Von John Goddard und Oliver Kluge, Big Mountain Aktionsgruppe.
Bozen, 20. Oktober 2005
Mehr als ein halbes Jahrhundert dauert der Kampf der Lubicon
Lake Indian Nation um das Recht auf das eigene Land nun schon an.
Den Lubicon wird das zum Verhängnis, was schon viele
Ureinwohnergruppen in der "modernen" Welt die Existenz kostete:
Bodenschätze. Im Brennpunkt steht nicht die Regierung eines
unterentwickelten, hoch verschuldeten Landes der Dritten Welt und
auch keine Diktatur, es geht um Kanada. Kanada, das zu den
Demokratien und zur Ersten Welt gezählt wird. Kanada, das
als Rechtsstaat gilt. Kanada, das im Bunde der sieben wichtigsten
Industrienationen ist.
Seit gut einhundert Jahren haben kanadische Behörden das
Volk der Lubicon-Cree entweder ignoriert oder ihre Landrechte
willentlich untergraben. 1899 übersahen Bundesbeamte, welche
die Hauptströme des Landes bereisten, um Verträge mit
den Indianern zu schließen, die Lubicon vollständig.
1940 wurde ihnen zwar ein Reservat versprochen, aber niemals
eingerichtet. 1979 entdeckte man dann Erdöl. Der Grund eines
riesigen Areals in Nordalberta, einschließlich fast des
gesamten Territoriums der Lubicon, ist von dickem,
teer-ähnlichem Bitumen durchzogen war. Schätzungen
über die Größe des gesamten Vorkommens gingen bis
800 Milliarden Barrel- mehr als die gesamten konventionellen
Erdölreserven der Welt. Dem waren und sind die Lubicon-Cree
im Weg.
Ohne auch nur eine Umwelt- oder
Sozialverträglichkeitsstudie durchzuführen,
stürmten in den nächsten fünf Jahren über
einhundert Ölfirmen das einstmals isolierte Territorium und
verwandelten es in das hektischste Explorations- und Bohrfeld des
Landes. Mannschaften errichteten über vierhundert
Förderstätten innerhalb eines Umkreises von
fünfundzwanzig Kilometern um die Lubicon-Gemeinde. Waldwege
wurden zu Straßen, verstopft von großen
Traktor-Trailern. "Unbefugtes Betreten verboten" stand bald
überall auf Schildern. Bulldozer begruben Fallenstrecken und
versperrten Wanderrouten der Tiere. Sehr bald produzierten die
Ölgesellschaften 1,3 Millionen kanadische Dollars Gewinn pro
Tag, während gleichzeitig die Wirtschaft der Lubicon
zugrunde gerichtet war.
Als Antwort darauf startete Chief Bernard Ominayak eine
Kampagne, um das internationale Bewußtsein
wachzurütteln. Die Kampagne hatte einen Boykottaufruf gegen
die olympischen Winterspiele von 1988 in Calgary zur Folge und
gipfelte ein paar Monate später darin, dass
Stammesmitglieder und Unterstützer die Kontrolle über
alle Ölbohrstellen auf Lubicongebiet übernahmen.
1989 legte die kanadische Bundesregierung ein Papier vor, das
sie "take-it-or-leave-it offer" , friss oder stirb") nannten. Es
enthielt den Vorschlag, ein Reservat einzurichten und 34
Millionen kanadische Dollar für Straßenbau,
Wasserversorgung, Abwassersystem, Stromversorgung, eine Schule
sowie Wohnhäuser zur Verfügung zu stellen. Das Angebot
ignorierte jedoch völlig die Vorschläge des Stammes,
eine neue lokale Wirtschaft aufzubauen (basierend auf
Landwirtschaft, kleineren Betrieben und Arbeitsplätze in der
Ölindustrie), um die Busch-Wirtschaft (Jagd und
Fallenstellerei, Fischfang) zu ersetzen, die durch die
Erdölförderung (in Höhe von sechs Milliarden
Dollar) zerstört worden war. Es missachtete außerdem
die Ansprüche des Stammes auf Entschädigung in neun
Bereichen, Ansprüche die von einer früheren Studie der
Bundesregierung bejaht wurden, deren Ergebnisse jedoch die
Regierung zu unterdrücken versuchte.
Als Reaktion zwangen die Regierungsbehörden den Lubicon ihr
"Angebot" auf - mit einem getürkten Referendum. Mitglieder
der Lubicon-Cree erhielten für ihre Zustimmung zum
Regierungsangebot Geld. Die Zahlungen beliefen sich auf mehr als
700.000 Dollar für siebenhundert Personen. Die
Stammesführung zweifelte die Rechtmäßigkeit der
Abstimmung an und nahm die Kampagne gegen die
Holzfällerfirmen wieder auf. Die Papierfirma Daishowa
kündigte nämlich 1991 an, das Territorium der Lubicon
im Kahlschlagverfahren zu roden. Aufgrund der Kampagne setzte
Daishowa die Pläne aus. Daishowa wollten und will allerdings
nicht öffentlich versprechen, sich ganz aus dem
Lubicon-Territorium herauszuhalten, bis der Streit beigelegt ist.
Chief Ominayak bittet noch immer Unterstützer, an die Firma
und an die Regierung zu schreiben und darauf zu bestehen, dass
die Landrechte der Lubicon endlich respektiert werden.
Chronologie der Ereignisse
1967
Ein Indianerdorf am Marten River, in der Nähe des Lubicon
Lake, wird dem Erdboden gleichgemacht und niedergebrannt. Dieser
Ort wird zur ersten Erdölförderstätte, die im
Lubicon-Gebiet in Betrieb geht.
1977
Die Regierung von Alberta verabschiedet rückwirkend
gültige Gesetze, um einen bereits laufenden Rechtsstreit
gegen die Lubicon-Cree und sechs andere Stämme vor Gericht
noch gewinnen zu können.
1983
Der Weltkirchenrat äußert die Warnung: "In den letzen
Jahren haben die Provinzregierung von Alberta sowie Dutzende
multinationaler Erdölkonzerne Handlungen durchgeführt,
die genozidale (völkermordende) Konsequenzen haben
könnten". Richter Gregory Forsyth verweigert den Lubicon
Cree eine einstweilige Verfügung gegen die
Erdölförderung mit der Begründung, dass "der
Nachweis einer beeinträchtigten Lebensweise auf einige
wenige Individuen beschränkt sei". Die Regierung von Alberta
entwickelt eine vielseitige Strategie, welche die Abschiebung der
Lubicon aus ihrem Land hinein in eine dorfähnliche
Gemeinschaft zum Ziele hat.
1986
Lubicon-Chief Bernard Ominayak ruft zum Boykott der Olympischen
Winterspiele in Calgary auf, die im Februar 1988 stattfinden
sollen.
1987
Die UN-Menschenrechtskommission fordert Kanada auf, "einstweilige
Maßnahmen zu ergreifen, um irreparable Schäden" am
Volk der Lubicon zu vermeiden. In einer der schlimmsten Epidemien
in Kanada seit der Depression werden Untersuchungen zufolge
nahezu ein Drittel aller Mitglieder der Lubicon-Gemeinde mit
Tuberkulose infiziert.
1988
Die japanische Daishowa Paper Manufacturing Co. Ltd. bekommt die
Holzeinschlagsrechte für beinahe das gesamte Territorium der
Lubicon zugesprochen. Die Lubicon ziehen sich von kanadischen
Gerichten zurück und erklären sich zu einer
souveränen Nation. Sie besetzen ein 10.000 Quadratkilometer
großes Ölfeld, auf dem sie traditionell gejagt und
Fallen gestellt hatten. 27 Indianer werden verhaftet, aber
Premierminister Don Getty und Chief Bernard Ominayak treffen sich
und handeln ein Landabkommen aus. Endlich scheint ein Sieg der
Lubicon nahe.
1989
Bundesbeauftragte legen ein endgültiges "take-it-or-leave-it
settlement offer" auf den Tisch, welches die wesentlichen Punkte
vollständig ignoriert. Als die Lubicon das Angebot ablehnen,
"erschaffen" die Bundesbehörden einen neuen Indianerstamm,
der Ansprüche auf das Gebiet der Lubicon erhebt.
Bundesbeamte schreiben die Geschichte um, als sie eine Eingabe
zur Schaffung des neuen Stammes bei der Menschenrechtskommission
der Vereinten Nationen einreichen.
1991
In einer Volksbefragung, die von schweren
Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet ist, ratifiziert der
neue Stamm ein Landabkommen, das von den Bundesbehörden
angeboten wurde. Jedem Wählern wird fünfzig Dollar
für das Wählen selbst ausgezahlt und allen
Stammesmitgliedern werden 1.000 Dollar versprochen, falls das
Wahlergebnis "ja" lautet. Später stellen die Mitglieder
fest, dass das Geld von den Sozialhilfebezügen abgezogen
wird. Die japanische Daishowa Paper Manufacturing Co. Ltd.
bereitet sich zur Rodung des Lubicon Territoriums im
Kahlschlagverfahren vor, zieht sich aber angesichts des
allgemeinen Widerstands gegen das Vorhaben für die Saison
1991-1992 wieder zurück.
John Goddard und Oliver Kluge - aus: Coyote - Informationen und Berichte zur Situation nordamerikanischer Indianer - www.coyote-online.de/lubiconsp/index.html