische Bewegung der Ladiner, die "Ladins" sorgen - auf eigene Kosten.

Verwendung des Rätoromanischen in der Schweiz
Schweizer Banknote mit rätoromanischer AufschriftIn der Schweiz wird die rätoromanische Sprache konsequent angewendet. Die Sprache wird nicht marginalisiert. Sie wird auf regionaler Ebene für alle Dokumente für romanische Bürger verwendet, ebenso geschieht dies auf kantonaler Ebene. Außerdem wird die Sprache von den staatlichen Stellen wie Post, Bahn, Militär verwendet - auch auf dem "Schweizer Nationalheiligtum", dem Geld, wird Rätoromanisch verwendet.
Viel mehr verwendet wird die Sprache der Minderheit auch von Privaten.
Anwendung der Sprache in der Schweiz
Kulturförderung
Ladinisch ist - im Gegensatz zum Deutschen - eine Sprache ohne Hinterland: Es muß alles vor Ort produziert werden, es kann nichts importiert werden. Zudem ist es eine kleine Sprachgemeinschaft, die Abnehmerzahl zu gering, um Kultur durch den Markt zu finanzieren. Dennoch gibt es nicht eigene Richtlinien, Bestimmungen und Gesetze für eine Förderung der ladinischen Kultur. Die ladinische Kultur wird nach den gleichen Kriterien gefördert wie die deutsche Kultur. Eine Ausnahme bildet nur das ladinische Kulturinstitut.
Eine sehr geringe Kulturförderung gibt es in der Provinz Belluno.

Proporz
In Südtirol werden die öffentlichen Stellen nach der Sprachgruppenstärke vergeben. Dies bringt einerseits eine Sicherheit, dass die Ladiner in den öffentlichen Stellen auf ihren Anteil kommen. Da aber die Ladiner nur ca. 4% der Südtiroler Bevölkerung ausmachen, werden sie in jenen Bereichen, wo es wenige Stellen gibt, ausgeschlossen. Es gibt damit Berufsgruppen/öffentliche Stellen, aus denen die Ladiner prinzipiell ausgeschlossen sind!
Es werden also Menschen aufgrund ihrer Sprache diskriminiert - ein Prinzip, das dem ersten Prinzip der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie der italienischen Verfassung (Artikel 3) widerspricht: Kein Mensch darf aufgrund seiner Sprache, sozialen Herkunft etc. benachteiligt werden.
Südtirol - ein Vorbild?

Kein Platz für Ladiner
Die Ladiner sind aus vielen Kommissionen etc. ausgeschlossen, obwohl dort auch ladinische Angelegenheiten behandelt werden.

Verwaltungsgericht: Kein Ladiner vertreten (obwohl das Verwaltungsgericht auch über die gerechte Behandlung der Ladiner zu urteilen hat!).

Landesregierung: Bisher ausgeschlossen (bzw. in nur einem Sonderfall vertreten), weil durch die Regelung verhindert. Durch eine Änderung des Autonomiestatuts ist die Berufung eines Ladiners in die Landesregierung möglich - doch nur, wenn die Mehrheit (also Deutsche und Italiener) einverstanden ist. Die anderen Sprachgruppen jedoch haben das Recht, in der Landesregierung vertreten zu sein.
Die neue Regelung die Berufung von außen vor, d.h. es ist eine Übergehung der demokratischen Wahlen.
Alexander Langer hatte sich bei der Volkszählung zum Ladiner erklärt. Dadurch saßen nun zwei Ladiner im Landtag: Wenn zwei Ladiner im Landtag sitzen, kommt einer in die Landesregierung.

Keine Selbstverwaltung
Die zwei ladinischen Täler der Provinz Bozen gehören zwei verschiedenen Talgemeinschaften an. Eine ladinische Talgemeinschaft, die auch nur einen geringen Anteil an Selbstverwaltung gewähren würde, wurde nicht gewährt.

Politische Dreiteilung
Die Dreiteilung verstärkt die Diskriminierungen. Die Ladiner können politisch nicht geschlossen auftreten, es werden keine Rechte für alle erlassen.
Die Dolomitenladiner sind jeweils verschiedenen Wahlkreisen (in verschiedenen Provinzen) zugeordnet und können bei Parlamentswahlen nicht einen gemeinsamen Vertreter nach Rom schicken. Abhilfe schaffen könnte ein gemeinsamer, provinzübergreifender Wahlkreis.

Impressum: [ oben ]
Texte (mit Ausnahme der Sprachtabellen): Mateo Taibon. Alle Rechte vorbehalten. Jede öffentliche Verwendung der Texte sowie der Bilder und jede Bearbeitung in Ton und Schrift nur nach vorheriger schriftlicher Vereinbarung mit dem Autor gestattet. Zuwiderhandelnde werden gerichtlich belangt. Contact: mateot@dnet.it.


No Eles: www.noeles.net | La Patrie dal Friûl: www.friul.net | Radio onde furlane: www.rof.it | Radio e televisiun Rumantscha: www.rtr.ch | Lia Rumantscha: www.liarumantscha.ch | La Usc di Ladins: www.lauscdiladins.com | Kunst: www.ladinart.org

Letzte aktual.: 21.5.2008 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/ladin/ladinien-de.html | XHTML 1.0 / CSS / WAI AAA | WEBdesign, Info: M. di Vieste

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