von Wolfgang Mayr
Seit 28 Jahren hält das mit dem Westen verbündete
arabisch-islamische Königreich Marokko das wüstenhafte
Land der Sahrauis als Geisel. Das hehre Prinzip der
Selbstbestimmung, das arabische Länder für das von
Israel besetzte Palästina ständig lauthals einfordern,
gilt hier nicht. Marokko kontrolliert drei Viertel der westlichen
Sahara. Eine mehr als 2.000 Kilometer lange
Sicherheits-HighTech-Mauer teilt West-Sahara auf, grenzt die
marokkanische Kolonie vom kleinen Rest der freien West-Sahara ab.
Dort verwaltet die ehemalige Befreiungsbewegung Frente Polisario
ihre "Demokratische Arabische Republik Sahara". Das
Königreich hingegen säuberte das annektierte Land von
den Sahrauis. Von den einst geschätzten 700.000 Sahrauis
leben nur mehr 50.000 in der neuen marokkanischen Provinz; mehr
als 175.000 leben im Exil, in Flüchtlingslagern in Algerien,
das sich als Schutzmacht der Sahrauis ausgibt.
Die West-Sahara ist im festen Griff der Marokkaner. Mehr als
200.000 Siedler und weitere 200.000 Soldaten aus Marokko haben
die Bevölkerungsstruktur umgekrempelt. Die Sahrauis werden
diskriminiert und ausgegrenzt, sind zu einer zu
vernachlässigenden Größe geworden, zu einer
machtlosen Minderheit. Ihre Hoffnung, mit einem Referendum zur
Unabhängigkeit zu kommen, ist unrealistisch geworden. Trotz
seiner militärischen Überlegenheit ist es Marokko nicht
gelungen, die Polisario-Partisanen zu besiegen. Deren heftiger
Widerstand führte immerhin 1991 dazu, dass sich die UNO zur
Mission für ein Referendum in der West-Sahara durchrang.
Seit 13 Jahren boykottiert Marokko diese Mission, lässt
trotz eines einseitigen Waffenstillstandes die Luftwaffe Bomben
auf Ziele in der Polisario-Republik und auf Flüchtlingslager
in Algerien abwerfen. Franzosen und US-Amerikaner drängen in
der UNO auf eine Minimal-Lösung, für Autonomie und
gegen die Unabhängigkeit. Der UN-Sicherheitsrat
verlängerte - wegen der Irak-Krise und -Krieges -
völlig unbemerkt die UN-Mission für die West-Sahara.
Das Mandat lief Ende Mai 2003 aus.
Auch wenn die Mission noch einmal verlängert wird,
ändert das wenig an der Zukunft der Sahrauis. Marokko hat
unverrückbare Fakten geschaffen - die Marokkaner sind die
neuen Herren dieses Landes. Marokko vergibt Fischereirechte an
der Küste der West-Sahara und Schürfrechte an die
Ölfirmen Kerr-McGee sowie TotalFinaElf. Die sahrauische
Minderheit wird überwacht und drangsaliert, sie ist weit
entfernt vom - wenn auch äußerst blutigen -
palästinensischen Autonomieprozess. Die marokkanische
Herrschaft ist unumkehrbar geworden. Das Königreich hatte
die Chance mit aller Härte ausgenutzt, die Spanien 1975
(nach entsprechender UNO-Forderung nach Entkolonialisierung und
der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes) mit seinem
Rückzug aus einer seiner letzten Kolonien bot. Mehr als
300.000 "Freiwillige" - rekrutierte Slumbewohner - holten mit
einem "Grünen Marsch" die West-Sahara symbolisch für
ihren König "zurück". Die nachrückende Armee
setzte mit brutaler Gewalt den "Anschluss" der rohstoffreichen
ehemaligen spanischen Kolonie an Marokko durch.
Marokko setzte sich damit nicht nur über die UNO-Resolution
hinweg, sondern auch über ein Urteil (16. Oktober 1976) des
Internationalen Gerichtshofes in Den Haag. Laut diesem gibt es
keine rechtliche Grundlage für marokkanische
Gebietsansprüche, genauso handelt es sich bei der
West-Sahara um - so die spanische Darstellung - Niemandsland.
Doch den König kümmerte das wenig. Er ließ seine
Truppen Fakten schaffen und überzog die West-Sahara mit
Krieg. Zehntausende Städter und Dörfler flohen vor der
marodierenden Armee in die Wüste. Mit Phosphor- und
Napalmbomben tötete die Luftwaffe mehr als 25.000
Flüchtlinge. Die für die Unabhängigkeit
kämpfende Befreiungsbewegung Polisario zog sich in den Osten
des Landes zurück. Ihr gelang es, den zweiten angreifenden
Staat, Mauretanien, militärisch in Schach zu halten, und
erzwang damit einen Friedensvertrag. Mauretanien erkannte das von
der Polisario beherrschte Gebiet als "Demokratische Arabische
Republik Sahara" an.
Bei der jüngsten Session der UN-Menschenrechtskommission in
Genf beklagten Polisario-Vertreter die Untätigkeit der
UN-Mission in der West-Sahara. Die UNO ist zu einem
Befriedungsinstrument Marokkos geworden. Die UNO-Resolutionen zum
Thema interessieren nicht, auch weil die USA, Frankreich und
weitere EU-Länder das Problem West-Sahara als "gelöst"
abgehakt haben. Trotz besseren Wissens - es war immerhin der
hochrangige US-Beamte Frank Ruddy der UN-Mission, der auf einer
Sondersitzung der 4. UN-Kommission für besondere politische
Fragen und Dekolonialisierung im Oktober 2002 ungeschminkt
Klartext sprach. Seine Vorwürfe sind bis heute nicht
entkräftigt oder gar widerlegt worden: Marokko hat alles
unternommen, das Referendum zu verhindern. Zuerst wurden laut
Ruddy die Wählerverzeichnisse manipuliert, Tausenden
Sahrauis das Wahlrecht entzogen. Die Besatzungstruppen
terrorisierten nach Protesten die sahrauische Minderheit. Eine
Politik, die nach dem untergegangenen südafrikanischen
Apartheid-Regimes schmeckt. Frank Ruddy warf der UNO vor, dem
marokkanischen Treiben tatenlos zuzusehen. Letztendlich ist die
UN-Mission für ein Referendum in der West-Sahara zu einem
Instrument des marokkanischen Staates geworden, die
Kolonialisierung der Heimat der Sahrauis zu vollenden.
Die Resolution des UN-Sicherheitsrates zur Lösung des
West-Sahara-Problems bleibt unerfüllt. Auch deshalb, weil
der Sondergesandte des UN-Generalsekretärs,
Außenminister James Baker der Regierung Bush sen., eine
gerechte Lösung in einer wie auch immer gearteten Autonomie
sieht. Die Entscheidungen sind wohl gefallen, zugunsten Marokkos,
zum Schaden der Polisario und der geschrumpften "Arabischen
Republik Sahara". Es verwundert deshalb auch nicht, darauf
verweist die "Gesellschaft der Freunde des Sahrauischen Volkes"
in ihrem "Sahara-Info" (April 2003), dass einst zentrale Leute
der Widerstandsbewegung überlaufen. Im September 2002 war es
Lahib Ayoub, Polisario-Mitbegründer und Armeechef, der sich
dem marokkanischen König unterwarf. Der Frontenwechsel sei
ein Signal auch dafür, befürchtet das "Sahara Info",
dass die archaisch anmutende Befreiungsbewegung außer
Stande ist, sich zu verändern. Die "Überläufer"
sind beunruhigende Verboten von Rissen einer erstarrten
Polisario. Ayoub zerwarf sich mit Republiks-Präsidenten
Mohamed Abdelaziz auch wegen der fehlenden Demokratisierung von
Republik und Front. Die Polisario und ihr Traum von staatlicher
Unabhängigkeit zerbrechen am undemokratischen Marokko, weil
sie wandlungsunfähig ist? Die West-Sahara und die Sahrauis:
Opfer der kalten Schulter des demokratischen Westens.
Weitere Informationen: Gesellschaft für Freunde des
Sahrauischen Volkes, Paganinistr. 9, D-81247 München
Aus pogrom-bedrohte Völker 219 (3/2003)