In: Home > DOSSIER > Lithiumabbau in Südamerika: Das neue "weiße Gold"
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Von Jennifer Barbara Hutchings
Bozen, Göttingen, April 2019
Digitalisierung und Energiewende: Der Rohstoff Lithium trägt als Bestandteil von Batterien zu diesen Entwicklungen bei. Doch während wir in Deutschland dadurch unsere Klimabilanz verbessern, entstehen in den Abbaugebieten im Hochland Südamerikas Wasserknappheit und soziale Konflikte.
Die Atacama-Wüste, die sich vom Norden Chiles bis zum Süden Perus erstreckt, gilt als die trockenste Wüste der Welt. Der enorme Wasserverbrauch für den Lithiumabbau bedroht Mensch und Umwelt in der Region. Auf dem Foto ist ein Vicuña-Jungtier. Foto: ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)/René Durán/ Wikipedia CC BY 4.0.
Um Natur und Klima zu schützen, wollen wir weniger
fossile Rohstoffe wie Erdöl und dafür mehr erneuerbare
Energien wie Windkraft effizient nutzen. Oft vergessen wir dabei
jedoch, dass Energiewende und Digitalisierung ebenfalls
massenweise Rohstoffe verschlingen. Energie - auch erneuerbare -
wird hauptsächlich in Lithium-Ionen-Batterien gespeichert.
Zur Herstellung solcher Batterien sind das Metall Kobalt und das
Leichtmetall Lithium wichtige Bestandteile. Die Abbauminen
für Kobalt, etwa in der Demokratischen Republik Kongo,
machen wegen miserabler Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit immer
wieder Negativschlagzeilen. Für Lithium explodierte in den
letzten Jahren der Preis, sodass es heute auch
‚weißes Gold' genannt wird.
Die Energiewende betreffend sind im Verkehr zum Beispiel
Elektroautos zentral. Deren Batterien benötigen rund 20
Kilogramm Lithium - Elektromobile der Marke Tesla sogar mehr als
50 Kilogramm. Außerdem trägt die Digitalisierung zu
Deutschlands enormem Smartphone-Verschleiß bei: Die
Hälfte der Nutzer kaufen sich immer das neuste Modell. Nur
12 Prozent besitzen ein Handy länger als zwei Jahre. Somit
werden Unmengen Lithium benötigt, da jeder Handy-Akku ein
bis drei Gramm des begehrten Leichtmetalls enthält.
Da Lithium so beliebt ist und viele Unternehmen deshalb nach
weiteren Vorkommen suchen. Die amerikanische geologische
Behörde USGS ging Anfang dieses Jahrs von rund 62 Millionen
Tonnen aus. Laut einem Bericht des Nachrichtenmagazins Focus
lagern auch in Deutschland, in Sachsen, rund 96.000 Tonnen im
Boden. Etwa 80 Prozent des weltweiten Lithiumbestandes befindet
sich allerdings in Salzseen im sogenannten Lithiumdreieck
zwischen Südbolivien und dem Norden von Chile und
Argentinien.
Dieses Dreiländereck in den Hochanden ist eines der
trockensten Gebiete der Erde. Nahe der zahlreichen Salzseen leben
hier indigene Gemeinschaften, die sich als direkte Nachfahren der
Inka sehen. Um den nordchilenischen Salar de Atacama etwa wohnen
seit mindestens 10.000 Jahren die Lickan Antay, ‚Menschen
der Erde', wie sie sich in ihrer eigenen Sprache Kunza nennen.
Eine ganze Zivilisation haben sie inmitten der trockensten
Wüste der Welt aufgebaut, ihre Lebensweise an das raue Klima
angepasst.
Die Lickan Antay halten Lamas, Alpakas, Vicuñas
(gehört wie das Lama und das Alpaka zur Familie der Kamele;
Anm. d. Red.) und Ziegen und verwenden Früchte der
Chañar- und Johannisbrotbäume als Proteinquelle und
zur Herstellung von ‚Aloha', einem Likör für
Zeremonien und Rituale. Dank verantwortungsvoller, kommunaler
Wassernutzung können sie Schneckenklee, Mais, Kartoffeln und
Bohnen anpflanzen und ihre Obstbäume bewässern. Eine
wichtige Einnahmequelle ist das Korn Quinoa.
Mehrere Wellen der Kolonisierung haben die Völker dieser
Region überstanden. Heute leben sie auch von Einnahmen durch
Touristen, die anreisen, um die eindrucksvollen Landschaften und
die für die Region berühmten Flamingos zu bestaunen.
Viele der Anwohner haben noch heutzutage eine spirituelle
Verbindung zu den für sie überlebenswichtigen Salzseen.
Diese sind für sie mit ihren Wasseradern lebendige
Wesen.
Doch nach 20 Jahren Lithiumabbau in der Region sind solche
Lebensweisen bedroht. Zur Rohstoffgewinnung pumpen die
Abbauunternehmen das lithiumhaltige Wasser aus den Salzseen und
leiten es in Verdunstungsbecken. Da der Lithiumanteil im Wasser
weniger als ein Prozent ist, verbraucht dieser Prozess Unmengen
an Wasser. Um eine Tonne Lithium zu erhalten, müssen zwei
Millionen Liter Wasser verdunsten. Dieser massive Eingriff in den
Wasserhaushalt führt zum Absinken des Grundwasserspiegels.
Das Grundwasservorkommen ist hier jedoch wegen des geringen
Niederschlags und der hohen Verdunstung nicht erneuerbar. Die
für Menschen, Tiere und Pflanzen so wichtigen Lagunen und
Flussebenen trocknen aus.
Außerdem setzt der Lithiumabbau Chemikalien frei und
Chemieabfälle werden umweltschädlich entsorgt. Für
die Rohstoffunternehmen ist diese schädliche Art der
Lithiumgewinnung die günstigste. Die Firmen betonen, dass
der Abbau mit den indigenen Gemeinschaften in der Region
abgesprochen sei und diesen zu einem besseren Leben verhelfen
würde. Die Regierungen Chiles und Argentiniens öffnen
den Unternehmen Tür und Tor zu grenzenlosem Abbau. In
Bolivien wird die gesamte Lithiumproduktion vom Staat
kontrolliert; Bürger sollten also theoretisch besser
geschützt sein. Die Realität sieht in allen drei
Ländern jedoch besorgniserregend aus.
Viele Indigene sehen den Lithiumabbau kritisch. Gustavo
Ontiveros, Vertreter der indigenen Gemeinde Omawaqa in der
nordargentinischen Provinz Jujuy, sorgt sich um die Zukunft.
Einem Journalisten des Online-Magazins Mongabay erzählt er:
"Sobald die Unternehmen sehen, dass sie alles Wasser aufgebraucht
haben und die Dürre sie daran hindert, hier weiter
Geschäfte zu machen, werden sie gehen. Und wir bleiben
zurück ohne Tiere, ohne Pflanzen und mit einer verseuchten
Umwelt". Auch José del Frari, Lehrer an einer der
Universität Jujuy angegliederten Bergbauschule und
aufgewachsen an den Salzseen, sieht die Situation ähnlich:
"Dieser Lithiumboom wird in zwei Jahren vorüber sein - er
ist Brot für heute und Hunger für morgen."
Viele Indizien weisen darauf hin, dass Unternehmen problematische
Taktiken anwenden, um von lokalen Gemeinden das
Einverständnis für Abbauprojekte zu erhalten. Laut
Jorge Muñoz, einem Soziologen aus der Gemeinschaft Solcor
im nordchilenischen San Pedro de Atacama, gibt es ein riesiges
Wissensgefälle zwischen den Unternehmen und den indigenen
Gemeinden. Dies belegt auch eine Studie, die nahe des weltweit
größten Salzsees, dem bolivianischen Salar de Uyuni,
durchgeführt wurde.
Auf diese Weise verkommt der in der UNO-Deklaration zu den
Rechten indigener Völker festgehaltene Anspruch Indigener
auf freie, vorherige und informierte Zustimmung über
jegliche Projekte in ihren Territorien zu einer Farce.
Außerdem scheinen die Unternehmen ein eindeutiges Interesse
daran zu haben, bewusst die sozialen Gefüge der Gemeinden zu
zerstören. Bárbara Jerez, die als Postdoktorandin die
Auswirkungen des Lithiumabbaus auf das argentinisch-chilenische
Hochland erforschte, erklärt dies dem Online-Magazin
Mongabay: "Die Unternehmen bestechen oder bedrohen
Gemeindeleiter. Und kritische Anwohner erhalten keine Anstellung
in den Unternehmen." Mit solchen Vorgehensweisen spalten Firmen
indigene Gemeinschaften: Einige verdienen ihren Lebensunterhalt
bei den Unternehmen. Andere wehren sich gegen den Abbau.
Nicht immer sind solche Taktiken jedoch erfolgreich. Im Februar 2019 blockierten rund 300 Familien der indigenen Kolla geeint die bolivianische Ruta Nacional 52, eine wichtige Straße für den Tourismus der Region. Sie erreichten, dass zwei regional tätige Lithiumunternehmen ihre Aktivitäten vorläufig niederlegten. Die Kolla verlangten von der bolivianischen Regierung, dass kein Lithiumabbau und keine anderen Projekte, die in ihren Augen Mutter Erde ‚Pachamama' verletzen, mehr auf ihrem angestammten Gebiet stattfinden. Der Konflikt wird nun wohl vor Gericht ausgetragen. In ihrer Erklärung machen die Kolla aber klar: "Leben und Wasser sind mehr wert als Lithium."
Jennifer Barbara Hutchings studiert zurzeit den englischsprachigen Master Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession in Berlin. In ihrer Masterarbeit befasst sie sich mit einer postkolonialen Perspektive auf den Goldhandel zwischen Peru und der Schweiz.
Aus pogrom-bedrohte Völker 311 (2/2019)
Siehe auch in gfbv.it:
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/natur.html |
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global-sozial.html
| www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/global.html |
www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/06report.html
| www.gfbv.it/3dossier/h2o/lateinam.html
www: https://de.wikipedia.org/wiki/Lithium