Von Wolfgang Mayr
Bozen, September 2006
Inhalt
Der Himmel wartet nicht
Klimaänderungen und Naturkatastrophen
Was tun?
"Rettet die Haut der Erde"
Hilfe zur Selbsthilfe: Beispiele im Amazonas Dschungel
Indigene Völker und Klimawandel
Zehn Tage lang wird in Rio de Janeiro in Brasilien versucht,
die Erde vor der Umweltkatastrophe zu retten. Die
größte Konferenz in der Geschichte der Menschheit geht
über die Bühne. Worum geht es? Was könnte dabei
herausschauen? Wie reden arm und reich miteinander um? In der
ersten Junihälfte 1992 findet in Rio de Janeiro die
Weltkonferenz der Vereinten Nationen über "Umwelt und
Entwicklung" statt - auch Gipfelkonferenz der Erde" (Cüpula
da Terra - Earth Summit) genannt. Es sollen weltweit die
Abmachungen getroffen bzw. unterzeichnet werden, die zum
Überleben der Biosphäre unerlässlich sind.
Dabei dachte man anfangs an verbindliche Verpflichtungen
bezüglich Bodenschutz, naturverträglicher
Landwirtschaft, Schutz der Gewässer und des Lebens im Wasser
(Binnengewässer und Ozeane), Schutz des Klimas und der
Atmosphäre (inbegriffen Ozonschicht), Artenschutz,
Tropenwälder und Baumbestand der Erde - doch schon bald
musste man angesichts der weit auseinanderklaffenden Forderungen
und Ausrichtungen der verschiedenen Regierungen um einiges
zurückstecken. So werden nun nur mehr bescheidenere
Schlussdokumente erwartet, in denen vor allem genaue Daten,
Summen und Sanktionen fehlen werden. Zum Schutz der Artenvielfalt
und zur Eindämmung der Klimakatastrophe durch Erwärmung
der Erdatmosphäre wird es Abkommen geben, und zumindest eine
recht allgemeine Absprache über die Tropenwälder (wo
die Interessen der exportgierigen Firmen und Regierungen mit den
Bedürfnissen des Naturschutzes frontal
zusammenstoßen).
Anstelle der groß angekündigten "Charta der Erde"
wird es eine ebenfalls bescheidenere "Erklärung von Rio"
geben, und das Kleingedruckte soll dann in der "Agenda 21" -
einer Wäscheliste von Verpflichtungen für das 21.
Jahrhundert - abgehakt werden. Den Industrieländern der OECD
(praktisch allen Staaten des "Westens", mit USA, EG und Japan an
der Spitze) steht dabei als wichtigster Verhandlungspartner die
Staatengruppe G-77 gegenüber, die heute nicht mehr 77,
sondern über 140 Länder aus den armen Regionen der Welt
umfasst. Die rund 150 Regierungsdelegationen werden recht
verschiedenes Format und Gewicht haben, doch seit
US-Präsident Bush auf Druck der umweltsensiblen
öffentlichen Meinung seines Landes (er hatte dazu Millionen
von Postkarten erhalten!) doch noch beschlossen hat, in Rio mit
dabeizusein, dürfte wohl alles kommen, was Rang und Namen
hat.
Über 100.000 Teilnehmer sind in Rio versammelt. Und der
Überblick ist da nicht leicht: von den eingeborenen
Völkern aus Süd- und Nordamerika, Asien, Afrika,
Ozeanien, Skandinavien und der ehemaligen Sowjetunion, die ein
"Parlament der Erde" einberufen haben, zum "Global Forum" der
verschiedenen Freiwilligen-Organisationen, vom weltweiten Treffen
der Grünen bis zu einem internationa|en
Parlamentarier-Meeting wird sich eine unübersehbare Anzahl
von parallelen Kongressen, Tagungen, Werkstattgruppen, Foren und
Rundtischgesprächen abwickeln.
Auch die Industrie- und Geschäftswelt fehlt nicht: Da die
Umweltverderber aus der wachstumsbesessenen Wegwerfwirtschaft auf
der Anklagebank sitzen, hat sich flugs ein "Business CounciI for
Sustainable Development" gebildet, das um den Schweizer
Milliardär Stephan Schmidheiny 50 prominente Unternehmer und
neugebackene "Umweltschützer" von Weltformat versammelt.
Ihre Devise heißt: Umweltschonung und -reparatur ist das
Geschäft des nächsten Jahrhunderts, also kann man ruhig
einiges investieren. "Nachhaltige Entwicklung", dieses neue
Zauberwort, wird von den Business-Leuten so interpretiert: Die
Umwelt hat einen Preis, den kann und soll man in die
ökonomische Kalkulation einbeziehen (aber über
Öko-Steuern sind sie nicht entzückt), und wer
verschmutzt, muß eben zahlen - auf dieser Grundlage
möge der freie Markt gedeihen und auch die Umweltsanierung
zustande bringen und Lust auf Öko-Technologien wecken.
Duell Nord-Süd,
Ökonomie-Ökologie
Die "Cúpula da Terra" ist tatsächlich eine
Uraufführung. Noch nie hat es eine derart brisante
Weltkonferenz gegeben, bei der nicht um Grenzziehungen, Throne,
Militärpakte und politische Einflussbereiche verhandelt
wurde, sondern über das gemeinsame Erbe aller Lebewesen des
Planeten. Und da fällt etwas Neues auf: hier merkt man
wirklich, dass die Ost-West- Konfrontation vorbei ist und nun der
Gegensatz zwischen Nord und Süd das Weltgeschehen
prägt.
Im Grunde ist Rio das Duell zwischen Ökologie und
Ökonomie, zwischen Armen und Reichen, zwischen Land und
Stadt, zwischen einfachen Lebensformen und hochindustrialisierter
Welt, zwischen langfristigem und kurzfristigem Wohlergehen,
vielleicht auch eine Gipfelkonferenz zwischen der
zukünftigen und der gegenwärtigen Generation. Die
Gewichte sind ungleich verteilt, aber diesmal hat die
schwächere Seite mehr aufzuweisen als jemals zuvor: der
"Süden" weiß, dass er zwar militärisch,
politisch, finanziell und technologisch schwach ist, doch hat er
die wichtigsten Naturschätze, den weitaus größten
Bevölkerungsanteil und eine vergleichsweise nur bescheidene
Schuld an der Umweltzerstörung.
Der "Norden" hingegen verfügt zwar über Waffen, Banken,
Industrie, Wissenschaft und Technik, hat aber sein irdisches
Erbteil schon zum allergrößten Teil verludert. "Wo
sind denn eure Wälder und Naturschutzgebiete?" fragen nicht
ohne Berechtigung die wenig demokratischen Herren von Malaysia,
denen man rücksichtslose Abholzung nun verbieten oder
einschränken will. "Solange ein Amerikaner die Umwelt mehr
verschmutzt als 30 Inder, und er mehr verdient als 8 Inder, kann
man vom Süden eigentlich keine Rücksicht auf die
Argumente der amerikanischen Greenpeace-Leute verlangen", meinen
viele, auch engagierte Vertreter aus dem Süden.
Und es stimmt: es brauchten nur China, Brasilien und Indien etwa
so leben wie Frankreich oder Italien (mit Autos,
Wegwerfverpackungen, Chemikalien und Industrieausstoß), und
die Luftverschmutzung würde sich verdoppeln. Der Rhythmus
der Zerstörung ist so schnell geworden, wie er es noch nie
war: von den noch erhaltenen etwa 10 Millionen lebenden Tier- und
Pflanzenarten (deren gute Hälfte in den tropischen
Regenwäldern lebt), werden in 20 Jahren ein Zehntel
verschwinden - wenn es "gut geht", sonst verschwinden
nämlich ein Fünftel!
Der "Süden" - ein allzu undifferenzierter Begriff, in dem
reiche Eliten und Milliarden hungernder und entrechteter Menschen
Platz haben - verhandelt diesmal noch sehr manierlich und
eigentlich sanft er fordert vom industrialisierten Norden, dass
Rücksicht auf Natur und sanftere Nutzung der Ressourcen
finanziell abgegolten werden. Weniger Abholzung, dafür
Beteiligung an den Einkünften aus pharmazeutischen und
sonstigen Gewinnen, die letztlich auf erfolgreichen Schutz der
Artenvielfalt zurückzuführen sind. Und endlich
gerechtere Preise für die Naturschätze, die in Form von
unterbezahlten Rohstoffen an die ausländische Industrie
exportiert werden!
Dabei könnte sich der Süden eigentlich wie ein
Geiselnehmer verhalten und sich aufs Drohen verlegen! Denn wer
Jahr für Jahr die Fischfanggründe geplündert und
kostbare Ernten um Spottpreise abgekauft sieht, wird sich schwer
entschließen können, internationale Abkommen zum
Schutz der Meereswelt oder gegen Versteppung zu unterzeichnen -
sondern eher nach industriellem Fischfang und chemischen
Düngemitteln auch fürs eigene Land rufen. Ob dann das
große "Korallenriff-Sterben" beginnt, das die Fachleute nun
nach dem Wald- und Artensterben angekündigt haben,
dürfte vielen hungernden Menschen gleichgültig
bleiben.
Die großen Industrienationen sind nicht bereit, für
ihre Überbeanspruchung der Umwelt Entschädigungen zu
zahlen - die schon fast beschlossene C02-Steuer der EG wurde
wieder abgesagt, die Gatt-Verhandlungen um die Weltmarktpreise
bringen den armen Ländern nichts, und die versprochenen
Öko-Ausgleichszahlungen halten sich lächerlich niedrig:
500 Milliarden Dollar pro Jahr wären für wirksame
Umweltreparatur in der Dritten Welt nötig (rund ein Drittel
des jährlichen Rüstungshaushalts weltweit), nur wenig
mehr als l Milliarde soll das Gründungskapital eines neuen -
und immer noch von der Weltbank mitverwalteten - internationalen
grünen Umweltfonds (GEF) ausmachen.
Aber es ist nicht nur und vielleicht nicht in erster Linie eine
Geldfrage: denn wenn der Norden sein Wirtschaftswachstum noch
beschleunigt, um neben dem bisherigen Konsumstandard
womöglich auch eine Umweltabgabe an den Süden zu
finanzieren, wäre damit der Schaden sogar größer:
das Karussell der Verwandlung der Natur in Geld würde sich
nur noch schneller drehen. Doch wenn in Rio das zutrifft, was ein
US-amerikanischer Verhandlungsführer von sich gab, als er
sagte "American life-style is not up for negotiations" (über
den amerikanischen Lebensstil gibt's nichts zu verhandeln), und
was mit einigen Variationen auch für mindestens 30 weitere
Länder zu sagen wäre - worüber soll dann dieses
"Earth summit" verhandeln?
Was bleibt vom größten Umwelt-Spektakel der
Geschichte? Den armen Ländern ein schlechtes Gewissen, den
Industriestaaten die Rolle einer grünen Weltpolizei, den
Eingeborenenstämmen fünf Minuten Redezeit. Trotzdem -
ein kleines Stück Wiedergutmachung hat in Rio begonnen. Fast
müsste man als Grüner zu bocken beginnen. Die obersten
Zehntausend haben der ganzen Welt mit großem Pomp und Trara
den Umweltschutz zur Staatsräson erklärt und einen
weltweiten Kreuzzug zur Sanierung der maroden Natur
ausgerufen.
Denn an Taten und konkreten Verpflichtungen haben sie es
weitgehend mangeln lassen, und selbst um das lumpige Kleingeld
zur Finanzierung längst übernommener Zusagen
(beispielsweise 0,70% des Einkommens der Reichen als Ausgleich an
die Armen) wird unsäglich gefeilscht, und am Schluß
ist nicht einmal das Jahr 2000 als Zahltag akzeptiert. Über
Atomkraft und Atommüll, Schutz der Ozeane und der
Bergwildnis, der Antarktis und des landwirtschaftlichen Bodens
durfte gar nicht erst geredet und verhandelt werden.
RIO - GRÜN ALS STAATSRÄSON
Und was ganz besonders auffällt: die Industriestaaten, die
bisher die Natur weitaus am meisten ausgebeutet, verschmutzt und
geplündert haben, wollen nun grüne Weltpolizei
gegenüber der unterentwickelten Dritten Welt spielen: "Ihr
müsst weniger Kinder gebären, weniger Bäume
abholzen und weniger Geld für unrentable soziale Ausgaben
verschwenden, sonst wird es euch und der Umwelt nie besser
gehen...". Nachdruck verleiht man solchen Mahnungen durch
Weltbank und Internationalen Währungsfonds: zwei bedenkliche
Folterschrauben, die man fast nach Belieben anziehen oder lockern
kann, je nachdem, ob man Regierungen im Süden der Welt
helfen oder sie in die Enge treiben will.
Die USA, größte Umweltverschmutzer und -Verbraucher
der Erde, haben sich vom Geist von Rio nicht soweit anstecken
lassen, dass sie in den neuen allgemeinen grünen Weltkonsens
eingemündet wären: im Wahljahr (1992) zog es
Präsident Bush vor, die kurzfristigen nationalen Interessen
und Arbeitsplätze der Nordamerikaner und ihrer Firmen bis
aufs letzte zu verteidigen, so dass auch der US-Umweltschutz noch
zum Druckmittel gegenüber dem Rest der Welt wird: einerseits
Produktnormen, die manchem die Einfuhr in die USA erschweren,
weil die Erzeugnisse nicht umweltfreundlich genug sind,
andererseits die strikte Ablehnung, für
übermäßigen Energieverbrauch und freien Zugang
zur Artenvielfalt der Tropenländer irgendeine
Ausgleichszahlung an die Ärmeren zu leisten.
NACH-RIO-ÄRA
So beginnt nun die "Ära-nach-Rio": der 1. und der 2.
Weltkrieg wurden mit Friedensverträgen beendet, die eine
Neuordnung der politischen Landkarte mit sich brachten; der kalte
Krieg und die Entkolonialisierung hätte mit einem neuen,
weltweiten ökologischen Friedens- und Kooperationsvertrag
enden können, doch wurde diese Chance weitgehend verspielt.
Nur die Notwendigkeit wurde erkannt und proklamiert; sie
durchzusetzen, hat man den kommenden Jahrzehnten überlassen
- wenn nur so viel Zeit bleibt.
Mit der Uno-Umweltkonferenz wird weltweit eine neue Ideologie,
ja, fast Religion lanciert. Die Schlüsselworte heißen
"nachhaltig" und "global". Nach fast einem halben Jahrhundert
Wachstums-Anbetung - als "development" (Entwicklung) 1949 vom
US-Präsidenten feierlich zum Ziel der Menschheit
erklärt - ist die Umweltgefährdung so akut geworden,
daß auch die Staaten nach Abhilfe suchen. "Sustainable",
nachhaltig, erträglich, sollen die Entwicklung und das
Wachstum nun sein: also nicht den Ast absägen, auf dem man
sitzt. Und alles muß global sein, niemand darf sich mehr
Kirchtumdenken leisten, weil die ganze Erde so eng
zusammengewachsen ist.
Zauberworte haben's in sich: sie lassen sich auch flugs zur
bequemen Beschwörungsformel verbiegen. Wer die manchmal
geradezu widerliche Gschaftlhuberei der verschiedenen (amtlichen
und auch teilweise alternativen) "global managements" in Rio
gesehen hat, wo Globalfunktionäre das Wohlergehen der
Menschheit, des Planeten, der Artenvielfalt und der
Naturvölker erforschen, planen, verwalten und vertreten,
mußte auch hier mißtrauisch und bockig werden -
vielleicht ist der Kirchturm, wo man zumindest die Übersicht
nicht verliert und weiß, auf wen man sich verlassen kann
und auf wen nicht, gar nicht so von der Hand zu weisen.
Zwei Tage sind in Rio der Diskussion über ein
internationales Umweltgericht gewidmet. Unter dem Vorsitz des
italienischen Kassationsrichters Amedeo Postiglione wird von
Juristen aus zehn Ländern der Gedanke diskutiert, bei der
Uno ein Umweltgericht einzusetzen, das grenzüberschreitende
Streitigkeiten und Verletzungen in Sachen Umwelt schlichten,
richten und ahnden soll. Etwa so wie der
Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg auf Initiative von
Bürgern auch Staaten unrecht geben kann... Die Idee
fällt auf fruchtbaren Boden, entsprechende Komitees gibt es
schon in mehreren Ländern, aber die Staaten wollen von so
viel Souveränitätsabtretung nichts wissen.
Unterzeichnet wurden von den Staats- und Regierungschefs nur sehr
wenige Verpflichtungen: Konventionen, die nun von den
Unterzeichnerstaaten erst ratifiziert werden müssen,
schauten schließlich nur zwei heraus: eine über den
Schutz des Klimas, die zweite über Artenvielfalt.
Doch stehen in beiden nur sehr allgemeine Grundsätze:
- daß die Erwärmung der Erdatmosphäre durch CO;
und die Schädigung der Ozonschicht durch Treibhausgase durch
Herabsetzung der Emissionen und gerechtere Verteilung zu
bekämpfen sei (aber keine verbindliche Energiesteuer und
kein noch so bescheidener bindender Maßstab - etwa: bis zum
Jahr 2000 unter die Marke von 1990 zurückzugehen - wurde
festgeschrieben)
- und daß die Erhaltung der Artenvielfalt, die vor allem
eine Frage der tropischen und subtropischen Umwelt ist, den
betreffenden Ländern durch Teilnahme an den Einkünften
durch Nutzung genetischer Ressourcen abgegolten werden muß.
Gerade die Artenvielfalt, die vielzitierte Biodiversität,
hat sich als Stolperstein der Konferenz von Rio erwiesen.
USA - UMWELTPOLITIK ALS NEUES VIETNAM?
Präsident Bush hatte trotz gegenteiligen Ratschlags seines
Verhandlungsführers William Reilly (Chef der angesehenen
US-Umweltagentur) die Weigerung der USA angekündigt, diese
Konvention zu unterzeichnen, und war trotz aller Versuch der
Engländer, Deutschen, Kanadier, Japaner und EG-Mission bei
seiner Ablehnung geblieben. Mit anderen Worten: die US-Industrien
wollen nicht nur weiterhin die Möglichkeit des freien
Zuganges zu den genetischen Schätzen der Natur (tierische
und pflanzliche Artenvielfalt garantiert die schier
unerschöpflichen Kombinationen lebendiger Materie auch im
Labor), die sie dann in ihre Samenbanken und Bio-Patente
verwandeln, sondern lehnen es sogar ab, dafür jene minimalen
(und im Ausmaß noch gar nicht festgesetzten) Tantiemen an
jene Länder zu zahlen, die als Hüter der
Biodiversität eine weltweite Verantwortung
übernehmen.
Die Biotechnologie zeichnet sich als die Industrie der Zukunft ab
(sie wird einen ähnlichen Schub verursachen, wie das im
letzten Jahrzehnt die Elektronik tat), die USA haben heute einen
Umsatz von 2 Milliarden Dollar, der in wenigen Jahren auf 50 Mrd.
wachsen wird, und denken nicht im mindesten daran, die
eigentlichen Eigentümer - wie etwa die Erdöl-Scheichs
im Falle des Mineralöls - irgendwie daran mitzubeteiligen.
Im Gegenteil - Leben und lebendige Materie sollen künftig
patentiert werden, so daß nicht mehr der Urwald, sondern
das Labor die Schatzkammer der Biologie ist und den armen
Ländern ein weiterer Reichtum abgeknöpft sein
wird.
Doch seit dem Vietnamkrieg hat es nie eine so große
internationale Isolierung der USA gegeben wie dank der
verweigerten Unterzeichnung der Konvention über
Artenvielfalt, und auch in der USA ist es noch mitnichten
garantiert, daß die Bürger sich vom Gerede über
Arbeitsplätze in der Bio-lndustrie abspeisen und als Volk
auf die internationale Umweltsünderbank drängen lassen
wollen.
DIE EINGEBORENEN
Hatte die Uno vielleicht gedacht, für 1993 bloß
symbolisch ein "Jahr der eingeborenen Völker" auszurufen,
ist sie nun mit zahlreichen Forderungen konfrontiert, die von der
Rückgabe ihrer Ländereien und heiligen Schriften und
Gegenstände bis zum Verlangen nach Anerkennung ihrer
Sprachen, Kulturen, Weisheit, Heilkunst, Erziehung und Religionen
reichen. Von Tag zu Tag war ihre Anwesenheit in Rio
unübersehbarer und der Widerspruch, den sie in dieses
Großereignis brachten, unleugbarer: die einzigen
Völker, die noch pfleglich mit der Natur umzugehen wissen,
waren aus diesem Weltgipfel drastisch ausgesperrt.
Da muß man sich ein vergleichsweise kleines, aber
konkretes Ergebnis der großen Unced-Konferenz loben. Die
"Campagna Nord-Sud" Italiens konnte den großen
halbstaatlichen ENI-Konzern überzeugen, rund 200
Quadratkilometer großteils noch nicht gerodeten Urwaldes im
Mato-Grosso-Gebiet (der eigentlich für Viehzucht angekauft
worden war), an die Xavantes-lndianer zurückzugeben, die vor
20 Jahren von dort vertrieben worden waren, um der Fazenda Suia
Missü der Agip-Petroli Platz zu machen. ENI-Präsident
Gabriele Cagliari ließ sich persönlich herbei, mit den
Xavantes-Führern Aniceto und Damiao und den Vertretern der
italienischen Nord-Süd-Kampagne diese Rückgabe in Rio
feierlich anzukündigen - was natürlich für den
italienischen Chemie-Riesen ein erheblicher Image-Gewinn ist.
Trotzdem - wenigstens ein kleines Stück Wiedergutmachung hat
in Rio begonnen.
Alexander Langer (grüner Europaparlamentarier), aus FF-Südtiroler Wochenmagazin (Nr. 23/92 - 25/92).
Auf seiner 10. Jahresversammlung in Bozen zog das
internationale Klimabündnis eine kritische Bilanz. Trotz der
international postulierten Klimapolitik ist für das
Klimabündnis der internationale Prozeß hinter den
Erwartungen zurückgeblieben, analysierte das Bündnis.
Die EU konnte sich nicht auf eine ökologisch orientierte
Energiesteuer einigen, der zum Kernpunkt der
EU-Klimaschutzpolitik werden sollte. Ähnliches gilt auch
für die indigenen Völker - immerhin anerkennt die
Agenda 21 die indigenen Völker als zentrale Akteure, die UNO
proklamierte die Dekade der indigenen Völker; zahlreiche
Staaten haben die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener
Völker ratifiziert; die EU ließ ein Strategiepapier
zur Entwicklungszusammenarbeit mit den indigenen Völker
ausarbeiten. Vieles davon ist aber wirkungslos geblieben -
Bergbau-Unternehmen und Erdöl-Konzerne bedrohen weiterhin
mit ihren Energieprojekten Land und Leben der indigenen
Völker.
Auch die oft verkündete nachhaltige Nutzung der
Regenwälder ist nur eine mediengerechte ökologische
Rhetorik geblieben - weiterhin überwiegen Raubbau, illegaler
Holzeinschlag und Brände, die den Bestand der Wälder
ernsthaft gefährden. Auf der Versammlung kamen deshalb die
Akteure des internationalen Klimabündnisses zum
Schluß, das Gründungs-Manifest zu ergänzen. Es
wurden in der "Erklärung von Bozen" neue klima- und
ozongefährdende Gase und Stoffe angeführt sowie neue
Handlungsfelder neben Verkehr und Energie wie energiesparendes
Wohnen und Bauern aufgelistet. Seit der 10. Jahrestagung ist das
Bündnis von 800 auf inzwischen 1000 Mitgliedsgemeinden
angewachsen. Mit der "Erklärung von Bozen" öffnete sich
das Bündnis auch für Kommunen aus den
ost-europäischen Ländern.
Die Quelle der Energieumwandlungsprozesse ist die Sonne. Ihre
kurzwellige Strahlung wird von der Erdoberfläche und der
Atmosphäre teilweise reflektiert, der absorbierte Teil
erwärmt die Erde. Die Abgabe (Kühlung der Erde) der
Wärmeenergie an den Weltraum erfolgt in Form langwelliger
Strahlung. Gäbe es keine Atmosphäre, so wäre es
auf der Erdoberfläche abwechselnd glühend heiß
und eiskalt. In Bodennähe würde - wie auf dem Mond -
eine mittlere Temperatur von lebensfeindlichen -18 Grad C
herrschen. Tatsächlich liegt sie jedoch bei rund + 15 Grad
C.
Der natürliche Treibhauseffekt (THE)
Diese Temperaturdifferenz ergibt sich, weil bestimmte Gase der
Atmosphäre (vor allem Wasserdampf und Kohlendioxid CO 2)
für die verschiedenen Wellenlängen nicht gleich gut
durchlässig sind. Sie absorbieren die langwellige
Abstrahlung der Erde stärker als die kurzwellige (Sonnen-)
Einstrahlung. Sie wirken daher wie eine Strahlungsfalle. Das
gesamte System Erde erwärmt sich somit. Die mittlere
Erdtemperatur ist nun jene, bei der sich Energieabgabe und
Energiezufuhr das Gleichgewicht halten. Wird die Energieabgabe,
d.h. die Wärmeabgabe durch treibhauswirksame Gase behindert,
so erhöht sich die Erdtemperatur.
Der Mensch beeinflusst die Atmosphäre
Durch die zunehmende Industrialisierung und die wachsende
Bevölkerungszahl ist die Konzentration einiger Treibhausgase
seit etwa 1780 immer stärker angestiegen, und neue
treibhauswirksame Gase kamen hinzu. Dieser zusätzliche,
antropogene (durch den Menschen verursachte) Treibhauseffekt
verstärkt den natürlichen THE.
Klimaänderungen bis heute - Das Klima ist
dynamisch
Vor etwa 5.000 Jahren lag die mittlere Temperatur um 2 bis 3 Grad
C höher als heute. Die Baumgrenze war in den Gebirgen
Europas um einige 100 m höher. Untersuchungen an
Eisbohrkernen in der Antarktis belegen den Zusammenhang zwischen
CO 2-Gehalt der Atmosphäre und einer globalen Erwärmung
bzw. Abkühlung.
Gegenwärtiger Trend
In jüngster Zeit (von 1880 bis 1980) ist die globale
mittlere Temperatur um 0,6 Grad C angestiegen. Der Anstieg des
Meeresspiegels betrug in diesem Zeitraum 10 bis 20 cm, und die
Konzentration von CO 2 stieg von 280 ppm 1800 auf 354 ppm 1990
an. (1 ppm - parts per million = 0,0001%). Solche Werte gab es
zuletzt vor einigen 100.000 Jahren. Klimaprognosen können
sich daher auf keinerlei Erfahrung stützen, zumal der
Anstieg von Temperatur und CO 2-Gehalt in den letzten 10.000
Jahren vermutlich noch nie so schnell erfolgte wie heute.
Zukünftige Klimaänderungen und deren
Folgen
Die meisten Klimaforscher gehen von einer Verdoppelung der CO
2-Konzentration gegenüber der vorindustriellen Zeit aus.
Dies wäre bei unveränderten Emissionstrends um das Jahr
2025 der Fall. Weitgehende Übereinstimmung unter den
Wissenschaftlerlnnen herrscht darüber, daß unter
dieser Bedingung ein globaler Temperaturanstieg von etwa 1,4 -
5,8 Grad C im Zeitraum von 1990 bis 2100 erfolgen würde.
Extreme Wettererscheinungen (schwere Stürme, Hitzeperioden,
Überschwemmungen) würden sich häufen. Der 2001
veröffentlichte 3. Situationsbericht des IPCC
(Intergovernmental Panel on Climate Change) bestätigt den
befürchteten Trend zur globalen Erwärmung - Im 20.
Jahrhundert sind die Temperaturen durchschnittlich weit
höher als in den vorhergehenden 600 Jahren:
1) Es wird erwartet, dass die Temperatur bis zum Ende des
Jahrhunderts um 6 Grad C ansteigen wird. Diese Erwärmung ist
wahrscheinlich, wenn nichts dagegen unternommen wird.
2) Der Gehalt von Kohlendioxid (CO2) in der Luft ist seit etwa
500.000 Jahren nicht mehr so hoch gewesen. Die Folge: Die Dekade
von 1990 bis 2000 ist die wärmste in den vergangenen 1000
Jahren gewesen. Es gibt keinen Zweifel mehr, dass der Mensch
für den Großteil der Erderwärmung verantwortlich
ist.
3) Der Klimawechsel (Erwärmung der tiefen Schichten des
Meereswassers, Verschiebung der Klimazonen in Richtung der Pole,
extreme Wettererscheinungen werden sich häufen). Bis 2080
könnten bis zu 200 Millionen Menschen jährlich durch
Sturmfluten bedroht werden.
4) Die jährlichen Verluste der Wirtschaft durch
Klimakatastrophen haben sich von 1950 bis 1990 verzehnfacht auf
40 Milliarden US-Dollar. Sehr viel größere
Schäden sind zu erwarten.
Klimaszenario für Italien
Trotz aller Mängel der Klimamodelle kann für die
Zeitspanne 2025 - 2030 von folgenden Szenarien ausgegangen
werden:
a) die durchschnittlichen Temperaturen werden im Mittelmeerraum
um 1,2 bis 3,5 Grad C zunehmen;
b) die sommerlichen Regenfälle werden weiter
zurückgehen, während es im Norden (vor allem in den
Wintermonaten) intensiver regnen wird;
c) der Meeresspiegel wird um 12 - 18 cm ansteigen; die Erosion
der Küsten nimmt zu, Salzwasser wird in die Wasseradern
eindringen und die Trinkwasserversorgung erschweren;
d) extreme Wettererscheinungen (z.B. Stürme, Unwetter,
Überschwemmungen) werden sich auch in Italien
häufen;
e) die Erhöhung der Durchschnittstemperatur wird sich vor
allem auf die sensiblere Pflanzenwelt auswirken; betroffen sind
u.a. auch die kältegewohnten Pflanzen der Alpenregion.
Weltweite Folgen
Dramatischer als in Mitteleuropa könnten
Klimaänderungen in anderen Gebieten der Erde ausfallen:
Dürrekatastrophen, fortschreitende Wüstenbildung,
häufigere tropische Stürme, Überschwemmungen
großer Küstengebiete. Betroffen davon wären vor
allem Länder, die ohnehin schon unter großer Armut
leiden.
Wer hat Schuld?
Die Verursacher des zusätzlichen THE (Industrie, Verkehr,
Energieerzeugung, Landwirtschaft) sind - trotz geringerer
Bevölkerungszahlen - vor allem die reichen
Industrieländern des Nordens. Der Anteil der
Entwicklungsländer dürfte jedoch infolge des
Bevölkerungswachstums und der steigenden Industrialisierung
stark steigen.
Klimaroulette
Die Forschung wird auch in den nächsten Jahren keine
Klimaprognose vorlegen können, die auch die letzten
Entscheidungsträger überzeugen wird. Eine abwartende
Haltung bedeutet aber, beim größten Experiment, das
die Menschheit bisher ausgeführt hat, tatenlos zuzusehen.
Selbst wenn sämtliche klimarelevanten Emissionen vollkommen
gestoppt werden, würde es wegen der langen Verweilzeit
mancher Gase in der Atmosphäre mehr als 100 Jahre bis zu
einem Rückgang der Konzentrationen dauern.
Gibt es Lösungen, Alternativen?
Angesichts der gegebenen Situation ist ein anderes Wirtschaften
angebracht. Vor allem die reichen Länder des Nordens sind
angehalten, nachhaltig zu wirtschaften: sozial- und
umweltverträglich sowie ressourcenschonend. Sparsamkeit im
Umgang mit Energie und Vorrang für erneuerbare Energien,
Forderungen sowohl die Politik wie an jeden einzelnen. Die
Entwicklung der südlichen Welt nach dem Vorbild der
Industrieländer kann als gescheitert betrachtet werden.
Für die nachhaltige Nutzung des Regenwaldes gibt die
indigene Bewirtschaftungsform das beste Beispiel. Die -
nachwachsenden - Schätze des Regenwaldes sind in der
traditionellen Bewirtschaftungsform weit besser nutzbar als durch
Holzeinschlag und Viehzucht.
Entschuldung
Ein Verzicht des Nordens auf ungehemmtes Wachstum, aber auch
konkrete Schritte zur Entschuldung der drückendsten
Schuldenlasten der Entwicklungsländer sind notwendig. Diese
verhindern in vielen Ländern eine Befreiung aus Armut und
Elend. Der künftige Weg sollte über ein ökologisch
schonendes Wachstum, verbunden mit der Sicherung der
Grundbedürfnisse der Bevölkerung, führen.
Der Treibhauseffekt - Was geht das uns an?
Von den menschlichen Aktivitäten, die zum verstärkten
Treibhauseffekt beitragen, machen die Energieerzeugung und
Energienutzung mehr als die Hälfte aus. 88% des weltweiten
Energiebedarfs stammt dabei aus fossilen Energieträgern, 7%
aus erneuerbaren Energiequellen (Wasser, Wind, Biomasse) und 5%
aus Kernenergie. Dabei verbrauchen die Europäer ein
Vielfaches der Energie eines Afrikaners oder Asiaten und setzen
dabei jährlich 20 Gigatonnen CO-2 frei.
FCKW
Die Verwendung von FCKW als Kühlmittel (in Eiskästen,
Klimaanlagen etc.), als Lösungsmittel (in Farben, Lacken und
Reinigungsmitteln), als Treibgas (in Spraydosen) oder in
Kunststoffen zum Schäumen ist ein weiterer Beitrag zum
Treibhauseffekt.
Landwirtschaft
Durch die intensive Landwirtschaft werden immer
größere Mengen von Stickstoff in den Boden
eingebracht. Ein großer Teil wird durch die Tätigkeit
der Bodenbakterien wieder als Lachgas (N 2 0) freigesetzt. Die
Fleischproduktion wird zur Massentierhaltung und setzt - genauso
wie intensiver Reisanbau - große Mengen an Methan (CH 4)
frei. Durch unser Kaufverhalten fördern auch wir die
Freisetzung von Treibhausgasen.
Abholzung
Fast 15% nimmt schließlich die Abholzung riesiger
Waldflächen in allen Teilen der Erde ein, die den
Treibhauseffekt verstärkt: Die Verbrennung des Waldes setzt
große Mengen an CO 2 frei und zerstört gleichzeitig
diejenigen Lebewesen, die sehr viel CO 2 binden können.
Anschließend werden die gewonnenen Flächen oft
für intensiven Ackerbau genutzt.
Die Situation in Italien
Laut einer Studie des World Ressources Institute trägt
Italien mit einer Verschmutzungsquote von zwei Prozent zur
weltweiten Klimaverbänderung bei. In dieser Studie liegt
Italien weltweit an 11. Stelle bei der Emmission von
Kohlendioxyd, FCKW und Methan (die stärksten italienischen
C0-2-"Produzenten" sind Industrie, der Verkehr und private
Haushalte). Die Umweltberatung des Forums Wiener Hochschulen hat
die CO 2-Emissionen eines Zweipersonenhaushalts in
Österreich berechnet und festgestellt, daß jede/r
Österreicher/In jährlich 22 Tonnen C0 2
"produzieren".
Den Hauptanteil an C0 2-Emissionen nehmen die Konsumgüter
ein: Ihre Herstellung, der Verkauf, der Gebrauch und die
Entsorgung verbrauchen Unmengen an Energie. Dazu kommt noch die
eigene Mobilität - Auto und Flugzeug. Die Hauptverursacher
des verstärkten Treibhauseffektes ist der reiche Norden der
Welt.
Wie kann ein erfolgreicher Klimaschutz erreicht
werden?
Eher ernüchternd ist die Bilanz der bisherigen
internationalen Klimaschutzpolitik. Konkrete Reduktionswerte
für CO2- Emissionen und zeitliche Ziele wurden zwar immer
wieder diskutiert, blieben aber unverbindlich. Der einzige
klimarelevante Bereich, in dem bisher Fortschritte erzielt werden
konnten, ist die Eindämmung der FCKW.
Maßnahmen in ltalien
Italien hält sich grundsätzlich an die Empfehlung der
Toronto-Konferenz von 1988. Mit den anderen europäischen
Staaten wurde vereinbart, den Ausstoß von CO 2 zu
stabilisieren. Das Klimaschutzprogramm der
Mitte-Links-Regierungen sah einige Maßnahmen vor wie die
bessere der Nutzung der Ressourcen; eine bessere Energieeffizienz
in der industriellen Produktion, in den Dienstleistungen und
privaten Haushalten; Förderung der technologischen
Innovation; den sparsamen Umgang mit Rohstoffen und
Wiederverwertung von Abfällen in der Industrie;
Energieeinsparung durch Verlagerung der Warentransporte auf die
Eisenbahn und Förderung des öffentlichen Verkehrs.
Aus: "Klima verbündet" - Informationsheft für Lehrer/Innen/Koordinationsstelle Klimabündnis im Landesamt für Luft und Lärm
Ist die globale Erderwärmung regional und lokal
spürbar? Welche Folgewirkungen sind für den
südlichen Alpenraum zu erwarten, wenn sich die
C02-Konzentration in der Atmosphäre verdoppelt hat? Wolfgang
Seiler vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung in
Garmisch-Partenkirchen (D) versucht auf die zwei Fragen Antworten
zu geben. Sein Fazit - auch Südtirols Klima verändert
sich. Die geringen Niederschläge in den Wintermonaten in
Südtirol, es fiel kaum Schnee, sind laut Seiler
Phänomene, die sich wiederholen. Aber, Seiler warnt vor
Verharmlosung, diese besonderen meteorologischen Ereignisse
treten immer häufiger auf. "Es ist bereits zu einer
Klimaveränderung gekommen," bestätigte Seiler auf der
Jahrestagung des Südtiroler Klimabündnisses (22.
März 2001) die Befrüchtungen.
In den Alpenländern nehmen Extremereignisse zu, die
Abstände dazwischen werden immer knapper. Für Seiler
sind längere Trockenperioden, starke Niederschläge,
extreme Wetter zu Jahreszeiten, wo sie sich noch nie gezeigt
haben, Beispiele solcher Extremereignisse. Seiler empfiehlt ein
Studium der Statistiken der Rückversicherer. So beklagt die
Münchner Rückversicherung ein überaus starkes
Wachstum der Schadensfälle, aber auch der Schadenssummen -
verursachten von Sturm, Hagel, Trockenheit und Dürre und den
damit verbundenen Waldbränden und
Überschwemmungen.
Für den Umweltforscher Seiler untrügliche Zeichen
dafür, dass sich im Alpenraum das Klima langfristig
verändert. Es ist zweifelsohne wärmer geworden, kommt
Seiler zum Schluß und die Niederschlagstätigkeit hat
sich verschoben: "Früher war im Bereich der Nordalpen der
Januar ein sehr unangenehmer Monat, inzwischen ist es eigentlich
ein angenehmer Zeitraum mit relativ hohen Temperaturen und
geringen Niederschlägen". Die Niederschläge, das
ergaben die Beobachtungen, verschieben sich im Nordalpenbereich -
und auch in den Südalpen - in das Frühjahr hinein.
Winterurlauber müssen sich deshalb laut Seiler immer
öfter daran gewöhnen, dass in Skigebieten Pisten aus
Kunstschnee wie Adern eine ausgetrocknete braune Landschaft
durchziehen.
Zwar werden die Niederschläge im Spätwinter und im
Frühjahr folgen, aber so heftig sein, dass
Lawinenabgänge den Wintertourismus bedrohen. Die schneller
einsetzende Schneeschmelze sorgt über Überschwemmungen
im Frühjahr. Die Abteilung für atmosphärische
Umweltforschung des Instituts für Meteorologie und
Klimaforschung erwartet im Sommer insgesamt weniger
Niederschläge. Diese Entwicklung gilt für die
nördlichen und für die südlichen Alpen. Die
Perspektive: Mehr Sonne und weniger Niederschläge.
Der Wintertourismus hilft sich mit Schneekanonen, mit
Kunstschnee. Die Internationale Alpenschutzkommission Cipra sieht
darin eine völlig neue Bedrohung - die laueren Winter machen
offensichtlich den Einsatz von Zusatzmitteln in der
Schneeproduktion notwendig. Abgetötete Bakterien wandeln das
Wasser der Schneekanonen auch bei knappen Minusgraden in
Schneekristalle um. Die Folgen der schneefördernden
Bakterien sind bisher unbekannt. Die vorhandenen Studien
widersprechen sich. Der Klimawandel im Alpenraum wird laut
Professor Seiler in der Landwirtschaft tiefgreifende Auswirkungen
haben. Apfelsorten, die das warme Klima vertragen, werden wachsen
und gedeihen. Die höhere Temperaturen begünstigen aber
die Vermehrung von Schädlingen, es werden Schädlinge
auftauchen, die im Alpenraum bisher kaum aufgefallen sind. Das
Gleiche gilt für Pilzkrankheiten, befürchtet Seiler.
Hier kann sich die Landwirtschaft schnell einstellen, nicht aber
die Forstwirtschaft.
Stimmen die Berechnungen, geht Seiler davon aus, dass im
Alpenraum in einem Zeitraum von 60 Jahren "australische
Verhältnisse" herrschen werden. Dort gibt es weniger
Niederschläge, höhere Sonneneinstrahlung, in der Folge
wiederum höhere Temperaturen und am Ende eine erhöhte
Waldbrandgefahr. Die Zukunft der alpinen Wälder, bestehend
aus Koniferen, Fichten und Kiefern, ist angesichts der
Veränderung des Klimas gefährdet.
Gefrorener Boden, ein Stück unterhalb der
Oberfläche. Dieser Boden bindet Hänge. Die Eiszungen
der Gletscher, der vereiste Boden, wirken wie eine Klammer, die
die Welt weit oben in den Bergen festhält. Ohne dieses Eis
im Erdreich sind viele Teile der Alpen gar nicht bewohnbar. Eine
Melange aus gefrorener Erde, Geröll und Eis nennen die
Wissenschaftler Permafrost. Dieser ganzjährig
durchgefrorener Boden, sind in Sibirien und in Alaska zu finden.
Auch im Sommer bleibt die Erde einige Meter unter der
Oberfläche eishart. Dieser Panzer hält in den Alpen die
Berge zusammen. Bisher.
Im Bodeneis beträgt die Temperatur minus zwei Grad. Die
Erwärmung dringt aber laut Beobachtungen der Schweizer
Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie
auch bis in die Eisböden vor. Es war Felix Keller vom
Institut GEOalpin der Academia Engiadina, der auf der
Südtiroler Klimabündnis-Tagung 2001 erstmals Zahlen
über den Permafrost vorlegte. Laut seinen Berechnungen macht
in Südtirol der Permaforstboden bis zu zehn Prozent der
Landesfläche aus. Diese, teilweise bis zu hundert Meter
lange, Eisschicht taut unter "normalen" Umständen kaum auf.
Außer, die Temperaturen steigen an.
Daniel Vonder Mühll, ein weiterer Schweizer Experte, konnte
nachweisen, daß in der Schweiz die Untergrenze für
alpinen Permafrost im 20. Jahrhundert bis zu 250 Metern
angestiegen sind. Für Südtirol gibt es noch keine
solche Untersuchungen, doch das Schweizer Fazit gilt auch
für die Zentralalpen: "Wenn nun die Eisarmierung in den
Alpenhängen auftaut, werden sie zunehmend instabil". Das
heißt, Muren, Erdrutsche und Bergstürze verwüsten
die Alpen.
Das schwere Atmen sorgt für Panik, für Angst, keine
Luft zu bekommen. Die Furcht vor dem Ersticken, weil das Atmen
schwer fällt, kennen Allergiker. Völlig unbegreiflich,
die Luft bleibt weg, atemlos. Ein Zustand, den auch Asthmatiker
kennen. Der Alltag ist für diese Menschen - oft - qualvoll.
Immer mehr Menschen leiden an - an akuter und weniger akuter -
Atemnot. Der angenommene Grund dafür - die
Luftverschmutzung, die feinen Staubpartikel in der Luft.
Die großräumige Belastung kommt vom gesamten Verkehr.
Diese Schadstoffpakete werden großräumig verfrachtet.
Und zu dieser großräumigen Belastung kommen die
lokalen Einträge entlang der Transitachsen. Und das ist
dort, wo Dörfer sind und Menschen wohnen", erläuterte
der Schweizer Wissenschaftler Nino Künzli vom Institut
für Präventivmedizin der Universität Basel in der
Tageszeitung "Dolomiten" (30.5.2001)den Zusammenhang zwischen
Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen. Die
Luftverschmutzung, so zitiert die Tageszeitung "Dolomiten"
Künzli, "ist einer von vielen krankmachenden Faktoren. Weil
es sich dabei aber um Einflüsse handelt, die das ganze Leben
wirksam bleiben, haben sie eine kumulative
Langzeitwirkung".
Eine Studie in der Schweiz hat ergeben, dass die
Lungenfunktionen direkt von der mittleren Schadstoffbelastung am
Wohnort zusammenhängen: Sie sind umso schlechter, je
höher die Belastung ist. Je höher die
Schadstoffbelastung, warnt Künzli, desto früher sterben
die Menschen. Im Auftrag der Landesagentur für Umweltschutz
untersuchte Künzli (er hat bereits für die WHO eine
Luft-Studie über die Schweiz, Frankreich und Österreich
vorgelegt) Südtirols Luft. Sein Schluß: "Bis 28
Prozent aller Fälle von akuter Bronchitis bei Kindern unter
15 Jahre sind auf die Luftverschmutzung
zurückzuführen". Das sind jährlich bis zu 250
Fällen, hinzu kommen bis zu 5000 akute Asthmaanfälle -
fünf Prozent aller akuten Asthmaanfälle.
Die jährlich 200 "Todesfälle infolge der
Luftverschmutzung sind die Spitze des Eisbergs," so Künzli.
Der Schweizer Luft-Experte verweist darauf, daß die
Luftqualität auch die Lebensqualität bestimmt: "Woran
sterben die erwähnten 200 Menschen? Sie sterben an
Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems. Das
Sterbealter ist relativ hoch, betroffen ist die ältere
Bevölkerung. Es sterben also nicht die Dreißig- oder
Vierzig- jährigen - aber sie sind durch die
Luftqualität in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, mit
allen Folgen für Lebensqualität und Kosten, und das
schätze ich als ehemaliger Mediziner als die relevante Seite
ein," sagte Künzli in einem Interview mit der Tageszeitung
"Dolomiten" (30. Mai 2001).
Die Luftverschmutzung in Südtirol ist - hauptsächlich
- die Folge des Verkehrs. Von 64.000 Tonnen Luftschadstoffen
stammen mehr als 50.000 vom Verkehr. Beim Kohlenmonoxid
trägt der Verkehr mit 92 Prozent dazu bei, bei den
Stickoxiden mit 81 und bei den verschiedenen Partikeln mit 82
Prozent (weitere Daten siehe: Umweltbelastung durch
grenzüberschreitenden Verkehr - internationale Tagung vom
17. und 18. Februar 2000). Schadstoffe, die allesamt zum
berühmt-berüchtigten Treibhauseffekt, dem Klima-Killer,
beitragen.
Menschen erkranken an den Luftschadstoffen, sterben in Folge der
ständigen Belastung. Die Schadstoffe in der Luft wirken
lebenslänglich und verringern dadurch die Lebenserwartung um
fünf bis sechs Monate. Diese verdreckte Luft schadet
offensichtlich den Menschen (siehe Beitrag über die Blauen
Flecken von Bozen), sie schadet aber auch der Umwelt, dem Boden,
dem Wasser, der Luft. Dagegen kann sehr wohl etwas unternommen
werden, weist Künzli hin. Gar nichts grandioses,
illusionäres: "In Ostdeutschland wurden nämlich
zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität
gesetzt - und daraufhin sind die Fälle von akuter Bronchitis
bei Kindern messbar und sehr prompt zurückgegangen,"
erinnert Künzli in der Tageszeitung "Dolomiten" an machbare
Klimapolitik.
Die Klimaerwärmung ist allerorten spürbar,
hieß es in der Sendung ZDF.umwelt am 9. Dezember 2001. Dank
der Schneekanonen können aber die Schwierigkeiten beseitigt
werden. Es klappt aber nicht überall im Alpenbogen. Im
Herbst 1995 beispielsweise stellte Einsiedeln in der Schweiz
seinen Skibetrieb ein. Die Skitage hatten sich dort auf
klägliche 24 Tage halbiert, von einst 51. Im Winter 1989/90
gab es "keinen einzigen Tag mit mehr als 20 Zentimeter Schnee",
belegten die Experten des Schweizer "Nationalen
Forschungsprogramms Klimaänderungen und
Naturkatastrophen".
Laut ihrer Recherche gilt ein Skigebiet als schneesicher, wenn
dort an mindestens 100 Tagen mehr als 30 Zentimeter Schnee
liegen. In der Schweiz liegt derzeit die
"Schneesicherheitsgrenze" auf etwa 1.200 Metern. Die Schweizer
Klimaforscher gehen davon aus, dass im Jahr 2050 diese Grenze auf
1.500 Meter steigen wird. Ein unaufhaltsames Aus für viele
Skigebiete? "In Skisport-Anlagen, die unter 1.500
Höhenmetern liegen, würde ich in Zukunft nicht mehr
groß investieren," zitierte die Sonntagszeitung "Z" (25.
November 2001) Paul Föhn vom "Eidgenössischen Institut
für Schnee- und Lawinenforschung" in Dawos. Föhn geht
davon aus, dass das wärmer gewordenere Klima die Skigebiete
"ausapert". Die Erwärmung ist kurzfristig nicht zu stoppen.
Die Schneekanonen können laut Föhn die gefährdeten
Skigebiete unter 1.500 Höhenmeter nicht mehr retten.
Der Schnee aus der Kanone hat die Skigebiete vom Wetter
unabhängig gemacht. Bisher. Die Wetter-Autarkie haben sich
die Wintersportorte einiges kosten lassen. Kein Wunder. Mit
10.000 Kubikmeter Wasser kann eine Kilometer lange Piste
beschneit werden. Die Wassermenge entspricht vier Schwimmbecken
von 20 mal 50 Metern. Teilweise ist Wasser vorhanden, vielerorts
werden Speicherbecken angelegt. Ein teures Unterfangen. So plante
die Reinswalder Lift-GmbH ein entsprechendes Becken. Kosten: mehr
als 500.000 Euro. Für ein kleines Skigebiet nicht mehr zu
bezahlen. Die kleinen Skigebiete greifen, auch wenn es bestritten
wird, auf Trinkwasser zurück, um Kunstschnee zu erzeugen.
Der Fall Ritten als Beispiel für viele.
Die Großen in Südtirol, wie der Verbund Dolomiti
Superski, kommen ohne Schneekanonen nicht mehr aus. Ohne
Kunstschnee funktioniert das Skikarusell nicht. "Wir sind zwar
froh, wenn es schneit und die Landschaft weiß ist," sagt
Franz Perathoner, Direktor von Superski, "doch die entsprechende
Vorarbeit leisten die Schneekanonen". Allein auf der
Weltcup-Piste der Sasslong standen auf einer Länge von drei
Kilometern an die 60 Schneekanonen. Am Brunecker Hausberg, dem
Kronplatz, wird inzwischen sogar das Wasser vom Tal auf den Berg
gepumpt. Die Bergquellen bleiben laut Auskunft der Lift-Betreiber
unberührt. Die Betreiber der Kronplatz-Bahnen sollen - das
berichtete die "Neue Südtiroler Tageszeitung" (6.1.2002) -
in den vergangenen Jahren an die 35 Millionen Euro in
Pumpstationen, Leitungen und Speicherbecken investiert
haben.
Der Skibetrieb am Kronplatz - die Hinaufpumpen des Wassers vom
Tal auf den Berg zu den Schneekanonen, die Produktion des
Kunstschnees, der Betrieb der Lifte - verschlingt in der
Wintersaison ein Drittel des jährlichen Stromverbrauchs der
Stadt Bruneck. Südtirols Skigebiete rüsteten im
vergangenen Jahrzehnt kräftig auf. Die Schneekanone
gehört zur Standardausrüstung der Lift- und
Pistenbetreiber. Die Schneekanonen werden in Südtirol seit
Beginn der 90er Jahren flächendeckend eingesetzt. Die ersten
Schneekanonen sind längst zu einer wintertouristischen
Notwendigkeit geworden. Die ersten Beschneiungsanlagen waren vor
mehr als 20 Jahren in Enneberg und in Gröden gebaut worden.
In den schneearmen Wintern 1987 und 1988 zogen viele Skigebiete,
die auch über das nötige "Kleingeld" verfügten,
nach.
Diese Schneekanonen garantierten im Winter 2001/2002 den
Skigebieten den Schnee und somit das wirtschaftliche
überleben. Ohne Kanonen hätte es keinen Wintertourismus
gegeben. Von den 3.000 Hektar Skipisten Südtirols werden
inzwischen weit mehr als Drittel künstlich beschneit.
Dafür mussten im Winter 2001/2002 vier Millionen Kubikmeter
Wasser (um 2,5 Kubikmeter Kunstschnee zu produzieren braucht es
ein Kubikmeter Wasser) in die Schneekanonen geschleust werden.
"Und bei einer Vollbeschneiung von 30 Zentimentern werden bis zu
1.200 Kubikmeter Wasser pro Hektar benötigt," rechnete die
"Neue Südtiroler Tageszeitung" nach. Die Schneeknanonen
werden aber dann und wann vom Wetter überrascht: Die
Erwärmung des Klimas macht den Schneemachern immer wieder
einen Strich durch die Rechnung. Im wärmer gewordenen Winter
werden chemische Hilfsmittel eingesetzt, berichtet das nationale
Forschungsprogramm "Klimaänderung und Klimakatastrophen" der
Schweiz. Seit dem flauen Winter 1995 werden die Hilfsmittel
verwendet, sogenannte Kondensationskeime:" Wo es bei über
vier Grad minus aus vollem Rohr schneit, wird bestimmt nicht nur
mit Wasser gekocht," heißt es dazu in der "Heisszeit" von
Beat Glogger. Die Technisierung der Skigebiete geht weiter, deren
Abhängigkeit von der wetterunabhängigen High-Tech wird
noch größer.
Die Alternative - noch weiter nach oben? Wohin? Die Gletscher
bieten sich als neue wintersportliche Standorte an. Aber auch
ganz oben an den Bergen wirkt sich die Klimaerwärmung aus.
Mit dem Sommerskifahren auf den Gletschern wird demnächst
Schluß sein, prophezeit "Heisszeit"-Autor Beat Glogger.
Teile der Gletscher werden 2015 gewaltig geschrumpft sein.
Die Schneeerzeugung
Die Wasserzahlen
Bergsteiger Paul Hanny hat sich kräftig gewundert, als er
am Pfingstmontagmorgen auf die Nordwand schaute. "Gegen sieben
Uhr früh hab ich meinen Blick gegen die Nordwand gewandt und
meinen Augen nicht getraut," erzählte Hanny. Er konnte die
berühmte Schaumrolle nicht mehr sehen. In der Nacht auf den
Pfingstmontag sind mehr als 30.000 Kubikmeter Eis von der
Königsspitze abgebrochen. Die Schaumrolle hat sich über
Jahre hinweg durch Schneeverwehungen gebildet. Ein Eispanzer als
Schutz der Königsspitze. Er galt als eine der schwierigsten
Herausforderungen für die Bergsteiger.
Um 2.30 Uhr, so die Schätzung von Hanny, wird die Eiskrone
der Königsspitze abgebrochen sein. Bergssteiger sind
meistens eine Stunde später auf dem Weg. Ein Glück
für die Kletterer, daß sich die Eishaube so früh
löste. Die Strecke zur Schaumrolle gilt unter Bergsteigern
als eine der beliebtesten Gletschertouren. Als Hanny von der
entblößten Königsspitze erzählte, glaubte es
kaum ein Suldner. Erst nach einem ersten Lokalaugenschein von
Bergrettungsleuten wurde den Suldnern klar, daß ihre
Königsspitze keine Schaumrolle mehr hatte.
Die vereiste Haube der Königsspitze ist mehr als 800 Meter
in die Tiefe gedonnert. Die Schaumrolle ist dabei zersplittert.
Tausende Eiskristalle blieben von der Schaumrolle übrig.
Laut Hanny geschieht so etwas - wie der Abbruch -alle 100 oder
gar nur 150 Jahre. Ein Zufall? Ein Naturereignis auf dem
Gletscher? Ist die Schaumrolle unter dem eigenen Gewicht
zerbrochen? Es wird lange dauern, jahrelang, bis sich das
Naturphänomen neuerlich aufgebaut haben wird.
Die Schaumrolle war 30.000 Kubikmeter groß. Ähnliches
passierte anderswo im Alpenraum auch. Im August 1990 brach von
der Westflanke des Eigers in der Schweiz 100.000 Kubikmeter Eis
vom Eigergletscher ab. Ein Team von Gletscherforschern versuchte
der Ursache auf die Spur zu kommen. Sie röntgten regelrecht
den Gletscher - 70 Meter tief ins Eis trieben die Forscher ihre
Sonden. Die Temperaturmessungen ergaben, daß unter den
heutigen Bedingungen vom Eigergletscher gar 700.000 Kubikmeter
Eis abbrechen könnten. Der Grund - das Gletschereis ist am
Fels zwar festgefroren, die Schichten dahinter sind aber nur mehr
"temperiert" (d.h. seine Temperatur liegt beim Schmelzpunkt).
Fazit: "Daher ist dort der Gletscher auf seinem Felsbett nicht
angefroren und würde ohne die stützende Front
abgleiten," wagt Beat Glogger eine Prognose in seinem spannenden
Buch "Heisszeit - Klimaänderungen und Naturkatastrophen in
der Schweiz".
Glogger verweist auf verschiedene Computerberechnungen. Bei
einer Temperaturerhöhung um zwei Grad würde die Front
des Gletschers um über ein Viertel abschmelzen. Dadurch
würde der Gletscher abrutschen. Der Eigergletscher wird
deshalb seit 1996 alle drei Tage von einer automatischen Kamera
fotografiert. Jährlich hinzu kommen ein Flugbild und
Erkundungsflüge. Damit wird jede kleinste Veränderung
am Gletscher peinlichst genau dokumentiert. Die Beobachtung der
Gletscher alpinweit hat zu beeindruckenden Zahlen geführt.
In den Zentralalpen soll der Gletscherschwund bis zu 40 Prozent
betragen. Das einst Ewige Eis fließt den Bach hinunter. In
der gesamten Schweiz sollen die Gletscher um fast 30 Prozent
geschrumpft. sein. An die 100 ewige Eisberge sind in der Schweiz
für immer verschwunden. Die Glaziologen führen diese
Entwicklung auf die erfolgte Erwärmung von nur 0,7 Grad
zurück.
Das Gletscherschrumpfen hat die Glaziologen aufgerüttelt.
Die leichte Erwärmung der Erde scheint für die Eisberge
in den Alpen ein Schock zu sein. Sie schrumpfen. "Weshalb," fragt
sich Gloggler in seiner "Heisszeit", "weiss niemand". Das
Nationale Forschungsprogramm "Klimaänderung und
Naturkatastrophen" der Schweiz kommt in einem Bericht zum
Schluß, daß das Gletscherschmelzen nicht nur
"außergewöhnlich", sondern schon "dramatisch" ist.
"Zur Zeit schaut es gut aus, der Nalser Bach ist nicht
übergegangen und wird ständig beobachtet," so zitierte
die Tageszeitung "Dolomiten" Nalser Feuerwehrmänner. Das war
einige Tage vorher, bevor die große Mure im November 2000
den Nalser Bach aufwühlte und zu einer Springflut werden
ließ. Heftiger Regen weichte das Felsland oberhalb von Nals
ordentlich auf und ließ ein Teil eines Berghanges
abrutschen. Die Wunde, gerissen vom Regen, ist heute noch zu
sehen. Sie klafft im Wald und erinnert daran, wie schnell der
Berg in Bewegung kommt.
Damals im November 2000 mischte der Regen die Erde auf - daraus
wurde eine Mure, die den Bach bis zu vier Meter tief aufriss. Der
Sog transportierte Erdreich und 15 Kubikmeter großen Steine
ins Tal. Einige Dorfteile wurde vom Schlamm überschwemmt.
Mehr als 200 Bewohner von Nals mußten aus ihren
gefährdeten Häusern in Bachnähe. Tagelang waren
sie in Notunterkünften untergebracht. Jene, die Glück
hatten, fanden bei Freunden eine Bleibe. Soviel Schlamm,
Geröll, ein halber Wald und Gebüsch waren über das
Bachbett nach Nals gedonnert, dass tagelang elf Bagger und 15 Lkw
die Überreste eines ganzen Berghanges wegschaffen
mußten. Die Hilfsmannschaften machten sich auch daran, am
Grissianer Bach in Tisens Rückhaltesperren zu bauen. Der
Prissianer Bach wurde ebenso verbaut. Oberhalb des Nalser
Bacherhofes legten die Bautrupps ein Abklagerungsbecken an.
Nals war im November 2000 nicht das einzige Dorf, das von
Schlammfluten bedroht wurde. Einige Viertel von Dorf Tirol waren
gefährdet, Erdrutsche gab es auf dem Ritten, in Jenesien,
Truden und in Mölten. Landesweit, so die Landesregierung in
einer Schätzung, richtete der Regen und die dadurch
verursachten Murabgänge einen Schaden von mehr als 130
Milliarden Lire an. Der Schaden wäre sicher noch um einiges
größer, wenn die Freiwilligen-Arbeit bezahlt werden
müsste.
Nals, der gleichnamige Bach, der die Mure nach unten
transportierte, steht für die Süd-Alpen. Sie sind
besonders stark betroffen - der Herbst 2000 zeigte, was bei
sintflutartigen Regenfällen in Aosta, in den Bergen des
Piemonts und der Lombardei losgeschwemmt werden kann. "Mit einem
Mal 100.000 und mehr Kubikmeter Material," warnt ein Mitarbeiter
des privaten Büros Geo7, ein Geologenteam in Bern. Die These
von Geo7: Die südlichen Alpen sind für Muren
anfällig. Die aus dem Süden kommenden Tiefs bringen
warme Luft aus dem Mittelmeerraum auch in die Hochalpen, ins
Eisgebirge. Bis über 3.000 Meter kommt der Niederschlag als
Regen herunter. Die Folgen sind verheerend. Besonders für
die Zentralalpen. "Wenn im Alpenraum im Zeitraum von 24 Stunden
51 Milliliter Wasser fallen, wird´s gefährlich,"
errechnete Geo7.
Nals ist kein Einzelfall mehr. Ende Juni 2001 prasselte im
Unterland, zwischen Tramin und Kurtatsch, viel Wasser auf die
Erde nieder. In nur zwei Stunden gingen mehr als 100 Millimeter
Regen nieder. Soviel, wie üblicherweise in einem Monat.
Diese regelrechte Sintflut löste Geröllmuren aus, die
150 Hektar Obst- und Weingüter zerstörten. "Niemand hat
sich auch nur im Traum vorstellen können, daß in
Kurtatsch ein derartiger Wolkenbruch niedergehen würde,"
erzählte Bürgermeister Oswald Schiefer der Neuen
Südtiroler Tageszeitung, "das war ein Ausnahmeereignis, ein
regelrechtes Jahrhundertgewitter. Wir haben uns ständig
gefragt, wann der Regen endlich aufhört. Die Minuten wurden
zu Stunden. Ich dachte schon, daß die Welt untergehen
wird."
Jeder Bach und jedes Rinnsaal brachte von der Grauner Rinne
tosendes Wasser ins Tal. Die trockenen Felsen verwandelte die
Flut in einen imposanten Wasserfall. Mehr als 150 Menschen
mussten angesichts der sich ankündigenden Katastrophe
evakuiert werden. "So etwas habe ich noch nie gesehen,"
bestätigte auch der Traminer Bürgermeister Werner
Dissertori. Glück im Unglück hatten die Unterlandler.
Laut Mario Broll von der Forstbehörde haben die intakten
Wälder oberhalb Kurtatsch ihre Schutzfunktion erfüllt:
"Das ganze Wasser, das vom Berg herunterfloß, wurde vom
Wald wie von einem Schwamm aufgesogen. Das hat die Ortschaft vor
einer Katastrophe bewahrt", analysierte Broll für die Neue
Südtiroler Tageszeitung die Lage.
Nicht von ungefähr empfehlen die Schweizer Geologen ihren
Behörden, massiv aufzuforsten - baumlose Gegenden, deren
Bäume einst von Stürmen geknickt wurden, deren
Wälder von Borkenkäfern niedergemacht wurden.
Gipfelwärts strebende Vegetation ist gefragt, so die
Schweizer Klimaforscher. Ihre Sorgen: Das Abschmelzen des
Alpeneises geht schneller voran als die Aufforstung. Alpenweit,
das weiß die internationale Alpenschutzkommission Cipra zu
berichten, wandert die Schnee- und Permafrostgrenze sowie die
Waldgrenze auf und ab. Das schon seit 5.500 Jahren. Die immer
größer werdenden Rutschungen fallen aber
offensichtlich mit einer Entwicklung zusammen, die von
Behörden gern verharmlost werden: Große Rutschungen
haben mit warmem und feuchtem Klima zu tun.
Im Auftrag der Schweizer Klimakommission untersuchte Hugo Raetzo
verschiedene Erdrutsche. Er kommt zum Schluß, daß im
20. Jahrhundert die Veränderung des Klimas bereits die
meteorologischen Bedingungen veränderte. Seit 1977, so der
Geologe Raetzo, liegen in den Westschweizer Voralpen die
Niederschläge weit über dem langjährigen Mittel:
bis zu 30 Prozent. Die Höhen zwischen 1000 und 1.600 Meter
sind vom Klimawandel besonders stark getroffen. "Hier ging die
größte Anzahl kalter Tage verloren," rechnete Raetzo
nach. Temperaturen um den Gefrierpunkte werden immer seltener.
Statt Schnee fällt auf den Höhen zusehends Regen. Die
Berge werden weichgespült.
Das Tauen des Permafrostes und die damit verbundenen Folgen
werden in der Diskussion über die gegenwärtigen
globalen Erwärmungstendenzen oft zitiert: Schlammlawinen
(Murgänge), Steinschlag und Bergstürze machen
bewußt, wie knapp in den Alpen der Siedlungsraum ist, wie
gefährdet die Straßen, Autobahnen und Bahnstrecken
sind. Zudem dringt der Tourismus immer mehr in hochgelegene
Gebiete vor. Dieser Trend wird sich bei anhaltender Schneearmut
in den Voralpen verstärken.
Permafrost als Naturphänomen
Als Permafrost wird der Untergrund bezeichnet, welcher
während mindestens zwei Jahren Temperaturen unter 0?C
aufweist. In schattigen Lagen muss generell oberhalb der
Waldgrenze mit Permafrost gerechnet werden. Man unterscheidet
zwischen trockenem Permafrost ohne Eis und solchem mit wenig bis
sehr grossem Eisgehalt. Bodeneis kann durch gefrorenes
Grundwasser, wiedergefrorenes Schmelzwasser und vereinzelt aus
Resten von Lawinenkegeln und kleinen Gletschern entstehen. Der
unsichtbare Permafrost gehört zur
Hochgebirgslandschaft.
Im Gegensatz zu den arktischen Regionen setzte die Erforschung
des Permafrostes in den Alpen erst in den letzten Jahrzehnten
ein. Eine stärkere Forschung kann seit 1987 beobachtet
werden. Damals wurde zum ersten Mal in den Alpen ein kriechender
Permafrostkörper am Piz Corvatsch (Oberengadin) durchbohrt
und instrumentiert. Kriechende Schutthalden sind mit ihrer meist
lavastromartigen Form eindrückliche und in den Alpen weit
verbreitete Naturphänomene. Im Oberengadin wurden z.B.
über 300 solcher sogenannter Blockgletscher kartiert. Schon
mancher Wanderer wird sich gefragt haben, wie die frosttypischen
Erdstreifen, Steinringe und Strukturböden wohl entstanden
sind. Das generelle Verbreitungsmuster des Alpen-Permafrostes ist
heute dank über 4'000 Schneesondierungen, zahlreichen
geophysikalischen Untersuchungen und einzelnen Bohrungen bekannt.
Demnach muss in Nord-Expositionen oberhalb von 2'000 - 2'500 m
ü.M. mit Permafrost gerechnet werden.
Einzelne Fälle sind bekannt, wo Permafrost in extremen
Schattenlagen unter 1'500 m ü.M. identifiziert werden
konnte. Die Mächtigkeit der Permafrostkörper kann
über 50 m betragen. Die Temperaturen nahe der
Oberfläche liegen oft im Bereich zwischen 0 und -4?C. Der
Eisgehalt kann erheblich schwanken. So konnte bis heute in
bestimmten Tiefen reines Eis, in anderen Fällen nur wenige
Volumenprozente beobachtet werden.
Permafrost und Naturgefahren - Permafrost in
Lockergesteinen
Dauernd gefrorener Schutt wird durch wasserundurchlässiges
Bodeneis vor Erosion durch Hochwasser und Murgänge
geschützt. Damit wird das Gefahrenpotential durch den
Permafrost stark reduziert. Taut das Permafrosteis auf, so werden
grössere Schuttmengen dem Hochwasser ausgesetzt, und es
können sich Muren bilden. Unterhalb solcher Gebiete
auftauenden Permafrostes ist die Gefährdung höher als
in solchen, die schon länger permafrostfrei sind oder noch
intakten Permafrost aufweisen. Zudem wird oft das
Schadenpotential durch die zunehmende Nutzung von früher
gemiedenen Gefahrenzonen vergrössert.
Klimagesteuerte Mechanismen, die zu Steinschlag und
Bergstürzen führen
Als Ursache der Frostverwitterung stand lange Zeit die
Volumenzunahme um 9% beim Gefrieren von Wasser zu Eis im
Vordergrund. Dieser Vorgang ist aus Schäden in gefrorenen
Wasserleitungen bestens bekannt. In jüngster Zeit finden
häufig ältere Vorstellungen wieder Beachtung: Schon
1930 zeigten Bodenphysiker die Existenz von unterkühltem
Wasser unmittelbar neben Eis. Demnach kann auch bei Temperaturen
unter 0 °C ein Eislinsenwachstum stattfinden. Im Zusammenhang
mit Steinschlag und Felsstürzen sind somit neben der
normalen Oberflächenverwitterung auch Eislinsen in
Felsklüften von grosser Bedeutung. Beide Verwitterungsarten
(oberflächliche Frostsprengung durch Gefrier-Tauzyklen und
Eislinsenbildung) können nebeneinander ablaufen. Die
nordexponierten Flanken, welche eine niedrige Sonneneinstrahlung
aufweisen, sind nur geringen täglichen Temperaturwechseln
ausgesetzt. In diesen Situationen stürzen jeweils in der
Tausaison Felsmassen ab, die durch Eisbildung im Winter
gelöst werden. Umgekehrt durchlaufen die südexponierten
Flanken saisonal viele oberflächennahe
0°C-Durchgänge, was infolge der Volumenzunahme beim
Einfrieren des Porenwassers zu Steinschlag führt.
Bevor es zu Steinschlag oder Bergstürzen kommt, müssen
im betroffenen Fels Kluftsysteme vorliegen. Oft genügt diese
Voraussetzung für Sturzvorgänge nicht, da im trockenen
Zustand grosse Reibungskräfte auftreten können. In
gefrorenem Zustand ist der Fels relativ trocken und wird
zumindest teilweise durch das Klufteis stabilisiert. Eislinsen
können also wie oben beschrieben Felsklüfte
öffnen, verzögern aber gleichzeitig auch Steinschlag,
indem sie den Felsen trocken legen. Verändern sich nun die
Permafrostbedingungen als Folge einer Klimaveränderung, sind
drei Punkte von Bedeutung.
1. Dem Permafrost stand viel Zeit zur Verfügung, um
Kluftsysteme zu öffnen, diese waren jedoch infolge der
eisbedingten Trockenheit mehr oder weniger stabil.
2. Schmelzendes Klufteis, sowie nun eindringendes
Oberflächenwasser sorgen für eine Durchfeuchtung des
Felses und können die Druckverhältnisse massiv
ändern.
3. Die bindenden Kräfte des Eises gehen verloren. Dies
beginnt verstärkt bereits bei Eistemperaturen von -2 °C
infolge des bei diesen Temperaturen bereits erhöhten
Wassergehaltes im Eis.
Jeder dieser Punkte kann den Steinschlag fördern. Neuste
Zentrifugenversuche aus England (M. Davis, University of Dundee)
zeigen dass bei -1.7 °C Kluftsysteme instabiler sind als im
eisfreien Zustand, wo die Innere Reibung den grössten Teil
der durch den Eisverlust verloren gegangenen Kräften
kompensieren kann. Dieser Effekt hat ziemlich sicher im
Zusammenhang mit den zur Zeit ablaufenden Klimaveränderungen
eine zentrale Bedeutung. Neben diesen Vorgängen innerhalb
der oberflächennahen Felspartien spielt auch der
Rückzug der Gletscher eine Rolle. Solange oberflächlich
verwitterter Fels unter einer Eisdecke geschützt ist, wird
nur wenig Material wegerodiert. Verliert eine solche
Felsoberfläche den Eisschutz, setzt die
Oberflächenverwitterung sofort ein. Weiter können
Eismassen instabile Felsmassen stützen, d.h. beim
Gletscherrückzug wird die Spannungsverteilung auch im Fels
verändert.
Messungen und Beobachtungen
Die Existenz von Eislinsen im Fels konnte beim Bau von Bergbahnen
und Skiliften schon mehrfach beobachtet werden. Lange Zeit
fehlten jedoch Messungen über die im Eis ablaufenden
Prozesse. Im Rahmen einer Dissertation an der ETH Zürich
wurden die oben geschilderten Prozesse anhand von Bohrungen auf
dem Jungfraujoch untersucht. Die dabei durchgeführten
Messungen zeigen die Belastung des Felses durch Permafrost klar
auf. Doch auch Naturbeobachtungen deuten auf die ablaufenden
Prozesse hin. In den vergangenen 10 Jahren sind in den Alpen
über 7 grössere Bergstürze (Randa (2), Drusberg
(SZ), Tschierva (GR), Val Pola (Veltlin), Sandalp-Zuetribi
(Tödigebiet) (2)) verzeichnet worden. Alle Ereignisse fanden
im Bereich der Permafrostgrenze statt oder Permafrost spielt im
hydrogeologischen Einzugsgebiet eine wichtige Rolle. Jedes
einzelne Ereignis hatte seine eigene Geschichte. Da diese jedoch
gehäuft auftreten, besteht der ernsthafte Verdacht, dass
jüngste, klimabedingte Veränderungen der
Permafrostverhältnisse die Auslösung der Stürze
beeinflusst haben.
Von Felix Keller, Institut für Tourismus und Landwirtschaft der Academia Engiadina; web: www.academiaengiadina.ch.
"Wir haben den Fuß vom Gas genommen, aber die Bremsung
noch nicht eingeleitet," bewertete der deutsche Klimaforscher
Stefan Rahmstorf den Kompromiß auf dem Bonner
Weltklimagipfel. Rahmstorf geht davon aus, dass jetzt die globale
Klimaschutzpolitik ermöglicht, die Erderwärmung
begrenzt werden kann. "Es geht aber nicht mehr darum, den
Klimawandel ganz zu verhindern," bedauert Rahmstorf. Der
Klimawandel, den beispielsweise die Deutsche PB genauso
feststellt wie Umweltschützer, wird spürbar sein -
Stürme, Wolkenbrüche und andere drastische
Wettereignisse werden öfters auftreten.
Das sind laut Rahmstorf die Kosten, die wegen der
Verwässerung der notwendigen Klimaschutzpolitik zu bezahlen
sind. Trotzdem gab sich Rahmstorf und mit ihm weitere zahlreiche
Klimaforscher erleichtert darüber, dass trotz der geringen
Emissionsreduzierungen eine internationale Klimapolitik
möglich wird. Eine Wende allemal, die auch möglich
wurde, weil von unten Druck gemacht wurde. Ein Ergebnis, weil es
das Klimabündnis gibt, wie der deutsche Klimaforscher
Hartmut Grassl auf der 10. Jahrestagung des Bündnisses in
Bozen die Initiatoren lobte.
IPCC - Antreiber der internationalen
Klimapolitik
Motor auf höherer Ebene ist das überstaatliche
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), gegründet
1988 von der Welt Meteorologie Organisation (WMO) und dem
Umweltprogramm der UNO (UNEP). Das IPPC gilt als der globale
Treibhauswächter, der die Klimaveränderungen und die
damit verbundenen Umweltfolgen mit seinen detaillierten Berichten
belegt. 1990 erschien der erste IPPC-Bericht, an dem 170
Wissenschaftler aus 25 Ländern mitgearbeitet haben. Dieser
Bericht war Grundlage für die UNO-Klimakonferenz von Rio
1992, die mit einer Klimakonvention endete. Seit damals stritten
sich die Staaten, besonders die emissionsverursachenden
Industrieländer darüber, wie das Klima zu schützen
ist. Inzwischen liegt der dritte IPPC-Bericht vor - mit
düsteren Prognosen.
Das Kyoto-Protokoll
Fünf Jahre später, im japanischen Kyoto,
verabschiedeten die UNO-Länder nach tage- und
nächtelangem konfliktbeladenem Verhandeln das sogenannte
Kyoto-Protokoll. Die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und
Japan, die klimapolitischen Bremser akzeptierten die Tatsache,
dass der Mensch die Erdatmosphäre mit der Freisetzung von
Treibhausgasen erwärmt. Kyoto war schlussendlich auch ein
Kompromiss - die EU-Länder drängten darauf, bis 2010
den Ausstoß der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und
Lachgas um 15 Prozent zu senken. Als Vergleichsjahr wurde 1990
herangezogen. Laut Kyoto-Protokoll verpflichten sich die
Industriestaaten, zwischen 2008 und 2012 ihre Emissionen an
Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen um fünf Prozent im
Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Die EU-Staaten gingen die
Verpflichtung von einer achtprozentigen Verringerung ein, die USA
einer siebenprozentigen Reduzierung.
Der Bonner Kompromiss
Erst nach dem folgenden vierten Gipfel, die übrigen waren
gescheitert, stimmten 180 Staaten der Umsetzung des
Kyoto-Protokolls zu. Der Preis - die Verringerung der
Schadstoffemissionen beläuft sich jetzt nur mehr auf
dürftige ein Prozent. Japan hat die Reduzierung
heruntergeschraubt, die USA haben sich an den Verhandlungen nicht
beteiligt. Dank des Engagements der EU in Zusammenarbeit mit den
südlichen Ländern konnte der klimapolitische Amoklauf,
initiert von der Bush-USA mit Japan im Schlepptau, gebremst
werden. Wie schaut denn die Bonner Einigung aus?
Pflanzen statt Sparen: Japan, Kanada, Russland
und Australien werden mehr denn je ihre Klimaverpflichtungen
erfüllen, indem sie sich ihre Wälder als Speicher
("Senken") für grünen Kohlenstoff anrechnen lassen. Das
Kyoto-Ziel, die Freisetzung schwarzen Kohlenstoffs aus Öl
und Kohle zu mindern, wird um schmerzlich 3,3 Prozent
geschwächt und das jährlich.
Weniger Hausaufgaben: Statt daheim dürfen
die Industrienationen ihre Öko-Schuld auch im Ausland tilgen
- fast unbegrenzt. Drei "flexible Mechanismus" zählen: der
Kauf von Emissions-Zertifikaten, klimaschonende Investitionen in
reichen Staaten sowie Technologie-Tranfers in
Entwicklungsländer. Atomkraftwerke werden nicht
angerechnet.
Kontrolle ist besser: Rechtsverbindlich sind die
Regeln zu "Überwachung" der Kyorto-Ziele. Vorerst nur
politisch belangt werden jene Staaten, die bis 2012 zu wenig tun:
Für jede Tonne Treibhausgas müssen sie ab 2013
zusätzlich 1,3 Tonnen abbauen.
Geld für den Wandel: Zum Kauf von
Öko-Technologie, aber auch für Deiche gegen die Flut
versprachen allen voran die EU "neue und zusätzliche
Mittel": 450 Millionen Euro fließen ab 2005 jährlich.
Auch Japan will aufstocken, die USA knausern, beschreibt die
deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" die Beschlüsse des Bonner
Klimagipfels.
Der internationale Klima-Ausschuß der UNO, das
Intergovernmental Panel on Climate Change, kommt in seinem
jüngsten Bericht zur Kenntnis, dass der Temperaturanstieg
stärker als angenommen ist. In dem 2.000 Seiten umfassenden
Report gehen die 3.000 mitarbeitenden Wissenschaftler davon aus,
dass die globalen Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um
5,8 Grad Celsius ansteigen werden. "Um die äußerst
bedenklichen Auswirkungen der globalen Erwärmung noch
abwenden zu können, muß umgehend gehandelt werden,"
kommentierte IPPC-Vorsitzender Robert Watson den Report. "Wir
wissen genug, um sagen zu können, dass die
Klimaerwärmung ein ernstzunehmendes Umweltproblem ist," so
Watson.
Dies bestätigten inzwischen auch weitere Studien, die die
verheerenden ökologischen Konsequenzen einer
Erderwärmung aufzeigten. "Durch die Verbrennung von Öl
und Gas und durch Brandrodungen setzen wir derzeit jährlich
eine Kohlendioxidmenge frei, die der Photosyntheseleistung von
600.000 Jahren entspricht," warnt Harald Bolhar-Nordenkampf vom
Institut für Ökologie und Naturschutz der
Universität Wien. Der dadurch bewirkte Temperaturanstieg,
die stärker gewordene ultraviolette Strahlung und die
Zunahme des bodennahen Ozons heizt den Treibhauseffekt noch
weiter an. Über die letzten 30 Jahre hinweg haben Satelliten
einen Rückgang der durchschnittlichen Schneedecke um zehn
Prozent aufgezeichnet - Gletscherrückgang in allen Gebirgen,
eine um zwei Wochen kürze Eiszeit auf Seen und Flüssen,
die Eisdecke der Arktis im Sommer um 40 Prozent und ihre
Ausdehnung bis zu 15 Prozent verringert hat.
Die russische Akademie der Wissenschaften schlägt ebenfalls
Alarm - die bis zu mehreren Metern tiefen Permafrost-Böden
Sibiriens tauen auf. Aus dem Boden der Tundra sickert das
auftauende Eis in die Flüsse. Steigt die Temperatur, wie das
ICCP prognostiziert, weiter an, wird das permafrostige Sibirien
zu einem großen "Schlammpool". Der Einfluß des
Klimawandels auf die Umwelt und damit auf die Menschen ist mehr
als belegt. Kaum ein Fleck der Welt wird davon nicht
berührt. Die Liste der durch Klimawandel verletzlichen
natürlichen Öko-Systeme umfasst Korallenriffe,
Mangrovenwälder, Lebensräume in der Arktis und in den
Bergen, Feuchtgebiete, Prärien und Gletscher ebenso wie
biologisch besonders vielfältige Gebiete wie die
Regenwälder.
Zudem gibt es "bedrohte menschliche Systeme": Wasserressourcen,
Forstwirtschaft, Gesundheit, Siedlungen, Energiesysteme,
Industrie und Finanzdienstleistungen. Ganz zu schweigen, so der
ICCP-Report, von kleinen Inselstaaten und der indigenen
Bevölkerungen aller Kontinente. Das ICCP erinnert die
Politik in seinem Report daran, dass dies keine schicksalhafte,
unabwendbare Entwicklung ist. Watson appellierte an die
Industriestaaten, Technologien einzusetzen, um die
Treibhausgas-Konzentrationen zu reduzieren. Es liegt auf der
Hand, so Watson bei der Vorstellung des Reports, dass
Treibhaus-Emissionen von der industrialisierten Welt stammten.
Auch in Zukunft bleiben die Pro-Kopf-Emissionen Indiens und
Chinas klar hinter jener der USA und Europa.
Watson forderte die reichen Länder auf, Energie zu sparen,
sanfte Energie zu fördern, schlussendlich nachhaltiger zu
wirtschaften. In diesem Zusammenhang soll an die Aussage des
Geschäftsführers der Deutschen Energie-Agentur, Stephan
Kohler, erinnert werden. Laut Kohler kann in Deutschland ohne
Verzicht - nur per Technik - die Hälfte des
gegenwärtigen Primärenergieverbrauchs eingespart
werden. Die Bürger verschwenden Energie, aber auch die
Industrie, betont Kohler. Er geht davon aus, dass die Industrie
und das Gewerbe bis zu 40 Prozent am Energieaufwand einsparen
können.
Der internationale Naturschutzverband WWF bestätigt in zwei
Studien, dass der Klimaschutz die Konjunktur ankurbeln kann. In
Europa führt laut WWF-Studie eine frühzeitige und
effiziente Klimapolitik zur drastischen Kosteneinsparungen. Der
WWF geht davon aus, dass die EU an die 95 Prozent ihrer
Klimaschutzziele ohne zusätzliche Kosten erreichen kann. Zur
Umsetzung des Kyoto-Zieles muss die EU bis 2010 lediglich 0.06
Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes, das sind gerade mal drei
Milliarden Euro jährlich, aufwenden. Aufgeteilt auf die
Mitgliedsländer, ein "Spottbetrag", so der WWF. Die Folge -
die EU würde ihren Kohlendioxid-Ausstoß um acht
Prozent verringern. Diese Art Klimaschutz sorgt für
technische Innovationen. Der Klimaschutz ist also kein
Job-Killer, ganz im Gegenteil.
Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche
Entwicklung und Zusammenarbeit, kein Öko-Verein, drängt
auf einen nachhaltig umweltverträglichen Verkehr. Die OECD
beschreibt, was nachhaltiger und umweltverträglicher Verkehr
ist: der die Gesundheit der Menschen oder der Öko-Systeme
nicht gefährdet. Die OECD geht noch ein Stück weiter -
dem Verkehr darf nicht noch mehr Energie geopfert werden, die
OECD plädiert für das Sparen. Auf einer internationalen
Verkehrstagung in Wien appellierten OECD-Experten an die
Alpenstaaten, von der bisher praktizierten Verkehrspolitik
abzurücken. In ihrer Pilot-Studie "nachhaltig
umweltverträglicher Alpenverkehr - EST Alpin" drängt
die OECD darauf, die vom Verkehr verursachten C02-Emissionen
(immerhin zwei Drittel der gesamte Luftschadstoffe) auf das
Niveau von 1990 zu reduzieren.
Nur so, heißt es im EST-Alpin-Papier, können
Klimaveränderungen verhindert werden. Verringert werden
müssen aber auch Stickstoffdioxide, die Ozonbelastung, das
krebserzeugende VOC, Feinpartikel und der Lärm.
Schlussendlich sollen laut OECD keine weitere Flächen
für Verkehrsinfrastrukturen, also für Straßen und
Flugplätze, verbaut werden. Ein OECD-Klimapaket, inspiriert
vom Geist von Kyoto.
Kyoto ist auch für die Versicherungswirtschaft zum Motto
geworden. Kein Wunder. "Die Aufwendungen für
Naturkatastrophen haben sich im letzten Jahrzehnt auf die
unglaubliche Summe von 608,5 Milliarden Dollar hochgeschraubt,
das ist dreimal soviel wie im Jahrzehnt davor," schreibt das
österreichische Nachrichtenmagazin "news". Nicht von
ungefähr haben deshalb die großen
Versicherungsgesellschaft sauer auf das Nein von
US-Präsidenten George Bush reagiert, das Kyoto-Protokoll
nicht zu ratifizieren. In einem Interview mit "news" sagte
Johannes Mühlenburg von der Versicherungsgesellschaft Uniqa,
"dass ein Grad globaler Erwärmung die
Versicherungswirtschaft weltweit 100 Milliarden Dollar
jährlich kostet, die für Schadenswiedergutmachung
aufgewendet werden müssen". Mühlenburg geht davon aus,
dass das derzeitige Versicherungssystem - wird die globale
Erwärmung nicht gestoppt - nicht mehr finanzierbar ist. So
verweist die weltweit größte Rückversicherung,
die deutsche Rück, darauf, dass "die Schadensbelastungen
durch Naturkatastrophen seit den sechziger Jahren um das
Achtfache zugenommen haben".
Die Umweltschützer haben starke Schützenhilfe erhalten,
durch die Versicherungslobby. Uniqa-Experte Mühlenburg
begrüßt die neue Allianz, "denn schließlich
leben wir alle auf einer Erde. Nur werden sich unsere Methoden
zur Erreichung des Ziels unterscheiden. Die Umweltschützer
appellieren an das Gewissen der Politiker, wir an ihren
Geldbeutel". Mühlenburg winkt mit dem Zaunpfahl: "Wenn der
Trend der Erwärmung nicht zum Stillstand gebracht werden
kann, werden wir schon in wenigen Jahren viele Ereignisse nicht
mehr versichern können. Die entstandenen Schäden gehen
dann ausschließlich zu Lasten der öffentlichen Hand.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im Sinne
verantwortungsbewusster Politiker ist".
Der Bonner Klimagipfel Mitte Juli 2001 und sein dürftiger
Kompromiss zur Reduzierung der Treibhausgase, immerhin der
Einstieg in den globalen Klimaschutz, ist die späte Folge
eines Bündnisses. Es ist das internationale
Klimabündnis zwischen westeuropäischen Kommunen und den
Organisationen indigener Völker des Amazonasbeckens, das die
Rettung des Weltklimas zum politischen Thema machte. Während
der Amazonientage 1989 in Berlin wurde der Grundstein zum
Bündnis gelegt.
Die Gespräche machten deutlich, dass die Ursache für
die Zerstörung Amazoniens in der europäischen
Lebensweise, im industriellen Umgang mit den Ressourcen dieser
Welt liegt. Globale Klimaveränderungen bedrohte das Leben,
ökologisch intakte Lebensgemeinschaften werden zunehmen
weltweit zerstört, im besonderen die tropischen
Regenwälder am Äquator. Zwei Drittel aller Emissionen
kommen von den nördlichen Industrieländern, vor allem
das am Treibhauseffekt beteiligte C02 durch die Verbrennung
fossiler Brennstoffe wie Mineralöl, Kohle und Gas. Aus
dieser Kenntnis heraus wurde das Bündnis gegründet, das
ein solidarischer Schritt ist zum Erhalt der Erdatmosphäre.
Die indigenen Völker haben bisher mit ihrer Wirtschaftsweise
bewiesen, dass sie Tropenwald umweltverträglich nutzen
können. Ihr Lebensinteresse ist an den Wald
geknüpft.
Jede europäische Stadt bzw. Gemeinde, die dem
Klimabündnis betritt, verpflichtet sich:
- den Energieverbrauch zu senken;
- den motorisierten Verkehr zu verringern,
- die Emissionen, vor allem von C02, bis zum Jahr 2010 zu
senken,
- einen FCKW-Stop durchzusetzen,
- auf Tropenholz zu verzichten,
- die Interessen der Amazonas-Bevölkerung, die für den
Tropenwalderhalt und die Demarkierung ihrer Territorien
kämpfen, zu unterstützen.
Den Rahmen für inhaltliches Handeln gibt das Manifest zum
Klimabündnis, welches jede Gemeinde bei ihrem Betritt
unterschrieben hat. Es wurde bisher von mehr als 800
europäischen Städten und Gemeinden verbindlich
unterzeichnet. Gefordert sind die Bündnis-Gemeinden durch
lokales Handeln. Sie müssen konkrete Maßnahmen
ergreifen, um Klimaschutz durchzusetzen. Von ihrem
ökologischen Stadtumbau hängt es ab, ob die Emissionen
der Städte des Nordens, die Hauptursache der
Klimaveränderung, gesenkt werden.
Der deutsche Klimaforscher Hartmut Grassl lobte auf der 10.
Jahrestagung in Bozen das internationale Klimabündnis
für das erfolgreiche Engagement von unten, für den
sichtbaren Klimaschutz. Die Bündnis-Gemeinden ist es laut
Grassl gelungen, ohne Zwang, d.h. ohne Gesetze und Sanktionen,
viele kleine Weichen zu stellen. In den Jahresberichten der
Geschäftsstelle des Klimabündnisses in Frankfurt wird
dokumentiert, wie erfolgreich kommunaler Klimaschutz sein kann,
gepaart mit Selbsthilfeprojekte für die indigenen Partner im
Amazonas-Regenwald. Auf seiner 10. Jahrestagung in Bozen
bestätigte das internationale Klimabündnis mit dem
Bozner Manifest die ursprünglichen Ziele. Es gibt aber eine
Ergänzung, einen Zusatz - unter dem Dach des
Klimabündnisses soll auch ein Bodenbündnis Platz
finden.
Der Schutz des Klimas soll auch über den Schutz der
Böden erreicht werden. Jene Wissenschaftler, die die
wichtige Rolle der Böden für das globale Klima
unterstreichen, sind nicht mehr allein. Der Verlust an Boden ist
erschreckend. Der us-amerikanische Agrarwissenschaftler David
Pimentel errechnete, dass in den vergangenen 40 Jahren nahezu ein
Drittel der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche
durch Erosion verloren ging bzw. schwer geschädigt wurde.
Das entspricht einem Verlust von rund zehn Millionen Hektar pro
Jahr - mehr als die Fläche Portugals. Die Haut der Erde, sie
ist bedroht.
Was hat der Boden mit dem Klima zu tun?
"Wir mussten lernen, dass wir mit unserer Art zu leben und zu
wirtschaften, diese Haut verletzen und das Weltklima
verändern können; mit weitreichenden Auswirkungen auf
die Menschen und Gesellschaften". Riesige Staubwolken aus den
Feldern und Äckern verdunkelten den Himmel. Der
berüchtigte Dust-Bowl der 30er Jahre, die Folge des
intensiven Ackerbaus, machte aus dem Mittlern Westen der USA ein
Wüsten-Land. Als das letzte Gebüsch als Brennholz
verbrannt war, fegte ein Sandsturm über das Land. Die
Quellen vertrockneten, die Menschen mussten flüchten. So
geschehen in den 80er Jahren in der Sahel-Zone. Die gigantischen
agrarindustriellen Projekte der Sowjets ließen den Aral-See
verdampfen, das Umland vertrocknete. Ähnliches geschieht im
Regenwald-Gürtel am Äquator. Die Böden, sie kommen
unter die Räder.
Wir degradieren die Böden in gravierendem Ausmaß. Was
in wenigen Jahren zerstört, gestört bzw. verunreinigt
wird, braucht Jahrzehnte um sich zu regenerieren bzw.
Jahrhunderte und Jahrtausende, um sich wieder zu bilden. Im
Unterschied etwa zum Klimawandel oder zum Verlust biologischer
Vielfalt ist dies noch nicht vergleichbar ins öffentliche
Bewusstsein gedrungen. Es handelt sich jedoch um ein Problem mit
der gleichen tragweite. Laut Klimaforscher Hartmut Grassl spielen
die Böden eine wichtige Rolle für das Klima. Ebenso
sind sie für die Biodiversität und den Wasserhaushalt
grundlegend. Wer das Klima schützen will, hat sich der
Böden anzunehmen. Und zugleich sind die Böden aus
eigenem Recht zu schützen, sind die Bodenfunktionen in ihrer
ganzen Vielfalt zu achten. Die Aufgabe steht an, Bodenbewusstsein
zu stärken und zu einem nachhaltigen Umgang mit Böden
zu kommen.
International verbindliche Bodenkonvention als
Rahmen
Wiederholt wurde die Bodenproblematik in Dokumenten und
internationalen Deklarationen - etwa der "Welt-Boden-Charta" der
FAO, der "Europäischen Boden-Charta" des Europarats etc. -
aufgegriffen. Im Unterschied zum Klima und zur Biodiversität
ist es jedoch auf der Konferenz in Rio 1992 nicht gelungen, auch
zu Böden eine international verbindliche (Rahmen-)Konvention
zu verabschieden bzw. auf den Weg zu bringen. Immerhin gelang es
als ersten wichtigen Schritt, Verhandlungen über ein UN
Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung zu
beschließen. Diese Konvention ist zwischenzeitlich
verabschiedet und in Kraft getreten.
Diese Konvention wurde jedoch auf Trockengebiete eingegrenzt. Das
hat eine gewisse Berechtigung, da gerade in diesen Gebieten die
besonders akuten Probleme auftreten. Folgendes ist jedoch zu
beachten: Durch die regionale Einschränkung besteht die
Gefahr, dass der Schutz der Böden vor Raubbau weiterhin
nicht als globale Aufgabe und Problematik verstanden wird, mit
der gleichen Tragweite wie Klimaschutz und Schutz der
Biodiversität. Zugleich wird damit der Eindruck
verstärkt, dass in den Industriestaaten das "Problem weit
weg wäre", wir also gleichsam nur als Geber von know-how und
Finanzmitteln gefragt seien. Wir sind aber Teil des Problems. Die
Böden werden weltweit zerstört und degradiert. Ein Teil
der Industriestaaten hat nur den Vorteil, dass ein
gemäßigtes Klima mit relativ jungen, fruchtbaren
Böden zusammentrifft. Die dort entwickelten Praktiken, etwa
die Böden großflächig längere Zeit ohne
jeden Bewuchs zu lassen, hat bei deren Übertragung in andere
Klimazonen zu teilweise katastrophaler Erosion beigetragen. Durch
Versiegelung gerade besondes fruchtbarer Flächen für
Siedlungen und Infrastruktur werden in großem Maßstab
Böden für sehr lange Zeiten unbrauchbar gemacht bzw.
ganz zerstört.
Die ersten Erfahrungen mit der Umsetzung der UN Konvention zur
Bekämpfung der Wüstenbildung weisen in die Richtung
eines zunehmenden Verständnisses für den
übergeordneten, umfassenden Charakter der Bodenproblematik.
Obwohl auf die Trockengebiete und semiariden Gebiete eingegrenzt,
wird der Ansatz zwischenzeitlich darüber hinaus angewandt,
beispielsweise wird ein Anhang für die Staaten Mittel- und
Osteuropas erarbeitet. Während der Debatte um eine
Bodenkonvention entstand die Idee, dass vergleichbar dem
Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) dringend ein
Intergovernmental Panel on Soils (IPS) einzurichten ist. Dies
könnte der nächste Schritt sein zur Verstärkung
der Wirkung der Konvention zur Wüstenbekämpfung.
Zugleich kann dies dann zur Vorbereitung für deren
anstehende Weiterentwicklung zu einer umfassenden Bodenkonvention
dienen.
Sind Böden nicht etwas lokales? Ist der nachhaltige Umgang
mit Böden nicht vorrangig vor Ort in den Kommunen und
Regionen anzugehen? Dies ist völlig richtig. Zugleich ist es
aber dringlich, dass ein internationaler Rahmen geschaffen wird,
der verbindlich ist und nicht nur empfehlenden Charakter hat.
Wichtig ist insbesondere, dass endlich die globale Dimension und
Tragweite der Bodenthematik gesehen wird. Und dann umso
entschiedener auf allen Ebenen, insbesondere vor Ort einen
nachhaltigen Umgang mit Böden zu initiieren. Bodenschutz ist
nicht vorrangig eine nachsorgende Aufgabe, wenn Altlasten bekannt
werden bzw. es sich gar nicht mehr länger verhindern
lässt, dass Verdachtsflächen zu sanieren sind. Vielmehr
ist pro-aktiv heranzugehen.
Lokale Lösungen für ein globales Problem -
die Rolle der Kommunen
Das Klima-Bündnis gibt ein interessantes Vorbild, wie
globale Aufgaben vor Ort in den Kommunen angegangen werden
können. Die Kommunen haben nicht nur den Vorteil der
größeren bürgernähe, sind gerade auch
bezogen auf die Einbeziehung der Interessen aller Beteiligter
wichtig. Gibt es da nicht ein ganz gewichtiges Hindernis? Ist es
nicht so, dass in den Städten und anderen Gemeinden
Böden gar nicht als Böden sondern nur als
Flächen-Standorte interessieren? Wird nicht typischerweise
in den Wissenschaften ebenso wie in der praktischen Umsetzung
zwischen den Bodenfachleuten und Bodennutzern sowie den
Flächenfachleuten (Raum- und Stadtplanung) sowie den Nutzern
von Flächen unterschieden? Und ist es nicht zugleich so,
dass selbst die fruchtbarsten Böden ökonomisch in
agrarischer oder forstlicher Nutzung sehr viel weniger wert sind
wie in fast allen anderen Nutzungen ihrer Überbauung? Werden
damit nicht gerade durch die ökonomische Wertsteigerung in
den Siedlungen systematisch die Böden zerstört und
degradiert?
Solange die Böden nicht umfassend in allen ihren Funktionen
verstanden werden, wird sich diese systematisch angelegte
Problemverschärfung fortpflanzen. Fortschrittliche Kommunen
verfolgen jedoch bereits seit längerem eine anders gerichtet
Politik. Ist es doch offenkundig, dass Böden beispielsweise
für den Wasserhaushalt, die biologische Vielfalt, das
städtische Mikro-Klima, die Lufthygiene und damit die
Gesundheit einer Siedlung sehr große Bedeutung haben. Und
ebenso ist es eindeutig, dass die Menschen eine grüne
abwechslungsreiche Umgebung brauchen. Wenn die Siedlungen
großflächig versiegelt und betoniert werden, wird der
Hang nach draußen anhalten: möglichst weit
draußen zu wohnen und zu pendeln, oder zwar in der Stadt zu
wohnen, aber dieser möglichst oft "zu entfliehen". Beides
ist ökologisch für eine nachhaltige Entwicklung nicht
zuträglich. Es muss gerade darum gehen, die
Siedlungsfunktion der Böden und Inanspruchnahme für
Infrastruktur im Zusammenhang mit allen Bodenfunktionen zu
sehen.
Aktiv handeln für eine nachhaltige
Bodennutzung
Aktives handeln für eine nachhaltige Bodennutzung bedeutet
in den Kommunen sehr unterschiedliches. Klima, die Art der
Böden, die vorrangige Bodennutzung, spezifischen
Bodenprobleme, die Größe der Kommunen, aber auch die
Handlungsspielräume entsprechend den Kommunalverfassungen
und vieles mehr spielen eine Rolle. Je nach Situation, nach
Problembewusstsein sind andere Maßnahmen die geeigneten
Einstiegspunkte. Insbesondere ist es vorrangig, die
Maßnahmen so zu planen, dass die Interessen der Beteiligten
einbezogen werden. Wenn beispielsweise die ganze Agrarpolitik auf
immer größere Betriebseinheiten, intensivere
Bewirtschaftung etc. monokulturell ausgerichtet ist, ist es
für einzelne kleinere Gemeinden im ländlichen Raum nur
schwer möglich, gegenzusteuern. Wie aber vielerlei Beispiele
in unterschiedlichen europäischen Ländern belegen, ist
es möglich, beispielsweise durch
Regionalvermarktungskonzepte Chancen für eine andere Form
der Landwirtschaft zu verbessern. Damit werden zugleich die
Potentiale für eine Landbewirtschaftung verbessert, bei der
die Böden nicht als einfache Standorte gesehen werden,
sondern deren Fruchtbarkeit über die Zeit hinweg beachtet
und gefördert wird. Ebenso sind Änderungen in der
Agrarpolitik kreativ zu nutzen, die etwa im Rahmen der
Habitat-Richtlinie, Aufnahme des ökologischen Landbaus in
die Beratung etc. Änderungspotentiale schaffen.
Ebenso hängt es davon ab, ob in Kommunen bisher eine einzige
Richtung eingeschlagen wird, nämlich zu versiegeln oder ob
es bereits gewisse Erfahrungen mit Entsiegelung gibt. Im Prinzip
steht an, die wirtschaftliche Entwicklung systematisch von der
Flächeninanspruchnahme abzukoppeln, vergleichbar der
Entkoppelung in den Energieströmen. Dazu bieten sich
für Kommunen ganz konkrete Projekte und Maßnahmen an.
Wenn beispielsweise die Ausweisung von Gewerbegebieten für
Industrie und Handel ansteht, können Wettbewerbe ausgelobt
werden, in denen eine ökologische Bauweise (Energie,
Materialien etc.) bewusst den Flächenverbrauch einbezieht.
Kreative Konzepte von Handelshäusern auf mehreren Ebenen
könnten zu einem Standortvorteil werden und den immer
weitergehenden "Flächenfraß" stoppen. Der
Strukturwandel kann genutzt werden, umzuwidmen und nicht noch
immer weitere Flächen zu beanspruchen.
Vergleichbar ist zu fragen, ob nicht durch Entsiegelung Kosten
für Entwässerung gespart werden können. Wenn diese
Kosten vergleichend für konkrete Projekte und Gebiete der
Kommunen ausgewiesen werden, könnte damit die Thematik Boden
in ihrem Gesamtzusammenhang und ihrer grundlegenden Bedeutung
mehr Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden.
Zugleich sind damit die Wirtschaftsinteressen, die zum Teil die
Böden als Böden völlig ignorieren und
ausschließlich Flächen als Standorte im Sinn haben, in
ihrer ökonomischen Rationalität ansprechbar. Ausgehend
von derartigen Beispielen sollte eine zunehmend umfassendere
Bodenpolitik angestrebt werden.
Das Klimabündnis ist für den Nord-Süd-Bezug ein
guter Anreger und ein guter Partner für ein
Bodenbündnis von Kommunen. Denn auch beim Boden ist der
Zusammenhang mit den Interessen in Ländern des Südens
prägnant und essentiell. Landlose roden Wälder, um
zumindest für einige wenige Jahre ihr Auskommen zu haben. Da
viele der tropischen Regenwälder ebenso wie
Trockenwälder auf sehr alten Böden wachsen, müssen
vielfach die Böden nach wenigen Jahren aufgegeben werden.
Ebenso sind in vielen Trockengebieten die Folgen der
Bodendegradation bereits aktuell drastisch zu spüren.
Deshalb ist ein Ansatz wie im Klimabündnis, selbst aktiv im
Rahmen der eigenen Einflussmöglichkeiten initiativ zu werden
und gleichzeitig solidarisch die globalen Zusammenhänge
einzubeziehen, besonders vorteilhaft. Zusammenarbeit mit
Initiativen wie "Die Bodenkampagne" der Charles Léopold
Mayer Stiftung, Paris, die weltweit aktiv ist, können hierzu
gut genutzt werden.
Von Martin Held, von 1992-1994 Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz der Menschen und der Umwelt", Studienleiter für Wirtschaft an der Evangelischen Akademie Tutzing, Co-Autor des Vorschlags für eine Bodenkonvention.
Für Bauern haben extreme Witterungsverhältnisse wie Hitze, Kälte, Stürme, Trockenheit und andauernde Niederschläge drastische Auswirkungen: Nicht nicht nur auf die Erträge, sondern es lassen sich auch Folgeschäden erwarten. So können Klimaänderungen Obst und Weinreben ernsthaft gefährden und auf andere Standorte verdrängen. Aber auch im Ackerbau können völlig andere Produktionsverfahren notwendig werden oder eine weitere Landbewirtschaftung unmöglich machen. Die Landwirtschaft ist also mit Sicherheit eines der wichtigsten Opfer von Klimaveränderung. Aber die industrielle Landwirtschaft ist auch maßgeblicher Verursacher von Klimaveränderungen:
Konventionelle
Landwirtschaft:
- verursacht 20% der Treibhausgas-Emissionen
- 2,3 Tonnen CO2/ha 80% davon ergeben sich aus dem Zukauf
von:
- Dünger
- Futter
- Maschinen
Der Hauptanteil der Emissionen stammt aus der Produktion tierischer Nahrungsmittel, für Rindfleisch und Milch (große Futtermittel-Importe aus sog. Entwicklungsländern und den damit dort verbundenen Brandrodungen). Die konventionelle Landwirtschaft, die eine sehr spezialisierte ist, hat weltweit durch Monokulturen, übermäßigem Einsatz von Mineraldüngern, Pestiziden und durch die Massentierhaltung und deren Auswüchsen z.B. zu dramatischen Bodenverdichtungen und -erosionen geführt, sowie zu erheblichen Schadstoffbelastungen von Boden, Wasser und Luft. Als Ausweg aus diesem Teufelskreis des zugleich Täter- und Opferseins ist der Übergang zur biologischen Landwirtschaft zwingend notwendig. Die biologische Landwirtschaft nimmt eine Schrittmacherrolle für den Umwelt- und Klimaschutz, heute mehr denn je auch den Gesundheitsschutz, ein:
Vergleich biologische : konventionelle
Landwirtschaft
Biologische Landwirtschaft
klimaschädliche Treibhausgase: 50% weniger; z.B. 60%
CO2-Emissionen weniger Verbrauch
Primärenergie: 2/3 weniger
Rohstoffverbrauch: niedriger (keine Mineraldünger keine
Pestizide)
Belastungen von Böden, Gewässern, Luft mit Pestiziden
und Nitraten: keine bzw. viel geringere.
Bodenerosion: vermindert
Förderung natürlicher Kreisläufe
Konsequent biologischer Anbau sorgt z.B. auch dafür, dass
in einem tief durchwurzelten, stabilen und lebendigem Bodenprofil
Niederschlagswasser gespeichert, gereinigt und über einen
vielfältigen Pflanzenbestand wieder an die Atmosphäre
abgegeben wird. Erst dadurch kann wieder der sog. Umlaufregen
entstehen, der für die regionale, ökosystemgerechte
Verteilung der Niederschläge sorgt. Dies ist wiederum der
beste Schutz vor Dürre und Bodenerosion und gibt in
Verbindung mit einem vielfältigen Pflanzenbestand die
Grundlage für anpassungsfähigere Agrarökosysteme
und ein stabileres regionales und globales Klima.
Wenn wir heute die Klimaveränderungen schon im Alltag
spüren können und ernstzunehmenden Wissenschaftler
dringend vor deren Folgen warnen, so ist in der Landwirtschaft
keine Zeit mehr zu verlieren, die richtigen Weichen zu stellen.
Nur eine Landwirtschaft, die den Kriterien der Nachhaltigkeit
entspricht kann verantwortet werden. Dass die
flächendeckende Umstellung auf biologischem Anbau nicht nur
ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch
möglich ist, belegen diverse Studien.
Aber nicht nur die Art des Landwirtschaftens, sondern auch die
Art unserer Ernährung trägt maßgebend zum
Klimaschutz bei: Ökobilanzen, die den gesamten Lebenslauf
von Lebensmittel betrachten wie die Erzeugung, Verarbeitung,
Vertrieb, Zubereitung und Entsorgung zeigen auf, wie klima- bzw.
umweltbelastend einzelne Lebensmittel sind:
CO2-Emissionen
Vergleich konventioneller : biologischer
Anbau
Lebensmittel (durchschnittliche Tagesportionen) |
CO2-Emissionen | |
konventionell | biologisch | |
Brot | 360 g | 180 g |
Rindfleisch | 460 g | 290 g |
Getreidelaibchen | 32 g | 12 g |
Milch | 125 g | 55 g |
Tomaten | 640 g | 140 g |
Äpfel | 220 g | 50 g |
Bohnen | 640 g | 50 g |
biologisch angebaut: regional, saisonal
konventionell angebaut: nicht saisonal (oft importiert, oft
Gewächshaus)
Anhand dieser Tabelle und der folgenden lassen sich im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit auch gut die Unterschiede zwischen tierischen und pflanzlichen Lebensmittel ablesen:
ökologischer Rucksack | |
Lebensmittel | Material-Input pro kg Endprodukt |
Fleisch, Fleischerzeugnisse | 17 kg |
Zucker | 13 kg |
pflanzliche Öle + Fette | 12-13 kg |
Getreide, Kartoffel, Hülsenfrüchte | 2-4 kg |
Obst und Gemüse | 1,4 kg |
Vergleicht man die Fleischproduktion mit der des Gemüses
gilt die Faustregel:
1 kg Fleisch = ca. 10x umweltbelastender als 1 kg Gemüse
Selbst wenn man betrachtet, dass 1 kg Gemüse einen geringeren Nährwert haben kann als Fleisch, schneidet Gemüse deutlich besser ab. Kein Wunder: der Sektor Landwirtschaft verbraucht bei tierisch erzeugten Lebensmitteln 85% der gesamt benötigten Energie. Daher ist ein Vegetarier der ultimative Klimaschützer. Mit unserer Art der Ernährung und unseren individuellen Kaufentscheidungen (Produkte aus biologischer Landwirtschaft, aus fairem Handel ...) können wir auch einen wichtigen Beitrag zur ökonomischen Nachhaltigkeit und damit zur Verbesserung der Welternährungssituation leisten.
Von Christiana Herz, Südtiroler Verbraucherzentrale, Bozen
Caratteristiche
dell'agricoltura intensiva
Per ottenere un aumento di produttività, da una parte si
è provocato un grave danno per l'ambiente e per la salute
dei consumatori che sono costretti ad acquistare prodotti ricchi
di sostanze chimiche, belli magari fuori, ma di scarsa
qualità e salubrità dentro, dall'altra parte non si
è risolto il problema della fame nel mondo. Infatti in
questo decennio, con una produzione mondiale di cibo sufficiente
per sfamare tutta l'umanità, ogni anno, nei paesi
più poveri, circa venticinque milioni di persone muoiono
di fame e oltre un miliardo soffre di denutrizione. Ciò
è dovuto all'iniqua distribuzione del cibo e alla logica
di un commercio mondiale che ha favorito gli interessi di poche
multinazionali che stanno conquistando il monopolio del mercato
agroalimentare mondiale. Così, nel nord ricco si
distruggono le eccedenze e ci si ammala per troppo cibo,
soprattutto per l'eccessivo consumo di carne, mentre al sud
mancano gli alimenti ed in particolare quei cereali che al nord
vengono usati come mangime per gli animali (per produrre la carne
che sfama un cittadino del nord, occorre una quantità di
cereali che potrebbe sfamare da cinque a dieci persone del sud
del mondo).
Inoltre, analizzando la produzione di carne, si nota anche in
questo caso una tendenza alla produttività a scapito della
qualità, in allevamenti intensivi, sempre più
simili a fabbriche. Ed è proprio in questi tipi di
allevamenti che si sono avuti episodi come "mucca pazza" e "pollo
alla diossina" (ma anche nei maiali è poi stata
riscontrata la contaminazione). Il primo, e forse più
rilevante, punto debole della filiera è l'alimentazione
degli animali: sempre più raro il pascolo e sempre
più frequenti i mangimi, nei quali possiamo trovare farine
animali (responsabili di "mucca pazza"), grassi di varie origini
(contaminati, ad esempio, da PCB e diossine), farine proteiche
vegetali, a base di cereali e soia (spesso di origine
transgenica), sostanze chimiche per aumentare la
produttività come i fattori di crescita, o per evitare
malattie, come alcuni antibiotici (alcune sostanze possono essere
illegali in Europa, ma non negli USA, come gli ormoni).
Attualmente sono ammessi come additivi nell'alimentazione
animale, oltre a vari fattori di crescita, coccidiostatici e
altre sostanze medicamentose anche otto antibiotici utilizzabili,
a seconda del tipo, in tutti i diversi tipi di allevamenti
animali. Gli antibiotici così impiegati possono
però indurre resistenza nei batteri patogeni e, insieme
alla diffusione di OGM contenenti un gene di resistenza agli
antibiotici, possono essere la causa dell'insorgere di batteri
insensibili ad ogni trattamento.
Un secondo aspetto della filiera è l'origine degli
animali: da quale paese provengono e a quali razze appartengono.
Nel caso di "mucca pazza" o di altre forme epidemiche conoscere
l'origine degli animali è fondamentale. Va anche aggiunto
che in base alle caratteristiche del territorio è
opportuno individuare quale sia la razza più adatta per
quell'ambiente, per poter ridurre l'uso di prodotti chimici,
medicamenti e mangimi particolari, rinunciando in parte alla
produttività in favore della qualità.
Agricoltura, ambiente e clima
La produttività delle coltivazioni ad alto contenuto
tecnologico è stata garantita dal massiccio impiego di
energia in ogni fase lavorativa: macchine agricole, selezione
genetica, concimazione, irrigazione, controllo chimico dei
parassiti, ecc. Si tratta di un enorme flusso di energia
supplementare (cioè oltre a quella fornita negli
ecosistemi naturali dal sole) che trasforma il sistema produttivo
primario da accumulatore di energia (grazie alla fotosintesi) in
forte consumatore di energia di origine fossile, con un bilancio
negativo che porta a una notevole spesa economica, ma anche a un
ulteriore spreco di materie prime e di fonti di energia non
rinnovabili.
Inoltre l'alta produttività così ottenuta esaurisce
prima la fertilità del terreno, al quale non ritornano,
come in natura, i sali minerali frutto delle degradazioni
cicliche della materia organica. In tal modo è necessario
aumentare sempre di più l'uso di fertilizzanti di sintesi:
ma così il terreno, privo di humus, diviene sterile. Tutto
ciò incide pesantemente sul clima: se il bilancio
energetico diviene negativo significa che vi è un aumento
di produzione di anidride carbonica, mentre gli allevamenti
intensivi provocano un incremento di emissioni di metano. Inoltre
le coltivazioni intensive richiedono forti consumi di acqua e la
perdita di humus favorisce la desertificazione.
Strategico in prospettiva è proprio il consumo di acqua:
infatti l'agricoltura intensiva è rivolta soprattutto alla
produzione di cereali che richiedono circa mille tonnellate di
acqua per ogni tonnellata di cereali, si tratta di una
quantità non sostenibile per vaste aree del pianeta, dove
l'acqua già scarseggia per altri usi essenziali.
L'agricoltura non sostenibile contribuisce dunque ai cambiamenti
climatici, che, d'altra parte, hanno un peso rilevante sul futuro
dell'agricoltura. Aumento della temperatura, evaporazione delle
acque superficiali, inaridimento dei suoli, tempeste ed uragani,
inondazioni stanno mettendo in crisi l'approvvigionamento
alimentare di vaste aree del pianeta.
Agricoltura sostenibile per l'ambiente e i
consumatori
L'agricoltura sostenibile deve mantenere la fertilità del
suolo riportando al terreno agricolo quella materia organica e
quei sali minerali che derivano dalla trasformazione del cibo
consumato. Tutto ciò richiede l'uso di tecniche e di
tecnologie appropriate, localmente disponibili, per favorire
l'autosufficienza. In tal modo l'agricoltura sostenibile si
propone di produrre cibo sano e di qualità senza intaccare
il patrimonio naturale, come chi utilizza gli interessi,
mantenendo il capitale. A tale scopo è importante valutare
un giusto equilibrio tra colture erbacee e colture legnose,
l'equilibrio tra graminacee e leguminose (che ripristinano il
contenuto d'azoto del terreno), evitando le monocolture e i
metodi intensivi. Analogamente l'allevamento del bestiame deve
essere prevalentemente orientato alle produzioni, come latte,
suoi derivati, e uova che non distruggono il patrimonio,
cioè gli animali, avendo cura del loro benessere e
utilizzando come loro cibo ciò che non è
utilizzabile per gli uomini, come le erbe dei pascoli e le piante
da foraggio.
Ma tutto ciò si ottiene a condizione di usare la pianta o
l'animale giusti al posto giusto, utilizzando tutta la
biodiversità disponibile per meglio adattarsi alle
caratteristiche ambientali locali. Così l'agricoltura
sostenibile, conservando e utilizzando la biodiversità,
rifiuta l'uniformità produttiva del sistema agricolo
industriale e rivaluta anche la tipicità dei prodotti e la
biodiversità dei gusti del cibo a seconda delle regioni.
Inoltre, avendo come obiettivo la qualità e non tanto la
quantità, si adatta anche a quelle regioni considerate
marginali, come quelle di collina e di montagna.
Tutto ciò porta al ripristino dei differenti ambienti
rurali, cancellati dalle monocolture, rivalorizzando ambiente e
paesaggio, ma anche sottraendo le zone montane al dissesto
idrogeologico, causato dall'abbandono delle coltivazioni. Ma il
consumatore, preoccupato e disorientato dalla mancanza di
sicurezza dei prodotti alimentari, chiede non solo un'agricoltura
rispettosa dell'ambiente, ma anche della sua salute attraverso
prodotti che forniscano trasparenza in termini di informazione,
garanzia di controlli e di certificazioni.
Rendere norma generale la certificazione lungo le varie fasi
della filiera, adottare l'etichettatura di processo, garantire la
qualità con appositi marchi, sono scelte che non solo
favorirebbero la trasparenza e le giuste richieste dei
consumatori, ma anche una positiva evoluzione dell'agricoltura e
della zootecnia verso la sostenibilità ambientale delle
produzioni vegetali e animali. In tal senso va anche la recente
proposta di un marchio di qualità ambientale per
l'agricoltura (DAC: Denominazione di Ambiente Controllato). Tale
evoluzione darebbe anche maggiore garanzia per il futuro a tutta
l'economia del settore, come indicato nell'agenda 2000 proposta
dalla Commissione Europea, che indica come strategico il
passaggio dalla quantità alla qualità.
Gianni Tamino, Universita' di Padova.
La biosfera scambia infatti ogni anno
con l'atmosfera circa 120 miliardi di tonnellate di carbonio che
equivalgono a circa 440 miliardi di tonnellate di CO2. L'uomo,
con le sue molteplici attività, immette nell'atmosfera
circa 21 miliardi di tonnellate di CO2 ma il contenuto di CO2
dell'atmosfera aumenta annualmente di "solo" 10 miliardi di
tonnellate. Considerando che gli oceani "sequestrano" ogni anno
circa 4-7 miliardi di tonnellate di CO2, il calcolo porta a
concludere che la biosfera terrestre e cioè le foreste, le
grandi praterie ed il suolo sono in grado di accumulare ogni anno
oltre 7 miliardi di tonnellate di CO2. Una quantità,
questa che si va ad aggiungere alle oltre 5700 miliardi di
tonnellate di CO2 che sono già oggi contenute nella
vegetazione e nella frazione organica del suolo di tutte le terre
emerse.
Cifre queste, che fanno capire che la biosfera terrestre
potrà avere un ruolo fondamentale nel bilancio globale di
Carbonio del pianeta. L'uomo può infatti incrementare
questo "pozzo biosferico" per raggiungere l'obiettivo di frenare
l'aumento di gas serra nell'atmosfera e con essi "mitigare" gli
effetti del cambiamento climatico che è già in
atto. E data la grande complessità della materia vengono
mostrati, a titolo di esempio, i risultati di alcuni studi
scientifici che mostrano chiaramente come l'aumento di
concentrazione atmosferica di CO2 potrà avere un effetto
positivo sulla crescita delle piante coltivate.
Le specie considerate saranno vite e patata che rappresentano un
po' della grande varietà di forme vegetali che sono il
patrimonio della nostra agricoltura. Ma questo effetto positivo
non potrà impedire, come altre ricerche stanno dimostrando
chiaramente, che accresca, sul pianeta, il numero delle aree
vulnerabili dove il cambiamento climatico creerà
situazioni di emergenza fra non molti anni. L'aumento di gas
serra, poi, potrà avere effetti diretti sulla
qualità delle piante e delle colture andando ad alterare
il rapporto fra nutrizione minerale e assimilazione fotosintetica
che sta alla base della qualità intrinseca anche di molti
nostri produzioni.
Infatti l'agricoltura, ed anche la nostra agricoltura, potranno
svolgere un ruolo fondamentale nei processi di mitigazione del
cambiamento climatico. Nella relazione viene infatti mostrato
come una gestione diverse del sistema agricolo, una
ottimizzazione di alcune sue funzioni può già da
subito contribuire a "sequestrare" carbonio nel terreno sotto
forma di sostanza organica e come questo sequestro può
avere dimensioni interessanti anche in rapporto all'economia del
nostro paese. Viene anche spiegato ed illustrato come l'utilizzo
delle biomasse agricole a fini energetici potrà anch'esso
contribuire al contenimento dei gas serra nell'atmosfera.
Concludo con l'invito alle amministrazioni pubbliche, al mondo
della produzione e dell'impresa e a quello della ricerca di
stabilire contatti e sinergie su basi operative concrete, nei
prossimi mesi ed anni, per arrivare a sviluppare e mettere in
pratica metodiche di gestione innovative che siano utili per la
protezione del nostro sistema terra e del suo inestimabile
ambiente naturale.
Franco Miglietta è un dirigente di ricerca del Consiglio Nazionale delle Ricerche è può essere contattato al seguente indirizzo email: migliet@iata.fi.cnr.it.
"Ein Bündnis zu schließen bedeutet, dass
unterschiedliche Ideologien und Kulturen, die einem gleichen
Problem gegenüberstehen, sich zusammenschließen. In
Europa ist es das Klima, bei uns ist es das Problem der
Zerstörung des Amazonasregenwaldes, unseres Landes. Hier
gibt es Berührungspunkte, denn die Umwelt ist ein
gemeinsamen Anliegen, an dem wir an verschiedenen Stellen der
Erde gemeinsam arbeiten können. Und es gibt eine
Voraussetzung, die respektiert wird: ein Bündnis wird
zwischen Gleichberechtigten geschlossen, keiner geht über
den anderen hinweg, sondern man steht sich ebenbürtig
gegenüber," so bewertete Evarista Nukuag, der ehemalige
Vorsitzende der indigenen Organisation Coica, das
Klimabündnis.
60 Südtiroler Gemeinden sind diesem Bündnis, dieser
Partnerschaft, beigetreten. Rund Dreiviertel der Südtiroler
BürgerInnen leben in Klimabündnis-Gemeinden. Bei den
Themen Energieeinsparung und Verkehrsvermeidung wurden die
Gemeinden bisher vom Landesamt für Luft und Lärm
beraten. Seit kurzem haben sich die Klimabündnis-Gemeinden
in einem Verein zusammengeschlossen. Einige der Gemeinden haben
in den letzten Jahren begonnen, verschiedene
Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Schwerpunkt dabei - die
Nutzung von erneuerbarer Energie und Energieeinsparung.
Sparen ist möglich!
Ein Teil der Bündnis-Gemeinden hat in den vergangenen Jahren
regelmäßig Energieberichte erstellt. Diese geben
Aufschluß über den Energieverbrauch der
gemeindeeigenen Gebäude, der öffentlichen Beleuchtung
und der Dienstfahrzeuge. Die Energieberichte machen deutlich, wo
die größten Einsparungen möglich und machbar
sind.
Wärme aus dem Wald
Als erste Gemeinde hat Rasen-Antholz ein Fernheizwerk gebaut -
der Rohstoff dabei: Hackschnitzeln aus Holzabfällen. Die
gewonnene Energie wird durch ein Rohrsystem zu den
öffentlichen Gebäuden und den privaten Haushalten
transportiert. Die Belastung der Luft mit Abgasen wird durch eine
wirksamere Verbrennuung und durch die Zentralisierung der Anlage
stark reduziert. Derzeit sind 15 Fernheizwerke in Betrieb,
weitere in Bau oder in Planung. Demnächst werden 15 Prozent
des Gesamtverbrauchs durch Holz abgdeckt sein.
Warmes Wasser von der Sonne
Die Sonne strahlt in einer halben Stunde soviel Wärme auf
die Erde, dass damit der Energiebedarf der gesamten Welt für
ein Jahr gedeckt werden könnte. In den vergangenen Jahren
haben viele Südtiroler Sonnenkollektoren auf ihre
Hausdächer montiert. Die gesamte Kollektorfläche macht
in Südtirol bereits 100.000 Quadratmeter aus. Die entspricht
einem Drittel der Gesamtzahl der Sonnenkollektoren italienweit.
Die Landesregierung fördert über das Amt für
Energieeinsparung die sanfte Energie. Auch die Wirtschaft hat die
Sonne entdeckt: Die Weinkellerei Lageder in Margreid erzeugt
über Solarzellen Strom für ihre
Abfüllmaschinen.
Klimaschutz von klein auf
In vielen Schulen wurden in den vergangenen Jahren Projekte zu
den Themen Energie und Klima erarbeitet. In Gruppenarbeiten,
Zeichenwettbewerben und bei Bastelaktionen wurden Vorschläge
zum Klimaschutz ausgearbeitet und teilweise auch umgesetzt.
Klima verbündet
Mit der Wander- und Erlebnisausstellung "Klima verbündet"
wurden seit 1997 mehr als 16.000 Schülerinnen und
Schülern angesprochen. Die Ausstellung war in 30 Gemeinden
zu sehen. Viele Gegenstände, Modelle und Spiele laden zum
Angreifen und Mitmachen ein. Was es mit dem Treibhauseffekt auf
sich hat, wer die Verursacher sind, was Amazonien mit uns zu tun
hat und was wir zum Erhalt des Klimas tun können.
Schulprojekt Prima Klima
Die Idee dieses Projektes ist es, den Energieverbrauch in den
Schulen durch ein energiebewusstes Verhalten zu senken. Der
Anreiz für dieses Projekt liegt darin, dass die Schule
aufgrund einer Vereinbarung mit der Gemeinde das eingesparte Geld
für eigene Projekte einsetzen kann. Für die Aktion
stellt das Landesamt für Luft und Lärm ein Klima-Paket
zur Verfügung: einen Energiespar-Koffer mit Instrumenten zum
Messen des Energieverbrauchs in der Schule; ein Praxishandbuch
mit Anleitungen; ein Arbeitsheft für Lehrer; die
Prima-Klima-Sammelmappe mit Materialien für Aktionen und
Initiativen zum Thema, usw. An dem Projekt haben sich in den
vergangenen Jahren mehr als 20 Grund- und Mittelschulen
beteiligt.
Helfen anders - Neue Formen der Zusammenarbeit
zwischen Südtirol und Equador
Das Land und Gemeinden arbeiteten im Rahmen des internationalen
Klimabündnisses mit indigenen Gruppen im östlichen
equadorianischen Regenwald zusammen. Als Ansprechpartner galt
bisher die Confeniae, die Förderation indigener
Organisationen. In diesem Gebiet leben neun Völker mit
unterschiedlicher Sprache und Kultur. Südtirols
Bündnispartner haben mehr als ein Dutzend Projekte
unterstützt und zwar das "Monitoring" von
Umweltschäden, die Projekte Landdemarkation und
"Schmetterling".
Monitoring: Die indigenen Völker wehren
sich gegen die Erdölförderung in ihren Gebieten.
Derzeit prozessieren Indianerorganisationen gegen US-Konzerne und
könnten Millionen Dollar an Schadensersatz erstreiten und
die Konzerne zur Änderung ihrer bisher
umweltschädlichen Förderungsmethoden zwingen. Auf
Vorschlag der Confeniae finanziert das Klimabündnis das
"Monitoring", die Erfassung von Umweltschäden. 1996 haben
sich die Südtiroler Bündnis-Gemeinden mit zwei
deutschen Städten am Monitoring beteiligt.
Landdemarkation: Die Confinae drängt auf
eine Landvermessung, um die rechtliche Anerkennung der indigenen
Gebiete durchzusetzen. Es wurde bereits ein Demarkationsprogramm
für das gesamte Amazonasgebiet ausgearbeitet und mit dem
Landwirtschaftsministerium ein entsprechendes Abkommen
unterzeichnet. Zwischen Regierung und Indianerverbänden
laufen seit Jahren Verhandlungen zur Klärung der
Eigentumsverhältnisse.
Schmetterling: Mit diesem Projekt werden
indigene Völker in Equador in ihrem Kampf gegen die
Zerstörung ihrer Umwelt unterstützt. Über die
Weltläden und auf Info-Veranstaltungen wurden
Holz-Schmetterlinge verkauft, die aus Equador stammen. In Lago
Agrio, einer ölverschmierten Kleinstadt im Regenwald, wurde
mit Spendengeldern aus dem "Projekt Schmetterling" und mit
Mitteln des Landes ein Umweltzentrum errichtet.
Er lässt sich nicht abschrecken, nicht von seinen
Mitbürgern, nicht von den Problemen. Ein Bürgermeister
soll zeigen, dass auch große Dinge angegangen werden, mit
kleinen Schritten. So beschreibt Werner Dissertori, Traminer
Bürgermeister und Vorsitzender des Vereines der
Südtiroler Klimabündnis-Gemeinden, seine Haltung zur
Klimapolitik. Für Dissertori ist es grundlegend falsch,
unbequeme Entscheidungen dem Land zu überlassen. Die
Gemeinden sind auch für eine gesunde Umwelt zuständig.
Das gemeindliche Engagment für den Klimaschutz wertet
letztendlich auch die Gemeindepolitik auf, ist sich Dissertori
sicher.
Dissertori ist seit 1995 in seiner Gemeinde aktiv, damals - mit
24 Jahren - als einer der jüngsten Umweltassessoren. Kurz
nach Amtsantritt wagte sich Dissertori an die unbequemen, weil
unpopulären Aufgaben wie Müll, Energie und Verkehr
heran. "Beim Müll ist es der Gemeinde gelungen, dank der
getrennten Müllsammlung den sogenannten Restmüll stark
zu verringern," eine erfolgreiche Politik, meint Dissertori. Die
Bürger haben mitgemacht, inzwischen sind auch die Betriebe
wie Gasthäuser oder Obstgenossenschaften mit dabei. Die
Müllflut konnte eingebremst werden. Das zeigt laut
Dissertori, dass Entscheidungen an Ort und Stelle wirksam sind.
Inzwischen ist Dissertori Bürgermeister der Unterlandler
Gemeinde. Er hat das Tempo in Sachen Klimaschutz beschleunigt.
Die erfolgreiche Eindämmung der Müllflut ließ
Dissertori und seine Gemeindeverwaltung einen weiteren Versuch
wagen - Energieeinsparung. Die kommunalen Gebäude wurden auf
Erdgas umgestellt, ein übereiliger Schritt damals, meint der
Bürgermeister, weil es inzwischen billigere und
umweltfreundlichere Maßnahmen gibt. Dissertori verweist auf
Fernheizwerke. Der Kindergarten wurde mit eine Solaranlage
ausgestattet.
Die Gemeinde Tramin engagierte inzwischen den Energieberater
Franz Valtiner, der Energieverschwender vom Kurs abzubringen
versucht. Die Gemeinde-Baukommission drängt inzwischen die
Bauherren, energiesparend zu bauen. Das hilft Heizkosten sparen,
eine Botschaft, die beim Bürger ankommt und sorgt auch
für eine saubere Luft. Die Unwetter im Frühsommer 2001
haben Dissertori überzeugt, dass Klimapolitik mehr als
notwendig ist. In den vergangenen fünf Jahren rutschten
Muren ins Tal, so viele wie selten zuvor. Es lässt sich da
trefflich darüber streiten, ob die Klimaveränderung
verantwortlich ist, schmunzelt Dissertori und verweist
gleichzeitig auf das Schweizer Forschungsprogramm
"Klimaänderungen und Naturkatastrophen". Laut diesem
Programm gibt es zweifelsohne Zusammenhänge zwischen
Lawinen, Bergstürzen,. Murenabgängen sowie Unwettern
und der vom Menschen verursachten Veränderung des
Klimas.
Ein Problem sorgt beim umwelt-engagierten Bürgermeister
für Kopfzerbrechen - der Verkehr. Über die Schule ist
es gelungen, die Bürger anzusprechen, Müll zu trennen
und gar zu vermeiden, Strom und Heizöl zu sparen. Beim
Verkehr kann es die Gemeinde aber niemandem recht machen,
bedauert Bürgermeister Dissertori die eingeschränkte
Handlungsfähigkeit. Lärm und Abgase will niemand, aber
alle wollen mit ihrem Auto fahren. Dissertori ist damit nicht
allein. Die Umweltaktivitäten des Bürgermeisters haben
Dissertori an die Spitze des Vereins der
Klimabündnis-Gemeinden gebracht. Der Verein löst die
1993 gegründete Koordinierungsstelle beim Landesamt für
Luft und Lärm ab. Damals gab es nur zwei Südtiroler
Mitglieder im Klimabündnis, Bozen und die
Landesregierung.
Inzwischen sind es 60 Gemeinden. Diese koppelten sich mit der
Vereinsgründung von der italienischen
Bündnis-Führung in Citta' di Castello ab und
erklärten sich im zweiten Zug auch von der zentrale
Geschäftsstelle des Klimabündnisses in Frankfurt
für unabhängig. Die Bündnis-Gemeinden in Verein
verwalten ihre eigenen Beiträge und überlassen nur mehr
ein Bruchteil der Frankfurter Zentrale. Mit der
Vereinsgründung versuchen die Gemeinden klimapolitisch
eigenständig zu werden, sagt Vorsitzender Dissertori. Und
die Aktivitäten zu bündeln. Es kommt viel zusammen.
Europaweit wird mit viel Phantasie von unten Klimapolitik
betrieben. Dissertori zitiert die Berichte der Frankfurter
Zentrale über die Klima-Aktivitäten europäischer
Kommunen "Klima - lokal geschützt". Unglaublich, was
Gemeinden in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht haben.
Nicht von ungefähr lobte Umwelt-Landesrat Michl Laimer den
kommunalen Klimabündnis-Verein als Schrittmacher in der
Umweltpolitik.
Das Landesamt für Energieeinsparung unterstützt
jährlich mit 18 Millionen Euro die "sanfte" Energie -
Sonnenkollektoren, Hackschnitzel-und Fernheizwerke sowie
Biogas-Anlagen. Damit wird erneuerbare Energie gefördert,
aber auch das lokale Handwerk und Baugewerbe. Das Interesse daran
ist groß. Jährlich werden 20.000 eingereicht, die
einem Investitionsvolumen von 180 Millionen Euro entsprechen. Die
vorgesehenen Haushaltsmittel reichen dafür nicht aus,
gefördert werden zehn Prozent.
Bereits 17 Fernheizwerke sind in Betrieb. Im Bau sind derzeit
weitere fünf Werke. Gehen auch diese in Betrieb, können
insgesamt jährlich 30 Millionen Liter Heizöl ersetzt
oder gar eingespart werden. Das entspricht 87.000 Tonnen C02, die
nicht mehr in die Atemluft geblasen werden. Das größte
Fernheizwerk ist in Gemeinde Bruneck in Betrieb gegangen und
versorgt dort über 100 km verlegte Stahlrohre die meisten
öffentlichen Gebäude und 1.800 private Haushalte mit
Wärme.
Zum Puzzle "alternative Energie" gehören auch die
Solar-Anlagen. Sie helfen immerhin 6,6 Millionen Liter
Heizöl zu ersetzen. Diese Menge setzt beim Verbrennen 20.000
Tonnen C02 frei. Eine weitreichende ökologische und
wirtschaftliche Wirkung hat die seit 1993 laufende Kontrolle der
Heizanlagen. Der vom Landesamt für Luft und Lärm der
Umweltagentur angeregte Heizanlagen-Check, bewerkstelligt von den
Kaminkehrern, erhöht die Verbrennungsleistung, weniger
Schmutz kommt über die Kamine ins Freie. Die Bürger
sparten sich dadurch - ein angenehmer Nebeneffekt - 26 Millionen
Euro an Brennstoffen ein. Das entspricht 3.300 Tanklastwagen oder
einer 64 km langen Lkw-Kolonne. Wesentlich für die Umwelt
ist aber erstaunlich hohe Reduzierung des Schadstoffausstosses.
Seit 1993 wurden dank der Prüfung der Heizanlagen 153.000
Tonnen weniger an C02 "freigesetzt". Die privaten Haushalte
konnten ihre Emissionen um 30 Prozent verringern.
Die vom Landesamt für Luft und Lärm und dem
Südtiroler Klimabündnis gestartete Initiative
"Klima-Haus" unterstützt Bauherrn, die freiwillig
umweltgerecht und energiesparend bauen. Tatsächlich kann mit
zum Teil einfachen technischen Maßnahmen der
Energieverbrauch noch weiter eingeschränkt werden. Die
angestoßene Kampagne findet ihren Niederschlag auch im
geplanten Urbanistikgesetz, das
Niedrigenergiehäuserstandards für den gesamten privaten
Wohnungsbau verbindlich festschreibt. Die Energiepolitik ist
damit zweifelsohne ein Herzstück der Umweltpolitik.
Einsparungen, Nutzung alternativer Energiequellen und die
Steigerung der Energieeffizienz - die erwähnte Kontrolle der
Heizanlagen - haben erheblich dazu beigetragen, die C0
2-Emissionen spürbar zu reduzieren. Künftig wird eine
eigene Energieagentur als Dienstleistungsbetrieb die
Energiepolitik der Landesregierung begleiten.
Die Landes-Energieagentur wird als Dienstleistungsbetrieb mit
Energie-Körperschaften, mit Planern und
Verbraucherorganisationen beraten und technisches Wissen
anbieten. Die Agentur soll dem bisherigen Prinzip der
Zusammenarbeit mit der Bevölkerung folgen. Die
Energiesparpolitik ist nicht verordnet worden, sondern
entwickelte sich dank der Informationen der zuständigen
Behörden und nicht zuletzt dank der kontinuierlichen
Förderung. Aufgrund einer EU-Richtlinie wird es ab 2005 an
den Zapfsäulen nur mehr schwefelarme Treibstoffe geben.
Schwefelarm bedeutet bis zu 40 Prozent weniger Stickoxide und
Kohlenwasserstoffe, auch werden bei der Verbrennung zehn Prozent
weniger Ruß-Partikel in die Luft geblasen. Gründe
genug für die Landesregierung, den Konzern Agip-IP (dem
Mineralölkonzernen gehört ein Großteil der 250
Tankstellen in Südtirol) dazu zu drängen, bereits jetzt
schwefelarme Treibstoffe anzubieten. Ein Tauschgeschäft -
Agip-IP soll im Gegenzug ein Netz von Erdgas-Tankstellen
eröffnen dürfen.
Die zur Dreckschleuder Nr.1 gewordene Brennerautobahn, die nur
1,3 Prozent am gesamten Straßennetz ausmacht, trägt
mit mehr als 23 Prozent (das sind über 1.100 Tonnen von
insgesamt 5.000 Tonnen) zur verkehrsbedingten Luftverschmutzung
bei. Die Tendenz ist weiter steigend, auch deshalb, weil der Pkw-
und Lkw-Verkehr ständig zunimmt. Die Brennerautobahn-AG, die
Landesregierung ist eine der Hauptaktionäre der AG, versucht
die Belastung einzudämmen - mit dem Überholverbot
für Lkw. "Es wirkt sich günstig aus," kommt Michael
Schorling von der München Arbeitsgemeinschaft "beratende
Ingenieure" zum Schluß. Die Autobahn-AG drängt
außerdem darauf, mit eigenen Mitteln der Brennerbasistunnel
für den Güterverkehr auf der Schiene
mitzufinanzieren.
Das im Oktober 2000 in Bozen unter der Schirmherrschaft der
Landesagentur für Umweltschutz gegründete
internationale Boden-Bündnis versteht sich als zweites
Standbein des internationalen Klimabündnisses zwischen 800
westeuropäischen Gemeinden und den Amazonas-Indianern.
Klimaforscher wiesen letzthin immer wieder darauf hin, dass der
Raubbau an der Erde drastische Auswirkungen auf das Weltklima
hat. Laut dem ehemaligen Direktor des
Weltklimaforschungsprogramms, Hartmut Graßl, führt die
Zerstörung der Böden - durch Versiegelung, land- und
forstwirtschaftliche Übernutzung, Eintragung von Chemikalien
etc - zu einer Veränderung des Klimas.
"Es ist doch offenkundig, dass Böden beispielsweise für
den Wasserhaushalt, die biologische Vielfalt, das städtische
Mikro-Klima, die Lufthygiene und damit die Gesundheit große
Bedeutung haben, "wirbt Graßl für das
Boden-Bündnis zum Schutz der weltweit gefährdeten
Böden. Der us-amerikanische Wissenschaftler David Pimentel
errechnete, dass in den vergangenen 40 Jahren nahezu ein Drittel
der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche durch
Erosion verloren bzw. schwer geschädigt wurde. Das
entspricht einem Verlust von rund zehn Millionen Hektar pro Jahr
- mehr als die Fläche Portugals. Betroffen davon sind
hauptsächlich die Länder der Dritten Welt, aber auch
der Norden der Erde.
Auch deshalb bemüht sich die UNO um eine Bodenkonvention,
auch der Europarat engagiert sich in diese Richtung. Die
Alpenkonvention ist auch ein Instrument, den Boden vor weiterem
Raubbau zu schützen. Der ehemalige Leiter der Landesagentur
für Umweltschutz, Walter Huber, erinnert daran, dass der
Schutz der Böden vor Ort machbar ist, in den Gemeinden. Sie
sind gefordert, den steigenden Flächenverbrauch und die
damit einhergehende Bodendegradation (Erosion, Eintrag von
Schadstoffen, Altlastflächen) einzubremsen.
Umwelt-Landesrat Laimer verweist als politischer Schirmherr des
Boden-Bündnisses darauf, dass der Südtiroler Landtag
sich 1999 für eine internationale Bodenkonvention
ausgesprochen hat. Laut Laimer ist das Boden-Bündnis auch
als Partner zum Schutz der Alpen zu sehen. Die Unwetter der
vergangenen Jahre haben gezeigt, wie der Raubbau die Alpen
gefährdet. Das unter dem Dach der internationalen
Klimaallianz entstandene Boden-Bündnis soll sich auch
für die Umsetzung der Alpenkonvention und somit für die
Belange der Alpenregionen engagieren.
Die EU-Kommission und die EU-Ratspräsidentschaft haben
dem im Oktober 2000 in Bozen entstandenen Boden-Bündnis
bereits eine Zusammenarbeit angeboten. Das Europäische
Boden-Bündnis "European Land and Soil Alliance" (ELSA) hat
sich zum Ziel gesetzt, den Raubbau an den Böden zu stoppen.
Einer der Motoren des Bündnisses, Walter Huber, verweist
darauf, dass in den Alpen der Raubbau an der Natur dramatische
Folgen hat. Er zitiert in diesem Zusammenhang das Nationale
Forschungsprogramm "Klimaänderung und Naturkatastrophen" der
Schweiz. Laut diesem Programm führte der fahrlässige
Umgang mit den Böden in der Schweiz vermehrt zu
Bergstürzen, Murenabgängen und Erdrutschen.
Hier trifft sich das Anliegen des Boden-Bündnisses mit dem
Ziel der EU. Auch die EU will den nachhaltigen Umgang mit den
Böden forcieren. Die ehemalige EU-Umweltkommissarin Margot
Wallström nahm in Osnabrück an einer Veranstaltung des
Bodenbündnisses zum Schutz der Böden. Gemeinsam mit der
UNO beging das Bodenbündnis am 17. Juni in Osnabrück
den "Wüstentag". Das in Osnabrück angesiedelte
Bündnis-Sekretariat bemüht sich um eine Zusammenarbeit
mit dem Klimabündnis, dem inzwischen 1.000 Gemeinden
angehören. Das Boden-Bündnis versteht sich als zweites
Standbein der Klima-Allianz. Neben den Gründungsmitgliedern
Südtirol, Stadt und Landkreis Osnabrück, München,
Augsburg, Nürnberg, Schwabach, Leipzig, Derby
(Großbritannien), Haarlem (Niederlande) gehörgen
bereits größere Städte wie Dresden und Salzburg
dem Bodenbündnis an.
Beispiel Deutschland
Im bayerischen Feldafing beschäftigten sich Mitte Februar
2002 im Fachzentrum für Ernährung, ländliche
Entwicklung und Umwelt (ZEL) der Deutschen Stiftung für
internationale Entwicklung (DSE) 60 Experten mit den
gefährdeten Bergregionen. "Wir alle brauchen Berge" war der
Leitfaden der Fachtagung, die einen Diskussions- und
Aktionsprozeß im Jahr der Berge einleiten soll. Berge
spielen für das Überleben der Menschheit eine
entscheidende Rolle.
Zwar leben nur zehn Prozent der Weltbevölkerung in
Bergregionen, doch jeder zweite Mensch ist von den
Veränderungen dort betroffen. Das von der UNO ausgerufene
Internationale Jahr der Berge sollte die Öffentlichkeit
für die Bedeutung der Mittel- und Hochgebirge
sensibilisieren und auf die Gefährdung durch Klima- und
Umwelteinflüsse hinweisen. Die Zukunft der Berge war auch
Thema auf dem UN-Umweltgipfel in Johannesburg.
Die DSE legte in Zusammenarbeit mit dem deutschen
Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und
Landwirtschaft (BMVEL) sowie Vereinen und Organisationen ein
Empfehlungspapier für eine nachhaltige Entwicklung in den
Bergregionen vor (Kontakte: www.dse.de, oder: www.inwent.org/index.de.shtml).
Die deutsche Zentralstelle für Agrardokumentation und -
information (ZADI) hatte ebenso das Thema Berge aufgegriffen. Die
ZADI bereitete eine Internetseite zum Internationalen Jahr der
Berge vor - mit aktuellen Beiträge,
Hintergrundinformationen, Tagungen und Workshops. Kontakte: www.zadi.de.
Mit der Entwicklung von Bevölkerung und Kultur sowie Ziele
der Umweltqualität in den Alpen ist das Umweltbundesamtes in
Berlin beschäftigt. Das Amt wirbt für die deutsche
Ratifizierung der Alpenkonvention. Kontakte: www.jahr-der-berge.de
oder: www.berge2002.de
Beispiel Schweiz
In der Schweiz arbeitet das Bundesamt für Raumentwicklung
(ARE) eng mit der Direktion für Entwicklung und
Zusammenarbeit (DEZA) zusammen. Motto: Berge verbinden. Die
Schweiz unterstützt in ihrer Entwicklungszusammenarbeit
Projekte nachhaltiger Gebirgsentwicklung. Laut der Schweiz ist
das Internationale Jahr der Berge eine Folgeaktion des Erdgipfels
von Rio, wo in die Agenda 21 das Kapitel 13 (Managing Fragile
Ecosystems: Sustainable Mountain Development) aufgenommen
wurde.
Die Schweiz weist darauf hin, dass die Bergebiete für die
Hälfte der Menschheit Wasser garantieren, wichtige
sozio-kulturelle Zentren sind und Standorte ökologischer
Vielfalt. Kontakte: www.raumentwicklung.admin.ch
und www.deza.admin.ch
Stichwort: UNO
Von Rio nach Johannesburg - Rio plus 10. In Johannesburg in
Südafrika fand vom 2. bis zum 11. September 2002 der
UN-Umweltgipfel statt. Einer der Schwerpunkte dabei war auch das
"Internationale Jahr der Berge". Kontakte: www.mountains2002.org
Alpine Initiativen:
Südtirols Umwelt-Landesrat Michl Laimer hat die
"Feldafinger Thesen" der Deutschen Stiftung für
internationale Entwicklung zum "Jahr der Berge" als eine
Bestätigung der Südtiroler Umweltpolitik bezeichnet.
Laimer verweist auf die Vorreiterrolle der Südtiroler
Umwelt- und Landschaftspolitik (http://www.nachhaltigkeit.it/).
Dafür gibt es jetzt auch eine indirekte Bestätigung
durch die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung
(dse). Auf deren Auftakt-Tagung zum "Jahr der Berge" haben im
bayerischen Feldafing 60 Fachleute aus Landwirtschaft,
Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus, Wirtschaft, Verkehr,
Landes- und Bundesministerien und der Wissenschaft die
"Feldafinger Thesen" formuliert.
Laut Laimer bestätigen diese Thesen Südtirols Umwelt-
und Landschaftsschutzpolitik. Das Motto der Tagung "unsere Berge
- schützen durch Nutzen" ist ein Leitmotiv der
Landesregierung. Die mehr als 100.000 Hektar großen
geschützten Flächen der sieben Naturparke sind keine
Gebiete unter einer Käseglocke, auch sind sie keine Museen.
Trotz des Schutzes sind die Naturparke auch Wirtschaftsraum einer
sanften Landwirtschaft. Laimer erinnert daran, dass sein
Assessorat die naturgerechte Landwirtschaft in den Naturparken
mit entsprechenden Pflegeprämien finanziell
unterstützt.
Das vermehrte Angebot an Umweltbildung besonders über die
Naturpark-Häuser (allein jenes des Naturparks Texelgruppe in
Naturns besuchten innerhalb von acht Jahren mehr als 70.000
(Interessierte), die geführten Wanderungen und der Einsatz
von Naturparkbetreuern in den Sommermonaten veranlasste die
Tourismuswirtschaft der Anrainergemeinden das Angebot Naturpark
als "Attraktion ihres Urlaubsortes" anzubieten. Die Urlauber
werden dadurch auch zu Botschafter alpiner Anliegen.
Künftig sollen aber auch Landschaften mit einem
entsprechenden Leitbild stärker geschützt werden, die
außerhalb der Schutzzonen liegen. Die Abteilung Natur und
Landschaft des Laimer-Assessorates richtet laut Direktor Roland
Dellagiacoma ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die
"Sonntagslandschaften" der Naturparke, sondern auf die gesamte
Natur- und Kulturlandschaft Südtirols. Das empfahlen auch
die Fachleute der Deutsche Stiftung für internationale
Entwicklung.
Der Landesrat erinnerte daran, dass sich Südtirol auch am
EU-Netzwerk von Schutzgebieten zur Erhaltung des Naturerbes
beteiligt. Vorschlagen hat das Land die sieben Naturparke, den
Südtiroler Anteil am Nationalpark Stilfser Joch sowie
bereits als "geschützte Gebiete" ausgewiesene Auwälder,
Moore, den Kalterer und Fennberger See, die Eislöcher in
Eppan und auch kulturlandschaftlich geprägte Bereiche auf
Castelfeder, am Vinschgauer Sonnenberg oder artenreiche
Bergwiesen im oberen Eisacktal Südtirol hat damit fast 19
Prozent des Landesfläche für die EU-Initiative Natura
2000 nominiert.
Laimer rief im "Jahr der Berge" zu einer neuen Partnerschaft und
Zusammenarbeit mit allen Naturnutzern auf. Zugunsten der Kultur-
und Naturlandschaft, zugunsten der Berge. Neue Impulse erwartet
sich der Umwelt-Landesrat von der Ratifizierung der
Durchführungsprotokolle der Alpenkonvention. Erstmals wird
damit ein völkerrechtlich verbindliches Instrument zum
Schutz der Umwelt flächendeckend wirksam. Das Thema Berge
war auch ein Schwerpunkt des UN-Umweltgipfels Ende August 2002 in
Johannesburg.
Feldafinger Thesen
Links:
Bodenbündnis: www.bodenbuendnis.org
Klimabündnis: www.klimabuendnis.org
Oil-watch: www.oilwatch.org
ZADI: www.zadi.de
Coica: www.coica.org
Dachverband für Natur- und Umweltschutz: www.umwelt.bz.it
Südtiroler Grüne: www.gruene.bz.it
"Wir wollen auf eigenen Füßen stehen," beschrieb
der ehemalige Generalkoordinator der Coica, Valerio Grefa, das
politische Fernziel seiner Organisation, und "wollen kein Volk
von Bettlern und Bittstellern werden". Valeria Grefa besuchte im
Herbst 1994 Südtirol. Die Coica ist der Zusammenschluss von
indigenen Organisationen in den Amazonasstaaten
Französisch-Guayana, Guayana, Surinam, Venezuela, Kolumbien,
Ecuador, Peru, Brasilien und Bolivien. Im 7,5 Millionen
Quadratkilometer großen Regenwald des Amazonasbeckens leben
400 indigene Völker.
Vor einem halben Jahrhundert entdeckte die Industrie den
Amazonas als "menschenleeres" Land. Erdöl- und Agrarkonzerne
machten sich auf zur Eroberung der "Grünen Hölle".
Landlose, vertrieben von Großgrundbesitzern und deren
Killerkommandos, suchten im Regenwald ein Platz zum
Überleben. Auf Kosten der indigenen Urbevölkerung. Die
Geschichte des "Wilden Westens" schien zu sich zu wiederholen -
die indigenen Waldbewohner wurden beraubt, verjagt, ermordet. Auf
dem 4. Russell-Tribunal 1980 im holländischen Rotterdam
dokumentierten Sprecher der indigenen Völker aus dem
Amazonasbecken die "ethnischen Säuberungen". Ihr Vorwurf -
Der Völkermord geht weiter.
Aus dem Protest dagegen wurde Widerstand. Den Anfang machte die
Förderation der Shuar, die 1965 im östlichen
ecuadorianischen Tiefland gegründet wurde. In allen
Amazonas-Staaten entstanden indigene Selbsthilfeorganisationen,
die sich 1984 in der peruanischen Hauptstadt Lima zur Coica
zusammeschlossen - zur Coordinadoria de las Organizaciones de la
cuenca amazonica. Schon bald nach ihrer Gründung mischte
sich die Coica in die Debatte um den Schutz des Regenwaldes ein.
Die Coica erinnerte auch die Umweltschützer daran, dass die
indigenen Völker die Menschen des Regenwaldes sind. Die
Coica verlangte, dass auch indigene Anliegen zur Kenntnis
genommen und respektiert gehören. Die Partner hatten sich
gefunden - europäische Gemeinden und die Coica gründete
das internationale Klimabündnis.
"Auf der einen Seite stehen Städte, auf der anderen ganze
Völker, die aber kaum Macht besitzen," beschreibt Grefa das
Bündnis. "Europäer und Amazonasbewohner haben eine
Partnerschaft gegründet, die nicht romantisiert, sondern auf
ganz konkrete Ergebnisse hinarbeitet". Das Bündnis, dieses
Netzwerk aus Gemeinden und indigenen Organisationen,
Nichtregierungsorganisationen, Universitäten,
Gewerkschaften, schaffte es, den Schutz des Regenwaldes, den
Schutz der Erdatmosphäre, die indigenen Anliegen zum
globalen Thema zu machen. Das Klimabündnis warb und wirbt
dafür, dass die Staaten die Konvention 169 zum Schutz der
indigenen Völker der Internationalen Arbeitsorganisation ILO
ratifizieren, genauso die Artenschutzkonvention.
Der sanfte Druck von unten sorgte für Umdenken: "Es gibt
erste Ansätze. Die Weltbank hat beispielsweise eine
Umweltabteilung eingerichtet, die
Umweltverträglichkeitsprüfungen durchführt und
Initiativen zur nachhaltigen Entwicklung. Das hat dazu
geführt, dass Entwicklungsprojekte in Amazonien kritischer
betrachtet werden. Die Interamerikanische Entwicklungsbank hat
eine eigene Beratungsstelle für indigene Völker und
neue Kreditmöglichkeiten geschaffen," Grefa über
Erfolge des Klimabündnisses.
Die Coica-Mitgliedsorganisationen drängen ihre Staaten auf
Anerkennung der Multiethnizität, der damit verbundenen
Mehrsprachigkeit und Multikulturalität. Ein besonderer
politischer Schwerpunkt bildet derzeit die Landrechtsfrage. "Am
wichtigsten ist derzeit die Demarkierung und Grenzfestlegung
unseres Landes. In Amazonien sind insgesamt noch immer 40 Prozent
der indianischen Territorien nicht vermessen. Desweiteren wollen
wir Umwelt- und Waldschutzprogramme durchsetzen,
eigenständige und von uns kontrollierte
Entwicklungsprogramme ausführen und die Menschenrechte und
die politischen Rechte unserer Völker verwirklichen," sagte
Grefa in einem Interview mit der Zeitschrift "pogrom" der
Gesellschaft für bedrohte Völker. Das
Klimabündnis, so Grefa, hat in den Amazonas-Staaten
große Erwartungen geweckt. Die Zusammenarbeit zwischen
europäischen Gemeinden und indigenen Völkern hat zu
einer neuen Partnerschaft geführt.
Ecuadors Regenwald-Indianer legen sich mit Öl-Multis an.
Ihre Verbündeten an Ort und Stelle, die Accion Ecologica,
Gewerkschafts-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen in
Nordamerika und Europa im Verbund mit dem Klimabündnis,
verschaffen den indigenen Öl-Anklägern politische
Freiräume. "Derzeit prozessieren die Indianerorganisationen
gegen US-Multis und könnten hohe Schadenersatz erstreiten
sowie die Konzerne zur Änderung ihrer
Förderungsmethoden zwingen," verweist der Koordinator des
Südtiroler Klimabündnisses, Norbert Lantschner, auf den
indigenen Widerstand.
Ein Widerstand, den auch die Gemeinden des Klimabündnisses
mitfinanzierten. Gemeinsam mit deutschen Gemeinden sorgen
Südtirols Klimagemeinden dafür, dass Angehörige
der betroffenen indigene Völker im Öl-Fördergebiet
in Ecuador ausgebildet werden - als Oil-watcher, die
Umweltschäden, verursacht bei der Öl-Förderung,
dokumentieren. Die Schäden im Regenwald sind erschreckend
hoch. US-amerikanische Umweltgruppen schätzen, dass aus den
Pipelines in Ecuador mehr als 70 Millionen Liter Rohöl in
den Dschungel geflossen sind. Doppelt so viel als beim
Tankerunfall der Exxon Valdez vor der Küste Alaskas. Ein
Liter Öl verseucht eine Million Liter Flusswasser und
tötet darin alles Leben ab. Neben dem Rohöl, das bei
Bohrungen offensichtlich unvermeidlich austritt und Böden
und Wasser mit einem Ölfilm überdecken, sickern auch
noch andere Gifte wie Sulfate, Blei, Schwefelwasserstoff und
Quecksilber ins Erdreich.
Die ecuadorianischen Provinzen Sucumbios und Napo sind durch die
Erdölförderung besonders stark betroffen. Wegen
fehlender Umweltbestimmungen- und Kontrollen wird das Erdöl
ohne Rücksicht auf die Umwelt gefördert.
Überlaufende Auffangbecken, deren ölverseuchtes Wasser
die Flüsse vergiftet , Chemikalien für die Reinigung
der Bohrlöcher, Lecks in den kaum gewarteten Pipelines, das
spricht für rücksichtslose Ausbeutung. Die
Straßen der Konzerne führen Landlose in den Regenwald,
die mit ihrem Kahlschlag und der nicht der Umwelt angepassten
Landwirtschaft den Boden zerstören. Die Landlosen werden von
Holzfirmen und agroindustriellen Unternehmen verdrängt, die
nach der radikalen Ausnutzung des Landes verbranntes Land
hinterlassen.
Auf drei Millionen Hektar Land wird derzeit im ecuadorianischen
Amazonasgebiet Öl gefördert. Eine Million Hektar sind
bereits unwiderruflich zerstört, das ergab das sogenannten
"Monitoring" der oil-watcher. Die Fördergebiete sollen um
weitere 1,6 Millionen Hektar ausgeweitet werden - für den
staatlichen Konzern Petro-Ecuador, für US-Unternehmen und
europäische Konzerne wie Agip aus Italien.
In keinem anderen Teil des Amazonasbeckens verschwindet der
Regenwald schneller als im amazonischen Teil Ecuadors. Dabei
zählt dieses Gebiet von der doppelten Größe
Österreichs zu den artenreichsten Regionen der Erde. Viele
der Tier- und Pflanzenarten sind endemisch, d.h. sie sind
einmalig auf der Welt. Tausende von Arten sind noch gar nicht
einmal entdeckt.
Der Regenwald ist aber auch Heimat für sieben eingeborene
Indianervölker: die Quichua, Shuar, Achuar, Cofan, Siona,
Secoya und Huaorani. Über Jahrtausende haben diese kleinen
Völker, die zusammen nicht mehr als 200.000 Menschen
zählen, das ökologische Gleichgewicht in diesem Raum
bewahrt, mit und von der Natur gelebt. Aber seit 1972 im
Amazonasgebiet Ecuadors Erdöl gefunden wurde, ist das
sensible Gleichgewicht aus dem Lot gekommen. Weite Gebiete wurden
durch Straßen erschlossen, immer mehr Zuwanderer auf der
Suche nach schnellem Gewinn kamen ins Land, die Förderung
und der Transport des "schwarzen Goldes" führte zu einer
großflächigen Verseuchung. Dazu gesellten sich
Holzfäller, auswärtige Siedler, die
Ölpalmplantagen und Weiden anlegten, Pharmakonzerne auf der
Suche nach biologischen Wirkstoffen. Aber nicht nur das
ökologische Gleichgewicht ist bedroht, die
Erdölförderung hat auch tiefgreifende Folgen für
die Indianer. Nicht nur schwere Umweltbelastungen setzen ihnen
zu, sondern auch kulturelle und soziale Entwurzelung.
Die Indianer, obwohl Ureinwohner dieser Gebiete, wurden bei der
Ausweisung der Erdölgebiete nie gefragt. Rund ein Drittel
der Gebiete in ihrem Besitz sind bis heute noch nicht vermessen
und rechtlich zuerkannt worden. So hat die Regierung in Quito
leichtes Spiel, immer neue Gebiete für die "Prospektion"
(Tests für Erdölvorkommen) auszuweisen. In vielen
Regionen existieren gleich drei Landeigentümer. An viele
Indianergemeinschaften sind in den letzten Jahren Landtitel
vergeben worden, die sich nur auf die Oberfläche beziehen.
Was darunter liegt, ist staatlicher Besitz und wird den
Erdölkonzernen in Konzession zur Nutzung vermacht.
Gleichzeitig weist der Staat oft Naturschutzgebiete aus,
schränkt diese Gebiete jedoch beliebig wieder ein, wenn dort
Erdöl oder andere Rohstoffe gefunden werden.
Doch setzen sich die Ureinwohner zur Wehr. Vom Urwald heraus sind
sie schon vor 25 Jahren ins Rampenlicht der Öffentlichkeit
getreten und haben auf ihre Bedrohung aufmerksam gemacht. Sie
haben sich zu Verbänden und Föderationen
zusammengeschlossen und kämpfen für ihre Rechte,
für ihr Land und für ihre Lebensgrundlagen. Die
Absicherung der Landrechte und die Kontrolle der
Erdölkonzerne hat dabei Vorrang. Daneben bemühen sich
die Indianer um das Recht auf die politische Mitgestaltung der
Amazonasprovinzen und auf die Kontrolle der wirtschaftlichen
Ressourcen dieser Gebiete.
Demarkiertes Land - sicheres Land
In ihrem Kampf um Landrechte bemühen sich die
Indianerorganisationen Ecuadors um internationale
Unterstützung. Wie gerufen kam ihnen die Gründung des
Klimabündnisses 1992, mit dem sich mittlerweile über
1000 europäischen Gemeinden und Regionen verpflichten, die
Erdatmosphäre und die Regenwälder zu schützen.In
diesem Sinne waren auch die Südtiroler
Klimabündnisgemeinden aufgerufen, konkrete Projekte der
Amazonasindianer zu unterstützen. 1997 wurde die Erfassung
der Umweltschäden durch die Erdölförderung und die
Überwachung der Erdölkonzerne in einem sog.
"Monitoring" mitfinanziert.
1998 entschlossen sich die über 50 Südtiroler
Klimabündnisgemeinden, die Demarkation von Indianerland
mitzuunterstützen. Nur wenn die Indianergemeinschaften
wieder die Kontrolle über ihre Gebiete in Form klar
abgesicherter Landrechte erhalten, können sie für eine
nachhaltige Nutzung des Regenwaldes sorgen. Die Demarkation
(Grenzziehung und Vermessung) und die rechtliche Verankerung
dieser Grenzen sind unverzichtbare Voraussetzung für einen
echten Schutz. Damit können Enteignungen verhindert und
Eindringlinge jeder Art abgewehrt werden. Sie bereitet auch den
Weg für die Ausarbeitung eines Schutz- und Entwicklungsplans
für indianische Territorien ohne rechtliche Anerkennung. Der
Dachverband der ecuadorianischen Indianer CONFENIAE hat sich zum
Ziel gesetzt, das gesamte Amazonasgebiet möglichst bald zu
demarkieren. Mit dem Landwirtschaftsministerium wurde ein
Rahmenabkommen getroffen, aber für die Finanzierung der
Projekte müssen die Indianer selbst aufkommen. Und
dafür fehlt ihnen das Geld.
Eine der am schwersten betroffenen Provinzen Ecuadors ist die
Provinz Sucumbíos am nordöstlichen Eck des
ecuadorianischen Amazonasgebiets. Dort treffen mehrere Probleme
zusammen: zum einen werden neue Straßen Richtung Kolumbien
und Brasilien gebaut; zum andern sind neue
Erdölförderungsgebiete ausgewiesen worden und
schließlich suchen sich kolumbianische Drogenkartelle dort
ein Refugium. Umso dringender war es, die Gebiete der Indianer
rechtlich sofort abzusichern, um gegen jede Bedrohung wirksamer
vorgehen zu können.
Das Projekt in dieser Provinz umfasste folgende
Schritte:
- die Vermessung des Landes als Basis für die effektive
Legalisierung und Anerkennung der Indianergebiete;
- die Anerkennung der festgelegten Grenzen auf dieser Grundlage
durch die staatlichen Behörden (das nationale Institut
für Agrarentwicklung);
- die Durchsetzung staatlicher Garantien für Landtitel und
Besitzrechte, die für die Ureinwohner die Gefahr einer
Vertreibung ausschließen
- die Verankerung und Sichtbarmachung der demarkierten
Grenzen.
Die Projektträger waren vor Ort die Indianergemeinschaften,
die auf provinzialer Ebene von den Verantwortlichen der CONFENIAE
unterstützt wurden. Dies ist das Bündnis der sieben
indigenen Völker des ecuadorianischen Amazonasgebietes und
besteht seit 1980. Sie gehört der COICA an, dem Dachverband
der Indianervölker des Amazonasgebietes und Partner des
Klimabündnisses. Technische Unterstützung leistete das
FEPP, Fondo Ecuatoriano Populorum Progressio, eine kirchliche
Organisation, die seit Jahrzehnten in Ecuador mit großer
Kompetenz viele tausend Quadratkilometer Land für landlose
Kleinbauern und Indianer demarkiert hat.
Finanziert wurde das Projekt von den Südtiroler
Klimabündnisgemeinden mithilfe der Südtiroler
Landesregierung; betreut wurde das Projekt durch die Gesellschaft
für bedrohte Völker. 1999 wurden die Arbeiten mit der
amtlichen Registrierung für sieben Gemeinden der Provinz
Sucumbios abgeschlossen: Tigre Playa, Santa Rosa, Yana Amarun,
Pana Cocha, Riera, Pandu Yacu. Aber noch zahlreiche weitere
Indianergemeinschaften warten auf die Demarkierung. Es braucht
weitere tatkräftige und finanzielle Unterstützung, um
den "Hütern des Regenwaldes" zu ihrem Recht zu
verhelfen.
Von Thomas Benedikter.
Universidad intercultural de las nacionalidades y pueblos
indígenas (UINPI) heißt die von den Indianern
Ecuadors entwickelte und geleitete Universität. Die
Südtiroler Gemeinden im Klimabündnis haben
Patenschaften für indigenen Studenten übernommen, die
Landesregierung finanziert einen Teil des universitären
Betriebes. Das Konzept dieser indigenen Universität wurde in
den 90er Jahren in Zusammenarbeit mit Indianern aus Arizona
entwickelt. Ihr Initiator und heutiger Rektor ist Luis Macas. Die
UINPI ist dezentralisiert: in jeder der drei Regionen Ecuadors
(Küste, Anden, Regenwald) möchte man drei mit
Computern, Lehrräumen, Bibliotheken usw. ausgerüstete
Universitätszentren (centro) errichten. In die Zentren -
bislang gibt es drei davon - soll der Lehrstoff per Internet
versandt werden. Ein übergeordneter Universitätssitz
(sede) in jeder Region soll den Betrieb koordinieren.
Das UINPI-Studium
Das Studium erfolgt semipresencial: alle zwei Monate werden an
drei Tagen Vorlesungen abgehalten. Die Unterrichtszeiten werden
zwischen Professoren und Studenten abgesprochen. Mittlerweile
gibt es sieben Studienrichtungen: Rechtswissenschaften,
Pädagogik, Agroökologie (mit Spezialisierung in
Umweltschutz, Ökotourismus und Forstwissenschaften), Medizin
(Schul- und traditionelle Medizin), Wirtschaftswissenschaften,
Architektur und Kunst (inklusive indigenes Kunsthandwerk). Das
Studium, das besonders indigene Studenten ansprechen soll, steht
auch nicht-indigenen Studenten offen. Der Student sollte aber
eine indigene- und eine Fremdsprache lernen. Da das Studium an
der UINPI in die indigene Kosmovision eingebettet ist, beginnt
das erste Studienjahr für alle Studenten mit den
conocimientos generales, dem alten indigenen Wissen.
Die UINPI ist staatlich anerkannt und der Studientitel dem
anderer Universitäten gleichwertig. Es bestehen bereits
Übereinkommen mit Universitäten in den USA, Kanada,
Finnland und Spanien, die nicht nur das Interesse an einer
finanziellen Unterstützung indigener Studenten beinhalten,
sondern zukünftig auch Studentenaustauschprogramme vorsehen.
Diese Abkommen legitimieren natürlich die UINPI
zusätzlich. Noch gibt es im Oriente, der amazonischen Region
Ecuadors, kein Universitätszentrum der UINPI. Dabei sind
UINPI-Fakultäten wie Rechtswissenschaften oder Umwelt- oder
Ökologiestudien gerade für indigene Studenten des
Regenwaldes mit seiner Landrecht- und Erdölproblematik von
essentieller Wichtigkeit.
Vielen so genannten Entwicklungsprojekten haftet eine gewisse
Arroganz an: wer zahlt bestimmt und die Indianer sind immer vom
ökologischen wie juristischen Wissen der anderen
abhängig. Durch das Studium gibt man einzelnen, fähigen
Jugendlichen die Möglichkeit, dies längerfristig zu
ändern. Seit der Einführung des Dollars (1999) ist
Ecuador wirtschaftlich noch tiefer gerutscht. Besonders im
Oriente gibt es kaum Arbeit und außer der Abholzung wenige
Möglichkeiten der Geldbeschaffung. Die meisten Jugendlichen
haben keine Möglichkeit, ihr Studium zu finanzieren.
Andere staatliche Universitäten gehen meist überhaupt
nicht auf die indigene Kultur ein. Der Student entfremdet sich
von seiner Welt, für die er sich nach dem Studium
erfahrungsgemäß auch nicht mehr interessiert. Die
UINPI ist in die indigene Kosmovision eingebettet und das Studium
beginnt mit den indigenen Wurzeln, die so erhalten bleiben. Und
die UINPI ist wirklich gut, wie die jeweiligen
Vorlesungsverzeichnisse und die Anheuerung auch renommierter
Professoren aus dem In- und Ausland bezeugt.
Peter Defranceschi. Der Autor war vier Monate in Ecuador, wo er u.a. in ständigem Kontakt mit der UINPI stand, viele Gespräche mit Studenten des Oriente führte und mit einer großen Versammlung in der Shuar-Gemeinschaft Pitirishka einen Prozeß für die Errichtung des ersten UINPI-Zentrums im Oriente (Provinz Pastaza) initierte.
Im ostafrikanischen Tansania ringen die Hadza (auch Hadzabe
genannt) um das Überleben ihrer Wildbeuter-Kultur. Die
Regierung hat angekündigt, das nomadisch lebende Volk aus
seinem Lebensraum zu holen und zur Sesshaftigkeit zu zwingen.
Vertreter der tansanischen Regierungspartei haben viele Hadza
dazu gezwungen, sich für die Präsidentenwahl
registrieren zu lassen. Es ist zu befürchten, dass auch sie
nun Steuern zahlen müssen, nicht mehr frei im Busch leben
dürfen und dass ihre Kinder nun zum Schulbesuch gezwungen
werden. Dadurch aber würde ihre traditionelle Lebensweise
vernichtet.
Die Hadza sind eines der letzten Ureinwohnervölker in
Ostafrika. Die Hadza leben vom Jagen und Sammeln in der Savanne.
Sie kennen weder soziale Hierarchien noch kriegerische
Auseinandersetzungen. Alle sehen sich als Glieder in der Kette
der Generationen, in der sie ihre Werte und Erfahrungen im Umgang
mit der Natur seit Jahrtausenden weitergegeben haben. Schon vor
Jahren wurden die Hadza durch den modernen tansanischen Staat
bedroht. Die Behörden hatten sie in Zusammenarbeit mit
Missionaren und Entwicklungsorganisationen (Oxfam/England,
Novib/Niederlande und Cuso/Kanada) in Umerziehungslager bringen
lassen, damit sie dort den Ackerbau übernehmen. Kinder der
Hadza wurden in Missions- und staatliche Schulen gesteckt. Dort
sollen sie lernen, sich ihrer eigenen Kultur zu schämen, und
erhalten Prügel, die sie von ihren Eltern nicht kennen. Um
die teuren Schuluniformen zu bezahlen, werden die Hadza zum
Gelderwerb etwa durch die Herstellung von Bastmatten
gezwungen.
Durch richterliche Entscheidungen ist der Großteil des
ursprünglichen Hadzalandes Rindernomaden der Barabaig und
der Maasai oder Ackerbauern unterschiedlicher Stämme
zugeteilt worden. 1996/97 haben die Barabaig große
Rinderherden in das Hadzaland getrieben, begünstigt durch
europäische Programme zur Bekämpfung der Tsetse-Fliege.
Die Barabaig selbst waren aus dem Gebiet des Hanangberges
vertrieben worden, wo Kanadier große Weizenfarmen,
hauptsächlich für den Export, angelegt hatten. Die
bantusprachigen Bauern haben die in der Savanne verbreiteten
Akazienbäume abgeholzt. Doch das karge Ackerland
verödet schon nach wenigen Jahren.
In den 90er Jahren sind weiße Jäger ins Hadzaland
eingedrungen und haben mittlerweile fast alles Wild getötet.
Viele der noch vor kurzem vorhandenen Tierarten, wie
Nashörner und Säbelantilopen, sind verschwunden. Die
Firma Robin Hurd, die sich exklusive Jagdlizenzen erkauft hat,
ließ mit Pfeil und Bogen jagende Hadza inhaftieren, teils
auch misshandeln. So wurde im Sommer auch der Hadza Faustin aus
Mangola im Gefängnis in Maswa eingesperrt. Jetzt sind die
Hadza auch von Safari-Unternehmen "entdeckt" worden. Die Gruppen
im Umkreis von Mangola werden fast täglich von
herumknipsenden Touristen besucht. Mit dramatischen Folgen
für die Hadza.
Bernd Wegener und Steffen Keulig (Verein Freunde des Naturvölker e.V.). Aus pogrom - Zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 208/2001).
Indische Ureinwohner sollen neuen Megaprojekten weichen. "Nach
einer vier Jahrzehnte andauernden Isolation vom Welthandel bildet
der Subkontinent noch so etwas wie ein Vakuum in der
Weltwirtschaft", jubelte "Future - Das Hoechst Magazin". Dieses
Vakuum gilt es zu füllen - auf Kosten der indigenen
Bevölkerung dieses neuen Wirtschaftswunderlands. Die
Investoren stellen Indien u.a. deshalb so gute Zeugnisse aus,
weil es gelang, die Inflationsrate bis 1994 auf 8% zu senken.
Doch von den Wirtschaftsreformen profitieren vor allem die
Industrie und die großen Handelshäuser, der
Mittelstand und die Oberschicht.
Die Adivasi, die offiziell als Tribals oder Scheduled Tribes
(offiziell registrierte und damit als solche anerkannte
Stammesvölker) bezeichnet werden, bleiben auf der Strecke.
Ihre auf Selbstversorgung ausgerichtete Wirtschaftsweise ist
nicht geeignet für die Produktion von Exportgütern.
Nach Schätzungen des Tribal Research Institute leben etwa 90
% der 70 Millionen Adivasi unterhalb der Armutsgrenze. Zwischen
80% und 90% der Adivasi leben in ländlichen Gebieten und in
den Wäldern, die übrigen in städischen Slums.
Obwohl sie nur 8% der indischen Gesamtbevölkerung ausmachen,
bilden sie 40% derer, die durch Entwicklungsprojekte vertrieben
werden.
Rücksichtslos wird Adivasi-Land für Staudämme,
Energiekraftwerke, Bergbau oder Plantagenwirtschaft genutzt, aber
auch für Tourismusprojekte. Seine Bewohner werden
umgesiedelt oder verdrängt. Sie verlieren dadurch nicht nur
ihre Ernährungsbasis, sondern alles, was ihre Welt ausmacht.
Eine Entschädigung wird ihnen zwar oft versprochen, dann
aber nur unzureichend oder gar nicht geleistet. Mangels
Ausbildung sind sie auf dem Arbeitsmarkt nicht
konkurrenzfähig. Immer mehr Adivasi verlassen überdies
zeitweise ihr Land, um in nahegelegenen Städten oder bei
Großbauern Saisonarbeit zu suchen.
Ganze Dörfer sind dadurch über immer längere Zeit
verwaist. Dann liegt nicht nur die eigene Wirtschaft brach, mit
der Zeit zerfallen auch die dörfliche Sozialstruktur und mit
ihr die kulturellen Traditionen. Für die Adivasi ist
entscheidend, daß die Abnahmepreise für ihre Produkte,
Brennholz etwa oder Honig, sinken, während die Preise
für Grundnahrungsmittel steigen. Die Armen, und damit auch
die Adivasi, hungern immer öfter, da sie nicht mehr in der
Lage sind, ihre Ernährung aus eigener Kraft sicherzustellen.
Schon 1992 stellte auch die Weltbank fest, daß die neue
Wirtschaftspolitik Indiens die Erfolge der
Armutsbekämpfüng teilweise wieder aufgehoben hat.
Indiens Stammesvölker sind dabei für die
Regierungspolitik keine zu beachtende Größe. Zwar hat
Indien sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, hat
in 20 Verfassungsartikeln die Sorge um das Wohlergehen der
"Tribals" zum Ausdruck gebracht. Sie werden jedoch weit
öfter gebrochen als befolgt. Die naturschonende
Selbstversorgungswirtschaft der Waldbewohner wird auch durch die
Schaffung von Wild- und Naturschutzparks zerstört. Zur
Beruhigung des ökologischen Weltgewissens ist auch die
Weltbank mit ihrem Biosphäreschutzprogramm finanziell
beteiligt. Abkommen über Wirtschaftsentwicklung koppelt das
Kreditinstitut oft an Umweltschutzprogramme.
Leidtragende davon sind ausgerechnet die Völker, die
über Jahrhunderte hinweg den Erhalt der Waldgebiete
gesichert hatten. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der
Rajiv Ghandi National Park im Bundesstaat Karnataka. Das
Waldgebiet war noch 1934 im Gemeinschaftsbesitz der benachbarten
Adivasi-Dörfer. Durch innerhalb des Waldes angelegt
Kaffeeplantagen wurden sie nach und nach in die unbewaldete Ebene
verdrängt. Auch die 347 Familien aus 11 Dörfern, die
aus dem Kakankote-Waldgebiet, ebenfalls Teil des geplanten Parks,
ausgesiedelt wurden, erhielten keine wirkliche
Entschädigung. "Wir wissen aus Erfahrung, daß es
für die Adivasi den Tod bedeutet, außerhalb des Waldes
zu leben," kommentierten die Adivasi bitter die indische
Naturschutzpolitik. Der Landraub vollzieht sich in Etappen.
Zuerst wird den Adivasi die Nutzung fruchttragender Bäume
untersagt, die dann von der Forstbehörde durch
Teakbäume ersetzt werden. Große Teile des
künftigen Nationalparks sind faktisch Teak-Plantagen in
Regierungsbesitz. Danach wird die Kultivierung der Böden
verboten.
Selbstversorgung ist nicht mehr möglich, die Waldbewohner
werden von Gelegenheitsjobs bei der Forstbehörde
abhängig oder gehen fort. Schließlich übernimmt
die Forstbehörde auch die Anbauflächen direkt am Rande
der Siedlungen. Den Adivasi bleibt dann buchstäblich nur
noch die Hütte, in der sie leben. Durch das Panchayat Raj
Gesetz wurde in Karnataka schon zu Beginn der 80er Jahre die
Administration dezentralisiert, um lokale Strukturen der
Selbstverwaltung zu fördern. Für die Adivasi innerhalb
des Parkgeländes gilt dies nicht. Ihr Land wird von der
Forstbehörde verwaltet. Die vom Nationalpark betroffenen
Adivasi wurden weder direkt, noch in der eigenen Sprache von den
Planungen unterrichtet, wie es das Biosphäre-Statut
vorschreibt.
1993 unterzeichnete die die EU einen Kooperationsvertrag
für Partnerschaft und Entwicklung mit Indien, in dem
einleitend die "ausgezeichneten Beziehungen und traditionell
freundschaftliche Verbindung der Gemeinschaft mit Indien"
gerühmt und die große Bedeutung der Partnerschaft
unterstrichen wird. Indien müsse Unterstützung
erhalten, um die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern. Ob
die Armen, zu denen auch die Adivasi gehören, von einer
solchen Wirtschaftspolitik tatsächlich profitieren, darf
jedoch bezweifelt werden. Gleiches gilt für die Wahrung der
Menschenrechte, zu der sich Indien durch Unterzeichnung
entsprechender Verträge verpflichtet hat und die auch das
Kooperationsabkommen mit der EU an erster Stelle zu seiner
Grundlage erklärt.
In Übereinstimmung mit den Regelungen des Gatt-Abkommens
(General Agreement on Tariffs and Trade) erklären sich
Indien und die EU gegenseitig zu "meist begünstigten
Nationen". Neben der Förderung einer Beschleunigung der
Wirtschaftsentwicklung Indiens wird zu den Zielsetzungen immerhin
auch der Umweltschutz erklärt sowie der schonende Umgang mit
den Naturressourcen. Daß die Adivasi als die seit
Jahrhunderten erfolgreichsten Umwelt- und Ressourcenschützer
gerade auf diesem Hintergrund Unterstützung und
Förderung erhalten müßten, ist jedoch auch der EU
keine Erwähnung wert. Eine Klausel zum Schutz der indigenen
Völker Indiens sucht man im Kooperationsvertrag
vergebens.
Die überarbeitete Forstgesetzgebung von 1988 stellte
hauptsächlich auf die Regelung der industriellen und auf
Gewinn ausgerichteten staatlichen Forstpolitik ab, ohne
Rücksicht auf die Bedürfnisse der Waldbewohner. Das
laut Angaben des ICITP (Indian Confederation of Indigenous and
Tribal People/indische Dachverband der indigenen und
Stammesvölker) neue "Environment and Ecology Bill"
läuft darauf hinaus, den Adivasi alle Rechte an der
Waldnutzung zu nehmen. Es erklärt sie zu "encroachers in
their own habitat" (in etwa: Störfaktoren in ihrem
Lebensbereich), denen sogar das Betreten des Waldes als
Verstoß gegen Schutzauflagen untersagt werden kann. Auch
Privatbesitz kann notfalls der Forstverwaltung unterstellt
werden, wenn dies dem Schutz und der Wertsteigerung
"reservierten", d.h. für künftige Nutzung vorgesehenen,
Waldes dienlich erscheint. Das Gesetz sieht vor, Forstbeamte mit
den Befugnissen auszustatten, Menschen wegen Verstößen
gegen die Forstverordnung ohne Vorwarnung festnehmen zu
können. Dadurch ist eine Möglichkeit gegeben, die
Indigenen zu kriminalisieren, die im Wald und vom Wald leben.
Yvonne Bangert (GfbV-Deutschland). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).
Befürworter des Tropenholzhandels führen immer
wieder an, dass nur zwei bis zehn Prozent der tropischen
Regenwälder durch "unsachgemässe Formen der Holznutzung
zerstört würden. Der Rest gehe auf das Konto der
bäuerlichen Landwirtschaft - wegen der Brandrodungen und
für den Brennholzbedarf. Der Situationsbericht von Roger
Graf von der Schweizer Menschenrechtsorganisation
Bruno-Manser-Fonds zeigt am Beispiel des Penan-Volkes auf, was
der Holzeinschlag wirklich bedeutet.
Die Holzlobby versucht sich reinzuwaschen. Vertiefen wir uns
deshalb in eine Region, wo der Holzeinschlag für die
Zerstörung des Waldes verantwortlich ist. Die Zahlen
für den malaysischen Teilstaat Sarawak (122 000 km2
Fläche) ergeben ein anderes Bild: Innerhalb der letzten
zwanzig Jahre hat sich der Holzeinschlag von 4,2 Millionen
Kubikmetern auf 19 Millionen Kubikmeter erhöht. Dies
entspricht einer zerstörten Waldfläche von zwölf
Quadratkilometern pro Tag. Durch die Holzwirtschaft wird in
Sarawak 65mal mehr Primärwald ("Urwald") vernichtet als
durch unsachgemäße Brandrodungen der
Kleinbauern.
Sarawaks Chief-Minister ist gleichzeitig auch Forstminister. Er
hat das Recht, Lizenzen für den Holzeinschlag nach eigenem
Ermessen zu vergeben. So kommt es, dass allein sein Familienclan
30% aller Einschlagsrechte verwaltet. Sein politischer Freund,
der Umwelt- und Tourismusminister, verfügt über eine
Abholzlizenz von 300.000 Hektaren in einem Waldgebiet, wo auch
die nomadischen Penan ihr zuhause haben. Nur wer vom Wald lebt
und den Hunger aus eigener Erfahrung kennt, weiß, was der
Holzeinschlag bedeutet: Er zerstört die Lebensgrundlagen.
Denn wo sollen die Penan zum Beispiel das Tajem-Pfeilgift
für die Blasrohrjagd gewinnen, wenn die Pfeilgiftbäume
gefällt wurden? Oder woher das Harz für die Fackeln
nehmen, wenn alle Pellaio-Stämme abtransportiert sind? Wo
finden die Wildschweine, die wichtigste Jagdbeute der Penan, ihre
Nahrung, wenn keine fruchtbaren Eichen-, Merand- und
Kapurbäume mehr stehen? Wo soll der Penanjäger lauern,
wenn fremde Eindringlinge, meistens Arbeiter der
Holzgesellschaften, mit Hilfe von Jeeps und
Halogenscheinwerferlicht die Wildbestände schon drastisch
reduziert haben? Oder wohin soll der Regenwaldbewohner sein
Wurfnetz werfen, wenn die einst kristallklaren Flüsse als
Folge der Erosion durch Abholzung schmutzig braun geworden sind
und Fremde mit Elektroschocks und Handgranaten die Gewässer
leergefischt haben?
Das Landrechtsgesetz von Sarawak sieht durchaus die
Möglichkeit vor, dass die Urbevölkerung Landrechte
beansprucht. Doch ist die Hürde heute ziemlich hoch: So
müssen die Indigenen beweisen, dass sie vor dem 1. Januar
1958, dem Datum einer Landrechts-Gesetzesänderung, im
betreffenden Gebiet gelebt haben. Die traditionell
seßhaften Dajak-Stämme, wie die Iban, Kayan, Kelabit,
Kenyah usw., können dies zum Teil noch beweisen. Sie berufen
sich auf den Bau von Häusern, auf einen Sekundärwald,
auf gepflanzte Fruchtbäume oder Grabstätten, die
älter als dieses Stichdatum sind. Bei den nomadisch lebenden
Penan ist dies jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, da
sämtliche Spuren ihrer Anwesenheit im Dschungel schon nach
ein, zwei Jahren verschwunden sind.
Aber selbst die sesshaften Ureinwohner Sarawaks besitzen auch
heute noch keine formellen Landrechtspapiere, denn ihre
Landrechte beruhen auf ihrem ungeschriebenen, traditionellen
Gesetz, dem Adat. So haben sich die Dajak-Völker Sarawaks
schon Mitte der achtziger Jahre mit einem vorwiegend gewaltfreien
Widerstand gegen die Holzfällerei gewehrt. Die Regierung
reagierte auf den Widerstand mit einem neuen Paragraphen im
Strafgesetz: Das Behindern der Holzfällerei wird seither mit
bis zu zwei Jahren Gefängnis oder mit 6 000 Malaysischen
Ringgit (ca. 3 000 DM) bestraft. Seit 1987 bis zum Dezember 1995
wurden mehr als 700 Dajak verhaftet und während einigen
Tagen bis zu mehreren Monaten inhaftiert. Außerdem kam es
in Einzelfällen zu Mißhandlungen der Gefangen bei den
Verhaftungen, im Gefängnis und bei den Verhören.
Brutaler Überfall der Paramilitärs Vorläufiger
Höhepunkt der Auseinandersetzungen war der 28. September
1993: Bereits seit sieben Monaten ließen sich die Penan von
Long Mobui nicht einschüchtern. Sie hinderten die Bulldozer
der Sämling-Company am weiteren Eindringen in
unberührte Waldgebiete. Doch paramilitärische Einheiten
der Polizei setzten dem Protest mit einem brutalen Überfall
ein Ende. Seither ist der Widerstand der Penan gebrochen. Zum
einen sind nur noch wenige unberührte Waldgebiete zu finden,
zum anderen sind die Menschen durch die Folgen des
psychologischen Terrors und der jahrelangen körperlichen
Schwächung am Ende ihrer Kräfte angelangt. Die meisten
Penan-Gruppen wurden mittlerweile zur Seßhaftigkeit
gezwungen.
Malaysia ist kein Entwicklungsland mehr. Vielmehr expandiert es
selbst in einem Stil, der an europäische Kolonialmächte
erinnert. Da die eigenen Holzressourcen abnehmen, sind die
malaysischen Holzgiganten Sämling und Rimbunan Hijau in neue
Tätigkeitsgebiete vorgestoßen: In Kambodscha, Laos,
Surinam, Guyana und auf den Salomon-Inseln. In Papua-Neuguinea,
wo Rimbunan Hijau allein über mehr als 80 Prozent aller
Holzschlagkonzessionen gebietet, wird die Firma wegen
Korruptionsskandalen heftig kritisiert. Schuld am Massaker im
Penanwald haben aber nicht nur malaysische Konzerne, sondern auch
die Holzimporteure in Übersee. Japan verbraucht mit 2,5
Prozent der Erdbevölkerung rund ein Drittel der weltweit
gehandelten Tropenhölzer. 55% davon stammen aus Sarawak, und
als Großimporteure zeichnen so bekannte Namen wie
Mitsubishi und Marubeni, die auch kanadische Urwälder zu
Papier verschnitzeln.
Weitere wichtige Abnehmer von malaysischem Holzarten, wie
Meranti, Lauan, Merbau, Ramin und Bangkirai, sind Süd-Korea,
Taiwan und die Europäische Union. So findet sich auch in
Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien viel
Tropenholz an Orten, wo sich die Verbraucher dessen gar nicht
bewusst sind: In Möbeln, in Türen und Fensterrahmen,
als Parkettböden, Messergriffe, Vorhangstangen oder
Besenstiele. Sogar für Eisenbahnschwellen haben die
Schweizerischen Bundesbahnen noch vor kurzem
regelmäßig Balau-Holz aus Sarawak importiert.
Nach einer Untersuchung der Internationalen Organisation
für den Handel mit Tropenholz ITTO werden 90 Prozente der
Profite aus diesem Geschäft in den Importländern
gemacht. Wie die Ursachen der Tropenwaldzerstörung
unterschiedlich sind, so gibt es auch keine pauschale
Lösungen. Zentral ist aber die Forderung, dass die lokalen
Bevölkerungen, also nicht nur die Ureinwohner, das Recht auf
eine nachhaltige Nutzung der Sekundärprodukte und des Holzes
besitzen müssen. Sekundärwälder, das heißt
Wälder, die bereits durch die kommerzielle Nutzung
beeinträchtigt sind, können mit dem Einverständnis
der lokalen Bevölkerungen nachhaltig bewirtschaftet werden.
Für die nomadischen Penan bleibt aber nur eine Forderung:
"Baut Eure Häuser nicht aus unserem Wald!".
Roger Graf (Bruno-Manser-Fonds). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).
Seit Jahren versuchen die Blackfeet aus Montana/USA, die von
den multinationalen Mineralölkonzernen Petrofina (Belgien)
und Chevron (USA) beabsichtigten Erdöl- und
Gasförderungen in dem ihnen heiligen Gebiet Badger Two
Medicine, einer Wildnis in den nördlichen Rocky Mountains,
zu verhindern. Bisher konnten sie die Region, die für ihre
Religion, Kultur und Historie von existenzieller Bedeutung ist,
mit Erfolg verteidigen. Nachdem der Chevron-Konzern eine
Vereinbarung mit der US-Regierung über den Tausch der
Bohrrechte erzielen konnte, ist eine endgültige Lösung
der Kontroverse in greifbare Nähe gerückt.
Diese erfreuliche Entwicklung steht im Zusammenhang mit der
Bekanntgabe des Umweltverträglichkeitsgutachtens des
US-Forest Service (USFS) hinsichtlich der weiteren Nutzung von
Erdöl- und Erdgasvorkommen in den nördlichen Rocky
Mountains. Der USFS erklärte, dass zukünftig keine
weiteren Bohrrechte mehr im Gebiet der Rocky Mountain Front
vergeben werden. Auch für Badger Two Medicine lehnt der USFS
die Vergabe von neuen Lizenzen ab, bereits bestehende bleiben
aber in Kraft. Da fast für das gesamte Areal
Bohrgenehmigungen erteilt wurden, kann nur ein freiwilliger
Verzicht der Firmen die zerstörerische Ölförderung
auf dem Land der Blackfeet verhindern.
Auch mit Fina, der amerikanischen Tochter von Petrofina,
muß jetzt ein solches Verfahren ausgehandelt werden. FINA
hatte ihre Bohrlizenz 1993 durch ein Gesetz der Regierung Bush
erhalten. Das Territorium (500 Quadratkilomter bundesstaatlichen
Forstlandes), ist Teil der nördlichen Rocky Mountain Front,
der größten zusammenhängenden Waldlandschaft in
den USA. Dieser Landstrich ist das letzte Rückzugsgebiet
für mehr als 270 bedrohte Tier - und Pflanzenarten und
ebenfalls letzte heilige Stätte für die dort lebenden
Pikuni-Blackfeet. Der USFS empfahl 1993, eine Bohrerlaubnis zu
erteilen, obwohl Gutachter zu dem Ergebnis kamen, dass die
Bohrungen Umweltschäden in großem Ausmaß nach
sich ziehen würden. Zudem lag die Wahrscheinlichkeit,
ergiebige Ölquellen zu finden, bei gerade 0,5 Prozent. Die
Clinton-Administration verhängte aufgrund mehrerer
Einsprüche gegen das Gesetz ein Moratorium.
Der deutsche Völkerrechtler, Dieter Dörr, Professor
für öffentliches Recht an der Universität Mainz,
eine Studie zu dieser Thematik aus völkerrechtlicher Sicht.
Das Ergebnis seiner Untersuchungen unterstützt auf der
Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker die
Forderungen der Pikuni nach kulturell-religiöser Autonomie
und politischer Eigenständigkeit. Er zog für seine
These den Status des indianischen Gemeinwesens nach
Rechtsprechung des US-Supreme Courts sowie die Verträge von
1855 und 1895, die mit den Blackfeet abgeschlossen wurden, heran.
Der US Supreme Court billigt den indianischen Nationen eine
sogenannte inhärente Souveränität (Hoheitsgewalt,
die nicht durch Bundesgesetz oder Vertrag entzogen wurde) zu.
Grundlage hierfür sind die vertraglichen Abschlüsse
zwischen den einzelnen indianischen Nationen und den USA, die
nach Form und Inhalt völkerrechtlichen Charakter
besitzen.
Aufgrund der Abhängigkeit der indianischen Nationen von den
USA und der andererseits bestehenden Treuhandstellung des Bundes
ergibt sich daraus eine besondere Schutzpflicht der USA, die
dadurch als Treuhänder zugunsten der Indianer aufzutreten
haben. Wenn den indianischen Nationen eine verbliebene
Restsouveränität anerkannt wird, sind die geplanten
Ölbohrungen mit den geschlossenen Verträgen und
Vereinbarungen und vor allem mit dem Selbstbestimmungsrecht bzw.
den Menschenrechten der Pikuni nicht zu vereinbaren.
Von Kerstin Geserick. Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 197/1997).
Französisch-Guyana taucht heute meist dann in den Medien
auf, wenn von seinem Weltraumzentrum Kourou aus eine
Ariane-Rakete abgeschossen wird. Von den rund 150.000 Einwohnern
Französisch-Guyanas zählen etwa 10.000 zu den
Ureinwohnern, die dort "Amero-Indianer" genannt werden.
Die Völker, die Krieg, eingeschleppte Krankheiten und andere
"Segnungen der Zivilisation" überlebt haben, lassen sich je
nach Siedlungsgebiet und Lebensweise in zwei Hauptgruppen
unterteilen: An der Küste wohnen die Arawak, Galibi und
Palikur, im Regenwald des Landesinneren die Wayana, Emerillon und
Wayampi. Ebenfalls im Dschungel haben Nachfahren entlaufener
Sklaven eigenständige Gemeinschaften gebildet.
Die Ausbeutung und Zerstörung des Regenwaldes hat in
Französisch Guayana bereits erschreckende Ausmaße
angenommen. Nicht nur, dass alle Abfälle der
Weltraumforschung nicht beseitigt, Abwässer in Böden
und Flüsse sickern, und für Landebahnen mehr als 300
Hektar Regenwald abgeholzt wurden: In den letzten Jahren hat das
französisch-guyanische Waldunternehmen "Organisation
National de Forets" Baumarten, die sich nicht für den Handel
eignen, mit Giften zum Absterben gebracht. Auch der Schacher mit
seltenen und vom Aussterben bedrohten Tieren blüht in
Französisch-Guyana.
Um der Kritik von Naturschützern zu begegnen, kündigte
Frankreich am Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 die Schaffung
eines Nationalparks im Herzen des guyanischen Regenwaldes an.
Verwaltungsbeamte und lokale Politiker setzten sich gegen
Naturschützer und Vertreter indigener Völker durch und
wiesen einen Park im Süden des Landes aus - dort, wo
Goldvorkommen entdeckt wurden.
Der geplante 2,9 Millionen Hektar große Naturpark soll
folgendermaßen unterteilt werden: Zwei Millionen Hektar
Fläche wurden als eigentliche "Zone der Natur" deklariert,
600.000 Hektar als "Zone des Lebens" für die Indianer
vorbehalten, und eine 300.000 Hektar große "Zone des
Bergbaus" französischen Goldminen- Unternehmen zugedacht.
Von der Naturzone noch abzuziehen sind eine "Randzone" sowie
weitere Gebiete, die als "Zonen möglicher Entwicklung"
ausgewiesen wurden.
Nach einem Gesetz für Französisch Guyana, das 1987 in
Kraft trat, können alte Land-und Landnutzungsrechte für
den Schutz von Flora und Fauna aufgehoben werden. Mit der
Unterteilung in die genannten Zonen werden etwa 2.000 Indianer,
Emerillon, Wayampi und Wayana, ihren angestammten Lebensraum
verlieren. Manche Gemeinschaften werden ganz aus ihren bisherigen
Siedlungsgebieten ausziehen, andere ihre hergebrachten Fisch-,
Jagd- und Anbaugründe aufgeben müssen.
Der merkwürdigste Zug an diesem angeblichen Naturreservat
ist, daß es auch dem Bergbau offenstehen soll. Die Art und
Weise, wie die französischen Behörden dieses Projekt
eingefädelt haben, lässt eine Mogelpackung
argwöhnen, deren eigentlicher Zweck es ist, die indigenen
Völker ihres Landes zu berauben und einen Teil davon den
Bergbaufirmen zuzuschanzen. Für die Einrichtung des
Nationalparks soll Frankreich von der Europäischen
Kommission 1,5 Millionen ECU aus dem "Europäischen Fond
für Regionale Entwicklung" erhalten.
Von Michaela Entner. Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 191/1996).
Die Brunka gehören zu den Ngobegue/Guaymi. Ihr Land liegt
in der Provinz Puntarenas im Süden von Costa Rica. Dort soll
das größte Wasserkraftwerk Zentralamerikas, das
"Proyecto Hidroeletrico Boruca", entstehen. Dazu soll der Rio
Grande de Terraba, an dessen Ufern die Reservation "Rey Curre"
der Brunca liegt, gestaut werden. Ihr Territorium, das insgesamt
10.000 Hektar groß ist, würde vollständig im
Stausee untergehen. Mit dem Verlust ihres Landes droht den
Ureinwohnern die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. In der
Reservation "Rey Curre" leben ungefähr 1.400 Brunka von der
Eigenerwerbslandwirtschaft und ihrem Handwerk. Als
Tagelöhner arbeiten sie auch auf Bananenplantagen.
"Rey Curre" grenzt unmittelbar an die Reservationen "Boruca" und
"Terraba" an. In der Nachbarschaft liegen außer dem drei
weitere Reservate: Salitre, Cabagra und Ujarräs. Alle
fünf Territorien würden ebenfalls durch den Stausee in
Mitleidenschaft gezogen werden. Während der spanischen
Kolonialherrschaft flüchteten die Brunka vermutlich in die
Bergregionen und kamen nur noch sporadisch an die Ufer des Rio
Grande de Terraba. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kehrten sie
dann dauerhaft in ihr altes Siedlungsgebiet zurück.
Seit 1977 schreibt das Gesetz Ley Indigena die exklusive
Besiedlung und Nutzung der Reservationen durch die Ureinwohner
fest. Doch im Sog der Panamericana, die seit den 1970er Jahren
durch das Gebiet führt, nahmen Großgrundbesitzer und
Kleinbauern fast 80 Prozent der Reservatsfläche in Besitz.
Auf die gleiche Zeit gehen die ersten Voruntersuchungen für
das Staudammprojekt zurück. Der Stausee ist für eine
maximale Fläche von 260 qkm und eine Tiefe zwischen 230 und
260 Meter geplant. Seine Leistung von ca. 1.400 Megawatt soll
teilweise exportiert werden. Der Baubeginn wurde auf das Jahr
2003 festgelegt, die Fertigstellung auf 2006. 4.000
Arbeitsplätzen sollen während der Bauphase in der
ärmlichen Region geschaffen werden.
Nicht nur das Ley Indigena schließt jedoch im Grunde
bereits jede Fremdnutzung des Reservatslandes aus. Costa Rica hat
außerdem schon 1992 die ILO-Konvention 169 ratifiziert und
sich damit auch internationalen Regeln zum Schutz der Landrechte
von Ureinwohnern unterworfen. 1999 organisierten die Brunka erste
Protestversammlungen und im November 1999 einen großen
Marsch über 300 km zum Präsidentenpalast in der
Hauptstadt SanJose.
Darauf verpflichtete sich die Regierung sich zu einem
Konsultationsprozess mit den Brunka. Die Erfahrungen haben sie
jedoch misstrauisch werden lassen. Lange Zeit hatte man ihnen
jegliche Informationen über das Projekt vorenthalten, ihnen
die Gutachten über Sozialverträglichkeit und zur
Umweltverträglichkeit nicht zur Verfügung gestellt. Sie
fürchten, dass auch die jüngst demonstrierte
Kooperationsbereitschaft der Regierung eher symbolisch bleiben
wird. Die Brunka appellieren daher an die internationale
Öffentlichkeit, sie bei der Verteidigung ihres Territoriums
zu unterstützen.
Theodor Rathgeber (GfbV-Deutschland). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 208/2001).
Del Monte ist einer der bekanntesten Namen im
Südfruchthandel. Seine erste Plantage für den
großflächigen Anbau von Ananas in der Dritten Welt
errichtete Del Monte 1926 auf der südphilippinischen Insel
Mindanaho. Dort, in der Hochebene von Bukidnon fand sich, was Del
Monte suchte: fruchtbarer Boden, ein ausgeglichenes Klima und
billige Arbeitskräfte. Die ökonomische und politische
Stabilität war zudem gesichert, da die Philippinen 1898 von
den spanischen Kolonialherren in US-Besitz übergegangen
waren. In Bukidnon, wo sich heute endlos die Ananasplantagen von
Del Monte erstrecken, lebten vor Ankunft des Multis
Angehörige des Volkes der Manobo, eine der zahlreichen
nicht-christlichen und nicht-moslemischen Volksgruppen ("Lumads")
auf Mindanaho.
Für die Bukidnons, einer Untergruppe der
Manobo-Volksgruppen, gab es keinerlei individuelle Landrechte.
Als "Besitzer" betrachteten sie zwar denjenigen, der ein
Stück Land urbar machte, aber das Besitzrecht bezog sich nur
auf die Nutzung des Bodens. Eine Veräußerung des
Bodens war nur nach Rücksprache mit dem Stammesführer
("dato") möglich und immer nur vorübergehend. Dieses
Landrechtsverständnis der Bukidnon, die in einer
weitgehenden Tausch-Wirtschaft ohne Geld lebten, kontrastierte
aufs schärfste mit den Bedürfnissen des Konzerns Del
Monte. Unter den Manobo-Völkern setzte sich erst nach dem
Zweiten Weltkrieg langsam durch, Landtitel für ihre Felder
zu beantragen. Zwischen 1918 und 1938 waren bei einer
Bevölkerung von über 50.000 Menschen nur 816 Landtitel
ausgegeben worden.
Während dieser Zeit fiel es Del Monte leicht, große
Landflächen für den Ananasanbau zu bekommen. Allerdings
gab es ein schwerwiegendes rechtliches Problem: selbst die
Kolonialverfassung der Philippinen von 1935 schränkte den
Landbesitz für Ausländer auf 1.024 Hektar ein. Del
Monte kontrollierte damals aber bereits ein Mehrfaches dessen.
Flugs wurde die staatliche "National Development Corporation"
(NDC) gegründet "um Ländereien, die notwendig für
die Entwicklung der Ananasindustrie sind," zu erwerben und "einen
angemessenen Vertrag" mit Del Monte zu schließen.
So erhielt der Konzern im Jahr 1938 genau 8.195 Hektar von der
NDC für den lächerlich geringen Pachtpreis von einem
Peso pro Hektar und Jahr. In den folgenden Jahren machte Del
Monte Philippines riesige Gewinne. Ernste Schwierigkeiten drohten
dem Konzern zu Beginn der 70er Jahre, als sich auf den
Philippinen ein kritisches Potential entwickelte, das sich
insbesondere gegen die fast völlige wirtschaftliche und
politische Dominanz der USA in dem südostasiatischen Staat
richtete. Da war es wie eine glückliche Fügung des
Schicksals für Del Monte, dass der philippinische
Präsident Ferdinand Marcos im September 1972 das Kriegsrecht
verhängte, alle demokratischen Organe und Rechte außer
Kraft setzte. Del Monte hatte in der Folgezeit keine
Einschränkungen seines Waltens zu befürchten.
1974 machte sich der Konzern daran, seine Ananasplantagen um 14
000 Hektar in der Pontian-Ebene von Bukidnon auszudehnen. Die
dort lebenden indigenen Kleinbauern versuchten verzweifelt, sich
dagegen zu wehren. Häufig erschlich sich Del Monte mit Hilfe
von Strohmännern und Regierungsbehörden die
Pachtverträge. War der Widerstand der Bevölkerung zu
hartnäckig, wurden auch schon mal die Felder "zufällig"
umgepflügt oder tauchte ein Schlägertrupp in den
Dörfern auf. Inzwischen hat Del Monte nach Regierungsangaben
die Kontrolle über 37.597 Hektar Land in Bukidnon. Hinzu
kommen mindestens 6000 Hektar Bananenplantagen. Die
günstigen Bedingungen, die für Del Monte in Mindanaho
von den philippinischen Regierungen geschaffen wurden,
ließen schnell andere ausländische Konzerne
nachziehen.
Bis zu 50% der nutzbaren Fläche der Insel sollen heute von
ausländischem Kapital kontrolliert sein. Das reicht von
einer Nesde-Kaffeeplantage über Holzschlagskonzessionen
für japanische Firmen, den britisch-malayischen
Ölpamplantagen von Guthrie, Kokosproduktion für Henkel
und Mars, bis hin zum Del Monte Konkurrenten Dole. Dole
begnügt sch inzwischen nicht mehr mit seiner 20 000 Hektar
großen Ananasplantage, sondern dringt über
Mittelsmänner in das Siedlungsgebiet des T'boli-Volkes vor.
Del Monte hatte im vergangenen Jahrzehnt Schwierigkeiten, seine
Plantagen auf Mindanaho wesentlich auszudehnen.
"Jungfräuliches" Land ist nicht verfügbar, und die dort
lebenden Kleinbauern haben erkannt, dass eine Verpachtung ihrer
kleinen Landparzellen ihnen viele ökonomische Nachteile
bietet.
Sie waren davon ausgegangen, dass sie mit dem Pachtvertrag auch
einen Arbeitsplatz bei Del Monte erhalten würden. Doch
maximal aus jeder zweiten Familie erhielt ein Angehöriger
einen Job auf den Ananasplantagen, während vorher alle
Familienmitglieder auf den Feldern Arbeit hatten. Durch
Rationalisierungen hat Del Monte außerdem die
Arbeitsplätze bei gleichzeitiger Flächenausdehnung
stark abgebaut hat. Eine in Bukidnon verbreitete Studie der
jesuitischen "Xavier University" in Cagayan de Oro hat deutlich
gemacht, daß mit der Landverpachtung an Del Monte wichtige
Möglichkeiten der Überlebenssicherung weggefallen
waren: der Anbau von Grundnahrungsmitteln für den eigenen
Bedarf, die Tierhaltung sowie Jagd und Fischfang auf dem eigenen
Land.
Während vor dem Eindringen Del Montes in das Gebiet der
Pontian-Ebene nach 1974 nur 16% der überwiegend indigenen
Kleinbauern ihr Einkommen als ungenügend bezeichneten, wuchs
diese Zahl zehn Jahre später auf 56 Prozent. Zuvor
mußte nur ein Drittel der Bewohner Reis zukaufen, um die
Familie zu ernähren, diese Zahl wuchs danach auf 94%. Die
"Entwicklung", die Del Monte nach Bukidnon gebracht hat, war dem
grundlegenden Menschenrecht, sich zu ernähren, wie es der
Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte festschreibt, also kaum förderlich.
Dies gilt offenbar nicht nur für die nun landlosen
Indigenen. Das nördliche Mindanaho weist insgesamt eine
höhere Armutsrate aus als der nationale Durchschnitt.
Moderner Welthandel bringt nicht zwangsläufig Wohlstand.
Frank Braßel (Leiter des deutschen Büros der Menschenrechtsorganisation FIAN, Experte für Welthandel und Menschenrechte). Aus progrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).
Wer fährt noch in den Alpen auf völlig
überfüllten Pisten Ski? Die Zukunft des Wintersports
liegt in den unberührten Tälern British Columbias und
kann am besten mit Heli-Skiing genutzt werden. Das meinen
zumindest die Reiseveranstalter DerTour, Tui, Neckermann,
Malbororeisen und der Sturmböck Club, und das ADAC-Magazin
Ski 2001 gibt ihnen Recht. Diese Veranstalter bieten Touren in
die Skianlagen Whistler und Sun Peaks in British Columbia an der
Westküste Kanadas an, und man kann bei ihnen auch
Heli-Skiing buchen. Statt an Lifts an den Pisten Schlange zu
stehen, fliegen die Teilnehmer dieser Reisen mit dem Hubschrauber
zu den einzelnen Gipfel, und das mehre Male am Tag.
Für die Indianer, die in diesen Teilen British Columbias
leben, die Secwepemc, Niak'-pamux, Okanagan, St'at'imc und
Southern Carrier, ist dies allerdings kein Anlass zur Freude,
denn riesige Ferienanlagen wie Sun Peaks und Whistler werden in
ihre Territorien gebaut und die Helikopter donnern über ihre
Täler und Gipfel hinweg, in denen sie bislang gefischt und
gejagt haben. Eigentlich dürften die Gebiete, auf denen
jetzt Ski-Anlagen gebaut werden, ohne Einwilligung der Indianer,
die zu den 48 sogenannten "First Nations" Kanadas gehören,
gar nicht genutzt werden. Die First Nations betrachten sich als
die einzigen rechtmäßigen Eigentümer ihrer
Territorien. Das wurde ihnen auch von der britischen Krone
bestätigt und vom Obersten Gerichtshof wurde ihnen in der
Delgamuukv-Entscheidung das Land als "Aboriginal Title", als ein
spezieller Rechtstitel für Ureinwohner, anerkannt.
Doch der Bundesregierung und der Provinzregierung geht das
Delgamuukv-Urteil viel zu weit; sie betrachten das Land als
Staatseigentum und vergeben Einschlaglizenzen und die Erlaubnis
zur Landerschließung, ohne die Indianer in diese Planungen
mit einzubeziehen. 22 Millionen Touristen kommen zum Ski-Fahren,
Snowboarden oder Schneemobil-Fahren nach British-Columbia, und
sie bringen der Wirtschaft 9,2 Milliarden kanadische Dollar. Doch
die Betreibergesellschaften wollen noch weiter expandieren und
kündigten neue Investitionen für Erweiterungen an, um
sich für die Olympischen Winterspiele 2010 zu bewerben.
Zuletzt hat die Provinzregierung von British Columbia die Cayoosh
Creek-Skianlage bewilligt, die in das letzte noch unberührte
Tal der St'at'imc Nation gebaut werden soll.
Die Ältesten der Secwepemc konnten die Folgen der
Wintersportanlage Sun Peaks in der Nähe von Kamloops
nachweisen; Der Grundwasserspiegel sank, und zahlreiche Pflanzen
und Tiere verschwanden, andere Tiere wurden aus ihren Gebieten
vertrieben und sind so vom Aussterben bedroht, die Flüsse
wurden trüb, so dass der Lachs dort nicht mehr laichen kann.
Für die Umwelt in Kanada hat der Bau von Ski-Anlagen noch
massivere Auswirkungen als in den Alpen. Denn im Gegensatz zu
British Columbia waren die Alpen-Täler vor dem
Wintersport-Boom bereits erschlossen und die Hänge teilweise
kahlgeschlagen. In Kanada werden Skianlagen vor allem in
unberührte Täler gebaut und diese werden so zum ersten
Mal in westlichem Sinne bewohnt. Diese Täler waren bislang
Zufluchtsort für bedrohte Tierarten, wie zum Beispiel den
Grizzly-Bären, und wurden von den Indianern traditionell
genutzt.
Als Protest gegen die Ausweitung des Wintersports haben die
Secwepemc und die St'at'imc Lager aufgebaut. In diesen Camps
protestieren die Ureinwohner nicht nur gegen die Skianlagen,
sondern machen auch auf die Alternative des Ökotourismus
aufmerksam. Die Betreiber der Ski-Anlagen und auch die
Landesregierung versuchen die Proteste zu stoppen, um keine
wirtschaftlichen Einbußen zu erleiden. Doch da die Indianer
weiterhin protestieren, versucht die Landesregierung nun, durch
die Polizei die Camps zu räumen.
International haben diese Proteste Aufmerksamkeit erregt. Chief
Arthur Manuel, Vorsitzender der Secwepemc-Nation und der Interior
Alliance, besuchte auf einer von der österreichischen
Sektion der GfbV organisierten Europareise eine Vielzahl von
Parlamentariern aus verschiedenen Ländern sowie
Unterstützer- und Umweltschutzorganisationen. Arthur
führte auch Gespräche in Südtirol mit
Landespolitikern und Umweltschützern. Unter
Federführung der GfbV Österreich hat die GfbV
International im Frühjahr 2001 eine Kampagne gestartet. Die
Kampagne wendet sich gegen die Missachtung des Delgamuukv-Urteil
durch die Regierungen von Kanada und von British Columbia und
appelliert an das Internationale Olympische Komitee, die
Winterspiele 2010 nicht in British Columbia stattfinden zu
lassen, so lange die Rechte der Indianer dort nicht gewahrt
werden.
Eva Hameister (GfbV-Deutschland). Aus pogrom-zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 209/2001).
Seit Mitte der 50er Jahre ist der Norden Russlands einer
brutalen Industrialisierung ausgesetzt. Bis Mitte der 80er Jahre
wurde die Region regelrecht unterworfen. Anreiz dafür war
ihr Rohstoffreichtum an Holz, Gold, Kohle, Erzen, Erdöl,
Erdgas und anderen Naturschätzen. Seit Mitte der 50er Jahre
wurden hochwertige Waldbestände, die Jagd- und
Fischfanggebiete der indigenen Völker des Nordens, in
großem Umfang abgeholzt. Dabei kamen gigantische Maschinen
zum Einsatz, durch deren mechanisch und ökologisch unsinnige
Arbeitsweise vielfach bis zu 40% des Holzes liegen blieb und
verrottete. Den sibirischen Wäldern wurden enorme
Schäden zugefügt.
So wurden 21% der Wälder des Magadan Oblast, 34% des
Primorski Krai, 34% des Khabarovskiy Krai, 39% der Wälder
Sachalins und 42% des Amur Oblast zerstört. Mit dem Wald
verschwand auch ein Großteil der Pelztiere. An diesem
Raubbau waren auch ausländische Konzerne beteiligt. Die
Erdöl- und Erdgasförderung begann Mitte der 60er Jahre.
Die größten Vorkommen, Surgut und Samotlor, befinden
sich in dem Land der Chanten. Von dem Reichtum, der aus ihrem
Gebiet abgepumpt wurde, erhielten sie nichts. Ein gutes Beispiel
für den "Öl-Krieg" im Norden ist die Geschichte der
Yamal-Halbinsel. Nachdem dort große Erdöl- und
Erdgasvorkommen entdeckt wurden, beschloss man, rasch mit deren
Ausbeutung zu beginnen obwohl dies nach Expertenmeinung nicht
rentabel war.
Der Moskauer Ethno-Soziologe A. Pika, der Ende der 70er Jahre
bei den Chanten am Pyaku-ot-See arbeitete, schildert, wie es dort
10 Jahre später aussah: "Der Ort war kaum wiederzuerkennen.
Wo einst unberührtes Land gewesen war, war eine Stadt
entstanden. Und dazwischen: geschwärzte Flecken verbrannter
Wälder, öde Abschnitte einer von Menschen gemachten
Wüste, Öllachen um die Bohrstellen herum, Gasflammen,
der Rauch von Waldbränden. Man erhält den Eindruck,
daß der Mensch der Natur den Krieg erklärt hat." Die
indigene Bevölkerung konnte nur hilflos zuschauen, wie ihr
Land, ihre Lebensweise, ihre Zukunft zerstört wurden. Erst
nach 1985, mit dem Beginn der Perestroika, begann sich dies
allmählich zu ändern.
1989 meinte der Direktor der "Behörde für die
Förderung von Gas und Öl der Arktis"
(Arktikneftegazstroy) gegenüber einem Journalisten: "Wir
müssen ohnehin nach Yamal. Das Gas muß wie geplant bis
1991 lieferbar sein. Niemand kann die vereinbarten Termine
ändern, auch wir nicht. Wir hören viel unnützes
Geschwätz, sinnlose Entrüstung und dummes Geschrei
darüber, daß man wenigstens einen Teil des
Yamal-Landes "bewahren" solle. Dabei ist es noch gar kein Land,
es besteht zu 60% aus Eis." Die Wirtschaftlichkeit eines Projekts
war zweitrangig. In den 70er und 80er Jahren war es üblich,
Angehörige indigener Völker zu verfolgen und zu
bestrafen, wenn sie vor Gericht Hilfe gegen die Willkür der
lokalen Niederlassungen sowjetischer Staatsunternehmen suchten.
Damals waren Gerichte, Polizei, KGB, Verwaltungen und Presse
durch ein stillschweigendes Übereinkommen und ihre
Parteimitgliedschaft miteinander verwoben und jederzeit bereit,
die ganze Gewalt des Staates über jeden "Unruhestifter"
hereinbrechen zu lassen, der es wagte, ihr Recht auf Rechtsbruch
infragezustellen.
Die Betroffenen reagieren darauf mit Verbitterung. Ein Evenke
schrieb an die Zeitschrift Servernye Prostory:
"Unsere Rentierzucht wird immer stärker eingeschränkt,
weil sie angeblich unwirtschaftlich ist. Wir haben unsere Sprache
vergessen, unsere Traditionen, unsere Kultur, unsere Künste.
Im örtlichen Exekutivkomitee gibt es keine Indigenen. Alle
Macht liegt bei den Fremden, und die interessieren sich nicht
für unsere Probleme oder für den Umweltschutz. Am
Adycha-Fluß wird jetzt ein Wasserkraftwerk gebaut - das
bedeutet den Tod der Natur und unseren Tod. Drei Millionen
Kubikmeter Holz werden im Wasser verschwinden, viele Dörfer
abgerissen werden. Ich fragte Herrn Zoteyev, als er
stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats der Russischen
Föderation war, warum er unsere Interessen so vollkommen
ignoriert. Er sagte ohne Zögern: Die Interessen des Staates
stehen an erster Stelle, diejenigen der Menschen haben sich
unterzuordnen."
Nikolai Vakthin, Institut für Linguistik der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Aus: pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 180/1995).
Die Tarahumara oder Rarámuri leben im Nordwesten
Mexikos in der Sierra Madre Occidental, auch "Sierra Tarahumara"
genannt. Obwohl es ihnen über vier Jahrhunderte hinweg
gelungen ist, ihre Kultur im Kern zu bewahren, ist ihre
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Existenzgrundlage heute
akut bedroht. Die offene Landrechtsfrage, der Raubbau an den
Wäldern und der Terror der Drogenmafia drohen zu einem
Ökozid auszuwachsen. Für die Rechte der Indigenen in
der Sierra Tarahumara setzt sich der Consejo Asesor Sierra Madre
A.C. (CASMAC) ein. In der Sierra Madre stehen sich - nach den
letzten Volkszählungen - etwa 250 000 bis 300 000 Mestizen
und etwa 100 000 Angehörige indigener Völker -
Tarahumara, Tepehuanes, Pimas Bajos Serranos und Guarijios -
gegenüber. Mit 70.000 bis 80.0000 Menschen bilden die
Tarahumara die größte indigene Ethnie.
Große Teile ihres Siedlungsgebiets wurden im Zuge der
Mexikanischen Revolution zum "Nationalbesitz" erklärt und -
als ejidos forestales - von der Regierung den Anrainern zur
Nutzung überlassen. Die "ejidatarios" sind im Besitz eines
unveräußerlichen Landtitels und betreiben gemeinsam
ein Unternehmen, z.B. ein Sägewerk, in dem das in den
Wäldern des ejido geschlagene Holz verarbeitet wird. In den
ejido-Verwaltungen dominieren häufig mestizische Kaziken.
Die Interessen der Tarahumara bleiben meist
unberücksichtigt, selbst da, wo sie die große Mehrheit
der ejidatarios stellen. Sie profitieren daher kaum von der
Holzwirtschaft. Auch die Arbeitsplätze in der
Holzverarbeitung bleiben den Tarahumara zumeist
verschlossen.
Auf der anderen Seite treffen die ökologischen Folgen die
Indigenen mit voller Härte. Die Urwälder der Sierra
Tarahumara - das Ökosystem mit der größten
Artenvielfalt in Nordamerika - werden, wenn der Kahlschlag in
demselben Tempo weitergeht, binnen weniger Jahre vernichtet sein.
Hunderte von Pflanzenarten, die als Heil- und Nutzpflanzen in der
Kultur der Tarahumara eine Rolle spielen, sind vom Aussterben
bedroht. Noch schwerer wiegt, daß die Bodenerosion
verheerende Ausmaße annimmt. Große Teile des
landwirtschaftlich nutzbaren Bodens sind schon verlorengegangen.
Hinzu kommt eine anhaltende Dürre, die durch die Vernichtung
der Wälder mit bedingt ist, so dass die landwirtschaftlichen
Erträge drastisch zurückgegangen sind.
1994 gab es in der Sierra die ersten Hungertoten. Ein weiteres
ökologisches Problem ist die Wasserverschmutzung. Die
Abwässer der Papiermühlen werden ungeklärt in die
Flüsse und Seen der Sierra Tarahumara geleitet. Der Lago
Busrillos, einer der größten Seen in Chihuahua, ist
bereits biologisch tot. Die Verunreinigungen lösen bei den
Menschen, die auf das Wasser angewiesen sind, Krankheiten aus und
haben eine erhöhte Kindersterblichkeit zur Folge. Anfang
1993 begannen zwei forstwirtschaftliche Unternehmen, in den
Wäldern dieser Gemeinde illegal Holz zu schlagen. Die
Weltbank stellte - trotz ihrer erklärten Politik, keine
Projekte zu unterstützen, die zur Zerstörung von
Urwäldern beitragen - einen Kredit zum Bau einer
Straße nach Coloradas de la Virgen zur Verfügung. Seit
1991 sind mindestens 35 Tarahumara, die ihr Land gegen die
Invasion der Holzindustrie verteidigten, von Killerkommandos
getötet worden.
Die Bildung der nordamerikanischen Freihandelszone durch das
North American Free Trade Agreement (NAFTA) im Jahre 1993 hat zu
einem Investitionsboom der US-amerikanischen und kanadischen
Holzindustrie im Norden Mexikos geführt. Entgegen allen
Absichtserklärungen und Einzelbestimmungen der NAFTA zum
Schutz der Umwelt und trotz der in den letzten Jahren
verstärkten Anstrengungen Mexikos im Bereich des
Umweltschutzes führt die neue Freihandelszone zu einer
deutlichen Zunahme der Umweltschäden. Außerdem
zerstört sie die einheimische Holzindustrie. Der Konkurrenz
der neuen Holzfabriken sind die veralteten Sägemühlen
der ejidos nämlich nicht gewachsen. Zunehmend
schließen ejidos Konzessionsverträge mit
Privatunternehmen ab oder verkaufen ihr Holz unter Preis an die
Papiermühlen multinationaler Firmen.
Die Versuchung wächst, ejido-eigene Waldflächen an die
Holzkonzerne zu verkaufen. Denn mit der Verfassungsänderung
von 1992 hat die Regierung die legale Möglichkeit zur
Privatisierung von ejido-Land geschaffen, um den ländlichen
Raum für in- und ausländisches Kapital zu öffnen.
Schon haben kanadische Firmen ihr Interesse an ejido-eigenen
Waldflächen in der Sierra Tarahumara signalisiert. Damit ist
der Ausverkauf der indigenen Territorien vorprogrammiert. Dabei
mischen die mexikanischen Drogenkartelle kräftig mit. Mexiko
ist selbst ein bedeutendes Anbaugebiet von Cannabis und
Schlafmohn und zugleich Durchgangsstation für Kokain
südamerikanischer Herkunft. An der Nordgrenze sind die
"narcotraficantes" oder "narcos" eine Macht. Hier verfügen
sie über ausgedehnte Ländereien, die ihnen als
Schmuggelbasis dienen, und kontrollieren weite Landstriche.
Deshalb wird das tägliche Leben der Tarahumara selbst in
entlegenen Gemeinden von Auseinandersetzungen mit der Drogenmafia
überschattet.
Viele Indigene werden durch massive Drohungen gezwungen, auf
ihrem Land Drogen anzupflanzen. Ihnen droht Gefängnis, wenn
die Behörden sie der Komplizenschaft mit den
Drogenhändlern beschuldigen, Folter und Mord, wenn sie es
wagen, sich den narcos zu widersetzen. So bleibt ihnen oft keine
Wahl: Da Justiz und Polizei sie nicht schützen können,
geben sie dem Terror der Drogenmafia nach. Der Zangengriff der
Drogenmafia und der internationalen Holzindustrie droht, die
Existenzgrundlagen der Tarahumara zu zerstören.
Ellen Schriek und Hans-Walter Schmuhl (Verein zur Unterstützung der indigenen Völker in der Sierra Tarahumara). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).