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Pogrom bedrohte Völker Nr. 269-270, 1-2/2012
Bozen, Dezember 2012
Index
Editorial, Sabrina Bussani | Kurznachrichten | Ecuador:
Yasuní-Projekt vorerst gescheitert. Run auf Rohstoffe in
Ecuadors Regenwald | Ecuador: Italiens Beitrag
zum Projekt Yasuní-ITT | Kichwa von
Sarayaku vs. Ecuador | Peru: Die Shipibo-Konibo
und die Kunst der Schönheit | Peru: Das
Künstlerkollektiv Barin Bababo
Von Sabrina Bussani
Wachstum im Wandel: unbegrenztes Gewinnstreben oder Gemeinwohlökonomie? pogrom / bedrohte Völker 269-270 (1-2/2012).
Liebe Leserinnen und Leser,
jedem ist inzwischen bewusst, dass wir in Zeiten der
Wirtschaftskrise leben, und da die Wirtschaft globalisiert ist,
betrifft die Krise die ganze Welt. Es gibt kaum noch politische
Entscheide, wirtschaftliche Entschlüsse oder
Spesenaufteilungen, die nicht von "DER KRISE" bedingt und durch
die Notwendigkeit, "die Wirtschaft wieder anzukurbeln"
gerechtfertigt wären. Um wirtschaftlich wieder auf die Beine
zu kommen, braucht es "notwendige Opfer", die weltweit für
Millionen Menschen Arbeitslosigkeit, Armut, Ausgrenzung und
Krankheit bedeuten. So ist es nicht verwunderlich, dass bei uns
genauso wie anderswo immer mehr Stimmen laut werden, die das
aktuelle Wirtschaftsmodell hinterfragen und für eine
für den Menschen und die Umwelt respektvollere Wirtschaft
plädieren.
Die vielen Vorschläge und Strategien beziehen sich
hauptsächlich auf Grundideen wie sinnvolles Minuswachstum,
Nachhaltigkeit, Solidarität und - wie man immer öfters
hört - auf das Konzept des "buen vivir" oder, zu gut
deutsch, des "guten Lebens". Das Prinzip des "buen vivir" ist ein
wichtiger Teil der Weltanschauung der indigenen Völker
Südamerikas, dessen Komplexität aber durch die
Übersetzung in europäische Sprachen verloren zu gehen
riskiert. Egal ob man sich nun auf das "sumak kawsai" der Kichwa,
auf das "suma qamaña" der Aymara, auf das "teko
porã" der Guaraní-Völker oder auf das "
küme mogen" der Mapuche beruft, der Grundsatz des "guten
Lebens" steht immer auch für eine ganz bestimmte Lebensweise
und -einstellung, die den Menschen dazu anhält, in Harmonie
mit sich selbst, den Mitmenschen und der eigenen Umgebung zu
leben. Ein "gutes Leben" zu führen bedeutet auch, in einer
Welt zu leben, in der man sich mit dem Notwendigen begnügt,
die von Gegenseitigkeit charakterisiert ist und in der niemand
ausgeschlossen wird. In der indigenen Weltanschauung handelt es
sich dabei keineswegs um Utopie - schöne aber
unverwirklichbare Träume, - es handelt sich vielmehr um ein
sehr konkretes Prinzip, das die täglichen großen und
kleinen Entschlüsse eines jeden Menschen und seiner
Gemeinschaft leiten sollte, und das so, die Art und Weise, in der
wir leben und das Leben angehen, bestimmt.
Das Prinzip des "buen vivir" ist in den neuen Verfassungen von
Ecuador (2008) und Bolivien (2007) verankert, die somit ein
alternatives, von der indigenen Bevölkerung eingebrachtes
Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell anerkennen. Der Prozess, der
zu dieser Anerkennung führte, war weder einfach noch
"schmerzlos". Vorangegangen waren jahrezehntelange
Auseinandersetzungen und Kampagnen zum Schutz der indigenen
Kulturen und zur Anerkennung ihrer Rechte. In Ecuador kann man
wohl den 1992 abgehaltenen "Indigenen Marsch" als Wendepunkt im
Kampf um Anerkennung identifizieren. Ungefähr 1.200
Vertreter der indigenen Völker Amazoniens marschierten -
nicht zum ersten Mal - 500 km bis in die Hauptstadt Quito, die
sie erst wieder verliessen, als ihnen die kollektiven
Besitzurkunden für ihr angestammtes Land übergeben
wurden.
In Bolivien war die Entschlossenheit der indigenen
Bevölkerung im so genannten "Krieg um Wasser" (2000) und im
"Krieg um Gas" (2003) ausschlaggebend. Hunderttausende von
Menschen, zum Großteil Indigene, protestierten gegen die
Privatisierung und die darauffolgenden drastischen
Preiserhöhungen von lebensnotwendigen Gütern wie
Trinkwasser und Erdgas. Die extreme Gewalt mit der die
Behörden auf die Proteste reagierten hatten zur Folge, dass
umso mehr Menschen auf die Strassen gingen. Der Höhepunkt
der Staatsgewalt wurde erreicht als der damalige Präsident
Gonzalo Sánchez de Lozada den Befehl erteilte, auf die
protestierende Menschenmenge zu schiessen. 65 Menschen wurden
getötet, unzählige verletzt. Mit der darauffolgenden
Flucht von Sánchez de Lozada in die USA begann für
Bolivien eine aussergewöhnliche Zeit des Umschwungs, die
letztendlich zum ersten indigenen Präsidenten der
bolivianischen Geschichte, zur Ausrufung eines plurinationalen
Staats und zur Erarbeitung der neuen Verfassung mit dem in ihr
verankerten Prinzip des "buen vivir" führte.
Natürlich haben Ecuador und Bolivien dadurch nicht alle ihre
Probleme gelöst und die beiden Andenstaaten haben sich nicht
wie durch Magie in kleine Paradiese verwandelt. Wie wir in den
nächsten Seiten lesen werden, scheitert die konkrete
Anwendung des "buen vivir" viel zu oft an Interessen und
Prioritäten des aktuellen Wirtschaftmodells. Trotzdem
konnten auch einige Erfolge verbucht werden, die Inspiration
für alle und nicht nur für andere indigene Völker
sein können. In einer globalen Wirtschaft ist der Kampf der
indigene Völker eng mit unserem Kampf für ein
menschenwürdiges Wirtschaftsmodell verbunden. Unser
Konsumverhalten und die Festlegung unserer Prioritäten
werden, wie das Modell des "buen vivir" bereits suggeriert,
Entscheidungen, die zur Gesundheit des ganzen Planeten beitragen
können.
Sabrina Bussani
Ureinwohner aus 18 Gemeinschaften des Penan-Volkes im malaysischen Teil der Insel Borneo präsentierten am 22. Mai 2012 vor Journalisten und Politikern einen Plan zur Rettung der bedrohten Wälder ihrer Heimat. Das Penan Peace Park-Projekt ist das Ergebnis einer intensiven gemeinschaftlichen Arbeit, in dem Umweltschutz, nachhaltige Entwicklung, Wahrung der eigenen Sprache, Traditionen und Kultur, Aufbau institutioneller Strukturen und Recht auf Selbstbestimmung zusammenfließen. Das Projekt sieht den Schutz von 163.000 Hektar zum Teil noch intakten Regenwalds, Auffassung und Systematisierung der Penan-Sprachen und ihres traditionellen Wissens, Auf- und Ausbau wirtschaftlicher Aktivitäten im Bereich des nachhaltigen Tourismus, Landwirtschaft, nachhaltige Verwertung und Vermarktung waldeigener Produkte und Aufbau gemeinschaftlicher Strukturen und Institutionen um die korrekte und gemeinschaftliche Verwaltung des Penan-Peace-Parks auf Dauer garantieren zu können, vor. Der Penan-Peace-Park soll - so die Penan-Gemeinschaften - eine wirtschaftlich und sozial gültige Alternative zu den Plänen der Regionalregierung der Provinz Sarawak sein, die gemeinsam mit in- und ausländischen Investoren den Bau von zwölf Staudämmen und die weitere Rodung auch dieser Regenwaldfläche vorsehen. In den vergangenen 30 Jahren wurde durch legale und vor allem illegale Waldrodung ein Großteil des Regenwaldes auf Sarawak zerstört.
Der Anführer des Bribri-Volkes Sergio Rojas Ortiz ist
Mitte September 2012 nur knapp einem Mordanschlag entgangen.
Unbekannte feuerten mehrere Schüsse auf ihn ab. Er blieb
jedoch unverletzt. Dieser Attentatsversuch wird als Teil einer
Serie von Drohungen und tätlichen Angriffe auf indigene
Sprecher gewertet, die sich für die Durchsetzung verbriefter
Rechte stark machen, beispielsweise auf das Treritorium. In den
vergangenen Monaten sind mehrere Gerichtsurteile ergangen, denen
zufolge illegal angeeigneter Grundbesitz wieder an die
ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden muss. Der
Dachverband FRENAPI (Nationale Front der indigenen Völker(
fordert von der Regierung Costa Ricas die Aufklärung des
Anschlags und einen besonderen Schutz für
Führungspersönlichkeiten der indianischen Völker
Costa Ricas.
Quelle: www.npla.de, 1. Oktober 2012
Seit dem 26. September blockieren 200 Frauen, Männer und
Kinder der Penan- und Kenyah-Stämme die Zufahrtsstraße
zum Murum-Damm, der derzeit von einer chinesischen Firma auf der
malaiischen Insel Borneo gebaut wird. Sie fordern die Lösung
ungeklärter Landrechtsfragen und den Stopp von
Zwangsumsiedlunge. Vom Bau des Staudamms sind 1.400 Indigene der
Penan und Kenyah betroffen: Fast 250 Quadtrakilometer Wald und
Land sollen nach Fertigstellung Anfang 2013 geflutet
werden.
Quelle : Bruno-Manser Fonds, 27. September 2012
Ein Gericht Ecuadors hat die Einfrierung des in Ecuador
liegenden Eigentums des Erdölkonzerns Chevron veranlasst.
Das Urteil fiel nachdem der US-Konzern sich geweigert hatte, ein
Bußgeld in der Höhe von 19 Milliarden US-Dollar zu
bezahlen, zu dem er in Februar 2011 verurteilt worden war.
Chevron hat in den Jahren zwischen 1964 und 1990 durch die
Erdölförderung seiner Tochtergesellschaft Texaco
große und schwerwiegende Umweltschäden in der
Amazonasregion verschuldet. Leidtragende der Folgen der
Umweltvergiftung waren und sind 30.000 Menschen. Chevron hatte
bekannt gegeben, das Strafgeld nicht bezahlen zu wollen nachdem
sich der Oberste Gerichtshof der USA, an den sich Chevron gewand
hatte, geweigert hatte, die milliardenhohe Strafe zu
annullieren.
Quelle: Il Sole24ore, 17. Oktober 2012,
www.ilsole24ore.com/art/notizie/2012-10-17/ecuador-congelati-beni-chevron-090656.shtml?uuid=AboC1vtG
Ein nach Kenia geflüchteter Bauer aus der Gambela-Region
in Äthiopien wirft der britischen Regierung vor,
Menschenrechtsverletzungen der äthiopischen Regierung
ermöglicht zu haben. Der Familienvater berichtete britischen
Anwälten, seine und andere Familien seien im November 2011
von äthiopischen Soldaten in ein anderes Dorf
zwangsumgesiedelt worden. Er warf der Armee gewaltsames Vorgehen
bis hin zu Vergewaltigungen und dem "Verschwindenlassen" von
Personen vor. Seine Familie habe nach der Zwangsumsiedlung weder
neues Land noch Nahrung und Wasser erhalten. Das Programm, in
dessen Rahmen die Zwangsumsiedlungen stattfanden, wird laut den
Anwälten des Bauern vom britischen Ministerium für
Internationale Zusammenarbeit gefördert. Vereinzelt lebende
Bauern und Nomaden sollen in Dörfewrn zusammengeführt
werden, um das "frei" gewordene Land an in- und ausländische
Unternehmen verpachten zu können.
Quelle: BBC, 5. September 2012
Von Nico Heinzer, Stefanie Falk, Yvonne Bangert
Werbung für den Yasuní-Fonds gegen Erdölförderung und für den Erhalt des Nationalparks. Foto: GfbV Archiv.
Eigentlich hatte das Yasuní-Projekt in Ecuador nur
Vorteile: 2007 von der Regierung aus der Taufe gehoben, solle es
dem Erhalt des Yasuní-Nationalparks dienen. Ecuador ist
bereit, auf Ölförderung in dem Biosphärenreservat
zu verzichten, wenn die internationale Gemeinschaft einen Teil
des entgangenen Gewinns durch einen von der UN verwalteten Fonds
ersetzt. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP)
soll mit dem Ertrag des Fonds Projekte für erneuerbare
Energien finanzieren. Denn Ecuadors Verfassung von 2008 behandelt
die Erde als Subjekt mit eigenen Rechten, die es zu schützen
gilt. Doch das Projekt droht zu scheitern. Es fanden sich noch
nicht genug "Investoren", die in den Fonds einzahlen
wollen.
Im Yasuní-Park, in dem das größte noch
unangetastete Ölfeld Ecuadors, das
Ishpingo-Tambococha-Tiputini (ITT), liegt, leben heute noch rund
2.000 Waorani, darunter in freiwilliger Abgeschiedenheit die
kleinen Gruppen der Tagaeri und der Taromenane.
Ölförderung in ihrem Gebiet könnte diese Isolation
mit Gewalt beenden und die beiden kleinen Völker dadurch in
Lebensgefahr bringen. Die Ölförderung würde aber
auch ein kleines Stück Naturparadies zerstören, denn
die Ölfelder liegen in einem der artenreichsten Gebiete der
Welt, das 1989 von der UNESCO zum Biosphärenreservat
anerkannt wurde.
2008 hatte die damalige deutsche Entwicklungshilfeministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul die finanzielle Unterstützung
Deutschlands für den Yasuní-Fonds zugesichert. Sie
wusste dabei eine Koalition quer durch alle Bundestagsfraktionen
hinter sich. Doch im September 2010 gab ihr Nachfolger Dirk
Niebel nach einer Anfrage bekannt, dass "wir die Einzahlung in
den Treuhandfonds für die ITT-Initiative nicht in Betracht
ziehen". Er wolle kein Geld in unterlassene Umweltzerstörung
investieren.
Minister Niebel will lieber den REDD-Mechanismus (REDD = Reducing
Emissions from Deforestation and Degradation/Verringerung von
Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung)
unterstützen. Dieser wird jedoch von vielen indigenen
Organisationen heftig kritisiert. REDD ermöglicht durch
Emissionshandel die Kommerzialisierung der Natur, während
das Yasuní-Projekt Emissionen gar nicht erst entstehen
lässt. Das Yasuní-Projekt würde Emissionen
vermeiden, während der REDD-Mechanismus sie wirtschaftlich
bewertet. Alberto Acosta, ehemaliger Minister für Energie
und Bergbau Ecuadors, verglich REDD in der Berliner taz im
September 2011 mit den Glasperlen, mit denen europäische
Konquistadoren bei der Eroberung Amerikas den Ureinwohnern ihr
ungleich wertvolleres Gold abluchsten, denn mit REDD werde der
Regenwald zum Geschäft.
Die Yasuní-Initiative hätte eine wichtige
Pilotfunktion für andere umstrittene Förderprojekte in
indigenen Gebieten, nicht zulezt auch im
Yasuní-Biosphären-Reservat, das außerhalb des
umstrittenen Gebiets Yasuní-ITT bereits stark für die
Ölförderung erschlossen ist. Denn Präsident Rafael
Correa hält sich die Öl-Option durchaus offen. Für
die Ölfelder Tiputini und Tambococha hat der Staatsbetrieb
Petroamazonas mittlerweile eine
Umweltverträglichkeitsprüfung vorgelegt. Im
benachbarten Block 31, der ebenfalls innerhalb des
Yasuní-Parks liegt, soll ab 2013 das Rohöl sprudeln.
21 Bohrlizenzen will die Regierung unter anderem im Kichwa-Gebiet
vergeben, sieben davon noch 2012. Profitieren wird dadurch
vermutlich vor allem China, das im Tausch gegen
großzügige Kredite den Anspruch auf 52 Prozent des
ecuadorianischen Erdöls erhalten soll.
Dabei ist das südamerikanische Land durch seine Verfassung
und durch die Ratifizierung der ILO-Konvention 169 der
Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen
verpflichtet, die Mitbestimmungsmechanismen der indigenen
Völker und das Konzept des "buen vivir", des guten Lebens im
Einklang mit der Natur, einzuhalten. Die betroffenen indigenen
Völker in den Regionen Orellana, Pastaza und Morona Santiago
wollen sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage
wehren und machten im März 2012 bereits mit einem Marsch
nach Quito auf sich und ihre Forderungen aufmerksam. In Pastaza
liegt die Gemeinde Sarayaku, deren fantasievoller und friedliche
Widerstand gegen die Ölförderung die GfbV seit Jahren
unterstützt. Aber zurück zum Projekt Yasuní-ITT:
Nachdem Deutschland aus dem Projekt ausgestiegen ist und dabei
heftige Proteste bei Umweltschützern und Menschenrechtlern
ausgelöst hat, scheinen andere Länder durchaus in die
Zukunft unseres Planeten investieren zu wollen. Beiträge
gibt es bisher aus Chile, Peru, Kolumbien, Spanien, Italien sowie
aus Regionen in Belgien und Frankreich, auch Firmen und
Privatpersonen spenden. Die Beiträge reichen aber nicht aus
und nachdem die Regierung in Quito die Zielsumme erhöht hat,
wirft so mancher Präsident Correa Erpressung vor. Doch
selbst das US-Magazin Time schrieb: "Man kann nicht ignorieren,
dass der Plan im Kern gerecht ist".
Öl- und Berbau-Boom als Zukunft
Ecuadors
Am 6. März 2012 unterzeichnete der ecuadorianische
Präsident Rafael Correa mit der chinesischen Firma
Ecuacorriente einen Vertrag über den groß amgelegten
Abbau von Kupferreserven in der Provinz Zamora Chinchipe im
südlichen Amazonasgebiet. Die Mine Mirador enthält nach
Schätzungen etwa fünf Milliarden Pfund Kupfer und soll
Ende 2014 mit der Förderung beginnen. Ecuador erwartet
Einnahmen von 4,5 Milliarden US-Dollar, während der
Bergbaukonzern 100 Millionen Us-Dollar aus den Einnahmen, die ihm
die Lizenz verschafft, in die Entwicklung benachbarter Gemeinden
investieren will. "Wir können uns doch nicht wie Bettler
verhalten und zugleich auf einem Sack Gold sitzen", sagte
Präsident Correa laut Sapa-AFP vom 6. März 2012 bei der
Vertragsunterzeichnung, und betonte, es breche nun eine "neue
Ära" der Bergbauindustrie in dem kleinen Andenstaat an. Der
Vizeminister für Bergbau, Federico Auquilla, bezeichnete
Erdöl und Bergbau gar als Zukunft des Landes und seiner
Entwicklung. Umweltschutzorganisationen und der Dachverband der
indigenen Völker (CONAIE) kündigten bereits massive
Proteste gegen die Zerstörung der Biodiversität in den
betroffenen Regionen sowie die Verschmutzung des wassers und die
Vertreibung der Menschen an.
(Stefanie Falk)
Von Sabrina Bussani
Im Nationalpark Yasuní. Foto: © Joshua Bousel.
Am 27. September 2012 teilte das italienische
Außenministerium mit, dass Ecuador, Italien und UNO, am
Rande der 67. UN-Generalsaversammlung, ein trilaterales Abkommen
zum Schutz des Yasuní-Parks unterschrieben hatten. Das
Abkommen sieht vor, dass Italien auf die Auszahlung von 35
Milionen Euro von insgesamt 58 Millionen Euro Schulden, die
Ecuador mit Italien hat, verzichtet und dass dieser Betrag
stattdessen in den Yasuní-ITT-Fonds einfliessen soll. Dank
diesem Beitrag, schreibt das italienische Aussenministerium,
"wird Italien zu einem der wichtigsten Träger des Projekts".
Alles in allem scheint dies ein gutes Abkommen zu sein, die
Perplexität aber über die Art und Weise, in der Ecuador
einen Großteil seiner Schulden mit Italien bezogen hat,
bleibt.
2007 rief der damals neu gewählte Präsident Rafael
Correa eine Kommission zur Analyse von Ecuadors Auslandschulden
(CAIC) ein. Analisiert werden sollten die Schulden, die Ecuador
zwischen 1976 und 2006 gemacht hatte. Fazit der Kommission:
Ungefähr ein Drittel der 360 erhaltenen Darlehen wäre
illegal gewesen, der dabei zusammengetragene Schuldenberg betrage
in etwa 4 Milliarden Euro. Zu den illegalen Darlehen gehören
laut CAIC auch die 45 Millionen Euro, die Italien 1995 für
den Bau des Wasserkraftwerks Marcel Laniado De Wind in der
Nähe des Staudamms Daule Peripa bereit gestellt hatte. Das
Darlehen sei illegal gewesen, weil es vor allem italienische
Eigeninteressen gedeckt habe. So stand die Ausschreibung zum Bau
des Kraftwerks nur Konsortien frei, die von italienischen Firmen
angeführt wurden und mit dem Bau wurde dann auch das
Konsortium unter der italienischen Firma Ansaldo Gie SpA
beauftragt. Im Laufe der Bauarbeiten stiegen die Baukosten um
160% dank der plötzlichen Entscheidung, die Kraft des Werks
zu erhöhen. Eine technische Kontrolle der CAIC ergab jedoch,
dass die installierten Turbinen eine niedrigere Leistung als im
Vertrag angegeben erbringen und dass somit das ecuadorianische
Volk viel Geld für eine qualitativ schlechte Arbeit gezahlt
hat, die nur ein Drittel der erwarteten Energie produziert.
Die damalige italienische Regierung habe zudem ihre "due
diligence"-Pflichten nicht wahrgenommen: Die Finanzierung wurde
bewilligt ohne jegliche Kontrolle über die tatsächliche
Notwendigkeit des Kraftwerks, die obligatorischen Konsultationen
mit der lokalen indigenen Bevölkerung wurden nicht
abgehalten, die schwerwiegenden Folgen für die dort lebenden
Menschen wurden nicht abgewogen (15.000 Menschen wurden
zwangsumgesiedelt, 63 Dörfer sind in Folge der Arbeiten
praktisch isoliert und die Gemeinschaften, die auf den Inseln des
Stausees leben, haben heute einen schlechteren Lebensstandard als
vor dem Bau des Staudamms und des dazu gehörenden
Kraftwerkes, ohne Transport- und Kommunikationswege, mit weniger
öffentlichen Diensten und ohne das Land, von dem sie sich
vorher wenigstens ernähren konnten). Selbst die
Umweltprüfungen wurden nicht gemäß der internen
Richtlinien der Weltbank durchgeführt. Äußerst
undurchsichtig ist auch das Finanzabkommen, das damals zwischen
dem Bankinstitut Mediocredito (vertretend für die
italienische Regierung) und der ecuadorianischen Regierung zur
"Realisierung des Wasserkraftwerkes von 130 MW von Daule Peripa"
unterzeichnet wurde. Aus den Artikeln 5 und 6 des Abkommens, die
äußerst detailliert beschreiben, wie das Darlehen
verwendet werden muss, geht hervor, dass das Darlehen allein
für die Bezahlung der italienischen Baufirma verwendet wurde
und das der Betrag direkt von Mediocredito an Ansaldi Gie SpA
ausgezahlt wurde, ohne jemals auch nur zum Schein durch die
ecuadorianische Staatskasse geflossen zu sein. Schlussendlich
lässt alles darauf schliessen, dass das Darlehen zum Bau des
Kraftwerkes Marcelo Laniado De Wind allein die Baufirma
begünstigte, ohne dass dabei die im Vorfeld gesetzten
Entwicklungsziele erreicht wurden.
Projekte, die mehr privaten Interessen als der Bekämpfung
von Armut dienten, sind keine Einzelfälle in der
Entwicklungszusammenarbeit Italiens sowie vieler anderer
europäischer Länder. Die Kosten dieser
"Privatprojekte", die in den letzten 30 Jahren von der
internationalen Entwicklungshilfe finanziert wurden, lasten heute
noch auf den Staatskassen der Länder des Südens der
Welt. Die Verantwortung der so zusammengetragenen Schulden liegt
bei den wenig zukunftsorientierten und/oder korrupten lokalen
Politikern genauso wie bei westlichen Firmen (auf der Suche nach
leichten, gut bezahlten und kaum kontrollierten Arbeiten) und
deren Regierungen, denen das gute Image zu Hause weitaus
wichtiger als die effektive Armutsbekämpfung war. Norwegen
hat als erstes europäisches Land den durch fehlende
Entwicklung entstandenen Schaden anerkannt und 2006 unilateral
sämtliche Schulden, die durch eigene Interessen deckende
Darlehen entstanden waren, bedingungslos erlassen. Auch Ecuador
hat davon profitiert.
Zwischen 1995 und 2008 hat Ecuador seinen Gläubigern die
Sollzinsen seiner Schulden bezahlt, bei Zinssätzen, die in
manchen Fällen bis zu 40% betrugen. 2003 schlossen Ecuador
und Italien ein Abkommen zur Konversion der Sollzinsen von
fünf Jahren (26 Millionen US-Dollar) in einen Fonds, der
Projekte zur Armutsbekämpfung und zum Umweltschutz
finanzieren sollte. Wenigstens bis 2003 aber hat Italien Zinsen
auf alle Darlehen kassiert, auch für jene, die italienische
Firmen weitaus mehr als die Bevölkerung des
südamerikanischen Landes unterstützt hatten. Mit der
Übertragung eines Teils von Ecuadors Schulden in den
Yasuní-Fonds, "schenkt" Italien also 35 Millionen Euro,
auf die es wohl aus moralischer Sicht gesehen nur mehr wenig
Rechte gehabt hätte. Schlussendlich muss Ecuador diesen
Betrag doch aufbringen, allein der Empfänger ändert
sich. Und wieder einmal schieben die Länder des "Norden" der
Welt den Umweltschutz und den Erhalt der zu Recht so genannten
"letzten Lunge unseres Planeten" auf die armen Länder des
"Südens" ab.
Quellen: Die Faktoren, die die
Unrechtmäßigkeit der Schulden bestimmen werden
analysiert in : "Le responsabilità italiane nel debito
illegittimo dell'Ecuador", herausgegeben von Elena Gerebizza
für in:
-
www.manitese.it/materiale/campagne/pubblicazione_debito_ecuador.pdf
-
www.ambquito.esteri.it/Ambasciata_Quito/Menu/I_rapporti_bilaterali/Cooperazione_allo_sviluppo/Attivit%C3%A0/
-
www.esteri.it/MAE/IT/Sala_Stampa/ArchivioNotizie/Approfondimenti/2012/09/20120927_Onu.htm
-
www.cooperazioneallosviluppo.esteri.it/pdgcs/italiano/iniziative/Paese.asp?id=35
-
www.altreconomia.it/site/fr_contenuto_stampa.php?intId=2019
- www.cdca.it/spip.php?article2020
- www.peacelink.it/latina/a/31507.html
Von Ann-Kathrin Dreber, aktualisiert von Sabrina Bussani
Der Präsident des IDH, Diego Garcia-Sayán (Mitte).
Der 21. April 2012 wird wohl in die Geschichte des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte (IDH) eingehen : Zum ersten Mal in der Geschichte des IDH besuchte eine Delegation des IDH, bestehend aus dem Präsidenten des IDH und Vertretern verschiedener Institutionen Ecuadors, den Ort, um den es im Verfahren "Kichwa von Sarayaku vs. Ecuador" gehen sollte. Die Kichwa fordern Entschädigung für widerrechtliche Vergabe von Ölkonzessionen auf ihrem Territorium und die Vertreter der hohen Institutionen wollten sich in Sarayaku einen persönlichen Eindruck verschaffen. Ein Urteil des IDH zugunsten der Kichwa wäre auch ein wichtiges Signal für alle indigenen Völker Lateinamerikas.
Der Fall der Kichwa von Sarayaku vor dem
IDH
Am 27. Dezember 2003 reichte die Assoziation der Kichwa von
Sarayaku eine Petition bei der Interamerikanischen Kommission
für Menschenrechte (CIDH) ein, um eine Entschädigung
für die Konzessionsvergabe Ecuadors an das argentinische
Unternehmen Companía General de Combustibles (CGC) ohne
vorherige Konsultation zu verlangen. Durch dessen seismische
Aktivitäten entstanden massive Schäden im
Sarayaku-Gebiet.
Am 26. Juli 1996 hatte der Staat der CGC genehmigt, mit
Vorbereitungen zur Erschließung von Ölquellen in einem
als Block 23 bekannten Gebiet zu beginnen. Block 23 liegt zu 65
Prozent im angestammten Territorium der Kichwa von Sarayaku. In
der Zeit von Oktober 2002 bis Februar 2003 umfassten die
Aktivitäten von CGC 37.700 Hektar (29 Prozent) ihres
Territoriums. Dadurch wurde eine gefährliche Situation
für die indigene Bevölkerung geschaffen. Seitdem kann
sie ihre traditionelle Lebensweise nicht mehr ungestört
ausüben. Ihre Bewegungsfreiheit innerhalb des Territoriums
ist bis zum heutigen Zeitpunkt stark eingeschränkt. Zudem
werfen die Kichwa dem Staat vor, dass es mit der Anwesenheit des
Armee und den CGC-Mitarbeitern zu willkürlichen Festnahmen
und Eingriffen in ihre Integrität kam. Die militärische
Präsenz war Folge des im Jahre 2001 geschlossenen "Military
Security Cooperation Agreement". Der ecuadorianische Staat
verpflichtet sich durch die Übereinkunft, Ölfirmen,
deren Betriebe und Mitarbeiter zu schützen. Die
Interamerikanische Menschenrechtskommission appellierte im Namen
der Kichwa an den IDH, den ecuadorianischen Staat international
für die Missachtung von Menschenrechten, die in der
Amerikanischen Menschenrechtskonvention verbindlich kodifiziert
sind, zur Verantwortung zu ziehen. In der Begründung berief
sie sich insbesondere auf das Recht auf Leben und Respekt vor
demselben sowie das Recht auf eine humane Behandlung im Sinne der
Achtung der physischen, mentalen und moralischen Integrität.
Am 26. April 2010 wurde die Klage vor dem IDH eingereicht. Der
Ortstermin stellte den Höhepunkt des Verfahrens dar.
Der Besuch der Delegation in Sarayaku
Die Delegation aus Richtern und Anwälten, darunter auch der
Präsident des Gerichtes sowie Repräsentanten der
Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte, wollte
die Situation und die Erfahrungen der Kläger an Ort und
Stelle erleben. Von staatlicher Seite waren u.a. die Justiz- und
Menschenrechtsministerin Ecuadors Johana Pesántez und der
Staatssekretär, Dr. Alexis Mera, anwesend.
Der Präsident des IDH, der Peruaner Diego
García-Sayán, bezeichnete den Besuch als "einmalig
und geschichtsträchtig". Er sei "im gegenseitigen Respekt
der Parteien und in einer Konstruktiven Herangehensweise, die die
Möglichkeit eines Kompromisses miteinschliesst,
durchgeführt worden". Nach dem Empfang in der "Casa de la
Asamblea del Pueblo Kichwa de Sarayaku" berichteten der
Präsident der Kichwa, José Gualinga und weitere
Autoritäten der Gemeinschaft über ihre Erfahrungen mit
dem Ölkonsortium. Darüber hinaus wurde den Besuchern
ein generationsübergreifender Einblick in die Lebensweise
und Weltanschauung der Kichwas gewährt. Staatssekretär
Alexis Mera erkannte während der Unterredung die
Verantwortung des Staates für die Gewalt und die
entstandenen Schäden an. Er zeigte sich gegenüber einer
Kompromissfindung sowie Reparationszahlungen offen. José
Gualinga wertete das Schuldeingeständnis des Staates und das
in Aussicht stellen von reparationszahlungen als "Triumph der
Würde, Wahrheit und Gerechtigkeit, der den jahrelang
geführten Kampf belohnt. Dadurch werde ihnen
ermöglicht, ihre Forderungen und Positionen bezüglich
ihrer Weltanschauung und ihrer Verbundenheit zum Wald
verwirklichen zu können."
Auswirkungen auf die Menschenrechtslage in
Lateinamerika
"Neue Winde wehen durch Ecuador und Lateinamerika, Winde der
Demokratie...", sagte der Präsident des IDH, Richter Diego
García-Sayán, nach seinem Besuch in Sarayaku
gegenüber der Presse. "Die Menschen haben verschiedene
Überzeugungen, die Völker Amerikas wollen Demokratie
und eine regelmäßige Partizipation . Diese neuen Winde
ermöglichen, dass sich die Menschen an den
Interamerikanischen Gerichtshof wenden können, wenn die
denken, dass ihre Rechte verletzt worden sind. Das wäre vor
20 oder 30 Jahren nicht möglich gewesen."
Nach dieser Aussage drängte sich der Eindruck auf, dass der
Gerichtshof ein positives Urteil für die Kichwas fällen
würde. Am 27. Juni 2012 wurde dieser Eindruck zur
Gewissheit: Der Staat Ecuador wurde dazu verurteilt, sich
öffentlich der eigenen Verantwortung zu stellen,
Reparationszahlungen zu veranlassen, Gesetzesänderungen
vorzunehmen, die das Recht auf Konsultation der indigenen
Völker und Gemeinschaften effektiv wahrnehmen, die vor Ort
entstandenen Schäden im Einverständnis mit den
Betroffenen zu beseitigen und Fortbildungskurse über
Menschenrechte und Rechte der indigenen Völker und
Gemeinschaften für Richter, Militär, Polizei und
anderen staatlichen Repräsentanten, die mit indigenen
Völkern und Gemeinschaften bzw. mit deren Angelegenheiten zu
tun haben, zu organisieren. Das Urteil hat einen wichtigen
Präzedenzfall für alle indigenen Völker des
amerikanischen Kontinents geschaffen, der sie in ihren
Kämpfen gegen die vielseitigen Bedrohungen ihrer
Lebensgrundlagen bestärken, zum Durchhalten motivieren und
sie ermutigen kann, das lateinamerikanische Menschenrechtssystem
tatsächlich zu nutzen. Das interamerikanischen
Menschenrechtssystem ist durch die Organisation Amerikanischer
Staaten (OAS) umfassend strukturiert und besteht aus zwei
maßgeblichen Institutionen - die Interamerikanische
Kommission und der Interamerikanische Gerichtshof -, die ein in
sich geschlossenes System bilden. Die Kommission bearbeitet
Petitionen und verfasst Klagen für den IDH, wenn sie
Aussicht auf Erfolg haben. Fast alle lateinamerikanischen Staaten
haben sich seiner Jurisdiktion unterworfen und sind an seine
Urteile gebunden. Der Fall "Kichwa von Sarayaku vs. Ecuador" gibt
Anlass zur Hoffnung, das es in Lateinamerika die notwendigen
Institutionen gibt, die die Einhaltung der Amerikanischen
Konvention der Menschenrechte souverän überwachen
können. Gleichzeitig weist der Fall darauf hin, dass die
Ausdauer der Indigenen Völker im Kampf um ihre Rechte nicht
umsonst ist.
Quellen:
- pogrom 269-270 (1-2/2012)
-
www.corteidh.or.cr/docs/casos/articulos/seriec_245_esp.pdf
-
http://cejil.org/categoria/autor/cejil-y-otras-organizaciones?page=2
Von Luisa Belaunde, Anthropologin
Malerei auf Keramik. Foto: Andrea Balice.
Bei den Shipibo-Konibo ist Schönheit sofort erkennbar.
Menschen oder Dinge sind schön, wenn sie das Kené
haben. Wenn ihr Äußeres von einem Netz geometrischer
Figuren überzogen ist, wenn die Haut von Linien und Kurven
geschmückt ist, die Energiefelder und eine neue Haut aus
Licht und Farbe formen. Die Kunst des Kené wird
traditionsgemäß von Frauen ausgeübt. Laut der
Kosmologie der Shipobo-Konibo haben die Frauen die
Kené-Muster von der Ur-Inka-Frau gelernt. Diese war aus
der ewigen Welt des Feuers und der Sonne zu ihnen gekommen und
hatte dafür den Fluss, der die Unsterblichen von den
Sterblichen trennt, überquert. Der Körper dieser
mythischen Inka-Frau war von wunderschönen Mustern
geschmückt, die die Shipibo-Frauen kopierten und so die
Muster der Kené-Kunst lernten. Auf ihrer Haut trug die
Inka-Frau das Muster der Anakonda, der mächtigen und
kosmischen Besitzerin der Flüsse und des Regenbogens, Symbol
für den Weg, der Wasser und Sonne vereint. Der
Weltanschauung der Shipibo-Koniba nach, stammen die Muster und
Zeichnungen, die alles Existierende symbolisieren, von den Formen
der ursprünglichen Anakondahaut ab. Will man Muster sehen
und malen muss man also Piripiri und Ayahuasca, durch die sich
die Macht der Anakonda offenbart, einnehmen.
Piripiri (Cyperus articulatus) stärkt die Sicht und
ermöglicht es, die zu malenden Muster mit dem Geist zu
sehen, um sie nachher auf der Haut, auf Keramik, Leder oder auf
Holz gestalten zu können. Deshalb lernen Mädchen schon
im Kindesalter den Umgang mit Piripiri. Zum Malen verwenden di
Frauen kleine Holzstäbchen, Pinsel, die mit den eigenen
Haaren hergestellt werden und rein natürliche Farbstoffe.
Den Mustern wird aber auch durch Stickerei, Weberei und mit
farbigen Perlen Ausdruck verliehen.
Die Shipibo-Konibo Frauen verkaufen ihre Produkte meist in den
Handwerksmärkten Perus. Wenige Käufer wissen aber
Bescheid über das komplexe Weltbild, aus dem die
Shipibo-Kunst entsteht, noch können sie sich vorstellen,
welche Handfertigkeit es braucht, die komplizierten Muster
herzustellen. Die Frauen fertigen keine Entwürfe an, sie
malen bzw. sticken die Muster direkt so, wie sie sie in ihrem
Geist sehen. Auf diese Weise machen sie das Tagtägliche
schöner und bringen es dem Ausdruck der Inka-Welt
näher. Würden die Frauen die Kené-Muster nicht
malen, hätten die Männer keinen Schmuck und unsere Welt
könnte der Götter nicht ähneln.
Auch einige Männer können die Kené-Muster sehen,
aber traditionsgemäß üben sie sich nicht in der
Kunst, diese Muster zu visualisieren. Allerdings erlauben die
Kené-Visionen die Ausübung des Schamanismus, der
wiederum hauptsächlich von Männern praktiziert wird.
Während des Ayahuasca-Rituals sehen die Teilnehmer das Licht
und die Farben, die wie ein filigranes Netz alles bedecken und
die körperliche, mentale und spirituelle Gesundheit der
Menschen aufzeigen. Durch den Gesang kommuniziert der Schamane
mit der Energie der Ur-Anakonda und der Pflanzen. Die Stimme des
Schamanen bildet nicht-materielle Muster, die seinen Patienten
einhüllen und heilen. Singen bedeutet soviel wie duftende
nicht-physische Zeichnungen der Heilung zu malen.
Das Kené ist der Verbund von Ästhetik und Medizin,
des Materiellen mit dem Immateriellen, des Weiblichen mit dem
Männlichen. Das Kené sehen und malen kommt einem
Eintauchen in die Energie der Pflanzen, die die generative Macht
der Ur-Anakonda in sich haben, gleich. Alle Ausdrucksformen des
Kenés - seien sie nun zu sehen, zu riechen, zum
Anhören oder zum Angreifen - sind wie ein Fest, in dem die
Schönheit der Anakonda geehrt wir, und in dem man sich auf
den ewigen Inka beruft, der hell im Himmel leuchtet.
Von Andrea Balice
Shipibo-Konibo Handwerk. Foto: Andrea Balice.
Das Volk der Shipibo-Konibo lebt im zentralen peruanischen
Regenwald, in der Region von Ucayali, die auch als traurigerweise
auch als "Korridor der Armut" bekannt ist. Die Kultur der
Shipibo-Konibo zeugt von einer unglaubliche Kenntnis der Natur
und lehrt, im Einklang mit der Natur zu leben und von Pflanzen
und Tieren zu lernen. Das Leben der Dorfgemeinschaften fern der
Stadt ist noch immer von der Wechselwirkung der Jahreszeiten
geprägt. Die Menschen jagen, fischen, betreiben
Landwirtschaft und widmen sich dem Kunsthandwerk. Dieses wird vor
allem von Frauen ausgeübt, die bereits als Kinder sticken
lernen und Keramikgegenstände herzustellen. Die Schamanen
heilen ihre Patienten mit so genannten Icari-Zeremonien und
Gesängen und mit Aufgüssen aus Heilpflanzen wie z.B.
dem Ayahuasca. In ihren religiösen Zeremonien und zu
magisch-therapeutischen Zwecken verwenden indigene Völker
des Amazonasbecken seit jeher den Aufguss aus der Dschungelliane
Banisteriopsis caapi und den Blättern der Psychotria
viridis. Ein Fund im Regenwald des heutigen Ecuadors zeugt davon,
dass Ayahuasca den Amazonas-Völkern bereits seit wenigstens
2.500 Jahren bekannt ist. Es handelt sich dabei um eine
dekorierte Steinschale aus der Zeit zwischen 500 v.C. und 50
n.C., die der Pastaza-Kultur zugeschrieben wird und wohl für
dem Gebrauch von Ayahuasca in magischen Ritualen bestimmt
war.
Seit Jahrzehnten lebt das Volk der Shipibo-Konibo in extremer
Armut. Dazu kommen der starke Druck evangelischer Sekten und
Kirchen, die die Indigenen bekehren und überzeugen
möchten, ihre Kultur und Traditionen aufzugeben, die
Bedrohung seitens großer multinationaler Erdölfirmen
und die vom illegalen Holzhandel ausgehende
Umweltzerstörung. Viele Jugendliche der Shipibo-Konibo
verlassen den Regenwald, um in der Hauptstadt Lima ihr Glück
zu versuchen, wo sie aber meist nur Elend und Armut finden.
In dieser schwierigen Situation hat eine Gruppe junger Menschen
der Gemeinschaft San Francisco de Yarinacocha das
Künstlerkollektiv Barin Bababo gegründet. Die
Künstler des Kollektivs malen wunderbare Bilder, in denen
sie der Vision und Weltanschauung ihres Volkes Ausdruck geben.
Die Malerei ist für diese Menschen ein wichtiges Mittel
geworden, um ihre Kultur nach aussen hin zu verteidigen, sie am
Leben zu erhalten und sie gleichzeitig anderen näher zu
bringen. Das Kollektiv konnte bereits verschiedene lokale und
internationale Ausstellungen halten. Die Erfolge, die dabei
verbucht wurden, haben den Künstlern Hoffnung gegeben, eines
Tages von ihrer Kunst leben zu können. Die kleinen Erfolge
aber haben den Leuten vor allem den Glauben zurückgegeben,
etwas tun zu können, für sich selbst sprechen und
handeln zu können, auf sich aufmerksam machen zu
können.
Dem Künstlerkollektiv Barin Bababo gehören nicht nur
junge Kené-Maler an, sondern auch Handwerker und
Handwerkerinnen, die versuchen, einerseits von ihrer Kunst und
ihrem Handwerk zu leben und andererseits ihre Kunst und Kultur
unter ein breiteres Publikum zu bringen und so auch auf die
schwierige Situation der Shipibo-Konibo aufmerksam zu
machen.
In Anbetracht der verbreiteten Armut und der Bedrohung seitens
des aktuellen Wirtschaftssystems sind die positiven Auswirkungen
der Arbeit des Künstlerkollektivs natürlich kaum zu
sehen und kommen einem Tropfen im Ozean gleich. Diese
Künstler haben eine enorme Verantwortung übernommen:
Von der Mehrheitsbevölkerung und der Gesellschaft allein
gelassen, haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, ihre
tausendjährige Kultur zu wahren, ihr neues Leben
einzuflößen, das angestammte Land zu schützen und
ihrer Identität neue Würde zu verleihen.
Der Druck nach immer billigeren Produkten und die
Unfähigkeit, den wahren Wert der einzelnen Kunstwerke und
der darin verborgenen Arbeit zu erkennen erlauben es den
Shipibo-Konibo-Künstlern nicht, wirtschaftlich aktiv zu
werden. Ihr so fein gearbeitetes Kunsthandwerk wird auf dem
normalen Markt als zu teuer eingeschätzt und auch
alternative Märkte wie z.B. das Fair Trade sehen für
diese Werke keine wahre Absatzmöglichkeit. In Anbetracht
dieser Situation erscheint die große Kluft zwischen der
Kultur der Shipibo-Konibo und unserem Wirtschaftsmodell bzw. der
dominierenden Vorstellung, wie Entwicklung auszusehen hat und wie
sie angekurbelt werden soll/muss, unüberbrückbar.
Gerade in Zeiten der Wirtschaftsglobalisierung ist es wichtig,
dass sich unsere westliche Gesellschaft die Frage stellt, welche
Wirkung unser immer dominanteres Kulturmodell auf die vielen
abertausenden Kulturen der Welt hat. Gleichzeitig sollten wir die
Möglichkeit nutzen, von anderen Kulturen, eine anderen Art
das Leben zu verstehen, zu lernen. Die Shipibo-Konibo und das
Künstlerkollektiv Barin Bababo tragen keine Verantwortung
für die Ineffizienz und die zerstörerischen Folgen
unseres Systems und dementsprechend kann man kaum verlangen, dass
sie alleine die Probleme, die durch das westliche globalisierte
Wirtschaftsmodell entstehen, lösen. Sie sind aber sehr wohl
ein Beispiel für den Versuch, die Stärken der Einzelnen
zusammenzuführen, um, auf die eigene kulturelle
Identität aufbauend, eine bessere Zukunft und
größeres Wohlbefinden zu erreichen. Die Auffassung von
"Wohlbefinden" ist bei den Shipibo-Konibo allerdings anders als
bei uns. Sie leitet sich von einer Art Entwicklung ab, der
Umweltzerstörung und Ausbeutung anderer Länder und
Kulturen fremd sind.
Dank seiner Arbeit und der Unterstützung der Anthropologin
Luisa Belaunde hat das Künstlerkollektiv wichtige
Anerkennungen erhalten, wie z.B. die des Nationalen
Kulturinstituts Perus, das die Shipibo-Konibo-Kultur als
Nationales Kulturerbe anerkannt und so deren Wichtigkeit
hervorgehoben hat.
Für weitere Informationen: Andrea Balice - naturalesarte@gmail.com (auf Italienisch oder Englisch).
Die Druckversion wurde dank einem Beitrag Stiftung Sparkasse Bozen realisiert.
Pogrom-bedrohte Völker 269-270 (1-2/2012)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/woman2011-de.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasil-belo.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global-sozial.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global.html |
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/dekade.html
in www: http://en.wikipedia.org/wiki/Indigenous_peoples
| www.ipcc.ch | www.stopdamsamazon.org