Bozen, Göttingen, 27. Dezember 2006
INHALT
Die
indigenen Bewohner der Arktis leiden unter den direkten Folgen
der Ressourcenausbeutung auf ihrem Gebiet und unter den sie
indirekt betreffenden Auswirkungen der CO2 Verbrennungen,
namentlich dem Klimawandel. Als erstes wird ihnen ihr Land
genommen, so dass sie gar nicht mehr oder nur noch
eingeschränkt ihrer traditionellen Lebensweise nachgehen
können. Das wiederum führt häufig zu Entwurzelung
und Verlust der kulturellen Identität. Gesundheitliche
Folgen sind Alkoholmissbrauch sowie eine hohe Suizid- und
Kriminalitätsrate. Zweitens geht die
Ressourcenförderung mit Umweltverschmutzung einher. Die
Giftstoffe werden über die Nahrungskette an den Menschen
weitergegeben. Die in unmittelbarer Umgebung von
Förderstätten lebenden Menschen trinken verseuchtes
Wasser, essen verseuchten Fisch und atmen vergiftete Luft ein.
Dies führt zu Atemwegs- und Krebserkrankungen. Mittlerweile
ist der Arktische Ozean soweit verschmutzt, dass es für die
indigenen Völker gefährlich geworden ist, zum Beispiel
rohes Fleisch zu essen, was sie früher ohne Bedenken tun
konnten. Über die Muttermilch werden die Giftstoffe an die
nächste Generation weitergegeben und von Generation zu
Generation angereichert. Folge sind die sinkende Lebenserwartung
und der insgesamt katastrophale Gesundheitszustand der indigenen
Bevölkerung.
In der russischen Arktis, besonders im Gebiet der Kolasee,
Barentssee und Karasee, leiden die indigenen Bewohner zudem unter
hohen Strahlenwerten durch verantwortungslos gelagerten
Atommüll aus den Zeiten der Sowjetunion. Der Klimawandel
zeigt auch Auswirkungen auf den Gesundheitszustand von Mensch und
Tier. Menschen sind von Allergien auf bislang unbekannte
Pflanzenpollen betroffen. Sie kommen mit der ungewohnten
Wärme nicht zurecht. Es gab Todesfälle, weil Menschen
an zuvor sicheren Stellen plötzlich ins dünner
gewordene Eis einbrachen. Das Recht auf Zugang zu Nahrung und
Wasser wird verletzt. Häuser und Wohnungen sind durch
Erosion der Küsten gefährdet. Das Recht auf Entwicklung
kann nicht gelebt werden, weil der Klimawandel sich so schnell
vollzieht, dass die Menschen sich nicht mehr anpassen
können. Dabei waren sie Jahrhunderte lang wahre
Anpassungskünstler. Die indigenen Völker werden
förmlich von einer Entwicklung überrollt, die ihre
gesamte Kultur und Identität mit dem Untergang bedroht.
Erdöl
ist der wichtigste Rohstoff für das Weiterbestehen unserer
Volkswirtschaften. Doch die endliche Ressource wird
allmählich knapp, was dazu führt, dass die großen
Ölkonzerne auf der Suche nach dem „schwarzen
Gold“ in immer entlegenere Ecken der Welt vordringen. Unter
Eis und Schnee, unter borealen Wäldern, Tundra und Taiga
lagern große Ölvorräte. In vielen Gebieten wird
schon seit Jahrzehnten gefördert. In anderen wird die dazu
notwendige, aufwändige Infrastruktur erst errichtet. Sollte
das Klima sich weiter erwärmen und sollten immer
größere Gebiete der Arktis immer länger eisfrei
bleiben, hätte das für die Ölindustrie positive
Auswirkungen. In der Barents- und Karasee, im Ochotskischen Meer
und am arktischen Ozean im Norden Alaskas streiten die
Ölgiganten um Lizenzen. Ölprojekte auf den Inseln
Sachalin und Kamtschatka sollen besonders die asiatischen
Märkte beliefern. Sie bedrohen das einzigartige
Ökosystem und damit auch die Bewohner, unter ihnen vor allem
die indigenen Völker. Die Menschen in der Arktis sind von
den direkten zerstörerischen Folgen der
Ölförderung, gerade auch durch den Bau von Pipelines,
ganz unmittelbar betroffen und erleben einen rapiden Wandel des
Klimas, der sich in der Arktis zweimal schneller vollzieht als im
globalen Durchschnitt.
Doch sie schauen nicht einfach zu, wie ihnen der Boden unter den
Füßen fortgezogen wird. Dass sich lautstarker Protest
lohnen kann, erleben zum Beispiel derzeit die indigenen Niwchen,
Nanai, Oroken und Ewenken auf Sachalin. Ihnen ist es gelungen,
ihre Forderungen nach Beteiligung an sie betreffenden
Entscheidungen und nach Kompensation durchzusetzen. Auf
Kamtschatka, wo die Ölförderung gerade beginnt, sind
die indigenen Itelmenen mit den Betreiberfirmen in
Verhandlungen.
Alaska hat 650.000 Einwohner, von denen rund 15 Prozent zur
indigenen Bevölkerung zählen. Allein im Bezirk North
Slope, in dem die Trans-Alaska-Pipeline beginnt, sind 68 Prozent
der Einwohner Inupiat, die Inuit der nordwestlichen Arktis in
Alaska. Die Pipeline führt auf ihrem Weg von Prudhoe Bay zum
Ölverladehafen Valdez außerdem durch die Gebiete
zweier weiterer indigener Völker Alaskas: das der Athabascan
und der Alëuten. Allein innerhalb des Jahres 2006 wurde die
Pipeline bereits zwei Mal durch Löcher in den Rohrleitungen
beschädigt. Am 2. März 2006 traten aus einem etwa ein
Cent großen Leck der Trans-Alaska-Pipeline mehr als 6000
Barrel Rohöl aus. Es war das bisher schlimmste
Pipelineunglück im Norden Alaskas seit Beginn der
Ölförderung vor 30 Jahren. Das alaskanische
Umweltministerium spielte die Auswirkungen der Katastrophe
herunter, es sei alles unter Kontrolle hieß es.
Das Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) ist das letzte
unberührte Stückchen Natur in der Arktis Alaskas, ein
Refugium für zahlreiche gefährdete Tier- und
Pflanzenarten, Kinderstube für die Porcupine-Karibuherde,
mit über 152.000 Tieren eine der größten
Karibuherden der Welt. Ölförderung aber würde
über kurz oder lang zur Folge haben, dass die Tiere ihre
Wanderroute verlassen und in Gebiete ausweichen, in denen sie
ihren Nachwuchs nicht mehr so gut schützen können. Auch
würden sie damit von den indigenen Gwich’in, für
die die Karibus nicht nur ihre wichtigste Nahrungsgrundlage,
sondern auch Teil ihrer kulturellen und religiösen
Identität sind, nicht mehr erreicht werden können.
Gegen die Öffnung des ANWR für Ölförderung
richten sich dementsprechend die Proteste von Gwich’in und
Umweltschützern. Während die Bush-Regierung sich aktiv
für die Ölförderung im ANWR einsetzte, wurden die
Karten durch die Kongresswahlen im November 2006 neu gemischt.
Denn nun haben die oppositionellen Demokratien im Kongress die
Mehrheit. Somit gibt es neue Hoffnung für die Bewahrung des
ANWR.
Teersand bzw. die Gewinnung von Erdöl aus Teersand scheint
für Kanada ein lukratives Zukunftsgeschäft zu werden.
Teersand ist eine zähe Mischung aus teerähnlichem
Bitumen (Erdpech) und Sand, die entweder im Tagebau oder im sog.
in-situ-Verfahren, d.h. unter Tage, abgebaut wird. Die weltweit
größten Vorkommen befinden sich in Venezuela und im
Norden von Alberta in Kanada. Ausgebeutet werden derzeit die drei
Lagerstätten Athabasca-Wabiskaw, Cold Lake und Peace River,
die gemeinsam eine Fläche von etwa 140.000 Quadratkilometern
abdecken und etwa 175 Milliarden Barrel unverarbeiteten Teersand
enthalten. Das Land wird großflächig zerstört,
obwohl über weite Bereiche Landrechtsansprüche der
Lubicon Cree nach wie vor ungeklärt sind.
Umweltschützer rufen daher vermehrt nach einem Moratorium,
das eine weitere Ausdehnung der Minen verhindern soll. Die
Prognose der Ölindustrie sieht anders aus: Bis 2015 will man
mindestens ein Viertel der Ölproduktion Nordamerikas aus
Teersand bestreiten. Die USA hoffen, mit Hilfe Kanadas von den
Importen aus Nahost unabhängig zu werden. Und auch China hat
bereits in zwei Firmen und eine Pipeline investiert, um das
Öl von Alberta aus zu den Häfen an der
Pazifikküste zu transportieren und anschließend selbst
zu importieren.
Auch auf Grönland erwacht allmählich der Traum vom
großen Geld durch Öl. Schon träumt die autonome
Selbstverwaltung der Insel von einer Zukunft Grönlands als
Ölfördergebiet. Zwar scheiterten seit 1976 fünf
Explorationsversuche, doch Grönlands Ölminister,
Joergen Waever Johansen, zeigt sich zuversichtlich: „Wir
wissen, dass wir Öl haben. Wir hoffen, dass wir es in
wirtschaftlich lohnenswerten Mengen haben
werden.“(Associated Press, 19.7.2006). Die vermuteten
Ölfelder liegen in Seegebieten südwestlich von
Grönland. Manche der Bohrlöcher sind nur rund 30
Kilometer von der Seegrenze zu Kanada entfernt. Im März 2003
verabschiedete die dänische Regierung eine neue
Öl-Strategie für Grönland, die mehrere Runden
für die Vergabe von Lizenzen für die Exploration in den
kommenden Jahren vorsieht. Sogar einige der größten
Öl-Konzerne der Welt zeigten bereits Interesse an einer
Exploration oder an der Auswertung der Ergebnisse geologischer
Untersuchungen, die in der Nähe der vermuteten
Öl-Vorkommen vorgenommen wurden. Ein kanadisches
Öl-Unternehmen, EnCana, erwarb im Jahr 2005 alle Rechte, um
gemeinsam mit der grönländischen Firma Nunaoil ein
2.900 Quadratkilometer großes Seegebiet nach
Öl-Vorkommen abzusuchen.
Erdgas gilt als die saubere Schwester des Erdöls und als
Energiequelle der Zukunft. Dass auch bei der Förderung von
Gas weitflächig und nachhaltig die Umwelt zerstört
wird, fürchten aktuell die Jamal-Nenzen, eine Gruppe
halbnomadischer Rentierzüchter auf der Jamal Halbinsel
(Russische Förderation), die in die Karasee hineinragt.
Für die Gasförderung sollen dort acht parallel laufende
Pipelines gebaut werden, die die Wildwechsel der Rentiere
zerschneiden und die Winter- von den Sommerweiden trennen werden.
Deutschland wird einer der Hauptnutznießer dieses Projektes
sein. Schon heute werden rund 40 Prozent des in Deutschland
verbrauchten Erdgases aus Russland importiert. Diese Zahl
könnte sich nach Inbetriebnahme der umstrittenen
Ostseepipeline auf rund 60 Prozent erhöhen, durch die auch
das Gas von Jamal strömen wird. Die Position der Nenzen ist
noch nicht ganz eindeutig, einige protestieren gegen die
Gasförderung, andere versuchen nach positiven Erfahrungen im
Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen, sich mit Politik und Konzernen
zu einigen.
Im Vergleich dazu ist die Ausgangslage der indigenen Völker
in Kanada besser. Sie werden von dem gigantischen Mackenzie
Valley Gas Projekt (MGP) in den Nordwest Territorien Kanadas
bedroht, sind aber zähe und auch erfolgreiche
Verhandlungspartner für Regierung und Konsortien.
Außerdem die meisten von ihnen im Zuge der Kolonisierung
Kanadas mit dem Staat Verträge geschlossen und dadurch eine
bessere Ausgangsposition für Verhandlungen.
Das nach Planungsstand von Herbst 2006 mindestens 7,5 Milliarden
Kanadische Dollar schwere MGP soll drei Gasfelder im Norden der
Nordwestterritorien (NWT) Kanadas mit dem Norden der Provinz
Alberta verbinden. Dort soll das Erdgas weitgehend der Gewinnung
von Erdöl aus Teersand dienen. Die meisten vom
Pipelineverlauf betroffenen indigenen Völker haben mit dem
Betreiberkonsortium bereits so genannte „access and
benefits agreements“ abgeschlossen, die im Gegenzug zum
Gewähren des Wegerechts zum Beispiel Bildungs- und
Sozialprogramme finanzieren und die Gruppen als Anteilseigner am
Gewinn der Gaspipeline beteiligen, allerdings auch an deren
Baukosten. Die ebenfalls am geplanten Trassenverlauf der
Gaspipeline lebenden Dehcho streben vor der Einwilligung den
Abschluss eines Autonomievertrages an. Die Dene Tha im Norden von
Alberta, auf deren Land die MGP-Pipeline endet, wurden von den
Verhandlungen bislang ausgeklammert, konnten jetzt aber per
Gerichtsbeschluss erwirken, dass auch sie ihre Interessen geltend
machen können.
Erdgas und Erdöl sind zwar die
bekanntesten Exportprodukte Russlands, aber auf dem Weltmarkt von
Gold und Diamanten ist Sibirien, die Schatzkammer Russlands,
längst ebenfalls führend vertreten. Nach Angaben der
russischen Tageszeitung Kommersant vom 23. November 2005 lag es
damals an Platz fünf der Weltproduktion an Gold und an Platz
zwei der Goldreserven. Zwei Drittel der Goldreserven Russlands
befinden sich in Sibirien und im Fernen Osten Russlands. 40
Prozent der Goldproduktion entfallen auf die Republik Sacha
(russisch: Jakutien), die ansonsten in der Diamantenproduktion
führend ist. Am produktivsten in der Goldgewinnung ist der
Oblast Magadan. Allein 2002 wurden hier 33,5 Tonnen Gold
gefördert; gefolgt von Krasnojarsk (29,3 Tonnen) und
Sacha/Jakutien (17,5 Tonnen). Der Goldabbau greift durch die
Infrastruktur für die Produktionsstätten und die
Arbeiter (Städtebau, Straßen,
Vergnügungsstätten, Alkohol, Prostitution, etc.) in die
Lebensbedingungen der indigenen Völker Magadans ein. Evenen,
Korjaken und Itelmenen leben hier noch immer vorwiegend von
Fischfang, Zucht und Nutzung zahmer Rentiere sowie der Jagd auf
wilde Rentiere und anderes Wild. Die Tiere verändern jedoch
ihre Wildwechsel, wenn sie durch den Goldabbau und seine
Folgeerscheinungen gestört werden, so dass sie für die
Jäger immer schwerer zu erreichen sind. Bei der Trennung des
Goldes vom Begleitgestein wird zudem Cyanid eingesetzt, dessen
Rückstände die Gewässer verseuchen.
Die im Gebiet der Minen lebenden Ureinwohner werden nicht
ausreichend über die Umweltrisiken und die damit
einhergehende Gefahr für ihre traditionellen
Wirtschaftszweige informiert oder gar an den Entscheidungen
über Bergbauprojekte beteiligt. Für die Beseitigung des
Abraums still gelegter Minen fühlt sich niemand
zuständig. Alles verrottet, so dass Rückstände
unkontrolliert in Erde und Grundwasser gelangen können.
Die borealen Wälder sind der am nördlichsten gelegene Waldtyp der Erde. Sie bilden einen grünen Gürtel um die Nordhalbkugel und machen weltweit mehr als ein Drittel des Waldbestandes aus. Sechzig Prozent der noch verbleibenden nördlichen Urwälder befinden sich in Russland, 30 Prozent in Kanada und 10 Prozent verteilen sich auf Alaska, die baltischen Staaten, Island und Skandinavien. Die borealen Wälder sind Lebensraum indigener Völker wie der Sámi, Nenzen, Chanten oder Mansen, die dort der Rentierzucht nachgehen. Die Wälder sind durch Holzeinschlag für die Papierindustrie, durch Pipelineprojekte und Ressourcenförderung, bzw. in Russland aktuell durch die geplante Privatisierung des Waldes bedroht. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Klima, jedoch auch auf den Alltag der indigenen Gruppen, für die der Wald auch kulturelle und spirituelle Heimat ist.
Während Regierungen in aller Welt ihre Betroffenheit
über die immer deutlicher werdenden dramatischen Folgen des
Klimawandels äußern, sieht die Wirtschaft Chancen, von
der Klimakatastrophe zu profitieren. Denn plötzlich ist es
technisch möglich und wird angesichts steigender
Energiepreise immer interessanter, Öl-, Erdgas-, Teersand-
und andere Rohstoffvorkommen in der Arktis und Subarktis zu
erschließen. Alle führenden internationalen
Energiekonzerne planen mit tatkräftiger Unterstützung
der Regierungen der Arktis-Anrainerstaaten ein Engagement in der
Arktis und Subarktis oder haben bereits mit Bohrungen nach
Öl und Erdgas begonnen. Traditionelle Landrechte der dort
lebenden indigenen Völker und international anerkannte
Umweltstandards werden dabei oftmals ignoriert. Den Ureinwohnern
wird eine angemessene Beteiligung an Entscheidungen über
neue Projekte verweigert.
Viele indigene Gemeinschaften stehen buchstäblich vor dem
Aus, da ihr Lebensraum rücksichtslos verseucht und
zerstört wird. Den Ureinwohnern droht oftmals der Verlust
ihrer Lebensgrundlage, da sie aufgrund des Klimawandels und der
Eingriffe der Industrie nicht mehr von der Jagd und vom Fischfang
leben können. Die arktischen Gewässer gelten als eine
der letzten großen Fischreserven der Welt. Aber auch hier
nimmt die Überfischung dramatisch zu. Indigene Fischer haben
kaum eine Chance, sich gegenüber hochmodernen
Fischtrawlerflotten zu behaupten. Fischbeständen droht durch
wachsende Meeresverschmutzung die Vernichtung, da der Seeverkehr
auf immer neuen Seestrassen durch die Arktis sprunghaft zunimmt.
So sind immer neue Ölpest-Katastrophen vorprogrammiert, die
das Überleben der indigenen Völker weiter
gefährden werden. Ihr Recht auf sauberes Wasser,
angemessenes Wohnen und den Schutz ihrer traditionellen Kultur
wird systematisch verletzt. Gefährdet der Klimawandel
bereits ihr Überleben, so droht der Öl- und Erdgasboom
ihnen den Todesstoß zu versetzen. Denn er gefährdet
nicht nur ihr physisches Überleben, sondern auch ihre
kulturelle Identität und ihr Fortbestehen als ethnische
Gemeinschaft.
Der Öl- und Erdgasboom hat auch eine deutliche Zunahme der
Grenzstreitigkeiten in den Polarregionen zur Folge. Selbst
NATO-Mitgliedstaaten wie die USA und Kanada streiten immer
erbitterter um die Kontrolle von Seestrassen und rohstoffreichen
Gewässern. Zugleich treiben alle Anrainerstaaten die
Aufrüstung in der Arktis voran, um ihre
Gebietsansprüche zu sichern. So ist nicht mehr
auszuschließen, dass bald auch in der Arktis die ersten
bewaffneten Konflikte um Rohstoffe ausbrechen werden. Die
indigenen Völker des Nordens stehen schon heute als die
Verlierer dieses rücksichtslosen Ringens um Rohstoffe und
Profit fest. Tausende Jahre nachdem sie anfingen, die Arktis zu
besiedeln, müssen sie heute feststellen, dass der
Rohstoffhunger der Industrieländer innerhalb weniger Jahre
ihre Lebensgrundlage rücksichtslos und systematisch
zerstört.
Was in der Antarktis Rechtsstandard ist, muss auch für
die Arktis gelten: Nach dem Vorbild des Umweltprotokolls des
Antarktis-Schutzvertrages muss auch für die Arktis ein
Vertragswerk ausgearbeitet werden, das jeden Rohstoffabbau
untersagt.
Die Vollversammlung der Vereinten Nationen sollte dem im
März 2007 beginnenden Internationalen Polarjahr Rechnung
tragen und spätestens im September 2007 die
„Allgemeine Erklärung zu den Rechten indigener
Völker“ verabschieden. Eine Verabschiedung dieser
Erklärung würde auch die Rechte indigener Völker
des Nordens stärken, die zurzeit systematisch missachtet und
verletzt werden. Trotz positiver Empfehlung des
UN-Menschenrechtsrates wurde die Erklärung im November 2006
nicht von der UN-Vollversammlung verabschiedet.
Weltweit operierende Energiekonzerne sollten Umwelt-,
Menschenrechts- und Sozialstandards befolgen, die sich an den
rechtlichen Bestimmungen in ihren Stammländern orientieren.
Es darf nicht länger geduldet werden, dass führende
Weltkonzerne außerhalb Westeuropas allgemein anerkannte und
gängige Standards systematisch missachten.
Die G 8-Staaten tragen als führende Industrienationen die
Verantwortung für einen schnellen und radikalen Wandel in
der Energiepolitik. Deutschland sollte nach der Übernahme
des Vorsitzes im Kreis dieser reichsten Industrieländer im
Januar 2007 sicherstellen, dass die G 8-Länder grundlegende
Menschenrechte indigener Völker beachten. So sollte
insbesondere das Recht der indigener Völker der Arktis und
Subarktis auf Nahrung, sauberes Wasser, angemessenes Wohnen, auf
Beachtung ihrer traditionellen Landrechte, auf Erhaltung ihrer
Kultur und auf eine selbst bestimmte Entwicklung respektiert
werden. Denn die Menschenrechte der indigenen Völker des
Nordens werden durch den vor allem von den Industrieländern
verursachten Klimawandel sowie durch die Rohstoffausbeutung akut
bedroht.
Die G 8-Staaten, die Arktis-Anrainerstaaten und die in der Arktis
und Subarktis operierenden Energiekonzerne sollten sicherstellen,
dass indigene Völker angemessen an allen Entscheidungen
beteiligt werden, die Einfluss auf ihr Leben haben.
Die G 8-Staaten und die Energie-Unternehmen müssen mehr
Initiativen ergreifen, um erneuerbare Energien zu entwickeln und
wirksam zu fördern. Die indigenen Völker des Nordens
fordern eine Energiepolitik weg von den fossilen
Energieträgern und der Atomkraft, hin zu Wind, Sonne und
Biomasse. Nur so kann der Gehalt von Kohlendioxid in der
Atmosphäre verringert und die fortschreitende
Klimaveränderung verlangsamt werden.
Indigene Gemeinschaften in den Polargebieten müssen mehr
Unterstützung erhalten, um die Folgen des Klimawandels zu
bewältigen. Vor allem muss die Gesundheitsversorgung
spürbar verbessert werden, da der Schadstoffgehalt in der
Nahrungsmittelkette der Völker des Nordens in
äußerst bedrohlichem Maße zunimmt.
Indigenes Wissen muss bei der Feststellung und Bewertung der
Folgen des Klimawandels stärker berücksichtigt werden.
So sollten indigene Völker der Arktis bei internationalen
Klimakonferenzen nicht nur als Beobachter vertreten sein, sondern
auch Mitentscheidungsrecht besitzen. Denn schließlich sind
sie die ersten Opfer des Klimawandels. Auch werden ihre Anliegen
noch immer von vielen Arktis-Anrainerstaaten unzureichend
berücksichtigt.
Gemäß ihren ethischen Unternehmensprinzipien und
internationalen Rechtsstandards müssen Energie-Konzerne und
Bergbau-Unternehmen sowie die Regierungen der
Arktis-Anrainerstaaten sicherstellen, dass die Förderung der
Rohstoffe nachhaltig erfolgt und die Lebensgrundlagen indigener
Völker nicht zerstört werden.