Bozen, 6 Februar 2007
Gesellschaft für bedrohte Völker - Südtirol / Klimabündnis Südtirol
Seit über 30 Jahren dokumentiert das britische Ehepaar
Bryan und Cherry Alexander das Leben indigener Völker der
Arktis. Im internationalen Polarjahr bringen sie uns mit der
Ausstellung Kulturen und Menschen rund um den Nordpol näher
und machen auf zunehmende Gefahren aufmerksam. Stärker als
je zuvor sind diese Ethnien durch den Abbau von
Bodenschätzen, den Klimawandel und die Einflüsse der
modernen Welt bedroht. Bryan und Cherry Alexander zeigen den oft
harten Alltag der Völker im Norden und ein Leben zwischen
Traditionen und Modernität, Veränderung und
Fortschritt.
Die Ausstellung umfasst 44 hochqualitative A2 Fotos von Inuit,
Sami, Nenzen, Khanty, Dolgan, Nganasan, Ewenken, Ewenen und
Tschuktschen. Die Fotos werden ergänzt mit
Textbeiträgen über die aktuelle Lage der indigenen
Völker bzw. die Ressourcen- und Ökologieproblematik in
den arktischen Gebieten.
"Was wir heute erleben, werdet ihr morgen
erleben. Die Arktis ist das Barometer des Klimawandels, und die
Inuit sind das Quecksilber in diesem Barometer."
Sheila Watt-Cloutier, Vorsitzende des Dachverbandes der Inuit aus
Grönland, Kanada, Alaska und Russland "Inuit Circumpolar
Conference".
Nördlich des Polarkreises leben mehr als 30 indigene
Völker von der Jagd auf Eisbären, Walrosse und Robben,
von der Rentierhaltung, vom Fischfang und Sammeln. Seit
Jahrhunderten konnten sie ihre Lebensweise den sich wandelnden
Umweltbedingungen anpassen. Doch seitdem auf ihrem Gebiet Öl
und Gas gefördert werden, ist alles anders geworden. Ihre
Umwelt wurde zerstört und ihre Gesundheit
beeinträchtigt.
Jetzt droht den 400.000 Angehörigen von indigenen
Völkern der Arktis die Vernichtung ihrer letzten
Lebensgrundlagen. Denn hier vollzieht sich der Klimawandel, der
durch das Verbrennen fossiler Energieträger wie Öl und
Kohle in den Industriestaaten verursacht wird, zwei- bis dreimal
schneller als im globalen Durchschnitt. Er lässt das ewige
Eis schmelzen und verändert die Lebensbedingungen für
Menschen, Flora und Fauna für immer: Die indigenen
Gemeinschaften der Arktis sind von den unmittelbaren und den
indirekten Folgen der Ölpolitik als erste und am
stärksten betroffen.
Was hat das mit uns zu tun?
Deutschland bezieht mit 35 Millionen Tonnen rund 30% seines
importierten Erdöls sowie mit 35 Mrd. Kubikmetern 40% seines
Erdgases aus Russland. Auch Österreich bezieht den
Großteil des Erdgases aus Russland, wie auch Italien
profitiert von diesem Import. Es kommt meist genau aus den
Regionen, in denen die Indigenen leben. Durch unsere Lebensweise,
d.h. durch die Verbrennung von Öl und Gas tragen wir zudem
unmittelbar zur Erwärmung der Atmosphäre bei.
Rücksichtlose Öl- und Gasförderung in
Sibirien
Verseuchte Landstriche, vergiftete Flüsse und Seen und hohe
Luftverschmutzung - das sind direkte Folgen der
rücksichtslosen Öl- und Gasförderung seit den 60er
Jahren auf dem Gebiet indigener Gruppen in Sibirien. Viele
mussten aufgrund der Umweltzerstörung ihre traditionelle
Lebensweise aufgeben und leiden unter Alkoholismus und
Arbeitslosigkeit. Krankheiten wie Tuberkulose und Krebs greifen
um sich, die Lebenserwartung liegt bis zu 20 Jahren unter dem
russischen Durchschnitt.
Noch immer werden neue Gebiete für die Öl- und
Gasförderung erschlossen. So sind die 3500 Nivchen, Nanai,
Oroken und Ewenken auf der Insel Sachalin zurzeit akut bedroht:
Eine Pipeline vom Süden in den Norden Sachalins soll 1.103
Flüsse und Bäche sowie die Weidegründe von
Rentieren durchschneiden. Das Gebiet ist erdbebengefährdet
und Lecks an der Pipeline oder Ölunfälle hätten
für das empfindliche Ökosystem katastrophale
Folgen.
Klimawandel zerstört Lebensgrundlagen
Indigene Völker auf drei Kontinenten - von den Saami in
Lappland über die Ewenken in Sibirien, die Yup´ik und
Gwich´in in Alaska bis zu den Inuit in Grönland -
spüren täglich die Folgen des Klimawandels in der
Arktis. Was für Umweltschützer zum Weltnaturerbe
zählt, ist für sie das Land ihrer Vorfahren und ihre
Existenzgrundlage. Sie sehen ihr Recht auf Gesundheit, auf
Nahrung, ihre Kultur, die Sicherheit ihrer Wohnorte und andere
Menschenrechte verletzt. Sie müssen beobachten, wie
Eisbären verhungern und bestimmte Pflanzen nicht mehr
wachsen. Die Winter sind kürzer und wärmer geworden,
Gletscher tauen und Menschen sterben, weil vertraute Wege auf
dünnerer Eisdecke nicht mehr sicher sind. Ganze Dörfer
mussten aufgrund von Küstenerosion und Stürmen
umgesiedelt werden.
Wenn die Industrieländer nicht endlich verantwortungsvoll
konsequent ihre Energiepolitik ändern und den
Kohlendioxidausstoß reduzieren, schmilzt den Menschen in
der Arktis der Boden immer weiter unter den Füßen weg.
Doch die Reaktionen der Verantwortlichen sind erschütternd.
Viele Unternehmen und Regierungen schauen nur auf die
wirtschaftlichen Perspektiven, die eine eisfreie Arktis bietet.
Für sie öffnen sich Seewege für preiswertere
Rohstofftransporte, oder es tun sich neue Fischgründe auf.
Der Wettlauf um die Ausbeutung weiterer Ressourcen hat bereits
begonnen.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker setzt sich
dafür ein, dass die indigenen Völker der Arktis
stärker in die internationale Klimapolitik eingebunden
werden. Als Betroffene und lokale Experten müssen sie nicht
nur bei klimarelevanten Entscheidungsprozessen eine Stimme
bekommen. Als erste Opfer des Klimawandels brauchen sie auch
Unterstützung bei der Bewältigung der aktuellen
Zerstörung.
Information zur Ausstellung: Mauro di Vieste, Tel. 0471.972240, e-mail: info@gfbv.it, Gesellschaft für bedrohte Völker-Südtirol, www.gfbv.it.