Die Vereinten Nationen (UN) lassen die bosnisch- muslimischen Einwohner von Srebrenica zum zweiten Mal im Stich. Diesen schweren Vorwurf hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) nach dringenden Hilferufen aus der ehemaligen UN- Schutzzone erhoben. "Es sieht ganz so aus, als ob die Rückkehr der Vertriebenen absichtlich verhindert werden soll, denn der UNHCR überlässt notleidende Rückkehrerfamilien dort weitgehend ihrem Schicksal", kritisierte der Präsident der GfbV International, Tilman Zülch, am Mittwoch in Göttingen. Schon einmal seien die Menschen in Srebrenica von der Weltorganisation fallengelassen worden, als sie sich 1995 dem Schutz der dort stationierten Blauhelme aus den Niederlanden anvertrauten. Mindestens 8.000 bosnische Muslime hätten dies nach dem Einmarsch serbischer Einsatzgruppen mit dem Leben bezahlt.
Wie Mitarbeiterinnen der GfbV vor Ort berichteten, würden die hoch bezahlten Mitarbeiter des Flüchtlingshilfswerks der Weltorganisation im Bezirk Srebrenica kaputte Zelte und löcherige Decken verteilen und das nicht einmal in ausreichender Anzahl, sagte Zülch. Anträge auf Hilfe beim Transport der wenigen Habseligkeiten von Vertriebenen zurück in ihre Heimatorte würden monatelang verzögert. Selbst die Versorgung der Rückkehrer mit Lebensmitteln sei völlig unzureichend, wenn sie überhaupt geleistet werde. So hätten sich die Mitarbeiterinnen aus dem GfbV-Büro in Sarajevo genötigt gesehen, Lebensmittelpakete mit Nothilferationen für eine Woche an 100 bedürftige Familien zu verteilen.
"Weil sie in den meisten Fällen - trotz Zusagen von internationaler Unterstützung in Millionenhöhe - keine Hilfe für den Wiederaufbau ihrer Häuser bekommen haben und sie in den kalten Nächten nicht länger im Freien schlafen konnten, mussten jetzt viele Rückkehrer ihre Dörfer wieder verlassen und Zuflucht in der bosnischen Föderation suchen", klagte die Leiterin der bosnischen GfbV-Sektion, Fadila Memisevic. Zur Zeit gebe es in der Stadt Srebrenica rund 260 und im gleichnamigen Bezirk noch etwa 2.000 Rückkehrer. Sie hausten oft in den Ruinen ihrer zerstörten Häuser, in Zelten oder Bretterverschlägen, hätten kein Einkommen und als ehemalige Bauern in der Regel nicht einmal landwirtschaftliche Geräte oder Vieh. Sie würden medizinisch so gut wie gar nicht betreut und es gäbe in erreichbarer Nähe keine Schulen für die Kinder. Von den rund 5.000 zerstörten Häusern seien erst 191 wiederaufgebaut worden.
Die bosnischen Muslime stellten mit 27.900 Menschen vor dem Krieg 74,8 Prozent der Einwohner in dem Bezirk und der Stadt Srebrenica. Bisher haben sich rund 12.000 Vertriebene aus Srebrenica als rückkehrwillig gemeldet. Serbische Einsatzgruppen hatten 1995 mindestens 8.000 Männer und Knaben bei Massenerschießungen getötet. Das Internationale Rote Kreuz hat bisher die Namen von 7.294 Toten registriert. Auf der Lise der Vereine der Überlebenden stehen außerdem die Namen von rund 3.000 Vermissten, darunter auch viele hundert Frauen und Kinder.