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Über Föderalismus neu nachdenken!

Den Historischen Nationalitäten reicht die jetzige Autonomie nicht

Von Aureli Argemi

Bozen, 15. März 2004

Nachdem General Franco (1892-1975) den spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) ausgelöst hatte, war die Vernichtung des erst vier Jahre zuvor in der Verfassung verankerten "Staates der Autonomien" einer der ersten Pläne, an dessen Verwirklichung er sich machte. Franco wollte einen uniformen, einheitlichen Staat, und er erreichte sein Ziel, indem er die Demokratie beseitigte und die Diktatur errichtete. Eines der hervorstechendsten Merkmale dieses neuen Regimes war die systematische Unterdrückung jeglicher Regung, die zu einem Wiederaufleben des nationalen Pluralismus in Spanien hätte führen können. Folglich wurde auch Sprachenvielfalt negiert, Katalanisch, Galicisch und Baskisch wurden zu Dialekten des Spanischen erklärt und ihr öffentlicher Gebrauch verboten.

Dieses irrationale Verbot förderte allerdings eher, was unterdrückt werden sollte. Mit der Zeit entwickelte sich eine, zunächst im Verborgenen agierende, Opposition, die nicht nur das Regime bekämpfte, sondern auch politische Modelle für die Zeit nach Franco diskutierte. Dabei stand zwar stets die Frage nach einer Alternative zum Zentralismus Francos im Vordergrund, über mögliche Lösungen konnte jedoch keine Einigkeit erzielt werden.

Nach Francos Tod begann eine Diskussion, die 1978 schließlich zur Verabschiedung der neuen Verfassung führte. Die dabei geäußerten sehr unterschiedlichen Ansichten zur Frage der Autonomien reichten von der Forderung einer verfassungsmäßigen Verankerung der Plurinationalität, über Vorstellungen der Dezentralisierung nach modernen und effizienten Kriterien bei Ausklammerung eines plurinationalen Staates, bis hin zur vollständigen Negierung der Existenz verschiedener spanischer "Völker". Denn diese seien doch alle Teil der "spanischen Familie", die naturgemäß mit dem "einzigen spanischen Volk" identisch sei.

Eine für alle zufriedenstellende Lösung zu finden war unmöglich. Dennoch wurde der zum Referendum vorgelegte Verfassungstext in der Öffentlichkeit als Konsens dargestellt. Im Entscheidungsprozeß über diese neue Verfassung übte das Militär, das sich größtenteils aus Anhängern der Franco'schen Ideen zusammensetzte, großen Einfluss aus. Die Autonomien Spaniens werden darin zwar formal anerkannt; zugleich wird jedoch ein System geschaffen, in dem eine Entwicklung, die der Einheit des Vaterlandes widersprechen oder ein Gegengewicht zur herrschenden Regierung bilden könnte, nicht möglich ist.

Unter diesen Voraussetzungen erwies sich die Verfassung eher als Fortsetzung des alten Systems, denn als Bruch mit der Vergangenheit. Die Autonomie einzelner Regionen erscheint eher als Zugeständnis, weniger als positive Entwicklung. Man duldet sie, volles Vertrauen wird ihnen jedoch nicht geschenkt. Die selbständigen Provinzen werden in ihren Rechten und Befugnissen soweit eingeschränkt, daß sie es niemals zu einem Wechsel der politischen Richtung bringen könnten. Die Verfassung läßt zwar die Möglichkeit für unabhängige Zusammenschlüsse von Provinzen und die Bildung von Autonomien zu. Das Netzwerk aus autonomen Gebieten war aber stets einer Regionalisierung oder Dezentralisierung ähnlicher als einer Föderation. Dieser neue "Staat der Autonomien" glich einem Lahmen, der den Traum aufgeben mußte, jemals laufen zu können.

Die insgesamt 17 Autonomien haben sich in den fast zwanzig Jahren ihrer Existenz unterschiedlich entwickelt. Euskadi (Baskenland) und Katalonien wurden zum Motor für die Selbstverwaltung, zum Vorkämpfer für die Unabhängigkeit. Zwar unterscheiden sich beide Provinzen in ihrer internen Politik, stimmen aber in ihren Forderungen nach einer Machtübertragung vom Staat auf die Autonomien überein.

Galicien ist es bisher nicht gelungen, aus eigener Kraft seinen Forderungen nach Autonomie Nachdruck zu verleihen. Die dortigen nationalistischen Parteien galten stets als Minderheit und konnten bislang nur in der Opposition wirken. Ähnlich erging es den Kanarischen Inseln vor der Küste Afrikas. Auch ihnen fehlte es an Potential für eine starke antikoloniale Bewegung.

Andere autonome Gemeinschaften, zum Beispiel die Balearen und der Staat Valencia, die kultur-historisch zu Katalonien gehören, sowie Navarra, das kulturhistorisch zum Baskenland gehört, konnten mangels inneren Zusammenhaltes keine vollständige Eigenständigkeit erreichen. Andalusien dagegen gilt als Beispiel für die Annäherung an die Autonomiebestrebungen des Baskenlandes und Kataloniens - auch wenn seine Identität als "Historische Nationalität" fraglich ist. Die übrigen Provinzen haben eine Entwicklung des "langsamen Weges" gewählt, der jedoch bereits die gleichen Grundzüge in den Forderungen nach Anerkennung und Selbständigkeit deutlich werden läßt.

Der "Staat der Autonomien" hat in den Jahren des Postfranquismus zweifellos eine Modernisierung erlebt. Die großen Parteien, die sich die Macht geteilt haben - zuerst die Rechte, dann die sozialistische Linke und heute wieder die Rechte - waren jedoch nicht in der Lage, eine schonungslose Diskussion über die Zukunft des Staates zu eröffnen, die einen Ausbau der Autonomien einbezieht.

Dies hat in den Autonomien zur Entstehung von Strömungen geführt, die gegen den Staat selbst gerichtet sind. Diejenigen Parteien, die am meisten dafür gekämpft haben, die Unabhängigkeit zumindest der Historischen Nationalitäten mit Inhalt zu füllen, gelangen immer mehr zu der Überzeugung, daß der Staat sich in einen plurinationalen verwandeln muß. Andernfalls müßte man dazu übergehen, die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung, im wahrsten Sinne des Wortes, durchzusetzen.

Noch stellt sich diese Alternative nicht. Aber die Tatsache, daß sie sich zu etablieren beginnt, zeigt die Unzufriedenheit mit dem spanischen Staat in seiner gegenwärtigen Form. Bei den Historischen Nationalitäten wird dies in der Radikalisierung einiger Parteien und innerparteilicher Gruppen deutlich, die in der Frage der Unabhängigkeit führend sind.

In Katalonien zum Beispiel haben die Parteien "Esquerra Republicana de Catalunya" und "Partido por la Independencia" - beide bilden die dritte Kraft im Parlament - eindeutig für die Unabhängigkeit votiert. Die (radikale baskische) Herri Batasuna ist eine parlamentarische, unabhängige Partei. Auch in der "Convegencia Democratica de Catalunya" und dem "Partido Nacionalista Vasco" - Parteien, die in Katalonien bzw. dem Baskenland an der Regierung beteiligt sind - gewinnen die autonomen und souveränen Perspektiven an Bedeutung. Und in Galicien nimmt der Einfluß des ebenfalls parlamentarischen "Bloque Nacionalista Gallego", der die Forderung nach Unabhängigkeit unterstützt, rasch zu.

Eine generelle Unzufriedenheit bei den Historischen Nationalitäten ist nicht zu übersehen. Sie trägt dazu bei, daß auch in einigen der großen Parteien auf Staatsebene die "reale" Staatsform hinterfragt wird. Der Terminus "Föderalismus", wenn auch unterschiedlich formuliert und interpretiert, ist bereits Teil einer "politischen Kultur" innerhalb der "Partido Socialista Obrero Espaniol" und der "Izquierda Unida" geworden, zweier linker Gruppierungen, die auf Ebene des Staates von Bedeutung sind. In konkrete Vorschläge umgesetzt wird dies von ihnen jedoch nicht. Dabei könnte der Staat zum Beispiel mit Gesetzesentwürfen in die gewünschte Richtung gelenkt werden.

Unterdessen beginnen auch einige als "moderat nationalistisch" geltende Parteien, im Hinblick auf einen "anderen" Staat von der Notwendigkeit einer Reform des Autonomiestatuts zu sprechen. Sie soll all jenen Aspekten gelten, die "unnötigerweise" die Macht der autonomen Regierungen beschneiden und sich nicht an die Entwicklungen und Herausforderungen anpassen, die viele Autonomien gerade erleben.

Diejenigen Parteien hingegen, die den Erhalt des zentralistischen Staates unterstützen, reagieren bei dem kleinsten Verdacht, daß ein Gesetz der autonomen Parlamente oder eine Anordnung der jeweiligen Regierungen die Überlegenheit der Zentralregierung verletzen könnte, mit einer Fülle von Beschwerden vor dem Verfassungsgericht. Momentan verfolgen die Regierungsparteien, auch wenn einige unter ihnen von Föderalismus sprechen, eine Politik des "unnachgiebigen" Erhalts der augenblicklichen Staatsform.

Die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten der spanischen Verfassung und der Autonomiestatute werden hier deutlich, insbesondere was so essentielle Grundwerte wie die kollektiven Menschenrechte betrifft. Die Konzepte von "Volk" und "Nation" beispielsweise, die sich in der Verfassung und in den Autonomiestatuten finden, beziehen sich sowohl auf das spanische Volk als auch auf das katalanische, baskische oder galicische. Die Interpretation der Rechte dieser Völker unterscheidet sich jedoch grundlegend.

Dem spanischen Volk kommt die höchste Macht innerhalb des Territoriums des spanischen Staates zu. Die anderen Völker, die schon immer in eben diese Gebiete gelebt haben und heute gleichfalls Teil dieses Staates sind, besitzen dieses Vorrecht nicht. Auf welcher Grundlage wird eine so diskriminierende Unterscheidung vorgenommen?

Diese Zweideutigkeit, vielleicht eine der dominantesten Begleiterscheinungen des spanischen Autonomienstaates, hat aus staatlicher Sicht zu einer Auffassung geführt, derzufolge alle Autonomien identisch seien, ohne daß die Eigenheiten der verschiedenen Gesellschaften, die sie ausmachen, beachtet werden. In diesem Konzept lebt der "Geist" des gescheiterten Staatsstreiches von Februar 1981 weiter, der eine Rückkehr zum Zentralismus einleiten sollte und zum Ideengeber einer staatlichen Gesetzgebung wurde, die eine "Harmonisierung" der Autonomien favorisiert. In der Praxis bedeutete dies, das vermeintliche Machtbestreben der nationalistischen Parteien zu beschneiden.

Dieser "Geist" lebt bis heute weiter, wenn auch in abgeschwächter Form. War früher die Rede davon, daß vor allem "die Einheit des Vaterlandes" verteidigt werden müsse, so sagt man heute, das wichtigste sei die "Solidarität unter allen Spaniern". Diese Aussagen sind sich in ihrer Bedeutung sehr ähnlich.

In Madrid sind die verschiedenen Regierungen bei der Auffassung geblieben, dass Spanisch die in der Verfassung verankerte Sprache aller Bürger ist, die sich unter spanischer Gerichtsbarkeit befinden. Die Sprachen der autonomen Gebiete sind jeweils als "eigene Sprachen" definiert und werden als Zweitsprachen behandelt. Es hat zwar jeder das Recht, sie innerhalb des Territoriums mit autonomem Status zu benutzen, nicht aber die Pflicht.

Ein anderes Beispiel: der Staat hat die Verpflichtung, der Regierung in Madrid und ebenso den autonomen Regierungen legislative und exekutive Kompetenzen zu übertragen und sie mit den nötigen finanziellen Mitteln auszustatten, um diese umsetzen zu können. Eine Beteiligung der autonomen Regierungen an den Steuereinnahmen und an der Nutzung anderer finanzieller Hilfen ist wichtig, aber nur im Baskenland und in Navarra wurde ein "Wirtschaftsvereinbarung" installiert, die eine direkte Steuererhebung möglich macht.

So sind einige Autonomien unzufrieden damit, was sie im Gegenzug für die Abgaben erhalten, die sie an den Staat entrichten müssen. Der Staat fordert zu viel von den Autonomien, die eine höhere Produktion aufweisen. Dieses Mißverhältnis ist in einigen Fällen so ungünstig, daß die autonome Regierung die ökonomische Entwicklung ihrer Region verhindert, anstatt sie zu fördern. Zwischen Staat und Autonomien, ja sogar zwischen "reichen" und "armen" Autonomien, kommt es daher fortwährend zu Spannungen.

Der spanische Autonomiestaat hat nach Auffassung der Mehrzahl der Beobachter nur dann eine Zukunft, wenn auf allen politischen Ebenen über den Föderalismus nachgedacht wird. Die Autonomien müssen Verbindungen miteinander eingehen und über direkte Möglichkeiten der Zusammenarbeit diskutieren. Der Staat seinerseits sollte eher ein Resultat dieser Kooperation werden und nicht etwas übergestülptes und dominierendes sein.

Auch bei der Integration Europas müssen die Autonomien eine wichtige Rolle spielen. Sie können als Vermittler und Verbindungsglieder fungieren. Neue Horizonte müssen eröffnet werden. Man darf nicht nur im bloßen Spannungsverhältnis Staat - Autonomie verharren. In den autonomen Gemeinden, die sich "Historische Nationalitäten" nennen, wachsen die Stimmen, die eine direkte Beteiligung an einer gesamteuropäischen Zukunft fordern, ohne "Umwege über Madrid". Dafür müssen die nötigen Bedingungen geschaffen werden.

Das bedeutet unter anderem eine Rückkehr zu Diskussionen über so fundamentale Völkerrechte wie Selbstbestimmung und Souveränität, die sich auch auf die Historischen Nationalitäten anwenden lassen. Die Parteien dieser Nationalitäten, die sich als unabhängig und souverän bezeichnen, sehen eine konstruktive Zukunft aber nicht in einer Separation. Sie wollen ihre Unabhängigkeit vielmehr als Instrument für die vollständige Integration in ein gesamteuropäisches Projekt nutzen, individuell und kollektiv, gemeinsam und egalitär, und unter Respektierung der Unterschiede zwischen den Völkern.

In der Bilanz sind zwanzig Jahre Autonomie nur zum Teil ein gewisser Mißerfolg. Sie verdeutlichen ebenso ein schon sehr weit gediehenes Bewußtsein von einer Zukunft, in der die Autonomien akzeptiert werden, wenn sie sich in den Rahmen einer gesamteuropäischen Entwicklung eingliedern. In einen Rahmen also, der sehr viel weiter gesteckt ist, als bisher. Die Erfahrung zeigt, daß die berühmte Vision eines "Europa der Nationen" nicht mehr so utopisch ist, wie viele dies noch vor zwanzig Jahren eingeschätzt haben.

Aureli Argemi ist Generalsekretär des CIEMEN in Barcelona


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/3indice.html#eu-min | www.gfbv.it/3dossier/vielfalt-dt.html

* www: www.ciemen.org/conseu.htm | www.eblul.org

Letzte Aktual.: 15.3.2004 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/federal.html | XHTML 1.0 / CSS | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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