Kurz vor Beginn des USA-Besuches des chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin ist die seit zehn Jahren inhaftierte tibetische Nonne Ngawang Sangdrol am Donnerstag freigelassen worden. "Fast die Hälfte ihres Lebens musste die heute 25-Jährige in chinesischer Haft verbringen, weil sie mehrmals für nur wenige Minuten friedlich gegen Chinas Menschenrechtsverletzungen in Tibet protestiert hatte," erklärte der Asienreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Ulrich Delius, in Göttingen. "Der Zeitpunkt ihrer Freilassung ist mit Bedacht gewählt, da China am Aufbau einer strategischen Partnerschaft mit den USA interessiert ist." Die GfbV begrüßte die Entscheidung Pekings. Seit acht Jahren hatte sich die Menschenrechtsorganisation mit zahllosen Postkarten-, Fax- und Briefaktionen für die Freilassung der Tibeterin eingesetzt.
Hätte die buddhistische Nonne ihre gesamte Strafe verbüßen müssen, wäre sie erst am 3. November 2011 freigelassen worden, berichtete Delius. Ngawang Sangdrol war noch ein Kind, als sie das erste Mal wegen der Teilnahme an einer Demonstration verhaftet wurde. Damals wurde die Zehnjährige 15 Tage lang in Gewahrsam genommen. Mit 13 wurde sie erneut von Polizisten abgeführt, denn sie hatte wieder bei Protesten gegen die chinesischen Machthaber mitgemacht. Obwohl sie noch nicht strafmündig war, wurde sie eingesperrt und erst neun Monate später auf freien Fuß gesetzt.
Am 17. Juni 1992 wurde sie erneut bei einer friedlichen Demonstration in Tibets Hauptstadt Lhasa verhaftet. Ihr Protest hatte nur wenige Minuten gedauert. Drei Mal wurde ihre Haftstrafe noch verlängert, weil sie auch im Gefängnis gegen Chinas Unrechtsregime aufbegehrte. Zuletzt hatten Mitgefangene berichtet, ihr Gesundheitszustand sei besorgniserregend. Sangdrol wurde in dem berüchtigten Drapchi- Gefängnis festgehalten, dass viele Häftlinge nur im Sarg oder kurz vor ihrem Tod verlassen. Zuletzt starb im Februar 2001 eine inhaftierte buddhistische Nonne an den Folgen der in der Haft erlittenen Folter. Mehr als 70 Tibeter kamen so zu Tode, seit China 1986 die Anti- Folter-Konvention unterzeichnet hat.