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Indigene Völker und Klimawandel

Die Folgen hier und anderswo

Von Wolfgang Mayr

Bozen, September 2006

Inhalt

Der Himmel wartet nicht

Klimaänderungen und Naturkatastrophen

Was tun?

"Rettet die Haut der Erde"

Hilfe zur Selbsthilfe: Beispiele im Amazonas Dschungel

Indigene Völker und Klimawandel

Der Himmel wartet nicht

Der Norden hat sein Erbe schon verludert [ top ]

Zehn Tage lang wird in Rio de Janeiro in Brasilien versucht, die Erde vor der Umweltkatastrophe zu retten. Die größte Konferenz in der Geschichte der Menschheit geht über die Bühne. Worum geht es? Was könnte dabei herausschauen? Wie reden arm und reich miteinander um? In der ersten Junihälfte 1992 findet in Rio de Janeiro die Weltkonferenz der Vereinten Nationen über "Umwelt und Entwicklung" statt - auch Gipfelkonferenz der Erde" (Cüpula da Terra - Earth Summit) genannt. Es sollen weltweit die Abmachungen getroffen bzw. unterzeichnet werden, die zum Überleben der Biosphäre unerlässlich sind.

Dabei dachte man anfangs an verbindliche Verpflichtungen bezüglich Bodenschutz, naturverträglicher Landwirtschaft, Schutz der Gewässer und des Lebens im Wasser (Binnengewässer und Ozeane), Schutz des Klimas und der Atmosphäre (inbegriffen Ozonschicht), Artenschutz, Tropenwälder und Baumbestand der Erde - doch schon bald musste man angesichts der weit auseinanderklaffenden Forderungen und Ausrichtungen der verschiedenen Regierungen um einiges zurückstecken. So werden nun nur mehr bescheidenere Schlussdokumente erwartet, in denen vor allem genaue Daten, Summen und Sanktionen fehlen werden. Zum Schutz der Artenvielfalt und zur Eindämmung der Klimakatastrophe durch Erwärmung der Erdatmosphäre wird es Abkommen geben, und zumindest eine recht allgemeine Absprache über die Tropenwälder (wo die Interessen der exportgierigen Firmen und Regierungen mit den Bedürfnissen des Naturschutzes frontal zusammenstoßen).

Anstelle der groß angekündigten "Charta der Erde" wird es eine ebenfalls bescheidenere "Erklärung von Rio" geben, und das Kleingedruckte soll dann in der "Agenda 21" - einer Wäscheliste von Verpflichtungen für das 21. Jahrhundert - abgehakt werden. Den Industrieländern der OECD (praktisch allen Staaten des "Westens", mit USA, EG und Japan an der Spitze) steht dabei als wichtigster Verhandlungspartner die Staatengruppe G-77 gegenüber, die heute nicht mehr 77, sondern über 140 Länder aus den armen Regionen der Welt umfasst. Die rund 150 Regierungsdelegationen werden recht verschiedenes Format und Gewicht haben, doch seit US-Präsident Bush auf Druck der umweltsensiblen öffentlichen Meinung seines Landes (er hatte dazu Millionen von Postkarten erhalten!) doch noch beschlossen hat, in Rio mit dabeizusein, dürfte wohl alles kommen, was Rang und Namen hat.

Über 100.000 Teilnehmer sind in Rio versammelt. Und der Überblick ist da nicht leicht: von den eingeborenen Völkern aus Süd- und Nordamerika, Asien, Afrika, Ozeanien, Skandinavien und der ehemaligen Sowjetunion, die ein "Parlament der Erde" einberufen haben, zum "Global Forum" der verschiedenen Freiwilligen-Organisationen, vom weltweiten Treffen der Grünen bis zu einem internationa|en Parlamentarier-Meeting wird sich eine unübersehbare Anzahl von parallelen Kongressen, Tagungen, Werkstattgruppen, Foren und Rundtischgesprächen abwickeln.

Auch die Industrie- und Geschäftswelt fehlt nicht: Da die Umweltverderber aus der wachstumsbesessenen Wegwerfwirtschaft auf der Anklagebank sitzen, hat sich flugs ein "Business CounciI for Sustainable Development" gebildet, das um den Schweizer Milliardär Stephan Schmidheiny 50 prominente Unternehmer und neugebackene "Umweltschützer" von Weltformat versammelt. Ihre Devise heißt: Umweltschonung und -reparatur ist das Geschäft des nächsten Jahrhunderts, also kann man ruhig einiges investieren. "Nachhaltige Entwicklung", dieses neue Zauberwort, wird von den Business-Leuten so interpretiert: Die Umwelt hat einen Preis, den kann und soll man in die ökonomische Kalkulation einbeziehen (aber über Öko-Steuern sind sie nicht entzückt), und wer verschmutzt, muß eben zahlen - auf dieser Grundlage möge der freie Markt gedeihen und auch die Umweltsanierung zustande bringen und Lust auf Öko-Technologien wecken.

Duell Nord-Süd, Ökonomie-Ökologie
Die "Cúpula da Terra" ist tatsächlich eine Uraufführung. Noch nie hat es eine derart brisante Weltkonferenz gegeben, bei der nicht um Grenzziehungen, Throne, Militärpakte und politische Einflussbereiche verhandelt wurde, sondern über das gemeinsame Erbe aller Lebewesen des Planeten. Und da fällt etwas Neues auf: hier merkt man wirklich, dass die Ost-West- Konfrontation vorbei ist und nun der Gegensatz zwischen Nord und Süd das Weltgeschehen prägt.

Im Grunde ist Rio das Duell zwischen Ökologie und Ökonomie, zwischen Armen und Reichen, zwischen Land und Stadt, zwischen einfachen Lebensformen und hochindustrialisierter Welt, zwischen langfristigem und kurzfristigem Wohlergehen, vielleicht auch eine Gipfelkonferenz zwischen der zukünftigen und der gegenwärtigen Generation. Die Gewichte sind ungleich verteilt, aber diesmal hat die schwächere Seite mehr aufzuweisen als jemals zuvor: der "Süden" weiß, dass er zwar militärisch, politisch, finanziell und technologisch schwach ist, doch hat er die wichtigsten Naturschätze, den weitaus größten Bevölkerungsanteil und eine vergleichsweise nur bescheidene Schuld an der Umweltzerstörung.

Der "Norden" hingegen verfügt zwar über Waffen, Banken, Industrie, Wissenschaft und Technik, hat aber sein irdisches Erbteil schon zum allergrößten Teil verludert. "Wo sind denn eure Wälder und Naturschutzgebiete?" fragen nicht ohne Berechtigung die wenig demokratischen Herren von Malaysia, denen man rücksichtslose Abholzung nun verbieten oder einschränken will. "Solange ein Amerikaner die Umwelt mehr verschmutzt als 30 Inder, und er mehr verdient als 8 Inder, kann man vom Süden eigentlich keine Rücksicht auf die Argumente der amerikanischen Greenpeace-Leute verlangen", meinen viele, auch engagierte Vertreter aus dem Süden.

Und es stimmt: es brauchten nur China, Brasilien und Indien etwa so leben wie Frankreich oder Italien (mit Autos, Wegwerfverpackungen, Chemikalien und Industrieausstoß), und die Luftverschmutzung würde sich verdoppeln. Der Rhythmus der Zerstörung ist so schnell geworden, wie er es noch nie war: von den noch erhaltenen etwa 10 Millionen lebenden Tier- und Pflanzenarten (deren gute Hälfte in den tropischen Regenwäldern lebt), werden in 20 Jahren ein Zehntel verschwinden - wenn es "gut geht", sonst verschwinden nämlich ein Fünftel!

Der "Süden" - ein allzu undifferenzierter Begriff, in dem reiche Eliten und Milliarden hungernder und entrechteter Menschen Platz haben - verhandelt diesmal noch sehr manierlich und eigentlich sanft er fordert vom industrialisierten Norden, dass Rücksicht auf Natur und sanftere Nutzung der Ressourcen finanziell abgegolten werden. Weniger Abholzung, dafür Beteiligung an den Einkünften aus pharmazeutischen und sonstigen Gewinnen, die letztlich auf erfolgreichen Schutz der Artenvielfalt zurückzuführen sind. Und endlich gerechtere Preise für die Naturschätze, die in Form von unterbezahlten Rohstoffen an die ausländische Industrie exportiert werden!

Dabei könnte sich der Süden eigentlich wie ein Geiselnehmer verhalten und sich aufs Drohen verlegen! Denn wer Jahr für Jahr die Fischfanggründe geplündert und kostbare Ernten um Spottpreise abgekauft sieht, wird sich schwer entschließen können, internationale Abkommen zum Schutz der Meereswelt oder gegen Versteppung zu unterzeichnen - sondern eher nach industriellem Fischfang und chemischen Düngemitteln auch fürs eigene Land rufen. Ob dann das große "Korallenriff-Sterben" beginnt, das die Fachleute nun nach dem Wald- und Artensterben angekündigt haben, dürfte vielen hungernden Menschen gleichgültig bleiben.

Die großen Industrienationen sind nicht bereit, für ihre Überbeanspruchung der Umwelt Entschädigungen zu zahlen - die schon fast beschlossene C02-Steuer der EG wurde wieder abgesagt, die Gatt-Verhandlungen um die Weltmarktpreise bringen den armen Ländern nichts, und die versprochenen Öko-Ausgleichszahlungen halten sich lächerlich niedrig: 500 Milliarden Dollar pro Jahr wären für wirksame Umweltreparatur in der Dritten Welt nötig (rund ein Drittel des jährlichen Rüstungshaushalts weltweit), nur wenig mehr als l Milliarde soll das Gründungskapital eines neuen - und immer noch von der Weltbank mitverwalteten - internationalen grünen Umweltfonds (GEF) ausmachen.

Aber es ist nicht nur und vielleicht nicht in erster Linie eine Geldfrage: denn wenn der Norden sein Wirtschaftswachstum noch beschleunigt, um neben dem bisherigen Konsumstandard womöglich auch eine Umweltabgabe an den Süden zu finanzieren, wäre damit der Schaden sogar größer: das Karussell der Verwandlung der Natur in Geld würde sich nur noch schneller drehen. Doch wenn in Rio das zutrifft, was ein US-amerikanischer Verhandlungsführer von sich gab, als er sagte "American life-style is not up for negotiations" (über den amerikanischen Lebensstil gibt's nichts zu verhandeln), und was mit einigen Variationen auch für mindestens 30 weitere Länder zu sagen wäre - worüber soll dann dieses "Earth summit" verhandeln?

Die grüne Religion von Rio: Was wird der Umweltgipfel bringen? [ top ]

Was bleibt vom größten Umwelt-Spektakel der Geschichte? Den armen Ländern ein schlechtes Gewissen, den Industriestaaten die Rolle einer grünen Weltpolizei, den Eingeborenenstämmen fünf Minuten Redezeit. Trotzdem - ein kleines Stück Wiedergutmachung hat in Rio begonnen. Fast müsste man als Grüner zu bocken beginnen. Die obersten Zehntausend haben der ganzen Welt mit großem Pomp und Trara den Umweltschutz zur Staatsräson erklärt und einen weltweiten Kreuzzug zur Sanierung der maroden Natur ausgerufen.

Denn an Taten und konkreten Verpflichtungen haben sie es weitgehend mangeln lassen, und selbst um das lumpige Kleingeld zur Finanzierung längst übernommener Zusagen (beispielsweise 0,70% des Einkommens der Reichen als Ausgleich an die Armen) wird unsäglich gefeilscht, und am Schluß ist nicht einmal das Jahr 2000 als Zahltag akzeptiert. Über Atomkraft und Atommüll, Schutz der Ozeane und der Bergwildnis, der Antarktis und des landwirtschaftlichen Bodens durfte gar nicht erst geredet und verhandelt werden.

RIO - GRÜN ALS STAATSRÄSON
Und was ganz besonders auffällt: die Industriestaaten, die bisher die Natur weitaus am meisten ausgebeutet, verschmutzt und geplündert haben, wollen nun grüne Weltpolizei gegenüber der unterentwickelten Dritten Welt spielen: "Ihr müsst weniger Kinder gebären, weniger Bäume abholzen und weniger Geld für unrentable soziale Ausgaben verschwenden, sonst wird es euch und der Umwelt nie besser gehen...". Nachdruck verleiht man solchen Mahnungen durch Weltbank und Internationalen Währungsfonds: zwei bedenkliche Folterschrauben, die man fast nach Belieben anziehen oder lockern kann, je nachdem, ob man Regierungen im Süden der Welt helfen oder sie in die Enge treiben will.

Die USA, größte Umweltverschmutzer und -Verbraucher der Erde, haben sich vom Geist von Rio nicht soweit anstecken lassen, dass sie in den neuen allgemeinen grünen Weltkonsens eingemündet wären: im Wahljahr (1992) zog es Präsident Bush vor, die kurzfristigen nationalen Interessen und Arbeitsplätze der Nordamerikaner und ihrer Firmen bis aufs letzte zu verteidigen, so dass auch der US-Umweltschutz noch zum Druckmittel gegenüber dem Rest der Welt wird: einerseits Produktnormen, die manchem die Einfuhr in die USA erschweren, weil die Erzeugnisse nicht umweltfreundlich genug sind, andererseits die strikte Ablehnung, für übermäßigen Energieverbrauch und freien Zugang zur Artenvielfalt der Tropenländer irgendeine Ausgleichszahlung an die Ärmeren zu leisten.

NACH-RIO-ÄRA
So beginnt nun die "Ära-nach-Rio": der 1. und der 2. Weltkrieg wurden mit Friedensverträgen beendet, die eine Neuordnung der politischen Landkarte mit sich brachten; der kalte Krieg und die Entkolonialisierung hätte mit einem neuen, weltweiten ökologischen Friedens- und Kooperationsvertrag enden können, doch wurde diese Chance weitgehend verspielt. Nur die Notwendigkeit wurde erkannt und proklamiert; sie durchzusetzen, hat man den kommenden Jahrzehnten überlassen - wenn nur so viel Zeit bleibt.

Mit der Uno-Umweltkonferenz wird weltweit eine neue Ideologie, ja, fast Religion lanciert. Die Schlüsselworte heißen "nachhaltig" und "global". Nach fast einem halben Jahrhundert Wachstums-Anbetung - als "development" (Entwicklung) 1949 vom US-Präsidenten feierlich zum Ziel der Menschheit erklärt - ist die Umweltgefährdung so akut geworden, daß auch die Staaten nach Abhilfe suchen. "Sustainable", nachhaltig, erträglich, sollen die Entwicklung und das Wachstum nun sein: also nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt. Und alles muß global sein, niemand darf sich mehr Kirchtumdenken leisten, weil die ganze Erde so eng zusammengewachsen ist.

Zauberworte haben's in sich: sie lassen sich auch flugs zur bequemen Beschwörungsformel verbiegen. Wer die manchmal geradezu widerliche Gschaftlhuberei der verschiedenen (amtlichen und auch teilweise alternativen) "global managements" in Rio gesehen hat, wo Globalfunktionäre das Wohlergehen der Menschheit, des Planeten, der Artenvielfalt und der Naturvölker erforschen, planen, verwalten und vertreten, mußte auch hier mißtrauisch und bockig werden - vielleicht ist der Kirchturm, wo man zumindest die Übersicht nicht verliert und weiß, auf wen man sich verlassen kann und auf wen nicht, gar nicht so von der Hand zu weisen.

Zwei Tage sind in Rio der Diskussion über ein internationales Umweltgericht gewidmet. Unter dem Vorsitz des italienischen Kassationsrichters Amedeo Postiglione wird von Juristen aus zehn Ländern der Gedanke diskutiert, bei der Uno ein Umweltgericht einzusetzen, das grenzüberschreitende Streitigkeiten und Verletzungen in Sachen Umwelt schlichten, richten und ahnden soll. Etwa so wie der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg auf Initiative von Bürgern auch Staaten unrecht geben kann... Die Idee fällt auf fruchtbaren Boden, entsprechende Komitees gibt es schon in mehreren Ländern, aber die Staaten wollen von so viel Souveränitätsabtretung nichts wissen. Unterzeichnet wurden von den Staats- und Regierungschefs nur sehr wenige Verpflichtungen: Konventionen, die nun von den Unterzeichnerstaaten erst ratifiziert werden müssen, schauten schließlich nur zwei heraus: eine über den Schutz des Klimas, die zweite über Artenvielfalt.

Doch stehen in beiden nur sehr allgemeine Grundsätze:
- daß die Erwärmung der Erdatmosphäre durch CO; und die Schädigung der Ozonschicht durch Treibhausgase durch Herabsetzung der Emissionen und gerechtere Verteilung zu bekämpfen sei (aber keine verbindliche Energiesteuer und kein noch so bescheidener bindender Maßstab - etwa: bis zum Jahr 2000 unter die Marke von 1990 zurückzugehen - wurde festgeschrieben)
- und daß die Erhaltung der Artenvielfalt, die vor allem eine Frage der tropischen und subtropischen Umwelt ist, den betreffenden Ländern durch Teilnahme an den Einkünften durch Nutzung genetischer Ressourcen abgegolten werden muß. Gerade die Artenvielfalt, die vielzitierte Biodiversität, hat sich als Stolperstein der Konferenz von Rio erwiesen.

USA - UMWELTPOLITIK ALS NEUES VIETNAM?
Präsident Bush hatte trotz gegenteiligen Ratschlags seines Verhandlungsführers William Reilly (Chef der angesehenen US-Umweltagentur) die Weigerung der USA angekündigt, diese Konvention zu unterzeichnen, und war trotz aller Versuch der Engländer, Deutschen, Kanadier, Japaner und EG-Mission bei seiner Ablehnung geblieben. Mit anderen Worten: die US-Industrien wollen nicht nur weiterhin die Möglichkeit des freien Zuganges zu den genetischen Schätzen der Natur (tierische und pflanzliche Artenvielfalt garantiert die schier unerschöpflichen Kombinationen lebendiger Materie auch im Labor), die sie dann in ihre Samenbanken und Bio-Patente verwandeln, sondern lehnen es sogar ab, dafür jene minimalen (und im Ausmaß noch gar nicht festgesetzten) Tantiemen an jene Länder zu zahlen, die als Hüter der Biodiversität eine weltweite Verantwortung übernehmen.

Die Biotechnologie zeichnet sich als die Industrie der Zukunft ab (sie wird einen ähnlichen Schub verursachen, wie das im letzten Jahrzehnt die Elektronik tat), die USA haben heute einen Umsatz von 2 Milliarden Dollar, der in wenigen Jahren auf 50 Mrd. wachsen wird, und denken nicht im mindesten daran, die eigentlichen Eigentümer - wie etwa die Erdöl-Scheichs im Falle des Mineralöls - irgendwie daran mitzubeteiligen. Im Gegenteil - Leben und lebendige Materie sollen künftig patentiert werden, so daß nicht mehr der Urwald, sondern das Labor die Schatzkammer der Biologie ist und den armen Ländern ein weiterer Reichtum abgeknöpft sein wird.

Doch seit dem Vietnamkrieg hat es nie eine so große internationale Isolierung der USA gegeben wie dank der verweigerten Unterzeichnung der Konvention über Artenvielfalt, und auch in der USA ist es noch mitnichten garantiert, daß die Bürger sich vom Gerede über Arbeitsplätze in der Bio-lndustrie abspeisen und als Volk auf die internationale Umweltsünderbank drängen lassen wollen.

DIE EINGEBORENEN
Hatte die Uno vielleicht gedacht, für 1993 bloß symbolisch ein "Jahr der eingeborenen Völker" auszurufen, ist sie nun mit zahlreichen Forderungen konfrontiert, die von der Rückgabe ihrer Ländereien und heiligen Schriften und Gegenstände bis zum Verlangen nach Anerkennung ihrer Sprachen, Kulturen, Weisheit, Heilkunst, Erziehung und Religionen reichen. Von Tag zu Tag war ihre Anwesenheit in Rio unübersehbarer und der Widerspruch, den sie in dieses Großereignis brachten, unleugbarer: die einzigen Völker, die noch pfleglich mit der Natur umzugehen wissen, waren aus diesem Weltgipfel drastisch ausgesperrt.

Da muß man sich ein vergleichsweise kleines, aber konkretes Ergebnis der großen Unced-Konferenz loben. Die "Campagna Nord-Sud" Italiens konnte den großen halbstaatlichen ENI-Konzern überzeugen, rund 200 Quadratkilometer großteils noch nicht gerodeten Urwaldes im Mato-Grosso-Gebiet (der eigentlich für Viehzucht angekauft worden war), an die Xavantes-lndianer zurückzugeben, die vor 20 Jahren von dort vertrieben worden waren, um der Fazenda Suia Missü der Agip-Petroli Platz zu machen. ENI-Präsident Gabriele Cagliari ließ sich persönlich herbei, mit den Xavantes-Führern Aniceto und Damiao und den Vertretern der italienischen Nord-Süd-Kampagne diese Rückgabe in Rio feierlich anzukündigen - was natürlich für den italienischen Chemie-Riesen ein erheblicher Image-Gewinn ist. Trotzdem - wenigstens ein kleines Stück Wiedergutmachung hat in Rio begonnen.

Alexander Langer (grüner Europaparlamentarier), aus FF-Südtiroler Wochenmagazin (Nr. 23/92 - 25/92).

Das Manifest von Bozen des internationalen Klimabündnisses [ top ]

Auf seiner 10. Jahresversammlung in Bozen zog das internationale Klimabündnis eine kritische Bilanz. Trotz der international postulierten Klimapolitik ist für das Klimabündnis der internationale Prozeß hinter den Erwartungen zurückgeblieben, analysierte das Bündnis. Die EU konnte sich nicht auf eine ökologisch orientierte Energiesteuer einigen, der zum Kernpunkt der EU-Klimaschutzpolitik werden sollte. Ähnliches gilt auch für die indigenen Völker - immerhin anerkennt die Agenda 21 die indigenen Völker als zentrale Akteure, die UNO proklamierte die Dekade der indigenen Völker; zahlreiche Staaten haben die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker ratifiziert; die EU ließ ein Strategiepapier zur Entwicklungszusammenarbeit mit den indigenen Völker ausarbeiten. Vieles davon ist aber wirkungslos geblieben - Bergbau-Unternehmen und Erdöl-Konzerne bedrohen weiterhin mit ihren Energieprojekten Land und Leben der indigenen Völker.

Auch die oft verkündete nachhaltige Nutzung der Regenwälder ist nur eine mediengerechte ökologische Rhetorik geblieben - weiterhin überwiegen Raubbau, illegaler Holzeinschlag und Brände, die den Bestand der Wälder ernsthaft gefährden. Auf der Versammlung kamen deshalb die Akteure des internationalen Klimabündnisses zum Schluß, das Gründungs-Manifest zu ergänzen. Es wurden in der "Erklärung von Bozen" neue klima- und ozongefährdende Gase und Stoffe angeführt sowie neue Handlungsfelder neben Verkehr und Energie wie energiesparendes Wohnen und Bauern aufgelistet. Seit der 10. Jahrestagung ist das Bündnis von 800 auf inzwischen 1000 Mitgliedsgemeinden angewachsen. Mit der "Erklärung von Bozen" öffnete sich das Bündnis auch für Kommunen aus den ost-europäischen Ländern.

Wird es wärmer? Klimaänderung durch Treibhauseffekte [ top ]

Die Quelle der Energieumwandlungsprozesse ist die Sonne. Ihre kurzwellige Strahlung wird von der Erdoberfläche und der Atmosphäre teilweise reflektiert, der absorbierte Teil erwärmt die Erde. Die Abgabe (Kühlung der Erde) der Wärmeenergie an den Weltraum erfolgt in Form langwelliger Strahlung. Gäbe es keine Atmosphäre, so wäre es auf der Erdoberfläche abwechselnd glühend heiß und eiskalt. In Bodennähe würde - wie auf dem Mond - eine mittlere Temperatur von lebensfeindlichen -18 Grad C herrschen. Tatsächlich liegt sie jedoch bei rund + 15 Grad C.

Der natürliche Treibhauseffekt (THE)
Diese Temperaturdifferenz ergibt sich, weil bestimmte Gase der Atmosphäre (vor allem Wasserdampf und Kohlendioxid CO 2) für die verschiedenen Wellenlängen nicht gleich gut durchlässig sind. Sie absorbieren die langwellige Abstrahlung der Erde stärker als die kurzwellige (Sonnen-) Einstrahlung. Sie wirken daher wie eine Strahlungsfalle. Das gesamte System Erde erwärmt sich somit. Die mittlere Erdtemperatur ist nun jene, bei der sich Energieabgabe und Energiezufuhr das Gleichgewicht halten. Wird die Energieabgabe, d.h. die Wärmeabgabe durch treibhauswirksame Gase behindert, so erhöht sich die Erdtemperatur.

Der Mensch beeinflusst die Atmosphäre
Durch die zunehmende Industrialisierung und die wachsende Bevölkerungszahl ist die Konzentration einiger Treibhausgase seit etwa 1780 immer stärker angestiegen, und neue treibhauswirksame Gase kamen hinzu. Dieser zusätzliche, antropogene (durch den Menschen verursachte) Treibhauseffekt verstärkt den natürlichen THE.

Klimaänderungen bis heute - Das Klima ist dynamisch
Vor etwa 5.000 Jahren lag die mittlere Temperatur um 2 bis 3 Grad C höher als heute. Die Baumgrenze war in den Gebirgen Europas um einige 100 m höher. Untersuchungen an Eisbohrkernen in der Antarktis belegen den Zusammenhang zwischen CO 2-Gehalt der Atmosphäre und einer globalen Erwärmung bzw. Abkühlung.

Gegenwärtiger Trend
In jüngster Zeit (von 1880 bis 1980) ist die globale mittlere Temperatur um 0,6 Grad C angestiegen. Der Anstieg des Meeresspiegels betrug in diesem Zeitraum 10 bis 20 cm, und die Konzentration von CO 2 stieg von 280 ppm 1800 auf 354 ppm 1990 an. (1 ppm - parts per million = 0,0001%). Solche Werte gab es zuletzt vor einigen 100.000 Jahren. Klimaprognosen können sich daher auf keinerlei Erfahrung stützen, zumal der Anstieg von Temperatur und CO 2-Gehalt in den letzten 10.000 Jahren vermutlich noch nie so schnell erfolgte wie heute.

Zukünftige Klimaänderungen und deren Folgen
Die meisten Klimaforscher gehen von einer Verdoppelung der CO 2-Konzentration gegenüber der vorindustriellen Zeit aus. Dies wäre bei unveränderten Emissionstrends um das Jahr 2025 der Fall. Weitgehende Übereinstimmung unter den Wissenschaftlerlnnen herrscht darüber, daß unter dieser Bedingung ein globaler Temperaturanstieg von etwa 1,4 - 5,8 Grad C im Zeitraum von 1990 bis 2100 erfolgen würde. Extreme Wettererscheinungen (schwere Stürme, Hitzeperioden, Überschwemmungen) würden sich häufen. Der 2001 veröffentlichte 3. Situationsbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) bestätigt den befürchteten Trend zur globalen Erwärmung - Im 20. Jahrhundert sind die Temperaturen durchschnittlich weit höher als in den vorhergehenden 600 Jahren:
1) Es wird erwartet, dass die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um 6 Grad C ansteigen wird. Diese Erwärmung ist wahrscheinlich, wenn nichts dagegen unternommen wird.
2) Der Gehalt von Kohlendioxid (CO2) in der Luft ist seit etwa 500.000 Jahren nicht mehr so hoch gewesen. Die Folge: Die Dekade von 1990 bis 2000 ist die wärmste in den vergangenen 1000 Jahren gewesen. Es gibt keinen Zweifel mehr, dass der Mensch für den Großteil der Erderwärmung verantwortlich ist.
3) Der Klimawechsel (Erwärmung der tiefen Schichten des Meereswassers, Verschiebung der Klimazonen in Richtung der Pole, extreme Wettererscheinungen werden sich häufen). Bis 2080 könnten bis zu 200 Millionen Menschen jährlich durch Sturmfluten bedroht werden.
4) Die jährlichen Verluste der Wirtschaft durch Klimakatastrophen haben sich von 1950 bis 1990 verzehnfacht auf 40 Milliarden US-Dollar. Sehr viel größere Schäden sind zu erwarten.

Klimaszenario für Italien
Trotz aller Mängel der Klimamodelle kann für die Zeitspanne 2025 - 2030 von folgenden Szenarien ausgegangen werden:
a) die durchschnittlichen Temperaturen werden im Mittelmeerraum um 1,2 bis 3,5 Grad C zunehmen;
b) die sommerlichen Regenfälle werden weiter zurückgehen, während es im Norden (vor allem in den Wintermonaten) intensiver regnen wird;
c) der Meeresspiegel wird um 12 - 18 cm ansteigen; die Erosion der Küsten nimmt zu, Salzwasser wird in die Wasseradern eindringen und die Trinkwasserversorgung erschweren;
d) extreme Wettererscheinungen (z.B. Stürme, Unwetter, Überschwemmungen) werden sich auch in Italien häufen;
e) die Erhöhung der Durchschnittstemperatur wird sich vor allem auf die sensiblere Pflanzenwelt auswirken; betroffen sind u.a. auch die kältegewohnten Pflanzen der Alpenregion.

Weltweite Folgen
Dramatischer als in Mitteleuropa könnten Klimaänderungen in anderen Gebieten der Erde ausfallen: Dürrekatastrophen, fortschreitende Wüstenbildung, häufigere tropische Stürme, Überschwemmungen großer Küstengebiete. Betroffen davon wären vor allem Länder, die ohnehin schon unter großer Armut leiden.

Wer hat Schuld?
Die Verursacher des zusätzlichen THE (Industrie, Verkehr, Energieerzeugung, Landwirtschaft) sind - trotz geringerer Bevölkerungszahlen - vor allem die reichen Industrieländern des Nordens. Der Anteil der Entwicklungsländer dürfte jedoch infolge des Bevölkerungswachstums und der steigenden Industrialisierung stark steigen.

Klimaroulette
Die Forschung wird auch in den nächsten Jahren keine Klimaprognose vorlegen können, die auch die letzten Entscheidungsträger überzeugen wird. Eine abwartende Haltung bedeutet aber, beim größten Experiment, das die Menschheit bisher ausgeführt hat, tatenlos zuzusehen. Selbst wenn sämtliche klimarelevanten Emissionen vollkommen gestoppt werden, würde es wegen der langen Verweilzeit mancher Gase in der Atmosphäre mehr als 100 Jahre bis zu einem Rückgang der Konzentrationen dauern.

Gibt es Lösungen, Alternativen?
Angesichts der gegebenen Situation ist ein anderes Wirtschaften angebracht. Vor allem die reichen Länder des Nordens sind angehalten, nachhaltig zu wirtschaften: sozial- und umweltverträglich sowie ressourcenschonend. Sparsamkeit im Umgang mit Energie und Vorrang für erneuerbare Energien, Forderungen sowohl die Politik wie an jeden einzelnen. Die Entwicklung der südlichen Welt nach dem Vorbild der Industrieländer kann als gescheitert betrachtet werden. Für die nachhaltige Nutzung des Regenwaldes gibt die indigene Bewirtschaftungsform das beste Beispiel. Die - nachwachsenden - Schätze des Regenwaldes sind in der traditionellen Bewirtschaftungsform weit besser nutzbar als durch Holzeinschlag und Viehzucht.

Entschuldung
Ein Verzicht des Nordens auf ungehemmtes Wachstum, aber auch konkrete Schritte zur Entschuldung der drückendsten Schuldenlasten der Entwicklungsländer sind notwendig. Diese verhindern in vielen Ländern eine Befreiung aus Armut und Elend. Der künftige Weg sollte über ein ökologisch schonendes Wachstum, verbunden mit der Sicherung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung, führen.

Der Treibhauseffekt - Was geht das uns an?
Von den menschlichen Aktivitäten, die zum verstärkten Treibhauseffekt beitragen, machen die Energieerzeugung und Energienutzung mehr als die Hälfte aus. 88% des weltweiten Energiebedarfs stammt dabei aus fossilen Energieträgern, 7% aus erneuerbaren Energiequellen (Wasser, Wind, Biomasse) und 5% aus Kernenergie. Dabei verbrauchen die Europäer ein Vielfaches der Energie eines Afrikaners oder Asiaten und setzen dabei jährlich 20 Gigatonnen CO-2 frei.

FCKW
Die Verwendung von FCKW als Kühlmittel (in Eiskästen, Klimaanlagen etc.), als Lösungsmittel (in Farben, Lacken und Reinigungsmitteln), als Treibgas (in Spraydosen) oder in Kunststoffen zum Schäumen ist ein weiterer Beitrag zum Treibhauseffekt.

Landwirtschaft
Durch die intensive Landwirtschaft werden immer größere Mengen von Stickstoff in den Boden eingebracht. Ein großer Teil wird durch die Tätigkeit der Bodenbakterien wieder als Lachgas (N 2 0) freigesetzt. Die Fleischproduktion wird zur Massentierhaltung und setzt - genauso wie intensiver Reisanbau - große Mengen an Methan (CH 4) frei. Durch unser Kaufverhalten fördern auch wir die Freisetzung von Treibhausgasen.

Abholzung
Fast 15% nimmt schließlich die Abholzung riesiger Waldflächen in allen Teilen der Erde ein, die den Treibhauseffekt verstärkt: Die Verbrennung des Waldes setzt große Mengen an CO 2 frei und zerstört gleichzeitig diejenigen Lebewesen, die sehr viel CO 2 binden können. Anschließend werden die gewonnenen Flächen oft für intensiven Ackerbau genutzt.

Die Situation in Italien
Laut einer Studie des World Ressources Institute trägt Italien mit einer Verschmutzungsquote von zwei Prozent zur weltweiten Klimaverbänderung bei. In dieser Studie liegt Italien weltweit an 11. Stelle bei der Emmission von Kohlendioxyd, FCKW und Methan (die stärksten italienischen C0-2-"Produzenten" sind Industrie, der Verkehr und private Haushalte). Die Umweltberatung des Forums Wiener Hochschulen hat die CO 2-Emissionen eines Zweipersonenhaushalts in Österreich berechnet und festgestellt, daß jede/r Österreicher/In jährlich 22 Tonnen C0 2 "produzieren".

Den Hauptanteil an C0 2-Emissionen nehmen die Konsumgüter ein: Ihre Herstellung, der Verkauf, der Gebrauch und die Entsorgung verbrauchen Unmengen an Energie. Dazu kommt noch die eigene Mobilität - Auto und Flugzeug. Die Hauptverursacher des verstärkten Treibhauseffektes ist der reiche Norden der Welt.

Wie kann ein erfolgreicher Klimaschutz erreicht werden?
Eher ernüchternd ist die Bilanz der bisherigen internationalen Klimaschutzpolitik. Konkrete Reduktionswerte für CO2- Emissionen und zeitliche Ziele wurden zwar immer wieder diskutiert, blieben aber unverbindlich. Der einzige klimarelevante Bereich, in dem bisher Fortschritte erzielt werden konnten, ist die Eindämmung der FCKW.

Maßnahmen in ltalien
Italien hält sich grundsätzlich an die Empfehlung der Toronto-Konferenz von 1988. Mit den anderen europäischen Staaten wurde vereinbart, den Ausstoß von CO 2 zu stabilisieren. Das Klimaschutzprogramm der Mitte-Links-Regierungen sah einige Maßnahmen vor wie die bessere der Nutzung der Ressourcen; eine bessere Energieeffizienz in der industriellen Produktion, in den Dienstleistungen und privaten Haushalten; Förderung der technologischen Innovation; den sparsamen Umgang mit Rohstoffen und Wiederverwertung von Abfällen in der Industrie; Energieeinsparung durch Verlagerung der Warentransporte auf die Eisenbahn und Förderung des öffentlichen Verkehrs.

Aus: "Klima verbündet" - Informationsheft für Lehrer/Innen/Koordinationsstelle Klimabündnis im Landesamt für Luft und Lärm

Extremes Wetter: Alpen im Treibhaus [ top ]

Ist die globale Erderwärmung regional und lokal spürbar? Welche Folgewirkungen sind für den südlichen Alpenraum zu erwarten, wenn sich die C02-Konzentration in der Atmosphäre verdoppelt hat? Wolfgang Seiler vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung in Garmisch-Partenkirchen (D) versucht auf die zwei Fragen Antworten zu geben. Sein Fazit - auch Südtirols Klima verändert sich. Die geringen Niederschläge in den Wintermonaten in Südtirol, es fiel kaum Schnee, sind laut Seiler Phänomene, die sich wiederholen. Aber, Seiler warnt vor Verharmlosung, diese besonderen meteorologischen Ereignisse treten immer häufiger auf. "Es ist bereits zu einer Klimaveränderung gekommen," bestätigte Seiler auf der Jahrestagung des Südtiroler Klimabündnisses (22. März 2001) die Befrüchtungen.

In den Alpenländern nehmen Extremereignisse zu, die Abstände dazwischen werden immer knapper. Für Seiler sind längere Trockenperioden, starke Niederschläge, extreme Wetter zu Jahreszeiten, wo sie sich noch nie gezeigt haben, Beispiele solcher Extremereignisse. Seiler empfiehlt ein Studium der Statistiken der Rückversicherer. So beklagt die Münchner Rückversicherung ein überaus starkes Wachstum der Schadensfälle, aber auch der Schadenssummen - verursachten von Sturm, Hagel, Trockenheit und Dürre und den damit verbundenen Waldbränden und Überschwemmungen.

Für den Umweltforscher Seiler untrügliche Zeichen dafür, dass sich im Alpenraum das Klima langfristig verändert. Es ist zweifelsohne wärmer geworden, kommt Seiler zum Schluß und die Niederschlagstätigkeit hat sich verschoben: "Früher war im Bereich der Nordalpen der Januar ein sehr unangenehmer Monat, inzwischen ist es eigentlich ein angenehmer Zeitraum mit relativ hohen Temperaturen und geringen Niederschlägen". Die Niederschläge, das ergaben die Beobachtungen, verschieben sich im Nordalpenbereich - und auch in den Südalpen - in das Frühjahr hinein. Winterurlauber müssen sich deshalb laut Seiler immer öfter daran gewöhnen, dass in Skigebieten Pisten aus Kunstschnee wie Adern eine ausgetrocknete braune Landschaft durchziehen.

Zwar werden die Niederschläge im Spätwinter und im Frühjahr folgen, aber so heftig sein, dass Lawinenabgänge den Wintertourismus bedrohen. Die schneller einsetzende Schneeschmelze sorgt über Überschwemmungen im Frühjahr. Die Abteilung für atmosphärische Umweltforschung des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung erwartet im Sommer insgesamt weniger Niederschläge. Diese Entwicklung gilt für die nördlichen und für die südlichen Alpen. Die Perspektive: Mehr Sonne und weniger Niederschläge.

Der Wintertourismus hilft sich mit Schneekanonen, mit Kunstschnee. Die Internationale Alpenschutzkommission Cipra sieht darin eine völlig neue Bedrohung - die laueren Winter machen offensichtlich den Einsatz von Zusatzmitteln in der Schneeproduktion notwendig. Abgetötete Bakterien wandeln das Wasser der Schneekanonen auch bei knappen Minusgraden in Schneekristalle um. Die Folgen der schneefördernden Bakterien sind bisher unbekannt. Die vorhandenen Studien widersprechen sich. Der Klimawandel im Alpenraum wird laut Professor Seiler in der Landwirtschaft tiefgreifende Auswirkungen haben. Apfelsorten, die das warme Klima vertragen, werden wachsen und gedeihen. Die höhere Temperaturen begünstigen aber die Vermehrung von Schädlingen, es werden Schädlinge auftauchen, die im Alpenraum bisher kaum aufgefallen sind. Das Gleiche gilt für Pilzkrankheiten, befürchtet Seiler. Hier kann sich die Landwirtschaft schnell einstellen, nicht aber die Forstwirtschaft.

Stimmen die Berechnungen, geht Seiler davon aus, dass im Alpenraum in einem Zeitraum von 60 Jahren "australische Verhältnisse" herrschen werden. Dort gibt es weniger Niederschläge, höhere Sonneneinstrahlung, in der Folge wiederum höhere Temperaturen und am Ende eine erhöhte Waldbrandgefahr. Die Zukunft der alpinen Wälder, bestehend aus Koniferen, Fichten und Kiefern, ist angesichts der Veränderung des Klimas gefährdet.

Klimaänderungen und Naturkatastrophen

Sibirien in den Alpen: Vom Schmelzen des Bodeneises [ top ]

Gefrorener Boden, ein Stück unterhalb der Oberfläche. Dieser Boden bindet Hänge. Die Eiszungen der Gletscher, der vereiste Boden, wirken wie eine Klammer, die die Welt weit oben in den Bergen festhält. Ohne dieses Eis im Erdreich sind viele Teile der Alpen gar nicht bewohnbar. Eine Melange aus gefrorener Erde, Geröll und Eis nennen die Wissenschaftler Permafrost. Dieser ganzjährig durchgefrorener Boden, sind in Sibirien und in Alaska zu finden. Auch im Sommer bleibt die Erde einige Meter unter der Oberfläche eishart. Dieser Panzer hält in den Alpen die Berge zusammen. Bisher.

Im Bodeneis beträgt die Temperatur minus zwei Grad. Die Erwärmung dringt aber laut Beobachtungen der Schweizer Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie auch bis in die Eisböden vor. Es war Felix Keller vom Institut GEOalpin der Academia Engiadina, der auf der Südtiroler Klimabündnis-Tagung 2001 erstmals Zahlen über den Permafrost vorlegte. Laut seinen Berechnungen macht in Südtirol der Permaforstboden bis zu zehn Prozent der Landesfläche aus. Diese, teilweise bis zu hundert Meter lange, Eisschicht taut unter "normalen" Umständen kaum auf. Außer, die Temperaturen steigen an.

Daniel Vonder Mühll, ein weiterer Schweizer Experte, konnte nachweisen, daß in der Schweiz die Untergrenze für alpinen Permafrost im 20. Jahrhundert bis zu 250 Metern angestiegen sind. Für Südtirol gibt es noch keine solche Untersuchungen, doch das Schweizer Fazit gilt auch für die Zentralalpen: "Wenn nun die Eisarmierung in den Alpenhängen auftaut, werden sie zunehmend instabil". Das heißt, Muren, Erdrutsche und Bergstürze verwüsten die Alpen.

Diese Luft macht krank: Atemnot durch zuviel Staub [ top ]

Das schwere Atmen sorgt für Panik, für Angst, keine Luft zu bekommen. Die Furcht vor dem Ersticken, weil das Atmen schwer fällt, kennen Allergiker. Völlig unbegreiflich, die Luft bleibt weg, atemlos. Ein Zustand, den auch Asthmatiker kennen. Der Alltag ist für diese Menschen - oft - qualvoll. Immer mehr Menschen leiden an - an akuter und weniger akuter - Atemnot. Der angenommene Grund dafür - die Luftverschmutzung, die feinen Staubpartikel in der Luft.

Die großräumige Belastung kommt vom gesamten Verkehr. Diese Schadstoffpakete werden großräumig verfrachtet. Und zu dieser großräumigen Belastung kommen die lokalen Einträge entlang der Transitachsen. Und das ist dort, wo Dörfer sind und Menschen wohnen", erläuterte der Schweizer Wissenschaftler Nino Künzli vom Institut für Präventivmedizin der Universität Basel in der Tageszeitung "Dolomiten" (30.5.2001)den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen. Die Luftverschmutzung, so zitiert die Tageszeitung "Dolomiten" Künzli, "ist einer von vielen krankmachenden Faktoren. Weil es sich dabei aber um Einflüsse handelt, die das ganze Leben wirksam bleiben, haben sie eine kumulative Langzeitwirkung".

Eine Studie in der Schweiz hat ergeben, dass die Lungenfunktionen direkt von der mittleren Schadstoffbelastung am Wohnort zusammenhängen: Sie sind umso schlechter, je höher die Belastung ist. Je höher die Schadstoffbelastung, warnt Künzli, desto früher sterben die Menschen. Im Auftrag der Landesagentur für Umweltschutz untersuchte Künzli (er hat bereits für die WHO eine Luft-Studie über die Schweiz, Frankreich und Österreich vorgelegt) Südtirols Luft. Sein Schluß: "Bis 28 Prozent aller Fälle von akuter Bronchitis bei Kindern unter 15 Jahre sind auf die Luftverschmutzung zurückzuführen". Das sind jährlich bis zu 250 Fällen, hinzu kommen bis zu 5000 akute Asthmaanfälle - fünf Prozent aller akuten Asthmaanfälle.

Die jährlich 200 "Todesfälle infolge der Luftverschmutzung sind die Spitze des Eisbergs," so Künzli. Der Schweizer Luft-Experte verweist darauf, daß die Luftqualität auch die Lebensqualität bestimmt: "Woran sterben die erwähnten 200 Menschen? Sie sterben an Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislauf-Systems. Das Sterbealter ist relativ hoch, betroffen ist die ältere Bevölkerung. Es sterben also nicht die Dreißig- oder Vierzig- jährigen - aber sie sind durch die Luftqualität in ihrer Gesundheit beeinträchtigt, mit allen Folgen für Lebensqualität und Kosten, und das schätze ich als ehemaliger Mediziner als die relevante Seite ein," sagte Künzli in einem Interview mit der Tageszeitung "Dolomiten" (30. Mai 2001).

Die Luftverschmutzung in Südtirol ist - hauptsächlich - die Folge des Verkehrs. Von 64.000 Tonnen Luftschadstoffen stammen mehr als 50.000 vom Verkehr. Beim Kohlenmonoxid trägt der Verkehr mit 92 Prozent dazu bei, bei den Stickoxiden mit 81 und bei den verschiedenen Partikeln mit 82 Prozent (weitere Daten siehe: Umweltbelastung durch grenzüberschreitenden Verkehr - internationale Tagung vom 17. und 18. Februar 2000). Schadstoffe, die allesamt zum berühmt-berüchtigten Treibhauseffekt, dem Klima-Killer, beitragen.

Menschen erkranken an den Luftschadstoffen, sterben in Folge der ständigen Belastung. Die Schadstoffe in der Luft wirken lebenslänglich und verringern dadurch die Lebenserwartung um fünf bis sechs Monate. Diese verdreckte Luft schadet offensichtlich den Menschen (siehe Beitrag über die Blauen Flecken von Bozen), sie schadet aber auch der Umwelt, dem Boden, dem Wasser, der Luft. Dagegen kann sehr wohl etwas unternommen werden, weist Künzli hin. Gar nichts grandioses, illusionäres: "In Ostdeutschland wurden nämlich zahlreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität gesetzt - und daraufhin sind die Fälle von akuter Bronchitis bei Kindern messbar und sehr prompt zurückgegangen," erinnert Künzli in der Tageszeitung "Dolomiten" an machbare Klimapolitik.

Die Wintermacher: Mit Kanonen gegen die Schneearmut [ top ]

Die Klimaerwärmung ist allerorten spürbar, hieß es in der Sendung ZDF.umwelt am 9. Dezember 2001. Dank der Schneekanonen können aber die Schwierigkeiten beseitigt werden. Es klappt aber nicht überall im Alpenbogen. Im Herbst 1995 beispielsweise stellte Einsiedeln in der Schweiz seinen Skibetrieb ein. Die Skitage hatten sich dort auf klägliche 24 Tage halbiert, von einst 51. Im Winter 1989/90 gab es "keinen einzigen Tag mit mehr als 20 Zentimeter Schnee", belegten die Experten des Schweizer "Nationalen Forschungsprogramms Klimaänderungen und Naturkatastrophen".

Laut ihrer Recherche gilt ein Skigebiet als schneesicher, wenn dort an mindestens 100 Tagen mehr als 30 Zentimeter Schnee liegen. In der Schweiz liegt derzeit die "Schneesicherheitsgrenze" auf etwa 1.200 Metern. Die Schweizer Klimaforscher gehen davon aus, dass im Jahr 2050 diese Grenze auf 1.500 Meter steigen wird. Ein unaufhaltsames Aus für viele Skigebiete? "In Skisport-Anlagen, die unter 1.500 Höhenmetern liegen, würde ich in Zukunft nicht mehr groß investieren," zitierte die Sonntagszeitung "Z" (25. November 2001) Paul Föhn vom "Eidgenössischen Institut für Schnee- und Lawinenforschung" in Dawos. Föhn geht davon aus, dass das wärmer gewordenere Klima die Skigebiete "ausapert". Die Erwärmung ist kurzfristig nicht zu stoppen. Die Schneekanonen können laut Föhn die gefährdeten Skigebiete unter 1.500 Höhenmeter nicht mehr retten.

Der Schnee aus der Kanone hat die Skigebiete vom Wetter unabhängig gemacht. Bisher. Die Wetter-Autarkie haben sich die Wintersportorte einiges kosten lassen. Kein Wunder. Mit 10.000 Kubikmeter Wasser kann eine Kilometer lange Piste beschneit werden. Die Wassermenge entspricht vier Schwimmbecken von 20 mal 50 Metern. Teilweise ist Wasser vorhanden, vielerorts werden Speicherbecken angelegt. Ein teures Unterfangen. So plante die Reinswalder Lift-GmbH ein entsprechendes Becken. Kosten: mehr als 500.000 Euro. Für ein kleines Skigebiet nicht mehr zu bezahlen. Die kleinen Skigebiete greifen, auch wenn es bestritten wird, auf Trinkwasser zurück, um Kunstschnee zu erzeugen. Der Fall Ritten als Beispiel für viele.

Die Großen in Südtirol, wie der Verbund Dolomiti Superski, kommen ohne Schneekanonen nicht mehr aus. Ohne Kunstschnee funktioniert das Skikarusell nicht. "Wir sind zwar froh, wenn es schneit und die Landschaft weiß ist," sagt Franz Perathoner, Direktor von Superski, "doch die entsprechende Vorarbeit leisten die Schneekanonen". Allein auf der Weltcup-Piste der Sasslong standen auf einer Länge von drei Kilometern an die 60 Schneekanonen. Am Brunecker Hausberg, dem Kronplatz, wird inzwischen sogar das Wasser vom Tal auf den Berg gepumpt. Die Bergquellen bleiben laut Auskunft der Lift-Betreiber unberührt. Die Betreiber der Kronplatz-Bahnen sollen - das berichtete die "Neue Südtiroler Tageszeitung" (6.1.2002) - in den vergangenen Jahren an die 35 Millionen Euro in Pumpstationen, Leitungen und Speicherbecken investiert haben.

Der Skibetrieb am Kronplatz - die Hinaufpumpen des Wassers vom Tal auf den Berg zu den Schneekanonen, die Produktion des Kunstschnees, der Betrieb der Lifte - verschlingt in der Wintersaison ein Drittel des jährlichen Stromverbrauchs der Stadt Bruneck. Südtirols Skigebiete rüsteten im vergangenen Jahrzehnt kräftig auf. Die Schneekanone gehört zur Standardausrüstung der Lift- und Pistenbetreiber. Die Schneekanonen werden in Südtirol seit Beginn der 90er Jahren flächendeckend eingesetzt. Die ersten Schneekanonen sind längst zu einer wintertouristischen Notwendigkeit geworden. Die ersten Beschneiungsanlagen waren vor mehr als 20 Jahren in Enneberg und in Gröden gebaut worden. In den schneearmen Wintern 1987 und 1988 zogen viele Skigebiete, die auch über das nötige "Kleingeld" verfügten, nach.

Diese Schneekanonen garantierten im Winter 2001/2002 den Skigebieten den Schnee und somit das wirtschaftliche überleben. Ohne Kanonen hätte es keinen Wintertourismus gegeben. Von den 3.000 Hektar Skipisten Südtirols werden inzwischen weit mehr als Drittel künstlich beschneit. Dafür mussten im Winter 2001/2002 vier Millionen Kubikmeter Wasser (um 2,5 Kubikmeter Kunstschnee zu produzieren braucht es ein Kubikmeter Wasser) in die Schneekanonen geschleust werden. "Und bei einer Vollbeschneiung von 30 Zentimentern werden bis zu 1.200 Kubikmeter Wasser pro Hektar benötigt," rechnete die "Neue Südtiroler Tageszeitung" nach. Die Schneeknanonen werden aber dann und wann vom Wetter überrascht: Die Erwärmung des Klimas macht den Schneemachern immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Im wärmer gewordenen Winter werden chemische Hilfsmittel eingesetzt, berichtet das nationale Forschungsprogramm "Klimaänderung und Klimakatastrophen" der Schweiz. Seit dem flauen Winter 1995 werden die Hilfsmittel verwendet, sogenannte Kondensationskeime:" Wo es bei über vier Grad minus aus vollem Rohr schneit, wird bestimmt nicht nur mit Wasser gekocht," heißt es dazu in der "Heisszeit" von Beat Glogger. Die Technisierung der Skigebiete geht weiter, deren Abhängigkeit von der wetterunabhängigen High-Tech wird noch größer.

Die Alternative - noch weiter nach oben? Wohin? Die Gletscher bieten sich als neue wintersportliche Standorte an. Aber auch ganz oben an den Bergen wirkt sich die Klimaerwärmung aus. Mit dem Sommerskifahren auf den Gletschern wird demnächst Schluß sein, prophezeit "Heisszeit"-Autor Beat Glogger. Teile der Gletscher werden 2015 gewaltig geschrumpft sein.

Die Schneeerzeugung

Die Wasserzahlen

Zerborstene Schaumrolle: Die Königsspitze der Ortler Nordwand hat ihre Eiskrone verloren [ top ]

Bergsteiger Paul Hanny hat sich kräftig gewundert, als er am Pfingstmontagmorgen auf die Nordwand schaute. "Gegen sieben Uhr früh hab ich meinen Blick gegen die Nordwand gewandt und meinen Augen nicht getraut," erzählte Hanny. Er konnte die berühmte Schaumrolle nicht mehr sehen. In der Nacht auf den Pfingstmontag sind mehr als 30.000 Kubikmeter Eis von der Königsspitze abgebrochen. Die Schaumrolle hat sich über Jahre hinweg durch Schneeverwehungen gebildet. Ein Eispanzer als Schutz der Königsspitze. Er galt als eine der schwierigsten Herausforderungen für die Bergsteiger.

Um 2.30 Uhr, so die Schätzung von Hanny, wird die Eiskrone der Königsspitze abgebrochen sein. Bergssteiger sind meistens eine Stunde später auf dem Weg. Ein Glück für die Kletterer, daß sich die Eishaube so früh löste. Die Strecke zur Schaumrolle gilt unter Bergsteigern als eine der beliebtesten Gletschertouren. Als Hanny von der entblößten Königsspitze erzählte, glaubte es kaum ein Suldner. Erst nach einem ersten Lokalaugenschein von Bergrettungsleuten wurde den Suldnern klar, daß ihre Königsspitze keine Schaumrolle mehr hatte.

Die vereiste Haube der Königsspitze ist mehr als 800 Meter in die Tiefe gedonnert. Die Schaumrolle ist dabei zersplittert. Tausende Eiskristalle blieben von der Schaumrolle übrig. Laut Hanny geschieht so etwas - wie der Abbruch -alle 100 oder gar nur 150 Jahre. Ein Zufall? Ein Naturereignis auf dem Gletscher? Ist die Schaumrolle unter dem eigenen Gewicht zerbrochen? Es wird lange dauern, jahrelang, bis sich das Naturphänomen neuerlich aufgebaut haben wird.

Die Schaumrolle war 30.000 Kubikmeter groß. Ähnliches passierte anderswo im Alpenraum auch. Im August 1990 brach von der Westflanke des Eigers in der Schweiz 100.000 Kubikmeter Eis vom Eigergletscher ab. Ein Team von Gletscherforschern versuchte der Ursache auf die Spur zu kommen. Sie röntgten regelrecht den Gletscher - 70 Meter tief ins Eis trieben die Forscher ihre Sonden. Die Temperaturmessungen ergaben, daß unter den heutigen Bedingungen vom Eigergletscher gar 700.000 Kubikmeter Eis abbrechen könnten. Der Grund - das Gletschereis ist am Fels zwar festgefroren, die Schichten dahinter sind aber nur mehr "temperiert" (d.h. seine Temperatur liegt beim Schmelzpunkt). Fazit: "Daher ist dort der Gletscher auf seinem Felsbett nicht angefroren und würde ohne die stützende Front abgleiten," wagt Beat Glogger eine Prognose in seinem spannenden Buch "Heisszeit - Klimaänderungen und Naturkatastrophen in der Schweiz".

Glogger verweist auf verschiedene Computerberechnungen. Bei einer Temperaturerhöhung um zwei Grad würde die Front des Gletschers um über ein Viertel abschmelzen. Dadurch würde der Gletscher abrutschen. Der Eigergletscher wird deshalb seit 1996 alle drei Tage von einer automatischen Kamera fotografiert. Jährlich hinzu kommen ein Flugbild und Erkundungsflüge. Damit wird jede kleinste Veränderung am Gletscher peinlichst genau dokumentiert. Die Beobachtung der Gletscher alpinweit hat zu beeindruckenden Zahlen geführt. In den Zentralalpen soll der Gletscherschwund bis zu 40 Prozent betragen. Das einst Ewige Eis fließt den Bach hinunter. In der gesamten Schweiz sollen die Gletscher um fast 30 Prozent geschrumpft. sein. An die 100 ewige Eisberge sind in der Schweiz für immer verschwunden. Die Glaziologen führen diese Entwicklung auf die erfolgte Erwärmung von nur 0,7 Grad zurück.

Das Gletscherschrumpfen hat die Glaziologen aufgerüttelt. Die leichte Erwärmung der Erde scheint für die Eisberge in den Alpen ein Schock zu sein. Sie schrumpfen. "Weshalb," fragt sich Gloggler in seiner "Heisszeit", "weiss niemand". Das Nationale Forschungsprogramm "Klimaänderung und Naturkatastrophen" der Schweiz kommt in einem Bericht zum Schluß, daß das Gletscherschmelzen nicht nur "außergewöhnlich", sondern schon "dramatisch" ist.

Wenn die Erde rutscht: Starker Regen setzt den Boden in Bewegung [ top ]

"Zur Zeit schaut es gut aus, der Nalser Bach ist nicht übergegangen und wird ständig beobachtet," so zitierte die Tageszeitung "Dolomiten" Nalser Feuerwehrmänner. Das war einige Tage vorher, bevor die große Mure im November 2000 den Nalser Bach aufwühlte und zu einer Springflut werden ließ. Heftiger Regen weichte das Felsland oberhalb von Nals ordentlich auf und ließ ein Teil eines Berghanges abrutschen. Die Wunde, gerissen vom Regen, ist heute noch zu sehen. Sie klafft im Wald und erinnert daran, wie schnell der Berg in Bewegung kommt.

Damals im November 2000 mischte der Regen die Erde auf - daraus wurde eine Mure, die den Bach bis zu vier Meter tief aufriss. Der Sog transportierte Erdreich und 15 Kubikmeter großen Steine ins Tal. Einige Dorfteile wurde vom Schlamm überschwemmt. Mehr als 200 Bewohner von Nals mußten aus ihren gefährdeten Häusern in Bachnähe. Tagelang waren sie in Notunterkünften untergebracht. Jene, die Glück hatten, fanden bei Freunden eine Bleibe. Soviel Schlamm, Geröll, ein halber Wald und Gebüsch waren über das Bachbett nach Nals gedonnert, dass tagelang elf Bagger und 15 Lkw die Überreste eines ganzen Berghanges wegschaffen mußten. Die Hilfsmannschaften machten sich auch daran, am Grissianer Bach in Tisens Rückhaltesperren zu bauen. Der Prissianer Bach wurde ebenso verbaut. Oberhalb des Nalser Bacherhofes legten die Bautrupps ein Abklagerungsbecken an.

Nals war im November 2000 nicht das einzige Dorf, das von Schlammfluten bedroht wurde. Einige Viertel von Dorf Tirol waren gefährdet, Erdrutsche gab es auf dem Ritten, in Jenesien, Truden und in Mölten. Landesweit, so die Landesregierung in einer Schätzung, richtete der Regen und die dadurch verursachten Murabgänge einen Schaden von mehr als 130 Milliarden Lire an. Der Schaden wäre sicher noch um einiges größer, wenn die Freiwilligen-Arbeit bezahlt werden müsste.

Nals, der gleichnamige Bach, der die Mure nach unten transportierte, steht für die Süd-Alpen. Sie sind besonders stark betroffen - der Herbst 2000 zeigte, was bei sintflutartigen Regenfällen in Aosta, in den Bergen des Piemonts und der Lombardei losgeschwemmt werden kann. "Mit einem Mal 100.000 und mehr Kubikmeter Material," warnt ein Mitarbeiter des privaten Büros Geo7, ein Geologenteam in Bern. Die These von Geo7: Die südlichen Alpen sind für Muren anfällig. Die aus dem Süden kommenden Tiefs bringen warme Luft aus dem Mittelmeerraum auch in die Hochalpen, ins Eisgebirge. Bis über 3.000 Meter kommt der Niederschlag als Regen herunter. Die Folgen sind verheerend. Besonders für die Zentralalpen. "Wenn im Alpenraum im Zeitraum von 24 Stunden 51 Milliliter Wasser fallen, wird´s gefährlich," errechnete Geo7.

Nals ist kein Einzelfall mehr. Ende Juni 2001 prasselte im Unterland, zwischen Tramin und Kurtatsch, viel Wasser auf die Erde nieder. In nur zwei Stunden gingen mehr als 100 Millimeter Regen nieder. Soviel, wie üblicherweise in einem Monat. Diese regelrechte Sintflut löste Geröllmuren aus, die 150 Hektar Obst- und Weingüter zerstörten. "Niemand hat sich auch nur im Traum vorstellen können, daß in Kurtatsch ein derartiger Wolkenbruch niedergehen würde," erzählte Bürgermeister Oswald Schiefer der Neuen Südtiroler Tageszeitung, "das war ein Ausnahmeereignis, ein regelrechtes Jahrhundertgewitter. Wir haben uns ständig gefragt, wann der Regen endlich aufhört. Die Minuten wurden zu Stunden. Ich dachte schon, daß die Welt untergehen wird."

Jeder Bach und jedes Rinnsaal brachte von der Grauner Rinne tosendes Wasser ins Tal. Die trockenen Felsen verwandelte die Flut in einen imposanten Wasserfall. Mehr als 150 Menschen mussten angesichts der sich ankündigenden Katastrophe evakuiert werden. "So etwas habe ich noch nie gesehen," bestätigte auch der Traminer Bürgermeister Werner Dissertori. Glück im Unglück hatten die Unterlandler. Laut Mario Broll von der Forstbehörde haben die intakten Wälder oberhalb Kurtatsch ihre Schutzfunktion erfüllt: "Das ganze Wasser, das vom Berg herunterfloß, wurde vom Wald wie von einem Schwamm aufgesogen. Das hat die Ortschaft vor einer Katastrophe bewahrt", analysierte Broll für die Neue Südtiroler Tageszeitung die Lage.

Nicht von ungefähr empfehlen die Schweizer Geologen ihren Behörden, massiv aufzuforsten - baumlose Gegenden, deren Bäume einst von Stürmen geknickt wurden, deren Wälder von Borkenkäfern niedergemacht wurden. Gipfelwärts strebende Vegetation ist gefragt, so die Schweizer Klimaforscher. Ihre Sorgen: Das Abschmelzen des Alpeneises geht schneller voran als die Aufforstung. Alpenweit, das weiß die internationale Alpenschutzkommission Cipra zu berichten, wandert die Schnee- und Permafrostgrenze sowie die Waldgrenze auf und ab. Das schon seit 5.500 Jahren. Die immer größer werdenden Rutschungen fallen aber offensichtlich mit einer Entwicklung zusammen, die von Behörden gern verharmlost werden: Große Rutschungen haben mit warmem und feuchtem Klima zu tun.

Im Auftrag der Schweizer Klimakommission untersuchte Hugo Raetzo verschiedene Erdrutsche. Er kommt zum Schluß, daß im 20. Jahrhundert die Veränderung des Klimas bereits die meteorologischen Bedingungen veränderte. Seit 1977, so der Geologe Raetzo, liegen in den Westschweizer Voralpen die Niederschläge weit über dem langjährigen Mittel: bis zu 30 Prozent. Die Höhen zwischen 1000 und 1.600 Meter sind vom Klimawandel besonders stark getroffen. "Hier ging die größte Anzahl kalter Tage verloren," rechnete Raetzo nach. Temperaturen um den Gefrierpunkte werden immer seltener. Statt Schnee fällt auf den Höhen zusehends Regen. Die Berge werden weichgespült.

Es taut unter der Erde: In den Alpen schmilzt der Permafrost-Boden [ top ]

Das Tauen des Permafrostes und die damit verbundenen Folgen werden in der Diskussion über die gegenwärtigen globalen Erwärmungstendenzen oft zitiert: Schlammlawinen (Murgänge), Steinschlag und Bergstürze machen bewußt, wie knapp in den Alpen der Siedlungsraum ist, wie gefährdet die Straßen, Autobahnen und Bahnstrecken sind. Zudem dringt der Tourismus immer mehr in hochgelegene Gebiete vor. Dieser Trend wird sich bei anhaltender Schneearmut in den Voralpen verstärken.

Permafrost als Naturphänomen
Als Permafrost wird der Untergrund bezeichnet, welcher während mindestens zwei Jahren Temperaturen unter 0?C aufweist. In schattigen Lagen muss generell oberhalb der Waldgrenze mit Permafrost gerechnet werden. Man unterscheidet zwischen trockenem Permafrost ohne Eis und solchem mit wenig bis sehr grossem Eisgehalt. Bodeneis kann durch gefrorenes Grundwasser, wiedergefrorenes Schmelzwasser und vereinzelt aus Resten von Lawinenkegeln und kleinen Gletschern entstehen. Der unsichtbare Permafrost gehört zur Hochgebirgslandschaft.

Im Gegensatz zu den arktischen Regionen setzte die Erforschung des Permafrostes in den Alpen erst in den letzten Jahrzehnten ein. Eine stärkere Forschung kann seit 1987 beobachtet werden. Damals wurde zum ersten Mal in den Alpen ein kriechender Permafrostkörper am Piz Corvatsch (Oberengadin) durchbohrt und instrumentiert. Kriechende Schutthalden sind mit ihrer meist lavastromartigen Form eindrückliche und in den Alpen weit verbreitete Naturphänomene. Im Oberengadin wurden z.B. über 300 solcher sogenannter Blockgletscher kartiert. Schon mancher Wanderer wird sich gefragt haben, wie die frosttypischen Erdstreifen, Steinringe und Strukturböden wohl entstanden sind. Das generelle Verbreitungsmuster des Alpen-Permafrostes ist heute dank über 4'000 Schneesondierungen, zahlreichen geophysikalischen Untersuchungen und einzelnen Bohrungen bekannt. Demnach muss in Nord-Expositionen oberhalb von 2'000 - 2'500 m ü.M. mit Permafrost gerechnet werden.

Einzelne Fälle sind bekannt, wo Permafrost in extremen Schattenlagen unter 1'500 m ü.M. identifiziert werden konnte. Die Mächtigkeit der Permafrostkörper kann über 50 m betragen. Die Temperaturen nahe der Oberfläche liegen oft im Bereich zwischen 0 und -4?C. Der Eisgehalt kann erheblich schwanken. So konnte bis heute in bestimmten Tiefen reines Eis, in anderen Fällen nur wenige Volumenprozente beobachtet werden.

Permafrost und Naturgefahren - Permafrost in Lockergesteinen
Dauernd gefrorener Schutt wird durch wasserundurchlässiges Bodeneis vor Erosion durch Hochwasser und Murgänge geschützt. Damit wird das Gefahrenpotential durch den Permafrost stark reduziert. Taut das Permafrosteis auf, so werden grössere Schuttmengen dem Hochwasser ausgesetzt, und es können sich Muren bilden. Unterhalb solcher Gebiete auftauenden Permafrostes ist die Gefährdung höher als in solchen, die schon länger permafrostfrei sind oder noch intakten Permafrost aufweisen. Zudem wird oft das Schadenpotential durch die zunehmende Nutzung von früher gemiedenen Gefahrenzonen vergrössert.

Klimagesteuerte Mechanismen, die zu Steinschlag und Bergstürzen führen
Als Ursache der Frostverwitterung stand lange Zeit die Volumenzunahme um 9% beim Gefrieren von Wasser zu Eis im Vordergrund. Dieser Vorgang ist aus Schäden in gefrorenen Wasserleitungen bestens bekannt. In jüngster Zeit finden häufig ältere Vorstellungen wieder Beachtung: Schon 1930 zeigten Bodenphysiker die Existenz von unterkühltem Wasser unmittelbar neben Eis. Demnach kann auch bei Temperaturen unter 0 °C ein Eislinsenwachstum stattfinden. Im Zusammenhang mit Steinschlag und Felsstürzen sind somit neben der normalen Oberflächenverwitterung auch Eislinsen in Felsklüften von grosser Bedeutung. Beide Verwitterungsarten (oberflächliche Frostsprengung durch Gefrier-Tauzyklen und Eislinsenbildung) können nebeneinander ablaufen. Die nordexponierten Flanken, welche eine niedrige Sonneneinstrahlung aufweisen, sind nur geringen täglichen Temperaturwechseln ausgesetzt. In diesen Situationen stürzen jeweils in der Tausaison Felsmassen ab, die durch Eisbildung im Winter gelöst werden. Umgekehrt durchlaufen die südexponierten Flanken saisonal viele oberflächennahe 0°C-Durchgänge, was infolge der Volumenzunahme beim Einfrieren des Porenwassers zu Steinschlag führt.

Bevor es zu Steinschlag oder Bergstürzen kommt, müssen im betroffenen Fels Kluftsysteme vorliegen. Oft genügt diese Voraussetzung für Sturzvorgänge nicht, da im trockenen Zustand grosse Reibungskräfte auftreten können. In gefrorenem Zustand ist der Fels relativ trocken und wird zumindest teilweise durch das Klufteis stabilisiert. Eislinsen können also wie oben beschrieben Felsklüfte öffnen, verzögern aber gleichzeitig auch Steinschlag, indem sie den Felsen trocken legen. Verändern sich nun die Permafrostbedingungen als Folge einer Klimaveränderung, sind drei Punkte von Bedeutung.

1. Dem Permafrost stand viel Zeit zur Verfügung, um Kluftsysteme zu öffnen, diese waren jedoch infolge der eisbedingten Trockenheit mehr oder weniger stabil.
2. Schmelzendes Klufteis, sowie nun eindringendes Oberflächenwasser sorgen für eine Durchfeuchtung des Felses und können die Druckverhältnisse massiv ändern.
3. Die bindenden Kräfte des Eises gehen verloren. Dies beginnt verstärkt bereits bei Eistemperaturen von -2 °C infolge des bei diesen Temperaturen bereits erhöhten Wassergehaltes im Eis.

Jeder dieser Punkte kann den Steinschlag fördern. Neuste Zentrifugenversuche aus England (M. Davis, University of Dundee) zeigen dass bei -1.7 °C Kluftsysteme instabiler sind als im eisfreien Zustand, wo die Innere Reibung den grössten Teil der durch den Eisverlust verloren gegangenen Kräften kompensieren kann. Dieser Effekt hat ziemlich sicher im Zusammenhang mit den zur Zeit ablaufenden Klimaveränderungen eine zentrale Bedeutung. Neben diesen Vorgängen innerhalb der oberflächennahen Felspartien spielt auch der Rückzug der Gletscher eine Rolle. Solange oberflächlich verwitterter Fels unter einer Eisdecke geschützt ist, wird nur wenig Material wegerodiert. Verliert eine solche Felsoberfläche den Eisschutz, setzt die Oberflächenverwitterung sofort ein. Weiter können Eismassen instabile Felsmassen stützen, d.h. beim Gletscherrückzug wird die Spannungsverteilung auch im Fels verändert.

Messungen und Beobachtungen
Die Existenz von Eislinsen im Fels konnte beim Bau von Bergbahnen und Skiliften schon mehrfach beobachtet werden. Lange Zeit fehlten jedoch Messungen über die im Eis ablaufenden Prozesse. Im Rahmen einer Dissertation an der ETH Zürich wurden die oben geschilderten Prozesse anhand von Bohrungen auf dem Jungfraujoch untersucht. Die dabei durchgeführten Messungen zeigen die Belastung des Felses durch Permafrost klar auf. Doch auch Naturbeobachtungen deuten auf die ablaufenden Prozesse hin. In den vergangenen 10 Jahren sind in den Alpen über 7 grössere Bergstürze (Randa (2), Drusberg (SZ), Tschierva (GR), Val Pola (Veltlin), Sandalp-Zuetribi (Tödigebiet) (2)) verzeichnet worden. Alle Ereignisse fanden im Bereich der Permafrostgrenze statt oder Permafrost spielt im hydrogeologischen Einzugsgebiet eine wichtige Rolle. Jedes einzelne Ereignis hatte seine eigene Geschichte. Da diese jedoch gehäuft auftreten, besteht der ernsthafte Verdacht, dass jüngste, klimabedingte Veränderungen der Permafrostverhältnisse die Auslösung der Stürze beeinflusst haben.

Von Felix Keller, Institut für Tourismus und Landwirtschaft der Academia Engiadina; web: www.academiaengiadina.ch.

Was tun?

Von Rio nach Bonn
Die Klimaschutzpolitik wird global [ top ]

"Wir haben den Fuß vom Gas genommen, aber die Bremsung noch nicht eingeleitet," bewertete der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf den Kompromiß auf dem Bonner Weltklimagipfel. Rahmstorf geht davon aus, dass jetzt die globale Klimaschutzpolitik ermöglicht, die Erderwärmung begrenzt werden kann. "Es geht aber nicht mehr darum, den Klimawandel ganz zu verhindern," bedauert Rahmstorf. Der Klimawandel, den beispielsweise die Deutsche PB genauso feststellt wie Umweltschützer, wird spürbar sein - Stürme, Wolkenbrüche und andere drastische Wettereignisse werden öfters auftreten.

Das sind laut Rahmstorf die Kosten, die wegen der Verwässerung der notwendigen Klimaschutzpolitik zu bezahlen sind. Trotzdem gab sich Rahmstorf und mit ihm weitere zahlreiche Klimaforscher erleichtert darüber, dass trotz der geringen Emissionsreduzierungen eine internationale Klimapolitik möglich wird. Eine Wende allemal, die auch möglich wurde, weil von unten Druck gemacht wurde. Ein Ergebnis, weil es das Klimabündnis gibt, wie der deutsche Klimaforscher Hartmut Grassl auf der 10. Jahrestagung des Bündnisses in Bozen die Initiatoren lobte.

IPCC - Antreiber der internationalen Klimapolitik
Motor auf höherer Ebene ist das überstaatliche Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), gegründet 1988 von der Welt Meteorologie Organisation (WMO) und dem Umweltprogramm der UNO (UNEP). Das IPPC gilt als der globale Treibhauswächter, der die Klimaveränderungen und die damit verbundenen Umweltfolgen mit seinen detaillierten Berichten belegt. 1990 erschien der erste IPPC-Bericht, an dem 170 Wissenschaftler aus 25 Ländern mitgearbeitet haben. Dieser Bericht war Grundlage für die UNO-Klimakonferenz von Rio 1992, die mit einer Klimakonvention endete. Seit damals stritten sich die Staaten, besonders die emissionsverursachenden Industrieländer darüber, wie das Klima zu schützen ist. Inzwischen liegt der dritte IPPC-Bericht vor - mit düsteren Prognosen.

Das Kyoto-Protokoll
Fünf Jahre später, im japanischen Kyoto, verabschiedeten die UNO-Länder nach tage- und nächtelangem konfliktbeladenem Verhandeln das sogenannte Kyoto-Protokoll. Die USA, Kanada, Australien, Neuseeland und Japan, die klimapolitischen Bremser akzeptierten die Tatsache, dass der Mensch die Erdatmosphäre mit der Freisetzung von Treibhausgasen erwärmt. Kyoto war schlussendlich auch ein Kompromiss - die EU-Länder drängten darauf, bis 2010 den Ausstoß der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas um 15 Prozent zu senken. Als Vergleichsjahr wurde 1990 herangezogen. Laut Kyoto-Protokoll verpflichten sich die Industriestaaten, zwischen 2008 und 2012 ihre Emissionen an Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen um fünf Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Die EU-Staaten gingen die Verpflichtung von einer achtprozentigen Verringerung ein, die USA einer siebenprozentigen Reduzierung.

Der Bonner Kompromiss
Erst nach dem folgenden vierten Gipfel, die übrigen waren gescheitert, stimmten 180 Staaten der Umsetzung des Kyoto-Protokolls zu. Der Preis - die Verringerung der Schadstoffemissionen beläuft sich jetzt nur mehr auf dürftige ein Prozent. Japan hat die Reduzierung heruntergeschraubt, die USA haben sich an den Verhandlungen nicht beteiligt. Dank des Engagements der EU in Zusammenarbeit mit den südlichen Ländern konnte der klimapolitische Amoklauf, initiert von der Bush-USA mit Japan im Schlepptau, gebremst werden. Wie schaut denn die Bonner Einigung aus?

Pflanzen statt Sparen: Japan, Kanada, Russland und Australien werden mehr denn je ihre Klimaverpflichtungen erfüllen, indem sie sich ihre Wälder als Speicher ("Senken") für grünen Kohlenstoff anrechnen lassen. Das Kyoto-Ziel, die Freisetzung schwarzen Kohlenstoffs aus Öl und Kohle zu mindern, wird um schmerzlich 3,3 Prozent geschwächt und das jährlich.

Weniger Hausaufgaben: Statt daheim dürfen die Industrienationen ihre Öko-Schuld auch im Ausland tilgen - fast unbegrenzt. Drei "flexible Mechanismus" zählen: der Kauf von Emissions-Zertifikaten, klimaschonende Investitionen in reichen Staaten sowie Technologie-Tranfers in Entwicklungsländer. Atomkraftwerke werden nicht angerechnet.

Kontrolle ist besser: Rechtsverbindlich sind die Regeln zu "Überwachung" der Kyorto-Ziele. Vorerst nur politisch belangt werden jene Staaten, die bis 2012 zu wenig tun: Für jede Tonne Treibhausgas müssen sie ab 2013 zusätzlich 1,3 Tonnen abbauen.

Geld für den Wandel: Zum Kauf von Öko-Technologie, aber auch für Deiche gegen die Flut versprachen allen voran die EU "neue und zusätzliche Mittel": 450 Millionen Euro fließen ab 2005 jährlich. Auch Japan will aufstocken, die USA knausern, beschreibt die deutsche Wochenzeitung "Die Zeit" die Beschlüsse des Bonner Klimagipfels.

Die Klima-Bibel
Zum Bonner Klimagipfel hat das IPPC seinen dritten Bericht vorgelegt [ top ]

Der internationale Klima-Ausschuß der UNO, das Intergovernmental Panel on Climate Change, kommt in seinem jüngsten Bericht zur Kenntnis, dass der Temperaturanstieg stärker als angenommen ist. In dem 2.000 Seiten umfassenden Report gehen die 3.000 mitarbeitenden Wissenschaftler davon aus, dass die globalen Temperaturen bis zum Ende des Jahrhunderts um 5,8 Grad Celsius ansteigen werden. "Um die äußerst bedenklichen Auswirkungen der globalen Erwärmung noch abwenden zu können, muß umgehend gehandelt werden," kommentierte IPPC-Vorsitzender Robert Watson den Report. "Wir wissen genug, um sagen zu können, dass die Klimaerwärmung ein ernstzunehmendes Umweltproblem ist," so Watson.

Dies bestätigten inzwischen auch weitere Studien, die die verheerenden ökologischen Konsequenzen einer Erderwärmung aufzeigten. "Durch die Verbrennung von Öl und Gas und durch Brandrodungen setzen wir derzeit jährlich eine Kohlendioxidmenge frei, die der Photosyntheseleistung von 600.000 Jahren entspricht," warnt Harald Bolhar-Nordenkampf vom Institut für Ökologie und Naturschutz der Universität Wien. Der dadurch bewirkte Temperaturanstieg, die stärker gewordene ultraviolette Strahlung und die Zunahme des bodennahen Ozons heizt den Treibhauseffekt noch weiter an. Über die letzten 30 Jahre hinweg haben Satelliten einen Rückgang der durchschnittlichen Schneedecke um zehn Prozent aufgezeichnet - Gletscherrückgang in allen Gebirgen, eine um zwei Wochen kürze Eiszeit auf Seen und Flüssen, die Eisdecke der Arktis im Sommer um 40 Prozent und ihre Ausdehnung bis zu 15 Prozent verringert hat.

Die russische Akademie der Wissenschaften schlägt ebenfalls Alarm - die bis zu mehreren Metern tiefen Permafrost-Böden Sibiriens tauen auf. Aus dem Boden der Tundra sickert das auftauende Eis in die Flüsse. Steigt die Temperatur, wie das ICCP prognostiziert, weiter an, wird das permafrostige Sibirien zu einem großen "Schlammpool". Der Einfluß des Klimawandels auf die Umwelt und damit auf die Menschen ist mehr als belegt. Kaum ein Fleck der Welt wird davon nicht berührt. Die Liste der durch Klimawandel verletzlichen natürlichen Öko-Systeme umfasst Korallenriffe, Mangrovenwälder, Lebensräume in der Arktis und in den Bergen, Feuchtgebiete, Prärien und Gletscher ebenso wie biologisch besonders vielfältige Gebiete wie die Regenwälder.

Zudem gibt es "bedrohte menschliche Systeme": Wasserressourcen, Forstwirtschaft, Gesundheit, Siedlungen, Energiesysteme, Industrie und Finanzdienstleistungen. Ganz zu schweigen, so der ICCP-Report, von kleinen Inselstaaten und der indigenen Bevölkerungen aller Kontinente. Das ICCP erinnert die Politik in seinem Report daran, dass dies keine schicksalhafte, unabwendbare Entwicklung ist. Watson appellierte an die Industriestaaten, Technologien einzusetzen, um die Treibhausgas-Konzentrationen zu reduzieren. Es liegt auf der Hand, so Watson bei der Vorstellung des Reports, dass Treibhaus-Emissionen von der industrialisierten Welt stammten. Auch in Zukunft bleiben die Pro-Kopf-Emissionen Indiens und Chinas klar hinter jener der USA und Europa.

Watson forderte die reichen Länder auf, Energie zu sparen, sanfte Energie zu fördern, schlussendlich nachhaltiger zu wirtschaften. In diesem Zusammenhang soll an die Aussage des Geschäftsführers der Deutschen Energie-Agentur, Stephan Kohler, erinnert werden. Laut Kohler kann in Deutschland ohne Verzicht - nur per Technik - die Hälfte des gegenwärtigen Primärenergieverbrauchs eingespart werden. Die Bürger verschwenden Energie, aber auch die Industrie, betont Kohler. Er geht davon aus, dass die Industrie und das Gewerbe bis zu 40 Prozent am Energieaufwand einsparen können.

Der internationale Naturschutzverband WWF bestätigt in zwei Studien, dass der Klimaschutz die Konjunktur ankurbeln kann. In Europa führt laut WWF-Studie eine frühzeitige und effiziente Klimapolitik zur drastischen Kosteneinsparungen. Der WWF geht davon aus, dass die EU an die 95 Prozent ihrer Klimaschutzziele ohne zusätzliche Kosten erreichen kann. Zur Umsetzung des Kyoto-Zieles muss die EU bis 2010 lediglich 0.06 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes, das sind gerade mal drei Milliarden Euro jährlich, aufwenden. Aufgeteilt auf die Mitgliedsländer, ein "Spottbetrag", so der WWF. Die Folge - die EU würde ihren Kohlendioxid-Ausstoß um acht Prozent verringern. Diese Art Klimaschutz sorgt für technische Innovationen. Der Klimaschutz ist also kein Job-Killer, ganz im Gegenteil.

Unerwartete Hilfe
Die OECD und Versicherungsgesellschaften drängen auf eine effiziente Klimaschutzpolitik [ top ]

Die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, kein Öko-Verein, drängt auf einen nachhaltig umweltverträglichen Verkehr. Die OECD beschreibt, was nachhaltiger und umweltverträglicher Verkehr ist: der die Gesundheit der Menschen oder der Öko-Systeme nicht gefährdet. Die OECD geht noch ein Stück weiter - dem Verkehr darf nicht noch mehr Energie geopfert werden, die OECD plädiert für das Sparen. Auf einer internationalen Verkehrstagung in Wien appellierten OECD-Experten an die Alpenstaaten, von der bisher praktizierten Verkehrspolitik abzurücken. In ihrer Pilot-Studie "nachhaltig umweltverträglicher Alpenverkehr - EST Alpin" drängt die OECD darauf, die vom Verkehr verursachten C02-Emissionen (immerhin zwei Drittel der gesamte Luftschadstoffe) auf das Niveau von 1990 zu reduzieren.

Nur so, heißt es im EST-Alpin-Papier, können Klimaveränderungen verhindert werden. Verringert werden müssen aber auch Stickstoffdioxide, die Ozonbelastung, das krebserzeugende VOC, Feinpartikel und der Lärm. Schlussendlich sollen laut OECD keine weitere Flächen für Verkehrsinfrastrukturen, also für Straßen und Flugplätze, verbaut werden. Ein OECD-Klimapaket, inspiriert vom Geist von Kyoto.

Kyoto ist auch für die Versicherungswirtschaft zum Motto geworden. Kein Wunder. "Die Aufwendungen für Naturkatastrophen haben sich im letzten Jahrzehnt auf die unglaubliche Summe von 608,5 Milliarden Dollar hochgeschraubt, das ist dreimal soviel wie im Jahrzehnt davor," schreibt das österreichische Nachrichtenmagazin "news". Nicht von ungefähr haben deshalb die großen Versicherungsgesellschaft sauer auf das Nein von US-Präsidenten George Bush reagiert, das Kyoto-Protokoll nicht zu ratifizieren. In einem Interview mit "news" sagte Johannes Mühlenburg von der Versicherungsgesellschaft Uniqa, "dass ein Grad globaler Erwärmung die Versicherungswirtschaft weltweit 100 Milliarden Dollar jährlich kostet, die für Schadenswiedergutmachung aufgewendet werden müssen". Mühlenburg geht davon aus, dass das derzeitige Versicherungssystem - wird die globale Erwärmung nicht gestoppt - nicht mehr finanzierbar ist. So verweist die weltweit größte Rückversicherung, die deutsche Rück, darauf, dass "die Schadensbelastungen durch Naturkatastrophen seit den sechziger Jahren um das Achtfache zugenommen haben".

Die Umweltschützer haben starke Schützenhilfe erhalten, durch die Versicherungslobby. Uniqa-Experte Mühlenburg begrüßt die neue Allianz, "denn schließlich leben wir alle auf einer Erde. Nur werden sich unsere Methoden zur Erreichung des Ziels unterscheiden. Die Umweltschützer appellieren an das Gewissen der Politiker, wir an ihren Geldbeutel". Mühlenburg winkt mit dem Zaunpfahl: "Wenn der Trend der Erwärmung nicht zum Stillstand gebracht werden kann, werden wir schon in wenigen Jahren viele Ereignisse nicht mehr versichern können. Die entstandenen Schäden gehen dann ausschließlich zu Lasten der öffentlichen Hand. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das im Sinne verantwortungsbewusster Politiker ist".

Global denken, lokal handeln
Vom erfolgreichen Bündnis zwischen europäische Kommunen und den indigenen Völkern im Amazonasbecken [ top ]

Der Bonner Klimagipfel Mitte Juli 2001 und sein dürftiger Kompromiss zur Reduzierung der Treibhausgase, immerhin der Einstieg in den globalen Klimaschutz, ist die späte Folge eines Bündnisses. Es ist das internationale Klimabündnis zwischen westeuropäischen Kommunen und den Organisationen indigener Völker des Amazonasbeckens, das die Rettung des Weltklimas zum politischen Thema machte. Während der Amazonientage 1989 in Berlin wurde der Grundstein zum Bündnis gelegt.

Die Gespräche machten deutlich, dass die Ursache für die Zerstörung Amazoniens in der europäischen Lebensweise, im industriellen Umgang mit den Ressourcen dieser Welt liegt. Globale Klimaveränderungen bedrohte das Leben, ökologisch intakte Lebensgemeinschaften werden zunehmen weltweit zerstört, im besonderen die tropischen Regenwälder am Äquator. Zwei Drittel aller Emissionen kommen von den nördlichen Industrieländern, vor allem das am Treibhauseffekt beteiligte C02 durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Mineralöl, Kohle und Gas. Aus dieser Kenntnis heraus wurde das Bündnis gegründet, das ein solidarischer Schritt ist zum Erhalt der Erdatmosphäre. Die indigenen Völker haben bisher mit ihrer Wirtschaftsweise bewiesen, dass sie Tropenwald umweltverträglich nutzen können. Ihr Lebensinteresse ist an den Wald geknüpft.

Jede europäische Stadt bzw. Gemeinde, die dem Klimabündnis betritt, verpflichtet sich:
- den Energieverbrauch zu senken;
- den motorisierten Verkehr zu verringern,
- die Emissionen, vor allem von C02, bis zum Jahr 2010 zu senken,
- einen FCKW-Stop durchzusetzen,
- auf Tropenholz zu verzichten,
- die Interessen der Amazonas-Bevölkerung, die für den Tropenwalderhalt und die Demarkierung ihrer Territorien kämpfen, zu unterstützen.

Den Rahmen für inhaltliches Handeln gibt das Manifest zum Klimabündnis, welches jede Gemeinde bei ihrem Betritt unterschrieben hat. Es wurde bisher von mehr als 800 europäischen Städten und Gemeinden verbindlich unterzeichnet. Gefordert sind die Bündnis-Gemeinden durch lokales Handeln. Sie müssen konkrete Maßnahmen ergreifen, um Klimaschutz durchzusetzen. Von ihrem ökologischen Stadtumbau hängt es ab, ob die Emissionen der Städte des Nordens, die Hauptursache der Klimaveränderung, gesenkt werden.

Der deutsche Klimaforscher Hartmut Grassl lobte auf der 10. Jahrestagung in Bozen das internationale Klimabündnis für das erfolgreiche Engagement von unten, für den sichtbaren Klimaschutz. Die Bündnis-Gemeinden ist es laut Grassl gelungen, ohne Zwang, d.h. ohne Gesetze und Sanktionen, viele kleine Weichen zu stellen. In den Jahresberichten der Geschäftsstelle des Klimabündnisses in Frankfurt wird dokumentiert, wie erfolgreich kommunaler Klimaschutz sein kann, gepaart mit Selbsthilfeprojekte für die indigenen Partner im Amazonas-Regenwald. Auf seiner 10. Jahrestagung in Bozen bestätigte das internationale Klimabündnis mit dem Bozner Manifest die ursprünglichen Ziele. Es gibt aber eine Ergänzung, einen Zusatz - unter dem Dach des Klimabündnisses soll auch ein Bodenbündnis Platz finden.

Der Schutz des Klimas soll auch über den Schutz der Böden erreicht werden. Jene Wissenschaftler, die die wichtige Rolle der Böden für das globale Klima unterstreichen, sind nicht mehr allein. Der Verlust an Boden ist erschreckend. Der us-amerikanische Agrarwissenschaftler David Pimentel errechnete, dass in den vergangenen 40 Jahren nahezu ein Drittel der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche durch Erosion verloren ging bzw. schwer geschädigt wurde. Das entspricht einem Verlust von rund zehn Millionen Hektar pro Jahr - mehr als die Fläche Portugals. Die Haut der Erde, sie ist bedroht.

Was hat der Boden mit dem Klima zu tun?
"Wir mussten lernen, dass wir mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften, diese Haut verletzen und das Weltklima verändern können; mit weitreichenden Auswirkungen auf die Menschen und Gesellschaften". Riesige Staubwolken aus den Feldern und Äckern verdunkelten den Himmel. Der berüchtigte Dust-Bowl der 30er Jahre, die Folge des intensiven Ackerbaus, machte aus dem Mittlern Westen der USA ein Wüsten-Land. Als das letzte Gebüsch als Brennholz verbrannt war, fegte ein Sandsturm über das Land. Die Quellen vertrockneten, die Menschen mussten flüchten. So geschehen in den 80er Jahren in der Sahel-Zone. Die gigantischen agrarindustriellen Projekte der Sowjets ließen den Aral-See verdampfen, das Umland vertrocknete. Ähnliches geschieht im Regenwald-Gürtel am Äquator. Die Böden, sie kommen unter die Räder.

Wir degradieren die Böden in gravierendem Ausmaß. Was in wenigen Jahren zerstört, gestört bzw. verunreinigt wird, braucht Jahrzehnte um sich zu regenerieren bzw. Jahrhunderte und Jahrtausende, um sich wieder zu bilden. Im Unterschied etwa zum Klimawandel oder zum Verlust biologischer Vielfalt ist dies noch nicht vergleichbar ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Es handelt sich jedoch um ein Problem mit der gleichen tragweite. Laut Klimaforscher Hartmut Grassl spielen die Böden eine wichtige Rolle für das Klima. Ebenso sind sie für die Biodiversität und den Wasserhaushalt grundlegend. Wer das Klima schützen will, hat sich der Böden anzunehmen. Und zugleich sind die Böden aus eigenem Recht zu schützen, sind die Bodenfunktionen in ihrer ganzen Vielfalt zu achten. Die Aufgabe steht an, Bodenbewusstsein zu stärken und zu einem nachhaltigen Umgang mit Böden zu kommen.

International verbindliche Bodenkonvention als Rahmen
Wiederholt wurde die Bodenproblematik in Dokumenten und internationalen Deklarationen - etwa der "Welt-Boden-Charta" der FAO, der "Europäischen Boden-Charta" des Europarats etc. - aufgegriffen. Im Unterschied zum Klima und zur Biodiversität ist es jedoch auf der Konferenz in Rio 1992 nicht gelungen, auch zu Böden eine international verbindliche (Rahmen-)Konvention zu verabschieden bzw. auf den Weg zu bringen. Immerhin gelang es als ersten wichtigen Schritt, Verhandlungen über ein UN Übereinkommen zur Bekämpfung der Wüstenbildung zu beschließen. Diese Konvention ist zwischenzeitlich verabschiedet und in Kraft getreten.

Diese Konvention wurde jedoch auf Trockengebiete eingegrenzt. Das hat eine gewisse Berechtigung, da gerade in diesen Gebieten die besonders akuten Probleme auftreten. Folgendes ist jedoch zu beachten: Durch die regionale Einschränkung besteht die Gefahr, dass der Schutz der Böden vor Raubbau weiterhin nicht als globale Aufgabe und Problematik verstanden wird, mit der gleichen Tragweite wie Klimaschutz und Schutz der Biodiversität. Zugleich wird damit der Eindruck verstärkt, dass in den Industriestaaten das "Problem weit weg wäre", wir also gleichsam nur als Geber von know-how und Finanzmitteln gefragt seien. Wir sind aber Teil des Problems. Die Böden werden weltweit zerstört und degradiert. Ein Teil der Industriestaaten hat nur den Vorteil, dass ein gemäßigtes Klima mit relativ jungen, fruchtbaren Böden zusammentrifft. Die dort entwickelten Praktiken, etwa die Böden großflächig längere Zeit ohne jeden Bewuchs zu lassen, hat bei deren Übertragung in andere Klimazonen zu teilweise katastrophaler Erosion beigetragen. Durch Versiegelung gerade besondes fruchtbarer Flächen für Siedlungen und Infrastruktur werden in großem Maßstab Böden für sehr lange Zeiten unbrauchbar gemacht bzw. ganz zerstört.

Die ersten Erfahrungen mit der Umsetzung der UN Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung weisen in die Richtung eines zunehmenden Verständnisses für den übergeordneten, umfassenden Charakter der Bodenproblematik. Obwohl auf die Trockengebiete und semiariden Gebiete eingegrenzt, wird der Ansatz zwischenzeitlich darüber hinaus angewandt, beispielsweise wird ein Anhang für die Staaten Mittel- und Osteuropas erarbeitet. Während der Debatte um eine Bodenkonvention entstand die Idee, dass vergleichbar dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) dringend ein Intergovernmental Panel on Soils (IPS) einzurichten ist. Dies könnte der nächste Schritt sein zur Verstärkung der Wirkung der Konvention zur Wüstenbekämpfung. Zugleich kann dies dann zur Vorbereitung für deren anstehende Weiterentwicklung zu einer umfassenden Bodenkonvention dienen.

Sind Böden nicht etwas lokales? Ist der nachhaltige Umgang mit Böden nicht vorrangig vor Ort in den Kommunen und Regionen anzugehen? Dies ist völlig richtig. Zugleich ist es aber dringlich, dass ein internationaler Rahmen geschaffen wird, der verbindlich ist und nicht nur empfehlenden Charakter hat. Wichtig ist insbesondere, dass endlich die globale Dimension und Tragweite der Bodenthematik gesehen wird. Und dann umso entschiedener auf allen Ebenen, insbesondere vor Ort einen nachhaltigen Umgang mit Böden zu initiieren. Bodenschutz ist nicht vorrangig eine nachsorgende Aufgabe, wenn Altlasten bekannt werden bzw. es sich gar nicht mehr länger verhindern lässt, dass Verdachtsflächen zu sanieren sind. Vielmehr ist pro-aktiv heranzugehen.

Lokale Lösungen für ein globales Problem - die Rolle der Kommunen
Das Klima-Bündnis gibt ein interessantes Vorbild, wie globale Aufgaben vor Ort in den Kommunen angegangen werden können. Die Kommunen haben nicht nur den Vorteil der größeren bürgernähe, sind gerade auch bezogen auf die Einbeziehung der Interessen aller Beteiligter wichtig. Gibt es da nicht ein ganz gewichtiges Hindernis? Ist es nicht so, dass in den Städten und anderen Gemeinden Böden gar nicht als Böden sondern nur als Flächen-Standorte interessieren? Wird nicht typischerweise in den Wissenschaften ebenso wie in der praktischen Umsetzung zwischen den Bodenfachleuten und Bodennutzern sowie den Flächenfachleuten (Raum- und Stadtplanung) sowie den Nutzern von Flächen unterschieden? Und ist es nicht zugleich so, dass selbst die fruchtbarsten Böden ökonomisch in agrarischer oder forstlicher Nutzung sehr viel weniger wert sind wie in fast allen anderen Nutzungen ihrer Überbauung? Werden damit nicht gerade durch die ökonomische Wertsteigerung in den Siedlungen systematisch die Böden zerstört und degradiert?

Solange die Böden nicht umfassend in allen ihren Funktionen verstanden werden, wird sich diese systematisch angelegte Problemverschärfung fortpflanzen. Fortschrittliche Kommunen verfolgen jedoch bereits seit längerem eine anders gerichtet Politik. Ist es doch offenkundig, dass Böden beispielsweise für den Wasserhaushalt, die biologische Vielfalt, das städtische Mikro-Klima, die Lufthygiene und damit die Gesundheit einer Siedlung sehr große Bedeutung haben. Und ebenso ist es eindeutig, dass die Menschen eine grüne abwechslungsreiche Umgebung brauchen. Wenn die Siedlungen großflächig versiegelt und betoniert werden, wird der Hang nach draußen anhalten: möglichst weit draußen zu wohnen und zu pendeln, oder zwar in der Stadt zu wohnen, aber dieser möglichst oft "zu entfliehen". Beides ist ökologisch für eine nachhaltige Entwicklung nicht zuträglich. Es muss gerade darum gehen, die Siedlungsfunktion der Böden und Inanspruchnahme für Infrastruktur im Zusammenhang mit allen Bodenfunktionen zu sehen.

Aktiv handeln für eine nachhaltige Bodennutzung
Aktives handeln für eine nachhaltige Bodennutzung bedeutet in den Kommunen sehr unterschiedliches. Klima, die Art der Böden, die vorrangige Bodennutzung, spezifischen Bodenprobleme, die Größe der Kommunen, aber auch die Handlungsspielräume entsprechend den Kommunalverfassungen und vieles mehr spielen eine Rolle. Je nach Situation, nach Problembewusstsein sind andere Maßnahmen die geeigneten Einstiegspunkte. Insbesondere ist es vorrangig, die Maßnahmen so zu planen, dass die Interessen der Beteiligten einbezogen werden. Wenn beispielsweise die ganze Agrarpolitik auf immer größere Betriebseinheiten, intensivere Bewirtschaftung etc. monokulturell ausgerichtet ist, ist es für einzelne kleinere Gemeinden im ländlichen Raum nur schwer möglich, gegenzusteuern. Wie aber vielerlei Beispiele in unterschiedlichen europäischen Ländern belegen, ist es möglich, beispielsweise durch Regionalvermarktungskonzepte Chancen für eine andere Form der Landwirtschaft zu verbessern. Damit werden zugleich die Potentiale für eine Landbewirtschaftung verbessert, bei der die Böden nicht als einfache Standorte gesehen werden, sondern deren Fruchtbarkeit über die Zeit hinweg beachtet und gefördert wird. Ebenso sind Änderungen in der Agrarpolitik kreativ zu nutzen, die etwa im Rahmen der Habitat-Richtlinie, Aufnahme des ökologischen Landbaus in die Beratung etc. Änderungspotentiale schaffen.

Ebenso hängt es davon ab, ob in Kommunen bisher eine einzige Richtung eingeschlagen wird, nämlich zu versiegeln oder ob es bereits gewisse Erfahrungen mit Entsiegelung gibt. Im Prinzip steht an, die wirtschaftliche Entwicklung systematisch von der Flächeninanspruchnahme abzukoppeln, vergleichbar der Entkoppelung in den Energieströmen. Dazu bieten sich für Kommunen ganz konkrete Projekte und Maßnahmen an. Wenn beispielsweise die Ausweisung von Gewerbegebieten für Industrie und Handel ansteht, können Wettbewerbe ausgelobt werden, in denen eine ökologische Bauweise (Energie, Materialien etc.) bewusst den Flächenverbrauch einbezieht. Kreative Konzepte von Handelshäusern auf mehreren Ebenen könnten zu einem Standortvorteil werden und den immer weitergehenden "Flächenfraß" stoppen. Der Strukturwandel kann genutzt werden, umzuwidmen und nicht noch immer weitere Flächen zu beanspruchen.

Vergleichbar ist zu fragen, ob nicht durch Entsiegelung Kosten für Entwässerung gespart werden können. Wenn diese Kosten vergleichend für konkrete Projekte und Gebiete der Kommunen ausgewiesen werden, könnte damit die Thematik Boden in ihrem Gesamtzusammenhang und ihrer grundlegenden Bedeutung mehr Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden. Zugleich sind damit die Wirtschaftsinteressen, die zum Teil die Böden als Böden völlig ignorieren und ausschließlich Flächen als Standorte im Sinn haben, in ihrer ökonomischen Rationalität ansprechbar. Ausgehend von derartigen Beispielen sollte eine zunehmend umfassendere Bodenpolitik angestrebt werden.

Das Klimabündnis ist für den Nord-Süd-Bezug ein guter Anreger und ein guter Partner für ein Bodenbündnis von Kommunen. Denn auch beim Boden ist der Zusammenhang mit den Interessen in Ländern des Südens prägnant und essentiell. Landlose roden Wälder, um zumindest für einige wenige Jahre ihr Auskommen zu haben. Da viele der tropischen Regenwälder ebenso wie Trockenwälder auf sehr alten Böden wachsen, müssen vielfach die Böden nach wenigen Jahren aufgegeben werden. Ebenso sind in vielen Trockengebieten die Folgen der Bodendegradation bereits aktuell drastisch zu spüren. Deshalb ist ein Ansatz wie im Klimabündnis, selbst aktiv im Rahmen der eigenen Einflussmöglichkeiten initiativ zu werden und gleichzeitig solidarisch die globalen Zusammenhänge einzubeziehen, besonders vorteilhaft. Zusammenarbeit mit Initiativen wie "Die Bodenkampagne" der Charles Léopold Mayer Stiftung, Paris, die weltweit aktiv ist, können hierzu gut genutzt werden.

Von Martin Held, von 1992-1994 Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Schutz der Menschen und der Umwelt", Studienleiter für Wirtschaft an der Evangelischen Akademie Tutzing, Co-Autor des Vorschlags für eine Bodenkonvention.

Was hat das Essen mit Wirbelstürmen zu tun?
Die konventionelle Landwirtschaft und ihre Folgen für Boden, Wasser und Luft [ top ]

Für Bauern haben extreme Witterungsverhältnisse wie Hitze, Kälte, Stürme, Trockenheit und andauernde Niederschläge drastische Auswirkungen: Nicht nicht nur auf die Erträge, sondern es lassen sich auch Folgeschäden erwarten. So können Klimaänderungen Obst und Weinreben ernsthaft gefährden und auf andere Standorte verdrängen. Aber auch im Ackerbau können völlig andere Produktionsverfahren notwendig werden oder eine weitere Landbewirtschaftung unmöglich machen. Die Landwirtschaft ist also mit Sicherheit eines der wichtigsten Opfer von Klimaveränderung. Aber die industrielle Landwirtschaft ist auch maßgeblicher Verursacher von Klimaveränderungen:

Konventionelle Landwirtschaft:
- verursacht 20% der Treibhausgas-Emissionen
- 2,3 Tonnen CO2/ha 80% davon ergeben sich aus dem Zukauf von:
- Dünger
- Futter
- Maschinen

Der Hauptanteil der Emissionen stammt aus der Produktion tierischer Nahrungsmittel, für Rindfleisch und Milch (große Futtermittel-Importe aus sog. Entwicklungsländern und den damit dort verbundenen Brandrodungen). Die konventionelle Landwirtschaft, die eine sehr spezialisierte ist, hat weltweit durch Monokulturen, übermäßigem Einsatz von Mineraldüngern, Pestiziden und durch die Massentierhaltung und deren Auswüchsen z.B. zu dramatischen Bodenverdichtungen und -erosionen geführt, sowie zu erheblichen Schadstoffbelastungen von Boden, Wasser und Luft. Als Ausweg aus diesem Teufelskreis des zugleich Täter- und Opferseins ist der Übergang zur biologischen Landwirtschaft zwingend notwendig. Die biologische Landwirtschaft nimmt eine Schrittmacherrolle für den Umwelt- und Klimaschutz, heute mehr denn je auch den Gesundheitsschutz, ein:

Vergleich biologische : konventionelle Landwirtschaft

Biologische Landwirtschaft
klimaschädliche Treibhausgase: 50% weniger; z.B. 60% CO2-Emissionen weniger Verbrauch
Primärenergie: 2/3 weniger
Rohstoffverbrauch: niedriger (keine Mineraldünger keine Pestizide)
Belastungen von Böden, Gewässern, Luft mit Pestiziden und Nitraten: keine bzw. viel geringere.
Bodenerosion: vermindert
Förderung natürlicher Kreisläufe

Konsequent biologischer Anbau sorgt z.B. auch dafür, dass in einem tief durchwurzelten, stabilen und lebendigem Bodenprofil Niederschlagswasser gespeichert, gereinigt und über einen vielfältigen Pflanzenbestand wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Erst dadurch kann wieder der sog. Umlaufregen entstehen, der für die regionale, ökosystemgerechte Verteilung der Niederschläge sorgt. Dies ist wiederum der beste Schutz vor Dürre und Bodenerosion und gibt in Verbindung mit einem vielfältigen Pflanzenbestand die Grundlage für anpassungsfähigere Agrarökosysteme und ein stabileres regionales und globales Klima.

Wenn wir heute die Klimaveränderungen schon im Alltag spüren können und ernstzunehmenden Wissenschaftler dringend vor deren Folgen warnen, so ist in der Landwirtschaft keine Zeit mehr zu verlieren, die richtigen Weichen zu stellen. Nur eine Landwirtschaft, die den Kriterien der Nachhaltigkeit entspricht kann verantwortet werden. Dass die flächendeckende Umstellung auf biologischem Anbau nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch möglich ist, belegen diverse Studien.

Aber nicht nur die Art des Landwirtschaftens, sondern auch die Art unserer Ernährung trägt maßgebend zum Klimaschutz bei: Ökobilanzen, die den gesamten Lebenslauf von Lebensmittel betrachten wie die Erzeugung, Verarbeitung, Vertrieb, Zubereitung und Entsorgung zeigen auf, wie klima- bzw. umweltbelastend einzelne Lebensmittel sind:

CO2-Emissionen

Vergleich konventioneller : biologischer Anbau

Lebensmittel
(durchschnittliche Tagesportionen)
CO2-Emissionen
konventionell biologisch
Brot 360 g 180 g
Rindfleisch 460 g 290 g
Getreidelaibchen 32 g 12 g
Milch 125 g 55 g
Tomaten 640 g 140 g
Äpfel 220 g 50 g
Bohnen 640 g 50 g

biologisch angebaut: regional, saisonal
konventionell angebaut: nicht saisonal (oft importiert, oft Gewächshaus)

Anhand dieser Tabelle und der folgenden lassen sich im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit auch gut die Unterschiede zwischen tierischen und pflanzlichen Lebensmittel ablesen:

ökologischer Rucksack
Lebensmittel Material-Input
pro kg Endprodukt
Fleisch, Fleischerzeugnisse 17 kg
Zucker 13 kg
pflanzliche Öle + Fette 12-13 kg
Getreide, Kartoffel, Hülsenfrüchte 2-4 kg
Obst und Gemüse 1,4 kg

Vergleicht man die Fleischproduktion mit der des Gemüses gilt die Faustregel:
1 kg Fleisch = ca. 10x umweltbelastender als 1 kg Gemüse

Selbst wenn man betrachtet, dass 1 kg Gemüse einen geringeren Nährwert haben kann als Fleisch, schneidet Gemüse deutlich besser ab. Kein Wunder: der Sektor Landwirtschaft verbraucht bei tierisch erzeugten Lebensmitteln 85% der gesamt benötigten Energie. Daher ist ein Vegetarier der ultimative Klimaschützer. Mit unserer Art der Ernährung und unseren individuellen Kaufentscheidungen (Produkte aus biologischer Landwirtschaft, aus fairem Handel ...) können wir auch einen wichtigen Beitrag zur ökonomischen Nachhaltigkeit und damit zur Verbesserung der Welternährungssituation leisten.

Von Christiana Herz, Südtiroler Verbraucherzentrale, Bozen

L'agricoltura del futuro
L'agricoltura intensiva è conciliabile con gli interessi dei consumatori? [ top ]

Caratteristiche dell'agricoltura intensiva
Per ottenere un aumento di produttività, da una parte si è provocato un grave danno per l'ambiente e per la salute dei consumatori che sono costretti ad acquistare prodotti ricchi di sostanze chimiche, belli magari fuori, ma di scarsa qualità e salubrità dentro, dall'altra parte non si è risolto il problema della fame nel mondo. Infatti in questo decennio, con una produzione mondiale di cibo sufficiente per sfamare tutta l'umanità, ogni anno, nei paesi più poveri, circa venticinque milioni di persone muoiono di fame e oltre un miliardo soffre di denutrizione. Ciò è dovuto all'iniqua distribuzione del cibo e alla logica di un commercio mondiale che ha favorito gli interessi di poche multinazionali che stanno conquistando il monopolio del mercato agroalimentare mondiale. Così, nel nord ricco si distruggono le eccedenze e ci si ammala per troppo cibo, soprattutto per l'eccessivo consumo di carne, mentre al sud mancano gli alimenti ed in particolare quei cereali che al nord vengono usati come mangime per gli animali (per produrre la carne che sfama un cittadino del nord, occorre una quantità di cereali che potrebbe sfamare da cinque a dieci persone del sud del mondo).

Inoltre, analizzando la produzione di carne, si nota anche in questo caso una tendenza alla produttività a scapito della qualità, in allevamenti intensivi, sempre più simili a fabbriche. Ed è proprio in questi tipi di allevamenti che si sono avuti episodi come "mucca pazza" e "pollo alla diossina" (ma anche nei maiali è poi stata riscontrata la contaminazione). Il primo, e forse più rilevante, punto debole della filiera è l'alimentazione degli animali: sempre più raro il pascolo e sempre più frequenti i mangimi, nei quali possiamo trovare farine animali (responsabili di "mucca pazza"), grassi di varie origini (contaminati, ad esempio, da PCB e diossine), farine proteiche vegetali, a base di cereali e soia (spesso di origine transgenica), sostanze chimiche per aumentare la produttività come i fattori di crescita, o per evitare malattie, come alcuni antibiotici (alcune sostanze possono essere illegali in Europa, ma non negli USA, come gli ormoni).

Attualmente sono ammessi come additivi nell'alimentazione animale, oltre a vari fattori di crescita, coccidiostatici e altre sostanze medicamentose anche otto antibiotici utilizzabili, a seconda del tipo, in tutti i diversi tipi di allevamenti animali. Gli antibiotici così impiegati possono però indurre resistenza nei batteri patogeni e, insieme alla diffusione di OGM contenenti un gene di resistenza agli antibiotici, possono essere la causa dell'insorgere di batteri insensibili ad ogni trattamento.

Un secondo aspetto della filiera è l'origine degli animali: da quale paese provengono e a quali razze appartengono. Nel caso di "mucca pazza" o di altre forme epidemiche conoscere l'origine degli animali è fondamentale. Va anche aggiunto che in base alle caratteristiche del territorio è opportuno individuare quale sia la razza più adatta per quell'ambiente, per poter ridurre l'uso di prodotti chimici, medicamenti e mangimi particolari, rinunciando in parte alla produttività in favore della qualità.

Agricoltura, ambiente e clima
La produttività delle coltivazioni ad alto contenuto tecnologico è stata garantita dal massiccio impiego di energia in ogni fase lavorativa: macchine agricole, selezione genetica, concimazione, irrigazione, controllo chimico dei parassiti, ecc. Si tratta di un enorme flusso di energia supplementare (cioè oltre a quella fornita negli ecosistemi naturali dal sole) che trasforma il sistema produttivo primario da accumulatore di energia (grazie alla fotosintesi) in forte consumatore di energia di origine fossile, con un bilancio negativo che porta a una notevole spesa economica, ma anche a un ulteriore spreco di materie prime e di fonti di energia non rinnovabili.

Inoltre l'alta produttività così ottenuta esaurisce prima la fertilità del terreno, al quale non ritornano, come in natura, i sali minerali frutto delle degradazioni cicliche della materia organica. In tal modo è necessario aumentare sempre di più l'uso di fertilizzanti di sintesi: ma così il terreno, privo di humus, diviene sterile. Tutto ciò incide pesantemente sul clima: se il bilancio energetico diviene negativo significa che vi è un aumento di produzione di anidride carbonica, mentre gli allevamenti intensivi provocano un incremento di emissioni di metano. Inoltre le coltivazioni intensive richiedono forti consumi di acqua e la perdita di humus favorisce la desertificazione.

Strategico in prospettiva è proprio il consumo di acqua: infatti l'agricoltura intensiva è rivolta soprattutto alla produzione di cereali che richiedono circa mille tonnellate di acqua per ogni tonnellata di cereali, si tratta di una quantità non sostenibile per vaste aree del pianeta, dove l'acqua già scarseggia per altri usi essenziali. L'agricoltura non sostenibile contribuisce dunque ai cambiamenti climatici, che, d'altra parte, hanno un peso rilevante sul futuro dell'agricoltura. Aumento della temperatura, evaporazione delle acque superficiali, inaridimento dei suoli, tempeste ed uragani, inondazioni stanno mettendo in crisi l'approvvigionamento alimentare di vaste aree del pianeta.

Agricoltura sostenibile per l'ambiente e i consumatori
L'agricoltura sostenibile deve mantenere la fertilità del suolo riportando al terreno agricolo quella materia organica e quei sali minerali che derivano dalla trasformazione del cibo consumato. Tutto ciò richiede l'uso di tecniche e di tecnologie appropriate, localmente disponibili, per favorire l'autosufficienza. In tal modo l'agricoltura sostenibile si propone di produrre cibo sano e di qualità senza intaccare il patrimonio naturale, come chi utilizza gli interessi, mantenendo il capitale. A tale scopo è importante valutare un giusto equilibrio tra colture erbacee e colture legnose, l'equilibrio tra graminacee e leguminose (che ripristinano il contenuto d'azoto del terreno), evitando le monocolture e i metodi intensivi. Analogamente l'allevamento del bestiame deve essere prevalentemente orientato alle produzioni, come latte, suoi derivati, e uova che non distruggono il patrimonio, cioè gli animali, avendo cura del loro benessere e utilizzando come loro cibo ciò che non è utilizzabile per gli uomini, come le erbe dei pascoli e le piante da foraggio.

Ma tutto ciò si ottiene a condizione di usare la pianta o l'animale giusti al posto giusto, utilizzando tutta la biodiversità disponibile per meglio adattarsi alle caratteristiche ambientali locali. Così l'agricoltura sostenibile, conservando e utilizzando la biodiversità, rifiuta l'uniformità produttiva del sistema agricolo industriale e rivaluta anche la tipicità dei prodotti e la biodiversità dei gusti del cibo a seconda delle regioni. Inoltre, avendo come obiettivo la qualità e non tanto la quantità, si adatta anche a quelle regioni considerate marginali, come quelle di collina e di montagna.

Tutto ciò porta al ripristino dei differenti ambienti rurali, cancellati dalle monocolture, rivalorizzando ambiente e paesaggio, ma anche sottraendo le zone montane al dissesto idrogeologico, causato dall'abbandono delle coltivazioni. Ma il consumatore, preoccupato e disorientato dalla mancanza di sicurezza dei prodotti alimentari, chiede non solo un'agricoltura rispettosa dell'ambiente, ma anche della sua salute attraverso prodotti che forniscano trasparenza in termini di informazione, garanzia di controlli e di certificazioni.

Rendere norma generale la certificazione lungo le varie fasi della filiera, adottare l'etichettatura di processo, garantire la qualità con appositi marchi, sono scelte che non solo favorirebbero la trasparenza e le giuste richieste dei consumatori, ma anche una positiva evoluzione dell'agricoltura e della zootecnia verso la sostenibilità ambientale delle produzioni vegetali e animali. In tal senso va anche la recente proposta di un marchio di qualità ambientale per l'agricoltura (DAC: Denominazione di Ambiente Controllato). Tale evoluzione darebbe anche maggiore garanzia per il futuro a tutta l'economia del settore, come indicato nell'agenda 2000 proposta dalla Commissione Europea, che indica come strategico il passaggio dalla quantità alla qualità.

Gianni Tamino, Universita' di Padova.

Il mondo e' verde?
Cambiamenti climatici, agricoltura e foreste [ top ]

La biosfera scambia infatti ogni anno con l'atmosfera circa 120 miliardi di tonnellate di carbonio che equivalgono a circa 440 miliardi di tonnellate di CO2. L'uomo, con le sue molteplici attività, immette nell'atmosfera circa 21 miliardi di tonnellate di CO2 ma il contenuto di CO2 dell'atmosfera aumenta annualmente di "solo" 10 miliardi di tonnellate. Considerando che gli oceani "sequestrano" ogni anno circa 4-7 miliardi di tonnellate di CO2, il calcolo porta a concludere che la biosfera terrestre e cioè le foreste, le grandi praterie ed il suolo sono in grado di accumulare ogni anno oltre 7 miliardi di tonnellate di CO2. Una quantità, questa che si va ad aggiungere alle oltre 5700 miliardi di tonnellate di CO2 che sono già oggi contenute nella vegetazione e nella frazione organica del suolo di tutte le terre emerse.

Cifre queste, che fanno capire che la biosfera terrestre potrà avere un ruolo fondamentale nel bilancio globale di Carbonio del pianeta. L'uomo può infatti incrementare questo "pozzo biosferico" per raggiungere l'obiettivo di frenare l'aumento di gas serra nell'atmosfera e con essi "mitigare" gli effetti del cambiamento climatico che è già in atto. E data la grande complessità della materia vengono mostrati, a titolo di esempio, i risultati di alcuni studi scientifici che mostrano chiaramente come l'aumento di concentrazione atmosferica di CO2 potrà avere un effetto positivo sulla crescita delle piante coltivate.

Le specie considerate saranno vite e patata che rappresentano un po' della grande varietà di forme vegetali che sono il patrimonio della nostra agricoltura. Ma questo effetto positivo non potrà impedire, come altre ricerche stanno dimostrando chiaramente, che accresca, sul pianeta, il numero delle aree vulnerabili dove il cambiamento climatico creerà situazioni di emergenza fra non molti anni. L'aumento di gas serra, poi, potrà avere effetti diretti sulla qualità delle piante e delle colture andando ad alterare il rapporto fra nutrizione minerale e assimilazione fotosintetica che sta alla base della qualità intrinseca anche di molti nostri produzioni.

Infatti l'agricoltura, ed anche la nostra agricoltura, potranno svolgere un ruolo fondamentale nei processi di mitigazione del cambiamento climatico. Nella relazione viene infatti mostrato come una gestione diverse del sistema agricolo, una ottimizzazione di alcune sue funzioni può già da subito contribuire a "sequestrare" carbonio nel terreno sotto forma di sostanza organica e come questo sequestro può avere dimensioni interessanti anche in rapporto all'economia del nostro paese. Viene anche spiegato ed illustrato come l'utilizzo delle biomasse agricole a fini energetici potrà anch'esso contribuire al contenimento dei gas serra nell'atmosfera. Concludo con l'invito alle amministrazioni pubbliche, al mondo della produzione e dell'impresa e a quello della ricerca di stabilire contatti e sinergie su basi operative concrete, nei prossimi mesi ed anni, per arrivare a sviluppare e mettere in pratica metodiche di gestione innovative che siano utili per la protezione del nostro sistema terra e del suo inestimabile ambiente naturale.

Franco Miglietta è un dirigente di ricerca del Consiglio Nazionale delle Ricerche è può essere contattato al seguente indirizzo email: migliet@iata.fi.cnr.it.

Eine neue Partnerschaft
Die Projekte der Südtiroler Klimabündnis-Gemeinden [ top ]

"Ein Bündnis zu schließen bedeutet, dass unterschiedliche Ideologien und Kulturen, die einem gleichen Problem gegenüberstehen, sich zusammenschließen. In Europa ist es das Klima, bei uns ist es das Problem der Zerstörung des Amazonasregenwaldes, unseres Landes. Hier gibt es Berührungspunkte, denn die Umwelt ist ein gemeinsamen Anliegen, an dem wir an verschiedenen Stellen der Erde gemeinsam arbeiten können. Und es gibt eine Voraussetzung, die respektiert wird: ein Bündnis wird zwischen Gleichberechtigten geschlossen, keiner geht über den anderen hinweg, sondern man steht sich ebenbürtig gegenüber," so bewertete Evarista Nukuag, der ehemalige Vorsitzende der indigenen Organisation Coica, das Klimabündnis.

60 Südtiroler Gemeinden sind diesem Bündnis, dieser Partnerschaft, beigetreten. Rund Dreiviertel der Südtiroler BürgerInnen leben in Klimabündnis-Gemeinden. Bei den Themen Energieeinsparung und Verkehrsvermeidung wurden die Gemeinden bisher vom Landesamt für Luft und Lärm beraten. Seit kurzem haben sich die Klimabündnis-Gemeinden in einem Verein zusammengeschlossen. Einige der Gemeinden haben in den letzten Jahren begonnen, verschiedene Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Schwerpunkt dabei - die Nutzung von erneuerbarer Energie und Energieeinsparung.

Sparen ist möglich!
Ein Teil der Bündnis-Gemeinden hat in den vergangenen Jahren regelmäßig Energieberichte erstellt. Diese geben Aufschluß über den Energieverbrauch der gemeindeeigenen Gebäude, der öffentlichen Beleuchtung und der Dienstfahrzeuge. Die Energieberichte machen deutlich, wo die größten Einsparungen möglich und machbar sind.

Wärme aus dem Wald
Als erste Gemeinde hat Rasen-Antholz ein Fernheizwerk gebaut - der Rohstoff dabei: Hackschnitzeln aus Holzabfällen. Die gewonnene Energie wird durch ein Rohrsystem zu den öffentlichen Gebäuden und den privaten Haushalten transportiert. Die Belastung der Luft mit Abgasen wird durch eine wirksamere Verbrennuung und durch die Zentralisierung der Anlage stark reduziert. Derzeit sind 15 Fernheizwerke in Betrieb, weitere in Bau oder in Planung. Demnächst werden 15 Prozent des Gesamtverbrauchs durch Holz abgdeckt sein.

Warmes Wasser von der Sonne
Die Sonne strahlt in einer halben Stunde soviel Wärme auf die Erde, dass damit der Energiebedarf der gesamten Welt für ein Jahr gedeckt werden könnte. In den vergangenen Jahren haben viele Südtiroler Sonnenkollektoren auf ihre Hausdächer montiert. Die gesamte Kollektorfläche macht in Südtirol bereits 100.000 Quadratmeter aus. Die entspricht einem Drittel der Gesamtzahl der Sonnenkollektoren italienweit. Die Landesregierung fördert über das Amt für Energieeinsparung die sanfte Energie. Auch die Wirtschaft hat die Sonne entdeckt: Die Weinkellerei Lageder in Margreid erzeugt über Solarzellen Strom für ihre Abfüllmaschinen.

Klimaschutz von klein auf
In vielen Schulen wurden in den vergangenen Jahren Projekte zu den Themen Energie und Klima erarbeitet. In Gruppenarbeiten, Zeichenwettbewerben und bei Bastelaktionen wurden Vorschläge zum Klimaschutz ausgearbeitet und teilweise auch umgesetzt.

Klima verbündet
Mit der Wander- und Erlebnisausstellung "Klima verbündet" wurden seit 1997 mehr als 16.000 Schülerinnen und Schülern angesprochen. Die Ausstellung war in 30 Gemeinden zu sehen. Viele Gegenstände, Modelle und Spiele laden zum Angreifen und Mitmachen ein. Was es mit dem Treibhauseffekt auf sich hat, wer die Verursacher sind, was Amazonien mit uns zu tun hat und was wir zum Erhalt des Klimas tun können.

Schulprojekt Prima Klima
Die Idee dieses Projektes ist es, den Energieverbrauch in den Schulen durch ein energiebewusstes Verhalten zu senken. Der Anreiz für dieses Projekt liegt darin, dass die Schule aufgrund einer Vereinbarung mit der Gemeinde das eingesparte Geld für eigene Projekte einsetzen kann. Für die Aktion stellt das Landesamt für Luft und Lärm ein Klima-Paket zur Verfügung: einen Energiespar-Koffer mit Instrumenten zum Messen des Energieverbrauchs in der Schule; ein Praxishandbuch mit Anleitungen; ein Arbeitsheft für Lehrer; die Prima-Klima-Sammelmappe mit Materialien für Aktionen und Initiativen zum Thema, usw. An dem Projekt haben sich in den vergangenen Jahren mehr als 20 Grund- und Mittelschulen beteiligt.

Helfen anders - Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Südtirol und Equador
Das Land und Gemeinden arbeiteten im Rahmen des internationalen Klimabündnisses mit indigenen Gruppen im östlichen equadorianischen Regenwald zusammen. Als Ansprechpartner galt bisher die Confeniae, die Förderation indigener Organisationen. In diesem Gebiet leben neun Völker mit unterschiedlicher Sprache und Kultur. Südtirols Bündnispartner haben mehr als ein Dutzend Projekte unterstützt und zwar das "Monitoring" von Umweltschäden, die Projekte Landdemarkation und "Schmetterling".

Monitoring: Die indigenen Völker wehren sich gegen die Erdölförderung in ihren Gebieten. Derzeit prozessieren Indianerorganisationen gegen US-Konzerne und könnten Millionen Dollar an Schadensersatz erstreiten und die Konzerne zur Änderung ihrer bisher umweltschädlichen Förderungsmethoden zwingen. Auf Vorschlag der Confeniae finanziert das Klimabündnis das "Monitoring", die Erfassung von Umweltschäden. 1996 haben sich die Südtiroler Bündnis-Gemeinden mit zwei deutschen Städten am Monitoring beteiligt.

Landdemarkation: Die Confinae drängt auf eine Landvermessung, um die rechtliche Anerkennung der indigenen Gebiete durchzusetzen. Es wurde bereits ein Demarkationsprogramm für das gesamte Amazonasgebiet ausgearbeitet und mit dem Landwirtschaftsministerium ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet. Zwischen Regierung und Indianerverbänden laufen seit Jahren Verhandlungen zur Klärung der Eigentumsverhältnisse.

Schmetterling: Mit diesem Projekt werden indigene Völker in Equador in ihrem Kampf gegen die Zerstörung ihrer Umwelt unterstützt. Über die Weltläden und auf Info-Veranstaltungen wurden Holz-Schmetterlinge verkauft, die aus Equador stammen. In Lago Agrio, einer ölverschmierten Kleinstadt im Regenwald, wurde mit Spendengeldern aus dem "Projekt Schmetterling" und mit Mitteln des Landes ein Umweltzentrum errichtet.

"Sich nicht beeindrucken lassen"
Klimaschutz ist machbar, Herr Nachbar, meint der Bürgermeister Werner Dissertori [ top ]

Er lässt sich nicht abschrecken, nicht von seinen Mitbürgern, nicht von den Problemen. Ein Bürgermeister soll zeigen, dass auch große Dinge angegangen werden, mit kleinen Schritten. So beschreibt Werner Dissertori, Traminer Bürgermeister und Vorsitzender des Vereines der Südtiroler Klimabündnis-Gemeinden, seine Haltung zur Klimapolitik. Für Dissertori ist es grundlegend falsch, unbequeme Entscheidungen dem Land zu überlassen. Die Gemeinden sind auch für eine gesunde Umwelt zuständig. Das gemeindliche Engagment für den Klimaschutz wertet letztendlich auch die Gemeindepolitik auf, ist sich Dissertori sicher.

Dissertori ist seit 1995 in seiner Gemeinde aktiv, damals - mit 24 Jahren - als einer der jüngsten Umweltassessoren. Kurz nach Amtsantritt wagte sich Dissertori an die unbequemen, weil unpopulären Aufgaben wie Müll, Energie und Verkehr heran. "Beim Müll ist es der Gemeinde gelungen, dank der getrennten Müllsammlung den sogenannten Restmüll stark zu verringern," eine erfolgreiche Politik, meint Dissertori. Die Bürger haben mitgemacht, inzwischen sind auch die Betriebe wie Gasthäuser oder Obstgenossenschaften mit dabei. Die Müllflut konnte eingebremst werden. Das zeigt laut Dissertori, dass Entscheidungen an Ort und Stelle wirksam sind. Inzwischen ist Dissertori Bürgermeister der Unterlandler Gemeinde. Er hat das Tempo in Sachen Klimaschutz beschleunigt. Die erfolgreiche Eindämmung der Müllflut ließ Dissertori und seine Gemeindeverwaltung einen weiteren Versuch wagen - Energieeinsparung. Die kommunalen Gebäude wurden auf Erdgas umgestellt, ein übereiliger Schritt damals, meint der Bürgermeister, weil es inzwischen billigere und umweltfreundlichere Maßnahmen gibt. Dissertori verweist auf Fernheizwerke. Der Kindergarten wurde mit eine Solaranlage ausgestattet.

Die Gemeinde Tramin engagierte inzwischen den Energieberater Franz Valtiner, der Energieverschwender vom Kurs abzubringen versucht. Die Gemeinde-Baukommission drängt inzwischen die Bauherren, energiesparend zu bauen. Das hilft Heizkosten sparen, eine Botschaft, die beim Bürger ankommt und sorgt auch für eine saubere Luft. Die Unwetter im Frühsommer 2001 haben Dissertori überzeugt, dass Klimapolitik mehr als notwendig ist. In den vergangenen fünf Jahren rutschten Muren ins Tal, so viele wie selten zuvor. Es lässt sich da trefflich darüber streiten, ob die Klimaveränderung verantwortlich ist, schmunzelt Dissertori und verweist gleichzeitig auf das Schweizer Forschungsprogramm "Klimaänderungen und Naturkatastrophen". Laut diesem Programm gibt es zweifelsohne Zusammenhänge zwischen Lawinen, Bergstürzen,. Murenabgängen sowie Unwettern und der vom Menschen verursachten Veränderung des Klimas.

Ein Problem sorgt beim umwelt-engagierten Bürgermeister für Kopfzerbrechen - der Verkehr. Über die Schule ist es gelungen, die Bürger anzusprechen, Müll zu trennen und gar zu vermeiden, Strom und Heizöl zu sparen. Beim Verkehr kann es die Gemeinde aber niemandem recht machen, bedauert Bürgermeister Dissertori die eingeschränkte Handlungsfähigkeit. Lärm und Abgase will niemand, aber alle wollen mit ihrem Auto fahren. Dissertori ist damit nicht allein. Die Umweltaktivitäten des Bürgermeisters haben Dissertori an die Spitze des Vereins der Klimabündnis-Gemeinden gebracht. Der Verein löst die 1993 gegründete Koordinierungsstelle beim Landesamt für Luft und Lärm ab. Damals gab es nur zwei Südtiroler Mitglieder im Klimabündnis, Bozen und die Landesregierung.

Inzwischen sind es 60 Gemeinden. Diese koppelten sich mit der Vereinsgründung von der italienischen Bündnis-Führung in Citta' di Castello ab und erklärten sich im zweiten Zug auch von der zentrale Geschäftsstelle des Klimabündnisses in Frankfurt für unabhängig. Die Bündnis-Gemeinden in Verein verwalten ihre eigenen Beiträge und überlassen nur mehr ein Bruchteil der Frankfurter Zentrale. Mit der Vereinsgründung versuchen die Gemeinden klimapolitisch eigenständig zu werden, sagt Vorsitzender Dissertori. Und die Aktivitäten zu bündeln. Es kommt viel zusammen. Europaweit wird mit viel Phantasie von unten Klimapolitik betrieben. Dissertori zitiert die Berichte der Frankfurter Zentrale über die Klima-Aktivitäten europäischer Kommunen "Klima - lokal geschützt". Unglaublich, was Gemeinden in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht haben. Nicht von ungefähr lobte Umwelt-Landesrat Michl Laimer den kommunalen Klimabündnis-Verein als Schrittmacher in der Umweltpolitik.

Kleine Schritte mit großer Wirkung
Die Förderung von "sanfter Energie" ist Klimaschutz [ top ]

Das Landesamt für Energieeinsparung unterstützt jährlich mit 18 Millionen Euro die "sanfte" Energie - Sonnenkollektoren, Hackschnitzel-und Fernheizwerke sowie Biogas-Anlagen. Damit wird erneuerbare Energie gefördert, aber auch das lokale Handwerk und Baugewerbe. Das Interesse daran ist groß. Jährlich werden 20.000 eingereicht, die einem Investitionsvolumen von 180 Millionen Euro entsprechen. Die vorgesehenen Haushaltsmittel reichen dafür nicht aus, gefördert werden zehn Prozent.

Bereits 17 Fernheizwerke sind in Betrieb. Im Bau sind derzeit weitere fünf Werke. Gehen auch diese in Betrieb, können insgesamt jährlich 30 Millionen Liter Heizöl ersetzt oder gar eingespart werden. Das entspricht 87.000 Tonnen C02, die nicht mehr in die Atemluft geblasen werden. Das größte Fernheizwerk ist in Gemeinde Bruneck in Betrieb gegangen und versorgt dort über 100 km verlegte Stahlrohre die meisten öffentlichen Gebäude und 1.800 private Haushalte mit Wärme.

Zum Puzzle "alternative Energie" gehören auch die Solar-Anlagen. Sie helfen immerhin 6,6 Millionen Liter Heizöl zu ersetzen. Diese Menge setzt beim Verbrennen 20.000 Tonnen C02 frei. Eine weitreichende ökologische und wirtschaftliche Wirkung hat die seit 1993 laufende Kontrolle der Heizanlagen. Der vom Landesamt für Luft und Lärm der Umweltagentur angeregte Heizanlagen-Check, bewerkstelligt von den Kaminkehrern, erhöht die Verbrennungsleistung, weniger Schmutz kommt über die Kamine ins Freie. Die Bürger sparten sich dadurch - ein angenehmer Nebeneffekt - 26 Millionen Euro an Brennstoffen ein. Das entspricht 3.300 Tanklastwagen oder einer 64 km langen Lkw-Kolonne. Wesentlich für die Umwelt ist aber erstaunlich hohe Reduzierung des Schadstoffausstosses. Seit 1993 wurden dank der Prüfung der Heizanlagen 153.000 Tonnen weniger an C02 "freigesetzt". Die privaten Haushalte konnten ihre Emissionen um 30 Prozent verringern.

Die vom Landesamt für Luft und Lärm und dem Südtiroler Klimabündnis gestartete Initiative "Klima-Haus" unterstützt Bauherrn, die freiwillig umweltgerecht und energiesparend bauen. Tatsächlich kann mit zum Teil einfachen technischen Maßnahmen der Energieverbrauch noch weiter eingeschränkt werden. Die angestoßene Kampagne findet ihren Niederschlag auch im geplanten Urbanistikgesetz, das Niedrigenergiehäuserstandards für den gesamten privaten Wohnungsbau verbindlich festschreibt. Die Energiepolitik ist damit zweifelsohne ein Herzstück der Umweltpolitik. Einsparungen, Nutzung alternativer Energiequellen und die Steigerung der Energieeffizienz - die erwähnte Kontrolle der Heizanlagen - haben erheblich dazu beigetragen, die C0 2-Emissionen spürbar zu reduzieren. Künftig wird eine eigene Energieagentur als Dienstleistungsbetrieb die Energiepolitik der Landesregierung begleiten.

Die Landes-Energieagentur wird als Dienstleistungsbetrieb mit Energie-Körperschaften, mit Planern und Verbraucherorganisationen beraten und technisches Wissen anbieten. Die Agentur soll dem bisherigen Prinzip der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung folgen. Die Energiesparpolitik ist nicht verordnet worden, sondern entwickelte sich dank der Informationen der zuständigen Behörden und nicht zuletzt dank der kontinuierlichen Förderung. Aufgrund einer EU-Richtlinie wird es ab 2005 an den Zapfsäulen nur mehr schwefelarme Treibstoffe geben. Schwefelarm bedeutet bis zu 40 Prozent weniger Stickoxide und Kohlenwasserstoffe, auch werden bei der Verbrennung zehn Prozent weniger Ruß-Partikel in die Luft geblasen. Gründe genug für die Landesregierung, den Konzern Agip-IP (dem Mineralölkonzernen gehört ein Großteil der 250 Tankstellen in Südtirol) dazu zu drängen, bereits jetzt schwefelarme Treibstoffe anzubieten. Ein Tauschgeschäft - Agip-IP soll im Gegenzug ein Netz von Erdgas-Tankstellen eröffnen dürfen.

Die zur Dreckschleuder Nr.1 gewordene Brennerautobahn, die nur 1,3 Prozent am gesamten Straßennetz ausmacht, trägt mit mehr als 23 Prozent (das sind über 1.100 Tonnen von insgesamt 5.000 Tonnen) zur verkehrsbedingten Luftverschmutzung bei. Die Tendenz ist weiter steigend, auch deshalb, weil der Pkw- und Lkw-Verkehr ständig zunimmt. Die Brennerautobahn-AG, die Landesregierung ist eine der Hauptaktionäre der AG, versucht die Belastung einzudämmen - mit dem Überholverbot für Lkw. "Es wirkt sich günstig aus," kommt Michael Schorling von der München Arbeitsgemeinschaft "beratende Ingenieure" zum Schluß. Die Autobahn-AG drängt außerdem darauf, mit eigenen Mitteln der Brennerbasistunnel für den Güterverkehr auf der Schiene mitzufinanzieren.

"Rettet die Haut der Erde"

"Rettet die Haut der Erde"
In Bozen startete das Boden-Bündnis [ top ]

Das im Oktober 2000 in Bozen unter der Schirmherrschaft der Landesagentur für Umweltschutz gegründete internationale Boden-Bündnis versteht sich als zweites Standbein des internationalen Klimabündnisses zwischen 800 westeuropäischen Gemeinden und den Amazonas-Indianern. Klimaforscher wiesen letzthin immer wieder darauf hin, dass der Raubbau an der Erde drastische Auswirkungen auf das Weltklima hat. Laut dem ehemaligen Direktor des Weltklimaforschungsprogramms, Hartmut Graßl, führt die Zerstörung der Böden - durch Versiegelung, land- und forstwirtschaftliche Übernutzung, Eintragung von Chemikalien etc - zu einer Veränderung des Klimas.

"Es ist doch offenkundig, dass Böden beispielsweise für den Wasserhaushalt, die biologische Vielfalt, das städtische Mikro-Klima, die Lufthygiene und damit die Gesundheit große Bedeutung haben, "wirbt Graßl für das Boden-Bündnis zum Schutz der weltweit gefährdeten Böden. Der us-amerikanische Wissenschaftler David Pimentel errechnete, dass in den vergangenen 40 Jahren nahezu ein Drittel der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Fläche durch Erosion verloren bzw. schwer geschädigt wurde. Das entspricht einem Verlust von rund zehn Millionen Hektar pro Jahr - mehr als die Fläche Portugals. Betroffen davon sind hauptsächlich die Länder der Dritten Welt, aber auch der Norden der Erde.

Auch deshalb bemüht sich die UNO um eine Bodenkonvention, auch der Europarat engagiert sich in diese Richtung. Die Alpenkonvention ist auch ein Instrument, den Boden vor weiterem Raubbau zu schützen. Der ehemalige Leiter der Landesagentur für Umweltschutz, Walter Huber, erinnert daran, dass der Schutz der Böden vor Ort machbar ist, in den Gemeinden. Sie sind gefordert, den steigenden Flächenverbrauch und die damit einhergehende Bodendegradation (Erosion, Eintrag von Schadstoffen, Altlastflächen) einzubremsen.

Umwelt-Landesrat Laimer verweist als politischer Schirmherr des Boden-Bündnisses darauf, dass der Südtiroler Landtag sich 1999 für eine internationale Bodenkonvention ausgesprochen hat. Laut Laimer ist das Boden-Bündnis auch als Partner zum Schutz der Alpen zu sehen. Die Unwetter der vergangenen Jahre haben gezeigt, wie der Raubbau die Alpen gefährdet. Das unter dem Dach der internationalen Klimaallianz entstandene Boden-Bündnis soll sich auch für die Umsetzung der Alpenkonvention und somit für die Belange der Alpenregionen engagieren.

Das Boden-Bündnis
Eine Südtiroler Initiative [ top ]

Die EU-Kommission und die EU-Ratspräsidentschaft haben dem im Oktober 2000 in Bozen entstandenen Boden-Bündnis bereits eine Zusammenarbeit angeboten. Das Europäische Boden-Bündnis "European Land and Soil Alliance" (ELSA) hat sich zum Ziel gesetzt, den Raubbau an den Böden zu stoppen. Einer der Motoren des Bündnisses, Walter Huber, verweist darauf, dass in den Alpen der Raubbau an der Natur dramatische Folgen hat. Er zitiert in diesem Zusammenhang das Nationale Forschungsprogramm "Klimaänderung und Naturkatastrophen" der Schweiz. Laut diesem Programm führte der fahrlässige Umgang mit den Böden in der Schweiz vermehrt zu Bergstürzen, Murenabgängen und Erdrutschen.

Hier trifft sich das Anliegen des Boden-Bündnisses mit dem Ziel der EU. Auch die EU will den nachhaltigen Umgang mit den Böden forcieren. Die ehemalige EU-Umweltkommissarin Margot Wallström nahm in Osnabrück an einer Veranstaltung des Bodenbündnisses zum Schutz der Böden. Gemeinsam mit der UNO beging das Bodenbündnis am 17. Juni in Osnabrück den "Wüstentag". Das in Osnabrück angesiedelte Bündnis-Sekretariat bemüht sich um eine Zusammenarbeit mit dem Klimabündnis, dem inzwischen 1.000 Gemeinden angehören. Das Boden-Bündnis versteht sich als zweites Standbein der Klima-Allianz. Neben den Gründungsmitgliedern Südtirol, Stadt und Landkreis Osnabrück, München, Augsburg, Nürnberg, Schwabach, Leipzig, Derby (Großbritannien), Haarlem (Niederlande) gehörgen bereits größere Städte wie Dresden und Salzburg dem Bodenbündnis an.

2002 - Jahr der Berge
Für eine gefährdete Region sensibel machen [ top ]

Beispiel Deutschland
Im bayerischen Feldafing beschäftigten sich Mitte Februar 2002 im Fachzentrum für Ernährung, ländliche Entwicklung und Umwelt (ZEL) der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung (DSE) 60 Experten mit den gefährdeten Bergregionen. "Wir alle brauchen Berge" war der Leitfaden der Fachtagung, die einen Diskussions- und Aktionsprozeß im Jahr der Berge einleiten soll. Berge spielen für das Überleben der Menschheit eine entscheidende Rolle.

Zwar leben nur zehn Prozent der Weltbevölkerung in Bergregionen, doch jeder zweite Mensch ist von den Veränderungen dort betroffen. Das von der UNO ausgerufene Internationale Jahr der Berge sollte die Öffentlichkeit für die Bedeutung der Mittel- und Hochgebirge sensibilisieren und auf die Gefährdung durch Klima- und Umwelteinflüsse hinweisen. Die Zukunft der Berge war auch Thema auf dem UN-Umweltgipfel in Johannesburg.

Die DSE legte in Zusammenarbeit mit dem deutschen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) sowie Vereinen und Organisationen ein Empfehlungspapier für eine nachhaltige Entwicklung in den Bergregionen vor (Kontakte: www.dse.de, oder: www.inwent.org/index.de.shtml).

Die deutsche Zentralstelle für Agrardokumentation und - information (ZADI) hatte ebenso das Thema Berge aufgegriffen. Die ZADI bereitete eine Internetseite zum Internationalen Jahr der Berge vor - mit aktuellen Beiträge, Hintergrundinformationen, Tagungen und Workshops. Kontakte: www.zadi.de.

Mit der Entwicklung von Bevölkerung und Kultur sowie Ziele der Umweltqualität in den Alpen ist das Umweltbundesamtes in Berlin beschäftigt. Das Amt wirbt für die deutsche Ratifizierung der Alpenkonvention. Kontakte: www.jahr-der-berge.de oder: www.berge2002.de

Beispiel Schweiz
In der Schweiz arbeitet das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) eng mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) zusammen. Motto: Berge verbinden. Die Schweiz unterstützt in ihrer Entwicklungszusammenarbeit Projekte nachhaltiger Gebirgsentwicklung. Laut der Schweiz ist das Internationale Jahr der Berge eine Folgeaktion des Erdgipfels von Rio, wo in die Agenda 21 das Kapitel 13 (Managing Fragile Ecosystems: Sustainable Mountain Development) aufgenommen wurde.

Die Schweiz weist darauf hin, dass die Bergebiete für die Hälfte der Menschheit Wasser garantieren, wichtige sozio-kulturelle Zentren sind und Standorte ökologischer Vielfalt. Kontakte: www.raumentwicklung.admin.ch und www.deza.admin.ch

Stichwort: UNO
Von Rio nach Johannesburg - Rio plus 10. In Johannesburg in Südafrika fand vom 2. bis zum 11. September 2002 der UN-Umweltgipfel statt. Einer der Schwerpunkte dabei war auch das "Internationale Jahr der Berge". Kontakte: www.mountains2002.org

Alpine Initiativen:

2002 - Jahr der Berge
Sensibel machen für eine gefährdete Region [ top ]

Südtirols Umwelt-Landesrat Michl Laimer hat die "Feldafinger Thesen" der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung zum "Jahr der Berge" als eine Bestätigung der Südtiroler Umweltpolitik bezeichnet. Laimer verweist auf die Vorreiterrolle der Südtiroler Umwelt- und Landschaftspolitik (http://www.nachhaltigkeit.it/). Dafür gibt es jetzt auch eine indirekte Bestätigung durch die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung (dse). Auf deren Auftakt-Tagung zum "Jahr der Berge" haben im bayerischen Feldafing 60 Fachleute aus Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Naturschutz, Tourismus, Wirtschaft, Verkehr, Landes- und Bundesministerien und der Wissenschaft die "Feldafinger Thesen" formuliert.

Laut Laimer bestätigen diese Thesen Südtirols Umwelt- und Landschaftsschutzpolitik. Das Motto der Tagung "unsere Berge - schützen durch Nutzen" ist ein Leitmotiv der Landesregierung. Die mehr als 100.000 Hektar großen geschützten Flächen der sieben Naturparke sind keine Gebiete unter einer Käseglocke, auch sind sie keine Museen. Trotz des Schutzes sind die Naturparke auch Wirtschaftsraum einer sanften Landwirtschaft. Laimer erinnert daran, dass sein Assessorat die naturgerechte Landwirtschaft in den Naturparken mit entsprechenden Pflegeprämien finanziell unterstützt.

Das vermehrte Angebot an Umweltbildung besonders über die Naturpark-Häuser (allein jenes des Naturparks Texelgruppe in Naturns besuchten innerhalb von acht Jahren mehr als 70.000 (Interessierte), die geführten Wanderungen und der Einsatz von Naturparkbetreuern in den Sommermonaten veranlasste die Tourismuswirtschaft der Anrainergemeinden das Angebot Naturpark als "Attraktion ihres Urlaubsortes" anzubieten. Die Urlauber werden dadurch auch zu Botschafter alpiner Anliegen.

Künftig sollen aber auch Landschaften mit einem entsprechenden Leitbild stärker geschützt werden, die außerhalb der Schutzzonen liegen. Die Abteilung Natur und Landschaft des Laimer-Assessorates richtet laut Direktor Roland Dellagiacoma ihre Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf die "Sonntagslandschaften" der Naturparke, sondern auf die gesamte Natur- und Kulturlandschaft Südtirols. Das empfahlen auch die Fachleute der Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung.

Der Landesrat erinnerte daran, dass sich Südtirol auch am EU-Netzwerk von Schutzgebieten zur Erhaltung des Naturerbes beteiligt. Vorschlagen hat das Land die sieben Naturparke, den Südtiroler Anteil am Nationalpark Stilfser Joch sowie bereits als "geschützte Gebiete" ausgewiesene Auwälder, Moore, den Kalterer und Fennberger See, die Eislöcher in Eppan und auch kulturlandschaftlich geprägte Bereiche auf Castelfeder, am Vinschgauer Sonnenberg oder artenreiche Bergwiesen im oberen Eisacktal Südtirol hat damit fast 19 Prozent des Landesfläche für die EU-Initiative Natura 2000 nominiert.

Laimer rief im "Jahr der Berge" zu einer neuen Partnerschaft und Zusammenarbeit mit allen Naturnutzern auf. Zugunsten der Kultur- und Naturlandschaft, zugunsten der Berge. Neue Impulse erwartet sich der Umwelt-Landesrat von der Ratifizierung der Durchführungsprotokolle der Alpenkonvention. Erstmals wird damit ein völkerrechtlich verbindliches Instrument zum Schutz der Umwelt flächendeckend wirksam. Das Thema Berge war auch ein Schwerpunkt des UN-Umweltgipfels Ende August 2002 in Johannesburg.

"Unsere Berge - Schützen durch Nutzen!"
Auftakt-Tagung der Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung zum "Jahr der Berge" [ top ]

Feldafinger Thesen

Links:
Bodenbündnis: www.bodenbuendnis.org

Klimabündnis: www.klimabuendnis.org

Oil-watch: www.oilwatch.org

ZADI: www.zadi.de

Coica: www.coica.org

Dachverband für Natur- und Umweltschutz: www.umwelt.bz.it

Südtiroler Grüne: www.gruene.bz.it

Hilfe zur Selbsthilfe: Beispiele im Amazonas Dschungel

Die von der anderen Seite: Wer sind die indigenen Partner im internationalen Klimabündnis? [ top ]

"Wir wollen auf eigenen Füßen stehen," beschrieb der ehemalige Generalkoordinator der Coica, Valerio Grefa, das politische Fernziel seiner Organisation, und "wollen kein Volk von Bettlern und Bittstellern werden". Valeria Grefa besuchte im Herbst 1994 Südtirol. Die Coica ist der Zusammenschluss von indigenen Organisationen in den Amazonasstaaten Französisch-Guayana, Guayana, Surinam, Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Brasilien und Bolivien. Im 7,5 Millionen Quadratkilometer großen Regenwald des Amazonasbeckens leben 400 indigene Völker.

Vor einem halben Jahrhundert entdeckte die Industrie den Amazonas als "menschenleeres" Land. Erdöl- und Agrarkonzerne machten sich auf zur Eroberung der "Grünen Hölle". Landlose, vertrieben von Großgrundbesitzern und deren Killerkommandos, suchten im Regenwald ein Platz zum Überleben. Auf Kosten der indigenen Urbevölkerung. Die Geschichte des "Wilden Westens" schien zu sich zu wiederholen - die indigenen Waldbewohner wurden beraubt, verjagt, ermordet. Auf dem 4. Russell-Tribunal 1980 im holländischen Rotterdam dokumentierten Sprecher der indigenen Völker aus dem Amazonasbecken die "ethnischen Säuberungen". Ihr Vorwurf - Der Völkermord geht weiter.

Aus dem Protest dagegen wurde Widerstand. Den Anfang machte die Förderation der Shuar, die 1965 im östlichen ecuadorianischen Tiefland gegründet wurde. In allen Amazonas-Staaten entstanden indigene Selbsthilfeorganisationen, die sich 1984 in der peruanischen Hauptstadt Lima zur Coica zusammeschlossen - zur Coordinadoria de las Organizaciones de la cuenca amazonica. Schon bald nach ihrer Gründung mischte sich die Coica in die Debatte um den Schutz des Regenwaldes ein. Die Coica erinnerte auch die Umweltschützer daran, dass die indigenen Völker die Menschen des Regenwaldes sind. Die Coica verlangte, dass auch indigene Anliegen zur Kenntnis genommen und respektiert gehören. Die Partner hatten sich gefunden - europäische Gemeinden und die Coica gründete das internationale Klimabündnis.

"Auf der einen Seite stehen Städte, auf der anderen ganze Völker, die aber kaum Macht besitzen," beschreibt Grefa das Bündnis. "Europäer und Amazonasbewohner haben eine Partnerschaft gegründet, die nicht romantisiert, sondern auf ganz konkrete Ergebnisse hinarbeitet". Das Bündnis, dieses Netzwerk aus Gemeinden und indigenen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Gewerkschaften, schaffte es, den Schutz des Regenwaldes, den Schutz der Erdatmosphäre, die indigenen Anliegen zum globalen Thema zu machen. Das Klimabündnis warb und wirbt dafür, dass die Staaten die Konvention 169 zum Schutz der indigenen Völker der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ratifizieren, genauso die Artenschutzkonvention.

Der sanfte Druck von unten sorgte für Umdenken: "Es gibt erste Ansätze. Die Weltbank hat beispielsweise eine Umweltabteilung eingerichtet, die Umweltverträglichkeitsprüfungen durchführt und Initiativen zur nachhaltigen Entwicklung. Das hat dazu geführt, dass Entwicklungsprojekte in Amazonien kritischer betrachtet werden. Die Interamerikanische Entwicklungsbank hat eine eigene Beratungsstelle für indigene Völker und neue Kreditmöglichkeiten geschaffen," Grefa über Erfolge des Klimabündnisses.

Die Coica-Mitgliedsorganisationen drängen ihre Staaten auf Anerkennung der Multiethnizität, der damit verbundenen Mehrsprachigkeit und Multikulturalität. Ein besonderer politischer Schwerpunkt bildet derzeit die Landrechtsfrage. "Am wichtigsten ist derzeit die Demarkierung und Grenzfestlegung unseres Landes. In Amazonien sind insgesamt noch immer 40 Prozent der indianischen Territorien nicht vermessen. Desweiteren wollen wir Umwelt- und Waldschutzprogramme durchsetzen, eigenständige und von uns kontrollierte Entwicklungsprogramme ausführen und die Menschenrechte und die politischen Rechte unserer Völker verwirklichen," sagte Grefa in einem Interview mit der Zeitschrift "pogrom" der Gesellschaft für bedrohte Völker. Das Klimabündnis, so Grefa, hat in den Amazonas-Staaten große Erwartungen geweckt. Die Zusammenarbeit zwischen europäischen Gemeinden und indigenen Völkern hat zu einer neuen Partnerschaft geführt.

Oil watch: Den Multis auf die Finger schauen [ top ]

Ecuadors Regenwald-Indianer legen sich mit Öl-Multis an. Ihre Verbündeten an Ort und Stelle, die Accion Ecologica, Gewerkschafts-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen in Nordamerika und Europa im Verbund mit dem Klimabündnis, verschaffen den indigenen Öl-Anklägern politische Freiräume. "Derzeit prozessieren die Indianerorganisationen gegen US-Multis und könnten hohe Schadenersatz erstreiten sowie die Konzerne zur Änderung ihrer Förderungsmethoden zwingen," verweist der Koordinator des Südtiroler Klimabündnisses, Norbert Lantschner, auf den indigenen Widerstand.

Ein Widerstand, den auch die Gemeinden des Klimabündnisses mitfinanzierten. Gemeinsam mit deutschen Gemeinden sorgen Südtirols Klimagemeinden dafür, dass Angehörige der betroffenen indigene Völker im Öl-Fördergebiet in Ecuador ausgebildet werden - als Oil-watcher, die Umweltschäden, verursacht bei der Öl-Förderung, dokumentieren. Die Schäden im Regenwald sind erschreckend hoch. US-amerikanische Umweltgruppen schätzen, dass aus den Pipelines in Ecuador mehr als 70 Millionen Liter Rohöl in den Dschungel geflossen sind. Doppelt so viel als beim Tankerunfall der Exxon Valdez vor der Küste Alaskas. Ein Liter Öl verseucht eine Million Liter Flusswasser und tötet darin alles Leben ab. Neben dem Rohöl, das bei Bohrungen offensichtlich unvermeidlich austritt und Böden und Wasser mit einem Ölfilm überdecken, sickern auch noch andere Gifte wie Sulfate, Blei, Schwefelwasserstoff und Quecksilber ins Erdreich.

Die ecuadorianischen Provinzen Sucumbios und Napo sind durch die Erdölförderung besonders stark betroffen. Wegen fehlender Umweltbestimmungen- und Kontrollen wird das Erdöl ohne Rücksicht auf die Umwelt gefördert. Überlaufende Auffangbecken, deren ölverseuchtes Wasser die Flüsse vergiftet , Chemikalien für die Reinigung der Bohrlöcher, Lecks in den kaum gewarteten Pipelines, das spricht für rücksichtslose Ausbeutung. Die Straßen der Konzerne führen Landlose in den Regenwald, die mit ihrem Kahlschlag und der nicht der Umwelt angepassten Landwirtschaft den Boden zerstören. Die Landlosen werden von Holzfirmen und agroindustriellen Unternehmen verdrängt, die nach der radikalen Ausnutzung des Landes verbranntes Land hinterlassen.

Auf drei Millionen Hektar Land wird derzeit im ecuadorianischen Amazonasgebiet Öl gefördert. Eine Million Hektar sind bereits unwiderruflich zerstört, das ergab das sogenannten "Monitoring" der oil-watcher. Die Fördergebiete sollen um weitere 1,6 Millionen Hektar ausgeweitet werden - für den staatlichen Konzern Petro-Ecuador, für US-Unternehmen und europäische Konzerne wie Agip aus Italien.

Schutzschild Demarkation: Die Südtiroler Klimabündnispartner unterstützen Indianer in Ecuador [ top ]

In keinem anderen Teil des Amazonasbeckens verschwindet der Regenwald schneller als im amazonischen Teil Ecuadors. Dabei zählt dieses Gebiet von der doppelten Größe Österreichs zu den artenreichsten Regionen der Erde. Viele der Tier- und Pflanzenarten sind endemisch, d.h. sie sind einmalig auf der Welt. Tausende von Arten sind noch gar nicht einmal entdeckt.

Der Regenwald ist aber auch Heimat für sieben eingeborene Indianervölker: die Quichua, Shuar, Achuar, Cofan, Siona, Secoya und Huaorani. Über Jahrtausende haben diese kleinen Völker, die zusammen nicht mehr als 200.000 Menschen zählen, das ökologische Gleichgewicht in diesem Raum bewahrt, mit und von der Natur gelebt. Aber seit 1972 im Amazonasgebiet Ecuadors Erdöl gefunden wurde, ist das sensible Gleichgewicht aus dem Lot gekommen. Weite Gebiete wurden durch Straßen erschlossen, immer mehr Zuwanderer auf der Suche nach schnellem Gewinn kamen ins Land, die Förderung und der Transport des "schwarzen Goldes" führte zu einer großflächigen Verseuchung. Dazu gesellten sich Holzfäller, auswärtige Siedler, die Ölpalmplantagen und Weiden anlegten, Pharmakonzerne auf der Suche nach biologischen Wirkstoffen. Aber nicht nur das ökologische Gleichgewicht ist bedroht, die Erdölförderung hat auch tiefgreifende Folgen für die Indianer. Nicht nur schwere Umweltbelastungen setzen ihnen zu, sondern auch kulturelle und soziale Entwurzelung.

Die Indianer, obwohl Ureinwohner dieser Gebiete, wurden bei der Ausweisung der Erdölgebiete nie gefragt. Rund ein Drittel der Gebiete in ihrem Besitz sind bis heute noch nicht vermessen und rechtlich zuerkannt worden. So hat die Regierung in Quito leichtes Spiel, immer neue Gebiete für die "Prospektion" (Tests für Erdölvorkommen) auszuweisen. In vielen Regionen existieren gleich drei Landeigentümer. An viele Indianergemeinschaften sind in den letzten Jahren Landtitel vergeben worden, die sich nur auf die Oberfläche beziehen. Was darunter liegt, ist staatlicher Besitz und wird den Erdölkonzernen in Konzession zur Nutzung vermacht. Gleichzeitig weist der Staat oft Naturschutzgebiete aus, schränkt diese Gebiete jedoch beliebig wieder ein, wenn dort Erdöl oder andere Rohstoffe gefunden werden.

Doch setzen sich die Ureinwohner zur Wehr. Vom Urwald heraus sind sie schon vor 25 Jahren ins Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten und haben auf ihre Bedrohung aufmerksam gemacht. Sie haben sich zu Verbänden und Föderationen zusammengeschlossen und kämpfen für ihre Rechte, für ihr Land und für ihre Lebensgrundlagen. Die Absicherung der Landrechte und die Kontrolle der Erdölkonzerne hat dabei Vorrang. Daneben bemühen sich die Indianer um das Recht auf die politische Mitgestaltung der Amazonasprovinzen und auf die Kontrolle der wirtschaftlichen Ressourcen dieser Gebiete.

Demarkiertes Land - sicheres Land
In ihrem Kampf um Landrechte bemühen sich die Indianerorganisationen Ecuadors um internationale Unterstützung. Wie gerufen kam ihnen die Gründung des Klimabündnisses 1992, mit dem sich mittlerweile über 1000 europäischen Gemeinden und Regionen verpflichten, die Erdatmosphäre und die Regenwälder zu schützen.In diesem Sinne waren auch die Südtiroler Klimabündnisgemeinden aufgerufen, konkrete Projekte der Amazonasindianer zu unterstützen. 1997 wurde die Erfassung der Umweltschäden durch die Erdölförderung und die Überwachung der Erdölkonzerne in einem sog. "Monitoring" mitfinanziert.

1998 entschlossen sich die über 50 Südtiroler Klimabündnisgemeinden, die Demarkation von Indianerland mitzuunterstützen. Nur wenn die Indianergemeinschaften wieder die Kontrolle über ihre Gebiete in Form klar abgesicherter Landrechte erhalten, können sie für eine nachhaltige Nutzung des Regenwaldes sorgen. Die Demarkation (Grenzziehung und Vermessung) und die rechtliche Verankerung dieser Grenzen sind unverzichtbare Voraussetzung für einen echten Schutz. Damit können Enteignungen verhindert und Eindringlinge jeder Art abgewehrt werden. Sie bereitet auch den Weg für die Ausarbeitung eines Schutz- und Entwicklungsplans für indianische Territorien ohne rechtliche Anerkennung. Der Dachverband der ecuadorianischen Indianer CONFENIAE hat sich zum Ziel gesetzt, das gesamte Amazonasgebiet möglichst bald zu demarkieren. Mit dem Landwirtschaftsministerium wurde ein Rahmenabkommen getroffen, aber für die Finanzierung der Projekte müssen die Indianer selbst aufkommen. Und dafür fehlt ihnen das Geld.

Eine der am schwersten betroffenen Provinzen Ecuadors ist die Provinz Sucumbíos am nordöstlichen Eck des ecuadorianischen Amazonasgebiets. Dort treffen mehrere Probleme zusammen: zum einen werden neue Straßen Richtung Kolumbien und Brasilien gebaut; zum andern sind neue Erdölförderungsgebiete ausgewiesen worden und schließlich suchen sich kolumbianische Drogenkartelle dort ein Refugium. Umso dringender war es, die Gebiete der Indianer rechtlich sofort abzusichern, um gegen jede Bedrohung wirksamer vorgehen zu können.

Das Projekt in dieser Provinz umfasste folgende Schritte:
- die Vermessung des Landes als Basis für die effektive Legalisierung und Anerkennung der Indianergebiete;
- die Anerkennung der festgelegten Grenzen auf dieser Grundlage durch die staatlichen Behörden (das nationale Institut für Agrarentwicklung);
- die Durchsetzung staatlicher Garantien für Landtitel und Besitzrechte, die für die Ureinwohner die Gefahr einer Vertreibung ausschließen
- die Verankerung und Sichtbarmachung der demarkierten Grenzen.

Die Projektträger waren vor Ort die Indianergemeinschaften, die auf provinzialer Ebene von den Verantwortlichen der CONFENIAE unterstützt wurden. Dies ist das Bündnis der sieben indigenen Völker des ecuadorianischen Amazonasgebietes und besteht seit 1980. Sie gehört der COICA an, dem Dachverband der Indianervölker des Amazonasgebietes und Partner des Klimabündnisses. Technische Unterstützung leistete das FEPP, Fondo Ecuatoriano Populorum Progressio, eine kirchliche Organisation, die seit Jahrzehnten in Ecuador mit großer Kompetenz viele tausend Quadratkilometer Land für landlose Kleinbauern und Indianer demarkiert hat.
Finanziert wurde das Projekt von den Südtiroler Klimabündnisgemeinden mithilfe der Südtiroler Landesregierung; betreut wurde das Projekt durch die Gesellschaft für bedrohte Völker. 1999 wurden die Arbeiten mit der amtlichen Registrierung für sieben Gemeinden der Provinz Sucumbios abgeschlossen: Tigre Playa, Santa Rosa, Yana Amarun, Pana Cocha, Riera, Pandu Yacu. Aber noch zahlreiche weitere Indianergemeinschaften warten auf die Demarkierung. Es braucht weitere tatkräftige und finanzielle Unterstützung, um den "Hütern des Regenwaldes" zu ihrem Recht zu verhelfen.

Von Thomas Benedikter.

Wissen wird zum Widerstand: Ein Projekt des indigenen Aufbruchs [ top ]

Universidad intercultural de las nacionalidades y pueblos indígenas (UINPI) heißt die von den Indianern Ecuadors entwickelte und geleitete Universität. Die Südtiroler Gemeinden im Klimabündnis haben Patenschaften für indigenen Studenten übernommen, die Landesregierung finanziert einen Teil des universitären Betriebes. Das Konzept dieser indigenen Universität wurde in den 90er Jahren in Zusammenarbeit mit Indianern aus Arizona entwickelt. Ihr Initiator und heutiger Rektor ist Luis Macas. Die UINPI ist dezentralisiert: in jeder der drei Regionen Ecuadors (Küste, Anden, Regenwald) möchte man drei mit Computern, Lehrräumen, Bibliotheken usw. ausgerüstete Universitätszentren (centro) errichten. In die Zentren - bislang gibt es drei davon - soll der Lehrstoff per Internet versandt werden. Ein übergeordneter Universitätssitz (sede) in jeder Region soll den Betrieb koordinieren.

Das UINPI-Studium
Das Studium erfolgt semipresencial: alle zwei Monate werden an drei Tagen Vorlesungen abgehalten. Die Unterrichtszeiten werden zwischen Professoren und Studenten abgesprochen. Mittlerweile gibt es sieben Studienrichtungen: Rechtswissenschaften, Pädagogik, Agroökologie (mit Spezialisierung in Umweltschutz, Ökotourismus und Forstwissenschaften), Medizin (Schul- und traditionelle Medizin), Wirtschaftswissenschaften, Architektur und Kunst (inklusive indigenes Kunsthandwerk). Das Studium, das besonders indigene Studenten ansprechen soll, steht auch nicht-indigenen Studenten offen. Der Student sollte aber eine indigene- und eine Fremdsprache lernen. Da das Studium an der UINPI in die indigene Kosmovision eingebettet ist, beginnt das erste Studienjahr für alle Studenten mit den conocimientos generales, dem alten indigenen Wissen.

Die UINPI ist staatlich anerkannt und der Studientitel dem anderer Universitäten gleichwertig. Es bestehen bereits Übereinkommen mit Universitäten in den USA, Kanada, Finnland und Spanien, die nicht nur das Interesse an einer finanziellen Unterstützung indigener Studenten beinhalten, sondern zukünftig auch Studentenaustauschprogramme vorsehen. Diese Abkommen legitimieren natürlich die UINPI zusätzlich. Noch gibt es im Oriente, der amazonischen Region Ecuadors, kein Universitätszentrum der UINPI. Dabei sind UINPI-Fakultäten wie Rechtswissenschaften oder Umwelt- oder Ökologiestudien gerade für indigene Studenten des Regenwaldes mit seiner Landrecht- und Erdölproblematik von essentieller Wichtigkeit.

Vielen so genannten Entwicklungsprojekten haftet eine gewisse Arroganz an: wer zahlt bestimmt und die Indianer sind immer vom ökologischen wie juristischen Wissen der anderen abhängig. Durch das Studium gibt man einzelnen, fähigen Jugendlichen die Möglichkeit, dies längerfristig zu ändern. Seit der Einführung des Dollars (1999) ist Ecuador wirtschaftlich noch tiefer gerutscht. Besonders im Oriente gibt es kaum Arbeit und außer der Abholzung wenige Möglichkeiten der Geldbeschaffung. Die meisten Jugendlichen haben keine Möglichkeit, ihr Studium zu finanzieren.

Andere staatliche Universitäten gehen meist überhaupt nicht auf die indigene Kultur ein. Der Student entfremdet sich von seiner Welt, für die er sich nach dem Studium erfahrungsgemäß auch nicht mehr interessiert. Die UINPI ist in die indigene Kosmovision eingebettet und das Studium beginnt mit den indigenen Wurzeln, die so erhalten bleiben. Und die UINPI ist wirklich gut, wie die jeweiligen Vorlesungsverzeichnisse und die Anheuerung auch renommierter Professoren aus dem In- und Ausland bezeugt.

Peter Defranceschi. Der Autor war vier Monate in Ecuador, wo er u.a. in ständigem Kontakt mit der UINPI stand, viele Gespräche mit Studenten des Oriente führte und mit einer großen Versammlung in der Shuar-Gemeinschaft Pitirishka einen Prozeß für die Errichtung des ersten UINPI-Zentrums im Oriente (Provinz Pastaza) initierte.

Indigene Völker und Klimawandel

Tansania / Hadza
Jäger und Sammler an die Wand gedrückt: Die Hadza in Tansania brauchen internationale Unterstützung [ top ]

Im ostafrikanischen Tansania ringen die Hadza (auch Hadzabe genannt) um das Überleben ihrer Wildbeuter-Kultur. Die Regierung hat angekündigt, das nomadisch lebende Volk aus seinem Lebensraum zu holen und zur Sesshaftigkeit zu zwingen. Vertreter der tansanischen Regierungspartei haben viele Hadza dazu gezwungen, sich für die Präsidentenwahl registrieren zu lassen. Es ist zu befürchten, dass auch sie nun Steuern zahlen müssen, nicht mehr frei im Busch leben dürfen und dass ihre Kinder nun zum Schulbesuch gezwungen werden. Dadurch aber würde ihre traditionelle Lebensweise vernichtet.

Die Hadza sind eines der letzten Ureinwohnervölker in Ostafrika. Die Hadza leben vom Jagen und Sammeln in der Savanne. Sie kennen weder soziale Hierarchien noch kriegerische Auseinandersetzungen. Alle sehen sich als Glieder in der Kette der Generationen, in der sie ihre Werte und Erfahrungen im Umgang mit der Natur seit Jahrtausenden weitergegeben haben. Schon vor Jahren wurden die Hadza durch den modernen tansanischen Staat bedroht. Die Behörden hatten sie in Zusammenarbeit mit Missionaren und Entwicklungsorganisationen (Oxfam/England, Novib/Niederlande und Cuso/Kanada) in Umerziehungslager bringen lassen, damit sie dort den Ackerbau übernehmen. Kinder der Hadza wurden in Missions- und staatliche Schulen gesteckt. Dort sollen sie lernen, sich ihrer eigenen Kultur zu schämen, und erhalten Prügel, die sie von ihren Eltern nicht kennen. Um die teuren Schuluniformen zu bezahlen, werden die Hadza zum Gelderwerb etwa durch die Herstellung von Bastmatten gezwungen.

Durch richterliche Entscheidungen ist der Großteil des ursprünglichen Hadzalandes Rindernomaden der Barabaig und der Maasai oder Ackerbauern unterschiedlicher Stämme zugeteilt worden. 1996/97 haben die Barabaig große Rinderherden in das Hadzaland getrieben, begünstigt durch europäische Programme zur Bekämpfung der Tsetse-Fliege. Die Barabaig selbst waren aus dem Gebiet des Hanangberges vertrieben worden, wo Kanadier große Weizenfarmen, hauptsächlich für den Export, angelegt hatten. Die bantusprachigen Bauern haben die in der Savanne verbreiteten Akazienbäume abgeholzt. Doch das karge Ackerland verödet schon nach wenigen Jahren.

In den 90er Jahren sind weiße Jäger ins Hadzaland eingedrungen und haben mittlerweile fast alles Wild getötet. Viele der noch vor kurzem vorhandenen Tierarten, wie Nashörner und Säbelantilopen, sind verschwunden. Die Firma Robin Hurd, die sich exklusive Jagdlizenzen erkauft hat, ließ mit Pfeil und Bogen jagende Hadza inhaftieren, teils auch misshandeln. So wurde im Sommer auch der Hadza Faustin aus Mangola im Gefängnis in Maswa eingesperrt. Jetzt sind die Hadza auch von Safari-Unternehmen "entdeckt" worden. Die Gruppen im Umkreis von Mangola werden fast täglich von herumknipsenden Touristen besucht. Mit dramatischen Folgen für die Hadza.

Bernd Wegener und Steffen Keulig (Verein Freunde des Naturvölker e.V.). Aus pogrom - Zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 208/2001).

Indien
Wirtschaftsboom ohne Adivasi [ top ]

Indische Ureinwohner sollen neuen Megaprojekten weichen. "Nach einer vier Jahrzehnte andauernden Isolation vom Welthandel bildet der Subkontinent noch so etwas wie ein Vakuum in der Weltwirtschaft", jubelte "Future - Das Hoechst Magazin". Dieses Vakuum gilt es zu füllen - auf Kosten der indigenen Bevölkerung dieses neuen Wirtschaftswunderlands. Die Investoren stellen Indien u.a. deshalb so gute Zeugnisse aus, weil es gelang, die Inflationsrate bis 1994 auf 8% zu senken. Doch von den Wirtschaftsreformen profitieren vor allem die Industrie und die großen Handelshäuser, der Mittelstand und die Oberschicht.

Die Adivasi, die offiziell als Tribals oder Scheduled Tribes (offiziell registrierte und damit als solche anerkannte Stammesvölker) bezeichnet werden, bleiben auf der Strecke. Ihre auf Selbstversorgung ausgerichtete Wirtschaftsweise ist nicht geeignet für die Produktion von Exportgütern. Nach Schätzungen des Tribal Research Institute leben etwa 90 % der 70 Millionen Adivasi unterhalb der Armutsgrenze. Zwischen 80% und 90% der Adivasi leben in ländlichen Gebieten und in den Wäldern, die übrigen in städischen Slums. Obwohl sie nur 8% der indischen Gesamtbevölkerung ausmachen, bilden sie 40% derer, die durch Entwicklungsprojekte vertrieben werden.

Rücksichtslos wird Adivasi-Land für Staudämme, Energiekraftwerke, Bergbau oder Plantagenwirtschaft genutzt, aber auch für Tourismusprojekte. Seine Bewohner werden umgesiedelt oder verdrängt. Sie verlieren dadurch nicht nur ihre Ernährungsbasis, sondern alles, was ihre Welt ausmacht. Eine Entschädigung wird ihnen zwar oft versprochen, dann aber nur unzureichend oder gar nicht geleistet. Mangels Ausbildung sind sie auf dem Arbeitsmarkt nicht konkurrenzfähig. Immer mehr Adivasi verlassen überdies zeitweise ihr Land, um in nahegelegenen Städten oder bei Großbauern Saisonarbeit zu suchen.

Ganze Dörfer sind dadurch über immer längere Zeit verwaist. Dann liegt nicht nur die eigene Wirtschaft brach, mit der Zeit zerfallen auch die dörfliche Sozialstruktur und mit ihr die kulturellen Traditionen. Für die Adivasi ist entscheidend, daß die Abnahmepreise für ihre Produkte, Brennholz etwa oder Honig, sinken, während die Preise für Grundnahrungsmittel steigen. Die Armen, und damit auch die Adivasi, hungern immer öfter, da sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Ernährung aus eigener Kraft sicherzustellen. Schon 1992 stellte auch die Weltbank fest, daß die neue Wirtschaftspolitik Indiens die Erfolge der Armutsbekämpfüng teilweise wieder aufgehoben hat.

Indiens Stammesvölker sind dabei für die Regierungspolitik keine zu beachtende Größe. Zwar hat Indien sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet, hat in 20 Verfassungsartikeln die Sorge um das Wohlergehen der "Tribals" zum Ausdruck gebracht. Sie werden jedoch weit öfter gebrochen als befolgt. Die naturschonende Selbstversorgungswirtschaft der Waldbewohner wird auch durch die Schaffung von Wild- und Naturschutzparks zerstört. Zur Beruhigung des ökologischen Weltgewissens ist auch die Weltbank mit ihrem Biosphäreschutzprogramm finanziell beteiligt. Abkommen über Wirtschaftsentwicklung koppelt das Kreditinstitut oft an Umweltschutzprogramme.

Leidtragende davon sind ausgerechnet die Völker, die über Jahrhunderte hinweg den Erhalt der Waldgebiete gesichert hatten. Ein bezeichnendes Beispiel dafür ist der Rajiv Ghandi National Park im Bundesstaat Karnataka. Das Waldgebiet war noch 1934 im Gemeinschaftsbesitz der benachbarten Adivasi-Dörfer. Durch innerhalb des Waldes angelegt Kaffeeplantagen wurden sie nach und nach in die unbewaldete Ebene verdrängt. Auch die 347 Familien aus 11 Dörfern, die aus dem Kakankote-Waldgebiet, ebenfalls Teil des geplanten Parks, ausgesiedelt wurden, erhielten keine wirkliche Entschädigung. "Wir wissen aus Erfahrung, daß es für die Adivasi den Tod bedeutet, außerhalb des Waldes zu leben," kommentierten die Adivasi bitter die indische Naturschutzpolitik. Der Landraub vollzieht sich in Etappen. Zuerst wird den Adivasi die Nutzung fruchttragender Bäume untersagt, die dann von der Forstbehörde durch Teakbäume ersetzt werden. Große Teile des künftigen Nationalparks sind faktisch Teak-Plantagen in Regierungsbesitz. Danach wird die Kultivierung der Böden verboten.

Selbstversorgung ist nicht mehr möglich, die Waldbewohner werden von Gelegenheitsjobs bei der Forstbehörde abhängig oder gehen fort. Schließlich übernimmt die Forstbehörde auch die Anbauflächen direkt am Rande der Siedlungen. Den Adivasi bleibt dann buchstäblich nur noch die Hütte, in der sie leben. Durch das Panchayat Raj Gesetz wurde in Karnataka schon zu Beginn der 80er Jahre die Administration dezentralisiert, um lokale Strukturen der Selbstverwaltung zu fördern. Für die Adivasi innerhalb des Parkgeländes gilt dies nicht. Ihr Land wird von der Forstbehörde verwaltet. Die vom Nationalpark betroffenen Adivasi wurden weder direkt, noch in der eigenen Sprache von den Planungen unterrichtet, wie es das Biosphäre-Statut vorschreibt.

1993 unterzeichnete die die EU einen Kooperationsvertrag für Partnerschaft und Entwicklung mit Indien, in dem einleitend die "ausgezeichneten Beziehungen und traditionell freundschaftliche Verbindung der Gemeinschaft mit Indien" gerühmt und die große Bedeutung der Partnerschaft unterstrichen wird. Indien müsse Unterstützung erhalten, um die Lebensbedingungen der Armen zu verbessern. Ob die Armen, zu denen auch die Adivasi gehören, von einer solchen Wirtschaftspolitik tatsächlich profitieren, darf jedoch bezweifelt werden. Gleiches gilt für die Wahrung der Menschenrechte, zu der sich Indien durch Unterzeichnung entsprechender Verträge verpflichtet hat und die auch das Kooperationsabkommen mit der EU an erster Stelle zu seiner Grundlage erklärt.

In Übereinstimmung mit den Regelungen des Gatt-Abkommens (General Agreement on Tariffs and Trade) erklären sich Indien und die EU gegenseitig zu "meist begünstigten Nationen". Neben der Förderung einer Beschleunigung der Wirtschaftsentwicklung Indiens wird zu den Zielsetzungen immerhin auch der Umweltschutz erklärt sowie der schonende Umgang mit den Naturressourcen. Daß die Adivasi als die seit Jahrhunderten erfolgreichsten Umwelt- und Ressourcenschützer gerade auf diesem Hintergrund Unterstützung und Förderung erhalten müßten, ist jedoch auch der EU keine Erwähnung wert. Eine Klausel zum Schutz der indigenen Völker Indiens sucht man im Kooperationsvertrag vergebens.

Die überarbeitete Forstgesetzgebung von 1988 stellte hauptsächlich auf die Regelung der industriellen und auf Gewinn ausgerichteten staatlichen Forstpolitik ab, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Waldbewohner. Das laut Angaben des ICITP (Indian Confederation of Indigenous and Tribal People/indische Dachverband der indigenen und Stammesvölker) neue "Environment and Ecology Bill" läuft darauf hinaus, den Adivasi alle Rechte an der Waldnutzung zu nehmen. Es erklärt sie zu "encroachers in their own habitat" (in etwa: Störfaktoren in ihrem Lebensbereich), denen sogar das Betreten des Waldes als Verstoß gegen Schutzauflagen untersagt werden kann. Auch Privatbesitz kann notfalls der Forstverwaltung unterstellt werden, wenn dies dem Schutz und der Wertsteigerung "reservierten", d.h. für künftige Nutzung vorgesehenen, Waldes dienlich erscheint. Das Gesetz sieht vor, Forstbeamte mit den Befugnissen auszustatten, Menschen wegen Verstößen gegen die Forstverordnung ohne Vorwarnung festnehmen zu können. Dadurch ist eine Möglichkeit gegeben, die Indigenen zu kriminalisieren, die im Wald und vom Wald leben.

Yvonne Bangert (GfbV-Deutschland). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).

Malaysia / Penan
"Baut Eure Häuser nicht aus unserem Wald!" - Der Handel mit Tropenholz zerstört die Kultur der Penan [ top ]

Befürworter des Tropenholzhandels führen immer wieder an, dass nur zwei bis zehn Prozent der tropischen Regenwälder durch "unsachgemässe Formen der Holznutzung zerstört würden. Der Rest gehe auf das Konto der bäuerlichen Landwirtschaft - wegen der Brandrodungen und für den Brennholzbedarf. Der Situationsbericht von Roger Graf von der Schweizer Menschenrechtsorganisation Bruno-Manser-Fonds zeigt am Beispiel des Penan-Volkes auf, was der Holzeinschlag wirklich bedeutet.

Die Holzlobby versucht sich reinzuwaschen. Vertiefen wir uns deshalb in eine Region, wo der Holzeinschlag für die Zerstörung des Waldes verantwortlich ist. Die Zahlen für den malaysischen Teilstaat Sarawak (122 000 km2 Fläche) ergeben ein anderes Bild: Innerhalb der letzten zwanzig Jahre hat sich der Holzeinschlag von 4,2 Millionen Kubikmetern auf 19 Millionen Kubikmeter erhöht. Dies entspricht einer zerstörten Waldfläche von zwölf Quadratkilometern pro Tag. Durch die Holzwirtschaft wird in Sarawak 65mal mehr Primärwald ("Urwald") vernichtet als durch unsachgemäße Brandrodungen der Kleinbauern.

Sarawaks Chief-Minister ist gleichzeitig auch Forstminister. Er hat das Recht, Lizenzen für den Holzeinschlag nach eigenem Ermessen zu vergeben. So kommt es, dass allein sein Familienclan 30% aller Einschlagsrechte verwaltet. Sein politischer Freund, der Umwelt- und Tourismusminister, verfügt über eine Abholzlizenz von 300.000 Hektaren in einem Waldgebiet, wo auch die nomadischen Penan ihr zuhause haben. Nur wer vom Wald lebt und den Hunger aus eigener Erfahrung kennt, weiß, was der Holzeinschlag bedeutet: Er zerstört die Lebensgrundlagen. Denn wo sollen die Penan zum Beispiel das Tajem-Pfeilgift für die Blasrohrjagd gewinnen, wenn die Pfeilgiftbäume gefällt wurden? Oder woher das Harz für die Fackeln nehmen, wenn alle Pellaio-Stämme abtransportiert sind? Wo finden die Wildschweine, die wichtigste Jagdbeute der Penan, ihre Nahrung, wenn keine fruchtbaren Eichen-, Merand- und Kapurbäume mehr stehen? Wo soll der Penanjäger lauern, wenn fremde Eindringlinge, meistens Arbeiter der Holzgesellschaften, mit Hilfe von Jeeps und Halogenscheinwerferlicht die Wildbestände schon drastisch reduziert haben? Oder wohin soll der Regenwaldbewohner sein Wurfnetz werfen, wenn die einst kristallklaren Flüsse als Folge der Erosion durch Abholzung schmutzig braun geworden sind und Fremde mit Elektroschocks und Handgranaten die Gewässer leergefischt haben?

Das Landrechtsgesetz von Sarawak sieht durchaus die Möglichkeit vor, dass die Urbevölkerung Landrechte beansprucht. Doch ist die Hürde heute ziemlich hoch: So müssen die Indigenen beweisen, dass sie vor dem 1. Januar 1958, dem Datum einer Landrechts-Gesetzesänderung, im betreffenden Gebiet gelebt haben. Die traditionell seßhaften Dajak-Stämme, wie die Iban, Kayan, Kelabit, Kenyah usw., können dies zum Teil noch beweisen. Sie berufen sich auf den Bau von Häusern, auf einen Sekundärwald, auf gepflanzte Fruchtbäume oder Grabstätten, die älter als dieses Stichdatum sind. Bei den nomadisch lebenden Penan ist dies jedoch ein Ding der Unmöglichkeit, da sämtliche Spuren ihrer Anwesenheit im Dschungel schon nach ein, zwei Jahren verschwunden sind.

Aber selbst die sesshaften Ureinwohner Sarawaks besitzen auch heute noch keine formellen Landrechtspapiere, denn ihre Landrechte beruhen auf ihrem ungeschriebenen, traditionellen Gesetz, dem Adat. So haben sich die Dajak-Völker Sarawaks schon Mitte der achtziger Jahre mit einem vorwiegend gewaltfreien Widerstand gegen die Holzfällerei gewehrt. Die Regierung reagierte auf den Widerstand mit einem neuen Paragraphen im Strafgesetz: Das Behindern der Holzfällerei wird seither mit bis zu zwei Jahren Gefängnis oder mit 6 000 Malaysischen Ringgit (ca. 3 000 DM) bestraft. Seit 1987 bis zum Dezember 1995 wurden mehr als 700 Dajak verhaftet und während einigen Tagen bis zu mehreren Monaten inhaftiert. Außerdem kam es in Einzelfällen zu Mißhandlungen der Gefangen bei den Verhaftungen, im Gefängnis und bei den Verhören. Brutaler Überfall der Paramilitärs Vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzungen war der 28. September 1993: Bereits seit sieben Monaten ließen sich die Penan von Long Mobui nicht einschüchtern. Sie hinderten die Bulldozer der Sämling-Company am weiteren Eindringen in unberührte Waldgebiete. Doch paramilitärische Einheiten der Polizei setzten dem Protest mit einem brutalen Überfall ein Ende. Seither ist der Widerstand der Penan gebrochen. Zum einen sind nur noch wenige unberührte Waldgebiete zu finden, zum anderen sind die Menschen durch die Folgen des psychologischen Terrors und der jahrelangen körperlichen Schwächung am Ende ihrer Kräfte angelangt. Die meisten Penan-Gruppen wurden mittlerweile zur Seßhaftigkeit gezwungen.

Malaysia ist kein Entwicklungsland mehr. Vielmehr expandiert es selbst in einem Stil, der an europäische Kolonialmächte erinnert. Da die eigenen Holzressourcen abnehmen, sind die malaysischen Holzgiganten Sämling und Rimbunan Hijau in neue Tätigkeitsgebiete vorgestoßen: In Kambodscha, Laos, Surinam, Guyana und auf den Salomon-Inseln. In Papua-Neuguinea, wo Rimbunan Hijau allein über mehr als 80 Prozent aller Holzschlagkonzessionen gebietet, wird die Firma wegen Korruptionsskandalen heftig kritisiert. Schuld am Massaker im Penanwald haben aber nicht nur malaysische Konzerne, sondern auch die Holzimporteure in Übersee. Japan verbraucht mit 2,5 Prozent der Erdbevölkerung rund ein Drittel der weltweit gehandelten Tropenhölzer. 55% davon stammen aus Sarawak, und als Großimporteure zeichnen so bekannte Namen wie Mitsubishi und Marubeni, die auch kanadische Urwälder zu Papier verschnitzeln.

Weitere wichtige Abnehmer von malaysischem Holzarten, wie Meranti, Lauan, Merbau, Ramin und Bangkirai, sind Süd-Korea, Taiwan und die Europäische Union. So findet sich auch in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien viel Tropenholz an Orten, wo sich die Verbraucher dessen gar nicht bewusst sind: In Möbeln, in Türen und Fensterrahmen, als Parkettböden, Messergriffe, Vorhangstangen oder Besenstiele. Sogar für Eisenbahnschwellen haben die Schweizerischen Bundesbahnen noch vor kurzem regelmäßig Balau-Holz aus Sarawak importiert.

Nach einer Untersuchung der Internationalen Organisation für den Handel mit Tropenholz ITTO werden 90 Prozente der Profite aus diesem Geschäft in den Importländern gemacht. Wie die Ursachen der Tropenwaldzerstörung unterschiedlich sind, so gibt es auch keine pauschale Lösungen. Zentral ist aber die Forderung, dass die lokalen Bevölkerungen, also nicht nur die Ureinwohner, das Recht auf eine nachhaltige Nutzung der Sekundärprodukte und des Holzes besitzen müssen. Sekundärwälder, das heißt Wälder, die bereits durch die kommerzielle Nutzung beeinträchtigt sind, können mit dem Einverständnis der lokalen Bevölkerungen nachhaltig bewirtschaftet werden. Für die nomadischen Penan bleibt aber nur eine Forderung: "Baut Eure Häuser nicht aus unserem Wald!".

Roger Graf (Bruno-Manser-Fonds). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).

USA / Montana
Badger Two Medicine: Die Ölbohrungen auf Blackfeet-Land sind völkerrechtswidrig [ top ]

Seit Jahren versuchen die Blackfeet aus Montana/USA, die von den multinationalen Mineralölkonzernen Petrofina (Belgien) und Chevron (USA) beabsichtigten Erdöl- und Gasförderungen in dem ihnen heiligen Gebiet Badger Two Medicine, einer Wildnis in den nördlichen Rocky Mountains, zu verhindern. Bisher konnten sie die Region, die für ihre Religion, Kultur und Historie von existenzieller Bedeutung ist, mit Erfolg verteidigen. Nachdem der Chevron-Konzern eine Vereinbarung mit der US-Regierung über den Tausch der Bohrrechte erzielen konnte, ist eine endgültige Lösung der Kontroverse in greifbare Nähe gerückt.

Diese erfreuliche Entwicklung steht im Zusammenhang mit der Bekanntgabe des Umweltverträglichkeitsgutachtens des US-Forest Service (USFS) hinsichtlich der weiteren Nutzung von Erdöl- und Erdgasvorkommen in den nördlichen Rocky Mountains. Der USFS erklärte, dass zukünftig keine weiteren Bohrrechte mehr im Gebiet der Rocky Mountain Front vergeben werden. Auch für Badger Two Medicine lehnt der USFS die Vergabe von neuen Lizenzen ab, bereits bestehende bleiben aber in Kraft. Da fast für das gesamte Areal Bohrgenehmigungen erteilt wurden, kann nur ein freiwilliger Verzicht der Firmen die zerstörerische Ölförderung auf dem Land der Blackfeet verhindern.

Auch mit Fina, der amerikanischen Tochter von Petrofina, muß jetzt ein solches Verfahren ausgehandelt werden. FINA hatte ihre Bohrlizenz 1993 durch ein Gesetz der Regierung Bush erhalten. Das Territorium (500 Quadratkilomter bundesstaatlichen Forstlandes), ist Teil der nördlichen Rocky Mountain Front, der größten zusammenhängenden Waldlandschaft in den USA. Dieser Landstrich ist das letzte Rückzugsgebiet für mehr als 270 bedrohte Tier - und Pflanzenarten und ebenfalls letzte heilige Stätte für die dort lebenden Pikuni-Blackfeet. Der USFS empfahl 1993, eine Bohrerlaubnis zu erteilen, obwohl Gutachter zu dem Ergebnis kamen, dass die Bohrungen Umweltschäden in großem Ausmaß nach sich ziehen würden. Zudem lag die Wahrscheinlichkeit, ergiebige Ölquellen zu finden, bei gerade 0,5 Prozent. Die Clinton-Administration verhängte aufgrund mehrerer Einsprüche gegen das Gesetz ein Moratorium.

Der deutsche Völkerrechtler, Dieter Dörr, Professor für öffentliches Recht an der Universität Mainz, eine Studie zu dieser Thematik aus völkerrechtlicher Sicht. Das Ergebnis seiner Untersuchungen unterstützt auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker die Forderungen der Pikuni nach kulturell-religiöser Autonomie und politischer Eigenständigkeit. Er zog für seine These den Status des indianischen Gemeinwesens nach Rechtsprechung des US-Supreme Courts sowie die Verträge von 1855 und 1895, die mit den Blackfeet abgeschlossen wurden, heran. Der US Supreme Court billigt den indianischen Nationen eine sogenannte inhärente Souveränität (Hoheitsgewalt, die nicht durch Bundesgesetz oder Vertrag entzogen wurde) zu. Grundlage hierfür sind die vertraglichen Abschlüsse zwischen den einzelnen indianischen Nationen und den USA, die nach Form und Inhalt völkerrechtlichen Charakter besitzen.

Aufgrund der Abhängigkeit der indianischen Nationen von den USA und der andererseits bestehenden Treuhandstellung des Bundes ergibt sich daraus eine besondere Schutzpflicht der USA, die dadurch als Treuhänder zugunsten der Indianer aufzutreten haben. Wenn den indianischen Nationen eine verbliebene Restsouveränität anerkannt wird, sind die geplanten Ölbohrungen mit den geschlossenen Verträgen und Vereinbarungen und vor allem mit dem Selbstbestimmungsrecht bzw. den Menschenrechten der Pikuni nicht zu vereinbaren.

Von Kerstin Geserick. Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 197/1997).

Guyana/Naturpark
Naturreservat als Mogelpackung. In Französisch Guyana sollen indigene Völker enteignet werden [ top ]

Französisch-Guyana taucht heute meist dann in den Medien auf, wenn von seinem Weltraumzentrum Kourou aus eine Ariane-Rakete abgeschossen wird. Von den rund 150.000 Einwohnern Französisch-Guyanas zählen etwa 10.000 zu den Ureinwohnern, die dort "Amero-Indianer" genannt werden.

Die Völker, die Krieg, eingeschleppte Krankheiten und andere "Segnungen der Zivilisation" überlebt haben, lassen sich je nach Siedlungsgebiet und Lebensweise in zwei Hauptgruppen unterteilen: An der Küste wohnen die Arawak, Galibi und Palikur, im Regenwald des Landesinneren die Wayana, Emerillon und Wayampi. Ebenfalls im Dschungel haben Nachfahren entlaufener Sklaven eigenständige Gemeinschaften gebildet.

Die Ausbeutung und Zerstörung des Regenwaldes hat in Französisch Guayana bereits erschreckende Ausmaße angenommen. Nicht nur, dass alle Abfälle der Weltraumforschung nicht beseitigt, Abwässer in Böden und Flüsse sickern, und für Landebahnen mehr als 300 Hektar Regenwald abgeholzt wurden: In den letzten Jahren hat das französisch-guyanische Waldunternehmen "Organisation National de Forets" Baumarten, die sich nicht für den Handel eignen, mit Giften zum Absterben gebracht. Auch der Schacher mit seltenen und vom Aussterben bedrohten Tieren blüht in Französisch-Guyana.

Um der Kritik von Naturschützern zu begegnen, kündigte Frankreich am Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 die Schaffung eines Nationalparks im Herzen des guyanischen Regenwaldes an. Verwaltungsbeamte und lokale Politiker setzten sich gegen Naturschützer und Vertreter indigener Völker durch und wiesen einen Park im Süden des Landes aus - dort, wo Goldvorkommen entdeckt wurden.

Der geplante 2,9 Millionen Hektar große Naturpark soll folgendermaßen unterteilt werden: Zwei Millionen Hektar Fläche wurden als eigentliche "Zone der Natur" deklariert, 600.000 Hektar als "Zone des Lebens" für die Indianer vorbehalten, und eine 300.000 Hektar große "Zone des Bergbaus" französischen Goldminen- Unternehmen zugedacht. Von der Naturzone noch abzuziehen sind eine "Randzone" sowie weitere Gebiete, die als "Zonen möglicher Entwicklung" ausgewiesen wurden.

Nach einem Gesetz für Französisch Guyana, das 1987 in Kraft trat, können alte Land-und Landnutzungsrechte für den Schutz von Flora und Fauna aufgehoben werden. Mit der Unterteilung in die genannten Zonen werden etwa 2.000 Indianer, Emerillon, Wayampi und Wayana, ihren angestammten Lebensraum verlieren. Manche Gemeinschaften werden ganz aus ihren bisherigen Siedlungsgebieten ausziehen, andere ihre hergebrachten Fisch-, Jagd- und Anbaugründe aufgeben müssen.

Der merkwürdigste Zug an diesem angeblichen Naturreservat ist, daß es auch dem Bergbau offenstehen soll. Die Art und Weise, wie die französischen Behörden dieses Projekt eingefädelt haben, lässt eine Mogelpackung argwöhnen, deren eigentlicher Zweck es ist, die indigenen Völker ihres Landes zu berauben und einen Teil davon den Bergbaufirmen zuzuschanzen. Für die Einrichtung des Nationalparks soll Frankreich von der Europäischen Kommission 1,5 Millionen ECU aus dem "Europäischen Fond für Regionale Entwicklung" erhalten.

Von Michaela Entner. Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 191/1996).

Costa Rica / Brunka
Boruca-Staudamm contra Bruna. lndianer protestieren gegen Überflutung ihres Landes [ top ]

Die Brunka gehören zu den Ngobegue/Guaymi. Ihr Land liegt in der Provinz Puntarenas im Süden von Costa Rica. Dort soll das größte Wasserkraftwerk Zentralamerikas, das "Proyecto Hidroeletrico Boruca", entstehen. Dazu soll der Rio Grande de Terraba, an dessen Ufern die Reservation "Rey Curre" der Brunca liegt, gestaut werden. Ihr Territorium, das insgesamt 10.000 Hektar groß ist, würde vollständig im Stausee untergehen. Mit dem Verlust ihres Landes droht den Ureinwohnern die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. In der Reservation "Rey Curre" leben ungefähr 1.400 Brunka von der Eigenerwerbslandwirtschaft und ihrem Handwerk. Als Tagelöhner arbeiten sie auch auf Bananenplantagen.

"Rey Curre" grenzt unmittelbar an die Reservationen "Boruca" und "Terraba" an. In der Nachbarschaft liegen außer dem drei weitere Reservate: Salitre, Cabagra und Ujarräs. Alle fünf Territorien würden ebenfalls durch den Stausee in Mitleidenschaft gezogen werden. Während der spanischen Kolonialherrschaft flüchteten die Brunka vermutlich in die Bergregionen und kamen nur noch sporadisch an die Ufer des Rio Grande de Terraba. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kehrten sie dann dauerhaft in ihr altes Siedlungsgebiet zurück.

Seit 1977 schreibt das Gesetz Ley Indigena die exklusive Besiedlung und Nutzung der Reservationen durch die Ureinwohner fest. Doch im Sog der Panamericana, die seit den 1970er Jahren durch das Gebiet führt, nahmen Großgrundbesitzer und Kleinbauern fast 80 Prozent der Reservatsfläche in Besitz. Auf die gleiche Zeit gehen die ersten Voruntersuchungen für das Staudammprojekt zurück. Der Stausee ist für eine maximale Fläche von 260 qkm und eine Tiefe zwischen 230 und 260 Meter geplant. Seine Leistung von ca. 1.400 Megawatt soll teilweise exportiert werden. Der Baubeginn wurde auf das Jahr 2003 festgelegt, die Fertigstellung auf 2006. 4.000 Arbeitsplätzen sollen während der Bauphase in der ärmlichen Region geschaffen werden.

Nicht nur das Ley Indigena schließt jedoch im Grunde bereits jede Fremdnutzung des Reservatslandes aus. Costa Rica hat außerdem schon 1992 die ILO-Konvention 169 ratifiziert und sich damit auch internationalen Regeln zum Schutz der Landrechte von Ureinwohnern unterworfen. 1999 organisierten die Brunka erste Protestversammlungen und im November 1999 einen großen Marsch über 300 km zum Präsidentenpalast in der Hauptstadt SanJose.

Darauf verpflichtete sich die Regierung sich zu einem Konsultationsprozess mit den Brunka. Die Erfahrungen haben sie jedoch misstrauisch werden lassen. Lange Zeit hatte man ihnen jegliche Informationen über das Projekt vorenthalten, ihnen die Gutachten über Sozialverträglichkeit und zur Umweltverträglichkeit nicht zur Verfügung gestellt. Sie fürchten, dass auch die jüngst demonstrierte Kooperationsbereitschaft der Regierung eher symbolisch bleiben wird. Die Brunka appellieren daher an die internationale Öffentlichkeit, sie bei der Verteidigung ihres Territoriums zu unterstützen.

Theodor Rathgeber (GfbV-Deutschland). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 208/2001).

Philippinen / Mindanaho
Ananas contra Landrechte. Das Wirken des Del Monte-Konzern auf den Philippinen [ top ]

Del Monte ist einer der bekanntesten Namen im Südfruchthandel. Seine erste Plantage für den großflächigen Anbau von Ananas in der Dritten Welt errichtete Del Monte 1926 auf der südphilippinischen Insel Mindanaho. Dort, in der Hochebene von Bukidnon fand sich, was Del Monte suchte: fruchtbarer Boden, ein ausgeglichenes Klima und billige Arbeitskräfte. Die ökonomische und politische Stabilität war zudem gesichert, da die Philippinen 1898 von den spanischen Kolonialherren in US-Besitz übergegangen waren. In Bukidnon, wo sich heute endlos die Ananasplantagen von Del Monte erstrecken, lebten vor Ankunft des Multis Angehörige des Volkes der Manobo, eine der zahlreichen nicht-christlichen und nicht-moslemischen Volksgruppen ("Lumads") auf Mindanaho.

Für die Bukidnons, einer Untergruppe der Manobo-Volksgruppen, gab es keinerlei individuelle Landrechte. Als "Besitzer" betrachteten sie zwar denjenigen, der ein Stück Land urbar machte, aber das Besitzrecht bezog sich nur auf die Nutzung des Bodens. Eine Veräußerung des Bodens war nur nach Rücksprache mit dem Stammesführer ("dato") möglich und immer nur vorübergehend. Dieses Landrechtsverständnis der Bukidnon, die in einer weitgehenden Tausch-Wirtschaft ohne Geld lebten, kontrastierte aufs schärfste mit den Bedürfnissen des Konzerns Del Monte. Unter den Manobo-Völkern setzte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg langsam durch, Landtitel für ihre Felder zu beantragen. Zwischen 1918 und 1938 waren bei einer Bevölkerung von über 50.000 Menschen nur 816 Landtitel ausgegeben worden.

Während dieser Zeit fiel es Del Monte leicht, große Landflächen für den Ananasanbau zu bekommen. Allerdings gab es ein schwerwiegendes rechtliches Problem: selbst die Kolonialverfassung der Philippinen von 1935 schränkte den Landbesitz für Ausländer auf 1.024 Hektar ein. Del Monte kontrollierte damals aber bereits ein Mehrfaches dessen. Flugs wurde die staatliche "National Development Corporation" (NDC) gegründet "um Ländereien, die notwendig für die Entwicklung der Ananasindustrie sind," zu erwerben und "einen angemessenen Vertrag" mit Del Monte zu schließen.

So erhielt der Konzern im Jahr 1938 genau 8.195 Hektar von der NDC für den lächerlich geringen Pachtpreis von einem Peso pro Hektar und Jahr. In den folgenden Jahren machte Del Monte Philippines riesige Gewinne. Ernste Schwierigkeiten drohten dem Konzern zu Beginn der 70er Jahre, als sich auf den Philippinen ein kritisches Potential entwickelte, das sich insbesondere gegen die fast völlige wirtschaftliche und politische Dominanz der USA in dem südostasiatischen Staat richtete. Da war es wie eine glückliche Fügung des Schicksals für Del Monte, dass der philippinische Präsident Ferdinand Marcos im September 1972 das Kriegsrecht verhängte, alle demokratischen Organe und Rechte außer Kraft setzte. Del Monte hatte in der Folgezeit keine Einschränkungen seines Waltens zu befürchten.

1974 machte sich der Konzern daran, seine Ananasplantagen um 14 000 Hektar in der Pontian-Ebene von Bukidnon auszudehnen. Die dort lebenden indigenen Kleinbauern versuchten verzweifelt, sich dagegen zu wehren. Häufig erschlich sich Del Monte mit Hilfe von Strohmännern und Regierungsbehörden die Pachtverträge. War der Widerstand der Bevölkerung zu hartnäckig, wurden auch schon mal die Felder "zufällig" umgepflügt oder tauchte ein Schlägertrupp in den Dörfern auf. Inzwischen hat Del Monte nach Regierungsangaben die Kontrolle über 37.597 Hektar Land in Bukidnon. Hinzu kommen mindestens 6000 Hektar Bananenplantagen. Die günstigen Bedingungen, die für Del Monte in Mindanaho von den philippinischen Regierungen geschaffen wurden, ließen schnell andere ausländische Konzerne nachziehen.

Bis zu 50% der nutzbaren Fläche der Insel sollen heute von ausländischem Kapital kontrolliert sein. Das reicht von einer Nesde-Kaffeeplantage über Holzschlagskonzessionen für japanische Firmen, den britisch-malayischen Ölpamplantagen von Guthrie, Kokosproduktion für Henkel und Mars, bis hin zum Del Monte Konkurrenten Dole. Dole begnügt sch inzwischen nicht mehr mit seiner 20 000 Hektar großen Ananasplantage, sondern dringt über Mittelsmänner in das Siedlungsgebiet des T'boli-Volkes vor. Del Monte hatte im vergangenen Jahrzehnt Schwierigkeiten, seine Plantagen auf Mindanaho wesentlich auszudehnen. "Jungfräuliches" Land ist nicht verfügbar, und die dort lebenden Kleinbauern haben erkannt, dass eine Verpachtung ihrer kleinen Landparzellen ihnen viele ökonomische Nachteile bietet.

Sie waren davon ausgegangen, dass sie mit dem Pachtvertrag auch einen Arbeitsplatz bei Del Monte erhalten würden. Doch maximal aus jeder zweiten Familie erhielt ein Angehöriger einen Job auf den Ananasplantagen, während vorher alle Familienmitglieder auf den Feldern Arbeit hatten. Durch Rationalisierungen hat Del Monte außerdem die Arbeitsplätze bei gleichzeitiger Flächenausdehnung stark abgebaut hat. Eine in Bukidnon verbreitete Studie der jesuitischen "Xavier University" in Cagayan de Oro hat deutlich gemacht, daß mit der Landverpachtung an Del Monte wichtige Möglichkeiten der Überlebenssicherung weggefallen waren: der Anbau von Grundnahrungsmitteln für den eigenen Bedarf, die Tierhaltung sowie Jagd und Fischfang auf dem eigenen Land.

Während vor dem Eindringen Del Montes in das Gebiet der Pontian-Ebene nach 1974 nur 16% der überwiegend indigenen Kleinbauern ihr Einkommen als ungenügend bezeichneten, wuchs diese Zahl zehn Jahre später auf 56 Prozent. Zuvor mußte nur ein Drittel der Bewohner Reis zukaufen, um die Familie zu ernähren, diese Zahl wuchs danach auf 94%. Die "Entwicklung", die Del Monte nach Bukidnon gebracht hat, war dem grundlegenden Menschenrecht, sich zu ernähren, wie es der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte festschreibt, also kaum förderlich.

Dies gilt offenbar nicht nur für die nun landlosen Indigenen. Das nördliche Mindanaho weist insgesamt eine höhere Armutsrate aus als der nationale Durchschnitt. Moderner Welthandel bringt nicht zwangsläufig Wohlstand.

Frank Braßel (Leiter des deutschen Büros der Menschenrechtsorganisation FIAN, Experte für Welthandel und Menschenrechte). Aus progrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).

British-Columbia / Wintersport: Wintersport contra Landrechte Indianer werden rechtswidrig enteignet [ top ]

Wer fährt noch in den Alpen auf völlig überfüllten Pisten Ski? Die Zukunft des Wintersports liegt in den unberührten Tälern British Columbias und kann am besten mit Heli-Skiing genutzt werden. Das meinen zumindest die Reiseveranstalter DerTour, Tui, Neckermann, Malbororeisen und der Sturmböck Club, und das ADAC-Magazin Ski 2001 gibt ihnen Recht. Diese Veranstalter bieten Touren in die Skianlagen Whistler und Sun Peaks in British Columbia an der Westküste Kanadas an, und man kann bei ihnen auch Heli-Skiing buchen. Statt an Lifts an den Pisten Schlange zu stehen, fliegen die Teilnehmer dieser Reisen mit dem Hubschrauber zu den einzelnen Gipfel, und das mehre Male am Tag.

Für die Indianer, die in diesen Teilen British Columbias leben, die Secwepemc, Niak'-pamux, Okanagan, St'at'imc und Southern Carrier, ist dies allerdings kein Anlass zur Freude, denn riesige Ferienanlagen wie Sun Peaks und Whistler werden in ihre Territorien gebaut und die Helikopter donnern über ihre Täler und Gipfel hinweg, in denen sie bislang gefischt und gejagt haben. Eigentlich dürften die Gebiete, auf denen jetzt Ski-Anlagen gebaut werden, ohne Einwilligung der Indianer, die zu den 48 sogenannten "First Nations" Kanadas gehören, gar nicht genutzt werden. Die First Nations betrachten sich als die einzigen rechtmäßigen Eigentümer ihrer Territorien. Das wurde ihnen auch von der britischen Krone bestätigt und vom Obersten Gerichtshof wurde ihnen in der Delgamuukv-Entscheidung das Land als "Aboriginal Title", als ein spezieller Rechtstitel für Ureinwohner, anerkannt.

Doch der Bundesregierung und der Provinzregierung geht das Delgamuukv-Urteil viel zu weit; sie betrachten das Land als Staatseigentum und vergeben Einschlaglizenzen und die Erlaubnis zur Landerschließung, ohne die Indianer in diese Planungen mit einzubeziehen. 22 Millionen Touristen kommen zum Ski-Fahren, Snowboarden oder Schneemobil-Fahren nach British-Columbia, und sie bringen der Wirtschaft 9,2 Milliarden kanadische Dollar. Doch die Betreibergesellschaften wollen noch weiter expandieren und kündigten neue Investitionen für Erweiterungen an, um sich für die Olympischen Winterspiele 2010 zu bewerben. Zuletzt hat die Provinzregierung von British Columbia die Cayoosh Creek-Skianlage bewilligt, die in das letzte noch unberührte Tal der St'at'imc Nation gebaut werden soll.

Die Ältesten der Secwepemc konnten die Folgen der Wintersportanlage Sun Peaks in der Nähe von Kamloops nachweisen; Der Grundwasserspiegel sank, und zahlreiche Pflanzen und Tiere verschwanden, andere Tiere wurden aus ihren Gebieten vertrieben und sind so vom Aussterben bedroht, die Flüsse wurden trüb, so dass der Lachs dort nicht mehr laichen kann. Für die Umwelt in Kanada hat der Bau von Ski-Anlagen noch massivere Auswirkungen als in den Alpen. Denn im Gegensatz zu British Columbia waren die Alpen-Täler vor dem Wintersport-Boom bereits erschlossen und die Hänge teilweise kahlgeschlagen. In Kanada werden Skianlagen vor allem in unberührte Täler gebaut und diese werden so zum ersten Mal in westlichem Sinne bewohnt. Diese Täler waren bislang Zufluchtsort für bedrohte Tierarten, wie zum Beispiel den Grizzly-Bären, und wurden von den Indianern traditionell genutzt.

Als Protest gegen die Ausweitung des Wintersports haben die Secwepemc und die St'at'imc Lager aufgebaut. In diesen Camps protestieren die Ureinwohner nicht nur gegen die Skianlagen, sondern machen auch auf die Alternative des Ökotourismus aufmerksam. Die Betreiber der Ski-Anlagen und auch die Landesregierung versuchen die Proteste zu stoppen, um keine wirtschaftlichen Einbußen zu erleiden. Doch da die Indianer weiterhin protestieren, versucht die Landesregierung nun, durch die Polizei die Camps zu räumen.

International haben diese Proteste Aufmerksamkeit erregt. Chief Arthur Manuel, Vorsitzender der Secwepemc-Nation und der Interior Alliance, besuchte auf einer von der österreichischen Sektion der GfbV organisierten Europareise eine Vielzahl von Parlamentariern aus verschiedenen Ländern sowie Unterstützer- und Umweltschutzorganisationen. Arthur führte auch Gespräche in Südtirol mit Landespolitikern und Umweltschützern. Unter Federführung der GfbV Österreich hat die GfbV International im Frühjahr 2001 eine Kampagne gestartet. Die Kampagne wendet sich gegen die Missachtung des Delgamuukv-Urteil durch die Regierungen von Kanada und von British Columbia und appelliert an das Internationale Olympische Komitee, die Winterspiele 2010 nicht in British Columbia stattfinden zu lassen, so lange die Rechte der Indianer dort nicht gewahrt werden.

Eva Hameister (GfbV-Deutschland). Aus pogrom-zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 209/2001).

Russland / Sibirien
Sibiriens Öko-Katastrophe - Wälder und Weideland der Industrie geopfert [ top ]

Seit Mitte der 50er Jahre ist der Norden Russlands einer brutalen Industrialisierung ausgesetzt. Bis Mitte der 80er Jahre wurde die Region regelrecht unterworfen. Anreiz dafür war ihr Rohstoffreichtum an Holz, Gold, Kohle, Erzen, Erdöl, Erdgas und anderen Naturschätzen. Seit Mitte der 50er Jahre wurden hochwertige Waldbestände, die Jagd- und Fischfanggebiete der indigenen Völker des Nordens, in großem Umfang abgeholzt. Dabei kamen gigantische Maschinen zum Einsatz, durch deren mechanisch und ökologisch unsinnige Arbeitsweise vielfach bis zu 40% des Holzes liegen blieb und verrottete. Den sibirischen Wäldern wurden enorme Schäden zugefügt.

So wurden 21% der Wälder des Magadan Oblast, 34% des Primorski Krai, 34% des Khabarovskiy Krai, 39% der Wälder Sachalins und 42% des Amur Oblast zerstört. Mit dem Wald verschwand auch ein Großteil der Pelztiere. An diesem Raubbau waren auch ausländische Konzerne beteiligt. Die Erdöl- und Erdgasförderung begann Mitte der 60er Jahre. Die größten Vorkommen, Surgut und Samotlor, befinden sich in dem Land der Chanten. Von dem Reichtum, der aus ihrem Gebiet abgepumpt wurde, erhielten sie nichts. Ein gutes Beispiel für den "Öl-Krieg" im Norden ist die Geschichte der Yamal-Halbinsel. Nachdem dort große Erdöl- und Erdgasvorkommen entdeckt wurden, beschloss man, rasch mit deren Ausbeutung zu beginnen obwohl dies nach Expertenmeinung nicht rentabel war.

Der Moskauer Ethno-Soziologe A. Pika, der Ende der 70er Jahre bei den Chanten am Pyaku-ot-See arbeitete, schildert, wie es dort 10 Jahre später aussah: "Der Ort war kaum wiederzuerkennen. Wo einst unberührtes Land gewesen war, war eine Stadt entstanden. Und dazwischen: geschwärzte Flecken verbrannter Wälder, öde Abschnitte einer von Menschen gemachten Wüste, Öllachen um die Bohrstellen herum, Gasflammen, der Rauch von Waldbränden. Man erhält den Eindruck, daß der Mensch der Natur den Krieg erklärt hat." Die indigene Bevölkerung konnte nur hilflos zuschauen, wie ihr Land, ihre Lebensweise, ihre Zukunft zerstört wurden. Erst nach 1985, mit dem Beginn der Perestroika, begann sich dies allmählich zu ändern.

1989 meinte der Direktor der "Behörde für die Förderung von Gas und Öl der Arktis" (Arktikneftegazstroy) gegenüber einem Journalisten: "Wir müssen ohnehin nach Yamal. Das Gas muß wie geplant bis 1991 lieferbar sein. Niemand kann die vereinbarten Termine ändern, auch wir nicht. Wir hören viel unnützes Geschwätz, sinnlose Entrüstung und dummes Geschrei darüber, daß man wenigstens einen Teil des Yamal-Landes "bewahren" solle. Dabei ist es noch gar kein Land, es besteht zu 60% aus Eis." Die Wirtschaftlichkeit eines Projekts war zweitrangig. In den 70er und 80er Jahren war es üblich, Angehörige indigener Völker zu verfolgen und zu bestrafen, wenn sie vor Gericht Hilfe gegen die Willkür der lokalen Niederlassungen sowjetischer Staatsunternehmen suchten. Damals waren Gerichte, Polizei, KGB, Verwaltungen und Presse durch ein stillschweigendes Übereinkommen und ihre Parteimitgliedschaft miteinander verwoben und jederzeit bereit, die ganze Gewalt des Staates über jeden "Unruhestifter" hereinbrechen zu lassen, der es wagte, ihr Recht auf Rechtsbruch infragezustellen.

Die Betroffenen reagieren darauf mit Verbitterung. Ein Evenke schrieb an die Zeitschrift Servernye Prostory:
"Unsere Rentierzucht wird immer stärker eingeschränkt, weil sie angeblich unwirtschaftlich ist. Wir haben unsere Sprache vergessen, unsere Traditionen, unsere Kultur, unsere Künste. Im örtlichen Exekutivkomitee gibt es keine Indigenen. Alle Macht liegt bei den Fremden, und die interessieren sich nicht für unsere Probleme oder für den Umweltschutz. Am Adycha-Fluß wird jetzt ein Wasserkraftwerk gebaut - das bedeutet den Tod der Natur und unseren Tod. Drei Millionen Kubikmeter Holz werden im Wasser verschwinden, viele Dörfer abgerissen werden. Ich fragte Herrn Zoteyev, als er stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats der Russischen Föderation war, warum er unsere Interessen so vollkommen ignoriert. Er sagte ohne Zögern: Die Interessen des Staates stehen an erster Stelle, diejenigen der Menschen haben sich unterzuordnen."

Nikolai Vakthin, Institut für Linguistik der Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Aus: pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 180/1995).

Mexiko / Tarahumara
Der stille Krieg in der Sierra Madre - Holzkonzerne und Drogenmafia gegen die Tarahumara-Indianer [ top ]

Die Tarahumara oder Rarámuri leben im Nordwesten Mexikos in der Sierra Madre Occidental, auch "Sierra Tarahumara" genannt. Obwohl es ihnen über vier Jahrhunderte hinweg gelungen ist, ihre Kultur im Kern zu bewahren, ist ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Existenzgrundlage heute akut bedroht. Die offene Landrechtsfrage, der Raubbau an den Wäldern und der Terror der Drogenmafia drohen zu einem Ökozid auszuwachsen. Für die Rechte der Indigenen in der Sierra Tarahumara setzt sich der Consejo Asesor Sierra Madre A.C. (CASMAC) ein. In der Sierra Madre stehen sich - nach den letzten Volkszählungen - etwa 250 000 bis 300 000 Mestizen und etwa 100 000 Angehörige indigener Völker - Tarahumara, Tepehuanes, Pimas Bajos Serranos und Guarijios - gegenüber. Mit 70.000 bis 80.0000 Menschen bilden die Tarahumara die größte indigene Ethnie.

Große Teile ihres Siedlungsgebiets wurden im Zuge der Mexikanischen Revolution zum "Nationalbesitz" erklärt und - als ejidos forestales - von der Regierung den Anrainern zur Nutzung überlassen. Die "ejidatarios" sind im Besitz eines unveräußerlichen Landtitels und betreiben gemeinsam ein Unternehmen, z.B. ein Sägewerk, in dem das in den Wäldern des ejido geschlagene Holz verarbeitet wird. In den ejido-Verwaltungen dominieren häufig mestizische Kaziken. Die Interessen der Tarahumara bleiben meist unberücksichtigt, selbst da, wo sie die große Mehrheit der ejidatarios stellen. Sie profitieren daher kaum von der Holzwirtschaft. Auch die Arbeitsplätze in der Holzverarbeitung bleiben den Tarahumara zumeist verschlossen.

Auf der anderen Seite treffen die ökologischen Folgen die Indigenen mit voller Härte. Die Urwälder der Sierra Tarahumara - das Ökosystem mit der größten Artenvielfalt in Nordamerika - werden, wenn der Kahlschlag in demselben Tempo weitergeht, binnen weniger Jahre vernichtet sein. Hunderte von Pflanzenarten, die als Heil- und Nutzpflanzen in der Kultur der Tarahumara eine Rolle spielen, sind vom Aussterben bedroht. Noch schwerer wiegt, daß die Bodenerosion verheerende Ausmaße annimmt. Große Teile des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens sind schon verlorengegangen. Hinzu kommt eine anhaltende Dürre, die durch die Vernichtung der Wälder mit bedingt ist, so dass die landwirtschaftlichen Erträge drastisch zurückgegangen sind.


1994 gab es in der Sierra die ersten Hungertoten. Ein weiteres ökologisches Problem ist die Wasserverschmutzung. Die Abwässer der Papiermühlen werden ungeklärt in die Flüsse und Seen der Sierra Tarahumara geleitet. Der Lago Busrillos, einer der größten Seen in Chihuahua, ist bereits biologisch tot. Die Verunreinigungen lösen bei den Menschen, die auf das Wasser angewiesen sind, Krankheiten aus und haben eine erhöhte Kindersterblichkeit zur Folge. Anfang 1993 begannen zwei forstwirtschaftliche Unternehmen, in den Wäldern dieser Gemeinde illegal Holz zu schlagen. Die Weltbank stellte - trotz ihrer erklärten Politik, keine Projekte zu unterstützen, die zur Zerstörung von Urwäldern beitragen - einen Kredit zum Bau einer Straße nach Coloradas de la Virgen zur Verfügung. Seit 1991 sind mindestens 35 Tarahumara, die ihr Land gegen die Invasion der Holzindustrie verteidigten, von Killerkommandos getötet worden.

Die Bildung der nordamerikanischen Freihandelszone durch das North American Free Trade Agreement (NAFTA) im Jahre 1993 hat zu einem Investitionsboom der US-amerikanischen und kanadischen Holzindustrie im Norden Mexikos geführt. Entgegen allen Absichtserklärungen und Einzelbestimmungen der NAFTA zum Schutz der Umwelt und trotz der in den letzten Jahren verstärkten Anstrengungen Mexikos im Bereich des Umweltschutzes führt die neue Freihandelszone zu einer deutlichen Zunahme der Umweltschäden. Außerdem zerstört sie die einheimische Holzindustrie. Der Konkurrenz der neuen Holzfabriken sind die veralteten Sägemühlen der ejidos nämlich nicht gewachsen. Zunehmend schließen ejidos Konzessionsverträge mit Privatunternehmen ab oder verkaufen ihr Holz unter Preis an die Papiermühlen multinationaler Firmen.

Die Versuchung wächst, ejido-eigene Waldflächen an die Holzkonzerne zu verkaufen. Denn mit der Verfassungsänderung von 1992 hat die Regierung die legale Möglichkeit zur Privatisierung von ejido-Land geschaffen, um den ländlichen Raum für in- und ausländisches Kapital zu öffnen. Schon haben kanadische Firmen ihr Interesse an ejido-eigenen Waldflächen in der Sierra Tarahumara signalisiert. Damit ist der Ausverkauf der indigenen Territorien vorprogrammiert. Dabei mischen die mexikanischen Drogenkartelle kräftig mit. Mexiko ist selbst ein bedeutendes Anbaugebiet von Cannabis und Schlafmohn und zugleich Durchgangsstation für Kokain südamerikanischer Herkunft. An der Nordgrenze sind die "narcotraficantes" oder "narcos" eine Macht. Hier verfügen sie über ausgedehnte Ländereien, die ihnen als Schmuggelbasis dienen, und kontrollieren weite Landstriche. Deshalb wird das tägliche Leben der Tarahumara selbst in entlegenen Gemeinden von Auseinandersetzungen mit der Drogenmafia überschattet.

Viele Indigene werden durch massive Drohungen gezwungen, auf ihrem Land Drogen anzupflanzen. Ihnen droht Gefängnis, wenn die Behörden sie der Komplizenschaft mit den Drogenhändlern beschuldigen, Folter und Mord, wenn sie es wagen, sich den narcos zu widersetzen. So bleibt ihnen oft keine Wahl: Da Justiz und Polizei sie nicht schützen können, geben sie dem Terror der Drogenmafia nach. Der Zangengriff der Drogenmafia und der internationalen Holzindustrie droht, die Existenzgrundlagen der Tarahumara zu zerstören.

Ellen Schriek und Hans-Walter Schmuhl (Verein zur Unterstützung der indigenen Völker in der Sierra Tarahumara). Aus pogrom, zeitschrift für bedrohte Völker (Nr. 187/1996).


Siehe auch:
* www.gfbv.it: www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/0608report-de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060807de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/060105de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/050816de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/050916de.html | www.gfbv.it/2c-stampa/2006/051021de.html | www.gfbv.it/3dossier/eu-min/sami.html | www.gfbv.it/3dossier/siberia/sibiri-de.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-nord/lubicon1.html | www.gfbv.it/3dossier/asia/penan.html | www.gfbv.it/3dossier/africa/pigmei-de.html | www.gfbv.it/3dossier/h2o/staud.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/mapu-mergen.html | www.gfbv.it/3dossier/australdt.html | www.gfbv.it/3dossier/africa/tuareg.html | www.gfbv.it/3dossier/ind-voelker/brasilien.html

* www: http://en.wikipedia.org/wiki/Indigenous_people | www.ohchr.org/english/issues/indigenous/groups/groups-01.htm | www.ipcc.ch | www.wwf.de/imperia/md/content/pdf/klima/IPCC.pdf

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