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SAHRAUI

EIN VOLK IM EXIL

Frauen in der Wüste, im Hintergrund ihr Zeltlager. Foto: Giorgio FornoniDieses Volk ist mit leeren Händen losgezogen: Zurückgelassen wurden Haus, Vieh, Hab und Gut, die eigenen Lieben. Vom Hass der Besetzer ins Exil gedrängt, hat dieses Volk den Kampf und den Widerstand mit Blut und Tränen gesegnet. Weit weg vom eigenen Land, aber vereint, hat es den Weg in die Berge gewählt. Nackt, hungrig, ohne jegliche Art des Wohlstands schreit es nach Freiheit und Unabhängigkeit, und opfert dafür seine besten Söhne. Etwas anderes interessiert es nicht. Dieses Volk ist nicht des Lebens müde, aber für die kommenden Generationen fürchtet es den Scham des Sklaventums ...

Den traurigen und wütenden Blick des Mannes, der mir gegenüber saß, konnte ich ganz einfach nicht vergessen: Beide saßen wir auf einem Teppich in einem verblichenen Zelt in der Wüste von Hammada in El Ayun villaja de Dora. Er trug seinen grauen Sufi, einen schwarzen Turban auf dem Kopf und war barfuß; ich hatte meine Jeans, ein kariertes Hemd und eine Jacke im Safari-Stil an. Zwei Männer aus verschiedenen Welten mit verschiedenen Lebensgeschichten, die aber beide der gleichen Zeit, dem dritten Jahrtausend, angehörten.

Mohamed Chej Bidella, der Mann, war ein Poet, ein Minnesänger der Tragödie der Sahrauis. Es war im Dezember 1996 als er auswendig und mir fest in die Augen schauend seine Verse vortrug: "Dieses Volk ist mit leeren Händen losgezogen ..." Ich verstand zwar den Sinn seiner Worte nicht (er sprach Assanja-Arabisch), trotzdem aber lief mir ein Schauer über den Rücken. Mir war plötzlich klar, dass ich aus dem Teufelskreis, an dem unsere Konsumgesellschaft festhält, und der uns andauernd unzufrieden fühlen lässt, ausbrechen konnte. Unsere vielen uberflüssigen Wünsche lassen uns alle zu oft den wahren Sinn des gemeinsamen Lebens vergessen.

Karte der WestsaharaIm Süd-Westen Algeriens kämpfen in der Hammada, dem unfreundlichsten Teil der Sahara, beinahe 200.000 Flüchtlinge ums Überleben
Auf Grund der langen Abwesenheit der Männer, die seit 25 Jahren einen blutigen Befreiungskampf führen, ist die Rolle der Frauen immer wichtiger geworden. Sie sind nicht nur Mütter und Alleinerzieherinnen, sondern auch aktiv in der Verwaltung der Zeltlager tätig.
Eine dieser Frauen ist Suad Lagdaf. Ich habe sie ein Jahr vor meiner Reise bei einer Kulturveranstaltung zu Gunsten der Sahrauis in Messina kennegelernt. Ihre Art über ihr Volk zu sprechen, seine Geschichte zu erzählen, hatten mich sehr getroffen. Mit ihren Worten voller Wut und Wärme hatte sie mich in ihre Welt entführt. Damals habe ich mich entschlossen, diesem Volk ein Buch zu widmen.
Meine Geschichte fängt mit der Geschichte von Suad Lagdaf, mit den vehementen und liebevollen Worten einer Sahraui-Frau, an.

Geschichte der Suad Lagdaf aus der Wüste von Tindouf - Smara Barrio 3

Erinnern, um nicht in Vergessenheit zu sterben ...

"Ich habe von Personen gehört, deren Erinnerungen so weit zurückgehen, dass sie sich in der Zeit verlieren - bis zu den ersten Tagen ihres Lebens. In meinen Kinderaugen scheint nichts festgehalten worden zu sein, oder vielleicht habe ich an einem einzigen Tag zu viel erlebt, als dass noch Platz für anderes gewesen wäre. Von meinem Heimatland, dass nun hinter einer Mauer aus Sand, Steinen, Stacheldraht und Minen in Vergessenheit gerät, bewahre ich nur bruchstückhafte Erinnerungen, wie Lichtblitze in meinem Gedächtnis: Ein grünes Haus, die Eisentür, die den Boden aufgekratzt hat, und die Leute, die vielen Menschen im Haus von El Ayun (die Hauptstadt), und die Tiere, die mein Onkel für seine Suad aus den Bergen brachte - eine Gazelle, einen Affen und eine Katze. Ich kann mich an die Geschichten meiner Großmutter erinnern, und an den Frühling als die Städte - von Dahla am Meer, Boo Craa mit seinen Phosphatvorkommen bis Smara, der antiken Stadt - leer wurden, weil alle Picknicks organisierten.

Dann aber hat der Krieg begonnen, das Durcheinander, das Weinen, wofür habe ich damals nicht verstanden, die Ankunft der Marokkaner, und ich verstand gar nichts. Ich war fünf Jahre alt als mein Volk beschloss, ins Exil zu flüchten: der "grüne Marsch" begann, das Volk hatte sich gegen die Aggressoren erhoben. Es war ein ungleicher Kampf. Die Verantwortlichen des Frente Polisario beschlossen damals, die Bevölkerung aus den Territorien der ehemaligen Spanischen Sahara zu führen, denn das war die einzige Möglichkeit, um weiterhin zu existieren. Die belagerten Städte verwandelten sich in enorme Konzentrationslager und die Flucht war sehr schwierig, vor allem für Frauen, Kinder und alte Leute. Jedes Mittel wurde dazu verwendet: Lastwagen, Pferde oder die Kraft der eigenen Beine. "Jene Tage sind meine ganze Erinnerung. Sie haben meiner Kindheit vieles gegeben: die Farbe, den Lärm, den Geschmack des Sands, der in der Kehle brennt, die Angst vor den Dingen, die wegfließen und nicht mehr wiederkommen, und viele, viele Bilder. Ich erinnere mich an die Soldaten des Polisario, die uns halfen, schnell auf die Lastwagen zu steigen und dabei "Schnell! Schnell!" riefen. Ich verstand den Grund für so viel Eile nicht. "Schnell! Schnell!" Einige konnten noch etwas retten und mitnehmen, andere flohen mit leeren Händen. Auf dem Lastwagen lag ich in den Armen meiner Großmutter. Meine Mutter war mit anderen Leuten auf einem anderen Lastwagen. Ich weiß nicht mehr, ob ich geschlafen habe, ob ich Angst hatte, oder vielleicht beides zusammen. Das einzig Wichtige war, dass ich meine Großmutter umarmen konnte. Den Lärm der Motoren, unsere aufgehäufte Habe, die andauernden Hopser ... das alles fühlten wir auch in den Knochen und im Magen, aber keiner sprach. Ich weiß nicht, wie viele wir waren und wie viele Tage so vergingen, aber irgendwann schrie mir meine Großmutter zu, ich solle sofort vom Lastwagen abspringen.

Eine Sahraui-Frau verbirgt sich hinter ihrem Schleier. Foto: Giorgio FornoniEs war früh morgens und alle suchten so schnell wie möglich Schutz im Gras. Feindliche Flugzeuge waren im Anflug. Sie versuchten, unseren Marsch mit Napalmbomben aufzuhalten. Ich hatte Angst, eine Angst, die mich seitdem nie mehr verlassen hat.

Von unserem Versteck aus konnten wir die Flugzeuge sehen, die uns suchten, Bomben abwarfen, und immer näher kamen. "Menschen und Erde explodierten und brannten." Das Durcheinander war riesig, die Leute schreien und die Kinder weinten. Dann habe ich eine Stimme gehört, es war die Stimme eines Soldaten, der rief: "Bleibt am Boden. Das sind marokkanische Flugzeuge. Sie werfen Napalm- und Phosphatbomben. Sie wollen uns umbringen!"
Ich habe laut geschrieen, aber ich war nicht die Einzige: Viele Kinder haben zusammen mit mir geweint. Die lautesten Stimmen aber war jene des Napalms und des Phosphats. Körperteile flogen überall durch die Luft. Ich hatte Angst. Man konnte die Angst in meinen Augen ablesen, und in den Augen all jener, die dort waren, und Gott um Hilfe baten. Der Angriff hat lange gedauert, dann fingen alle an, Freunde und Verwandte zu suchen. Mit meiner Großmutter haben wir meine Mutter gesucht, aber überall lagen nur leblose Körper, und die Angst wurde immer größer. Ich konnte nichts von dem, was passierte verstehen, ich hatte nur Angst.
Die Erinnerung an diesen Tag ist fest an meinen Kinderaugen haften geblieben, sie ist zu einem Alptraum geworden, der mich nachts noch immer heimsucht und aus meinem Schlaf reißt. Endlich sagt man uns, wir seien angekommen. Doch wo waren wir angekommen? Da war ein Stück Land, nackt, ohne Häuser, ohne Zelte, gar nichts. Nur Wind und Kälte. Ein Land ohne etwas, aber auch ohne Flugzeuge, ohne Bomben und ohne tote Körper. Mein Kinderinstinkt hat mir aber gesagt, dass die Flugzeuge bald zurückgekommen wären, und so wollte ich nicht spielen, sondern immer nur bei meiner Großmutter bleiben.

Der ältere Sahraui blickt mit ernster Miene in eine ungewisse Zukunft. Foto: Giorgio FornoniWir waren im "Flüchtlingslager" der Sahrauis in der algerischen Wüste in der Nähe von Tindouf angekommen. Zusammen mit anderen hatte meine Mutter die Vorbereitungen organisiert, um Zelte aufzubauen und um Nahrung, die aus der westlichen Sahara Algeriens gebracht wurde, auszuteilen. Ich glaube, dass ich nur jetzt den Mut hatte, zu sagen: "Ich habe Hunger." Ich kann mich nicht an alles der darauffolgenden Tage erinnern, aber ich weiß noch, wie aus dem Nichts Zelte auftauchten ..."

Die Geschichte von Suad, die noch in meinen Ohren wiederhallte, hatte mich überzeugt, den Ort, in dem sie wohnte, zu besuchen. In Smara bin ich zum Zelt ihrer Mutter Hebba gekommen. Hebba ist ein Symbol für das Volk der Sahraui. Sie hatte alle wichtigen Momente der Tragödie ihres Volkes miterlebt, von den ersten Befreiungsbewegungen unter dem spanischen Kolonialismus, der Invasion durch die marokkanische Armee, die Flucht in algerisches Territorium, den Aufbau der Zeltlager, bis zur aktiven Kampfteilnahme als Soldatin. Jetzt lebt sie zusammen mit ihrem Mann in ihrem Zelt in Smara Barrio 3.
Um vier Uhr morgens wurden zwei Matratzen am Boden für uns vorbereitet. Ihr Gute-Nacht-Wunsch ließ mich verstehen, dass wir am nächsten Tag über Suad, die in Italien geblieben war, gesprochen hätten.

Einige sahrauische Kinder spielen in der Wüste. Foto: Giorgio FornoniIn der Dunkelheit des Zelts, die nur vom Schimmern der Sterne durchbrochen wurde, lag immer ein Hauch dieser "Wut des Sands", die den Gedanken an die einstigen Städte der Sahraui begleitete. Nur weinige Hundert Kilometer entfernt in Richtung Atlantischer Ozean lagen diese Städte, die hier wiedererfunden wurden, um nicht ohne Land sterben zu müssen, um wenigstens sagen zu können: "Ich bin in El Ayun geboren", und nicht in einem anonymen Stück Wüste; um die Hoffnung nicht aufgeben zu müssen, eines Tages zurück im echten El Ayun am Atlantischen Ozean, wieder sagen zu können: "Ich bin in El Ayun geboren."

Chronologie - Historischer Rückblick:
- 15. Jahrhundert: Portugal und andere Länder sind an der Region interessiert: Goldhandel, Perlen un arabischer Gummi.
- 1884/85, Spanische Kolonialisierung: Die europäischen Mächte berufen den Kongress von Berlin ein, bei dem Afrika aufgeteilt werden soll. Die Westsahara wird zum spanischen Protektorat.
- November 1884: Die spanische Armee, geführt von Hauptmann Emilio Bonelli Hernando, besetzt Dakhla (einst Villa Cisneros) und baut dort wirtschaftliche Aktivitäten auf.
- 27. November 1912: Ein spanisch-französisches Abkommen setzt die Grenzen der Westsahara fest.
- 1923-1934: Erste blutige Konflikte zwischen der französischen Armee und Sahraui-Nomaden.
- 1934: "Pacification", also die angebliche Befriedung der Westsahara: Spanien übernimmt die Kontrolle des ganzen nördlichen Territoriums. Der Widerstand der Sahraui wird erstickt.
- 1949-1959: bei Bou-Craa werden Phosphatvorkommen entdeckt. Die Vorkommen werden auf zehn Milionen Tonnen, bei einer 70- bis 80-prozentigen Reinheit geschätzt.
- 1956-1958: Tumulte und blutige Kämpfe zwischen spanischen Truppen und dem wiederaufgebauten Widerstand der Sahraui.
- 10. Februar 1958: Das militärische Abkommen zwischen Frankreich und Spanien, vom marokkanischen Regime befürwortet, beschließt die Zerstörung der Befreiungsarmee der Sahraui.
- 14. Dezember 1960: Die Vereinten Nationen beschließen die Resolution 1514 (XV) mit einer Erklärung, die den kolonisierten Völkern Unabhängigkeit garantiert.
- 1961: Die Westsahara wird zu "einer spanischen Provinz" erklärt.
- 1963: Die Westsahara wird von den Vereinten Nationen in die Liste der zu entkolonialisierenden Länder eingetragen.
- Dezember 1965: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen bestätigt die Unabhängigkeit der Sahraui, und lädt Spanien ein, die Kolonialbesetzung zu beenden.
- 1966: Die UNO ratifiziert die Selbstbestimmungsakte der Sahraui.
- 1968: Die Widerstandsbewegung der Sahraui bildet sich erneut, mit dem Namen Freiheitsbewegung von Saggia el Hamra y Río Oro, unter der Führung von Sidi Brahim Bassiri.
- 17. Juni 1970: Die Bewegung von Bassiri organisiert eine große friedliche Demonstration in Zemla (El Ayún), bei der die Unabhängigkeit verlangt wird. Die Kundgebung endet in einem Massaker an der Zivilbevölkerung, Hunderte werden verhaftet.
- 10. Mai 1973: Der Fronte Polisario hält den Gründungskongress des "Frente Popular de Liberación de Saguia el Hamra y Río de Oro" ab.
- 1974: Spanien hält die letzte Volkszählung der Sahraui ab, um sich auf das Referendum vorzubereiten, das die UNO in den 60er Jahren verlangt hatte. Es werden 74.902 Personen gezählt.
- 20. August 1974: Spanien spricht sich zu Gunsten eines Referendums zur Selbstbestimmung der Sahraui aus.
- Anfang 1975: Der König von Marokko spricht sich klar gegen die Unabhängigkeit der Westsahara aus.
- 1974-1975: Die Freiheitsarmee der Sahraui intensiviert ihre Angriffe auf spanische Truppen.
- 12. Mai 1975: Eine UN-Mission besucht die Territorien der Westsahara, bestätigt das Selbstbestimmungsrecht der Sahraui und erkennt ihre Freiheitsfront Polisario an.
- 23. Mai 1975: Ein Vertreter des spanischen Aussenministeriums erklärt: "Die Freiheitsfront Polisario ist eine Wirklichkeit, die Spanien beachten sollte."
- 14. Oktober 1975: Die UNO schlägt ein Referendum zur Selbstbestimmung vor. Der Internationale Gerichtshof veröffentlicht ein beratendes Gutachten über die Westsahara, und lehnt jeglichen Anspruch von Marokko und Mauretanien auf das Gebiet ab. Der Gerichtshof beschließt, dass das sahrauische Volk das Recht hat, über die eigene Zukunft zu bestimmen.
- 31. Oktober 1975: Beginn der marokkanischen Invasion im östlichen Teil der Westsahara. Die Armee der Sahraui steht 25.000 marokkanischen Soldaten gegenüber. Spanien zieht sich aus el Ayún, Smara und Dakhla zurück.
- 6. Oktober 1975: Der König von Marokko gibt seinen Zuspruch zum "Grünen Marsch": 350.000 Marokkaner marschieren in Richtung Westsahara mit dem Ziel, das Gebiet zu erobern.
- 2. November 1975: Madrid bekräftigt die eigene Verpflichtung zur Selbstbestimmung der Sahraui.

Ende 1975 war die POLISARIO ganz nahe an der Unabhängigkeit von Spanien. Doch es sollte nicht sein. Nach geheimen Verhandlungen unterschreibt Spanien ein Abkommen mit Marokko und Mauretanien, in dem die drei Länder beschließen, die Verpflichtung zur Unabhängigkeit der Sahraui nicht zu beachten und das Territorium der Westsahara unter Marokko und Mauretanien aufzuteilen. Noch im Jahr 1975 erfolgt diese illegale Annexion der Westsahara, es beginnt der Krieg gegen Mauretanien und Marokko. Während Marokko Napalmbomben amerikanischer Herkunft auf die Zivilbevölkerung abwirft, verlassen Zehntausende von Sahraui ihre Heimatstädte in der Westsahara.

Mauretanien kann sich den Krieg gegen die POLISARIO jedoch militärisch, politisch und wirtschaftlich nicht leisten, und unterschreibt 1979 ein Friedensabkommen, in dem es die Souveranität der 1976 gegründeten Demokratischen Repubblik der Sahraui (RASD) in der Westsahara anerkennt. Marokko lehnt das Abkommen ab und besetzt den restlichen Teil der Westsahara.

Die nationale Befreiungsfront Polisario (Frente Popular de Liberacion de Seguia al Hamra y Rio de Oro - Volksfront für die Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro) kämpft seit ihrer Gründung 1973 für eine unabhängige Westsahara.

Dieses Dokument ist dem Buch von Umberto Romano entnommen worden: "Rabbia di Sabbia". Info: roro3@libero.it, www.sahrawi.it. Übersetzung des Extrakts von Sabrina Bussani.


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/sahrawi/sah-mayr.html

* www: www.arso.org | www.wsahara.net | www.sahrawi.it

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