Bozen, 3. Januar 2003
Daß immer noch grobe Verbrechen gegen die Menschenrechte
in vielen Ländern zur Tagesordnung gehören, ist eine
tragische Realität, die wir nicht hinnehmen können und
wollen. Wir werden weiterhin unsere Stimme erheben, wir werden
weiterhin die Öffentlichkeit aufzurütteln versuchen,
wir werden weiterhin die Mitverantwortung der westlichen Politik
und Wirtschaft an zahlreichen Menschenrechtsverletzungen zur
Sprache bringen.
Selbstverständlich ist der Einsatz für die
Menschenrechte leider nicht. Der Grundsatz, daß alle
Menschenrechte für alle gelten, hat sich im allgemeinen
Bewußtsein noch nicht festgesetzt. Viele neigen dazu, die
Menschenrechte der Ideologie unterzuordnen, oder aber
wirtschaftlichen oder militärischen Interessen. Man sieht
gern großzügig hinweg oder verharmlost, wenn die
Täter der eigenen "ideologischen Couleur" zugehören,
oder man schweigt zu Massaker und Völkermord, wenn
wirtschaftliche Interessen im Weg stehen.
Alle Menschenrechte für alle, weltweit - die
Gesellschaft für bedrohte Völker engagiert sich seit
ihrem Bestehen für dieses einfache, einleuchtende Prinzip:
Menschenrechte sind nicht teil-bar, Menschenrechte sind nicht
interpretierbar. Man kann nicht zu Men-schenrechtsver-letzungen
das eine Mal protestieren und das ande-re Mal schweigen. Man kann
Menschen-rechtsverlet-zungen nicht da-nach beurteilen, ob sie von
rechts oder von links kommen, ob die Opfer Indios, Kosovaris,
Kroaten, Bosnier, Serben oder Tschetschenen, ob sie Christen,
Moslems, Hinduisten oder Buddhisten sind.
Der Beginn des neuen Jahrtausends ist von einem brutalen
Völkermord überschattet. Rußland führt mit
der Zerbombung von ganzen Städten angeblich einen Krieg
gegen "Terroristen" in Tschetschenien: Ein ganzes Volk wird als
kriminell hingestellt und in der Folge massakriert. Zu diesem
gewalttätigen Rassismus haben die westlichen Regierungen nur
vorsichtig Protest eingelegt, und jene Pazifisten und politischen
Kreise, die in der Zeit des Kosovo-Krieges vehement gegen die
Nato protestierten, finden zu diesen Verbrechen kaum ein Wort des
Bedauerns oder der Verurteilung. Leider zeigen sich die
westlichen Medien ihrer Aufgabe nicht gewachsen. Es werden in der
Berichterstattung zumeist die Begriffe der russischen Propaganda
verwendet; die Tschetschenen werden pauschal als "Rebellen"
bezeichnet, kaum eine Nachrichtensendung kommt ohne den Begriff
"abtrünnige Republik" aus. Der Umgang des Westens mit dem
Tschetschenien-Krieg ist ein Zeichen, daß er für ein
Zeitalter der Menschenrechte nicht reif ist.
Doch nicht nur Vertreibung und Völkermord müssen
bekämpft werden, sondern alle Formen der
Menschenrechtsverletzung. Die Tatsache, daß in der EU keine
Massaker stattfinden, verleitet immer wieder zur Annahme, die EU
könne ein Vorbild sein in der Welt. Zu den Menschenrechten
gehören jedoch auch die Minderheitenrechte, wie dies in
zahlreichen internationalen Dokumenten festgehalten wird.
Die meisten europäischen Staaten und Regionen enthalten
ihren Minderheiten ihre grundlegenden Rechte vor. Rechte, die
für die Mehrheiten eine Selbstverständlichkeit sind,
werden den Minderheiten verweigert, und wer sich für die
Rechte seiner Minderheit einsetzt, wird regelmäßig von
Medien und Politikern der Mehrheit als Nationalist, Extremist und
Fanatiker verleumdet. Muttersprachenunterricht, autonome
Verwaltung der Gebiete, Verwendung der Sprache bei den
Behörden, politisches Selbstvertretungsrecht, Präsenz
der Sprache in den Medien - alles Rechte, auf die die meisten
Minderheiten verzichten müssen.
Dabei ist vor allem die Widersprüchlichkeit auffallend. So
hat Österreich als Schutzmacht für die deutschen
Südtiroler wesentlich zum Aufbau der Autonomie beigetragen,
im eigenen Land jedoch werden die Rechte der Minderheiten mit
Füßen getreten. Frankreich hat sich für die
Autonomie in Aosta stark gemacht, doch den Minderheiten im
eigenen Land wird das Existenzrecht aberkannt. Die deutsche
Mehrheit in Südtirol hat Jahrzehnte um ihre Rechte
gekämpft, jetzt verhält sie sich zur ladinischen
Minderheit oft unnachgiebiger als ehemals der zentralistische
italienische Staat gegenüber der deutschen Minderheit.
Immer wieder werden wir gefragt, wozu wir uns für die
europäischen Minderheiten einsetzen, dies seien gar nicht
bedrohte Völker. Minderheitenrechte sind zunächst
Menschenrechte. Völker sind außerdem nicht nur dann
bedroht, wenn sie bombardiert werden, sondern auch dann, wenn sie
assimiliert werden. Die meisten Minderheiten Europas sind
aufgrund der fehlenden rechtlichen Absicherung akut vom
Aussterben bedroht. Europa ist dabei, eine stille sprachliche
Säuberung durchzuführen. Aus diesem Grund ist unser
Einsatz gefordert.
Leicht ist der Einsatz für die Minderheiten nicht. Solange
man sich für die Indigenen einsetzt, für die Indianer
Nordamerikas, um ein klassisches Beispiel zu nennen, fällt
man nicht weiter unangenehm auf, denn es sind "ferne" Probleme,
die Verantwortung dafür kann man auf andere ab-wäl-zen.
Wenn man jedoch in Fragen der Minderheitenrechte Stellung
bezieht, wird unser Einsatz vielen leicht lästig. Wiederholt
hat man uns ungebührliche Einmischung in Angelegenheiten,
die uns nichts angingen, vorgeworfen. Die Mehrheiten behaupten
immer, im Minderheitenschutz vorbildlich zu sein - die
Minderheiten selbst lassen sie meistens gar nicht zu Wort kommen.
Daß jemand auf die Mängel hinweist, wird nicht gern
gesehen. Nervös und aggressiv reagieren europäische
Demokraten, wenn man auf ihre Menschenrechtsverletzungen d.h.
Verletzungen der Minderheitenrechte hinweist.
Die Aufgabe der GfbV ist es nicht, den einen oder den anderen zu
gefallen oder zu mißfallen. Unsere Aufgabe ist es,
Menschenrechte und Minderheitenrechte zu verteidigen, wo auch
immer und durch wen auch immer sie verletzt werden. Das haben wir
bisher getan, und das werden wir auch Zukunft unbeirrt tun.
Dafür erhoffen wir uns Ihre Unterstützung.