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Von Sarah Reinke
Bozen, Göttingen, November 2009
Tuwa-Frau in grünem Deel in der Steppe. Foto: Blümel/GfbV.
Eigentlich müsste man über Tuwa gleich mehrere Artikel schreiben. Es gibt so viel zu sagen, zur Geschichte etwa, die bis in die Steinzeit zurückreicht: Im Neolithikum (5.000 v. Chr.) gab es hier Menschen, die ausdrucksstarke Felszeichnungen hinterließen. Dann kamen die sagenumwobenen Skythen, deren Reich vor 2.500 Jahren von der Mongolei bis an die Schwarzmeerküste reichte. Tuwa wurde 1207 von Dschingis Khan erobert, hier herrschten Uiguren, Kirgisen, Mongolen. Im 18. Jahrhundert war das Gebiet Teil des chinesischen Kaiserreichs. Die Hamburger Ausstellung über die Skythen (2008 im Museum für Kunst und Gewerbe), den Kehlkopfgesang und die Literatur von Galsan Tschinag verbinden vielleicht einige Leserinnen und Leser mit der Republik Tuwa - und natürlich den Schamanismus, der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder aufgelebt ist.
Schon der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtete
über das Land im Süden Sibiriens. In den Jahren 2000
bis 2003 führten hier Wissenschaftler des Deutschen
Archäologischen Instituts Berlin und der staatlichen
Eremitage St. Petersburg gemeinsame Ausgrabungen durch. Sie
legten einen gewaltigen Grabhügel, das "Tal der
Könige", frei. Dort fanden sich tausende Goldreliquien und
andere Grabbeigaben, die die Skythen ihren Königen vor
über 2.000 Jahren in die Gräber gaben. Das heutige Tuwa
war einst Schnittpunkt der Kulturen, wo Hunnen, Mongolen,
Chinesen und Russen und natürlich die Tuwiner Kunst,
Landschaf, Kultur und Religion geprägt haben und bis heute
prägen. Tuwa liegt jenseits des Altai, am südlichsten
Zipfel Sibiriens, wo die Eislandschafen langsam in die
mongolische Wüste übergehen.
Tuwa ist eine autonome Republik der Russischen Föderation.
Sie hat rund 300.000 Einwohner, 77 Prozent von ihnen sind
Tuwiner. Die 90.000 Einwohner zählende Hauptstadt Kyzyl ist
der geographische Mittelpunkt Asiens. Hier fließen die
beiden Flüsse KhaKem und Bi-Khem zum Jenissei zusammen.
Dieser "Vater aller Ströme", wie die Russen sagen, ist nicht
nur größer als der Ganges und der Kongo, sondern auch
fester Bestandteil der russischen Literatur. Die Tuwiner sind
eine der größten ethnischen Minderheiten Sibiriens.
Neben ihnen sind in Tuwa Russen, Komi und Chakassen
(südsibirisches Turkvolk) heimisch.
Traditionell leben die Tuwiner von der Rentierzucht, der Jagd, dem Fischfang und dem Sammeln von Wildfrüchten. Foto: Blümel/GfbV.
Verlierer der Modernisierung
Die Tuwiner sind Buddhisten, genauer, Anhänger des
tibetischen Buddhismus. Sie sprechen eine eigene, zur Familie der
Turksprachen gehörige Sprache, von der es mehrere Dialekte
gibt und die sich der kyrillischen Schrift bedient. Traditionell
leben die Tuwiner von der Rentierzucht, der Jagd, dem Fischfang
und dem Sammeln von Wildfrüchten. Ein Teil von ihnen pflegt
bis heute eine nomadische beziehungsweise halbnomadische
Lebensweise.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Einführung
der Marktwirtschaft hat sich die wirtschaftliche und soziale
Situation der Tuwiner massiv verschlechtert. Sie versuchen heute
durch genossenschaftliches Wirtschaften die Anzahl ihrer Rentiere
zu halten und den Verkauf von Rentierprodukten anzukurbeln.
Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit mit einer Quote von zwischen 43
bis 65 Prozent der unter 30-Jährigen sehr hoch. Viele
qualifizierte junge Tuwiner wandern in die Städte ab und
geben ihre traditionelle Lebensweise auf. In den Dörfern
mangelt es zudem an Schulen. Die Gesundheitsversorgung ist
schlecht. Die Lebenserwartung liegt mit unter 50 Jahren bei den
Männern weit unter dem russischen Durchschnitt. Auch hat das
russische Gesundheitsministerium die Zunahme von Erkrankungen
beziehungsweise eine starke Verschlechterung des
Gesundheitszustands der indigenen Bevölkerung
beobachtet.
Die Tuwiner sind eine der größten ethnischen Minderheiten Sibiriens. Foto: Blümel/GfbV.
Einsame Verfechter ihrer Kultur
Als besonders erfolgreich bewährten sich die Tuwiner jedoch
bei der Bewahrung ihrer Kultur. Insbesondere im Bereich der
Literatur entstand in den letzten Jahren viel Neues. Dessen
ungeachtet ist es beeindruckend, wie es den Tuwinern gelungen
ist, ihre schamanistische und buddhistische Tradition nach den
Ausrottungskampagnen unter Stalin und den Sowjets
wiederzubeleben. Die Suchmaschine "Google" listet für die
Stichworte "Tuwa Schamanismus" alleine 3.370 Eintragungen auf.
Hier kann man von seriösen wissenschaftlichen Abhandlungen
über Reisetagebücher bis hin zu esoterisch angehauchten
Erfahrungsberichten alles finden. Schamanismus und
Kehlkopfgesang, der für die Tuwiner eine Verbindung zwischen
Mensch und Kosmos herstellt, sind die "Exportschlager" der
Republik, die ihre Bodenschätze wie Kohle, Eisen, Asbest und
Gold verkauf. Trotzdem hängen rund 90 Prozent des Haushalts
von Tuwa am "Tropf " Moskaus.
Mehr als 1.100 Einzelpersonen sowie fünf Gemeinden Tuwas
haben sich inzwischen zusammengeschlossen, um sich den besonderen
Problemen der Tuwiner zu widmen. So fehlen Schlitten, Material
für Jurten (traditionelle Nomadenzelte, d. Red.), zum Schutz
der Rentierherden bräuchten sie mehr Waffen, es fehlen Orte,
an denen sie ihre Produkte verkaufen könnten. Es gibt kein
funktionierendes Vertriebssystem. Schulen sowie eine verbesserte
Gesundheitsversorgung sind unabdingbar.
[Zum Weiterlesen]
- Für die Tuwa auf der mongolischen Seite der Grenze
führte die Schweizer Ethnologin Amelie Schenk gemeinsam mit
der GfbV Bozen/Südtirol (Italien) mehrere erfolgreiche
humanitäre Projekte durch. Sie betreibt mit Galsan Tschinag
die Internetseite: www.freunde-des-altai.org/.
- Sew'jan Weinshtein: Geheimnisvolles Tuwa. Expeditionen in das
Herz Asiens, Alouette Verlag, 39,90€ mit DVD.
- Amelie Schenk/Galsan Tschinag: Im Land der zornigen Winde.
Geschichte und Geschichten der Tuwa-Nomaden in der Mongolei,
Zürich, 1999.
- Yat-Kha: Yenisei-Punk, Tuva.Rock (www.yat-kha.com).
Aus pogrom-bedrohte Völker 255 (4/2009).
Vedi anche in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/asia/tuwa.html |
www.gfbv.it/3dossier/siberia/artic2006-de.html
www: http://de.wikipedia.org/wiki/Tuwa
| www.mongolei.org/b_kultur.htm