Mit der Befreiung des auf höchste Effizienz ausgelegten NS-Konzentrationslagers von Auschwitz vor 58 Jahren durch die Rote Armee wurde der Holocaust beendet. Bozen war mit seinem sogenannten Durchgangslager Teil der industriellen NS-Vernichtungssystems.
Mit der "Reichskristallnacht" begann am 9. November 1938 der industriell durchgeführte Massenmord des nationalsozialistischen Deutschlands an den europäischen Juden. Die Südtiroler Nazis konnten erst nach dem Einmarsch der Wehrmacht am 8. September 1943 ihren reichsdeutschen Gesinnungsgenossen nacheifern. Die Mittäterschaft zahlreicher Südtiroler ist ein Teil der Südtiroler Geschichte, für die es von offizieller Seite noch immer keine Worte des Bedauerns oder der Entschuldigung gibt.
Eine Chance, mit der Aufarbeitung von Südtirols brauner Vergangenheit zu beginnen, hat sich Landeshauptmann Luis Durnwalder vertan. Beim Besuch von Journalisten der Auslandspresse in Bozen (Ende September 2001) hatte er auf eine entsprechende Frage nach Wiedergutmachung von Nazi-Unrecht diese mit einem fadenscheinigen Argument abgelehnt. Laut Durnwalder kann Südtirol keinen Beitrag zur Rehabilitierung seiner jüdischen Bürger leisten, dies sei eine Angelegenheit des Staates und nicht des Landes Südtirol. Doch waren es vor allem Südtiroler, die die Meraner Juden in die Vernichtungslager geschickt haben. Das Denunziantentum, die aktive Mithilfe bei der Auslieferung von Juden und Andersdenkenden waren erschreckend hoch, erschreckend auch die stillschweigende Duldung oder Zustimmung für diese Menschenrechtsverbrechen.
Den von den Nazis ermordeten 50 Meraner Juden wurde sogar das Andenken verweigert, denn sie scheinen nicht in der Südtiroler Opferliste auf. In der Nachkriegszeit hatte sich die Landesregierung so benommen, als hätten Fremde das Eigentum der Meraner Juden "arisiert", sie zusammengetrieben und in die Todeslager des Dritten Reichs verschickt. Die Ermordung der Meraner Juden wurde verschwiegen - die offizielle Geschichtsschreibung in der Komplizenschaft der Täter. Es gab nie eine Entschädigung, nie eine moralische Wiedergutmachung, nie ein Wort der Reue, nie ein Zeichen der Versöhnung. In der Nachkriegsgeschichte Südtirols gibt es kein einziges offizielles Schuldeingeständnis. Südtirol stellt sich als Opfer des Faschismus dar, auch also Opfer der deutschen Nazis; die Täterrolle wird hartnäckig verschwiegen.
Die zuständigen Behörden beeilten sich nach 1945, das sogenannte Durchgangslager in der Bozner Reschenstraße niederzuwalzen. Im Bozner KZ befanden sich aus rassistischen Gründen Internierte Juden und Roma, und Dissidenten. Mehr als 11.000 Häftlinge wurden durch dieses Lager in die Gaskammern geschleust. Keine der Südtiroler Lager-Wachen wurde bestraft, weder Hildegard Lechner, die jüdischen Frauen ermordete, noch Karl Gutweniger, der Lager-Insassen folterte. Das Bozner Sondergericht beschäftigte sich zwischen 1945 und 1947 mit 518 Fällen von NS-Kollaboration. Es gab aber nur 63 Urteile, 27 davon waren Freisprüche.
Es ist löblich, dass die Tageszeitungen "Dolomiten" und "Alto Adige" für die Errichtung eines jüdischen Gedenksteins Spendengelder sammeln. Es ist ein später Akt moralischer Wiedergutmachung, doch kann dies nur ein erster Schritt sein, dem viele weitere (und größere) folgen müssen. Es war löblich, wie die Politik die antisemitischen Äußerungen der freiheitlichen Generalsekretärin Ulli Mair zurückgewiesen hat. Es ist aber bedauerlich, dass es bei den Worten blieb - und dass es für die Verbrechen der Südtiroler Nazis an den Juden bis heute kein Wort des Bedauerns gegeben hat. Das ist nicht Nachlässigkeit, es ist der Wille, einen wesentlichen Teil Südtiroler Geschichte zu vertuschen.