In: Home > DOSSIER > Staudammprojekt "Belo Monte" in Brasilien. Indigene Völker und Amazonasregenwald in Gefahr
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Von Daniel Doerk
Bozen, Göttingen, Mai 2010
Arikafu Xipaia. Foto: Thomas Miller - Archiv Cimi Xingu.
Angst geht um am Fluss Río Xingú im
brasilianischen Bundesstaat Pará. Hier, wo kleine Gruppen
der Kayapó-, Assurini- und Juruna-Indianer leben, soll in
den nächsten fünf Jahren der drittgrößte
Staudamm der Welt entstehen. Er wäre das größte
Infrastrukturprojekt aller Zeiten und damit ein höchst
lukratives Geschäft für verschiedenste Unternehmen aus
aller Welt.
Die Pläne für den Belo-Monte-Staudamm sind schon
über 30 Jahre alt. Bisher konnte keine Regierung sie
umsetzen. Zu groß waren die Proteste von Einheimischen und
internationalen Organisationen. Die Ausmaße wären
erschreckend: Der geplante Stausee würde eine Fläche
von 516 Quadratkilometern überfluten, 20.000 Menschen leben
derzeit in dem betroffenen Gebiet. Dem steigenden Wasserpegel zum
Opfer fielen riesige Flächen seltenen Regenwalds und
landwirtschaftliche Anbauflächen, die die Lebensgrundlage
für viele traditionelle Gemeinschaften am Río
Xingú bilden.
Für die brasilianische Regierung ist dieses Projekt Teil
eines ambitionierten Programms zur Förderung erneuerbarer
Energien und gleichzeitiger Reduzierung von Emissionen. Bis 2020
will Brasilien seinen Kohlendioxidausstoß um 38 Prozent
verringern. Dass ein Staudamm mit einem Stausee dieser
Größenordnung ebenfalls große Mengen des Gases
freisetzt, wurde an keiner Stelle in den Berechnungen
bedacht.
Die Zukunft der indigenen Völker bleibt
ungeklärt
Über die Situation der indigenen Völker wird von
offizieller Seite kaum geredet. Zwar gibt es immer wieder
Ankündigungen des brasilianischen Präsidenten Luiz
Inácio Lula da Silva, sich um alle rechtlichen
Voraussetzungen zu kümmern. Einbezogen in die Planungsphasen
wurden die Indianer nicht - obwohl die brasilianische Verfassung
ihnen ein Mitentscheidungsrecht über Projekte, die ihr Leben
direkt betreffen, einräumt. Dabei sind sie es, die am
schlimmsten betroffen wären. Sie leben auf dem Areal, das
überflutet wird. Auch wenn viele Indianer, wie viele
Befürworter des Staudamms behaupten, nicht auf diesem
Gebiet, sondern in Siedlungen wohnen, nutzen sie das Land dennoch
zur Jagd und den Fluss zum Fischfang.
Wird der Río Xingú aufgestaut, verändert sich
ein komplexer Lebensraum. Die für die Waldindianer so
wichtigen Flussfische werden im stehenden Gewässer sterben.
Tropischer Regenwald mit seiner enormen Artenvielfalt wird
zerstört. Kleinere Tümpel und Seen, die sich durch
Pegelschwankungen bilden werden, stellen eine ideale
Brutstätte für Malaria und andere Krankheiten dar. Ein
ganzes Ökosystem ist in Gefahr. Dadurch werden auch die
Kayapó, Assurini und Juruna gezwungen sein, ihre Heimat zu
verlassen. Wohin sie gehen sollen, bleibt allerdings
ungeklärt. Die Regierung hat bisher keine
Umsiedlungsprojekte oder Alternativen vorgestellt.
Auch diejenigen, die den Wald bereits verlassen und ihre
traditionelle Lebensweise aufgegeben haben sowie in die Stadt
Altamira gezogen sind, stehen vor einer ungewissen Zukunft. Denn
die Stadtteile, in denen sie sich angesiedelt haben, werden
ebenfalls geflutet. Die Betroffenen sind verzweifelt. Sie haben
in Brasilien so gut wie keine Lobby und können kaum auf sich
aufmerksam machen. Darüber hinaus vertrauen sie der
brasilianischen Regierung nicht, denn diese hat bereits in der
Vergangenheit Versprechen über Ausgleichs- und
Entschädigungszahlungen nur selten eingehalten.
Die enorme Zuwanderung von bis zu 100.000 Arbeitern in die Region
während des Staudammbaus bereitet vielen
Umweltschützern zusätzliches Kopfzerbrechen. Neuer
Wohnraum wird entstehen müssen, die Natur noch weiter
zerstört. Und was passiert mit den Arbeitern, wenn der Damm
fertig ist? Ziehen sie weiter, hinterlassen sie ein Bild der
Zerstörung. Bleiben sie, sind soziale Unruhen
vorprogrammiert, da nicht mehr genug Arbeitsplätze vorhanden
sein werden.
Sind wirtschaftliche Interessen und Prestige für
den Präsidenten wichtiger?
Brasilianische und internationale Experten sind sich dagegen
sicher: Um die Energiesituation der Einwohner Parás zu
sichern, ist der Bau eines solchen Staudamms nicht nötig.
Vielmehr vermuten sie, dass der gewonnene Strom energieintensiven
Aluminium- Stahl- und Zellstoffindustrien zugute kommen wird.
Dies war beispielsweise beim Bau des Tucuruí-Staudamms,
ebenfalls im Bundesstaat Pará, der Fall. Hier wurden die
Anlieger in unmittelbarer Nachbarschaft erst über 20 Jahre
nach Fertigstellung des Wasserkraftwerks an das
Elektrizitätsnetz angeschlossen.
Auch die Kosten des Baus lassen am Sinn des Projekts zweifeln.
Waren bisher zwölf Milliarden Euro veranschlagt, so musste
Brasiliens Minister für Bergbau und Energie, Edison Lobao,
diese Zahl Anfang März 2010 auf 15 Milliarden korrigieren.
Der Belo-Monte-Staudamm wird wohl in erster Linie ein weiteres
Prestigeobjekt von Präsident Lula werden. Über 50
Prozent seines Stroms erzeugt Brasilien bereits aus erneuerbaren
Energien. Dazu zählen auch Wasserkraftwerke an
Staudämmen.
Ist Brasilien also ein grüner Energieriese? Nur bedingt.
Denn so vorbildlich die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien
auch sein mag, die Zerstörung von 500 Quadratkilometern
Regenwald und Nutzflächen sowie die enormen Kosten wiegen
einen großen Teil der vorgeblichen
Umweltverträglichkeit wieder auf.
Dabei gäbe es durchaus Alternativen zu Belo Monte. Eine
Studie des brasilianischen WWF zeigte 2007, dass das Land durch
Investitionen in die Energieeffizienz bis 2020 seinen
Energiebedarf um 40 Prozent reduzieren könnte. Die gesparte
Energie wäre dadurch so groß wie 14
Belo-Monte-Wasserkraftwerke; Brasilien würde um die 13
Milliarden Euro sparen. Damit könnten dann umweltschonendere
Alternativen wie Solar- oder Windenergie gefördert
werden.
Im Oktober 2010 sind Präsidentschaftswahlen in Brasilien.
Das könnte die letzte Chance für die indigenen
Völker am Río Xingú sein. Will Lula, dass
seine Arbeiterpartei und Wunschnachfolgerin Dilma Rousseff
(derzeit Ministerin für die Koordination seiner
Regierungsarbeit) gewählt werden, braucht er vor allem die
vielen Stimmen der "kleinen Leute", und nicht die wenigen der
großen Unternehmer. Dauernde Verstöße gegen
brasilianisches Recht und eine Horde aufgebrachter Wähler in
Pará werden ihm dabei genauso wenig helfen wie eine
internationale Protestfront.
Im April 2010 begannen die Ausschreibungen für den Bau. Eine
Versöhnung mit den Menschen vor Ort gab es bis dahin nicht.
Sind die Verträge mit den Unternehmen erst einmal
unterzeichnet, wird es kein Zurück mehr geben, wie Edison
Lobao bereits jetzt schon siegessicher meint: "There will be no
turning back." Es kommen entscheidende Wochen auf die
Kayapó, Assurini und Juruna zu. Es bleibt abzuwarten, ob
die brasilianische Regierung doch noch ein Einsehen hat und von
diesem verheerenden Projekt für Mensch und Natur Abstand
nimmt. Letztlich liegt es an Präsident Lula, wessen
Interessen ihm wichtiger sind.
Aus pogrom-bedrohte Völker 259 (2/2010)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/2c-stampa/2010/100420de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2009/091126de.html
| www.gfbv.it/2c-stampa/2008/080416de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasil-tras-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/lateinam.html
www: www.stopdamsamazon.org |
www.cimi.org.br