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Klimawandel / DIE ARKTIS SCHMILZT UND WIRD GEPLÜNDERT

Indigene Völker leiden unter Klimawandel und Rohstoffabbau

Menschenrechtsreport Nr. 44 der Gesellschaft für bedrohte Völker - ZUSAMMENFASSUNG

Bozen, Göttingen, 27. Dezember 2006

INHALT

Folgen des Klimawandels für die indigenen Völker der Arktis und des Nordens [ oben ]

Fischer auf der Insel Baffin Die indigenen Bewohner der Arktis leiden unter den direkten Folgen der Ressourcenausbeutung auf ihrem Gebiet und unter den sie indirekt betreffenden Auswirkungen der CO2 Verbrennungen, namentlich dem Klimawandel. Als erstes wird ihnen ihr Land genommen, so dass sie gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt ihrer traditionellen Lebensweise nachgehen können. Das wiederum führt häufig zu Entwurzelung und Verlust der kulturellen Identität. Gesundheitliche Folgen sind Alkoholmissbrauch sowie eine hohe Suizid- und Kriminalitätsrate. Zweitens geht die Ressourcenförderung mit Umweltverschmutzung einher. Die Giftstoffe werden über die Nahrungskette an den Menschen weitergegeben. Die in unmittelbarer Umgebung von Förderstätten lebenden Menschen trinken verseuchtes Wasser, essen verseuchten Fisch und atmen vergiftete Luft ein. Dies führt zu Atemwegs- und Krebserkrankungen. Mittlerweile ist der Arktische Ozean soweit verschmutzt, dass es für die indigenen Völker gefährlich geworden ist, zum Beispiel rohes Fleisch zu essen, was sie früher ohne Bedenken tun konnten. Über die Muttermilch werden die Giftstoffe an die nächste Generation weitergegeben und von Generation zu Generation angereichert. Folge sind die sinkende Lebenserwartung und der insgesamt katastrophale Gesundheitszustand der indigenen Bevölkerung.

In der russischen Arktis, besonders im Gebiet der Kolasee, Barentssee und Karasee, leiden die indigenen Bewohner zudem unter hohen Strahlenwerten durch verantwortungslos gelagerten Atommüll aus den Zeiten der Sowjetunion. Der Klimawandel zeigt auch Auswirkungen auf den Gesundheitszustand von Mensch und Tier. Menschen sind von Allergien auf bislang unbekannte Pflanzenpollen betroffen. Sie kommen mit der ungewohnten Wärme nicht zurecht. Es gab Todesfälle, weil Menschen an zuvor sicheren Stellen plötzlich ins dünner gewordene Eis einbrachen. Das Recht auf Zugang zu Nahrung und Wasser wird verletzt. Häuser und Wohnungen sind durch Erosion der Küsten gefährdet. Das Recht auf Entwicklung kann nicht gelebt werden, weil der Klimawandel sich so schnell vollzieht, dass die Menschen sich nicht mehr anpassen können. Dabei waren sie Jahrhunderte lang wahre Anpassungskünstler. Die indigenen Völker werden förmlich von einer Entwicklung überrollt, die ihre gesamte Kultur und Identität mit dem Untergang bedroht.

Erdölförderung [ oben ]

Fischer auf der Insel Baffin Erdöl ist der wichtigste Rohstoff für das Weiterbestehen unserer Volkswirtschaften. Doch die endliche Ressource wird allmählich knapp, was dazu führt, dass die großen Ölkonzerne auf der Suche nach dem „schwarzen Gold“ in immer entlegenere Ecken der Welt vordringen. Unter Eis und Schnee, unter borealen Wäldern, Tundra und Taiga lagern große Ölvorräte. In vielen Gebieten wird schon seit Jahrzehnten gefördert. In anderen wird die dazu notwendige, aufwändige Infrastruktur erst errichtet. Sollte das Klima sich weiter erwärmen und sollten immer größere Gebiete der Arktis immer länger eisfrei bleiben, hätte das für die Ölindustrie positive Auswirkungen. In der Barents- und Karasee, im Ochotskischen Meer und am arktischen Ozean im Norden Alaskas streiten die Ölgiganten um Lizenzen. Ölprojekte auf den Inseln Sachalin und Kamtschatka sollen besonders die asiatischen Märkte beliefern. Sie bedrohen das einzigartige Ökosystem und damit auch die Bewohner, unter ihnen vor allem die indigenen Völker. Die Menschen in der Arktis sind von den direkten zerstörerischen Folgen der Ölförderung, gerade auch durch den Bau von Pipelines, ganz unmittelbar betroffen und erleben einen rapiden Wandel des Klimas, der sich in der Arktis zweimal schneller vollzieht als im globalen Durchschnitt.

Doch sie schauen nicht einfach zu, wie ihnen der Boden unter den Füßen fortgezogen wird. Dass sich lautstarker Protest lohnen kann, erleben zum Beispiel derzeit die indigenen Niwchen, Nanai, Oroken und Ewenken auf Sachalin. Ihnen ist es gelungen, ihre Forderungen nach Beteiligung an sie betreffenden Entscheidungen und nach Kompensation durchzusetzen. Auf Kamtschatka, wo die Ölförderung gerade beginnt, sind die indigenen Itelmenen mit den Betreiberfirmen in Verhandlungen.

Alaska hat 650.000 Einwohner, von denen rund 15 Prozent zur indigenen Bevölkerung zählen. Allein im Bezirk North Slope, in dem die Trans-Alaska-Pipeline beginnt, sind 68 Prozent der Einwohner Inupiat, die Inuit der nordwestlichen Arktis in Alaska. Die Pipeline führt auf ihrem Weg von Prudhoe Bay zum Ölverladehafen Valdez außerdem durch die Gebiete zweier weiterer indigener Völker Alaskas: das der Athabascan und der Alëuten. Allein innerhalb des Jahres 2006 wurde die Pipeline bereits zwei Mal durch Löcher in den Rohrleitungen beschädigt. Am 2. März 2006 traten aus einem etwa ein Cent großen Leck der Trans-Alaska-Pipeline mehr als 6000 Barrel Rohöl aus. Es war das bisher schlimmste Pipelineunglück im Norden Alaskas seit Beginn der Ölförderung vor 30 Jahren. Das alaskanische Umweltministerium spielte die Auswirkungen der Katastrophe herunter, es sei alles unter Kontrolle hieß es.

Das Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) ist das letzte unberührte Stückchen Natur in der Arktis Alaskas, ein Refugium für zahlreiche gefährdete Tier- und Pflanzenarten, Kinderstube für die Porcupine-Karibuherde, mit über 152.000 Tieren eine der größten Karibuherden der Welt. Ölförderung aber würde über kurz oder lang zur Folge haben, dass die Tiere ihre Wanderroute verlassen und in Gebiete ausweichen, in denen sie ihren Nachwuchs nicht mehr so gut schützen können. Auch würden sie damit von den indigenen Gwich’in, für die die Karibus nicht nur ihre wichtigste Nahrungsgrundlage, sondern auch Teil ihrer kulturellen und religiösen Identität sind, nicht mehr erreicht werden können. Gegen die Öffnung des ANWR für Ölförderung richten sich dementsprechend die Proteste von Gwich’in und Umweltschützern. Während die Bush-Regierung sich aktiv für die Ölförderung im ANWR einsetzte, wurden die Karten durch die Kongresswahlen im November 2006 neu gemischt. Denn nun haben die oppositionellen Demokratien im Kongress die Mehrheit. Somit gibt es neue Hoffnung für die Bewahrung des ANWR.

Teersand bzw. die Gewinnung von Erdöl aus Teersand scheint für Kanada ein lukratives Zukunftsgeschäft zu werden. Teersand ist eine zähe Mischung aus teerähnlichem Bitumen (Erdpech) und Sand, die entweder im Tagebau oder im sog. in-situ-Verfahren, d.h. unter Tage, abgebaut wird. Die weltweit größten Vorkommen befinden sich in Venezuela und im Norden von Alberta in Kanada. Ausgebeutet werden derzeit die drei Lagerstätten Athabasca-Wabiskaw, Cold Lake und Peace River, die gemeinsam eine Fläche von etwa 140.000 Quadratkilometern abdecken und etwa 175 Milliarden Barrel unverarbeiteten Teersand enthalten. Das Land wird großflächig zerstört, obwohl über weite Bereiche Landrechtsansprüche der Lubicon Cree nach wie vor ungeklärt sind. Umweltschützer rufen daher vermehrt nach einem Moratorium, das eine weitere Ausdehnung der Minen verhindern soll. Die Prognose der Ölindustrie sieht anders aus: Bis 2015 will man mindestens ein Viertel der Ölproduktion Nordamerikas aus Teersand bestreiten. Die USA hoffen, mit Hilfe Kanadas von den Importen aus Nahost unabhängig zu werden. Und auch China hat bereits in zwei Firmen und eine Pipeline investiert, um das Öl von Alberta aus zu den Häfen an der Pazifikküste zu transportieren und anschließend selbst zu importieren.

Auch auf Grönland erwacht allmählich der Traum vom großen Geld durch Öl. Schon träumt die autonome Selbstverwaltung der Insel von einer Zukunft Grönlands als Ölfördergebiet. Zwar scheiterten seit 1976 fünf Explorationsversuche, doch Grönlands Ölminister, Joergen Waever Johansen, zeigt sich zuversichtlich: „Wir wissen, dass wir Öl haben. Wir hoffen, dass wir es in wirtschaftlich lohnenswerten Mengen haben werden.“(Associated Press, 19.7.2006). Die vermuteten Ölfelder liegen in Seegebieten südwestlich von Grönland. Manche der Bohrlöcher sind nur rund 30 Kilometer von der Seegrenze zu Kanada entfernt. Im März 2003 verabschiedete die dänische Regierung eine neue Öl-Strategie für Grönland, die mehrere Runden für die Vergabe von Lizenzen für die Exploration in den kommenden Jahren vorsieht. Sogar einige der größten Öl-Konzerne der Welt zeigten bereits Interesse an einer Exploration oder an der Auswertung der Ergebnisse geologischer Untersuchungen, die in der Nähe der vermuteten Öl-Vorkommen vorgenommen wurden. Ein kanadisches Öl-Unternehmen, EnCana, erwarb im Jahr 2005 alle Rechte, um gemeinsam mit der grönländischen Firma Nunaoil ein 2.900 Quadratkilometer großes Seegebiet nach Öl-Vorkommen abzusuchen.

Erdgasboom [ oben ]

Lager von Rentiernomaden der Tschuktschen Erdgas gilt als die saubere Schwester des Erdöls und als Energiequelle der Zukunft. Dass auch bei der Förderung von Gas weitflächig und nachhaltig die Umwelt zerstört wird, fürchten aktuell die Jamal-Nenzen, eine Gruppe halbnomadischer Rentierzüchter auf der Jamal Halbinsel (Russische Förderation), die in die Karasee hineinragt. Für die Gasförderung sollen dort acht parallel laufende Pipelines gebaut werden, die die Wildwechsel der Rentiere zerschneiden und die Winter- von den Sommerweiden trennen werden. Deutschland wird einer der Hauptnutznießer dieses Projektes sein. Schon heute werden rund 40 Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases aus Russland importiert. Diese Zahl könnte sich nach Inbetriebnahme der umstrittenen Ostseepipeline auf rund 60 Prozent erhöhen, durch die auch das Gas von Jamal strömen wird. Die Position der Nenzen ist noch nicht ganz eindeutig, einige protestieren gegen die Gasförderung, andere versuchen nach positiven Erfahrungen im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen, sich mit Politik und Konzernen zu einigen.

Im Vergleich dazu ist die Ausgangslage der indigenen Völker in Kanada besser. Sie werden von dem gigantischen Mackenzie Valley Gas Projekt (MGP) in den Nordwest Territorien Kanadas bedroht, sind aber zähe und auch erfolgreiche Verhandlungspartner für Regierung und Konsortien. Außerdem die meisten von ihnen im Zuge der Kolonisierung Kanadas mit dem Staat Verträge geschlossen und dadurch eine bessere Ausgangsposition für Verhandlungen.

Das nach Planungsstand von Herbst 2006 mindestens 7,5 Milliarden Kanadische Dollar schwere MGP soll drei Gasfelder im Norden der Nordwestterritorien (NWT) Kanadas mit dem Norden der Provinz Alberta verbinden. Dort soll das Erdgas weitgehend der Gewinnung von Erdöl aus Teersand dienen. Die meisten vom Pipelineverlauf betroffenen indigenen Völker haben mit dem Betreiberkonsortium bereits so genannte „access and benefits agreements“ abgeschlossen, die im Gegenzug zum Gewähren des Wegerechts zum Beispiel Bildungs- und Sozialprogramme finanzieren und die Gruppen als Anteilseigner am Gewinn der Gaspipeline beteiligen, allerdings auch an deren Baukosten. Die ebenfalls am geplanten Trassenverlauf der Gaspipeline lebenden Dehcho streben vor der Einwilligung den Abschluss eines Autonomievertrages an. Die Dene Tha im Norden von Alberta, auf deren Land die MGP-Pipeline endet, wurden von den Verhandlungen bislang ausgeklammert, konnten jetzt aber per Gerichtsbeschluss erwirken, dass auch sie ihre Interessen geltend machen können.

Gold und Diamanten aus Sibirien [ oben ]

Sibirien: Die Gefährdung der Ökosysteme ist auch eine Gefährdung des kulturellen Erbes Erdgas und Erdöl sind zwar die bekanntesten Exportprodukte Russlands, aber auf dem Weltmarkt von Gold und Diamanten ist Sibirien, die Schatzkammer Russlands, längst ebenfalls führend vertreten. Nach Angaben der russischen Tageszeitung Kommersant vom 23. November 2005 lag es damals an Platz fünf der Weltproduktion an Gold und an Platz zwei der Goldreserven. Zwei Drittel der Goldreserven Russlands befinden sich in Sibirien und im Fernen Osten Russlands. 40 Prozent der Goldproduktion entfallen auf die Republik Sacha (russisch: Jakutien), die ansonsten in der Diamantenproduktion führend ist. Am produktivsten in der Goldgewinnung ist der Oblast Magadan. Allein 2002 wurden hier 33,5 Tonnen Gold gefördert; gefolgt von Krasnojarsk (29,3 Tonnen) und Sacha/Jakutien (17,5 Tonnen). Der Goldabbau greift durch die Infrastruktur für die Produktionsstätten und die Arbeiter (Städtebau, Straßen, Vergnügungsstätten, Alkohol, Prostitution, etc.) in die Lebensbedingungen der indigenen Völker Magadans ein. Evenen, Korjaken und Itelmenen leben hier noch immer vorwiegend von Fischfang, Zucht und Nutzung zahmer Rentiere sowie der Jagd auf wilde Rentiere und anderes Wild. Die Tiere verändern jedoch ihre Wildwechsel, wenn sie durch den Goldabbau und seine Folgeerscheinungen gestört werden, so dass sie für die Jäger immer schwerer zu erreichen sind. Bei der Trennung des Goldes vom Begleitgestein wird zudem Cyanid eingesetzt, dessen Rückstände die Gewässer verseuchen.

Die im Gebiet der Minen lebenden Ureinwohner werden nicht ausreichend über die Umweltrisiken und die damit einhergehende Gefahr für ihre traditionellen Wirtschaftszweige informiert oder gar an den Entscheidungen über Bergbauprojekte beteiligt. Für die Beseitigung des Abraums still gelegter Minen fühlt sich niemand zuständig. Alles verrottet, so dass Rückstände unkontrolliert in Erde und Grundwasser gelangen können.

Boreale Wälder [ oben ]

Die borealen Wälder sind der am nördlichsten gelegene Waldtyp der Erde. Sie bilden einen grünen Gürtel um die Nordhalbkugel und machen weltweit mehr als ein Drittel des Waldbestandes aus. Sechzig Prozent der noch verbleibenden nördlichen Urwälder befinden sich in Russland, 30 Prozent in Kanada und 10 Prozent verteilen sich auf Alaska, die baltischen Staaten, Island und Skandinavien. Die borealen Wälder sind Lebensraum indigener Völker wie der Sámi, Nenzen, Chanten oder Mansen, die dort der Rentierzucht nachgehen. Die Wälder sind durch Holzeinschlag für die Papierindustrie, durch Pipelineprojekte und Ressourcenförderung, bzw. in Russland aktuell durch die geplante Privatisierung des Waldes bedroht. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf das Klima, jedoch auch auf den Alltag der indigenen Gruppen, für die der Wald auch kulturelle und spirituelle Heimat ist.

Wirtschaftsinteressen [ oben ]

Während Regierungen in aller Welt ihre Betroffenheit über die immer deutlicher werdenden dramatischen Folgen des Klimawandels äußern, sieht die Wirtschaft Chancen, von der Klimakatastrophe zu profitieren. Denn plötzlich ist es technisch möglich und wird angesichts steigender Energiepreise immer interessanter, Öl-, Erdgas-, Teersand- und andere Rohstoffvorkommen in der Arktis und Subarktis zu erschließen. Alle führenden internationalen Energiekonzerne planen mit tatkräftiger Unterstützung der Regierungen der Arktis-Anrainerstaaten ein Engagement in der Arktis und Subarktis oder haben bereits mit Bohrungen nach Öl und Erdgas begonnen. Traditionelle Landrechte der dort lebenden indigenen Völker und international anerkannte Umweltstandards werden dabei oftmals ignoriert. Den Ureinwohnern wird eine angemessene Beteiligung an Entscheidungen über neue Projekte verweigert.

Viele indigene Gemeinschaften stehen buchstäblich vor dem Aus, da ihr Lebensraum rücksichtslos verseucht und zerstört wird. Den Ureinwohnern droht oftmals der Verlust ihrer Lebensgrundlage, da sie aufgrund des Klimawandels und der Eingriffe der Industrie nicht mehr von der Jagd und vom Fischfang leben können. Die arktischen Gewässer gelten als eine der letzten großen Fischreserven der Welt. Aber auch hier nimmt die Überfischung dramatisch zu. Indigene Fischer haben kaum eine Chance, sich gegenüber hochmodernen Fischtrawlerflotten zu behaupten. Fischbeständen droht durch wachsende Meeresverschmutzung die Vernichtung, da der Seeverkehr auf immer neuen Seestrassen durch die Arktis sprunghaft zunimmt. So sind immer neue Ölpest-Katastrophen vorprogrammiert, die das Überleben der indigenen Völker weiter gefährden werden. Ihr Recht auf sauberes Wasser, angemessenes Wohnen und den Schutz ihrer traditionellen Kultur wird systematisch verletzt. Gefährdet der Klimawandel bereits ihr Überleben, so droht der Öl- und Erdgasboom ihnen den Todesstoß zu versetzen. Denn er gefährdet nicht nur ihr physisches Überleben, sondern auch ihre kulturelle Identität und ihr Fortbestehen als ethnische Gemeinschaft.

Der Öl- und Erdgasboom hat auch eine deutliche Zunahme der Grenzstreitigkeiten in den Polarregionen zur Folge. Selbst NATO-Mitgliedstaaten wie die USA und Kanada streiten immer erbitterter um die Kontrolle von Seestrassen und rohstoffreichen Gewässern. Zugleich treiben alle Anrainerstaaten die Aufrüstung in der Arktis voran, um ihre Gebietsansprüche zu sichern. So ist nicht mehr auszuschließen, dass bald auch in der Arktis die ersten bewaffneten Konflikte um Rohstoffe ausbrechen werden. Die indigenen Völker des Nordens stehen schon heute als die Verlierer dieses rücksichtslosen Ringens um Rohstoffe und Profit fest. Tausende Jahre nachdem sie anfingen, die Arktis zu besiedeln, müssen sie heute feststellen, dass der Rohstoffhunger der Industrieländer innerhalb weniger Jahre ihre Lebensgrundlage rücksichtslos und systematisch zerstört.

FORDERUNGEN [ oben ]

Was in der Antarktis Rechtsstandard ist, muss auch für die Arktis gelten: Nach dem Vorbild des Umweltprotokolls des Antarktis-Schutzvertrages muss auch für die Arktis ein Vertragswerk ausgearbeitet werden, das jeden Rohstoffabbau untersagt.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen sollte dem im März 2007 beginnenden Internationalen Polarjahr Rechnung tragen und spätestens im September 2007 die „Allgemeine Erklärung zu den Rechten indigener Völker“ verabschieden. Eine Verabschiedung dieser Erklärung würde auch die Rechte indigener Völker des Nordens stärken, die zurzeit systematisch missachtet und verletzt werden. Trotz positiver Empfehlung des UN-Menschenrechtsrates wurde die Erklärung im November 2006 nicht von der UN-Vollversammlung verabschiedet.

Weltweit operierende Energiekonzerne sollten Umwelt-, Menschenrechts- und Sozialstandards befolgen, die sich an den rechtlichen Bestimmungen in ihren Stammländern orientieren. Es darf nicht länger geduldet werden, dass führende Weltkonzerne außerhalb Westeuropas allgemein anerkannte und gängige Standards systematisch missachten.

Die G 8-Staaten tragen als führende Industrienationen die Verantwortung für einen schnellen und radikalen Wandel in der Energiepolitik. Deutschland sollte nach der Übernahme des Vorsitzes im Kreis dieser reichsten Industrieländer im Januar 2007 sicherstellen, dass die G 8-Länder grundlegende Menschenrechte indigener Völker beachten. So sollte insbesondere das Recht der indigener Völker der Arktis und Subarktis auf Nahrung, sauberes Wasser, angemessenes Wohnen, auf Beachtung ihrer traditionellen Landrechte, auf Erhaltung ihrer Kultur und auf eine selbst bestimmte Entwicklung respektiert werden. Denn die Menschenrechte der indigenen Völker des Nordens werden durch den vor allem von den Industrieländern verursachten Klimawandel sowie durch die Rohstoffausbeutung akut bedroht.

Die G 8-Staaten, die Arktis-Anrainerstaaten und die in der Arktis und Subarktis operierenden Energiekonzerne sollten sicherstellen, dass indigene Völker angemessen an allen Entscheidungen beteiligt werden, die Einfluss auf ihr Leben haben.

Die G 8-Staaten und die Energie-Unternehmen müssen mehr Initiativen ergreifen, um erneuerbare Energien zu entwickeln und wirksam zu fördern. Die indigenen Völker des Nordens fordern eine Energiepolitik weg von den fossilen Energieträgern und der Atomkraft, hin zu Wind, Sonne und Biomasse. Nur so kann der Gehalt von Kohlendioxid in der Atmosphäre verringert und die fortschreitende Klimaveränderung verlangsamt werden.

Indigene Gemeinschaften in den Polargebieten müssen mehr Unterstützung erhalten, um die Folgen des Klimawandels zu bewältigen. Vor allem muss die Gesundheitsversorgung spürbar verbessert werden, da der Schadstoffgehalt in der Nahrungsmittelkette der Völker des Nordens in äußerst bedrohlichem Maße zunimmt.

Indigenes Wissen muss bei der Feststellung und Bewertung der Folgen des Klimawandels stärker berücksichtigt werden. So sollten indigene Völker der Arktis bei internationalen Klimakonferenzen nicht nur als Beobachter vertreten sein, sondern auch Mitentscheidungsrecht besitzen. Denn schließlich sind sie die ersten Opfer des Klimawandels. Auch werden ihre Anliegen noch immer von vielen Arktis-Anrainerstaaten unzureichend berücksichtigt.

Gemäß ihren ethischen Unternehmensprinzipien und internationalen Rechtsstandards müssen Energie-Konzerne und Bergbau-Unternehmen sowie die Regierungen der Arktis-Anrainerstaaten sicherstellen, dass die Förderung der Rohstoffe nachhaltig erfolgt und die Lebensgrundlagen indigener Völker nicht zerstört werden.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/siberia/klima2006-de.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sib-jamal-de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060425de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060322de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050808de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2005/050120de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/04-1/040601de.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibirien.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sakhal-de.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibiri-de.html

* www: www.pacificenvironment.org | www.globalresponse.org | www.npolar.no/ansipra/english/index.html | www.ilo.org/ilolex/english/newratframeE.htm | www.infoe.de | www.raipon.org/english/ | www.indigenous.ru

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