In: Home > DOSSIER > Ukraine - Einsatz nur für Timoschenko ist nicht genug
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Von Sabine Grabe
Bozen, Göttingen, 10. September 2012
Julia Timoschenko; Foto: European Union 2008 - European Parliament.
Nahezu täglich berichtet die deutsche Presse über
Julija Timoschenko, die inhaftierte einstige Anführerin der
Orangefarbenen Revolutionin der Ukraine. Haftbedingungen und
medizinische Versorgungder früheren Regierungschefin sollen
verbessert werden, fordern westliche Politiker. Timoschenko und
ihr Schicksal stehen dabei stellvertretend für die schlechte
Menschenrechtslagein der Ukraine. Aus Protest gegen die
Behandlung der 51-Jährigen ließ sich kein westlicher
Politiker auf der Tribüne neben Präsident Janukowitsch
blicken. Bundespräsident Joachim Gauck blieb dem
EM-Gastgeber fern.
Der Einsatz der westlichen Politikerfür Timoschenko ist
gewiss löblich und notwendig. Doch sollten sie die
Menschenrechtslage in der Ukraine insgesamt wie Folter in
Haftanstalten, willkürliche Gewalt, Rassismus gegen Roma und
Antisemitismus in den Blick nehmen. Der Europarat war
erschüttert über die Zustände in ukrainischen
Gefängnissen. Das Komitee gegen Folter und Misshandlung(CPT)
besuchteHaftanstalten im Dezember 2011 und kam zu erschreckenden
Resultaten. So wurden einzelneHäftlinge in Metallkäfige
oder Boxen gesperrt. Auch Amnesty International machte wiederholt
auf die Lage in ukrainischen Gefängnissen aufmerksam. Dort
kommt es immer wieder zu Todesfällen nach Folter.
Die Euphorie, mit der westliche Politiker für Julija
Timoschenko kämpfen, teilt die ukrainische Bevölkerung
nicht. Massenproteste gegenihre Haftbedingungen blieben aus. Auf
Blogs werden Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgehen
soll, dass Timoschenko tatsächlich in ihrer Zeitals
Unternehmerin gegen Gesetze verstoßen hat und die ihre
Regierungszeit sehr kritisch beleuchten. Auf Internet-Portalen
verschiedener Zeitungen hinterlassen Leser Kommentare, aus denen
tiefe Enttäuschung über die Regierung Timoschenko
spricht. Viele Erwartungen hat sie nicht erfüllt.
Das könnte der Hauptgrund für das Desinteressean ihrem
Schicksal sein. Sie hatte den Rückgang der Korruption, eine
schnelle Europa-Integration sowie soziale Reformen versprochen.
Bei der Korruptions bekämpfung scheiterte sie, wie
Transparency International für dieJahre von 2005 bis 2010
feststellt. 2005 war die Ukraine auf dem
Korruptionswahrnehmungsindexauf Platz 107 von insgesamt 158
untersuchten Staaten, 2010 nur nochan 134. Stelle. So schlecht
wurden unter anderem auch Sierra Leone und Simbabwe
eingestuft.
Die Nichtregierungsorganisation Freedom Housekommt nach ihren
Untersuchungen ebenfalls zu dem Schluss, dass sich das
Korruptionsniveau in Timoschenkos Zeit als Premierministerin von
2004bis 2010 nicht wesentlich verändert hat. Weiterhin
berichtet die Organisation,dass ein unabhängiges
Justizsystem nicht vorhanden war.
Repräsentanten der Legislative und Exekutive übten sehr
viel Druck auf die Justiz aus. Im Jahr 2008 erreichte der
Missbrauch der Justiz für politische Ziele unerwartet hohe
Werte. Ein Zustand, unter dem Timoschenko jetzt selbst zu leiden
hat. Dass Präsident Janukowitsch dieJustiz dazu missbraucht,
seinen persönlichen Machtkampf gegen Timoschenko zu
führen, ist der eigentliche Skandal. Nur, wenn Timoschenko
freigelassen wird, haben die beiden politischen Lager die
Möglichkeit, sich im Oktober dieses Jahres bei den geplanten
Wahlen zu messen. Aber wahrhaftiges Engagement für einen
verbesserten Menschenrechtsschutz kann nur bei den vielen Opfern
von Menschenrechtsverletzungen beginnen, auf die Timoschenko und
die Diskussion um ihre Person den Blick verstellen.
Aus pogrom-bedrohte Völker 271 (3/2012)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/eu-min/estland.html |
www.gfbv.it/3dossier/kaukas/daghestan-de.html
in www: http://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine