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Bhutan

Der verleugnete Bürgerkrieg

Von E.C. Wolf

Die leise Folter des Dahinvegetierens: Bhutan menschenverachtender Umgang mit seinen 120.000 gewaltsam exilierten Bürgern.

Als ich Kama Dikari (Name geändert) zu einem der sieben Flüchtlingslager im Süden von Nepal begleitete, fiel mir nach einer Weile auf, dass er beim Gehen stumpf und deprimiert vor sich hinschaute und offensichtlich weder die tropische Landschaft, noch den sonnigen Tag überhaupt wahrnahm. Irgendwann sagte er, dass wohl keiner der an diesem Konflikt beteiligten Länder, weder Bhutan noch Nepal oder Indien noch die internationale Staatengemeinschaft, irgendein Interesse an ihnen als Flüchtlinge hätte. Seit nunmehr 14 Jahren warten sie auf eine Wiedereinbürgerung in Bhutan oder eine andere politische Lösung, doch hier "gibt es wohl zu wenig Tote und eben auch kein Erdöl", merkte er verbittert an.

Es war die gleiche aussichtslose und stumpf gewordene Depressivität, die mir in den folgenden Tagen bei den meisten Gesprächen in diesen Flüchtlingslagern begegnete. Man nennt diese Menschen Flüchtlinge, dabei sind fast alle gewaltsam Zwangsexilierte, Vertriebene. Nicht nur im Land selbst, sondern weitgehend auch von der internationalen Staatengemeinschaft wird dieser "schwelende Bürgerkrieg", werden die massiven Menschenrechtsverletzungen geleugnet, verdrängt. In den Flüchtlingslagern hat sich innerhalb der vergangenen 14 Jahren eine tragische Realität eingelebt. Es ist die leise Folter des Zwangs zum Dahinvegetieren. Diejenigen, welche dem Zwang gänzlich erliegen, bringen sich um oder werden verrückt.

Bhutan setzte bisher in einem schamlosen nationalen Chauvinismus auf eine Verschleppungstaktik. Seit dem Sommer 2004 wirbt nun die Regierung Bhutans für eine so genannte politische Lösung, die dem obszönen Versuch einer ethischen Nötigung gleichkommt. Dieser Idee entsprechend sollen doch die Geldgeberländer für den Unterhalt der Flüchtlingslager die inzwischen 130.000 Vertriebenen aufnehmen (120.000 leben in Nepal, 20.000 in Indien).

Absolutistische Monarchie

Bhutan ist das letzte Königreich mit absolutistischer Monarchie im Himalaya. Seit 1907 herrscht im "Land des friedvollen Drachens" - wie sich Bhutan folkloristisch selbst vermarktet - eine Erbmonarchie. In vierter Generation regiert heute König Jigme Singye Wangchuck. Vor der Erbmonarchie herrschte eine Theokratie, wobei im Shabdrung, entsprechend der Position des Dalai Lama im Nachbarland Tibet, die geistige und weltliche Macht vereinigt war. Seit 1637 der erste Shabdrung, seine Heiligkeit Ngwang Namgyel Rimpoche, das Land erst zu seiner heutigen, geopolitischen Gestalt vereinigt und diesem Land offiziell den Namen Bhutan gegeben und die buddhistische Religion der Drukpa Kargyupa zur Staatsreligion erhoben hatte, erhielt sich bis heute die Traditionslinie der Shabdrung durch anerkannte Wiedergeburten.

1907 wurde Ugyen Wangchuck erster König von Bhutan. Von da an hintertrieb das Königshaus systematisch die Macht der Shabdrungs, des geistigen Oberhauptes des Landes. Sie wurden des Landes verwiesen und in verschiedenen Generationen sogar ermordet. Es ist vor allen Rongtong Kunley Dorji, einer der politischen Führer der Flüchtlinge, der vor seiner Zwangsexilierung für die bhutanische Regierung arbeitete und heute unter Hausarrest in Indien lebt, der diese Tatbestände endlich ans Licht der Öffentlichkeit bringen will. So starb auch der amtierende Shabdrung, Jigme Ngwang Namgyel, der von vielen als "heimlicher König von Bhutan" angesehen wurde, völlig unerwartet und unter ungeklärten Verhältnissen am 5. April 2003 im Alter von nur 47 Jahren im indischen Exil.

Auch er war des Landes verwiesen und hatte Aufenthaltsverbot. Offensichtlich schreckte die königliche Regierung auch vor Staatsterror nicht zurück. 120.000 Südbhutaner, Lhotshampas, mehrheitlich Hindus, wurden nach 1980 durch Gewalt und Folter aus dem Land getrieben. Es äs war die Zwangsexilierung von ungefähr 20% der damaligen Gesamtbevölkerung. Etwa 110.000 Flüchtlinge leben heute in sieben Flüchtlingslagern, die vom UN-Hochkommisariat für Flüchtlinge (UNHCR) betreut werden, im Südosten Nepals und ungefähr 20.000 in den nordindischen Bundesstaaten Assam und Westbengalen. Ungefähr 10.000 Kinder wurden in den Lagern geboren.

Laut kritischen Stimmen aus Bhutan und aus Menschenrechtsgruppen der Flüchtlingslager in Nepal kamen als auslösende Momente für diesen "Bürgerkrieg von oben" zwei entscheidende Faktoren zusammen. Einerseits erreichte in Nepal in den 80er Jahren eine Demokratiebewegung, dass die absolute Macht von König Birendra auf den Teil einer konstitutionellen Monarchie reduziert wurde. 1980 ergab eine Volkszählung in Bhutan einen Bevölkerungsanteil der nepalisprachigen Südbhutaner, der Lhotshampas, von 53%. Der Anteil der Ngalongs (der Ethnie der Machtelite um den König) hingegen betrug angeblich nur 16%. Darüberhinaus wurde in den Jahren davor im ehemaligen Königreich Sikkim - das direkte westliche Nachbarland von Bhutan - durch die Einwanderungspolitik und durch eine Demokratiebewegung der Nepalis die eigene Bevölkerung zur Minderheit. Schließlich wurde Sikkim zu einem Nepali-dominierten Bundesstaat von Indien.

Die Regierung von Bhutan war daraufhin stark verunsichert. Man befürchtete die eigene Entmachtung oder eine so genannte kulturelle Überfremdung, wobei der tatsächliche prozentuale Bevölkerungsanteil der Lhotshampas bis heute völlig strittig ist. In welch menschenverachtendem Ausmaß sich jedoch diese Verunsicherung niederschlug, zeigte sich in Strategie ihrer Machtpolitik. Bhogendra Sharma, der ehemalige Direktor des Zentrums für Folteropfer in Nepal, nannte sie in Anbetracht dessen, dass die meisten der südbhutanischen Lhotshampas Hindus seien, einen buddhistischen Fundamentalismus". Ratan Gazmere, ein zwangsexilierter Biologielehrer und heute einer der politischen Führer der Flüchtlinge, bezeichnete diese Strategie als "eine brutale Form der Erhaltung der absoluten Monarchie, der politischen, ökonomischen und militärischen Macht in Familienhand".

Ethnische Säuberung

Nach 1980 entwickelte sich eine in der Geschichte Bhutans nie dagewesene politische Hysterisierung. Es begann eine ethnische Säuberung in Form von Zwangsmaßnahmen, die bis heute anhalten. 1985 wurde ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz eingeführt. Während es davor ausreichte, dass der Vater Bhutaner war, um bhutanischer Staatsbürger zu sein, mussten jetzt - und zwar rückwirkend bis 1958 - beide Eltern Bhutaner sein. Und als einziger Aufenthaltsbeleg wurden Grundsteuerquittungen aus der Zeit vor dem 31.12.1958 eingefordert. Wer diese 30 Jahre alten Quittungen nicht vorweisen konnte, war plötzlich kein bhutanischer Staatsbürger mehr und damit staatenlos und hatte das Land umgehend zu verlassen.

Diese willkürliche Gesetzgebung mit der Folge, dass zahlreiche Menschen in den Zustand der Staaten- und damit Rechtlosigkeit versetzt wurden, war zunächst die Hauptkritik an der königlichen Regierung. Da in Bhutan des Königs Stimme das einzige Gesetz ist, wurde die Menschenrechtscharta bis heute nicht ratifiziert. Kritik wird mit Inhaftierung und Folter beantwortet. Beispielhaft wurde das Schicksal von Teknath Rizal, dem "Nelson Mandela von Bhutan" genannten Initiator der Menschrechts- und Demokratiebewegung. Alarmiert durch eine derart diskriminierende ethnizistische Politik, schickte Rizal, als offizieller Volksvertreter Südbhutans in der Nationalversammlung, eine Petition an den König, er möge doch wenigstens die Ablauffrist für die Grundsteuerquittungen von 1958 auf 1985 verschieben. Daraufhin wurde Rizal 1989 inhaftiert und in Isolationshaft systematisch gefoltert. Nach zehn Jahren, am 17. Dezember 1999, dem Nationalfeiertag Bhutans, wurde er freigelassen und ausgewiesen.

Der Volkszorn erhob sich, als die königliche Regierung 1989 neben dieser Volkszählungspolitik die Politik des "Eine Nation - ein Volk" durchzusetzen und eine "kulturelle Einheit" zu erzwingen begann. Die herrschende Ethnie der Ngalongs zwang der Mehrheit der Bevölkerung ihre Sprache, Kleidung, Kultur, Sitten, Tradition und Religion auf. So waren plötzlich hinduistische Rituale oder auch Nepali als Verkehrssprache verboten. Das Unbehagen der Bevölkerung artikulierte sich in täglichen Massendemonstrationen. Immer mehr Menschen wurden daraufhin als so genannte Anti-Nationale (Ngolops) kriminalisiert, inhaftiert oder aus dem Land getrieben. Bhutanisches Militär und Polizei versuchten anfangs, die Proteste zu unterbinden und schössen auf die Demonstranten. Alleine in den ersten Tagen starben mindestens 19 Menschen. Eine Hetzjagd begann. Das Militär griff nun gegenüber den zu "anti-nationalen Terroristen" stilisierten Südbhutanern zu zunehmend verrohenden Gewaltmitteln. Unter dem Vorwand der Sympathisantenschaft wurden ganze Sippen vertrieben oder die Menschen flohen schlicht aus Angst vor Gewalt, Folter oder Gefängnis. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die gebräuchlichste und zynischste Variante des Militärs war, die Menschen vor ihrer Zwangsexilierung unter Gewaltandrohung einen so genannten "freiwilligen Verzicht auf Grundbesitz und Staatsbürgerschaft" unterschreiben zu lassen.

Laut dem Zentrum für Folteropfer Nepal (CVICT) wurden mehr als die Hälfte der Flüchtlinge gefoltert. 53% der registrierten Frauen berichteten von Vergewaltigungen. Die Flüchtlinge erzählten von willkürlicher Verhaftung, Misshandlung, Foltermethoden, Ermordungen, Konfiszierung oder Zerstörung von Land, Eigentum und Dokumenten. Bis heute werden Menschen des Landes verwiesen, nur weil sie Verwandte in den Flüchtlingslagern in Nepal haben. Oder aber Daten aus den Lagern werden missbraucht, um Angehörige in Bhutan zu gängeln. Dann wird plötzlich ihren Kindern der Schulbesuch verweigert. Außerdem sind in Bhutan bis zu 60 politische Gefangene teilweise seit 13 Jahren inhaftiert.

Die Lage der Vertriebenen

Als Vertriebene sind diese Menschen Staaten- und damit rechtlos. Internationales Recht, wie die Menschenrechte, erkennt die Regierung Bhutans bis heute nicht an. So sind diese Menschen abhängig von den Vereinten Nationen. Das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) geht davon aus, dass die Aufrechterhaltung dieser Flüchtlingslager in den letzten 14 Jahren die UN mehr als 100 Millionen Dollar gekostet hat. Pater Worky, der von der Caritasgruppe die Flüchtlinge betreut, sprach jetzt von einer "endgültigen Müdigkeit der Geberländer"; Milla, die Vorsitzende des Planungsstabes des UNHCR vor Ort, bestätigte, dass sie schon seit zwei Jahren versuchen, sich aus den Lagern zurückzuziehen und daher verstärkt nach alternativen Geldgebern suchen. Auch politisch fühlen sich die Flüchtlinge von den Geberländern und von internationaler Solidarität abhängig. Bisher konnte jedoch keine Petition, ob aus Brüssel, Washington oder Tokio, die Regierung Bhutans in der Sache bewegen. Und offensichtlich ist bisher keine Regierung oder die UN gewillt, über mögliche Sanktionen nachzudenken. Die zahlreichen politischen Gruppierungen, die sich in den Lagern gebildet haben, erschöpften ihre Kräfte vielfach noch in konkurrierenden Aktionen oder anhaltenden, rivalisierenden Grundsatzdiskussionen.

Die Regierung Bhutans verstand es auch, aktionistische politische Ansätze derart zu kriminalisieren, dass nach 14 Jahren viele Aktivisten am Rande der Verzweiflung stehen. Nun ist mit der Freilassung des von allen Gruppierungen als politischer Führer anerkannten Teknath Rizal erneut Hoffnung enflammt. In den Lagern verschlechtert sich seit Jahren die materielle und psychische Lage der Flüchtlinge. Seitdem die Geberländer sich zurückziehen, beginnt eine systematische Reduzierung der Versorgungsleistungen und vor allem unter den Erwachsenen breitet sich auch eine psychische Verelendung aus. Mindestens ein Viertel der Lagerinsassen ist psychisch krank. Unbeachtet steigt schon lange die Suizidrate unter denen, die in den Lagern diese nun seit 14 Jahren erzwungene Sinnlosigkeit und die zunehmende, entwürdigende Verarmung nicht mehr ertragen können. Es ist die leise Folter des Zwangs zum Dahinvegetieren. "Sie zwingen uns zum Überleben und zum Nichtstun" sagte einer von denen, die noch bereit sind zu reden und ein anderer: "Sie behandeln uns schlimmer als ihre Tiere".

Schon 1997 wurde die psychologische Betreuung von Folter- und Vergewaltigungsopfern wieder eingestellt. Vor allem seit dem Jahre 2000 werden die Versorgungsleistungen immer weiter gekürzt. So wurden alle Förderprogramme für Kinder eingestellt. Die Schulausbildung wurde teilweise bis auf drei Schuljahre gekürzt. "Die Jungen werden verrückt, wenn sie an die Zukunft denken", sagte ein Lehrer, der heute in Eigeninitiative die Kinder unterrichtet. Die Essensrationen sind mittlerweile derart reduziert, dass manche Familien nur noch einmal am Tag essen können. Und weil es seit Januar 2004 nur noch selten zu den Reisrationen auch Gemüse gibt, haben sich die Fälle vermehrt, wo Schwangere an Blutmangel starben, weil die Nahrung auf die Dauer zu nährstoffarm ist und sie die Schwangerschaft einfach auszehrte. Die medizinische Grundversorgung ist auf ein Minimum reduziert, wobei sich viele beklagten, dass man sie einfach wieder wegschickte oder, wenn überhaupt, ihnen bereits verfallene Medikamente gab. Neue Kleidung hat es seit zwei Jahren nicht mehr gegeben. Und vor allem die Frauen konnten nicht verstehen, dass man ihnen mittlerweile so wenig Kerosin gibt, dass es zum Kochen nicht mehr reicht. Gingen sie jedoch in die umliegenden Wälder, um Brennholz zu sammeln, würde das Militär oder die umliegende Bevölkerung mit scharfer Munition auf sie schießen.

Diese Menschen sind buchstäblich zum Nichtstun verdammt. Viele ältere Männer, die aus Bhutan mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung kamen, klagten darüber, nicht außerhalb der Lager arbeiten zu dürfen. Da sie meist besser als die bäuerliche Bevölkerung der Umgebung ausgebildet sind, ist die Beziehung zu dieser seit langem äußerst prekär. Mittlerweile droht die Bevölkerung, jene zu ermorden, die außerhalb der Lager angetroffen werden. In den Gefängnissen der umliegenden Kleinstädte sitzen viele, die der Bevölkerung entkommen konnten, jedoch von der Polizei verhaftet wurden. Auch hat man, um in den Lagern einem "Ausbildungseifer" vorzubeugen, die Anzahl der "erlaubten Schuljahre" gekürzt. Wer die Lager verlassen will, braucht eine Sondergenehmigung. Andererseits gibt es einzelne Männer, die es geschafft haben, sich auf dem Arbeitsmarkt außerhalb der Lager zu etablieren. Auch ihre sittliche Identität wird gebrochen, wenn man ihnen das Holz verweigert, das sie für die rituelle Feuerbestattung ihrer Verstorbenen brauchen. Sie sind gezwungen, es zu erbetteln oder es zu stehlen. Nach all dem politischen Taktieren der Regierung Bhutans sind die meisten heute ohne jede Hoffnung und Perspektive. Trocken registriert das UNHCR "die Zunahme von Alkoholismus, häuslicher Gewalt und auch sexuellen Missbrauchs".

Bhutans Machtpolitik

Wohl nur unter großem politischen Druck würde die königliche Regierung bereit sein, auch nur einen Ausgewiesenen wieder einzubürgern. So blieben seit 1993 14 bilaterale Gesprächsrunden auf Außenministerebene zwischen Bhutan und Nepal letztlich ergebnislos. Die königliche Strategie zeigte sich schon lange in der offiziellen Wortwahl für die Flüchtlinge. So nannte sie König Wangchuck 1987 noch "wahre Bürger", 1990 "Terroristenorganisation, die Autonomie will", 1991 "Wirtschaftsmigranten, die wegen des hohen Pro-Kopf-Einkommens einwandern wollten". In seiner Ansprache zum 25-jährigen Regierungsjubiläum am 2. Juni 1999 war von den Flüchtlingen schließlich gar nicht mehr die Rede. Seither tauchen die Flüchtlinge im offiziellen bhutanischen Sprachgebrauch, wenn überhaupt, nur noch als Terroristen auf. Die Spitze des Absurden jedoch war erreicht, als ein Verifikationsteam der königlichen Regierung im Dezember 2003 schon die Kinder der Lager als geborene Terroristen bezeichnete.

Im Nachhinein erscheint es wie ein geschickter Vorwand oder ein zielsicherer Griff in die Trickkiste, dass schon 1993 auf dem ersten Außenministertreffen vom damaligen Außenminister Bhutans, Dawa Tshering, hinsichtlich einer eventuellen Wiedereinbürgerung eine Einteilung der Flüchtlinge in 4 Kategorien vorgeschlagen wurde. Diese willkürlichen Kategorien sollten vom l. "Bona fide-Bhutaner", der fälschlicherweise ausgewiesen wurde, über 2., Bhutaner, die so genannt freiwillig emigrierten, über 3., Nicht-Bhutaner und schließlich 4., sogenannte kriminelle Bhutaner, als Anti-Nationale bezeichnet, welche terroristische Anschläge ausgeführt haben sollen und damit ihr Recht auf Staatsbürgerschaft für immer verwirkt hätten. Bis zur 12. offiziellen Gesprächsrunde, im Jahr 2002, war es den Parteien allerdings nicht möglich, sich über die Verifizierungsmodalitäten, welcher Flüchtling nun welcher Kategorie zuzuordnen sei, zu einigen. Die Regierung Bhutans fand immer wieder neue Anlässe, um sich aus den Verhandlungen zurückzuziehen.

Schon im April 2000 hatte die Menschenrechtsgruppe AHURA in den Lagern eine Datenbank fertiggestellt, mit der nachgewiesen werden kann, dass über 95% der Flüchtlinge noch Identitätskarten oder Eigentumsnachweise aus Bhutan besitzen. In absurden Unterstellungen wird von der Regierung Bhutans jedoch behauptet, dass mindestens 70% der Flüchtlinge "freiwillig" das Land verlassen hätten. Im Jahre 2001 bildete sich ein Joint Verifikation Team (JVT), das beinahe ein Jahr brauchte, um im erstuntersuchten Lager Kudunabari zu einer Entscheidung zu kommen. Als dieses Team schließlich im Dezember 2003 die gleichen Bedingungen für eine Rückkehr wie vor der so genannten Verifikationsdebatte verkündete und als zusätzliche Bedingung das Lesen- und Schreibenkönnen von Dzongka, der Sprache der Minderheit der Machtelite, einforderte, kam es zu spontanen Ärgerbekundungen. Dies war für das Verifikationsteam der erneute Anlass, nach Bhutan zurückzukehren. Bis heute wurden die Verhandlungen nicht wieder aufgenommen.

Politisierung in den Lagern

Die Politisierung in den Lagern gewinnt zunehmend auch an Militanz. Längst rekrutieren unter anderen die maoistischen Rebellen Nepals, die United Liberation Front ofAssam (ULFA) oder die National Democratic Front of Bodoland (NDFB) der indischen Unabhängigkeitsbewegung, unter den Flüchtlingen Mitglieder. Und manche sprachen davon, dass es wohl erst einen 11. September in Bhutan geben müsse, bevor sich die Weltöffentlichkeit in diesem Konflikt wirksam engagiert. Doch für die internationale Gemeinschaft ist es offensichtlich wichtiger, sich im monarchistischen Bhutan einen nostalgischen Traum zu erhalten, ein Paradiesgehege, ein beschwärmtes buddhistisches Shangrila, einen Garanten für eine ansonsten eher verlorene heile Welt. Und wer wie jeder Tourist in Bhutan täglich zwangsweise 200 $ umtauschen muss, will verständlicherweise keine Trübung der erwarteten heilen Welt. In den unzähligen Reiseprospekten oder Abenteuerdokumentationen findet sich nur selten ein Hinweis darauf, dass in Bhutan seit nunmehr 14 Jahren ein verborgener Bürgerkrieg herrscht. Und offenbar wird innerhalb dieses verleugneten ethischen Restes noch Folter, Misshandlung und Unterdrückung als soziale Folklore nachgesehen.

E. C. Wolf, Kulturwissenschaftler in Bremen und Berlin, besucht seit Jahren regelmäßig die Flüchtlingslager in Nepal.

Aus pogrom-bedrohte Völker 232 (4/2005)


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/asia/nepal/nepal.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/bergen.html

* www: www.geocities.com/bhutaneserefugees/ | web.amnesty.org/library/eng-btn/

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