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Roma-Familie steht vor den truemmern ihrer Existenz / Famiglia Rom davanti alle rovine della propria casa; Foto: T. Zuelch

Bis der letzte "Zigeuner" das Land verlassen hat

Massenvertreibung der Roma und Aschkali aus dem Kosovo

Report von Tilman Zülch

Auszüge aus Teil I [Fact-Finding Mission von Tilman Zülch, 04.08. - 18.08.1999]

INHALT
Aufgabenstellung* Auch die Albaner waren Opfer * "Ethnische Säuberung" an Roma und Aschkali
Roma und Aschkali im Kosovo * Zerstörte Roma Siedlungen * Tote und Verschwundene * Rechtfertigungen der Albaner
UCK-Führung ist mitverantwortlich* Kampagne und Empfehlungen der GfbV

Menschen mit dunkler Hautfarbe, Angehörige der Roma- und Aschkali-Minderheiten, können ohne Gefahr für Leib und Leben in den Städten des Kosovo heute Straßen und öffentliche Plätze nicht mehr betreten. Große Teile der kosovo-albanischen Bevölkerung, ein Jahrzehnt lang Opfer der Apartheid-Politik Serbiens, unterstützen, befürworten oder entschuldigen eine Politik der strikten "Rassen"-Trennung. Innerhalb von nur drei Monaten wurde der größte Teil der Minderheiten indischer Abstammung, seit Jahrhunderten im Kosovo ansässig, aus ihren Heimatorten vertrieben und aus dem Lande gejagt. Die meisten ihrer Häuser, Dörfer und Stadtteil-Siedlungen wurden zerstört. Etwa drei Viertel der Roma und Aschkali müssen heute in Flüchtlingslagern oder Elendsquartieren in den Nachbarländern Montenegro, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien oder Albanien leben. Tausende wagen die gefährliche Flucht in überfüllten, zerbrechlichen Schiffen und Booten nach Italien. Nicht wenige von ihnen sind in der Adria ertrunken. Viele der im Kosovo gebliebenen Roma und Aschkali leben in Lagern des UNHCR für "displaced persons". Sie sind Flüchtlinge im eigenen Land.

oben AUFGABENSTELLUNG
Als Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International (GfbV) war Tilman Zülch vom 4. bis 18. August 1999 im Kosovo. Dort sprach er mit Roma- und Aschkali-Flüchtlingen in einem vom UNHCR betreuten Lager für diese Minderheiten, hielt Zeugenaussagen und Erfahrungsberichte fest, überprüfte Angaben über Plünderungen und Zerstörungen von Roma- und Aschkali-Siedlungen und –Stadtvierteln vor Ort durch die dort verbliebene oder zurückgekehrte albanische Bevölkerung. Die Ergebnisse dieser Recherche sind im ersten Teil des Reports festgehalten.

oben AUCH DIE ALBANER IM KOSOVO WAREN OPFER
Bevor die Roma- und Aschkali-Minderheiten der Vertreibung durch Kosovo-Albaner ausgesetzt wurden, war die albanische Bevölkerung seit März 1998 Opfer furchtbarster Verbrechen der serbischen Armee, Polizei und Milizen geworden. Wird die Zahl der Vermissten einbezogen, muss heute realistischer Weise davon ausgegangen werden, dass bis zu 20.000 Menschen von serbischen Truppen ermordet wurden. Weitere 20.000 Albaner – Alte, Kranke, Verwundete, Behinderte, Kleinkinder und Säuglinge werden die Vertreibung in die Nachbarstaaten und die Flucht in die Berge und Wälder des Kosovo nicht überlebt haben. Diese Menschen werden höchstwahrscheinlich auch im Kosovo von keiner Statistik erfasst, aber auch sie sind Opfer von Völkermord. Rür ihren Tod ist ebenfalls das Milosevic-Regime verantwortlich. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hatte bereits in den ersten Juni-Tagen 1999, noch vor dem Einmarsch der KFOR-Truppen im Kosovo, in der umfangreichen Dokumentation "Genozid im Kosovo" (liegt auch in englischer Sprache vor) nachgewiesen, daß die serbische Armee, Sonderpolizei und Paramilitärs Völkermord an der albanischen Bevölkerung verübt und somit die Konvention der Vereinten Nationen zur Verhütung und Bestrafung des Genozids verletzt haben.

Die jahrzehntelange Unterdrückung des Kosovo seit der Einverleibung der Provinz in das serbische Königreich nach den Balkan-Kriegen 1912/1913 hat ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Albanern Jugoslawiens geschaffen und erklärt vielleicht den aggressiven Nationalismus, der nach der Befreiung des Kosovo durch NATO-Truppen unter weiten Teilen der Bevölkerung vorherrscht.

Alle Strukturen albanischer staatlicher Autonomie wurden seit 1989 von der Regierung Milosevic schrittweise liquidiert. Seit dem Einmarsch der KFOR-Truppen hat sich der aufgezwungene serbische Staatsapparat im Lande innerhalb weniger Tage aufgelöst. So herrschte in den Wochen und Monaten seit Kriegsende Juni 1999 bis heute weitgehende Anarchie im Land, die nur teilweise durch die Intervention der KFOR-Truppen zurückgedrängt wurde. Vandalenakte aller Art, Racheaktionen albanischer Zivilisten, gezielte Übergriffe von Seiten bewaffneter UCK-Verbände und Aktionen einer sich formierenden, teilweise aus Albanien zugereisten Mafia nutzen das Fehlen von Polizei, Gerichten und Behörden.

Dennoch ist es nicht zu entschuldigen, dass sich größere Teile der albanischen Bevölkerung mit barbarischen Akten gegen unbeliebte Minderheiten wenden. Die serbische Bevölkerung im Land wurde zu Unrecht kollektiv für den Genozid und die Massenvertreibung verantwortlich gemacht. Die Verbrechen an Roma und Aschkali können nicht mit angeblichen Plünderungen und Kriegsverbrechen einzelner Angehöriger dieser Minderheiten entschuldigt werden.

oben "ETHNISCHE SÄUBERUNG" AN ROMA UND ASCHKALI
Säuberung" an den Volksgruppen der Roma und Aschkali begangen. Bei dieser "ethnischen Säuberung" wurde kein Genozid nach serbischem Vorbild begangen, sondern demonstriert, dass eine Massenflucht allein durch Drohung, Einschüchterung, durch einzelne Misshandlungen, Vergewaltigungen, Entführungen und Morde zu erreichen ist. Ob der Vertreibung ein Massensterben in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer folgt, ist noch nicht abzusehen. Nach Artikel II, Absatz c) der UN-Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 09.12.1948 könnte ein solches Massensterben dazu führen, dass gegen die für die Massenvertreibung der Roma und Aschkali verantwortlichen Albaner der Vorwurf des Genozids erhoben werden kann.

Die albanische Bevölkerung des Kosovo und ihre politische Bewegung, die unter Rugova ein Jahrzehnt lang gewaltlosen Widerstand geübt hat, ist dabei, ihren guten Ruf zu verlieren. Hunderttausende Albaner müssen Zeuge der Vertreibungen der "kosovarischen "Zigeuner" geworden sein, haben täglich die von ihren Landsleuten zerstörten Roma-Viertel vor Augen. Doch große Teile der Bevölkerung entschuldigen die Misshandlungen und Vertreibungen. Bisher regte sich wenig Widerstand bei albanischen Journalisten, Intellektuellen, Parteien und der bewaffneten Widerstandsbewegung UCK, die vielfach an dem Pogrom beteiligt war. Zwei Drittel der Siedlungen und Häuser der Roma und Aschkali wurden niedergebrannt. Täglich werden Zerstörungen und Vertreibungen fortgesetzt.

Es muss für jeden Europäer unerträglich sein, dass eine Minderheit, mit deren Ausrottung Hitler begonnen hatte, dass ein Volk, das seit einem Jahrtausend auf unserem Kontinent ansässig ist, kollektiv verfolgt wird, in einer europäischen Region, die durch die Anstrengungen europäischer Regierungen ihre Freiheit erhielt und dessen vertriebene Bevölkerung zurückkehren konnte. Weil unter den Nationalsozialisten von Deutschland und Österreich schon einmal ein Völkermord an Sinti und Roma ausging, muss es vor allem für diese beiden Länder unerträglich sein hinzunehmen, dass europäische Landsleute, nur weil die meisten von ihnen eine dunklere Hautfarbe haben als die anderen Einwohner des Kosovo, verfolgt und vertrieben werden. Die GfbV beklagt auch, dass die Truppen der KFOR ihre Aufgabe vielfach so ungenügend wahrnimmt, vor allem jene zu schützen, denen heute die Vertreibung droht. Es ist unverständlich, dass man einige der noch bewohnten, aber ständig bedrohten Siedlungen der Roma und Aschkali nicht rund um die Uhr zu schützen bereit ist.

oben ROMA UND ASCHKALI IM KOSOVO
Im Kosovo waren vor der Vertreibung etwa 150.000 Roma und Aschkali ansässig, von denen allerdings etwa 30.000 in den Jahren vor Kriegsausbruch als politische Flüchtlinge nach Westeuropa emigriert waren. Von diesen dürften sich etwa 20.000 in Deutschland aufhalten.

Nach der NATO-Intervention wandten sich albanische Extremisten, zurückkehrende albanische Flüchtlinge, häufig auch albanische Nachbarn der Roma und Aschkali und vielfach uniformierte und bewaffnete UCK-Mitglieder überall im Kosovo gegen die Minderheiten. Sie bedrohten Kinder, Frauen und Männer vielfach mit dem Tode, schüchterten sie ein und forderten sie – nicht selten mit vorgehaltener Waffe - ultimativ auf, ihre Häuser und Wohnorte zu verlassen. Oft setzten sie ihnen eine Frist von wenigen Minuten oder Stunden. Viele Roma und Aschkali konnten nur mit der Kleidung, die sie auf dem Leibe trugen, entkommen.

In der Regel wurden die Häuser geplündert, Einrichtungsgegenstände, Fernseh- und Videogeräte, Autos und in Einzelfällen auch Traktoren gestohlen. Ironisch sagten uns Aschkali-Familien, die als einzige in ihren Stadtteilen zurückgeblieben waren, die albanische Art zu plündern sei gründlicher als die serbische, weil auch Ziegelsteine und Dachziegel mitgenommen würden. Häufig wurden Wagen der Minderheitenangehörigen angehalten und konfisziert.

In der Mehrheit der Fälle wurden dann die Häuser in Brand gesetzt oder mit anderen Mitteln zerstört, in nicht wenigen Fällen aber auch von Nachbarn oder von albanischen Rückkehrern, deren Häuser von serbischen Truppen zerstört worden waren, in Besitz genommen. Nach unseren groben Schätzungen könnten zwei Drittel der Häuser der beiden Minderheitengruppen zerstört worden sein.

oben Aus folgenden Städten, Dörfern und Stadtteilen liegen uns Informationen über die vollständige oder teilweise Zerstörung von Roma- und Aschkali-Vierteln vor:

Berrnice (albanisch)/Velika Brnica (serbisch) Breko (a./s.)
Brest/Bresje
Brestovc/Brestovica
Dobratin/ Mala/ Velika Dobraja
Doran/Doranja
Doshevac/Dosevac
Fushe Kosova/Kosovo Polje
Golesh/Goles
Han i Elezit/Ðeneral Jankovic
Kolubar/Kulobarska
Landovic/Landovica bei Prizren
Ruine, vom Rauch geschwaerzt / Rovine annerite dal fumo; Foto: T. Zuelch
Lipljan/Ljipljane
Magure/Magura
Malisheva/Malisevo
Medvegje/Medvec
Mitrovica/Kosovska MitrovicaObiliq/Obilic
Plementin/Plementina
Podujeva/ Podujevo
Pomazatin/ Pomazatina
Pristina
Qungur/Cungur bei Peja/Pec
Rahovec/Orahovac
Rasadnik bei Mitrovice/Kosovska Mitrovica
Skenderaj/Srbica
Subotic (Variante: Sobotic)/Subotica
Uji Kuq/Crvene Vodica
Vitomira bei Peja/Pec
Vranidolle/Vranidol
Vushtrri/Vucitern

oben TOTE UND VERSCHWUNDENE
Angehörige der Minderheiten wurden bei den Vertreibungen nicht nur bedroht. Es kam auch häufiger zu Misshandlungen, Entführungen, verbunden mit Folter, zu einzelnen Vergewaltigungen und zu Morden. Vielfach sind Menschen verschwunden oder gelten als vermisst. Mindestens in einem Fall wurde ein Rom, ein behinderter Mann, in seinem Haus verbrannt. Die Zahl der Ermordeten oder bei der Vertreibung Umgekommenen ist derzeit schwer zu beziffern. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die albanischen Zeugen zur Zeit in ihrer großen Mehrheit weder der KFOR noch Vertretern des Haager Tribunals oder westlichen Journalisten Informationen über derartige Verbrechen geben. Die Mehrheit der Roma- und Aschkali-Augenzeugen befindet sich inzwischen außerhalb des Kosovo. Wir müssen zur Zeit annehmen, dass die Zahl der Morde an Angehörigen dieser Minderheit noch unter 50 liegt und dass andererseits wahrscheinlich mehrere hundert Roma und Aschkali "verschwunden" sind. Weitere Tausende haben seit Beginn der Vertreibungen keinen Kontakt mehr zu Familienangehörigen.

In verschiedenen Fällen versuchten albanische Nachbarn - zum Teil mit Erfolg - , sich für die von der Vertreibung bedrohten Roma und Aschkali einzusetzen. Meistens setzten sich aber albanische Extremisten, feindliche Nachbarn oder UCK-Leute durch. In einigen Orten wie z. B. in Podujevo verhinderte die Bevölkerung die Vertreibung der Minderheiten. So durften in Podujeva/ Podujevo über 1.500 Aschkali bleiben. Mancherorts versuchten auch UCK-Leute, Vertreibungen zu verhindern. ie Minderheiten-Angehörigen und -Gemeinschaften gaben fast überall den Drohungen nach und verließen in panischer Angst ihre Heimatorte. Es scheint, dass da, wo Roma- oder Aschkali-Gruppen sich dem Druck nicht beugten, nicht immer massive Gewalt gegen sie ausgeübt wurde.

Wo Roma- oder Aschkali-Gemeinschaften in ihren Dörfern oder Stadtteilen geblieben sind, müssen sie dennoch mit Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen rechnen, wenn sie ihre Siedlung oder das Stadtgebiet verlassen. In Podujeva/ Podujevo etwa klagen die Angehörigen der Aschkali, dass sie außerhalb der Stadt ihrer Arbeit nicht nachgehen können und massiv bedroht werden. Eine 16-köpfige Aschkali-Familie, die einer albanischen Familie in Pristina während der Kriegsmonate das Leben rettete, kann z.B. ihren winzigen Hof nicht verlassen. Sie werden bei jedem Versuch, auch nur einzukaufen, massiv eingeschüchtert und sogar angegriffen. Wer sich heute mit dunkler Haut auf Plätze und Strassen des Kosovo wagt, muss damit rechnen, dass er beleidigt, verunglimpft, angerempelt oder sogar misshandelt wird.

oben RECHTFERTIGUNGEN
Große Teile der albanischen Bevölkerung, auch wenn sie nicht an den Übergriffen beteiligt sind, entschuldigt, erklärt oder legitimiert dennoch die kollektive Verfolgung dieser Minderheitengruppen mit der angeblichen Beteiligung von Roma oder Aschkali an Plünderungen, der Beerdigung oder Beseitigung von getöteten Albanern oder die Teilnahme an Kriegsverbrechen. Nur zweimal allerdings konnten Albaner, die derartige kollektive Anschuldigungen erhoben, gegenüber der Gesellschaft für bedrohte Völker bestätigen, dass sie Augenzeugen solcher Akte gewesen waren.

Die überwiegend feindliche Haltung der albanischen Bevölkerung gegenüber den Minderheiten ermöglicht die kollektive Massenvertreibung. Diese wird weiter durch das monatelange Fehlen von lokaler Polizei, Justiz und Verwaltung begünstigt. Die KFOR hat in vielen Fällen die Minderheitenangehörigen unzureichend geschützt, in ihren Siedlungen keine kontinuierliche militärische Präsenz gezeigt, bei Verfolgung von Roma- und Aschkali-Angehörigen häufiger nicht interveniert oder "Auseinandersetzungen" nur angehalten, ohne das Recht auf Wohnung und Gesundheit der Bedrohten durchzusetzen, und hat diese vielfach in die Nachbarländer eskortiert und somit die Vertreibung begünstigt.

Der extremistische Teil der albanischen Bevölkerung hat offensichtlich mit Unterstützung oder Duldung von großen Teilen der UCK eine Politik der "ethnischen Säuberung" der beiden alteingesessenen Minderheiten der Roma und Aschkali durchgeführt und weitgehend abgeschlossen. "Ethnische Säuberung" verstehen wir hier als Massenvertreibung einer Volksgruppe, ohne den genozidalen Charakter, den die Politik der "ethnischen Säuberung" in Ostslawonien (1991-1992), Bosnien-Herzegowina (1992-1995), der kroatischen Krajina (1995) und im Kosovo (1998-1999) angenommen hatte. Wir müssen davon ausgehen, dass diese Massenvertreibung der Roma und Aschkali systematischen Charakter hat und von der UCK-Führung gesteuert oder wenigstens toleriert worden ist.

oben UCK-FÜHRUNG MITVERANTWORTLICH
Zwar wurde die Massenflucht und -vertreibung der Roma und Aschkali in den Monaten seit dem Einmarsch der KFOR-Truppen Mitte Juni 1999 von einzelnen einzelnen Verbrechen wie Folterungen, Entführungen, Vergewaltigungen und Morden begleitet. Doch kann hier noch nicht von planmäßigem Genozid gesprochen werden. Allerdings müssen die Täter, darunter weite Teile der UCK und wahrscheinlich auch deren Führung, durch Handeln oder Unterlassen die Verantwortung nicht nur für die Massenvertreibung, sondern auch für den Tod von einzelnen, Säuglingen, Kleinkindern, Alten, Kranken, Behinderten und Verwundeten übernehmen, die an den Folgen von Flucht und Vertreibung gestorben sind oder sterben werden. Dazu gehören auch jene, die während der Flucht nach Italien in der Adria ertrunken sind. Die Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern, vor allem in Serbien und Montenegro, lassen befürchten, dass hier im Herbst und Winter ein Massensterben einsetzen könnte. Erste Fälle von Hepatitis sind bereits aufgetreten.

Schuldzuweisungen an Roma und Aschkali, diese hätten kollektiv Menschenrechtsverletzungen an der albanischen Bevölkerung begangen, müssen zurückgewiesen werden. Täter sind immer Einzelpersonen. Es gibt Zeugenaussagen, nach denen sich einzelne Roma oder Aschkali an Plünderungen albanischen Eigentums, an Misshandlungen oder Morden der serbischen Truppen beteiligt haben sollen. Andererseits belegen Zeugenaussagen, dass nicht wenige Angehörige der albanischen Mehrheit Eigentum von Roma und Aschkali geplündert und zerstört haben. Auch diejenigen Roma und Aschkali wurden nicht verschont, die von serbischen Truppen verfolgt wurden, durch Morde serbischer Einheiten Verwandte verloren haben, vor serbischen Truppen in die Nachbarländer oder in andere Teile des Kosovo geflüchtet waren und nach der NATO-Intervention zurückgekehrt waren.

oben GfbV BEGINNT KAMPAGNE
Die GfbV konnte schon einmal in ihrer Geschichte eine Wende für eine Gruppe der Roma, nämlich die deutschen Sinti und Roma, herbeiführen. Damals gelang es, weltweite Publizität für diese Minderheit zu mobilisieren und eine Änderung deutschen Sinti-Roma-Politik herbei zu führen.

Daran müssen wir jetzt anknüpfen. Diese Dokumentation, die in deutscher, englischer und albanischer Sprache erscheint, soll dazu beitragen, dass es zu einer Rettungsaktion für die Roma und Aschkali des Kosovo kommt. Gleichzeitig wird die GfbV eine gezielte Menschenrechtskampagne für die Roma und Aschkali starten.

oben EMPFEHLUNGEN der Gesellschaft für bedrohte Völker
1. Die Vertreter von NATO, UN, EU, der USA und die europäischen Regierungen müssen mit einer öffentlichen Erklärung die Politik der "ethnischen Säuberung", d.h. der Massenvertreibung der ethnischen Gemeinschaften der Roma und Aschkali, und dem bestürzenden Rassismus von größeren Teilen der kosovo-albanischen Bevölkerung Einhalt gebieten.

2. Die Fortsetzung der Wirtschaftshilfe für den Kosovo muss vom Wohlverhalten der albanischen Bevölkerung gegenüber den Minderheiten abhängig gemacht werden.

3. Die führenden kosovo-albanischen Parteien und Institutionen werden aufgefordert, umgehend die Verbrechen an den Volksgruppen der Roma und Aschkali zu verurteilen, öffentlich ihren Schutz zu proklamieren und ihre Mitglieder zu mobilisieren, um in Städten und Dörfern gegen jegliche Diskriminierung und Angriffe gegen diese Minderheiten einzuschreiten. Sie müssen sich für die Versöhnung zwischen der albanischen und der Roma- und Aschkali-Bevölkerung einsetzen.

4. Die UCK muss die Täter innerhalb und außerhalb ihrer Reihen ermitteln und ihre Namen an die internationalen Institutionen weitergeben. Von der UCK wird außerdem verlangt, die Repatriierung der geflüchteten und vertriebenen Roma und Aschkali mit konkreten Maßnahmen zu unterstützen.

5. Die KFOR soll gemeinsam mit der internationalen Polizei wirksame Maßnahmen zum Schutz der Roma und Aschkali-Siedlungen treffen und in der kosovarischen Öffentlichkeit durchsetzen, dass sich Roma und Aschkali ungehindert in den Städten und Dörfern des Kosovo bewegen können. In allen Roma- und Aschkali-Siedlungen müssen Tag und Nacht KFOR und Polizei zum Schutz der bedrohten Bevölkerung präsent sein.

6. Roma und Aschkali müssen - ihrem prozentualen Anteil an der Bevölkerung entsprechend - in das entstehende Polizeikorps des Kosovo aufgenommen werden. In den Roma- und Aschkali-Siedlungen müssen gemischte Polizeikräfte eingesetzt werden, in denen immer Angehörige der beiden Minderheiten mit mindestens 50 Prozent vertreten sind.

7. Roma und Aschkali müssen - ihrem prozentualen Anteil an der Bevölkerung entsprechend - bei der Einstellung von Arbeitskräften in den Betrieben berücksichtigt werden. Bis zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung muss die UN-Verwaltung auf die angemessene Beteiligung der ethnischen nicht-albanischen Minderheiten des Kosovo bei der Stellenverteilung achten.

8. Die UN-Administration muss umgehend öffentlich erklären, dass das Eigentum der geflüchteten und vertriebenen Roma- und Aschkali-Bevölkerung unantastbar ist und dass jede Besetzung von Häusern, Grund und Boden, Betrieben und sonstigem Eigentum der Minderheiten als krimineller Akt betrachtet wird.

9. Die UN-Administration muss sofort mit dem Wiederaufbau der zerstörten Siedlungen der Roma und Aschkali beginnen. Dieser Wiederaufbau muss voll aus dem Wiederaufbaufond für den Kosovo bestritten werden. Die albanischen Extremisten müssen spüren, dass sie mit der Zerstörung des Eigentums der Minderheiten auch die Wiederaufbaumittel der albanischen Mehrheit beeinträchtigen.

10. UNO und NATO werden aufgefordert, parallel zu dem beginnenden Wiederaufbau mit der Repatriierung der seit dem März 1998 (URSPRÜNGLICH 99)bzw. seit Mitte Juni 1999 in die Nachbarstaaten Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina sowie nach Italien oder in andere westeuropäische Staaten geflüchteten Roma und Aschkali zu beginnen.

11. Der UNHCR wird aufgefordert, vernünftige, akzeptable Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern für Binnenvertriebene ("displaced persons") im Kosovo herzustellen z.B. in Obiliq/Obilic, Zvecan bei Mitrovica und Gjakove/Djakovica.

12. Der UNHCR wird aufgefordert, die Roma- und Aschkali-Flüchtlinge in Serbien und Montenegro als "displaced
persons" anzuerkennen, zu registrieren und sie zu versorgen. Auch die nach Mazedonien, Italien und andere Länder Westeuropas Geflüchteten müssen als Flüchtlinge mit UNHCR-Status registriert und versorgt werden.

13. UNHCR und IKRK müssen einen Suchdienst für vertriebene Roma einrichten und ihnen die Kontaktaufnahme mit ihren Verwandten in Europa ermöglichen.

14. Die Regierungen der europäischen Staaten werden aufgefordert, die Vertriebenen aus dem Kosovo aufzunehmen und sie so lange zu versorgen, bis eine Repatriierung möglich und verantwortbar ist.

15. Die europäischen Regierungen werden aufgefordert, die kosovarischen Flüchtlinge der Minderheitengruppen der Roma und Aschkali, die vor Kriegsbeginn im Kosovo bereits als Flüchtlinge in ihren Ländern anerkannt oder geduldet wurden, sowie jene, die während der Kriegsmonate aufgenommen wurden, bis zur Lösung der Nationalitätenfrage nicht in den Kosovo abzuschieben. Ihnen droht dort Gefahr für Leib und Leben.

16. Da ein größerer Teil der Flüchtlinge und Vertriebenen nach den Verfolgungen jede Rückkehr ablehnt, appellieren wir an die Regierungen Europas, Nordamerikas und Australiens, einen Teil der Vertriebenen als Kontingentflüchtlinge aufzunehmen.

17. Die internationale Gemeinschaft muß alle seit März 1998 bis heute im Kosovo begangenen Kriegsverbrechen, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit der Opfer bzw. Täter, sorgfältig dokumentieren. Nur so können kollektive Schuldzuweisungen korrigiert werden.

18. Wir appellieren insbesondere an die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Österreich, eingedenk der Verfolgung von Sinti und Roma im Dritten Reich, sich in den europäischen und internationalen Institutionen für Roma und Aschkali einzusetzen. Deutschland muss seinen Einfluss im Kosovo für das Wohl dieser bedrohten Minderheiten nutzen.

19. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat den von Adem Demaci gegründeten kosovarischen Rat zur Verteidigung der Menschenrechte und Freiheiten (Council for the Defence of Human Rights and Freedoms CDHRF) in einem Gespräch in Pristina gebeten, sich jetzt konsequent und vordringlich für die Rechte der Minderheiten der Serben, Roma und Aschkali einzusetzen. Der Rat wird insbesondere gebeten, sein weit verzweigtes Mitarbeiternetz für die Sicherheit der Roma und Aschkali einzusetzen, öffentlich in Städten und Gemeinden für sie einzutreten, ihre Siedlungen regelmäßig aufzusuchen, Menschenrechtsverletzungen an ihnen zu dokumentieren und ihre Rückkehr aktiv zu unterstützen. Außerdem appelliert die GfbV an den Rat, Angehörige von Minderheiten zur aktiven Mitwirkung einzuladen.

oben IMPRESSUM: Copyright Gesellschaft für bedrohte Völker * Konzeption, Texte und Fotos: Tilman Zülch. Der komplette ca. 60 seitige Report (Din a 4) kann gegen Schutzgebühr von DM 10.00 bei der Gesellschaft für bedrohte Völker bestellt werden. e-mail: Fabian Koch - Herausgegeben am 6. September 1999

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