Von Arianna Miorandi
Bozen, Februar 2007
"Es handelt sich um
eine formale Sache, aber für uns ist es auch ein Symbol der
Hoffnung auf eine bessere Zukunft" ... Stimmen, die man vor
wenigen Monaten unter den Menschen in den Dörfern
Kambodschas hören konnte, die vor 31 Jahren am eigenen
Körper und an der eigenen Seele den Horror der schwarzen und
blutigen Jahre der Pol Pot Regierung erlebt haben.
Am 3. Juli 2006 haben die 30 Richter offiziell in der Hauptstadt
Phnom Penh unter der Anwesenheit zwei buddhistischer Mönche
ihren Eid geschworen. Die 30 Richter, 17 kambodschanische und 13
internationale, bilden das Tribunal (eigentlich Extraordinary
Chambers), das zur Aufklärung der Verbrechen, die von den
Roten Khmer in den Jahren von 1975 bis 1979 begangen worden sind,
eingerichtet wurde.
Das Verlangen nach Gerechtigkeit des kambodschanischen Volkes
scheint endlich ernst genommen zu werden. Doch hat es lange
gedauert, zu lange. 31 lange Jahre sind vergangen, seit die Roten
Khmer Pol Pots die Macht an sich gerissen haben, das Jahr Null
der kommunistischen Revolution ausgerufen haben und um den neuen
Menschen, den perfekten Kommunisten, zu erschaffen, die
systematische Zerstörung der Vergangenheit verfolgt haben.
Am 17. April 1975, als die jungen Soldaten der Roten Khmer die
Hauptstadt Phnom Penh betraten, fand der Horror dieses kleinen
Landes in Südostasien, in dem in den darauffolgenden Jahren
einer der radikalsten politischen Pläne des 20. Jahrhunderts
durchgeführt wurde, seinen Anfang. Das idealistische Projekt
bestand aus der Rückkehr zu den ursprünglichen
Lebensformen: zurück zur Arbeit mit und an der Erde. Die
ärmsten Bauern aus den am wenigsten entwickelten Orten des
Landes, die von den Einflüssen (Verschmutzungen) der
bürgerlichen Gesellschaft frei waren, bildeten das
Idealmodell, auf dem die neue Gesellschaft ohne soziale
Schichten, ohne Schulen und ohne Geld gegründet werden
sollte und in der auch Intellektuelle keinen besonderen
Stellenwert mehr hatten, im Gegenteil, man wollte sie
auslöschen.
Mehr
als 30 Jahre wurde niemand vor Gericht gestellt, niemand wurde
die zwei Millionen Tote - in einem Land mit knapp sieben
Millionen Einwohner - zur Verantwortung gezogen. Was bleibt ist
die unvergängliche Erinnerung, festgehalten von
symbolischen, von den Folterknechten sorgfältig archivierten
Fotografien und von Bergen von Knochen und verstreuten
Schädeln, die in Gemeinschaftsgräbern gefunden wurden.
Es ist das "Nürnberg, das keiner will". Drei Jahrzehnte lang
hat ein Netzwerk von lokalem und internationalem Schweigen die
Verantwortlichen eines der schrecklichsten Genozide der
Geschichte geschützt. Vor allem der Innenpolitik Kambodschas
hat der Wille zur Aufklärung gefehlt. Viele, die einst den
Roten Khmer angehörten, sind heute an der Macht, so auch der
aktuelle Premierminister Hun Sen, der Guerillakämpfer von
Pol Pot war, 1977 nach Vietnam flüchtete und heute seit
zwanzig Jahren das Amt des Premierministers in Kambodscha inne
hat. Die unglaubliche Verspätung bei der Wahrheitssuche
verdankt Kambodschas Bevölkerung auch den großen
Mächten wie den Vereinigten Staaten, der Volksrepublik China
und anderen westlichen Mächte, die mit der Ausrede der
antivietnamesische und antisowjetische Politik jahrelang dien
Roten Khmer durch ihre antivietnamesischen und antisowjetischen
Politik der Roten Khmer diese jahrelang direkt oder versteckt
unterstützt haben. Mehr noch, sie haben sich bis Anfang der
90er Jahre dafür stark gemacht, dass Pol Pot seinen Sitz bei
den Vereinten Nationen beibehalten könne.
Die "Extraordinary Chambers" sind das Ergebnis einer
mühseligen, sieben Jahre langen (1997-2003) Verhandlung
zwischen den Vereinten Nationen und der kambodschanischen
Regierung. Die "Extraordinary Chambers" haben nun die Aufgabe,
nur über die "senior leader" der einstigen Demokratie
Kampuchea (so wurde Kambodscha von den Roten Khmer genannt) und
über die Personen, die zum Grossteil für die Straftaten
vom 17. April 1975 bis zum 6. Januar 1979 verantwortlich waren,
zu urteilen. Einer der umstrittensten Punkte während den
langen Jahren der Verhandlungen betraf die Zusammensetzung der
oben genannten Kammern. Auf Grund des mangelhaften
kambodschanischen Rechtssystems, das Korruption und
Einflüssen der Exekutive ausgesetzt ist, haben die Vereinten
Nationen versucht, dem Gericht eine internationale Kontrolle zu
gewährleisten. Die Regierung in Phnom Penh hat dieses
Angebot immer mit dem Verweis, die eigenen Gerichte hätten
die ausschließliche Kompetenz, die Roten Khmer zu urteilen,
zurück gewiesen. Der Engpass in den Verhandlungen wurde mit
der Institution eines gemischten Gerichts und mit der Anwendung
der "Supermehrheit" überwunden, die vorsieht, dass die
kambodcshanische Mehrheit der dreißig ernannten Richter
jede Entscheidung nur mit der Zustimmung eines internationalen
Richters treffen können.
Dennoch scheint mit dem unvermeidlichen Verstreichen der Zeit
eine glaubwürdige Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit in
der Tragödie der ehemaligen Demokratie Kampuchea immer
schwieriger zu werden. Inzwischen ist es fast schon zu einem
Kampf gegen die Zeit geworden, die Erinnerungen aufrecht zu
erhalten. Der Anführer und Inspirator, der Bruder Nummer
Eins Pol-Pot, ist 1998 gestorben. Viele haben sich der Regierung
von Hun Sen angepasst, wie zum Beispiel Ieng Sary, ehemaliger
Außenminister, Khieu Samphan, ehemaliger Staatschef und
Nuon Chea; sie führen ein wohlhabendes Leben zwischen Paris
und Kambodscha und die Regierung in Phnom Penh billigt es
wohlwollend. Dazu kommt, dass viele der Angeklagten inzwischen
achtzig und älter sind und es unwahrscheinlich ist, dass sie
das Ende der Verhandlungen noch erleben werden. Einzelne nur, wie
Ta Mok, auch "Metzger" genannt, und Kaing Khek Ieu, bekannt als
Duch, Chef des berüchtigten Folterzentrums in Tuol Sleng, in
dem 20.000 Menschen ums Leben kamen, wurden 1999 verhaftet. Als
Ironie des Schicksals starb Ta Mok am 21. Juli 2006, wenige Tage
nach Vereidigung der Richter und nahm somit viele Geheimnisse
dieser Jahre mit ins Grab.
Der Beginn der Gerichtsarbeiten wurde des Weiteren von der
dramatischen Wirtschaftslage in Kambodscha verlangsamt. Der
Prozess wird ungefähr 56 Millionen Dollar kosten; Gelder,
die das Land, das nach 10 Jahren internationaler Hilfe noch immer
im Existenzminimum lebt, nicht aufbringen kann und bei der
internationalen Gemeinschaft angefordert hat.
Heute scheint es so, als ob der Arbeitsbeginn der Gerichte neue
Hoffnung nach Kambodscha gebracht hätte. "Darauf warten wir
seit langem" erklärt Chea Vannath, Präsidentin des
Zentrums für die soziale Entwicklung in Phnom Penh und
Menschenrechtaktivistin. "Es gibt keinen Frieden ohne
Gerechtigkeit. Vielleicht erreicht das Gericht in der kurzen
Zeit, dass es zur Verfügung hat, nichts zur Feststellung der
Wahrheit (nur 3 Jahre), aber es wird ein wichtiges Zeichen sein
und Licht auf eines der schrecklichsten Massaker der Geschichte
werfen. Es wird auch eine Mahnung an unsere Regierenden sein, um
der Straffreiheit, die in unserem Land herrscht ein Ende zu
setzen und es kann nichts außer eine Verbesserung in unser
bekanntlich korruptes Rechtssystem bringen." Endlich endet
für Chea Vannath und viele andere Überlebende des Roten
Khmer Horrors das lange und schmerzhafte Warten. In den
nächsten Monaten beginnen die ersten öffentlichen
Gerichtsverhandlungen und ein weiterer entscheidender Schritt
wird gemacht sein, um den Tausenden von Opfern einer
verrückten revolutionären Utopie Gerechtigkeit zu
zollen.
Von Arianna Miorandi. Übersetzung von Melanie Haller.