Abdulmelik Firat, Vorsitzender der prokurdischen Partei für Grundrechte und Freiheiten (HAK-PAR) wurde am 21. Oktober 2002 nach einer Wahlveranstaltung in der Kreisstadt Lice - Provinz Diyarbakir - 5 Stunden lang in Gewahrsam genommen. Die Festnahme wurde von der Staatsanwaltschaft zuerst damit begründet, dass Abdulmelik Firat während der Wahlveranstaltung Kurdisch gesprochen und damit gegen die Wahlbestimmungen verstoßen habe. Noch am Tag der Freilassung erhob der Staatsanwalt in Lice Klage gegen den Parteivorsitzenden wegen des Verstoßes gegen die Wahlbestimmungen und Wahlordnung.
Nach Meinung der Parteiführung und seines Rechtsanwaltes ist die Klage gegen Herrn Firat unbegründet. Diese Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft sei reine Schikane, weil HAK-PAR Vorsitzender Abdulmelik Firat in der Provinz Diyarbakir als unabhängiger Kandidat für das türkische Parlament kandidiert.
Am 23. Oktober holte die Polizei Herrn Abdulmelik Firat im Hotel Prestij in Diyarbakir wieder ab. Diesmal schaltete sich das Staatsicherheitsgericht in Diyarbakir ein und vernahm ihn stundenlang, weil er während des Wahlkampfes angeblich Separatismus betrieben hätte.
Die staatliche Schikane gegen Abdulmelik Firat hat eine lange Vorgeschichte. Mehrere Jahre verweigerte das Innenministerium in Ankara Herrn Firat die Ausstellung eines Passes, den er wegen der Behandlung seiner Krankheit im Ausland dringend brauchte. Erst nach internationalen Protesten wurde ihm Anfang Oktober 2002 sein Pass ausgehändigt.
Auch gegen den Kandidaten der CHP (Republikanische Volkspartei), Orhan Ekmen, wurde wegen des Zitierens eines kurdischen Sprichwortes bei der Wahlveranstaltung am 08. Oktober 2002 in Kozluk - Provinz Batman - eine Untersuchung wegen "Separatismus" und des "Verstoßes gegen Wahlbestimmungen" eingeleitet. Diese Praktiken in der Türkei machen deutlich, dass sowohl die Verfassungsänderung, als auch die am 03. August 2002 verabschiedeten "EU-Anpassungsgesetze" eine Farce sind. Während die türkische Seite vehement behauptet, dass mit diesen Gesetzen Kurdisch nicht mehr verboten wäre, verabschiedet die zentrale Wahlkommission in Ankara am 08. August Richtlinien, in denen - ohne es beim Namen zu nennen - Wahlpropaganda in kurdischer Sprache verboten wird.
Wir protestieren gegen diese Praktiken der türkischen Justiz und Behörden und appellieren an die Europäische Kommission, das Europa Parlament und den Europarat sowie insbesondere an die Deutsche Bundesregierung, auf die türkische Regierung einzuwirken, damit die Türkei als EU-Kandidat die Kopenhagener Kriterien erfüllt und die Diskriminierungen und Schikanen gegen die kurdische Bevölkerung und die friedlich agierenden kurdischen Politikerinnen und Politiker beendet.