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Die vergessenen Kriege

Berge in Flammen

Interview mit Reinhold Messner, von Wolfgang Mayr

Der Südtiroler Extrem-Bergsteiger und Grüne Europaparlamentarier Reinhold Messner zieht Bilanz über das Jahr der Berge.

Pferdeherde in den Altai Bergenbedrohte Völker: Viel wurde 2002 im Jahr der Berge über die Berge und ihre Völker gesprochen. Die Berge waren Thema auch auf dem UN-Umweltgipfel von Johannesburg. Ein politisches Gespräch ohne Folgen?
Reinhold Messner: Das politische Gespräch über die Berge wird die Menschen in den Bergen nicht retten. In den Berggebieten herrschen ernste Krisen. Nepal hat einen Bürgerkrieg, Tibet ist noch immer nicht "befriedet", obwohl es dort Verhandlungen zwischen der Exil-Regierung und Peking gibt. In Sinkiang, im Westen Chinas im Karakorum-Gebirge, herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Das Kashmir-Problem ist der Konflikt-Herd neben der gewollten Irak-Krise. In den Bergen Pakistans haben sich vertriebene islamische Fundamentalisten aus Afghanistan festgesetzt. In Afghanistan gibt es keinen Frieden. Im Kaukasus hat sich die Lage verschlimmert, weil Präsident Putin die Anti-Terror-Seilschaft nutzt, um seine Probleme mit radikalen Methoden zu lösen. In Süd-Amerika ist die Armut in den Anden größer denn je. Und in Nord-Ost-Afrika gibt es auch kriegerische Auseinandersetzungen. Die Völker der Berge sind Minderheiten, können sich nicht selbst verwalten, weil das die Zentralstaaten verhindern. Die Bergregionen werden an den Rand gedrückt.

bedrohte Völker: Die Berge, Konfliktregionen. Wegen der Rohstoffe, wegen des Wassers?
Reinhold Messner: Im Kaukasus geht es ums Öl, im tibetischen Hochland geht es um die Bodenschätze. Tibet ist außerdem ein Puffer zwischen Indien und China. Dieses Land ist enorm groß, dort lebten bis vor der chinesischen Invasion sechs Millionen Menschen. Inzwischen leben weitere sechs Millionen Menschen dort, chinesische Sicherheitskräfte und Bergarbeiter, die die Tibeter verdrängen. Dieser riesige Raum ist trotzdem noch immer dünn besiedelt und dient China als Pufferzone. Das gilt auch für Sinkiang mit seiner Taklamakan-Wüste. Ähnliches kann vom pakistanischen Norden gesagt werden, eine Pufferzone zwischen Indien und Pakistan. Dort werden die Menschen vom Staat gegängelt. Putin und sein Krieg gegen Tschetschenien ist unglaublich. Aber was tun die westlichen Staatsführer, wenn sie Putin treffen? Sie machen ihm den Hof.

bedrohte Völker: Es gibt auch andere Formen von Krieg, die Verarmung...
Reinhold Messner: Vor allem in Südamerika. Südamerika ist in den vergangenen drei Jahren so verarmt, dass eine Weltwirtschaftskrise die Folge sein könnte. Die südamerikanischen Staaten können ihre aufgehäuften Schulden nie mehr zurückzahlen. Die Berggebiete leiden darunter am meisten. Ich war im vergangenen Sommer in Ecuador und es ist nicht das ärmste südamerikanische Land. Die Menschen in den Bergen leben dort aber nicht mehr menschenwürdig. Sie hausen in Löchern.

bedrohte Völker: Die Berge, deren Probleme, sind sie vergleichbar? Die Berge sind politisch und wirtschaftlich marginalisiert, vielfach vom Flachland abhängig. Die Alpen, mehrsprachig und multinational, sind da doch eine Ausnahme?
Reinhold Messner: Die Alpen liegen im Zentrum eines Ballungsraumes, dort ist ein auch kurzfristiger Tourismus möglich. Das ist in Nepal beispielsweise ausgeschlossen. Die Ballungsräume sind dort sehr weit weg, bevölkert von kaufschwachen armen Menschen. Nepal lebte bisher vom internationalen Tourismus. Seit dem ständig wachsenden Bürgerkrieg ist dieser Tourismus als Geldquelle eingebrochen. Die Sherpas versuchen sich aus dem Krieg zwischen Staat und maoistischer Guerrilla herauszuhalten. Die Einbindung der Berglandwirtschaft in die staatliche Wirtschaft hat die Bauern abhängig gemacht.

bedrohte Völker: Die Einbindung der Berglandwirtschaft in die nationale Ökonomie öffnet aber auch die Bergregionen für weitergehende Erschließungen?
Reinhold Messner: Bodenschätze und Holz werden bereits von den Bergregionen heruntergeholt. Mit Staudämmen wird Wasserkraft gewonnen. Diese Dämme zerstören ganze Bergtäler, Menschen werden aus ihren angestammten Orten vertrieben. Die traditionellen Landwirtschaft wird verdrängt von Mono-Kulturen, aus Kleinbauern werden Landarbeiter und Taglöhner.

bedrohte Völker: Auf das Jahr der Berge folgte das Jahr des Süßwassers...
Reinhold Messner: Es muss jetzt die Diskussion geführt werden, wem gehört dieses Wasser? Die Bergbauern der Alpen sind beispielsweise Bewahrer von Süßwasser für halb Europa. Wenn diese Bergbauern anders wirtschaften würden, wäre das Wasser nicht mehr trinkbar. Die EU machte bisher noch keine klare Aussage über die Zukunft der Bergbauern.

bedrohte Völker: Gibt es politische Perspektiven für die Berge?
Reinhold Messner: Nein. Solange es nur eine Supermacht gibt, sind die vielfältigen Probleme nicht zu lösen. In Afghanistan ging es doch nicht allein gegen die Taliban, es ging um das Öl, um den Zugang zum Meer für die ehemaligen sowjetischen zentralasiatischen Staaten. Beim Irak geht es schlussendlich doch auch nur um die Öl-Herrschaft. Das Öl läuft aus, die Amerikaner sparen, und wollen sich deshalb anderswo bedienen.

bedrohte Völker: Braucht es einen Berg-Gipfel?
Reinhold Messner: Das bringt es nicht. Die Bergvölker müssen sich selber retten. Wir werden nie die politischen Lobbies haben, die die Berggebiete retten. Die Politiker der Nationalstaaten sind Städter. Wir müssen unsere Stärken begreifen. Wir müssen langfristig und nachhaltig handeln. Ob das dann auch erfolgreich sein wird, wer weiß?

bedrohte Völker: Warum dieser Pessimismus?
Reinhold Messner: Die Tibeter haben sich nicht wehren können. Sie haben die Chinesen drei Straßen bauen lassen, ein großer Fehler. Die ehemaligen Berater des Dalai Lama, damals noch ein Kind, waren von Peking bestochen worden. Sie ließen die Chinesen drei Straßen bauen. Als diese drei Straßen nach Lhasa führten, rollten auch schon die Panzer. Die von diesen Panzern abhängige Autonomie ist keine. Das autonome Tibet, Zentral-Tibet, ist der unterdrückteste Teil Tibets. Tibet ist nämlich größer als die autonome Region. Außerhalb dieser Region ist den Tibetern mehr erlaubt als im zentralen tibetischen Land. Im Herz von Tibet hat Peking alles verboten. Die Chinesen versuchen die Tibeter an den Rand zu drängen. In Lhasa leben bis zu 90 Prozent Chinesen.

bedrohte Völker: Gerade rechtzeitig vor dem Ende des Jahres der Berge trat die internationale Alpenkonvention in Kraft. Nach fast zwei Jahrzehnten hartnäckiger Bemühungen besonders der internationalen Alpenschutzkommisson Cipra einigten sich die Alpenstaaten auf ein völkerrechtliches Instrument zur nachhaltigen Entwicklung der Alpenregionen. Die Karpaten-Staaten wollen diese Konvention wegen ihres Modellcharakters übernehmen. Die Konvention, eine machbare Perspektive?
Reinhold Messner: Ja, auf alle Fälle, obwohl die Konvention derzeit nicht mehr als ein zahnloser Papiertiger ist. Die Grünen im Europaparlament fordern die Aufnahme der Konvention in das EU-Recht. Auf einer Tagung Anfang Januar 2003 pochten die Grünen in Brüssel auf die rasche Umsetzung der Konvention. Dieses Abkommen ist eine - wenn auch verwässerte - Balance zwischen Schutz und Nachhaltigkeit. Die Alpenlandschaft, viel davon von Menschenhand geschaffen, soll als solche erhalten werden. Als Verzahnung von Kultur- und Naturlandschaft, ein Raum für Menschen verschiedener Sprachen und wegen der Einwanderung von Nicht-EU-Bürgern ein Raum für Menschen verschiedener Kulturen. Die Konvention verbietet nicht das Wirtschaften, sondern unterwirft es der Nachhaltigkeit. Eine nachahmenswerte Weichenstellung.

Interview: Wolfgang Mayr. Aus "pogrom / bedrohte Völker" (Nr. 217 - 1/2003).


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020104de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/02-1/020423de.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/tuwa/tuwa.html | www.gfbv.it/3dossier/seattle.html | www.gfbv.it/3dossier/diritto/ilo169-conv-dt.html
* www: www.unesco.org/mab/IYM.htm | www.mountainpartnership.org

Letzte Aktual.: 13.3.2003 | Copyright | Suchmaschine | URL: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/bergen.html | XHTML 1.0 | WEBdesign, Info: M. di Vieste
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