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Zypern

Europas letzte Mauer

Inhalt
>> Zypern: Europas letzte Mauer
>> Zypern: "Seit gestern wird nichts mehr so wie früher sein"
>> "Nicht das Paradies": Ein Gespräch mit Leopold Maurer, Leiter der EU-Verhandlungdelegation Zyperns zum EU-Beitritt

Zypern .:: oben ::.

Europas letzte Mauer

Von Karl Hinterwaldner

Zypern, Jahreslang undurchlässig: Europas letzte Grenzmauer. Foto: Emma LantschnerDie Zeit drängt, Stichtag ist der 1. Mai 2004. Danach wird Zypern Teil der Europäischen Union sein. Doch die Mittelmeerinsel ist gespalten: 1974 marschierte die türkische Armee ein, nachdem rechtsradikale griechisch-zypriotische Militärs geputscht hatten. Seitdem ist die Insel geteilt und ethnisch gesäubert, im Norden leben die türkischen, im Süden die griechischen Zyprioten.

Zwar ließ der nordzyprische Machthaber Rauf Denktash am 23. April die Grenze nach Massendemonstrationen teilweise öffnen, doch könnte das mit der Aufnahme Zyperns in die EU schnell wieder anders werden. Dann würde aus dem 180 Kilometer langen und zwischen drei Metern und sieben Kilometern breiten Grenzstreifen plötzlich eine imaginäre Außengrenze der Union. Imaginär deshalb, weil Nordzypern bislang nur von der Türkei als eigener Staat anerkannt wird. Für den Rest der Welt gibt es nur ein Zypern.

"Ohne Lösung des Zypern-Problems vor dem EU-Beitritt", umreißt Dorothee Pilavas vom Deutsch-Zyprischen Forum die Lage, "kann das EU-Recht nur im Süden gelten, der von der Türkei besetzte Norden wird ausgegliedert bleiben." Damit wäre die Mittelmeerinsel weiter denn je von der lang ersehnten Wiedervereinigung entfernt. Serdar Atai mag gar nicht daran denken. Sollten die Demos und Kundgebungen in der türkischen Hälfte der geteilten Hauptstadt Nikosia Anfang des Jahres etwa umsonst gewesen sein?

"Nein, das darf nicht passieren", sagt der türkische Zypriot Atai entschlossen. Eine Lösung des Problems müsse noch vor dem 1. Mai gefunden werden.

Sommerakademie
Serdar Atai ist einer von sieben türkischen und fünf griechischen Zyprioten, die an der Sommerakademie der Europäischen Akademie (Eurac) in Bozen teilnahmen. Auf dem Programm, etwas sperrig betitelt mit "Die erweiterte EU und ihre Regionen", stand auch die Zypern-Frage. Eine Frage, die für die Zwölf von der Insel eigentlich gar keine ist. "Wir sind alle Zyprioten", lautet ihre Botschaft. Besonders deutlich sei das seit der Grenzöffnung geworden, als allein in der ersten beiden Wochen 130.000 die jeweils andere Seite erkundet haben.

Christoforos Fokaides war einer von ihnen. Zusammen mit seiner Familie hatte er sich aufgemacht, um das Haus von Onkel und Tante im Nordteil zu suchen. "Als wir dort eintrafen", erzählt Fokaides, "fragten uns die türkischen Zyprioten, die seit der Teilung dort leben, wo wir so lange geblieben waren. Sie hatten uns schon seit drei Tagen erwartet und jeden Tag ein großes Essen für uns vorbereitet, obwohl sie uns noch nie in ihrem Leben gesehen hatten." Weniger erfreulich endete die Suche nach dem Haus, das seine Eltern errichtet hatten. Eben eingezogen, mussten sie es nach dem türkischen Einmarsch vor 29 Jahren verlassen. "Als wir unser Haus gefunden hatten, verwehrte uns der jetzige Inhaber, ein türkischer Zuwanderer, den Eintritt", schildert Fokaides den vor allem für seine Mutter tragischen Tag.

Viele Zyprioten haben Angst vor den Ansprüchen, die ihre Landsleute von der anderen Seite der Insel möglicherweise auf ihr altes Eigentum erheben könnten. Die Angst ist nicht unbegründet. So sieht etwa der Plan zur Wiedervereinigung Zyperns von UNO-Generalsekretär Kofi Annan vor, dass niemand Eigentum erhalten soll, wenn er dafür nicht bezahlt oder ein gleichwertiges Objekt jenseits der Grenze zum Tausch freigibt. Nach Schätzungen der UNO müssten bei einer solchen Regelung allein in Nordzypern über 15.000 Personen ihre Häuser verlassen. Es lag nicht zuletzt an diesem Passus, dass Rauf Denktash den Annan-Plan im Dezember des vergangenen Jahres abgelehnt hat. In Kopenhagen hätten damals sowohl der türkisch-zyprische Politiker als auch sein südliches Pendant Glavkos Klerides den umfassenden Plan zur Lösung des Zypernkonfliktes unterschreiben sollen. Doch die Verhandlungen platzten.

Friedliches Zusammenleben
Jetzt hofft man auf die Parlamentswahlen in Nordzypern im Dezember, bei denen die für die Wiedervereinigung plädierenden, EU-freundlichen Oppositionsparteien gewinnen könnten. Doch sie sind zerstritten. Und noch einen Trumpf hat Denktash in der Hand: seine Ansiedlungspolitik, die ihm Stimmen sichert. "Mittlerweile leben mehr Türken vom Festland in Nordzypern als türkische Zyprioten", beschwert sich Atai, "deshalb sind diese Wahlen verzerrt, ihr Ausgang ist ungewiss."

Skeptisch zeigt sich auch Leopold Maurer, der Leiter der EU-Verhandlungsdelegation Zyperns zum EU-Beitritt: Eine neue Regierung würde sich nur schwer gegen einen Präsidenten Denktash durchsetzen (siehe Interview). "Aber die eigentliche Tragik an der Sache ist, dass die beiden Gemeinschaften nicht selbst über ihr eigenes Schicksal bestimmen können", erhitzt sich Maurer, einer der Starreferenten in Bozen. Die Menschen auf der Insel seien nur Spielbälle der Politiker, die sie für die politischen Zwecke der Mutterländer Türkei und Griechenland hin- und herschieben.

Das Modell Südtirol schindet inzwischen bei den zwölf Zyprioten Eindruck. "Bevor wir hierher kamen, wussten wir praktisch nichts über dieses Land", gibt Christos Patsalides zu. "Jetzt sehen wir, dass es durchaus Regionen gibt, in denen zwei verschiedene Volksgruppen in Frieden zusammenleben können. So etwas wollen wir in Zypern auch." Ob das realistisch ist? Lösungsansätze jedenfalls hat man an der Eurac gemeinsam mit internationalen Experten genug durchdiskutiert. Nun gilt es, sie umzusetzen.

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"Seit gestern wird nichts mehr so wie früher sein"

Von Emma Lantschner

Zypern. Gemeinsam singen und tanzen: 'Wir sind alle Zyprioten'. Foto: Emma LantschnerDie Insel erkunden kann nicht jeder in Zypern, zumindest nicht unbegrenzt. Während Touristen noch relative Bewegungsfreiheit haben, wenn sie in den Süden einreisen, war es den griechischen Zyprioten im Süden und den türkischen Zyprioten im Norden bis vor kurzem verboten, den anderen Inselteil zu besuchen. Seit dem 23. April 2003 ist das anders. Rauf Denktash, Präsident der nicht anerkannten "Türkischen Republik Nordzypern", hat dieses Verbot aufgehoben und seinen Landsleuten erlaubt, in den Süden zu reisen. Auch griechische Zyprioten dürfen nun den nördlichen Teil zu besuchen.

29 Jahre haben die Zyprioten darauf warten müssen. In der Zwischenzeit haben sie in der theoretischen Unmöglichkeit praktische Schlupflöcher gesucht. Das Schlupfloch schlechthin heißt Pyla. Pyla ist ein Dorf im Osten der Insel, welcher von den ethnischen Säuberungen verschont geblieben ist. Es liegt direkt in der Pufferzone.

Dadurch war es möglich, dass sich griechische und türkische Zyprioten dort zu "bi-kommunalen" Aktivitäten treffen konnten. Solche Treffen werden allerdings von Seiten des Denktash-Regimes argwöhnisch bespitzelt. Die Anhänger der bi-kommunalen Bewegung ließen sich aber auch durch Einschüchterungsaktionen nicht beirren. Zu wichtig war es ihnen, den Kontakt zu den Menschen auf der anderen Seite der green-line aufrecht zu erhalten. So wurden meist die Sonntage dazu genutzt, gemeinsam griechische und türkische Lieder zu singen und dazu zu tanzen oder Theater zu spielen. Die Stimmung während dieser Treffen ist heiter und gelöst. Die gemeinsame Sprache ist Englisch. Die Seele dieser bi-kommunalen Bewegung ist Nicos Anastasiou. Mit seinen Aktivitäten will er die zypriotische Zivilgesellschaft auf beiden Seiten für das Zusammenleben sensibilisieren. "Wenn wir es schaffen, die kritische Masse zu erreichen, dann ist eine Veränderung möglich", ist Anastasiou überzeugt.

Zypern. Besitztümer: Annan-Plan sieht Regelung vor. Foto: Emma LantschnerDie Demonstrationen von Tausenden türkischer Zyprioten Anfang des Jahres, mit denen sie Druck auf Denktash ausüben wollten, um ihn zur Unterzeichnung des von den Vereinten Nationen vorgeschlagenen Wiedervereinigungsplans zu bringen, zeigen eindrücklich, dass diese kritische Masse schon fast erreicht war. Denktash ließ sich allerdings nicht erweichen und verweigerte seine Zustimmung zum Annan-Plan. Umso überraschender kam die Ankündigung der Öffnung der Schlagbäume am 23. April 2003. "Seit gestern wird nichts mehr so wie früher sein", war Anastasious Reaktion am Tag darauf. Viele Zyprioten besuchen die Gegenden, in denen sie aufgewachsen sind, suchen nach Menschen, mit denen sie eine gemeinsame Geschichte verbindet oder die Häuser, aus denen sie vertrieben worden sind. So suchte eine griechische Zypriotin aus dem ehemals gemischten Dorf Afania einen jungen türkischen Zyprioten, der ihrer Familie 1974 bei der Flucht vor der türkischen Armee geholfen hatte. Sie fand die Mutter des Jungen, die ihr unter Tränen erzählte, dass ihr Sohn einige Tage nach der Fluchtaktion Opfer des Kampfes geworden war. Für Yasin Demir, Sohn türkischer Immigranten, hat die Öffnung der Grenzen noch einen bitteren Beigeschmack. Türkische Siedler, wie die seit 1974 angesiedelten Festlandtürken genannt werden, werden von den griechischen Grenzkontrolleuren nicht in den Süden gelassen. Außerdem wurden sie in den Häusern angesiedelt, aus denen die Griechen vertrieben worden sind.

Der Annan-Plan hätte eine genaue Regelung für die Eigentumsfrage vorgesehen. Nachdem der Plan nicht angenommen worden ist, fürchten türkische Siedler, aber auch türkische Zyprioten, die aus ihren Häusern im Süden vertrieben worden waren und sich im Norden in den verlassenen Häusern der Griechen niederließen, die Ansprüche, die griechische Zyprioten möglicherweise auf ihr altes Eigentum erheben. Yasins Familie hat bereits Besuch von den ursprünglichen griechischen Eigentümern bekommen. Das Treffen war freundschaftlich und die Befürchtungen von Yasins Familie haben sich als unbegründet herausgestellt.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen werden vielfach dahingehend interpretiert, dass die Öffnung lediglich von Denktashs unnachgiebiger Haltung in den letztlich entscheidenden Fragen ablenken soll. Die Öffnung ist sicherlich in Absprache mit der türkischen Regierung erfolgt, die seit dem Regierungswechsel im vergangenen November auf einen versöhnlichen Kurs eingeschwenkt hat. Da der Türkei erst vor kurzem von EU-Erweiterungskommissar Verbeugen ein Beitritt bis 2011 in Aussicht gestellt wurde, geknüpft an die Bedingung, sich für eine Beilegung des Zypernkonflikts einzusetzen, kann man davon ausgehen, dass dieser Kurs auch beibehalten wird.

Bröckelt in Nordzypern die starke Unterstützung der türkischen Regierung und steigt der Widerstand innerhalb der türkisch-zypriotischen Bevölkerung gegen das Denktash-Regime, sind die Tage der "Türkischen Republik Nordzypern" wohl gezählt.

"Nicht das Paradies" .:: oben ::.

Ein Gespräch mit Leopold Maurer, Leiter der EU-Verhandlungdelegation Zyperns zum EU-Beitritt

bedrohte Völker: Was hat sich in Zypern seit dem 23. April 2003 geändert?
Leopold Maurer: Die Leute dürfen seitdem frei über die Grenze gehen. Und da hat sich herausgestellt, dass es ein Märchen ist, dass sich die griechischen mit den türkischen Zyprioten nicht vertragen würden. Es hat keine Zwischenfälle auch nur der geringsten Art gegeben, die Leute verstehen sich sehr gut. Das Problem ist, dass die Politik jetzt Maßnahmen setzen müsste, um diesen Prozess zu einem wirklichen Friedensprozess zu machen. Da passiert aber nichts.

bedrohte Völker: Im Dezember gibt es im Nordteil Zyperns Wahlen. Ist das eine Chance für das gemeinsame Zypern?
Leopold Maurer: Zunächst einmal hängt es davon ab, wie diese Wahlen ausgehen. Die Opposition ist ganz klar für den EU-Beitritt, während sich die derzeitigen Machthaber für einen eigenen Staat Nordzypern aussprechen. Es sind aber nur Parlamentswahlen, Präsident bleibt Rauf Denktash. Falls die Opposition gewinnt wird sich erst zeigen müssen, inwieweit es einer neuen Regierung gelingt, einen solchen Friedensprozess einzuleiten - und zwar noch vor dem 1. Mai 2004, dem EU-Beitritt Zyperns.

bedrohte Völker: Warum diese Eile?
Leopold Maurer: Das würde sehr viele Probleme lösen. Die Mehrheit der Bevölkerung in Nordzypern wünscht sich den Beitritt, von daher können wir optimistisch sein. Aber es hängt natürlich davon ab, inwieweit die Türkei da mittut, die selbst in die EU will. Im nächsten Jahr im Herbst muss die Kommission dazu eine Stellungnahme abgeben mit einer Empfehlung für oder gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

bedrohte Völker: Wie sieht es mit der Aufnahme der Türkei in die EU ohne Lösung des Zypern-Problems aus?
Leopold Maurer: Das ist von den Fakten her sehr schwierig. Zypern wäre bis dahin ja Mitglied; nachdem bei solchen Fragen Einstimmigkeit erforderlich ist, kann man sich schwer vorstellen, dass die griechischen Zyprioten für einen Verhandlungsbeginn stimmen würden.

bedrohte Völker: Was hat Südtirol mit Zypern zu tun?
Leopold Maurer: Das Beispiel Südtirol zeigt, dass sich zwei unterschiedliche Gemeinschaften vertragen und zusammenleben können. Es entsteht dabei nie das Paradies auf Erden, aber es geht.

Aus pogrom-bedrohte Völker 221 (5/2003).


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/eu-min/cypros-mai.html | www.gfbv.it/3dossier/3indice.html#eu-min

* www: www.hrw.org/doc?t=europe&c=cyprus

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