In: Home > DOSSIER > Kambodscha: "Vergangenheit unter Prozess"
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Von Arianna Miorandi
Bozen, 10. April 2012
Der Angeklagte Duch bei der Urteilsverlesung im Appellverfahren am 3. Februar 2012. Foto: www.eccc.gov.kh.
In Kambodscha richtet das UN-Tribunal (offiziell:
Außerordentliche Kammern an den Gerichten von Kambodscha)
über fünf ehemalige führende Funktionäre der
Roten Khmer, die während der Diktatur von Pol Pot zwischen
1975 und 1979 für den Tod von ungefähr zwei Millionen
Menschen verantwortlich sind. Im Sommer 2010 kam es dann zu den
ersten Ergebnissen : Am 26. Juli verurteilte das Tribunal Kaing
Guek Eav, besser bekannt als "Duch", zu 35 Jahren Haft wegen
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerer Verletzungen der
Genfer Menschenrechtskonvention von 1949.
Der 67jährige ehemalige Mathematiklehrer und späterer
evangelischer Pastor war von 1975 bis 1979 Direktor des Lagers
von Tuol Sleng. In diesem Folterzentrum, das unter dem Namen
"Sicherheitsbüro 21" (S-21) zu traurigem Ruhm gelangte,
wurden Regimekritiker und sogenannte Feinde des "Demokratischen
Kambodschas" eingesperrt, gefoltert und hingerichtet. Je nach
Schätzung wurden hier zwischen 12.000 und 17.000 Menschen,
Frauen und Kinder miteinbegriffen, ermordet.
Im Laufe des Prozesses hat Kaing Guek Eav zugegeben, für das
Gefängnislager verantwortlich gewesen zu sein, er hat die
Verwandten der Opfer offiziell um Vergebung gebeten, aber er hat
auch mehrmals seine Position als Untergeordneter und einfacher
Ausführer von Befehlen erklärt bis hin zur
verblüffenden Bitte um Freispruch. Überraschenderweise
hatte der internationale Staatsanwalt William Smith in erster
Instanz lediglich 40 Jahre Haft beantragt und dabei dem
Angeklagten die 10 Jahre Untersuchungshaft und seine "teilweise
Kooperation" mit dem Gericht anerkannt.
Die kambodschanische Richterin Chea Leang bei der Urteilsverlesung im Appellverfahren am 3. Februar 2012. Foto: www.eccc.gov.kh.
Nach dem Appellverfahren, das Duchs Anwälte am 3. Februar
2012 angefordert hatten, kam es dann im Juli zum ersten
definitiven Urteil des Sondergerichts. Im appellverfahren wurde
das erste Urteil verschärft und Duch wurde nun zu
lebenslänglicher Haft verurteilt. Die Verbrechen, die im
ehemaligen Lager von Tuol Sleng begangen wurden, wurden von den
Richtern als die "schlimmsten Verbrechen der menschlichen
Geschichte" und das Lager selbst als "Fabrik des Todes"
definiert. Der Oberste Gerichtshof hat dabei die zentrale Rolle
des Angeklagten in der Führung des Lagers anerkannt.
Nun bleiben noch vier Angeklagte, über die das Sondergericht
urteilen muss. Alle vier sind wichtige Repräsentanten des
ehemaligen kommunistischen Regimes: Nuon Chea, stellvertretender
Sekretär der Kommunistischen Partei Kambodschas, Ieng
Thirith, Sozialministerin, Ieng Sary, Außenminister, und
Khieu Samphan, ehemaliger Staatschef von Kambodscha. Alle vier
Funktionäre wurden am 15. September 2010 wegen Verbrechen
gegen die Menschheit, Kriegsverbrechen, Völkermord, Folter,
religiöse Verfolgung und Mord angeklagt.
Nichtsdestoweniger ist die Gefahr groß, dass die zwei von
der internationalen Gemeinschaft gefeierten Urteile gegen den
ehemaligen Mathematiklehrer Kaing Guek Eav die einzigen des
Sondertribunals bleiben werden. Die andauernden politischen
Einmischungsversuche, der Zeitdruck und der Mangel an
Finanzmitteln stellen die Arbeit des Sondergerichts in Frage. Die
Einrichtung des Sondergerichts stellte sich von Anfang an als
schwieriges Unternehmen dar: Die langen diplomatischen
Verhandlungen zwischen der kambodschanischen Regierung und den
Vereinten Nationen wurden durch andauernde Einsprüche und
Aufschübe erschwert, sodass das Tribunal erst im Juli 2007
seine Aktivität beginnen konnte. Lange Konflikte und
Diskussionen über die rechtliche Vorgehensweise und der
prekäre Gesundheitszustand der Angeklagten haben die Arbeit
des Gerichts weiterhin verlangsamt. So kann es gut sein, dass die
Verfahren länger dauern als die Angeklagten, die alle
bereits um die 80 sind, noch zu leben haben.
Das größte Hindernis für die gute Arbeit des
Tribunals kommt von der Politik. Vergangenen Oktober hat der
deutsche Richter Siegfried Blunk seinen Rücktritt
erklärt und dabei unmissverständlich die
kambodschanische Regierung beschuldigt, die Arbeit der
kambodschanischen Richter so zu beeinflussen, dass jegliche
Anklage gegen Rote-Khmer-Funktionäre fallen gelassen
wird.
Auch heute noch sind viele ehemalige Rote-Khmer-Funktionäre
an der Macht und haben kein Interesse daran, über ihre
Vergangenheit Auskunft geben zu müssen oder womöglich
sogar mit den Verbrechen der Roten-Khmer in Verbindung gesetzt zu
werden. So gehörte z.B. der aktuelle Ministerpräsident
Kambodschas Hun Sen zu den Männern Pol Pots. 1977
flüchtete er nach Viet Nam, heute ist er
Ministerpräsident und fürchtet Ermittlungen, die viele
Regierungsmitglieder betreffen könnten. Der schweizer
Richter Laurent Kasper-Anserme, Nachfolger des deutschen Richters
Blunk, hat nun ebenfalls mit einem Rücktritt gedroht. Auch
er beklagt die andauernden Behinderungsversuche seitens der
Regierung.
Die Regeln, die dem Tribunal bei seiner Gründung auferlegt
wurden, begrenzen seine Arbeit stark: Es können nur die
Hauptverantwortlichen der Verbrechen, die vom 17. April 1975
(Einmarsch der Roten Khmer in Phnom Penh) und dem 16. Jänner
1978 (Einmarsch der vietnamesischen Truppen und Fall des Pol Pot
- Regimes) verübt wurden, angeklagt werden. Das
Sondergericht hat keine Kompetenz über Vorfälle, die
sich in den Jahren davor und/oder danach abgespielt haben noch
kann es Aufschluss über bestimmte Geschehnisse geben, die
Kambodschas Schicksal ausschlaggebend beeinflusst haben, wie z.B.
die Folgen des Kriegs zwischen USA und Vietnam auf die Politik
der Roten Khmer, die amerikanischen Bombardements auf Kambodscha,
die Nähe Chinas zum Regime von Pol Pot, die Befreiung durch
Vietnam, die dann zu einer langen Besetzung wurde, die
"versteckte" Rolle Kambodschas in der Politik des Kalten Kriegs,
die schlussendlich eine volle Befriedung des Landes verhindert
hat und dank der die Roten Khmer bis Anfang der 1990er Jahre
einen Sitz bei den Vereinten Nationen hatten.
Zur Zeit fehlen nun aber die finanziellen Mittel, um die Arbeit
des Sondergerichts zu garantieren. Die internationalen Krise und
das wachsenden Misstrauen gegenüber dem Sondergericht in
Kambodscha machen es den Vereinten Nationen schwer, die
nötigen Gelder unter den Mitgliedsstaaten
aufzutreiben.
Trotzdem hoffen die Überlebenden des Roten-Khmer-Regimes
noch immer auf Gerechtigkeit. Allein die Zulassung als
Zivilkläger im Prozess hat vielen Opfer Würde und
Hoffnung zurückgegeben. Einige der Überlebenden aus der
Provinz Kampot haben vor Gericht ausgesagt, kein Geld zu wollen,
sondern "ein Stupa (buddhistisches Gedenkmal) für unser
Dorf, um denen, die unter den Roten Khmer gestorben sind, zu
gedenken und eine kleine Bibliothek mit Dokumenten und Texten
über die Roten Khmer, damit unsere Kinder die Geschichte
lesen und lernen können und sich die Gräueltaten der
Roten-Khmer nicht wiederholen."
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/asia/kampu-de.html |
www.gfbv.it/3dossier/asia/kampuchea-de.html
in www: www.eccc.gov.kh/en | http://de.wikipedia.org/wiki/Kambodscha
| http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Kambodschas