Als "vollkommen unglaubwürdig und absurd" hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) das offizielle Ergebnis der Volkszählung in Tschetschenien am 11. und 12. Oktober 2002 bezeichnet. Demnach gibt es mit insgesamt 1.088.816 Tschetschenen fast 300.000 mehr als noch 1998. Damals hatten die Behörden rund 800.000 Tschetschenen gezählt. "Offensichtlich will Moskau der Weltöffentlichkeit auf diese plumpe Art und Weise signalisieren, dass in Tschetschenien Normalität eingekehrt ist", kritisierte die GfbV-Osteuropareferentin Sarah Reinke am Dienstag in Göttingen. "Wenn die tatsächliche Anzahl der Tschetschenen publiziert worden wäre, hätte es Klarheit über die Zahl der zivilen Opfer des russischen Völkermordes in Tschetschenien gegeben. Die sollte jedoch offensichtlich verschleiert werden." Nach Schätzungen der GfbV sind in den Kriegen gegen Tschetschenien unter Boris Jelzin 1994-96 rund 80.000 und 1999-2002 unter Wladimir Putin noch einmal mindestens 80.000 Tschetschenen ums Leben gekommen. Anderen Schätzungen zufolge sind es sogar bis zu 200.000 Tote.
Nach Auffassung der Menschenrechtlerin und Mitarbeiterin der russischen Organisation Memorial, Lipkan Basajewa, ist das Ergebnis der Volkszählung in Tschetschenien frei erfunden. "Die Dörfer und Städte in Tschetschenien sind halb leer", berichtete sie der GfbV am Telefon. Außerdem hätten sich viele Tschetschenen aus Furcht vor späteren Repressalien geweigert, an der Zählung teilzunehmen. Dabei sei der Behördenmitarbeiter, der die statistische Angaben erfasst habe, jeweils von zwei Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes und einem Angehörigen des Innenministeriums begleitet worden. Die Behörden hätten sich nicht einmal bemüht, die Zahl der tschetschenischen Flüchtlinge in Georgien, Russland, Kasachstan und Westeuropa zu ermitteln, kritisierte Basajewa.